[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof!
Major Frank Wallis wird jetzt die Schriftsätze und Dokumente vorlegen, um die Phase des Falles darzulegen, die als »Gemeinsamer Plan oder Verschwörung bis zum Jahr 1939« bekannt ist.
Major Wallis!
MAJOR FRANK WALLIS, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN:
Herr Präsident, meine Herren Richter!
Es wird meine Aufgabe sein, den Hauptteil der wesentlichen Behauptungen der Anklageschrift gemäß Abschnitt IV Seite 3, Unterabschnitt E, Seite 6, des englischen Textes darzulegen. Es handelt sich um folgende Punkte: die Ziele der Nazi-Partei, ihre festgelegten Methoden, ihr Aufstieg zur Macht, die Festigung ihrer Kontrolle über Deutschland von 1933 bis 1939 zwecks Vorbereitung des Angriffskrieges.
Diese Entwicklung wurde schon kurz vom Hauptanklagevertreter für die Vereinigten Staaten geschildert. Überdies ist sie Geschichte und kann von den Angeklagten nicht in Frage gestellt werden.
Ich will daher den Gerichtshof auffordert, diesen Tatbestand amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Was wir hier vorbringen, ist- einschließlich der Angaben der Angeklagten und anderer nationalsozialistischer Führer – nur erläuterndes Material, Gesetze, Verordnungen und dergleichen. Wir brauchen uns nicht auf erbeutete Dokumente und besondere Quellen zu stützen, obgleich wir einiges davon verwendet haben.
Um dem Gerichtshof und den Verteidigern die Sache zu erleichtern, wurde das erklärende Material in Dokumentenbücher zusammengefaßt und die dazugehörenden Argumente in Schriftsätzen niedergelegt.
Ich beabsichtige, nur ganz kurze Erklärungen im Zusammenhang damit zu geben und die Hauptpunkte der Schriftsätze zusammenzufassen.
Worin besteht die Anklage in Punkt 1?
Die Anklage in Punkt 1 besteht darin, daß die Angeklagten zusammen mit anderen Personen an dem Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung teilnahmen, die das Begehen von Verbrechen gegen die Humanität, – sowohl innerhalb wie außerhalb Deutschlands – sowie von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen den Frieden umfaßten.
Des weiteren sagt die Anklage, daß das Mittel des Zusammenhalts der Angeklagten, sowie das Mittel zur Ausführung der Pläne der Verschwörung die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei war, der jeder der Angeklagten entweder als Mitglied oder als Anhänger angehörte. Das Beweismaterial, das ich vorbringe, erstreckt sich auf:
1. Die Nazi-Partei hat sich selbst gewisse Ziele zur Aufgabe gesetzt, die grundsätzlich auf die Erwerbung von Lebensraum für alle Volksdeutschen abzielte.
2. Zur Erreichung ihrer Zwecke hat sie die Anwendung aller Methoden, ob rechtmäßig oder nicht, vertreten und hat tatsächlich unrechtmäßige Methoden angewandt.
3. Um ihren gewissenlosen Aufstieg zur Macht zu fördern, hat sie verschiedene Propagandarichtlinien aufgestellt und verbreitet und hat verschiedene Propagandamethoden angewandt.
4. Die Nazi-Partei hat diese Macht benützt, um die politische Eroberung des Staates durchzuführen, jede Opposition zu unterdrücken und die Nation psychologisch und in anderer Beziehung für den Angriff gegen das Ausland vorzubereiten, den sie von Beginn an beabsichtigte.
Im großen und ganzen und soweit es für die Anklage erheblich ist, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, das darzulegen, was sich in Deutschland während der Vorkriegszeit ereignet hat, und werden es anderen überlassen, das Geschehen während der Kriegsjahre und den Beweis dafür vorzutragen.
Die Ziele der Verschwörung waren offen und weltbekannt.
Sie unterschied sich stark von jeder anderen Verschwörung, die je vor einem Gericht dargelegt worden ist, nicht nur wegen der enormen Zahl von Menschen, die an ihr beteiligt waren, ihrer Zeitdauer, ihres Ausmaßes und ihrer Verwegenheit, sondern auch dadurch, daß im Gegensatz zu anderen verbrecherischen Verschwörern diese Verschwörer, bevor sie zur Tat gingen, der Welt oft prahlerisch verkündeten, was sie zu tun beabsichtigten. So zum Beispiel erklärte Adolf Hitler in seiner Rede vom 30. Januar 1941:
»Ich habe das Programm aufgestellt: Beseitigung von Versailles. Man soll heute in der anderen Welt nicht so blöde tun, als ob das etwa ein Programm wäre, das ich im Jahre 1933 oder 1935 oder 1937 erst entdeckt hätte. Die Herren hätten bloß, statt sich ein dummes Emigrantengeschwafel anzuhören, einmal lesen sollen, was ich geschrieben habe, und zwar tausendmal geschrieben habe. öfter hat kein Mensch erklärt und kein Mensch niedergeschrieben, was er will, als ich es getan habe, und ich schrieb immer wieder: Beseitigung von Versailles.«
Zuerst ein kurzer Hinweis auf die Geschichte der Nazi-Partei. Der Gerichtshof wird sich zweifellos erinnern, daß die Nazi-Partei ihren Ursprung in der Deutschen Arbeiterpartei hatte, die am 5. Januar 1919 in München gegründet wurde. Es war die Organisation, der Adolf Hitler als siebentes Mitglied am 12. September 1919 beitrat.
In einer Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei am 24. Februar 1920 hat Hitler der Welt die »25 Thesen« verkündet, die dann tatsächlich später das unabänderliche Programm der NSDAP darstellten. Einige Tage später, am 4. März 1920, wurde der Name Deutsche Arbeiterpartei geändert in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei (NSDAP), häufig als Nazi-Partei bezeichnet. Unter diesem Namen hat die Nazi-Partei ihre Existenz fortgesetzt bis zu ihrer Auflösung nach dem Zusammenbruch und der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im Jahre 1945.
Die Meinungsverschiedenheiten und Intrigen innerhalb der Partei zwischen Hitlers Anhängern und jenen, die gegen ihn waren, wurden am 29. Juli 1921 entschieden. Zu dieser Zeit wurde Hitler »Erster Vorsitzender« und mit außerordentlichen Vollmachten ausgestattet. Hitler reorganisierte sofort die Partei und zwang ihr das »Führerprinzip« auf, von dem Sie später hören werden.
Von da an hat Hitler, der Führer, alle Fragen entschieden und alle Entscheidungen für die Partei getroffen. Die Hauptziele der Partei, mit der die Angeklagten und ihre Mitverschwörer auf Grund ihrer Parteimitgliedschaft oder ihrer bewußten Zugehörigkeit zur Partei verbunden sind, wurden offen und notorisch ausgesprochen. Sie waren im Parteiprogramm von 1920 niedergelegt, in »Mein Kampf« und allgemein in der Nazi-Literatur veröffentlicht, sie gingen klar aus dem unverändert bleibenden Muster ihrer Handlungen in der Öffentlichkeit seit dem Tage der Gründung der Partei hervor. Zwei wichtige Folgen für das Verfahren vor diesem Gericht können daraus abgeleitet werden, daß die Hauptziele der Partei wiederholt und öffentlich proklamiert wurden:
1. Der Gerichtshof kann amtlich von ihnen Kenntnis nehmen.
2. Die Angeklagten und ihre Mitverschwörer können sie nicht abstreiten oder behaupten, daß sie sie nicht kannten.
Die Anklagevertretung legt Beweis vor für die Hauptziele der Partei und damit die Ziele der Verschwörung nur deshalb, um die Erinnerung des Gerichts aufzufrischen oder zu ergänzen. Die Hauptziele waren:
1. Den Vertrag von Versailles mit seinen Rüstungs- und anderen Tätigkeitsbeschränkungen für Deutschland umzustoßen;
2. die Gebiete wieder zu erlangen, die Deutschland nach dem ersten Weltkrieg verloren hatte;
3. sich andere, von sogenannten »Volksdeutschen« bewohnte Gebiete anzueignen; 4. noch weitere Gebiete an sich zu reißen, die man für die so einverleibten »Volksdeutschen« als Lebensraum zu benötigen behauptete, alles auf Kosten von Nachbar- und anderen Ländern.
Hinsichtlich des ersten Zieles – und Gleiches kann von den anderen Zielen gesagt werden – betonte Hitler in Wort und Schrift, daß er tausendmal und öfter die Abschaffung des Versailler Vertrages gefordert habe.
Diese Ziele werden vollauf dokumentarisch bewiesen durch das Beweismaterial, das die Anklagevertretung für diese Phase des Falles vorlegt, und ich beabsichtige jetzt, nicht dem Gerichte zahlreiche Erklärungen vorzulegen, welche die Angeklagten und auch andere Personen in Bezug auf diese Ziele abgegeben haben.
Überdies haben diese Verschwörer einer noch ungläubigen Welt gegenüber immer öffentlich erklärt, daß sie die Absicht haben, diese Ziele mit allen zweckmäßigen Mitteln, einschließlich ungesetzlicher Mittel zu erreichen, und daß sie bereit sind, zu Androhung von Gewalt, zur Gewalt selbst und zum Angriffskrieg überzugehen. Die Anwendung von Gewalt war ausdrücklich gebilligt und tatsächlich durch offizielle Erklärungen und Anweisungen der Verschwörer, die Aktivismus und Angriffslust zu einem politischen Erfordernis für Parteimitglieder machten, garantiert. Wie Hitler in »Mein Kampf« erklärte:
»Was wir brauchten und brauchen, waren und sind nicht 100 oder 200 verwegene Verschwörer, sondern hunderttausend und aber hunderttausend fanatische Kämpfer für unsere Weltanschauung.«
1929 hat Hitler erklärt:
»Wir bekennen weiterhin, daß wir jeden in Stücke reißen werden, der es wagen sollte, uns bei diesem Unternehmen zu hindern. Unsere Rechte werden nur geschützt werden, wenn das Deutsche Reich wieder von den Spitzen deutscher Bajonette behütet werden wird.«
1934 vor dem Reichsparteitag in Nürnberg erklärte er die Pflichten der Mitglieder der Partei wie folgt:
»Es wird stets nur ein Teil des Volkes aus wirklich aktiven Kämpfern bestehen. Sie aber sind in Deutschland die Träger des nationalsozialistischen Kampfes gewesen. Sie waren die Kämpfer der nationalsozialistischen Revolution. Von ihnen wird mehr gefordert als von den Millionen der übrigen Volksgenossen. Für sie genügt nicht die bloße Ablegung des Bekenntnisses: ›Ich glaube‹, sondern der Schwur: ›Ich kämpfe‹.«
Zum Beweis der Tatsache, daß die Partei entschlossen war, alle Mittel, gesetzliche oder ungesetzliche, ehrenhafte oder unehrenhafte anzuwenden, ist es nur notwendig den Gerichtshof daran zu erinnern, daß die Partei ihren öffentlichen Aufstieg durch eine Revolution begann, den Münchner Putsch von 1923.
Betrachten wir nun die doktrinäre Technik des gemeinsamen Planes oder der Verschwörung, wie sie in der Anklageschrift behauptet wird.
Um andere anzuspornen, an dem gemeinsamen Plan oder der Verschwörung teilzunehmen, und als ein Mittel, den Nazi-Verschwörern das höchste Ausmaß von Kontrollen über das deutsche Volk zu geben, verbreiteten und benutzten sie gewisse Lehrsätze.
Der erste dieser Lehrsätze war der Lehrsatz der »Herrenrasse«, nach welchem Personen von sogenanntem deutschen Blut eine Herrenrasse seien. Dieser Lehrsatz von der rassischen Überlegenheit wurde als Punkt 4 in das Parteiprogramm eingeschlossen, wie folgt:
»Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.«
Das gab diesem Lehrsatz von der Herrenrasse die Gestalt einer neuen Religion- den Glauben an das Blut – der hinsichtlich der Bekenntnistreue des einzelnen an die Stelle aller anderen Religionen und Einrichtungen trat. Der Angeklagte Rosenberg und der Angeklagte Streicher taten sich in der Verbreitung dieses Lehrsatzes besonders hervor. Ein großer Teil des Beweismaterials, das in diesem Falle vorgelegt werden wird, wird die fortgesetzte Verwendung und die Ausnutzung des Lehrsatzes von der »Herrenrasse« durch die Nazi-Verschwörer illustrieren.
Dieser Lehrsatz verfolgte einen Eliminierungszweck: nenne etwas »nicht deutsch« oder »jüdisch« und es gibt dir das unbedingte Recht, ja die Pflicht, es auszustoßen. Tatsächlich machten die Aktionen nicht halt an den sogenannten rassischen Grenzen, sondern gingen weit über sie hinaus.
Der zweite wichtige Lehrsatz, der die ganze Nazi- Verschwörung durchdringt und der eines der wichtigsten Glieder in der Festsetzung der Schuld jedes einzelnen dieser Angeklagten ist, ist der Lehrsatz oder der Begriff des »Führerprinzips«.
Dieses »Führerprinzip« durchdrang die ganze Nazi-Partei und alle ihre Formationen und angeschlossenen Organisationen; und schließlich den Nazi-Staat und alle seine Einrichtungen. Wegen seiner Wichtigkeit möchte ich mich für kurze Zeit damit befassen, die Arbeitsweise aller Auffassungen zu erklären, die es umfaßt.
Das Führerprinzip schließt zwei wichtige politische Auffassungen in sich:
1. das autoritäre Prinzip,
2. das Totalitätsprinzip.
Das autoritäre Prinzip bedeutet: Alle Autorität sammelt sich an der Spitze und ist nur einer Person gegeben, dem Führer. Weiter bedeutet es: Der Führer ist unfehlbar und allgewaltig.
Das Parteihandbuch sagt:
»Die Gebote der Nationalsozialisten:
Der Führer hat immer Recht...«
Ebenso gibt es keine gesetzlichen oder politischen Grenzen für die Autorität des Führers. Welche Autorität immer von anderen ausgeübt wird, sie leitet sich von der Autorität des Führers ab.
Innerhalb seines Geschäftsbereichs übt jede vom Führer ernannte Person ihre Macht in gleich unbeschränkter Art aus, nur dem Befehl ihres Vorgesetzten unterstellt. Jeder Ernannte schuldet dem Führer und den in der Hierarchie übergeordneten Parteiführern bedingungslosen Gehorsam.
Jeder politische Leiter wurde jährlich vereidigt. Nach dem Parteihandbuch, welches als Beweismaterial vorgelegt werden wird, lautet der Eid:
»Ich schwöre Adolf Hitler unverbrüchliche Treue. Ich schwöre ihm und den Führern, die er mir bestimmt, unbedingten Gehorsam.«
Das Parteihandbuch sagt ferner:
»Der politische Leiter fühlt sich unlöslich mit dem Gedankengut und der Organisation der NSDAP verbunden. Der Eid erlischt nur durch Tod des Vereidigten oder bei Ausstoßung aus der nationalsozialistischen Gemeinschaft.«
Der Angeklagte Hans Frank erklärte in einem seiner Aufrufe:
»Führerprinzip in der Verwaltung heißt: stets die Entscheidung der Mehrheit durch die Entscheidung einer bestimmten Person zu ersetzen, die eindeutige Zuständigkeit und die alleinige Verantwortung besitzt nach obenhin, und ihrer Autorität die Durchführung der Entscheidung nach untenhin zu überlassen«
Und schließlich: das autoritäre Prinzip, das im »Führerprinzip« enthalten ist, bedeutet: Die Autorität des Führers erstreckt sich auf alle Gebiete des öffentlichen und privaten Lebens.
Der zweite Hauptbegriff des Führerprinzips ist das Totalitätsprinzip, welches folgendes verlangt: Die Autorität des Führers, der von ihm Ernannten und durch sie die Autorität der Partei als Ganzes, erstreckt ihren Einfluß auf alle Abschnitte des öffentlichen und privaten Lebens. Die Partei beherrscht den Staat. Die Partei beherrscht die Armee. Die Partei beherrscht alle einzelnen Personen im Staate. Die Partei rottet alle Einrichtungen, Gruppen und Personen aus, die nicht gewillt sind, die Führung des Führers anzuerkennen; das Parteihandbuch sagt:
»Nur die Organisationen können für sich die Einhaltung des Führerprinzips und nationalsozialistischer Organisationsform in Anspruch nehmen und als Staats- und volkserhaltend im nationalsozialistischen Sinn gewertet werden, die in der aufgezeigten Form Einbau, Betreuung und Gestaltung durch die Partei gefunden haben und für die Zukunft finden werden.«
Das Handbuch sagt weiter:
»Alle anderen, die ein Eigenleben führen, sind als Außenseiter abzulehnen und werden sich entweder umstellen oder aus dem öffentlichen Leben verschwinden müssen.«
Beispiele des Führerprinzips und seine Anwendung auf die Partei, den Staat und angeschlossene Organisationen sind in dem Schriftsatz und in den Begleitdokumenten, die wir als Beweismaterial vorlegen werden, vollständig dargestellt.
Die dritte Lehre und Methode, die von den Nazi- Verschwörern angewendet wurde, um das deutsche Volk ihren Willen und Zielen gefügig zu machen, war, daß Krieg eine edle und notwendige Betätigung der Deutschen sei. Das Ziel dieser Lehre war durch Hitler wohl ausgedrückt in »Mein Kampf«, wenn er sagt:
»Die Frage der Wiederherstellung der deutschen Macht sei nicht eine Frage, wie man Waffen herstellen, sondern eine Frage, wie man den Geist schaffen solle, der ein Volk fähig mache, Waffen zu tragen. Wenn dieser Geist ein Volk beherrsche, so finde der Wille tausend Wege, sich Waffen zu verschaffen.«
Hitlers Schriften und öffentliche Ansprachen sind angefüllt mit Erklärungen, die den Gebrauch der Macht und die Verherrlichung des Krieges als vernünftig hinstellen. Folgender Ausspruch von ihm ist typisch:
»Vor Gott und der Welt hat der Starke das Recht, seinen Willen durchzusetzen. Die Geschichte beweist es: Derjenige, der keine Macht hat, kann sich nicht auf das Recht berufen.«
Wie wir an weiteren Beispielen zeigen werden, spielte diese Lehre der Verherrlichung des Krieges eine wesentliche Rolle in der Erziehung der deutschen Jugend der Vorkriegszeit.
Ich lege nun die Dokumente vor, die die Ziele der Nazi-Partei und ihre doktrinären Methoden beweisen. Zur Unterstützung des Gerichtshofs und der Verteidigung habe ich auch Schriftsätze, die den Hauptinhalt dieser Dokumente wiedergeben, vorgelegt.
Ich will nun Ihre Aufmerksamkeit auf die Erlangung der Macht durch die Nazi-Partei lenken. Der erste Versuch, politische Kontrolle zu erlangen, war mit Gewalt verbunden. Tatsächlich hat die Partei während dieser Zeit an irgendwelchen Wahlfeldzügen nicht teilgenommen. Auch hat sie es nicht für nötig befunden, mit anderen politischen Gruppen oder Parteien zusammenzuarbeiten.
VORSITZENDER: Major Wallis, haben Sie Kopien von diesen Schriftstücken für die Verteidiger?
MAJOR WALLIS: Im Zimmer Nr. 54.
VORSITZENDER: Ich denke, Sie würden diese jetzt gerne vor sich haben.
MAJOR WALLIS: Herr Präsident, die Ausführungen, mit denen ich jetzt fortsetze, werden ein ganz anderes Gebiet behandeln, als das, das in den Schriftsätzen, die Sie vor sich haben, enthalten ist. Die Schrittsätze betreffen das, was ich schon gesagt habe.
VORSITZENDER: Werden Sie jedem der Verteidiger eine Abschrift dieser Schriftsätze zur Verfügung stellen?
MAJOR WALLIS: Hoher Gerichtshof! Ich bin dahin informiert, daß bezüglich dieser Schriftstücke dasselbe Verfahren eingehalten wird, wie es bezüglich der Dokumente eingehalten wird, nämlich, daß insgesamt sechs Abschriften der Verteidigung im Zimmer 54 zur Verfügung stehen.
Sollte der Herr Vorsitzende diese Anzahl für unzureichend betrachten, so bin ich überzeugt, daß ich namens des Anklagevertreters der Vereinigten Staaten versichern kann, daß vor Tagesende eine genügende Anzahl von Abschriften zur Verfügung stehen wird.
VORSITZENDER: Das Gericht glaubt, daß die Verteidiger je eine Abschrift dieser Schriften haben sollten.
MAJOR WALLIS: Das wird getan werden, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Haben Sie, die Herren Verteidiger, verstanden, daß ich namens des Gerichts angeordnet habe, daß jeder von Ihnen eine Abschrift der Schriftsätze erhalten soll?
DR. DIX: Wir sind Ihnen für diese Anordnung sehr verbunden; aber keiner von uns hat bis jetzt eines dieser Dokumente gesehen. Ich nehme an und hoffe, daß diese Dokumente der Verteidigung in deutscher Übersetzung gegeben werden.
VORSITZENDER: Ja, Major Wallis!
MAJOR WALLIS: Ich ersuche jetzt um Ihre Aufmerksamkeit zum Thema: Machtergreifung durch die Nazi-Partei.
Der 9. November 1923 war sowohl das Ende als auch der Beginn eines Zeitabschnittes. Am 9. November ereignete sich die historische Tatsache, die allgemein als Hitler-Putsch bekannt ist. Während der Nacht vom 8. zum 9. November proklamierte Hitler bei einem Treffen in München, unterstützt von der SA unter dem Angeklagten Göring, eine nationale Revolution und seine Herrschaft über Deutschland und erklärte sich selbst zum Reichskanzler. Am folgenden Morgen setzten die rechtmäßigen Staatsbehörden, nachdem einiges Blut in München genossen war, diesem ungesetzlichen Versuch, die Macht zu ergreifen, ein Ende. Hitler und einige seiner Anhänger wurden verhaftet, vor Gericht gebracht und zu Gefängnis verurteilt.
Der neue Zeitabschnitt in der Nazi-Bewegung beginnt mit Hitlers Parole aus dem Gefängnis im Dezember 1924. Mit der Rückkehr ihres Führers nahm die Partei ihren. Kampf um die Macht wieder auf. Die Verbote, die von der Regierung gegen die Nazi-Partei während des Münchner Putsches ergangen waren, wurden allmählich aufgehoben und Hitler, der Führer der Partei, erklärte offiziell, daß die NSDAP zur Erreichung ihres Zieles, die Weimarer Regierung zu stürzen, nur »gesetzliche« Mittel anwenden werde. Eine gültige Schlußfolgerung aus diesen Tatsachen kann wohl dahingehend geschlossen werden, daß die Zuflucht der Partei zur »Gesetzlichkeit« nur ein Vorgeben war, das es möglich machte, ihre Tätigkeit in einem demokratisch organisierten Staate weiterzuführen. In Übereinstimmung mit ihrer zum Ausdruck gebrachten Zuflucht zur »Gesetzlichkeit« nahm nun die Partei an den Wahlen des deutschen Volkes sowie auch an der allgemeinen politischen Tätigkeit teil. Zu dieser Zeit bemühte sie sich fieberhaft, ihre Parteimitgliederzahl, ihren Organisationsaufbau und ihre Tätigkeit zu vergrößern. Die SA und SS nahmen zahlreiche neue Mitglieder auf. Hitlers »Mein Kampf« erschien im Jahre 1925. Die Hitler-Jugend wurde gegründet. Zeitungen wurden veröffentlicht, unter ihnen der »Völkische Beobachter«, dessen Herausgeber der Angeklagte Rosenberg war, ferner der »Angriff«, veröffentlicht von Goebbels, später der berüchtigte Minister für Propaganda und Volksaufklärung. Kundgebungen anderer politischer Parteien wurden gestört und unterbrochen und viele Straßenkämpfe ereigneten sich.
In ihrem »gesetzlichen« Versuche, politische Macht zu gewinnen, hatte die Partei in einer Reihe von Jahren nur wenig Erfolg aufzuweisen, trotz der großen Anstrengungen, die sie machte. In 30 Wahlen zwischen 1925 bis 1930, an welchen die Nationalsozialisten teilnahmen, um Sitze im Reichstag, Landtagen oder Stadträten in verschiedenen deutschen Staaten zu erringen, erhielten die Nazis nur in 16 Wahlen Mandate und überhaupt keine Sitze in 14 Wahlen. Die nationalsozialistischen Stimmen bei den Wahlen 1927 betrugen nicht einmal 4 Prozent der abgegebenen Stimmen. Im Jahre 1929 wurde der erste bescheidene Erfolg bei den Wahlen des Staates Thüringen erzielt. Die Nazis erhielten über 11 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sechs Vertreter aus einer Gesamtzahl von 53 wurden in den Landtag gewählt, und der Angeklagte Frick wurde Innenminister von Thüringen. Der erste Nationalsozialist, der zum Ministerrang gelangte.
Mit dieser Ermutigung und diesem Beweis für den Erfolg ihrer Methoden verdoppelte die NSDAP ihre bisherigen Anstrengungen durch Terror und Zwang. Diese wurden vom Reich und verschiedenen deutschen Staaten in gewissem Umfang zurückgewiesen. Preußen verlangte, daß alle Staatsangestellte ihre Mitgliedschaft in der NSDAP aufzugeben hätten und verbot das Tragen von Braunhemden, wie sie von der SA der NSDAP getragen wurden. Auch Baden entschied gegen das Tragen von Braunhemden, und Bayern verbot das Tragen von Umformen durch irgendwelche politische Verbände. Neue nationalsozialistische Schriften erschienen in Deutschland. Die »NS-Monatshefte« wurden von dem Angeklagten Rosenberg herausgegeben, und kurze Zeit darauf im Juni 1930 erschien Rosenbergs »Mythus des 20. Jahrhunderts«.
Unter solchen Umständen – Präsident von Hindenburg hatte in der Zwischenzeit den Reichstag aufgelöst, als Reichskanzler Brüning kein Vertrauensvotum erhielt – schritt Deutschland wieder zu Neuwahlen, und zwar am 14. September 1930. In diesen Wahlen wurde die Zahl der Nazi-Abgeordneten im Reichstag von 12 auf 107, bei einer Gesamtzahl von 577, vermehrt. Der neue Reichstag versammelte sich, und 107 Nazis marschierten in die Sitzung, mit dem Braunhemd bekleidet. Lärmender Widerstand entwickelte sich sofort, in der Absicht, den Sturz des Kabinetts Brüning herbeizuführen. Indem sie die Lage der damals herrschenden wirtschaftlichen Not zu ihrem Vorteil ausnützten, versuchten die Nazis ein Mißtrauensvotum und die Auflösung des Reichstags zu erreichen. Als diese Methoden der Widerspenstigkeit fehlschlugen, marschierten die Nazis aus dem Reichstag.
Mit 107 Mitgliedern im Reichstag verstärkte sich die Nazi-Propaganda an Heftigkeit. Der Widerstand der Nazi-Abgeordneten im Reichstag setzte sich in der gleichen Weise fort. Wiederholt wurden Mißtrauensanträge gegen Brüning oder Anträge zur Auflösung des Reichstags eingebracht und abgewiesen. Nach jedem Fehlschlag marschierten die Nazi-Abgeordneten geschlossen aus dem Reichstag.
Im Frühjahr 1932 wurde die Stellung Brünings unhaltbar, und der Angeklagte von Papen wurde zum Reichskanzler ernannt. Der Reichstag wurde aufgelöst und Neuwahlen abgehalten, in welchen die Nazis die Anzahl ihrer Sitze auf 230, bei einer Gesamtzahl von 608, erhöhten. Die NSDAP war eine starke Partei in Deutschland geworden; doch es gelang ihr nicht, die Mehrheitspartei zu werden. Die Methoden der Widerspenstigkeit der Nazi-Abgeordneten im Reichstag wurden fortgesetzt und im Herbst 1932 konnte die Regierung von Papen sich nicht mehr länger halten.
Reichspräsident von Hindenburg löste den Reichstag wieder auf, und bei den Neuwahlen vom November verminderte sich tatsächlich die Anzahl der Reichstagssitze der Nazis auf 196. Die kurzlebige Regierung von Schleicher folgte nun am 3. Dezember 1932, Ende Januar 1933 hörte sie zu bestehen auf. Mit der Unterstützung der Nationalisten unter Hugenberg und anderer politischer Unterstützung wurde Hitler durch Berufung seitens Hindenburgs deutscher Reichskanzler.
Das ist das Ende des Vorwortes zu der Darstellung der dramatischen und unheilvollen Ereignisse, die die Anklage im Laufe dieses Prozesses aufrollen wird. Lassen Sie mich jedoch erneut feststellen, während die Untaten und Verbrechen dieser Angeklagten und ihrer Mitverschwörer aufgedeckt werden, daß sie zu keiner Zeit im Verlauf ihrer sogenannten »gesetzlichen« Bemühungen, in den Besitz des Staates zu gelangen, die Mehrheit des Volkes darstellten.
Allgemein wird gesagt, daß die Nazi-Verschwörer die Macht ergriffen, als Hitler am 30. Januar 1933 Kanzler der deutschen Republik wurde. Es kann jedoch besser gesagt werden, daß sie die Macht ergriffen, nachdem sie die Annahme des Gesetzes zum Schutze von Volk und Staat vom 24. März 1933 gesichert hatten. Es lohnt sich, die Schritte, die zur tatsächlichen Machtergreifung führten, hier anzuführen. Die Nazi-Verschwörer waren sich voll bewußt, daß sie nicht genügend gesetzgebende Macht über die Republik besaßen. Sie bedurften, um die ersten Schritte ihrer großen Verschwörung unter dem Deckmantel des Gesetzes ausführen zu können, eines Ermächtigungsgesetzes, das die höchste gesetzgebende Macht dem Kabinett Hitler übertrug, frei von allen Beschränkungen der Weimarer Verfassung. Ein Gesetz, das derartiges ermöglichte, verlangte die Änderung der Verfassung, wozu die Anwesenheit von 2/3 der gewählten Mitglieder des Reichstags und mindestens 2/3 der anwesenden Stimmen erforderlich war.
Die Zeittafel der Ereignisse bis zur Annahme des Ermächtigungsgesetzes, bekannt als Gesetz zum Schutz von Volk und Reich, stellt sich wie folgt dar:
1. Am 30. Januar 1933 hielt Hitler seine erste Kabinettssitzung ab. Die Angeklagten von Papen, von Neurath, Frick, Göring und Funk waren anwesend. Wir besitzen die amtliche Niederschrift dieser Kabinettssitzung und legen sie als Beweismittel vor. In dieser Sitzung führte Hitler aus, daß die Vertagung des Reichstags ohne Unterstützung der Zentrumspartei unmöglich sei. Man könne vielleicht daran denken, die Kommunistische Partei zu verbieten, ihre Mandate im Reichstag zu kassieren und auf diese Weise die Mehrheit im Reichstag erreichen. Er fürchtete jedoch, daß dies einen Generalstreik zur Folge haben könnte. Der Wirtschaftsminister, wie das Protokoll zeigt, war jedoch der Ansicht, daß die Unterdrückung der Kommunistischen Partei Deutschlands unumgänglich wäre, denn, wenn dies nicht geschähe, könnte man auch keine Mehrheit im Reichstag, sicherlich nicht eine Zwei-Drittel-Mehrheit, sicherstellen. Weiterhin führte er aus, daß nach der Unterdrückung der Kommunistischen Partei die Annahme des Ermächtigungsgesetzes im Reichstag möglich wäre. Der Angeklagte Frick schlug vor, durch Initiativantrag vom Reichstag ein Ermächtigungsgesetz zu verlangen. In dieser Zusammenkunft erklärte sich Hitler bereit, mit Vertretern der Zentrumspartei am nächsten Morgen Fühlung zu nehmen, um zu sehen, was auf dem Verhandlungswege von ihnen zu erreichen sei.
2. Das nächste Ereignis in dieser Zeittafel war der Reichstagsbrand am 28. Februar 1933.
3. Unter Ausnutzung der Unsicherheit und Unruhe, die durch den Brand verursacht wurden und der Zwischenfälle, welche die SA verursachte, wurden die Vorschriften der Weimarer Verfassung, welche die persönliche Freiheit und andere persönliche Rechte garantierten, durch Erlaß des Reichspräsidenten vom 28. Februar aufgehoben.
Am 5. März 1933 wurde eine Reichstagswahl abgehalten; die Nazi erlangten 288 von 647 Sitzen.
Am 15. März 1933 wurde eine Kabinettssitzung abgehalten, wir besitzen auch von dieser Sitzung den Verhandlungsbericht im Original. Es trägt die Initialen der Namen einiger Angeklagter, woraus hervorgeht, daß diese das Protokoll gelesen haben. Und ich stelle fest, daß die Angeklagten von Papen, von Neurath, Frick, Göring und Funk Kenntnis vom Protokoll genommen und es somit gebilligt haben.
In dieser Sitzung erklärte Hitler, nach dem Verhandlungsbericht, daß das Ermächtigungsgesetz im Reichstag nach seiner Meinung keinen Widerstand finden werde. Der Angeklagte Frick erklärte, daß der Reichstag das, Ermächtigungsgesetz mit der verfassungsmäßigen Mehrheit innerhalb von drei Tagen annehmen müsse, und daß die Zentrumspartei sich nicht negativ eingestellt habe. Er fuhr fort, daß das Ermächtigungsgesetz so gefaßt werden mußte, daß die Möglichkeit gegeben sei, von den Grundsätzen der Verfassung abzuweichen; ferner daß, da die Verfassung eine Zwei-Drittel-Mehrheit verlangt, insgesamt 438 Stimmen anwesend sein müßten, um das Ermächtigungsgesetz ratifizieren zu können. Der Angeklagte Göring sagte, daß das Ermächtigungsgesetz mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit ratifiziert werden würde; denn, wenn nötig, könne die Mehrheit erreicht werden, indem man einem Teil der Sozialdemokraten den Zutritt zum Reichstag verbiete.
Am 20. März wurde eine weitere Kabinettssitzung abgehalten, und wieder haben wir den offiziellen Verhandlungsbericht dieser Sitzung im Original, der auch als Beweisstück vorgelegt werden wird. Es waren anwesend die Angeklagten Frick, von Papen, von Neurath, Göring und Funk. Das vorgeschlagene Ermächtigungsgesetz war wieder Gegenstand der Unterhaltung. Hitler berichtete über seine soeben beendete Unterredung mit Vertretern der Zentrumspartei. Von Neurath schlug vor, eine schriftliche Aufzeichnung über die Abmachungen zu fertigen, die mit den Vertretern des Zentrums vereinbart worden seien. Der Angeklagte Frick trug sodann den Versammelten den Inhalt des Entwurfs eines Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich vor. Notwendig sei zugleich eine Änderung der Geschäftsordnung des Reichstags. Es müsse eine ausdrückliche Vorschrift des Inhalts getroffen werden, daß als anwesend auch die unentschuldigt fehlenden Abgeordneten gelten sollten. Es werde voraussichtlich möglich sein, das Ermächtigungsgesetz am folgenden Donnerstag in allen drei Lesungen zu verabschieden.
Interessant ist es festzustellen, daß unter den Dingen, die in dem offiziellen Verhandlungsbericht festgehalten sind, erwähnt wird, der Angeklagte Göring hätte angeordnet, daß die SA an der polnischen Grenze größte Zurückhaltung üben solle und sich nicht in Uniform zeigen dürfe, und daß der Angeklagte von Neurath größte Zurückhaltung der SA empfahl, besonders in Danzig. Im übrigen wies von Neurath darauf hin, daß immer wieder Kommunisten in SA-Uniform ertappt würden. Diese Spitzel müßten unbedingt gehängt werden, die Justiz müsse Mittel und Wege finden, um eine so exemplarische Bestrafung kommunistischer Spitzel zu ermöglichen.
Am 14. März 1933 erklärte der Angeklagte Frick, und ich zitiere:
»Wenn am 21. März der Reichstag zusammentritt, werden die Kommunisten durch dringende Arbeiten verhindert sein, an dieser Sitzung teilzunehmen. In Konzentra tionslagern werden wir sie wieder zu fruchtbarer Arbeit erziehen. Untermenschen, die sich nicht mehr erziehen lassen, werden wir auf die Dauer unschädlich zu machen wissen.«
Während dieser Periode wurden unter Ausnutzung der Aushebung der verfassungsmäßig garantierten Freiheiten große Teile der Kommunisten, einschließlich der Parteiführer, Reichstagsmitglieder und einer kleineren Anzahl von sozialdemokratischen Beamten und Parlamentsmitgliedern, in Schutzhaft genommen.
Am 23. März 1933 sagte Hitler zur Unterstützung des Ermächtigungsgesetzes vor dem Reichstag: »Mögen Sie, meine Herren, nunmehr selbst die Entscheidung treffen über Frieden oder Krieg.« Am 24. März 1933 waren von den regulären 647 Abgeordneten des Reichstags nur 535 anwesend. Die Abwesenheit einiger blieb unentschuldigt. Sie befanden sich in Konzentrationslagern in Schutzhaft. Infolge der Wucht des Nazi-Drucks und Terrors nahm der Reichstag wirklich das Ermächtigungsgesetz an – bekannt unter der Bezeichnung: »Gesetz zum Schutz von Volk und Reich«. Das Abstimmungsergebnis lautete: 441 Ja-Stimmen. Dieser- Vorgang kennzeichnet die Ergreifung der politischen Kontrolle durch die Verschwörer.
Artikel 1 sah vor, daß Reichsgesetze auch durch die Reichsregierung beschlossen werden können.
Artikel 2 sah vor, daß so beschlossene Gesetze von der Verfassung abweichen können.
Artikel 3 sah vor, daß die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet werden.
Artikel 4 sah vor, daß Abkommen des Reiches mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften bedürfen.
Das Reichskabinett sei ermächtigt, die notwendigen Vorkehrungen zur Durchführung dieser Gesetze zu treffen.
So erlangten die Nazis auf diese Weise die vollständige politische Kontrolle, vollkommen unbegrenzt von Vorschriften der Weimarer Verfassung. Ich lege nun die Dokumente vor, welche die Tatsachen kennzeichnen, die ich jetzt erklärt habe, und ich lege zur Erleichterung für das Gericht und die Verteidigung auch Abschriften des Schriftsatzes vor, der diesen Teil des Falles betrifft.
VORSITZENDER: Ich möchte mit Major Wallis sprechen. Würde es der Anklage möglich sein, wenigstens je ein Exemplar für zwei Verteidiger sogleich im Gerichtssaal zu verteilen? Falls nicht, vielleicht morgen?
OBERST STOREY: Hier liegt ein Mißverständnis vor. Die Schriftsätze wurden den Angeklagten im Dokumentenzimmer zur Verfügung gestellt. Wir lassen uns einige holen; sie werden bald hier sein. Aber diese Schriftsätze sind nicht in deutscher Sprache abgefaßt, weil wir beabsichtigten, sie vorzulesen; auf diese Weise können die Rechtsanwälte sie über das Übersetzungsmikrophon hören, und damit würden sie nach der Verlesung in alle Sprachen übersetzt sein. Aber, um das Verfahren abzukürzen, wird Major Wallis einen Auszug wiedergeben und wird die Dokumente als Beweismaterial vorlegen und später die Schriftsätze nach Bedarf dem Gericht und den Verteidigern überreichen. Unglücklicherweise wurden diese Dokumente wegen der Eile in das Dokumentenzimmer für die Angeklagten gesandt, sie werden jetzt geholt. Dr. Kempner sprach mit einigen der ausgezeichneten Verteidiger und erfuhr, daß viele von ihnen die englische Sprache sprechen und lesen können. Um die ungeheure Übersetzungsarbeit zu ersparen, wurden diese Schriftsätze noch nicht ins Deutsche übersetzt. Wenn Sie es gestatten, ist es das Beste, was wir im Augenblick tun können, sie zurückzuhalten; doch wie wir verstehen, ist es wünschenswert, sie in englischer Sprache auszuhändigen, und wir schlagen vor, vorübergehend jetzt deutschsprechende Offiziere im Dokumentenzimmer zu verwenden, die die Schriftsätze für diejenigen übersetzen werden, die nicht imstande sind, englisch zu lesen.
DR. DIX: Ich habe nur ein Anliegen. Wir stehen hier als deutsche Verteidiger vor einer großen Schwierigkeit, weil das Verfahren nach englisch-amerikanischen Grundsätzen stattfindet, die uns fremd sind. Wir sind bemüht, uns in die Grundsätze einzuarbeiten, und wir sind dankbar, wenn das Gericht auf unsere Situation Rücksicht nehmen und uns helfen würde.
Ich habe gehört, doch weiß ich nicht, ob es richtig ist, daß es nach diesen anglo-amerikanischen Grundsätzen notwendig ist, sofort eine »objection« zu erheben, wenn man eine Urkunde beanstandet. Es ist dies nicht möglich, wenn es nicht sofort getan wird. Dies ist der Punkt, zu dem ich mein Anliegen aussprechen möchte.
Ich bin überzeugt, daß uns sowohl alle Schriftsätze als auch die Dokumente zu diesem Teile des Verfahrens verfügbar gemacht werden. Wir werden dann erklären, ob deutsche Übersetzungen vermieden werden können. Wenn möglich, werden wir in dieser Hinsicht keine Schwierigkeit machen. Wenn die Verteidigung Übersetzungen braucht, so wird sie es sagen. Das einzige, worum ich bitte, ist, daß man mir und meinen Kollegen die Möglichkeit gibt, zu den dem Gericht bisher überreichten Urkunden nachträglich eine »objection« zu erheben. Ich denke, wir werden über die Schwierigkeit der augenblicklichen Situation leicht hinwegkommen und wir werden versuchen zur Überwindung aller Schwierigkeiten zusammenzuarbeiten.
VORSITZENDER: Das Gericht nimmt gerne davon Kenntnis, daß die Verteidigung Anstrengungen macht und bemüht ist, mit uns im Verfahren zusammenzuarbeiten. Nach der Vertagung wird der Gerichtshof versuchen, die beste Methode zu finden, die Verteidiger mit möglichst vielen Übersetzungen zu versehen, und Sie haben recht, wenn Sie sagen, daß Sie Einsprüche gegen jedes Dokument auch später machen können, nachdem Sie Zeit gehabt haben, sie durchzulesen und zu prüfen.
DR. DIX: Ich danke dem Herrn Vorsitzenden.
MAJOR WALLIS: Nachdem sie die vollständige politische Kontrolle erlangt haben, haben die Nazi-Verschwörer sich nun daran gemacht, ihre Macht zu festigen. An diesem Punkt möchte ich den Gerichtshof erneut darauf aufmerksam machen, daß, mit Ausnahme von wenigen Dokumenten der Gegenstand meiner Darlegungen in den Rahmen der Dinge fällt, die vom Gericht amtlich zur Kenntnis genommen werden und als historische Angelegenheit den Angeklagten und den Verteidigern wohl bekannt ist.
Der erste Schritt bei der Festigung der Macht war die rücksichtslose Verfolgung der politischen Gegner mittels Konzentrationslager oder Mord. Konzentrationslager erschienen zuerst im Jahre 1933 und fanden Anwendung als Mittel zur Kaltstellung politischer Gegner; man nahm sie in sogenannte »Schutzhaft«. Dieses System der Konzentrationslager wuchs und verbreitete sich über Deutschland. Später, im Verlauf der Verhandlung, wird das volle Dokumentenmaterial über das Konzentrationslagersystem und die Greueltaten, die dort verübt wurden, mit Dokumenten und Filmen dem Gericht vorgelegt werden. Erläuternde Dokumente über Verhaftungen, Mißhandlungen und Ermordung der politischen Gegner durch die Verschwörer sind im Dokumentenmaterial enthalten, das die Vereinigten Staaten vorlegen werden.
In einem Affidavit von Raymond H. Geist, dem früheren amerikanischen Konsul und Ersten Botschaftssekretär in Berlin von 1929 bis 1939 ist das Folgende gesagt:
»Sofort im Jahre 1933 wurden die Konzentrationslager eingerichtet und der Gestapo unterstellt. Nur politische Gefangene wurden in Konzentrationslagern gehalten.
Die erste Welle der Terrorakte begann im März 1933, genauer vom 6. bis zum 13. März 1933, begleitet von ungewöhnlichen Gewalttätigkeiten des Pöbels. Nachdem die Nationalsozialistische Partei im März 1933 die Wahlen gewonnen hatte, brachen sich am Morgen des 6. März die zurückgedämmten Leidenschaften Bahn in Gestalt von Angriffen gegen die Kommunisten in großem Maßstabe, ebenfalls gegen Juden und andere Leute, von denen man annahm, daß sie zu der einen oder der anderen Klasse gehörten. Horden von SA-Leuten trieben sich in den Straßen herum, schlugen, raubten und töteten sogar Menschen. Für Deutsche, die in Schutzhaft durch die Gestapo genommen waren, hatte man besondere Verfahren der Brutalität und des Schreckens. Die Opfer zählten nach Hunderttausenden in Deutschland.«
Am 30. Juni und 1. bis 2. Juli 1934 schritten die Verschwörer zur Zerstörung des Widerstandes innerhalb ihrer eigenen Reihen durch Massenmord. Dazu möchte ich den Angeklagten Frick zitieren, der in eidesstattlicher Erklärung am 19. November 1945 in Gegenwart seines Verteidigers erklärte: Es ist ein Dokument Nr. 2950-PS und ist noch nicht als Beweisstück vorgelegt worden.
»Im Juni 1934 gelang es Heinrich Himmler, Hitler davon zu überzeugen, daß Röhm einen Putsch machen wollte. Der Führer beauftragte Himmler, den Putsch zu unterdrücken, der in Tegernsee stattfinden sollte, wo sich alle SA-Führer versammeln sollten. Göring erhielt vom Führer den Befehl, den Putsch in Norddeutschland zu unterdrücken.« Frick sagt ferner aus:
»Auf Grund dieses Befehls wurden sehr viele Leute verhaftet und ungefähr einhundert oder sogar mehr wurden getötet, und zwar unter der Anschuldigung des Hochverrats. Alles das wurde getan außerhalb jeden Rechtsverfahrens. Sie wurden einfach an Ort und Stelle getötet. Viele Leute wurden getötet – ich weiß nicht, wieviele – die absolut nichts mit dem Putsch zu tun hatten. Personen, die gerade nicht beliebt waren, zum Beispiel der frühere Reichskanzler v. Schleicher, wurden getötet; ebenso seine Frau. Auch Gregor Strasser, der ehemalige Reichsleiter und zweite Mann nach Hitler, wurde umgebracht. Als er ermordet wurde, hatte er überhaupt nichts mit politischen Angelegenheiten zu tun; er war jedoch in den Novemberwahlen 1932 gegen den Führer.«
Frick sagt noch aus: »Die SS wurde von Himmler für die Durchführung des Befehls benutzt, den Putsch zu unterdrücken.«
Während dieser Periode haben die Verschwörer in einer Serie von Verordnungen des Reichskabinetts eine Reihe neuer politischer Verbrechen hervorgerufen. Jede Handlung gegen die Nazi-Partei war Hochverrat und wurde dementsprechend bestraft. SS, SA, SD und die Gestapo sind die bösartigen Werkzeuge, die zur Vernichtung allen Widerstandes verwendet wurden, des wirklichen oder möglichen Widerstandes.
Der Angeklagte Göring erklärte im Juli 1933, 2494-PS:
»Wer sich in Zukunft gegen einen Träger der nationalsozialistischen Bewegung oder des Staates vergreift, muß wissen, daß er binnen kürzester Frist sein Leben verliert. Dabei genügt es vollkommen, wenn er überführt wird, daß er die Tat beabsichtigt hat, oder wenn die Tat nicht mit einem Tod, sondern nur mit einer Verletzung geendet hat.«
Der Angeklagte Frank erklärte in einer Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht im Jahre 1936, 2533-PS:
»Man macht uns in der Welt immer wieder Vorwürfe wegen der Konzentrationslager. Man fragt: ›Warum verhaftet Ihr ohne richterlichen Haftbefehl?‹ Man versetze sich in die Lage unseres Volkes! Man vergesse nicht, daß die ganze, große, immer noch unerschüttert dastehende Welt des Bolschewismus es uns nicht vergessen lassen kann, daß wir einen Endsieg über Europa hier auf deutschem Boden vereitelt haben.«
Ich zitiere auch das Affidavit von Raymond Geist, 1759-PS:
»Das deutsche Volk ist sehr vertraut mit diesen Vorgängen in Konzentrationslagern, und es war wohl bekannt, daß das Schicksal desjenigen, der sich aktiv einem der Nazi-Programme entgegensetzte, mit großen Leiden verbunden war. Tatsache ist, daß, ehe das Hitler-Regime viele Monate alt war, fast alle Familien Berichte über Konzentrationslager, entweder durch Verwandte oder durch ihren Freundeskreis erhalten hatten. Die Furcht vor solchen Lagern war daher eine wirksame Bremse für jede Opposition.«
Und der Angeklagte Göring sagte im Jahre 1934, 2344-PS:
»Mit ganzer Rücksichtslosigkeit mußte gegen diese Staatsfeinde vorgegangen werden... So entstanden die Konzentrationslager, in die wir zunächst Tausende von Funktionären der kommunistischen und sozialdemokra tischen Partei einliefern mußten.«
Außer der Säuberung von allen politischen Gegnern haben die Nazi ihre Stellung weiter gefestigt, indem sie alle anderen politischen Parteien beseitigten.
Am 21. März 1933 gab der Angeklagte Frick bekannt, daß die Kommunisten an der Reichstagsverhandlung verhindert werden würden. Dies geschah, wie schon gesagt, indem man sie in Schutzhaft nahm. Am 26. Mai 1933 kam eine Verordnung des Reichskabinetts heraus, unterzeichnet von Hitler und Frick, wodurch die Vermögenswerte der Kommunisten beschlagnahmt wurden. Am 22. Juli 1933 wurde die Sozialdemokratische Partei in Preußen unterdrückt, nachdem sie vorher dadurch geschwächt worden war, daß eine Anzahl ihrer Mitglieder in Konzentrationslager gebracht worden war. Am 7. Juli 1933 schloß eine Verordnung die Sozialdemokraten vom Reichstag sowie von den Regierungskörperschaften in den Provinzen und Stadtverwaltungen aus.
Durch eine Verordnung des Reichskabinetts wurde am 14. Juli 1933 das Eigentum der Sozialdemokraten mitbeschlagnahmt, und die Nazi-Partei wurde als die einzige politische Partei in Deutschland erklärt. Von da an wurde es illegal, irgend einer anderen politischen Partei anzugehören oder sich zu einer solchen zusammenzuschließen. Auf diese Weise war es Hitler möglich zu sagen, daß, kaum nach mehr als fünf Monaten nach der Machtübernahme, »die Partei zum Staat geworden sei«.
Die Nazi-Verschwörer gingen daran, diese Erklärung zur Wahrheit zu machen, denn am 1. Dezember 1934 erließ das Reichskabinett ein Gesetz »zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat«. Das Gesetz war von Hitler und dem Angeklagten Frick unterzeichnet. Im Artikel 1 wurde vorgesehen, daß die Nazi Partei
»... die Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlösbar verbunden ist. Sie ist die Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihre Satzung bestimmt der Führer.«
Artikel 2: »Der Stellvertreter des Führers und der Stabschef der SA werden Mitglieder des Reichskabinetts, zur Gewährleistung engster Zusammenarbeit der Ämter der Partei und SA mit den öffentlichen Behörden.«
Artikel 3 sieht vor, »daß den Mitgliedern der NSDAP und der SA (einschließlich der ihr unterstellten Gliederungen) als führende und bewegende Kraft des Nationalsozialistischen Staates erhöhte Pflichten obliegen gegenüber dem Führer, Volk und Staat.«