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[Das Gericht vertagt sich bis

23. November 1945, 10.00 Uhr.]

Vierter Tag.

23. November 1945.

Vormittagssitzung.

DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Präsident! Sie haben der Verteidigung in der gestrigen Sitzung bekanntgegeben, daß gegen die von der Anklagebehörde zum Zweck der Beweisführung vorgelegten Urkunden schon in diesem Zeitpunkt des Verfahrens Einwendungen erhoben werden sollten, wenn sie solche zu haben glaubt.

Der Herr Hauptanklagevertreter hat gestern eine graphische Darstellung vorgelegt, welche Reichsministerien und sonstige höchste Amts- und Dienststellen der deutschen Reichsregierung zum Gegenstand hatte. Nach Ansicht meines Klienten ist diese Darstellung in folgenden, ihn selbst betreffenden Punkten irrig:

1. Ein Reichsverteidigungsrat hat zu keiner Zeit bestanden. Das Reichsverteidigungsgesetz, das einen Reichsverteidigungsrat für den Fall eines Krieges vorsah, ist nie veröffentlicht worden; es hat niemals eine Sitzung eines Reichsverteidigungsrates stattgefunden. Der Angeklagte Keitel ist daher auch niemals Mitglied eines Reichsverteidigungsrates gewesen.

2. Der Geheime Kabinettsrat, der zufolge der Bestimmungen des Gesetzes vom 4. Februar 1938 errichtet werden sollte, hat niemals bestanden, ist niemals konstituiert worden, hat niemals eine Sitzung abgehalten.

3. Der Angeklagte Keitel war niemals Reichsminister. Er hatte, ebenso wie die Oberbefehlshaber des Heeres und der Marine, lediglich den Rang eines Reichsministers. Er war also auch niemals Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Er hat an keiner beratenden Kabinettssitzung teilgenommen.

Ich. bitte um Bekanntgabe der Ansicht des Gerichts, ob diese Einwendungen im jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens Gegenstand der Prüfung sein können, oder ob sie einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben sollen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof entscheidet, daß die Dokumente zugelassen werden; doch können die Angeklagten später Beweise erbringen, die sich auf diese Dokumente beziehen. Die Angeklagten brauchen zu diesem Zeitpunkt keinen Einspruch zu erheben, doch können sie später Umstände vorbringen, die für die Beurteilung der Urkunden von Bedeutung sind.

DR. DIX: Darf ich mir eine Frage an das Hohe Gericht erlauben:

Wir haben jetzt teilweise die Schriftsätze und Dokumente einsehen können, welche gestern dem Gericht überreicht wurden.

Hierbei haben wir festgestellt, daß sich bei den Urkunden auch Dokumente befinden, die weder ganz zitiert, noch als solche gestern dem Gericht von dem Herrn Vertreter der Anklage vorgelegt worden sind. Meine Frage geht nun dahin: Soll der Inhalt, der ganze Inhalt aller Dokumente, die dem Gericht vorgelegt worden sind, die Grundlage für die Entscheidung des Gerichts bilden, auch wenn der Herr Vertreter der Anklage, der sie vorlegte, auf sie inhaltlich gar nicht Bezug genommen hat?

Mit anderen Worten, müssen wir die gesamten Dokumente, welche dem Gericht vorgelegt worden sind – auch wenn mündlich auf sie nicht Bezug genommen worden ist – als Urteilsgrundlage auffassen, und sie deshalb prüfen, ob die Angeklagten irgendwelche Einwände gegen sie zu erheben haben?

Schließlich möchte ich das Hohe Gericht fragen, ob der gesamte Inhalt sämtlicher Dokumente, welche gestern dem Gericht vorgelegt worden sind und in Zukunft eventuell noch vorgelegt werden, von uns als Urteilsgrundlage aufzufassen sind, auch dann, wenn die Anklagebehörde, deren Inhalt nicht wörtlich oder inhaltlich vorgetragen oder sonst auf sie Bezug genommen hat.

VORSITZENDER: Jede Urkunde, die vorgelegt wird, wird ein Teil des Protokolls und liegt dem Gerichtshof als Beweismaterial vor. Doch steht es den Angeklagten frei, irgendeinen Teil einer Urkunde zu kritisieren oder Bemerkungen dazu zu machen, sobald ihr Fall vorgetragen wird.

DR. DIX: Danke! Damit ist die Frage klargestellt.

VORSITZENDER: Ich möchte drei Bekanntmachungen im Namen des Gerichtshofs machen:

Die erste ist folgende: Der Gerichtshof wird diesen Samstag keine Sitzung abhalten, damit den Verteidigern mehr Zeit zur Prüfung der Urkunden und der bisherigen Ausführungen zur Verfügung steht. Das ist der erste Punkt.

Zweitens wünscht der Gerichtshof, daß alle Anträge und Gesuche, soweit tunlich, schriftlich gemacht werden, sowohl von der Anklage als auch von der Verteidigung. Es gibt natürlich Fälle – so wie heute vormittag – in denen Anträge und Gesuche zur Erläuterung besser mündlich gestellt werden; soweit es jedoch angängig ist, wünscht der Gerichtshof, daß sie schriftlich sowohl von der Anklage als auch von der Verteidigung eingereicht werden.

Zum anderen wünscht der Gerichtshof, folgende Bemerkung an die Anklagevertreter zu richten: Es wäre dem Gerichtshof und möglicherweise auch der Verteidigung dienlicher, wenn ihre Schriftsätze und Dokumentenbücher dem Gerichtshof vorgelegt würden, bevor der Anklagevertreter den entsprechenden Teil des Falles vorzutragen beginnt, so daß dem Gerichtshof Schriftsätze und Dokumentenbücher vorliegen, wenn der Anklagevertreter dem Gerichtshof den sich darauf beziehenden Teil des Falles darlegt. Weiterhin wäre es dem Gerichtshof angenehm, sofern dies den Anklagevertretern genehm ist, wenn der Anklagevertreter eine kurze, keine eingehende, Erklärung der Dokumente, die er gerade vorlegt, gäbe und die Aufmerksamkeit auf jene Stellen in den Dokumenten lenkt, auf die er besonders hinweisen will.

Ich bitte nun den Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten, in seinen Ausführungen fortzufahren.

OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Gestern nachmittag schienen einige Fragen über die Identifizierung von Dokumenten, die dem Gerichtshof als Beweismaterial vorgelegt wurden, noch offen zu sein. Ich will sie deshalb mit Erlaubnis des Gerichtshofs numeriert vorlegen, damit sie der Gerichtssekretär in sein Protokoll aufnehmen und identifizieren kann.

Die Vereinigten Staaten, die jedes dieser Dokumente als Beweisstück einführen, ersuchen darum, daß sie als Beweismaterial der Vereinigten Staaten Amerikas angenommen und vermerkt werden mit der Maßgabe, daß die Verteidiger später ihre Einwände geltend machen können. Wenn Sie damit einverstanden sind, so lege ich als erstes vor:

US-1. Die eidesstattliche Erklärung von Major William H. Coogan über die Erbeutung, Bearbeitung und Beglaubigung von Dokumenten zusammen mit der Erklärung von Robert G. Storey.

US-2, 2903-PS; die Tabelle der Nazi-Parteigliederung mit den Beglaubigungsbestätigungen.

US-3, 2905-PS; die Tabelle des Nazi-Staates mit den Beglaubigungsbestätigungen.

US-4, 2836-PS; die Originalaussage des Angeklagten Göring über die von ihm innegehabten Stellungen.

US-5, 2829-PS; dasselbe bezüglich des Angeklagten Ribbentrop...

VORSITZENDER: Sollte nicht die Numerierung dieser Dokumente durch den Generalsekretär erfolgen?

OBERST STOREY: Ja, das ist richtig. Wir erklären uns damit einverstanden, doch hat der Herr Generalsekretär darauf hingewiesen, daß es nicht so im Protokoll festgelegt war. Wir haben eine vollständige Tabelle, die jedes Dokument mit seiner Zahl enthält; und mit Zustimmung des Grichtshofs will ich diese Tabelle, die eine Aufzählung aller Beweisstücke, die gestern vorgelegt wurden, enthält, dem Gerichtshof übergeben.

VORSITZENDER: Wir bevollmächtigen den Generalsekretär, die Dokumente in derselben Nummernfolge zu übernehmen.

OBERST STOREY: Danke.

Die obenerwähnte Tabelle enthält folgende Bezeichnungen und Nummern:

US-1. Major Coogans eidesstattliche Erklärung mit der Erklärung von Oberst Storey.

US-2, 2903-PS; Tabelle der Nazi-Parteigliederung mit den Beglaubigungspapieren.

US-3, 2905-PS; die Tabelle des Nazi-Staates mit den Beglaubigungspapieren.

US-4, 2836-PS; die Originalaussage des Angeklagten Göring über seine Amtsfunktionen.

US-5, 2820-PS; die Originalaussage des Angeklagten Ribbentrop über seine Amtsfunktionen.

US-6, 2851-PS; die Originalaussage des Angeklagten Rosenberg über seine Amtsfunktionen.

US-7, 2979-PS; die Originalaussage des Angeklagten Frank über seine Amtsfunktionen.

US-8, 2978-PS; die Originalaussage des Angeklagten Frick über seine Amtsfunktionen.

US-9, 2975-PS; die Originalaussage des Angeklagten Streicher über seine Amtsfunktionen.

US-10, 2977-PS; die Originalaussage des Angeklagten Funk über seine Amtsfunktionen.

US-11, 3021-PS; die Originalaussage des Angeklagten Schacht über seine Amtsfunktionen.

US-12, 2887-PS; die Originalaussage des Angeklagten Dönitz über seine Amtsfunktionen.

US-13, 2888-PS; die Originalaussage des Angeklagten Raeder über seine Amtsfunktionen.

US-14, 2973-PS; die Originalaussage des Angeklagten von Schirach über seine Amtsfunktionen.

US-15, 2974-PS; die Originalaussage des Angeklagten Sauckel über seine Amtsfunktionen.

US-16, 2965-PS; die Originalaussage des Angeklagten Jodl über seine Amtsfunktionen.

US-17, 2910-PS; die Originalaussage des Angeklagten Seyß-Inquart über seine Amtsfunktionen.

US-18, 2980-PS; die Originalaussage des Angeklagten Speer über seine Amtsfunktionen.

US-19, 2972-PS; die Originalaussage des Angeklagten von Neurath über seine Amtsfunktionen.

US-20, 2976-PS; die Originalaussage des Angeklagten Fritzsche über seine Amtsfunktionen.