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Die Einzelverantwortlichkeit.

Wer eine Handlung begeht, die als Verbrechen anzusehen ist, oder wer andere dazu aufreizt oder sich mit anderen Personen, Gruppen oder Organisationen zu einem gemeinsamen Plan zusammenschließt, um solche Verbrechen zu begehen, ist, so legt das Statut weiter fest, persönlich dafür verantwortlich. Für Seeräuberei und Straßenräuberei, die seit langem als nach dem Völkerrecht strafbare Verbrechen gelten, ist dieser Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit alt und wohlfundiert. Genau das gleiche nun ist ungesetzliche Kriegführung. Dieser Grundsatz der persönlichen Haftung ist notwendig und logisch, wenn das Völkerrecht wirklich dazu beitragen soll, den Frieden aufrechtzuerhalten. Im Völkerrecht, das ja nur mit Staaten zu tun hat, läßt sich einem Gesetz nur durch Krieg Geltung verschaffen, da der Krieg am wirksamsten ist, Zwang auf einen Staat auszuüben. Wer mit der Geschichte Amerikas vertraut ist, weiß, daß unsere Verfassung hauptsächlich deshalb geschaffen wurde, weil sich die Bundesgesetze, die nur für die Mitgliedsstaaten Geltung hatten, für die Aufrechterhaltung der Ordnung unter ihnen als wirksam erwiesen hatten. Die einzige Antwort auf Widerspenstigkeit war entweder Hilflosigkeit oder Krieg. Nur Sanktionen, die Einzelpersonen treffen, können friedlich und wirksam durchgesetzt werden. Deshalb wird der Grundsatz der Strafbarkeit des Angriffskrieges im Statut ergänzt durch den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit.

Selbstverständlich ist der Gedanke, daß ein Staat, ebenso wie eine Körperschaft, ein Verbrechen begehen könne, eine bloße Annahme. Verbrechen werden immer nur von Einzelpersonen begangen. Während es nun aber durchaus zulässig ist, die Verantwortlichkeit eines Staates oder einer Körperschaft anzunehmen, um eine gemeinsame Haftung zu schaffen, ist es völlig unerträglich, aus einem solchen Denken nach dem Buchstaben des Gesetzes eine persönliche Straffreiheit abzuleiten.

Das Statut bestimmt, daß jemand, der Verbrechen begangen hat, sich nicht auf höhere Befehle berufen oder etwa vorbringen dürfe, seine Verbrechen seien Staatsakte gewesen. Denn das Zusammenwirken dieser beiden Grundsätze hatte bisher zur Folge, daß fast jeder, der an den wirklich großen Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit beteiligt war, straflos blieb. Die Untergebenen waren gegen eine Haftung durch die Befehle ihrer Vorgesetzten geschützt. Die Vorgesetzten waren gedeckt, weil ihre Befehle als Staatsakte bezeichnet wurden. Nach dem Statut kann eine Verteidigung, die sich auf eine dieser beiden Anschauungen gründet, nicht angenommen werden. Die moderne Zivilisation gibt der Menschheit unbegrenzte Waffen der Zerstörung in die Hand. Sie kann nicht dulden, daß es auf einem so weiten Felde keine rechtliche Verantwortung geben sollte.

Selbst das deutsche Militärstrafgesetzbuch bestimmt:

»Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers: erstens, wenn er den ihm erteilten Befehl überschritten hat, oder zweitens, wenn ihm bekannt gewesen ist, daß der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen bezweckte« (Reichsgesetzblatt 1926, Teil I, Seite 278, Paragraph 47).

Selbstverständlich behaupten wir nicht, daß die Umstände, unter denen eine Handlung begangen worden ist, bei der Beurteilung ihrer rechtlichen Folgen unbeachtet bleiben sollen. Von einem einfachen Soldaten in einem Erschießungskommando kann man nicht erwarten, daß er eine gerichtliche Untersuchung über die Rechtmäßigkeit der Hinrichtung anstelle. Das Statut setzt der Verantwortlichkeit wie der Befreiung von persönlicher Haftung die gleichen Grenzen des gesunden Menschenverstandes. Aber keiner dieser Männer hier vor Ihnen hat eine untergeordnete Rolle gespielt. Jeder konnte in vielem nach freiem Ermessen handeln und hatte große Macht. Entsprechend groß ist daher auch seine Verantwortung. Sie kann nicht auf jenes erdachte Wesen, »den Staat«, abgeschoben werden, das nicht vor Gericht geladen, nicht Zeugenschaft ablegen und nicht verurteilt werden kann.

Das Statut – und die meisten modernen Rechtssysteme erkennen diese Art der Verantwortlichkeit an – legt auch eine stellvertretende Haftung fest für Handlungen, die von anderen bei der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung begangen worden sind, wenn ein Angeklagter sich an einem solchen gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung beteiligt hat. Ich brauche hier die bekannten Grundsätze einer solchen Verantwortlichkeit nicht zu erörtern. Täglich werden von den Gerichten der Länder, die sich diesem Prozeß angeschlossen haben, Menschen für Handlungen verurteilt, die sie nicht persönlich begangen haben, für die sie aber verantwortlich gehalten werden, weil sie zu illegalen Vereinigungen gehörten oder an Plänen und Verschwörungen solcher Art teilgenommen haben.