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VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat über den Einspruch gegen die eidesstattliche Erklärung des Herrn Schuschnigg beraten und läßt den Einspruch zu. Die Anklagevertretung, auch die Verteidigung, kann, wenn sie es wünscht, Schuschnigg als Zeugen benennen und einen derartigen Antrag stellen. Im Falle, daß es nicht möglich sein sollte, Schuschnigg vor den Gerichtshof zu bringen, wird die Frage dieses eidesstattlichen Beweismaterials nochmals geprüft werden.

MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! In Anbetracht der bei den Nazi-Zugeständnissen angewandten Strategie und Taktik, wie aus dem vorgelesenen Teil des Messersmith-Affidavits hervorgeht, machte Österreich Deutschland gegenüber erhebliche Konzessionen, um Deutschlands diplomatische und formelle Garantie der österreichischen Unabhängigkeit und Nichteinmischung in Österreichs Angelegenheiten zu erhalten.

Die Freilassung verhafteter Nazis stellte ein potentielles Polizeiproblem dar, wie Messersmith in seinem Bericht von 1934 an das Auswärtige Amt der Vereinigten Staaten erklärte, Seite 12 bis 13 seiner eidesstattlichen Erklärung.

Jede Aussicht, daß die Nationalsozialisten an das Ruder kommen könnten, würde es noch schwieriger machen, eine wirksame Polizei- und Gerichtsaktion gegen die Nazis zu erreichen, und zwar aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen der kommenden Nazi-Regierung jenen gegenüber, die gegen Nazis vorgehen, selbst, wenn sie es in der Erfüllung ihrer Pflicht tun. Die Bewährung des inneren Friedens in Österreich war deshalb hauptsächlich darauf aufgebaut, daß Deutschland seinen unter dem Abkommen eingegangenen Verpflichtungen nachkam.

Deutschland setzte sein Programm der Schwächung der österreichischen Regierung fort. Im Abkommen vom 11. Juli 1936 verpflichtete sich Deutschland, weder direkt, noch indirekt in österreichische Angelegenheiten, einschließlich denen der österreichischen Nationalsozialisten einzugreifen.

Am 16. Juli, also nur fünf Tage später, verletzte Hitler diese Bestimmung. Ich zitiere aus dem Dokument 812-PS, US-61 Berichte des Gauleiters Rainer an Kommissar Bürckel. Alle diese wurden an den Angeklagten Seyß-Inquart weitergeleitet. Ich lese Seite 6 des englischen Textes; und ich glaube, es ist auch Seite 6 des deutschen Textes:

»Damals wünschte auch der Führer die Führung der Partei zu sprechen, um ihnen seine Auffassung über das Verhalten der Nationalsozialisten in Österreich mitzuteilen. Inzwischen war zu Pfingsten 1936 Hinterleitner verhaftet worden und hatte als seinen Nachfolger Dr. Rainer zum geschäftsführenden Landesleiter bestellt. Dr. Rainer und Globocnik waren am 16. Juli 1936 beim Führer auf dem Obersalzberg und erhielten eine ganz klare Darstellung der Lage und der Wünsche des Führers. Am 17. Juli 1936 waren sämtliche illegalen Gauleiter in Anif bei Salzburg versammelt, erhielten durch Dr. Rainer den zusammenfassenden Bericht über die Erklärungen des Führers und die politischen Weisungen für die Fortführung des Kampfes, ferner durch Globocnik und Hiedler die organisatorischen Anweisungen.«

Ich überspringe jetzt einen Absatz, der sich im deutschen Text befindet, während er bei der englischen Übersetzung ausgelassen ist:

»Über einen Vorschlag von Globocnik war der Gruppenführer Keppler vom Führer zum Vorsitzenden der im Staatsvertrag vom 11. Juli 1936 vorgesehenen gemischten Kommission zur Durchführung des Abkommens ernannt worden. Gleichzeitig hatte der Führer dem Gruppenführer Keppler Vollmachten für die Partei in Österreich gegeben. Nach monatelangen Bemühungen Kepplers, mit Hauptmann Leopold zusammenzuarbeiten, mußte er diese einstellen und arbeitete künftighin mit Dr. Rainer und Globocnik, ferner mit Reinthaller, als dem Führer der Bauernschaft, Kaltenbrunner« – das ist der in diesem Verfahren angeklagte Kaltenbrunner- »als dem Führer der SS, Jury als dem stellvertretenden Landesleiter, sowie Glaise und Dr. Seyß.«

Eine neue Strategie war für die österreichischen Nazis entwickelt worden. Herr Messersmith beschreibt dies kurz; und ich zitiere von Seite 13 seines Affidavits – 1760-PS:

»Die Folge dieses Abkommens war die einzige, die man in Anbetracht aller Tatsachen und vorher erörterter Geschehnisse erwarten konnte. Die Nazis nahmen die aktiven Operationen in Österreich wieder auf unter der Führung eines gewissen Hauptmann Leopold, von dem als sicher bekannt war, daß er oft mit Hitler in Verbindung trat. Das Programm der Nazis war jetzt, eine Einrichtung zu schaffen, mit deren Hilfe sie ihre Operationen in Österreich offen und mit gesetzlicher Genehmigung fortsetzen konnten. Verschiedene Vereine, die wohl eine gesetzmäßige Grundlage hatten, aber doch nur ein Apparat waren, durch den die Nazis in Österreich sich zusammenschließen und später Aufnahme als eine Einheit in die Vaterländische Front suchen konnten, wurden in Österreich gegründet. Der bedeutendste dieser Vereine war der Ostmärkische Verein, dessen Pate der Innenminister Glaise-Horstenau war. Durch Einfluß von Glaise-Horstenau und des pro-Nazi Neustädter-Stürmer wurde dieser Verein von den Gerichten als gesetzmäßig erklärt. Ich habe das Obenstehende ausdrücklich betont, weil es zeigt, wieweit die Lage in Österreich schon zersetzt war als ein Ergebnis der geheimen und offenen Nazi-Tätigkeit, die von Deutschland aus geleitet wurde.«

Nun lege ich Urkunde 2246-PS, US-67 vor; diese erbeutete deutsche Urkunde ist ein Bericht von Papens an Hitler vom 1. September 1936. Dieses Dokument ist höchst interessant, weil es von Papens Strategie beleuchtet, die er nach dem 11. Juli 1936 zur Zerstörung der österreichischen Unabhängigkeit verfolgte. Mit diesem Abkommen vom 11. Juli hatte von Papen einen großen Schritt vorwärts gemacht. Es soll hier nebenbei festgestellt werden, daß er nach diesem Abkommen vom Gesandten zum Botschafter befördert wurde. Seine Taktik entwickelte sich folgendermaßen; und ich zitiere die letzten drei Absätze seines Briefes vom 1. September 1936 an den Führer und Reichskanzler. Diese drei Absätze sind im englischen Text alle in einen Absatz zusammengefaßt:

»Der Fortschritt der Normalisierung der Beziehungen zu Deutschland stößt sich gegenwärtig an dem Beharrungsvermögen des Sicherheitsministeriums, in dem die alten, gegen den Nationalsozialismus eingenommenen Beamten sitzen. Personaländerungen sind daher vordringlich, sie sind aber bestimmt nicht vor der Debatte über die Aufhebung der Finanzkontrolle in Genf zu erwarten. Der Bundeskanzler hat dem Minister von Glaise-Horstenau eröffnet, daß er beabsichtige, ihm das Portefeuille des Innern anzubieten. Für unsere Marschroute empfehle ich nach der taktischen Seite weiterhin geduldige psychologische Behandlung bei langsam zunehmendem Druck in der Richtung auf eine Änderung des Regimes. Hierbei werden die für Ende Oktober vorgesehenen Wirtschaftsverhandlungen ein sehr brauchbares Werkzeug für die Durchführung einiger unserer Wünsche sein.

In Besprechungen sowohl mit Regierungsmitgliedern wie mit den Führern der illegalen Partei (Leopold und Schattenfroh), die durchaus auf dem Boden des Abkommens vom 11. Juli stehen, versuche ich, die nächste Entwicklung dahin vorzubereiten, daß eine korporative Vertretung der Bewegung in der Vaterländischen Front angestrebt, jedoch auf Eingliederung von führenden Nationalsozialisten in entscheidenden Stellungen vorläufig verzichtet wird. Dahingegen sollen in solche Positionen nur Persönlichkeiten berufen werden, die die Unterstützung und das Vertrauen der Bewegung genießen. An dem Minister Glaise-Horstenau finde ich in dieser Beziehung einen bereitwilligen Mitarbeiter.

Papen.«

Dies war das Zitat Papens; und aus diesem seinem Bericht an Hitler ergibt sich der folgende Plan:

a) Personalwechsel im österreichischen Sicherheitsministerium zu einem gegebenen Zeitpunkt;

b) Korporative Vertretung der Nazi-Bewegung in der Vaterländischen Front;

c) Vorläufige Nichteinstellung von anerkannten Nationalsozialisten in wichtige Stellungen, sondern die Verwendung nationaler Persönlichkeiten;

d) Gebrauch wirtschaftlichen Druckes und abwartende psychologische Behandlung bei langsam zunehmendem Druck, der auf einen Regierungswechsel hinzielt.

Mein nächstes Thema ist »Deutschlands diplomatische Vorbereitungen für die Einverleibung von Österreich«.

Das Programm der Nazi-Verschwörer hinsichtlich Österreichs bestand in äußerer und innerer Schwächung dieses Landes durch Entziehung der von außen kommenden Unterstützung und durch innere Durchdringung. Dieses Programm war äußerst bedeutungsvoll, besonders da, wie sich der Hohe Gerichtshof erinnert, die Ereignisse des 25. Juli 1934 im Innern Österreichs von den Meldungen, daß Mussolini am Brennerpaß Truppen in Stellung gebracht hatte und den starken Schutzherrn seines nördlichen Nachbarn Österreichs spielte, überschattet waren.

Demgemäß verursachte die Einmischung in österreichische Angelegenheiten und ständige Erhöhung des für die Kontrolle dieses Landes notwendigen Druckes die Ausschließung der Möglichkeit, daß Italien oder irgendein anderes Land Österreich zu Hilfe kommen könne. Aber das außenpolitische Programm der Verschwörung, das auf Schwächung und Isolierung Österreichs abzielte, war ein Teil ihres allgemeinen außenpolitischen Planes in Europa.

Ich möchte daher jetzt für kurze Zeit von der Vorlage des Österreich allein betreffenden Beweismaterials abweichen und mit dem Gerichtshof das allgemeine außenpolitische Programm der Nazis erörtern. Es ist nicht meine Absicht, diesen Gegenstand in Einzelheiten zu prüfen. Historiker und Gelehrte, die die Archive gründlich erforschen werden, werden viele Jahre tätig sein müssen, um alle Einzelheiten und Verzweigungen der europäischen Diplomatie während dieses schicksalschweren Jahrzehnts bloßzulegen.

Vielmehr ist daher meine Absicht, die Höhepunkte der diplomatischen Vorbereitungen der Nazis für den Krieg zu erwähnen.

In diesem Zusammenhang möchte ich dem Gerichtshof die Urkunde 2385-PS vorlegen, eine zweite eidesstattliche Erklärung von Georg S. Messersmith, welche am 30. August 1945 in Mexico City abgegeben wurde. Diese ist der Verteidigung sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache zugänglich gemacht worden.

Dies ist nicht Dokument 1760-PS, das am 28. August abgegeben wurde, sondern eine andere eidesstattliche Erklärung. Diese zweite eidesstattliche Erklärung, welche ich als US-68 vorlege, besteht aus einer Darlegung des diplomatischen Abschnitts des Programms der Nazi-Partei. Es stellt in der Hauptsache allgemeine bekannte Tatsachen fest, Tatsachen, die vielen gut unterrichteten Leuten geläufig sind, ebenso wie sie in diplomatischen Kreisen oder in Kreisen von in auswärtiger Politik versierten Leuten bekannt sind. Sie besteht aus ungefähr elf einseitigen, vervielfältigten Schreibmaschinenseiten. Ich beginne mit dem dritten Absatz der eidesstattlichen Erklärung:

»Bereits im Jahre 1933, während meiner Dienstzeit in Deutschland, gaben die deutschen und Nazi-Verbindungen, die ich in den höchsten und in den nachgeordneten Schichten besaß, Deutschlands Absichten auf Beherrschung Südosteuropas, von der Tschechoslowakei bis zur Türkei, offen zu. Wie sie offen erklärten, war das Ziel im Falle Österreichs und der Tschechoslowakei eine Gebietsausdehnung. Das eingestandene Ziel in den ersten Stadien des Nazi-Regimes war für den Rest Südosteuropas die politische und wirtschaftliche Kontrolle, und sie sprachen zu jener Zeit nicht so bestimmt von tatsächlicher Einverleibung und Vernichtung der Souveränität. Ihr Ehrgeiz war jedoch nicht auf Südosteuropa beschränkt. Gleich von Anfang des Jahres 1933 und sogar bevor die Nazis zur Macht kamen, sagten wichtige Nazis, wenn die Ukraine zur Sprache kam, ganz offen, daß sie ›unsere Getreidekammer sein müsse‹, und daß ›sogar mit Südosteuropa unter unserer Kontrolle Deutschland den größeren Teil der Ukraine benötigt und braucht, um das Volk Großdeutschlands zu ernähren‹. Nachdem ich Mitte des Jahres 1934 Deutschland wegen meines Postens in Österreich verließ, empfing ich weitere Berichte über die deutschen Pläne für Südosteuropa. Während einer Unterhaltung mit von Papen, die kurz nach seiner Ernennung zum Deutschen Gesandten in Österreich im Jahre 1934 stattfand, erklärte dieser mir gegenüber offen: ›Südosteuropa bis zur Türkei stellt Deutschlands Hinterland dar und ich bin dazu bestimmt worden, die Aufgabe, es in das Deutsche Reich einzuverleiben, durchzuführen. Österreich ist das erste Land im Programm‹. Wie ich durch meine diplomatischen Kollegen hörte, machte von Papen bereits im Jahre 1935 in Wien, und sein Kollege von Mackensen in Budapest, ganz offen Propaganda für die Idee der Zerstückelung und schließlichen Einverleibung der Tschechoslowakei.«

Ich lasse nun einen kurzen Absatz weg und fahre fort:

»Sofort nach ihrer Machtübernahme begannen die Nazis ein ungeheures Aufrüstungsprogramm. Dies war eines der ersten und unmittelbaren Ziele des Nazi-Regimes. Es ist Tatsache, daß die beiden unmittelbaren Ziele des Nazi-Regimes bei der Machtübernahme, gemäß ihren mir gegenüber häufig gegebenen Erklärungen, zunächst sein mußten und waren: die Herstellung ihrer vollständigen und absoluten Machtstellung über Deutschland und das deutsche Volk, so daß diese in jeder Hinsicht willige und fähige Werkzeuge des Regimes zur Durchführung seiner Ziele würden; und zweitens die Herstellung einer ungeheuren Kriegsmacht innerhalb Deutschlands, um damit das politische und wirtschaftliche Programm in Südosteuropa und in Europa, falls notwendig mittels Gewalt, aber vorzugsweise mittels Gewaltandrohung, durchgeführt werden konnte. Es war charakteristisch, daß sie bei der Durchführung dieses zweiten Zieles ganz von Anfang an den Aufbau einer übermächtigen Luftwaffe betonten. Göring und Milch sagten mir oder in meiner Anwesenheit oft, daß die Nazis beschlossen hätten, sich auf die Luftmacht als die Terrorwaffe, die Deutschland am wahrscheinlichsten eine beherrschende Stellung geben würde und als die Waffe, die am schnellsten und in kürzester Zeit entwickelt werden könnte, zu konzentrieren....

Zu derselben Zeit, zu der dieses Aufrüstungsprogramm vor sich ging, ergriff das Nazi-Regime alle möglichen Maßnahmen, um das deutsche Volk in psychologischer Hinsicht auf den Krieg vorzubereiten. Man sah zum Beispiel überall in Deutschland deutsche Jugend aller Altersstufen, die mit militärischen Übungen, Exerzieren, Feldmanöver und Übungen im Handgranatenwerfen usw. beschäftigt waren. In diesem Zusammenhang schrieb ich im November 1933 in einem offiziellen Bericht von Berlin das Folgende:

... Alles, was heute im Lande getan wird, geschieht in der Absicht, dem deutschen Volk den Glauben zu geben, daß Deutschland in jeder Lebensbeziehung von äußeren Einflüssen und anderen Ländern bedroht ist. Alles wird dazu getan, um dieses Gefühl zur Aneiferung der militärischen Ausbildung und der militärischen Übungen zu benützen, und ungezählte Maßnahmen werden ergriffen, um das deutsche Volk zu einer kräftigen, starken Rasse zu entwickeln, der es möglich sein wird, allen Gegnern die Stirn zu bieten. Der militärische Geist wächst beständig. Es kann nicht anders sein. Deutschlands Führer haben heute keinen Wunsch für Frieden, es sei denn, es wäre ein Friede, den die Welt auf Kosten einer vollständigen Erfüllung deutscher Wünsche und ehrgeiziger Ziele macht. Hitler und seine Gefährten wünschen für den Augenblick tatsächlich und aufrichtig Frieden, aber nur um die Möglichkeit zu haben, Vorbereitungen für die Gewaltmaßnahmen zu treffen, falls diese schließlich für notwendig befunden werden sollten. Sie bereiten ihren Weg so sorgfältig vor, daß für mich kein Bedenken besteht, daß das deutsche Volk mit ihnen sein wird, wenn sie Gewalt anzuwenden wünschen und wenn sie glauben, die zur Durchführung ihrer Ziele notwendigen Mittel zu besitzen.‹...«

Ein weiterer Satz, den ich anführen will:

»Man hat militärische und psychologische Vorbereitungen mit diplomatischen Vorbereitungen verbunden, die darauf abzielten, ihre beabsichtigten Opfer uneinig zu machen und zu isolieren, um sie gegen deutsche Angriffe verteidigungslos zu machen.«

Im Jahre 1933 sah sich Deutschland erheblichen politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten gegenüber. Frankreich war die beherrschende Militärmacht auf dem europäischen Kontinent. Es hatte ein System gegenseitiger Beistandsverträge mit dem Osten und dem Westen aufgebaut.

Der Pakt von Locarno im Jahre 1925 ergänzte das französisch-belgische Bündnis und garantierte den status quo im Westen. Jugoslawien, Rumänien und die Tschechoslowakei waren in der kleinen Entente vereinigt, und jedes dieser Länder war mit Frankreich durch einen gegenseitigen Beistandspakt verbunden. Von 1922 an bestand zwischen Frankreich und Polen ein Pakt gegen äußere Angriffe. Italien hatte sein besonderes Interesse an der Unabhängigkeit Österreichs klar dargelegt.

Nazi-Deutschland begann einen energischen, diplomatischen Feldzug, um die bestehenden Bündnisse und Verständigungen über den Hauten zu werfen und Spaltungen zwischen den Mitgliedern der kleinen Entente und anderen europäischen Mächten des Ostens hervorzurufen.

Nazi-Deutschland arbeitete diesen Bündnissen, insbesondere mit Versprechungen wirtschaftlicher Vorteile für Zusammenarbeit mit Deutschland, entgegen. Einigen dieser Länder bot es mit übertriebenen Versprechungen territoriale und wirtschaftliche Belohnungen an. Es bot Kärnten in Österreich den Jugoslawen an. Es bot Teile der Tschechoslowakei Ungarn und Polen an. Es versprach Ungarn jugoslawisches Gebiet und gleichzeitig Jugoslawien ungarische Territorien.

Herr Messersmith bemerkt in seiner eidesstattlichen Erklärung 2385-PS auf Seite 5:

»Österreich und die Tschechoslowakei standen auf dem deutschen Angriffsprogramm an erster Stelle. Schon 1934 begann Deutschland, die Nachbarn dieser Länder durch Versprechungen von Anteilen an der Beute zu werben. Insbesondere bot man Kärnten den Jugoslawen an. Bezüglich der jugoslawischen Reaktion berichtete ich zu jener Zeit:

... Der Hauptfaktor in der internen Lage in der letzten Woche war die Zunahme der Spannung, die sich im Hinblick auf die österreichischen Nazi-Flüchtlinge in Jugoslawien ergab....

Es besteht nur sehr geringer Zweifel, daß Göring auf seiner Tour durch die verschiedenen Hauptstädte Südosteuropas vor sechs Monaten den Jugoslawen sagte, daß sie Teile von Kärnten erhalten würden, sobald eine Nazi-Regierung in Österreich zur Macht käme... Diese in Jugoslawien gesäte Nazi-Saat war hinreichend, um Unruhe zu verursachen, und es gibt zweifellos viele Leute dort, die eine gute Portion Wohlwollen diesen Nazi-Flüchtlingen entgegenbringen, welche sich nach den Tagen des 25. Juli nach Jugoslawien begaben.‹ Deutschland machte ansehnliche Versprechungen territorialer Gewinne an Ungarn und Polen, um ihre Mitarbeit zu gewinnen oder zumindest die Duldung der vorgeschlagenen Zerstückelung der Tschechoslowakei. Wie ich von meinen diplomatischen Kollegen in Wien erfuhr, haben von Papen und von Mackensen in Wien und Budapest 1935 die Idee der Aufteilung der Tschechoslowakei verbreitet, in welcher Deutschland Böhmen, Ungarn die Slowakei und Polen den Rest erhalten sollten. Diese Länder unterlagen jedoch nicht dieser Täuschung, denn sie wußten, daß die Absicht von Nazi- Deutschland darin lag, alles zu nehmen.

Die deutsche Nazi-Regierung zögerte nicht, unvereinbare Versprechungen zu machen, sobald es im Interesse ihrer unmittelbaren Ziele lag. Ich erinnere mich, daß mir der jugoslawische Gesandte in Wien 1934 oder 1935 sagte, daß Deutschland Ungarn Versprechungen jugoslawischer Gebietsteile, und zu gleicher Zeit Jugo slawien Versprechungen ungarischer Gebietsteile, gemacht hatte. Dieselbe Information wurde mir später von dem Ungarischen Gesandten in Wien gegeben.

Ich möchte hier in diesem Bericht hervorheben, daß die Leute, die diese Versprechungen machten, nicht nur waschechte Nazis, sondern mehr konservative Deutsche waren, die schon begonnen hatten, sich willig dem Nazi-Programm zur Verfügung zu stellen. Ich schrieb am 10. Oktober 1935 von Wien dem State-Department in einem offiziellen Bericht, wie folgt:

... Europa wird von der Mythe nicht abkommen, daß Neurath, Papen und Mackensen ungefährliche Leute und Diplomaten der alten Schule sind. Sie sind tatsächlich sklavische Instrumente des Regimes, und gerade weil die Außenwelt sie für harmlos hält, ist es ihnen möglich, wirkungsvoller zu arbeiten. Es ist Ihnen möglich, Uneinigkeit zu säen, gerade weil sie die Fabel verbreiten, daß sie keine Sympathie für das Regime haben‹.«

Ich finde diesen letzten Absatz sehr wichtig und der besonderen Betonung wert. Mit anderen Worten: Nazi-Deutschland war in der Lage, diese Spaltungen zu betreiben und seine eigene Angriffsstärke zu erhöhen, indem es Vertreter benützte, die äußerlich bloß konservative Diplomaten zu sein schienen. Es ist richtig, daß sich die Nazis öffentlich über die Idee von internationalen Verpflichtungen lustig machten, und ich werde dies sofort beweisen. Es ist richtig, daß die stärkste Trumpfkarte in Deutschlands Händen seine Aufrüstung und mehr als das, seine Bereitschaft zum Kriege war. Und dennoch war die, Haltung der verschiedenen Staaten nicht durch diese Überlegungen allein beeinflußt.

Wir werden diesen Ländern und all diesen Persönlichkeiten verstandesmäßig nicht immer vollständig gerecht. Wir sind geneigt, das zu glauben, was wir glauben wollen. Und wenn eine scheinbar ernstzunehmende und konservative Persönlichkeit, wie der Angeklagte von Neurath, solche Dinge sagt, ist man geneigt, es zu glauben, oder wenigstens auf Grund dieser Hypothese zu handeln. Es wäre um so wirkungsvoller, wenn man unter dem Eindruck stünde, daß die betreffende Person kein Nazi sei, der sich nicht zur Ausführung der Nazi-Pläne hergeben würde.

Deutschlands Annäherung an England und Frankreich geschah aber nur im begrenzten Maße als Friedenspreis. Es unterzeichnete einen Vertrag mit England zwecks Einschränkung der Rüstungen zur See und verhandelte wegen des Locarno-Luftpaktes.

In diesen Verhandlungen sowohl mit England als auch Frankreich schraubten sie ihre Forderungen herunter und kamen stets auf das Thema »Furcht vor dem Kommunismus und dem Krieg« zurück.

Die Unangreifbarkeit internationaler Verpflichtungen beunruhigte Deutschland nicht im mindesten, als es diese verschiedenen Versprechungen machte. Führende Nazis, einschließlich Göring, Frick und Frank, erklärten Herrn Messersmith offen, daß Deutschland seine internationalen Verpflichtungen nur so lange einhalten werde, als dies im Interesse Deutschlands sei.

Ich verlese aus dieser eidesstattlichen Erklärung, Dokument 2385-PS, Seite 4, beginnend mit Zeile 10:

»Hochgestellte Nazis, mit denen ich offizielle Verbindung aufrecht zu erhalten hatte, besonders solche Leute wie Göring, Goebbels, Ley, Frick, Frank, Darre und andere, spotteten wiederholt über meine Einstellung zu dem bindenden Charakter von Abmachungen, und sie haben mir ganz offen bestätigt, daß Deutschland nur solange internationale Abmachungen einhalten werde, wie es in seinen Interessen läge. Obwohl diese Feststellungen mir gegenüber, und wie ich sicherlich annehme auch anderen gegenüber, so offen gemacht wurden, haben diese Nazi-Führer wirklich nicht irgendwelche Geheimnisse preisgegeben, denn bei vielen Gelegenheiten haben sie diese Ideen öffentlich zum Ausdruck gebracht.«

Frankreich und Italien arbeiteten aktiv im Südosten Europas den deutschen Bestrebungen entgegen.