HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

Anhang B – Feststellung der Kriminalität

von Gruppen und Organisationen

Die nachstehenden Ausführungen, die jeder in der Anklage erwähnten Gruppe und Organisation, welche als kriminell erklärt werden soll, folgen, bilden Material, auf das sich die Anklagebehörde unter anderem zur Feststellung der Kriminalität dieser Gruppen und Organisationen stützen wird.

Die in der Anklage erwähnte »Reichsregierung« besteht aus folgenden Personen:

(1) aus Mitgliedern des ordentlichen Kabinetts nach dem 30. Januar 1933, dem Tage, an dem Hitler Kanzler der deutschen Republik wurde. Der hier verwendete Ausdruck »ordentliches Kabinett« bedeutet: die Reichsminister, d.h. Leiter von Ressorts der Zentralregierung; Reichsminister ohne Geschäftsbereich; Staatsminister in der Funktion von Reichsministern; und andere Beamte, die zur Teilnahme an den Kabinettssitzungen berechtigt waren,

(2) aus Mitgliedern des Ministerrates für die Reichsverteidigung,

(3) aus Mitgliedern des Geheimen Kabinettsrates.

Diese Personen, die in ihren vorerwähnten Stellungen als Gruppe amtierten, besaßen und übten unter dem Führer Gesetzgebungs-, Vollziehungs-, Verwaltungs- und politische Gewalt und Funktionen allererster Ordnung im deutschen Regierungssystem aus. Demgemäß trifft sie die Verantwortung für die von der Regierung beschlossene und verfolgte Politik, auch soweit sie sich auf die Begehung der in den Anklagepunkten Eins, Zwei, Drei und Vier der Anklage erwähnten Verbrechen bezieht und erstreckt.

Das in der Anklage erwähnte »Korps der Politischen Leiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei« besteht aus Personen, die nach allgemeiner Nazi-Terminologie zu irgendeiner Zeit »Politische Leiter« von irgendeinem Grad oder Rang waren.

Zu den Politischen Leitern gehörten die Leiter der verschiedenen parteiamtlichen Büros, z.B. die Reichsleitung und die Gauleitung wie auch die Gauleiter.

Die Politischen. Leiter waren eine besondere Elitegruppe innerhalb der Nazi-Partei selbst und waren als solche mit besonderen Vorrechten ausgestattet. Sie waren nach dem Führerprinzip organisiert und hatten die Aufgabe, die Politik der Nazi-Partei zu planen und zu entwickeln und ihrer Gefolgschaft einzuhämmern. Daher wurden die örtlichen Führer unter ihnen Hoheitsträger genannt und sie waren berechtigt, zwecks Ausführung der Parteipolitik die verschiedenen Parteigliederungen im Bedarfsfalle in Anspruch zu nehmen und sich ihrer zu bedienen.

Hierbei wird auf die Darstellung im Anklagepunkt Eins der Anklage verwiesen, wonach die Nazi-Partei der innere Kern des in der Anklageschrift geschilderten gemeinsamen Planes oder der Verschwörung war. Die Politischen Leiter als bedeutender Machtfaktor innerhalb der Nazi-Partei selbst, die in ihrer oben erwähnten Stellung als eine Gruppe amtierten, nahmen an dem gemeinsamen Plan oder der Verschwörung teil und teilen daher die Verantwortung für die in Anklagepunkten Eins, Zwei, Drei und Vier der Anklage erwähnten Verbrechen.

Die Anklagebehörde behält sich ausdrücklich das Recht vor, jederzeit vor Verkündung des Urteils zu beantragen, daß Politische Leiter von untergeordnetem Grad oder Rang oder von anderen Typen oder Kategorien, die von der Anklagebehörde näher zu bezeichnen sind, vom weiteren Verfahren in diesem ersten Verfahren ausgenommen werden sollen, jedoch unbeschadet anderer Verfahren oder Maßnahmen gegen sie.

»Die Schutzstaffel der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (allgemein bekannt als SS) einschließlich des Sicherheitsdienstes (allgemein bekannt als SD)«, auf die sich die Anklage bezieht, besteht aus dem gesamten Korps der SS und allen ihren Dienststellen, Abteilungen, Dienstgruppen, Organen, Zweigstellen, Verbänden, Gliederungen und Gruppen, aus denen sie zu irgendeiner Zeit bestanden hat oder die ihr zu irgendeiner Zeit eingegliedert waren, einschließlich, aber nicht beschränkt auf die Allgemeine SS, die Waffen SS, die SS Totenkopf verbände, die SS Polizeiregimenter und den Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (allgemein bekannt als SD).

Die SS, ursprünglich von Hitler im Jahre 1925 als eine Eliteabteilung der SA gegründet, um eine Schutzwache für den Führer und die Nazi-Parteiführer zu bilden, wurde im Jahre 1934 unter der Führung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, ein unabhängiger Verband der Nazi-Partei. Sie bestand aus freiwilligen Mitgliedern, die im Einklang mit den biologischen, politischen und Rassetheorien der Nazis ausgewählt wurden, in Nazi-Ideologie völlig geschult waren und dem Führer unbedingten Gehorsam geschworen hatten. Nach der Machtergreifung der Nazi- Verschwörer wurde die SS in viele Abteilungen, Dienststellen, Verbände und Gliederungen ausgebaut und erweiterte ihren Einfluß und ihre Kontrolle auf zahlreiche Gebiete im Wirkungskreis der Regierung und der Partei. Durch Heinrich Himmler als Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei wurden Dienststellen und Einheiten der SS und des Reiches zusammengefaßt, um gemeinsam zu arbeiten und eine einheitliche Polizeigewalt zur Unterdrückung der Gegner zu bilden. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (allgemein bekannt als SD), eine Abteilung der SS, wurde zu einem umfassenden Spionage- und Gegenspionagesystem ausgebaut und arbeitete in Verbindung mit der Gestapo und der Kriminalpolizei an der Aufdeckung, Unterdrückung und Ausmerzung von Tendenzen, Gruppen und Einzelpersonen, die als Gegner oder mögliche Gegner der Nazi-Partei, ihrer Führer, Prinzipien und Ziele betrachtet wurden.

Der SD wurde schließlich mit der Gestapo und der Kriminalpolizei zu einer einzigen Sicherheitsabteilung, dem Reichssicherheitshauptamt, zusammengeschlossen.

Andere Gliederungen der SS wurden als Streitkraft ausgerüstet und dienten in den Angriffskriegen, die in Anklagepunkt Eins und Zwei der Anklage-Schrift erwähnt sind. Durch andere Abteilungen und Dienststellen kontrollierte die SS die Verwaltung der Konzentrationslager und die praktische Ausführung der Nazi-Theorien über Rasse, Biologie und Rücksiedlung. Durch ihre zahlreichen Aufgaben und Tätigkeiten diente sie als Mittel, die Herrschaft der Naziideologie zu sichern und das Nazi-Regime über Deutschland und die besetzten Gebiete zu schützen und auszudehnen. Auf diese Art nahm sie teil und ist verantwortlich für die Verbrechen, auf die sich Anklagepunkte Eins, Zwei, Drei und Vier der Anklageschrift beziehen.

Die in der Anklageschrift erwähnte »Geheime Staatspolizei« (allgemein bekannt als »Gestapo«) bestand aus der Zentralstelle, Abteilungen, Büros, Zweigstellen und allen Hilfsorganen und Beamten der Geheimen Staatspolizei, die nach dem 30. Januar 1933 oder zu irgendeinem späteren Zeitpunkt bestanden. Sie umfaßte die preußische Geheime Staatspolizei und entsprechende geheime oder politische Polizeikräfte des Reiches und seiner Teile.

Die Gestapo war von den Nazi-Verschwörern unmittelbar nach der Machtergreifung zuerst in Preußen von dem Angeklagten Gering und bald danach in allen Ländern des Reiches errichtet worden. Diese einzelnen geheimen und politischen Polizeikräfte wurden zu einer zentralisierten und einheitlichen Organisation ausgebaut, die durch eine Zentral-Hauptstelle und durch ein Netzwerk von Bezirksstellen in Deutschland und den besetzten Gebieten arbeitete. Für die Auswahl ihrer Beamten und Agenten war die unbedingte Annahme der Nazi-Weltanschauung Bedingung; sie rekrutierten sich in weitem Maße aus Angehörigen der SS und wurden in SS- und SD-Schulen ausgebildet. Ihre Tätigkeit bestand darin, Bestrebungen, Gruppen und Einzelpersonen zu unterdrücken und auszumerzen, die der Nazi-Partei feindlich oder möglicherweise feindlich waren, und ihre Führer, Grundsätze und Ziele zu bekämpfen, sowie jeden Widerstand oder den Keim eines solchen gegenüber der deutschen Herrschaft im besetzten Gebiet zu unterdrücken. Bei der Ausübung ihrer Funktionen arbeitete die Gestapo ohne jede gesetzliche Bindung und ergriff alle ihr nötig erscheinenden Maßnahmen für die Erfüllung ihrer Aufgaben.

Durch ihre Ziele und ihre Betätigung und die angewandten Mittel nahm sie teil an den in den Anklagepunkten Eins, Zwei, Drei und Vier der Anklageschrift aufgeführten Verbrechen und ist für sie mitverantwortlich.

Die in der Anklage genannten »Sturmabteilungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei« (allgemein als »SA« bekannt) war eine Formation der Nazi-Partei, die dem Führer unmittelbar unterstand und nach militärischem Muster aufgebaut war, und die sich aus Freiwilligen zusammensetzte, die als politische Soldaten der Partei dienten. Sie war eine der ältesten Formationen der Nazi-Partei und die ursprüngliche Schutzgarde der nationalsozialistischen Bewegung. Gegründet 1921 als eine freiwillige soldatische Formation wurde sie von den Nazi-Verschwörern vor ihrer Machtergreifung in eine riesige Privatarmee ausgebaut und benutzt, um Unordnung zu stiften und um politische Gegner zu terrorisieren und auszumerzen. Sie diente zur fortgesetzten körperlichen, weltanschaulichen und militärischen Erziehung der Parteimitglieder und als Mannschafts-Reservoir für die Wehrmacht. Nach Entfesselung der in Anklagepunkten Eins und Zwei der Anklage erwähnten Angriffskriege diente die SA nicht nur als eine Organisation zur militärischen Ausbildung, sondern stellte auch Kräfte für die Hilfs- und Sicherheitspolizei in den besetzten Gebieten, bewachte Kriegsgefangenen- und Konzentrationslager und überwachte und kontrollierte die in Deutschland und den besetzten Gebieten zur Zwangsarbeit verwendeten Personen.

Durch ihre Ziele und ihre Betätigung und die angewandten Mittel nahm sie teil an den in den Anklagepunkten Eins, Zwei, Drei und Vier der Anklageschrift aufgeführten Verbrechen und ist für sie mitverantwortlich.

Der »Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht«, die in der Anklageschrift erwähnt sind, bestand aus den Einzelpersonen, die zwischen Februar 1938 und Mai 1945 die höchsten Kommandeure in Wehrmacht, Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe waren. Die diese Gruppe umfassenden Einzelpersonen sind die Persönlichkeiten, die die folgenden Stellen innehatten:

Oberbefehlshaber der Kriegsmarine,

Chef (und früher, Chef des Stabes) der Seekriegsleitung,

Oberbefehlshaber des Heeres,

Chef des Generalstabes des Heeres,

Oberbefehlshaber der Luftwaffe,

Chef des Generalstabes der Luftwaffe,

Chef des Oberkommandos der Wehrmacht,

Chef des Führungsstabes des Oberkommandos der Wehrmacht,

Stellvertretender Chef des Führungsstabes des Oberkommandos der Wehrmacht und

die Oberbefehlshaber im Felde, im Bange eines Oberbefehlshabers der Wehrmacht, der Flotte, des Heeres, der Luftwaffe.

In diesen Funktionen und als Angehörige der höchsten Rangstufen der deutschen Wehrmacht waren diese Persönlichkeiten in besonderem Maße für die Planung, Vorbereitung, das Beginnen und die Führung der ungesetzlichen Kriege verantwortlich, wie sie in den Anklagepunkten Eins und Zwei der Anklageschrift auseinandergesetzt sind, und für die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität, die sich bei der Ausführung des gemeinsamen Planes oder der Verschwörung ergaben, wie in den Anklagepunkten Drei und Vier der Anklageschrift auseinandergesetzt ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: (setzt die Verlesung der Anklageschrift fort):