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MR. ALBRECHT: Der Reichstag ist eine Anomalie in diesem Gesamtbilde. In der Republik war er die oberste gesetzgebende Behörde des Reiches und unterstand nur einer beschränkten Kontrolle durch den Reichsrat, den Präsidenten und durch das deutsche Volk selbst, nämlich durch Volksbefragung und Volksabstimmung. Die Gegnerschaft der Nazis gegen alle parlamentarischen Regierungsformen wurde sofort in die Tat umgesetzt; sie schränkten die gesetzgebenden Vollmachten des Reichstages ein, schalteten den Reichsrat aus und vereinigten das Amt des Präsidenten mit der vom Führer bekleideten Kanzlerschaft.

Durch ein Dekret vom 24. März 1933 erhielt das Kabinett unbeschränkte gesetzgebende Vollmachten, einschließlich des Rechtes, von der Verfasung abzuweichen. Wie bereits erwähnt, wurde später der Reichsrat abgeschafft, und die Vollmacht der Gesetzgebung innerhalb des Reichstages wurde auf ein Minimum reduziert. Ich sage, die Vollmacht wurde auf ein Minimum reduziert, da die wirkliche gesetzgebende Vollmacht dem Reichstag nie genommen worden war; aber nach der Machtergreifung durch die Partei hatte der Reichstag nie mehr das Recht, als gesetzgebende Behörde zu fungieren. Die Reichsregierung behielt ihre gesetzgebenden Vollmachten während der ganzen Zeit bei, obgleich von Zeit zu Zeit andere Organisationen der Reichsregierung für die Verwaltung geschaffen wurden, zum Beispiel: oben rechts auf der Zeichnung, der Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung, ebenfalls in der rechten Ecke der Zeichnung, der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft und der Ministerrat für die Reichsverteidigung. Das ist das große Viereck, rechts von der senkrechten Linie, und alle diese Ämter der Reichsregierung erhielten gewisse parallele gesetzgebende Vollmachten. Die Entwicklung des Reichstags zu einem zusammengeschrumpften Legislativkörper war jedoch nur ein mittelbarer Schritt auf dem Wege zu der Herrschaft durch Führer-Erlasse. Das war die endgültige Absicht der Partei, die sie auch schließlich erreichte.

Die Nazis übertrugen ferner einige der Funktionen der Reichsregierung auf allerlei neu geschaffene Ämter, von denen ich einige bereits erwähnt habe.

Kabinettsfunktionen wurden in erster Linie dem Reichsverteidigungsrat übertragen, möglicherweise schon am 4. April 1933, aber wir glauben, auf keinen Fall nach 1935. In dieser Verbindung möchte ich auch sagen, daß mit Bezug auf einige dieser Ämter der Reichsregierung, die Vollmachten übertragen bekamen, wir uns in einem etwas dunklen Gebiet bewegen. Wenn war diese Organisationen betrachten, befassen wir uns in gewissem Maße mit Verfügungen und Handlungen, die geheim waren. Eine Anzahl dieser Verfügungen wurden niemals zeitlich festgelegt. Ein Teil davon wurde nie bekanntgegeben, und das deutsche Volk hörte niemals davon. Deshalb sage ich, daß der Reichsverteidigungsrat möglicherweise schon zwei und einhalb Monate nach der Machtübernahme durch Hitler geschaffen wurde. Wir glauben jedoch beweisen zu können, daß diese wichtige Organisation innerhalb der Regierung des Deutschen Reiches sicher nicht nach dem Monat Mai 1935 geschaffen wurde.

Ich sage, es war eine sehr wichtige Gruppe, denn es war die Gruppe, die den Krieg zu planen hatte; Hitler war ihr Vorsitzender und der Angeklagte Göring sein Stellvertreter.

Es war eine sehr ausgedehnte Organisation zur Kriegsplanung und umfaßte viele Kabinettsmitglieder und auch einen Arbeitsausschuß, dessen wirkliche zahlenmäßige Stärke wir auf der Zeichnung nicht zeigen können.

Der Ausschuß hatte den Angeklagten Keitel zum Vorsitzenden. Auch diese Gruppe bestand hauptsächlich aus Kabinettsmitgliedern und Reichsverteidigungsreferenten, von denen die meisten durch Kabinettsmitglieder ernannt worden waren und diesen unterstanden. Andere Machtbefugnisse wurden dem Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, den ich vorher genannt habe, übertragen; er ist in der obersten rechten Ecke der Zeichnung zu sehen. Hier handelte es sich um den Angeklagten Frick und später um den berüchtigten Himmler.

Frick untergeordnet in seiner Stellung als Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung sind folgende Ministerien: Innenministerium – Fricks altes Ministerium –, das Justizministerium, das Erziehungsministerium und die Ministerien für Kirchenangelegenheiten und Raumordnung. Andere Vollmachten gingen an den Generalbevollmächtigten für den Vierjahresplan, wiederum den Angeklagten Göring. Das Viereck erscheint in der Zeichnung links von der Mittellinie halbwegs zum Rande. Weitere Vollmachten gingen an eine Organisation innerhalb des verschwommenen Gebietes, das ich schon erwähnte, und wofür Namen auf der Zeichnung leider nicht genannt sind, das Dreierkollegium, dessen Titel eigentlich über den letzten drei Vierecken der rechten Ecke stehen sollte, weil das Dreierkollegium nicht nur den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, sondern auch den Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft umfaßte. Den Vorsitz dieser Gruppe hatte, soviel ich weiß, der Angeklagte Keitel als Chef des OKW. Die Aufgabe dieses Dreierkollegiums bestand, wie es scheint, u. a. in Entwürfen von Gesetzesvorschlägen zur Vorbereitung und Anwendung im Kriege.

Dem Geheimen Kabinettsrat, dessen Vorsitzender der Angeklagte von Neurath war, ich glaube, sein Titel war Präsident, wurden andere Vollmachten erteilt. Der Kabinettsrat wurde durch einen Führer- Erlaß im Jahre 1938 geschaffen. Gewisse andere Vollmachten gingen an den Ministerrat für die Reichsverteidigung, das kleinste Viereck, das unter dem großen Viereck, rechts von der senkrechten Linie, erscheint.

Der Ministerrat für die Reichsverteidigung unterstand nur dem Führer. Seine Mitglieder, wie man aus der Zeichnung entnehmen kann, bestanden aus Personen des Reichsverteidigungsrates. Er hatte weitgehende Machtbefugnisse, rechtskräftige Verfügungen zu erlassen, soweit die Reichsregierung selbst nicht schon diesbezügliche Gesetze erlassen hatte.

Es muß betont werden, daß diese Übertragung von Kabinettsfunktionen auf verschiedene Gruppen, die meistens aus Kabinettsmitgliedern bestanden, dazu beitrugen, einige der wichtigen politischen Ziele der Reichsregierung zu verschleiern, d.h. diejenigen, die sich auf die Kriegsvorbereitung bezogen und die Machtbefugnisse geheimen und halbgeheimen Organisationen übertrugen.

So, wie ich es hier im allgemeinen gezeigt habe, gelang es der Nazi-Partei, ihre politischen Ziele durch Scheinorganisationen, durch den Staatsapparat und die Reichsregierung in ihrer revidierten Form zu verwirklichen.

Es würde vielleicht von Nutzen sein, wenn die Herren Richter mir gestatten würden, auf die große Anzahl von Ämtern auf dieser Zeichnung hinzuweisen, wo die Namen der Angeklagten in Verbindung mit den Regierungsfunktionen des Reiches wieder erscheinen.

Zuerst einmal die Reichsregierung selbst.

Es tut mir leid hier zu sagen, daß etwas ausgelassen worden ist, was sehr wichtig ist. Es ist der Name von Hitlers Vizekanzler, Herr von Papen, der Vizekanzler von der Machtübernahme an bis ungefähr zu der Zeit der Säuberung im Juni 1934 war.

Die Herren Richter werden eine Gruppe von Reichsministern mit Portefeuille erkennen und darunter eine Gruppe ohne Portefeuille, in denen die Namen der meisten Angeklagten erscheinen. Es gibt Staatsminister, die als Reichsminister tätig und verzeichnet sind. Sie werden den Namen des Angeklagten Frank dabei bemerken. Auch gibt es andere Teilnehmer an Kabinettssitzungen, unter welchen Sie den Namen des Angeklagten von Schirach bemerken werden. Diese ganze Linie, auf welcher das Kabinett verzeichnet ist, ist die Grundlage der Reichsregierung und, wie ich bereits erklärt habe, der Organisationen, die aus dieser ursprünglichen Reichsregierung hervorgingen. Links vom Geheimen Kabinettsrat sind die Namen der Angeklagten enthalten.

Noch weiter links steht der Beauftragte für den Vierjahresplan und ganz oben am Ende der Reichstag, dessen Vorsitzender der Angeklagte Göring war, und der Führer der Reichtagsfraktion, der Angeklagte Frick.

Wenn wir weiter nach rechts von der Mittellinie gehen, so kommen wir zum Reichsverteidigungsrat mit Hitler selbst als Vorsitzenden, darunter zum Reichsverteidigungsausschuß und dem Ministerrat für Reichsverteidigung, der aus dem Reichsverteidigungsrat hervorging. Wir sehen meistenteils die Namen von Kabinettsmitgliedern darauf, einschließlich, wenn ich das betonen darf, Namen rein militärischer Führer, wie den des Angeklagten Raeder, des Angeklagten Keitel und weiter nach rechts – sämtliche Namen von Angeklagten in diesem Prozeß – des Angeklagten Schacht, als den ersten Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft, dem später Funk im Amt folgte; Keitel als Chef des OKW und des Angeklagten Frick, wiederum als Generalbevollmächtigter für Reichsverwaltung, in dem Dreieck, das als Dreier-Kollegium bekannt war.

Wenn wir nun die senkrechte Linie heruntergehen, herüber zur waagerechten Linie in der Mitte, so haben wir die verschiedenen Ministerien, über welche diese Kabinettsminister der Reichsregierung die Führung innehatten.

Wir haben auch ganz links und ganz rechts wichtige Sonderämter, die auf Veranlassung der Partei geschaffen wurden und dem Führer persönlich verantwortlich waren. Wenn ich ganz links anfangen darf, möchte ich darauf hinweisen, daß, sobald in den Niederlanden die Militärmaschine von der Zivilregierung abgelöst worden war, der Angeklagte Seyß-Inquart Reichskommissar für die Niederlande wurde. Einige Namen unter dem von Seyß-Inquart ist der Name des Angeklagten von Neurath als Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, dem später der Angeklagte Frick nachfolgte, und unter diesem der Name des Angeklagten Frank als Generalgouverneur von Polen. Neben dem Viereck dieser Verwaltungsbeamten, die dem Reichskanzler und Präsidenten direkt Bericht zu erstatten hatten, ist das Auswärtige Amt, zuerst unter dem Angeklagten von Neurath, dem dann der Angeklagte Ribbentrop folgte. Wenn wir weiter heruntergehen, unter dem kleinen Viereck, das sich mit deutschen Gesandtschaften befaßt, sollte natürlich in einer ausführlichen Aufführung der Name des Angeklagten von Papen stehen, eine Zeitlang der Vertreter des Reiches in Österreich und später in der Türkei.

Das nächste Viereck auf der waagrechten Linie ist das Reichswirtschaftsministerium. Zuerst erscheint der Name des Angeklagten Schacht, dann der Name des Angeklagten Göring und dann der Name des Angeklagten Funk.

Das nächste Viereck, das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion stand unter dem Vorsitz des Angeklagten Speer. In dem Viereck der Organisation Todt, die aus dem Reichministerium für Rüstung und Verteidigung hervorging und diesem untergeordnet war, erscheint wiederum der Name des Angeklagten Speer, der die Leitung dieser Organisation nach dem Tode von Todt übernahm. Zwei Vierecke links, das Justizministerium und, wenn Sie mir bis unten ganz links folgen wollen, erscheint unter dem Justizministerium, die Reichsrechtsanwaltskammer. Das Viereck ganz links unten zeigt die Akademie für deutsches Recht, eine Zeitlang unter dem Vorsitz des Angeklagten Frank. Ganz nahe der senkrechten Linie das Luftfahrtministerium mit dem Angeklagten Göring als Leiter und dann wieder das Innenministerium unter dem Angeklagten Frick. Wenn Sie mir nun zu den untersten Vierecken, nach der kleinen waagerechten Linie unter dem Innenministerium folgen, kommen wir zu Staatsbeamten, die als Reichsstatthalter bezeichnet werden; und wenn diese Vierecke genügend Einzelheiten enthalten würden, könnten Sie darauf Namen, unter anderem den des Angeklagten Sauckel finden, der außer seinem Amt als Gauleiter von Thüringen dort auch Reichsstatthalter war. Sie würden auch den Namen des Angeklagten von Schirach sehen, der nicht nur Gauleiter von Wien, sondern auch der staatliche Vertreter, der Reichsstatthalter in Wien war.

Aus dem Viereck für das Innenministerium werden einige Vierecke abgeleitet, die sich mit der deutschen Polizei befassen, und in der nächsten Untergliederung zur Rechten der Chef der Sicherheitspolizei (SD), mit dem Namen des Angeklagten Kaltenbrunner.

Im Propaganda-Ministerium, etwa in der Mitte, ist das Viereck mit dem Namen des Angeklagten Fritzsche, der, obgleich er zur Zeit der Vorbereitung des Planes nicht in der Stellung eines der Hauptführenden des Ministeriums erscheint, tatsächlich weit wichtiger war, als seine bezeichnete Stellung vermuten läßt. Beweise dafür werden dem Gerichtshof vorgelegt werden.

Am Ende der horizontalen Linie erscheint das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, dessen Leiter der Angeklagte Rosenberg war. Rechts davon, unter den Hitler als Reichskanzler und Präsident direkt unterstellten Ämtern, ist das Amt des Generalinspekteurs für das Straßenwesen, mit dem Namen des Angeklagten Speer; der Generalinspekteur für Wasser und Energie, wiederum mit dem Namen des Angeklagten Speer verbunden. Dann folgt das Reichsforstamt unter dem Angeklagten Göring; der Reichsjugendführer, der Angeklagte von Schirach; der Reichswohnungskommissar mit dem verstorbenen Angeklagten Robert Ley, und unter den weiteren Dienststellen die wichtige Stellung der Reichsbank, deren Leitung in den Händen des Angeklagten Schacht lag, dem später der Angeklagte Funk folgte; der Generalinspekteur für die Reichshauptstadt, der Angeklagte Speer.

Ich glaube, ich habe alle Angeklagte in Verbindung mit dieser Zeichnung genannt, und alle in dieser Sache dem Gericht hier vorgeführten Personen sind, glaube ich, in der einen oder anderen oder mehreren Stellungen in der Zeichnung aufgeführt, mit Ausnahme des Angeklagten Jodl.

Jodl war der Stabschef der gesamten Streitkräfte; er stand an der Spitze des Wehrmachtsführungsstabes, und in der Zeichnung und in dem Beweismaterial, das wir später vorlegen werden, wird der Name Jodl in Verbindung mit der Organisation der Wehrmacht in hervorragender Weise erscheinen.

Wenn ich jetzt eine Verbesserung vornehmen darf. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, daß ich mich versprochen habe, als ich die Zusammensetzung der Partei erläuterte. Bei Besprechung der Tabelle der Partei, in dem kleinen Viereck links, das die Namen der Stellvertreter nennt, die dem Führer in der Parteileitung folgen sollten, sagte ich, daß es Göring war, der Heß als Führerstellvertreter folgen sollte. Tatsächlich ist es so, daß, als die Ernennungen vom Führer verkündet wurden, Göring stets als der erste Stellvertreter und der Angeklagte Heß als zweiter Stellvertreter genannt wurde.

In der Anlage A zur Anklageschrift sind die verschiedenen Ämter, Parteifunktionen und staatliche Ämter genannt, denen diese Angeklagten als Leiter vorstanden. Sie bekleideten diese Ämter in der hier besprochenen Zeitspanne, und alle diese verschiedenen Ämter sind aufgeführt. Wir möchten jetzt das Beweismaterial dafür vorlegen, daß diese Ämter von diesen Angeklagten bekleidet waren. Dieses Beweismaterial besteht aus 17 Erklärungen – mehr oder weniger von den Angeklagten selbst oder von deren Rechtsvertretern unterzeichnet – worin beglaubigt wird, welche Partei- und staatliche Stellungen sie im Verlauf der Zeit eingenommen haben. Einige dieser Erklärungen sind nicht so vollständig, wie wir es gewünscht hätten, daher haben wir Erklärungen angeheftet, in denen wir die weiteren Ämter nennen oder zusätzliche Beweise für Zugehörigkeit zur Partei anführen, soweit sie uns zur Verfügung standen. Ich möchte diese Beweismittel jetzt dem Gericht vorlegen, und, wenn es möglich ist, auch die zwei Zeichnungen, über die ich diesen Morgen vor dem Gericht gesprochen habe.

VORSITZENDER: Will die Anklage in der Beweisführung bis 12.30 Uhr fortfahren?

COLONEL STOREY: Mit Ihrer Erlaubnis, es fehlen nur noch 2 Minuten bis 12.30 Uhr. Herr Albrecht ist mit seinen Ausführungen zu Ende und mit Erlaubnis des Gerichts wird Major Wallis um 2 Uhr fortsetzen.

VORSITZENDER: Sehr gut.