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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Ich bezog mich gerade wieder auf den Bericht des Gauleiters Rainer an Reichskommissar Bürckel vom Juli 1939, der die weitere Geschichte der Partei und das Problem der Führerschaft nach dem Rücktritt Reinthallers darlegte. Bei seinem Bericht über die Lage im Jahre 1935 erwähnte er einige Verbindungslinien mit der Reichsregierung, das heißt, der Deutschen Regierung, und zwar wie folgt. Ich zitiere von Seite 4 des englischen Textes jenes Berichts; ich glaube, es ist auch Seite 4 des deutschen Textes des Rainer-Berichts (812-PS, US-61):

»Im August kam es zu weiteren Verhaftungen, denen neben Gauleitern auch Globocnik und Rainer zum Opfer fielen. Es erhob weiters Schattenfroh auf Grund einer aus dem Gefängnis von Leopold erhaltenen Weisung den Anspruch auf die kommissarische Führung der Landesleitung. Von einer von Ing. Raffelsberger geführten Gruppe aus wurde um diese Zeit auch Verbindung mit Stellen des Altreiches (Propagandaministerium, Volksdeutsche Mittelstelle usw.) hergestellt und der Versuch einer Konzeption der politischen Leiter für die kämpfende Bewegung in der Ostmark in der Form eines Manifestes gemacht.«

Und der Rainer-Bericht beschreibt weiter die Situation ein wenig später im Jahre 1936. Ich zitiere von Seite 6 des englischen Textes, und ich glaube, Seite 5 des deutschen Textes:

»Die Grundgedanken des Aufbaues waren: Die Organisation als Trägerin des illegalen Kampfes und Treuhänderin der Idee kompromißlos als Geheimorganisation nach dem Ausleseprinzip und auf die allereinfachste Weise aufzubauen, daß sie zu jedem Einsatz bereit in der Hand der illegalen Landesleitung liegt, daneben alle vorhandenen politischen Möglichkeiten durch das politische Amt wahrzunehmen und hiebei insbesondere legale Leute und legale Möglichkeiten heranzuziehen, ohne jedoch eine Verbindung mit der illegalen Kernorganisation sichtbar herzustellen; die Zusammenarbeit der illegalen Parteiorganisation mit den vorgeschobenen politischen Helfern wurde deswegen in der obersten Spitze der Parteileitung verankert; schließlich alle Verbindungsmöglichkeiten mit den Parteistellen des Altreiches geheim unter Wahrung der vom Führer befohlenen offiziellen Fernhaltung des Deutschen Reiches von den inneren Vorgängen in Österreich aufzubauen, sowie auch im übrigen Ausland rings um Österreich herum Hilfsstellen für Propaganda, Hilfswerk, Pressedienst, Flüchtlingsfürsorge usw. zu errichten.

Hinterleitner hatte bereits die Verbindung mit dem Rechtsanwalt Dr. Seyß-Inquart aufgenommen, der aus seiner Hilfestellung bei der Julierhebung Verbindungen mit Dr. Wächter besaß und andererseits im legalen Felde stand mit außerordentlich geschickt aufrechterhaltenen Verbindungen zu christlich-sozialen Politikern. Dr. Seyß war, aus den Reihen des Steirischen Heimat schutzes kommend, bei der korporativen Übernahme des Steirischen Heimatschutzes in die NSDAP, Mitglied der Partei geworden. Eine weitere im Vordergrund stehende und im legalen Feld zu verwendende Persönlichkeit war Oberst Glaise-Horstenau, der ebenfalls nach beiden Seiten Verbindungen besaß. Das Abkommen vom 11. Juli 1936 war bereits stark durch die Mitarbeit dieser beiden legalen Persönlichkeiten bestimmt, von denen Glaise- Horstenau durch Papen dem Führer als Vertrauensmann bezeichnet worden war.«

Der Rainer-Bericht offenbart also die zwiefache Taktik der österreichischen Nazis während der Zeit des »Sich-Ruhig-Verhaltens« in Erwartung der weiteren Entwicklung. Sie hielten ihre geheimen Verbindungen mit den Altreichfunktionären aufrecht und bedienten sich inländischer Persönlichkeiten wie Glaise- Horstenau und Seyß-Inquart. Die Nazis machten guten Gebrauch von solchen Persönlichkeiten, die in ihrem Vorgehen diskreter waren, und die man als Nationalisten bezeichnen konnte. Sie unterbreiteten, unterstützten und erlangten Berücksichtigung von Forderungen, die von anderen Nazis, wie z.B. Hauptmann Leopold, nicht gestellt werden konnten.

Seyß-Inquart hatte bis Januar 1937, als er Staatsrat wurde, kein öffentliches Amt. Aber Rainer, der ihn als ein vertrauenswürdiges Mitglied der Partei beschreibt, hervorgegangen aus den Reihen des »Steirischen Heimatschutzes«, weist auf ihn als einen von jenen hin, die das Abkommen vom 11. Juli 1936 stark beeinflußt haben. Die strategische Bedeutung dieses Abkommens wird später besprochen werden. Wie bereits erwähnt, ist nicht anzunehmen, daß der Rainer-Bericht die Bedeutung des Beitrags Seyß-Inquart übermäßig betont.

Daß die Nazis, nicht aber die österreichische Regierung, wohl daran taten, Seyß-Inquart Vertrauen zu schenken, wird durch das nächste Dokument bewiesen. Ich lege als Beweismaterial Urkunde 2219-PS, US-62 vor.

Dies ist ein an Generalfeldmarschall Göring adressierter Brief vom 14. Juli 1939. Das Dokument ist ein mit Schreibmaschine geschriebener Durchschlag des Briefes. Er endet mit dem »Heil Hitler«-Gruß und ist nicht unterschrieben. Aber wir sind der Meinung, daß er zweifellos vom Angeklagten Seyß-Inquart geschrieben wurde. Dieser Durchschlag wurde in den persönlichen Akten Seyß-Inquarts gefunden, und Durchschlage, die im Besitze des Schreibers sind, tragen gewöhnlich keine Unterschrift. Auf der ersten Seite des Briefes erscheint eine Notiz in Tinte, die nicht in der teilweisen englischen Übersetzung enthalten ist; sie besagt: »Flugpost, 15. Juli, 15.15 Uhr, Berlin, Bringer überreicht Kanzlei Göring.«

Der Haupttext des Briefes besteht aus einem Ersuchen, sich zugunsten eines Mühlmann zu verwenden, dessen Namen wir später noch finden werden, und der unglücklicherweise in Bürckels Ungnade fiel. Ich werde einen Auszug aus dem Dokument zitieren, der ins Englische übersetzt wurde und der, ich glaube, auf Seite 7 des deutschen Textes beginnt.

»Zur Zeit in Wien, 14. Juli 1939.

Herr Generalfeldmarschall!

... Wenn ich von mir selbst noch etwas sagen darf, so ist es folgendes: Ich weiß, daß ich keine aktiv kämpferische Natur bin, es sei denn, daß es um die letzten Entscheidungen geht. Das wird mir sicher in der heutigen Zeit des ausgesprochenen Aktivismus als Mangel ausgelegt werden. Ich weiß aber, daß ich mit einer unüberwindlichen Zähigkeit an den Zielen festhalte, die mein Glauben sind: Das ist mein Großdeutschland und der Führer. Und wenn manche schon abgekämpft, wenn manche schon gefallen sind, dann bin ich immer noch irgendwo vorhanden und zum Einsatz bereit. Das war schließlich auch die Entwicklung bis zum Jahre 1938. Ich habe mich bis zum Juli 1934 als normaler Parteigenosse verhalten. Und wenn ich meine Beiträge, deren erste ich lt. Bestätigung im Dezember 1931 gezahlt habe, in irgendeiner Form ruhig weitergezahlt hätte, so wäre ich wahrscheinlich der unangefochtene, für die Ostmark verhältnismäßig alte Kämpfer und Parteigenosse, ohne aber mehr für den Zusammenschluß getan zu haben. Ich habe mir im Juli 1934 gesagt, daß man dieses klerikale System mit seinen eigenen Mitteln bekämpfen muß, um so dem Führer alle Möglichkeiten zu geben, auf welche Mittel er immer greifen will...«

Ich will die Aufmerksamkeit besonders auf diesen Satz lenken:

»Ich habe mir gesagt, daß dieses Österreich eine Messe wert ist. Ich habe diese politische Haltung mit eiserner Konsequenz durchgeführt, denn mir und meinen Freunden sind in der Ostmark der gesamte politische Katholizismus, die Freimaurerei, das Judentum, kurz alles gegenübergestanden. Die kleinste Blöße, die wir uns gegeben hätten, hätte unweigerlich zu unserer politischen Vernichtung geführt und damit, wie die Märztage 1938 wohl bewiesen haben, dem Führer ein Mittel und Werkzeug aus der Hand genommen, seine geniale politische Lösung in Österreich durchzuführen. Es ist mir vollkommen bewußt gewesen, daß ich einen Weg gehe, der für die große Menge und auch für die Parteigenossen nicht verständlich ist. Ich bin ruhig gegangen und würde ihn ohne Bedenken noch einmal gehen, da mir das Bewußtsein genügt, daß ich in einem Augenblick dem Führer an seinem Werk als Werkzeug dienlich sein konnte, auch dann, wenn diese damalige Haltung heute sehr braven und ehrenwerten Parteigenossen immer noch Veranlassung bietet, in meine Zuverlässigkeit Zweifel zu setzen. Ich habe mich um diese Dinge nie gekümmert, da es mir vollständig genügt, welche Meinung der Führer und seine ihm zunächst stehenden Männer von mir haben.«

Dieser Brief war an einen der Männer gerichtet, die ihm sehr nahe standen, an Feldmarschall Göring. Ich glaube, das genügt, um zu zeigen, daß Seyß-Inquart einer der getreuen Kämpfer Hitlers, eines fremden Diktators, und für die Ziele der Nazi-Verschwörung war, was ihn dazu bewog, für den Anschluß mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, zu kämpfen.

Es ist angebracht, hier ein Dokument des Angeklagten von Papen als Beweismaterial zu unterbreiten, um zu erkennen, wie er sich vorstellte, daß die Doktrinen der nationalsozialistischen Partei angewendet werden konnten, um den Anschluß Österreichs zustande zu bringen. Ich unterbreite die Urkunde 2248-PS, US-63. Diese Urkunde ist ein Brief von Papens an Hitler vom 27. Juli 1935. Er besteht aus einem Bericht, betitelt »Ein Jahr nach dem Tode des Bundeskanzlers Dollfuß. Rückblick und Ausblick.«

Nachdem er über den erfolgreichen Zug seitens der österreichischen Regierung, Dollfuß als einen Märtyrer hinzustellen, gesprochen hatte und über seine Prinzipien hinsichtlich der patriotischen Grundsätze Österreichs, erklärte von Papen – und ich zitiere aus dem Brief, anfangend mit dem letzten Absatz auf Seite 1 (146 deutscher Text):

»Der Nationalsozialismus muß und wird die neuösterreichische Ideologie überwinden. Wenn heute in Österreich eingewendet wird, daß die NSDAP nur eine zentralisierte reichsdeutsche »Partei« und daher unfähig sei, das Gedankengut des Nationalsozialismus auf staatlich anders geartete Volksgruppen zu übertragen, dann wird man mit Recht erwidern können, daß die nationale Revolution in Deutschland nur so und nicht anders her beizuführen war. Aber wenn die Schaffung der Volksgemeinschaft im Reich vollendet, könnte der Nationalsozialismus in viel weiterem Sinne als dies durch die heutige Parteiform zumindest nach außen möglich, sicherlich der Heerrufer der deutschen völkischen Einheit über die Grenzen werden. Nicht in einer zentralen Tendenz kann heute geistiger Fortschritt gegenüber Österreich erzielt werden. Wenn diese Erkenntnis auch vom Reiche her einmal klar und deutlich formuliert wird, dann wird man am ehesten einen Einbruch in die Front des »Neuen Österreich« erreichen. Ein Nürnberger Parteitag, wie früher als »Der Deutsche Tag« bezeichnet und die Proklamierung einer »nationalsozialistischen Volksfront« würden ein aufwühlendes Ereignis für alle jenseits der Reichsgrenzen sein. Mit solchem Angriff werden wir auch die partikularistischen österreichischen Kreise gewinnen, als deren Wortführer der legitimistische Graf Dubsky in seiner Broschüre über den »Anschluß« schreibt: ›Das dritte Reich wird mit Österreich sein, oder es wird überhaupt nicht sein. Der Nationalsozialismus wird es gewinnen müssen oder zugrunde gehen, wenn er diese Aufgabe nicht zu lösen versteht‹.«

Wir haben auch andere Berichte Papens an Hitler, die ich in Kürze als Beweismaterial unterbreiten werde, und aus denen hervorgeht, daß er geheime Verbindung mit den nationalsozialistischen Gruppen in Österreich hatte. Es ist interessant, daß Angeklagter von Papen vom Beginn seiner Mission auf Mittel und Wege sann, wie der nationalsozialistische Grundsatz für Volksdeutsche außerhalb der deutschen Grenzen anzuwenden wäre. Papen arbeitete für den Anschluß, und obwohl er sich lieber auf die Grundsätze des Nationalsozialismus als auf die Parteiorganisation verließ, war er doch bereit, die Parteiorganisation als ein notwendiges Werkzeug für die Verwirklichung dieser Grundsätze im Deutschen Reich zu verteidigen.

Nun kommen wir zu einer Reihe von Versicherungen, die Österreich gegenüber geleistet wurden, und Bestätigungen dieser Versicherungen. Die Deutsche Regierung ging weiter, als den bloßen Anschein von Nichteinmischung in die Angelegenheiten der österreichischen Gruppen aufrecht zu erhalten. Sie wandte psychologische Mittel in Form von Versicherungen an, um zu beweisen, daß keine Absicht gegen die österreichische Unabhängigkeit bestünde. Wenn Österreich in die Ausführung dieser Zusicherungen Vertrauen setzen wolle, so läge der Weg offen für Zugeständnisse und Erleichterung von wirtschaftlichem und innerem Druck.

Ich unterbreite die Urkunde 2247-PS, US-64. Dies ist ein Brief, den von Papen am 17. Mai 1935 an Hitler richtete, während er sich in Berlin aufhielt.

Von Papens Brief meldete Hitler, daß eine offene, glaubwürdige Versicherung Deutschlands an Österreich für deutsche diplomatische Zwecke sehr nützlich sein und zur Besserung der Beziehung zwischen Österreich und deutschen Gruppen innerhalb Österreichs beitragen würde.

Er hatte einen Plan, demzufolge Schuschnigg und seine Christlich-Sozialen gegen Starhemberg, Österreichs Vizekanzler, der von Mussolini unterstützt wurde, ins Feld gestellt werden sollten. Von Papen hoffte, Schuschnigg dazu zu überreden, daß er seine Kräfte mit der NSDAP vereine, um so über Starhemberg zu siegen. Von Papen deutete an, daß diese Idee von Hauptmann Leopold, dem Führer der illegalen Nationalsozialisten in Österreich, stamme.

Ich zitiere aus seinem Brief, anfangend mit dem zweiten Absatz auf der zweiten Seite; Papen schreibt an Hitler:

»Ich schlage vor, in dieses Spiel aktiv einzugreifen. Der Grundgedanke müßte sein, Schuschnigg mit den einer Heimwehrdiktatur entgegengesetzten christlich-sozialen Kräften gegen Starhemberg auszuspielen. Man müßte ihm die Möglichkeit geben, die zwischen Mussolini und Starhemberg getroffenen Maßnahmen zu durchkreuzen, indem er der Regierung das Angebot eines endgültigen deutsch-österreichischen Interessenausgleichs vorlegt. Nach der überzeugenden Meinung des Führers der NSDAP in Österreich, Hauptmann Leopold, muß man an die Stelle des Totalitätsgedankens der NSDAP in Österreich zunächst eine Kombination zwischen dem großdeutsch eingestellten Teil der Christlich-Sozialen und der NSDAP setzen. Wenn Deutschland die staatliche Unabhängigkeit Österreichs anerkennt und sich verpflichtet, der österreichischen natio nalen Opposition volle Freiheit zu lassen, dann würde als Ergebnis eines solchen Ausgleichs zunächst eine Koalition dieser Kräfte die österreichische Regierung bilden.... Eine weitere Folge dieses Schrittes wäre die Möglichkeit einer Beteiligung Deutschlands am Donaupakt, dem durch die Regelung des deutsch-österreichischen Verhältnisses alle Schärfen genommen werden. Im ganzen wurde ein solches Vorgehen auf die europäische Gesamtlage, wie insbesondere auf unser Verhältnis zu England, einen höchst wohltuenden Einfluß ausüben.

Man kann einwenden, daß Herr Schuschnigg schwerlich entschlossen sein wird, einen solchen Weg zu gehen, daß er aber wahrscheinlich unser Angebot sogleich der Gegenseite mitteilen werde.

Es ist selbstverständlich, daß man die Möglichkeit, Schuschnigg gegen Starhemberg auszuspielen, zunächst durch Mittelsmänner erkunden müßte. Diese Möglichkeit besteht. Wenn schließlich Herr Schuschnigg »nein« sagt und unser Angebot in Rom bekannt gibt, so würde damit nichts verschlechtert sein, sondern im Gegenteil das Bestreben der Reichsregierung zutage treten, seinen Frieden mit Österreich zu machen – ohne jede Schädigung anderer Interessen. Deshalb würde auch im Versagensfalle dieser letzte Versuch ein Aktivum sein. Ich halte es aber durchaus für möglich, daß bei der weiten Abneigung der Alpenländer gegen den italienischen Kurs, bei der scharfen Spannung innerhalb der Bundesregierung Herr Schuschnigg diesen letzten Rettungsanker ergreift – immer unter der Voraussetzung, daß das Angebot von der Gegenseite nicht als eine Falle interpretiert werden kann, sondern daß es alle Merkmale eines wirklichen ehrlichen Ausgleichs mit Österreich trägt.

Einen Erfolg dieses Schrittes vorausgesetzt, würden wir uns wieder aktiv in die mitteleuropäische Politik eingeschaltet haben, was gegenüber den Manövern der französisch-tschechisch-russischen Politik ein ungeheuer moralischer und praktischer Erfolg wäre.

Da in den noch zur Verfügung stehenden 14 Tagen sehr viel Arbeit an Sondierungen und Besprechungen zu leisten wäre, ist eine sofortige Entscheidung notwendig.

Der Reichswehrminister teilt die in Vorstehendem niedergelegte Auffassung, und der Reichsaußenminister wollte sie mit Ihnen, mein Führer, besprechen

von Papen.«

Mit anderen Worten, der Angeklagte von Papen verlangte eine starke und glaubwürdige Zusicherung für die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit Österreichs. So, wie er es darstellte, hatte Deutschland mit einem Schritt, den es stets einen einfachen Versuch, den Frieden aufrechtzuerhalten nennen konnte, nichts zu verlieren, und es würde vielleicht in der Lage sein, Schuschnigg zu überzeugen, eine österreichische Koalitionsregierung unter Einschluß der NSDAP aufzustellen. Damit würde Deutschland seine Stellung in Europa wesentlich verstärken. Schließlich empfahl von Papen Eile.

Genau vier Tage später befolgte Hitler von Papens Vorschlag in einer Reichstagsrede und kündete dort an:

»Deutschland hat weder die Absicht noch den Wunsch, sich in die internen Angelegenheiten Österreichs einzumischen, Österreich zu annektieren oder einen Anschluß herbeizuführen.«

Die Engländer werden ein Dokument vorlegen, das sich auf diesen Punkt der Rede bezieht. Dieser Satz ist schon historisch geworden.

Es ist angebracht, diese Zusicherung hier zu betrachten und zu bedenken, daß auf Grund einer Reihe von Erwägungen von Papen einen Vorschlag unterbreitete und Hitler eine Politik ankündigte, die ihren Absichten vollkommen widersprachen. Diese Absichten waren und blieben Einmischung in Österreichs Angelegenheiten und Durchführung des Anschlusses. Darauf folgte dann eine vorübergehende Periode, in der die »Politik ruhigen Druckes« fortgesetzt wurde.

Am 1. Mai 1936 brandmarkte Hitler in einer öffentlichen Rede jede Erklärung, daß Deutschland morgen oder übermorgen in Österreich einfallen werde, als Lüge. Ich mache den Gerichtshof auf diesen Teil der Rede aufmerksam, die im »Völkischen Beobachter«, Ausgabe für Süddeutschland, Ausgabe 2, vom 3. Mai 1936, Seite 2, erschien, übersetzt in unserem Dokument 2367-PS. Ohne das Dokument als Beweismaterial vorzulesen, möchte ich nur, daß der Gerichtshof von dieser in der wohlbekannten Rede gemachten Äußerung amtlich Kenntnis nimmt.

Falls Hitler wirklich meinte, was er sagte, dann geschah es im wörtlichsten und irreführendsten Sinne, das heißt, daß »er nicht morgen oder übermorgen in Österreich einfallen« wolle. Die Verschwörer wußten sehr genau, daß die erfolgreiche Durchführung ihres Planes noch etwas länger politische Ruhe in Österreich erforderte.

Ich lege nun als Beweismaterial Urkunde L-150 vor. Dies ist die Aktennotiz über eine Unterhaltung vom 18. Mai 1936 zwischen Botschafter Bullitt und dem Angeklagten von Neurath. Dieses Dokument erscheint bedauerlicherweise wieder nur im deutschen Dokumentenbuch, da es durch ein Versehen in englischer Vervielfältigung nicht vorbereitet wurde; die deutschen Verteidiger haben den deutschen Text. Ich werde aus diesem Buch vorlesen und gleichzeitig dem deutschen Dolmetscher eine Kopie in deutscher Übersetzung geben.

Ich verlese einen Satz aus dem ersten Absatz.

»Am 18. Mai besuchte ich den Außenminister von Neurath und hatte ein langes Gespräch mit ihm über die allgemeine Lage in Europa. Von Neurath sagte, die Politik der Deutschen Regierung wäre, in Auslandssachen zunächst nichts zu unternehmen, bis ›das Rheinland verdaut sei‹. Er erklärte, daß er damit sagen wolle, daß die Deutsche Regierung alles tun würde, einen Aufstand der Nationalsozialisten in Österreich zu verhindern, eher denn zu ermutigen und daß sie sich auch in Bezug auf die Tschechoslowakei zurückhalten würde, bis die deutschen Befestigungen an der französischen und belgischen Grenze fertiggestellt wären. ›Sobald unsere Befestigungen gebaut sind, und die mitteleuropäischen Länder merken, daß Frankreich nicht jederzeit deutsches Gebiet betreten kann, werden diese Länder ihre Außenpolitik ändern, und eine neue Konstellation wird sich bilden‹, sagte er.«

Ich überschlage zwei Absätze und fahre fort:

»Von Neurath erklärte, daß kein Übereinkommen zwischen Deutschland und Italien erreicht worden wäre, und er gab zu, daß die Freundschaftsdemonstrationen zwischen Deutschland und Italien lediglich Demonstrationen wären, die in Wirklichkeit keine Basis hätten. Er fuhr fort, daß er im Moment keinen Weg sähe, die gegensätzlichen Interessen von Deutschland und Italien an Österreich in Einklang zu bringen. Er sagte, daß es drei Hauptgründe gäbe, derentwegen Deutschland im Moment darauf dränge, daß die österreichischen Nationalsozialisten sich ruhig verhielten. Der erste Grund war, daß Mussolini heute den größten Teil seiner Armee an der österreichischen Grenze mobilisiert habe, bereit zuzuschlagen und daß er sicher zuschlagen würde, wenn er eine gute Ausrede fände. Der zweite Grund, die österreichischen Nationalsozialisten im Moment ruhig zu halten, war die tägliche Zunahme der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich. Die Jugend Österreichs wende sich mehr und mehr den Nationalsoziali sten zu, und die Herrschaft der nationalsozialistischen Partei in Österreich wäre unvermeidlich und nur eine Frage der Zeit.«

Der dritte Grund war, daß bis zur Beendigung des Baues von deutschen Befestigungen an der französischen Grenze eine Verwicklung Deutschlands in einen Krieg mit Italien zu einem französischen Angriff auf Deutschland führen könnte. Aber wenn auch Deutschland noch nicht zu einem offenen Konflikt in Österreich bereit war, so hatte sich seine diplomatische Position gegenüber 1934 doch weit gebessert. Eine Tatsache, die Österreichs Bereitwilligkeit, an Deutschland Zugeständnisse zu machen und zu einer Vereinbarung zu kommen, beeinflußte.

Ich lese wieder aus der eidesstattlichen Erklärung Messersmiths von Seite 11 des englischen Textes; es ist Dokument 1760-PS.

»Die Entwicklungen zu Ende 1935 und im Frühjahr 1936 gaben Deutschland Gelegenheit, positivere Schritte in der Richtung zu unternehmen, Österreich zum Nationalsozialismus zu bekehren. Italien, das Österreich weitestgehende Zusicherungen seiner Unterstützung gegen deutsche Angriffe von außen her gegeben hatte, in einem Fall durch Mobilisierung, hatte zweifellos dadurch deutsche Angriffspläne gegen Österreich zurückgehalten; es ließ sich auf das abessinische Abenteuer ein. Dies und die Wiederbesetzung des Rheinlandes im Jahre 1936 brachte Europa gänzlich aus dem Gleichgewicht.«

Es ist ganz offensichtlich, daß Italien nach Beginn seines abessinischen Abenteuers nicht mehr imstande war, deutschen Angriffen auf Österreich zu begegnen. Diese Schwächung Österreichs ebnete den Weg für den Vertrag vom 11. Juli 1936, den die Regierungen von Österreich und Deutschland abschlossen. Dies wird als Beweismaterial auch von der Britischen Delegation vorgelegt werden.

Ich ersuche den Gerichtshof, lediglich die Tatsache einer solchen Vereinbarung als erwiesen anzusehen. Der formelle Teil der Vereinbarung vom 11. Juli 1936 wird ebenfalls von unseren britischen Kollegen vorgelegt werden. Wir verweisen auf das britischerseits vorzulegende Dokument TC-22; und das Wesentlichste ist auch auf den Seiten 11 und 12 der eidesstattlichen Erklärung von Herrn Messersmith, 1760-PS, enthalten.

Vom Gesichtspunkt dieses Kampfes allein erscheint der Vertrag als ein großer Triumph für die Sache Österreichs. Er enthält eine verwirrende Klausel des Inhalts, daß Österreich sich in seiner Politik, besonders dem Deutschen Reich gegenüber, als deutscher Staat betrachten solle, aber die zwei anderen Bestimmungen führen klar aus, daß Deutschland das volle Selbstbestimmungsrecht Österreichs anerkennt, und daß es in die innerpolitische Ordnung Österreichs einschließlich der Frage des österreichischen Nationalsozialismus als einer inneren Angelegenheit Österreichs weder direkten noch indirekten Einfluß ausüben will. Aber es wurde viel mehr Gewicht auf die Tagesereignisse gelegt, als in dem Text des Vertrages zum Ausdruck kommt. Ich beziehe mich auf die zusammenfassenden Darlegungen von Herrn Messersmith, wie sie auf Seite 12 seiner eidesstattlichen Erklärung erscheinen;

»Noch wichtiger als die im offiziellen Bericht veröffentlichten Bedingungen des Übereinkommens waren die gleichzeitigen inoffiziellen Vereinbarungen, deren wichtigste Bestimmungen waren, Österreich solle: 1. eine Reihe von Persönlichkeiten, die das Vertrauen des Bundeskanzlers genießen, aber Deutschland freundlich gesinnt seien, zu Stellungen im Kabinett berufen;

2. der Nationalen Opposition durch die erwähnten Mittel eine Rolle im politischen Leben Österreichs im Rahmen der Vaterländischen Front geben;

3. eine Amnestie für alle Nazis erlassen mit Ausnahme derer, die schwerster Vergehen überführt worden seien. Diese Amnestie wurde von der österreichischen Regierung treulich erlassen und Tausende von Nazis wurden in Freiheit gesetzt. Der erste Eindringungsversuch der Deutschnationalen war mit der Bestellung des Dr. Guido Schmidt als Staatssekretär für Äußeres und des Dr. Edmund Glaise-Horstenau als Minister ohne Portefeuille geglückt.«

Ich lege nun Dokument 2994-PS vor, welches eine eidesstattliche Erklärung von Kurt von Schuschnigg, des früheren Bundeskanzlers von Österreich ist, datiert 19. November 1945. Ich lege es als Beweisstück US-66 vor. Die Angeklagten haben deutsche Übersetzungen dieses Beweisstückes erhalten.

DR. LATERNSER: Ich möchte im Namen des Angeklagten Seyß-Inquart der Vorlage einer schriftlichen Aussage des Zeugen von Schuschnigg widersprechen, und zwar aus folgenden Gründen: Das Gericht hat heute bei der Verkündung des Beschlusses hinsichtlich der Verwertung der schriftlichen Aussage des Zeugen Messersmith verkündet, daß, wenn das Gericht die Empfindung habe, es handle sich um Zeugen von größter Wichtigkeit, es bei der Beurteilung solcher Fragen einen anderen Standpunkt einnehmen würde. Hinsichtlich des österreichischen Komplexes ist der Zeuge von Schuschnigg der wichtigste Zeuge, und zwar der Zeuge, der ja damals in seiner Stellung als Bundeskanzler betroffen war.

Da es sich um einen derart wichtigen Zeugen handelt, muß der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme eingehalten werden, damit das Gericht in der Lage ist, die tatsächliche Wahrheit in diesem Falle feststellen zu können. Der Angeklagte und auch sein Verteidiger würden andernfalls in ihren Rechten, die ihnen das Statut gewährt, nämlich Fragen zur Aufklärung an einen Zeugen zu richten, beeinträchtigt sein. Ich muß auf diesem Standpunkt deswegen beharren, weil anzunehmen ist, daß der Zeuge von Schuschnigg auch Tatsachen wird bestätigen können, die für den Angeklagten Seyß-Inquart sprechen. Ich stelle daher den Antrag, das Gericht möge beschließen, daß die schriftliche Aussage des Zeugen Schuschnigg nicht zugelassen wird.

VORSITZENDER: Wenn Sie fertig sind, wird der Gerichtshof Herrn Alderman hören.

MR. ALDERMAN: Ich möchte vorläufig nur die eidesstattliche Erklärung unterbreiten, um die Bedingungen der Geheimklausel, die zwischen der Deutschen und österreichischen Regierung bestand, in Verbindung mit diesem Vertrag kennenzulernen. Dies geschieht keineswegs, um den Angeklagten Seyß-Inquart zu belasten.

DR. LATERNSER: Darf ich ergänzend noch zu meinem Antrage vortragen, daß der Zeuge von Schuschnigg am 19. November 1945 in Nürnberg vernommen worden ist und daß, wenn eine Vernehmung am 19. November 1945 in Nürnberg möglich gewesen ist, sie dann auch kurze Zeit später, jetzt, möglich sein müßte, zumal die Vernehmung unmittelbar vor Gericht für den Angeklagten von besonderer Wichtigkeit ist.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird eine Pause einschalten, um diese Frage zu überprüfen.