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MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Ich komme nun zur Darstellung der Ereignisse, die ihren Höhepunkt in der deutschen Invasion von Österreich am 12. März 1938 erreichten, und möchte im besonderen die Vorbereitungen der deutschen und österreichischen Nationalsozialisten für die Volksabstimmung behandeln.

Am Tage nach seiner Ernennung zum österreichischen Innenminister flog Seyß-Inquart nach Berlin zu einer Konferenz mit Hitler. Ich bitte den Gerichtshof, die offizielle deutsche Verlautbarung zu amtlicher Kenntnis zu nehmen, die diesen Besuch Seyß-Inquarts erwähnt; siehe Band 6, Teil 1, Seite 123, »Dokumente der deutschen Politik«, Nr. 21 c. Eine Abschrift derselben ist identisch mit unserem Dokument 2484-PS.

Am 9. März 1938, drei Wochen nachdem der Angeklagte Seyß-Inquart die österreichische Polizei übernahm und dadurch in der Lage war, ihre Stellungnahme den österreichischen Nationalsozialisten gegenüber zu beeinflussen, drei Wochen nachdem die Nazis ihr neugewonnenes Ansehen und ihre Position im Hinblick auf weitere Siege ausnützten, erließ Schuschnigg eine wichtige Ankündigung.

Am 9. März 1938 verkündete Schuschnigg, daß er am kommenden Sonntag, den 13. März 1938, in ganz Österreich eine Volksabstimmung abhalten lassen werde. Die zur Abstimmung vorzulegende Frage lautete: »Sind Sie für ein unabhängiges, soziales, christliches, deutsches und geeinigtes Österreich?« Die Antwort »Ja« war gewiß vereinbar mit dem mit der Deutschen Regierung geschlossenen Abkommen vom 11. Juli 1936, das am 12. Februar 1938 in Berchtesgaden erweitert wurde. Außerdem hatten die Nazis selbst seit langer Zeit eine Abstimmung über die Anschlußfrage verlangt. Jedoch nahmen die Nazis die Wahrscheinlichkeit einer starken »Ja«-Mehrheit über die von Schuschnigg in der Abstimmung vorgelegte Frage an, und sie konnten die Möglichkeit einer derartigen Vertrauenserklärung für die Regierung Schuschnigg nicht dulden.

In jedem Falle nahmen sie, wie die Ereignisse zeigten, diese Gelegenheit wahr, die österreichische Regierung zu stürzen. Obwohl die Volksabstimmung nicht vor dem Abend des 9. März verlautbart wurde, erhielt die Nazi-Organisation davon schon an diesem frühen Tage Kenntnis. Die Nazis faßten den Entschluß, Hitler über ihr Verhalten in dieser Lage zu befragen (das heißt, die österreichischen Nazis) und ein Protestschreiben Seyß-Inquarts an Schuschnigg zu richten; Seyß-Inquart sollte in Erwartung von Hitlers Zustimmung vorschützen, mit Schuschnigg über die Einzelheiten der Abstimmung zu verhandeln.

Diese Information ist im Bericht des Gauleiters Rainer an Reichskommissar Bürckel vollständig enthalten, der, wie ich erwähnte, an Seyß-Inquart übermittelt wurde, und der bereits als Beweismittel aufgenommen wurde, unsere Urkunde 812-PS, US-61.

Ich verlese kurz von Seite 7 des englischen Textes. Der Absatz beginnt auf Seite 11 des deutschen Originals:

»Durch den illegalen Nachrichtenapparat kam am Mittwoch, den 9. März, um 10 Uhr vormittags, die Nachricht von der geplanten Abstimmung nebst genauen Unterlagen in die Hand der Landesleitung. Bei der sofort anberaumten Besprechung erklärte sich Dr. Seyß als zwar seit wenigen Stunden informiert, aber durch Ehrenwort zum Schweigen verpflichtet. Er gab jedoch durch seine Haltung bewußt und unzweideutig zu erkennen, daß die illegale Information stimmte und arbeitete vom Beginn an in der Ausnützung der gegebenen Situation auf das Engste mit der Landesleitung zusammen. Bei der ersten Besprechung um 10 Uhr waren zugegen: Klausner, Jury, Rainer, Globocnik und Seyß-Inquart. Es wurde festgelegt, daß als erstes der Führer informiert werden müsse, zweitens durch eine offizielle Erklärung des Ministers Seyß an Schuschnigg dem Führer die Möglichkeit der Intervention in Österreich gebo ten werden müsse und drittens Seyß solange mit der Regierung zu verhandeln hätte, bis vom Führer Weisungen oder Klarstellungen erfolgt sein werden. Seyß verfaßte gemeinsam mit Rainer den Brief an Schuschnigg, dessen einzige Abschrift Globocnik auf dem Luftwege dem Führer am Nachmittag des 9. März überbrachte.... – Die Besprechungen mit der Regierung ergaben keine brauchbaren Erfolge und wurden von Seyß am 10., nachmittags, über eine... Weisung des Führers eingestellt. Bereits am 10. wurden Vorbereitungen für eine revolutionäre Aktion der Partei... getroffen, die nötigen Befehle an die Formationsführer ausgegeben.... In der Nacht vom 10. auf den 11. war Globocnik vom Führer zurückgekommen mit der Mitteilung, daß die Partei... Handlungsfreiheit besäße und daß der Führer hinter ihr stehen werde.« (Das heißt die österreichische Nazi-Partei.)

Als nächstes kommen Deutschlands tatsächliche Vorbereitungen für die Invasion und die Anwendung von Gewalt.

Als die Kunde von der Volksabstimmung Berlin erreichte, löste sie eine fieberhafte Tätigkeit aus. Hitler, wie der Geschichte bekannt ist, war entschlossen, die Volksabstimmung nicht zu dulden. Daher berief er seine militärischen Ratgeber und befahl die Vorbereitung des Einmarsches nach Österreich.

Auf diplomatischem Gebiete sandte er einen Brief an Mussolini, in dem er darlegte, warum er im Begriff stehe, in Österreich einzumarschieren; und in Abwesenheit des Angeklagten Ribbentrop (der in London vorübergehend zurückgehalten war) übernahm der Angeklagte von Neurath wieder die Obliegenheiten des Auswärtigen Amtes.

Die spärlichen und irgendwie unzusammenhängenden Aufzeichnungen in General Jodls Tagebuch geben einen anschaulichen Bericht des Treibens in Berlin. Ich lese aus seinen Eintragungen vom 10. März 1938:

»10. 3. Schuschnigg hat überraschend und ohne Beteiligung seiner Minister einen Volksentscheid für Sonntag 13. 3. angeordnet, der ohne planmäßige Vorbereitung einen hohen Sieg der gesetzmäßigen Partei ergeben soll. Führer ist entschlossen, das nicht zu dulden. Noch in der Nacht 9./10. 3. Bericht an Göring, General von Reichenau wird aus Kairo (Olymp-Komitee) zurückgerufen, General von Schobert bestellt, ebenso Minister Glaise-Horstenau, der bei Gauleiter Bürckel in der Pfalz ist.

Dies teilt General Keitel mir 9.45 mit. Er fährt 10.00 in die Reichskanzlei. Ich 10.15 auf Wunsch Generals von Viebahn hinterher, um ihm noch alle Entwürfe mitzugeben. Fall ›Otto‹ vorbereiten.

13.00 General K« – ich glaube, daß offenbar Keitel damit gemeint ist – »orientiert Chef Führungsstab und Admiral Canaris.

Ribbentrop ist in London zurückgehalten.

Neurath übernimmt A.A. (Auswärtiges Amt).

Führer will Österr. Regierung Ultimatum übermit teln.

Ein pers. Brief geht an Mussolini unter Darlegung der Gründe, die den Führer zum Handeln zwingen. 18.30 ergeht Mob. Befehl für AOK 8 (Gen. Kdo. 3) VII und XIII. A.K. ohne Ersatzheer.«

Dokument Nummer 1780-PS, Beweisstück US-72.

Hier möchte ich hervorheben, daß der Angeklagte von Neurath in dieser kritischen Stunde als Außenminister fungierte. Im Februar zuvor war der Angeklagte von Ribbentrop Außenminister geworden, und der Angeklagte von Neurath wurde Präsident des Geheimen Kabinettsrats. Aber in dieser kritischen Stunde der Außenpolitik war von Ribbentrop in London, wo er über die diplomatischen Folgen der österreichischen Aktion verhandelte. Deshalb nahm in dieser Stunde der Aggression, welche Mobilisierung, Truppenverschiebungen, Gewaltanwendung, Drohung, die Unabhängigkeit eines benachbarten Landes zu zerstören, mit sich brachte, der Angeklagte von Neurath seine frühere Stellung als Außenminister in der Nazi- Verschwörung wieder auf.

Ich lege jetzt als Beweismaterial Urkunde C-102, US-74, eine erbeutete deutsche Urkunde, vor, geheime Kommandosache, Richtlinien des Oberkommandos der Wehrmacht vom 11. März 1938. Dieser Befehl Hitlers trägt die Initialen der Angeklagten Jodl und Keitel, und enthält Hitlers politische und militärische Absichten. Ich zitiere 1, 4 und 5 dieser Weisung. Zuerst die Überschrift: »Der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht« und einige Initialen, betrifft »Unternehmen Otto«, 30 Ausfertigungen. Dieses ist die elfte Ausfertigung.

»Geheime Kommandosache, Weisung Nr. 1.

1. Ich beabsichtige, wenn andere Mittel nicht zum Ziele führen, mit bewaffneten Kräften in Österreich einzurücken, um dort verfassungsmäßige Zustände herzustellen und weitere Gewalttaten gegen die deutschgesinnte Bevölkerung zu unterbinden.

4. Die für das Unternehmen bestimmten Kräfte des Heeres und der Luftwaffe müssen ab 12. März 1938 spätestens 12.00 Uhr einmarsch- beziehungsweise einsatzbereit sein. Die Genehmigung zum Überschreiten und Überfliegen der Grenze und die Festsetzung des Zeitpunktes hierfür behalte ich mir vor.

5. Das Verhalten der Truppe muß dem Gesichtspunkt Rechnung tragen, daß wir keinen Krieg gegen ein Brudervolk führen wollen. Es liegt in unserem Interesse, daß das ganze Unternehmen ohne Anwendung von Gewalt in Form eines von der Bevölkerung begrüßten friedlichen Einmarsches vor sich geht. Daher ist jede Provokation zu vermeiden. Sollte es aber zu Widerstand kommen, so ist er mit größter Rücksichtslosigkeit durch Waffengewalt zu brechen.«

Ich unterbreite als Beweismaterial auch das erbeutete Dokument C-103, US-75. Es stellt eine Ausführungsanweisung des Angeklagten Jodl dar und sieht das folgende vor:

»Geheime Kommandosache; 11. März 1938; 40 Ausfertigungen, sechste Ausfertigung.

Besondere Anordnung Nr. 1 zu: ›Der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht, Nr. 427/38‹« – nebst einigen Zeichen.

»Weisung für das Verhalten gegen tschechoslowakische und italienische Truppen oder Milizverbände auf österreichischem Boden.

1. Werden tschechoslowakische Truppen oder Milizverbände in Österreich angetroffen, so sind sie als Feind zu betrachten.

2. Die Italiener sind allerorts als Freunde zu begrüßen, zumal Mussolini sich an der Lösung der österreichischen Frage uninteressiert erklärt hat.

Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht