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[Der britische Hauptanklagevertreter gab zu verstehen, daß er keine Fragen zu stellen habe.]

VORSITZENDER: Möchten Sie irgendwelche Fragen stellen, Dr. Nelte?

DR. NELTE: Der Zeuge Lahousen hat sehr wichtige Aussagen gemacht, die insbesondere den von mir vertretenen Angeklagten Keitel schwer belasten.

VORSITZENDER: Beabsichtigen Sie, jetzt länger zu sprechen?

DR. NELTE: Der Angeklagte wünscht nun dem Zeugen zahlreiche Fragen vorzulegen, nachdem er erst mit mir gesprochen hat. Ich bitte den Gerichtshof deshalb zu gestatten, daß entweder jetzt eine längere Pause eintritt oder, daß er bei Gelegenheit der nächsten Sitzung die Fragen im Kreuzverhör stellt.

VORSITZENDER: Sehr gut, Sie sollen Gelegenheit haben, den Zeugen morgen um 10.00 Uhr ins Kreuzverhör zu nehmen.

Möchte jetzt ein Mitglied des Gerichtshofs Fragen an den Zeugen stellen?

MR. FRANCIS BIDDLE, MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Ich möchte den Zeugen fragen, ob die Befehle zur Tötung von Russen und im Zusammenhang damit die Behandlung der Gefangenen schriftlich gegeben wurden.

LAHOUSEN: Meiner Ansicht nach ja. Doch ich habe sie selbst nicht gesehen oder gelesen.

MR. BIDDLE: Waren dies offizielle Befehle?

LAHOUSEN: Ja, das waren offizielle Befehle, in denen, natürlich in Umschreibungen, das Tatsächliche zum Ausdruck gebracht wurde. Denn über diese Befehle wurde ja von Reinecke und anderen gesprochen; ich bin dadurch über das Wesentliche dieser Befehle orientiert worden. Daher stammt ja mein Wissen. Ich habe sie selbst damals nicht gelesen, aber daß das nicht mündliche Vereinbarungen waren, das wußte ich ja, weil sie ja erläutert wurden. Also ich wußte, daß irgend etwas da war, konnte nur nicht sagen und kann nicht sagen, ob es ein oder mehrere Befehle waren, oder von wem sie unterschrieben waren; das kann ich nicht sagen und habe es nicht behauptet. Ich habe nur dieses mein Wissen, das aus Besprechungen und Berichten herrührt, aus denen ich die Tatsache des Vorhandenseins von Befehlen ganz klar deduzieren konnte, wiedergegeben.

MR. BIDDLE: Wissen Sie, an wen oder an welche Organisationen diese Befehle gewöhnlich gerichtet waren?

LAHOUSEN: Befehle solch grundsätzlicher Art sind an das OKW gegangen, da sie Dinge beinhaltet haben, die die Frage des Kriegsgefangenenwesens beim OKW berührten und berühren mußten, insbesondere zu Reinecke. Daher auch die Besprechung bei Reinecke.

MR. BIDDLE: Also gewöhnlich haben die Mitglieder oder einige der Mitglieder des Generalstabs von solchen Befehlen gewußt?

LAHOUSEN: Von diesem Befehl und von dem, was ich gesagt habe, haben natürlich dem wesentlichen Inhalt nach damals sehr viele Angehörige der Wehrmacht gewußt, denn die Reaktion in der Wehrmacht gerade gegen diesen Befehl war eine ganz ungeheure. Über dieses Thema ist, abgesehen von rein dienstlichen Kreisen, worüber ich hier bereits berichtet habe, auch in den Kasinos und ansonsten sehr viel gesprochen worden, weil das alles Dinge waren, die nach außen hin, und zwar in unliebsamster Form und in unliebsamer Auswirkung besonders auf die Truppe in Erscheinung getreten waren. Es haben ja auch namentlich an der Front Offiziere, höhere Offiziere, diese Befehle entweder nicht weitergegeben oder in irgendeiner Form umgangen. Darüber ist ja auch damals schon gesprochen worden. Ich habe einige dieser Offiziere genannt, teils sind sie in Aufzeichnungen, dem Tagebuch usw. festgehalten. Es war ja nicht eine alltägliche Angelegenheit, sondern es war zu dieser Zeit das Gesprächsthema.

MR. BIDDLE: Und waren die Befehle den Führern der SA und des SD bekannt?

LAHOUSEN: Sie müßten ihnen bekannt gewesen sein, weil die einfachen Soldaten, die Zeugen der Ereignisse waren, darüber sprachen. Es war ja auch der Bevölkerung zum Teil bekannt. Es sind Leute aus dem Volk gekommen, die von verwundeten Soldaten, die von der Front kamen, noch viel mehr Einzelheiten erfahren haben, als ich sie hier geben konnte.

VORSITZENDER: General Nikitschenko möchte eine Frage stellen.

GENERALMAJOR I. T. NIKITSCHENKO, MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE SOWJETUNION: Sie haben gesagt, daß Sie über die Ermordung von Kriegsgefangenen und über unmenschliche Behandlung derselben Instruktionen erhalten haben? Erhielten Sie diese Befehle von Reinecke?

LAHOUSEN: Ja, nur muß ich etwas richtigstellen; nicht ich habe und nicht das Amt Ausland/Abwehr hat den Auftrag erhalten, weil wir damit nichts zu tun hatten, sondern ich hatte nur Kenntnis von der Sache und war zu dieser Besprechung als Vertreter des Amtes Ausland/Abwehr befohlen. Wir selbst hatten mit der Behandlung der Kriegsgefangenen nichts und schon gar nichts im negativen Sinne zu tun.

GENERALMAJOR NIKITSCHENKO: Wurden außerhalb dieser Besprechungen, den Besprechungen des Oberkommandos, jemals solche Anordnungen gegeben? Gab es irgendwelche Besprechungen im Oberkommando über Ermordungen und Mißhandlungen von Kriegsgefangenen?

LAHOUSEN: Es fanden sicher Besprechungen über dieses Thema statt; ich war aber nur bei einer anwesend, die ich schilderte, und ich kann nichts weiter darüber sagen.

GENERALMAJOR NIKITSCHENKO: Im Hauptquartier?

LAHOUSEN: Im OKW.

GENERALMAJOR NIKITSCHENKO: Im Oberkommando der deutschen Wehrmacht?

LAHOUSEN: Selbstverständlich im OKW, wo das Amt Ausland/ Abwehr in der Vertretung meiner Person schon auf Grund seiner Proteste herangezogen war, weil unser Amt ja mit Kriegsgefangenen in diesem Sinne nichts zu tun hatte, sondern ganz im Gegenteil, aus rein sachlichen und ganz natürlich erklärlichen Gründen, an einer ordentlichen Behandlung der Gefangenen interessiert war.

GENERALMAJOR NIKITSCHENKO: Aber diese Besprechungen handelten nicht von einer guten Behandlung der Gefangenen, sondern vielmehr von Mißhandlungen und Tötungen? War Ribbentrop bei diesen Verhandlungen auch zugegen?

LAHOUSEN: Nein, unter keinen Umständen. Diese Besprechung, das heißt, die Besprechung, für die ich Zeugnis ablege, fand auf Grund vollzogener Tatsachen statt. Alles war schon geschehen, die Exekutionen waren schon erfolgt. Da haben sich die Auswirkungen gezeigt: da sind schon Proteste, Gegenvorstellungen in jeder möglichen Form, von der Front und von anderer Stelle, z.B. vom Amt Ausland/Abwehr, erfolgt. Diese Besprechung sollte die bereits ergangenen Befehle und bereits durchgeführten Maßnahmen rechtfertigen. Das erfolgte ja auch zeitlich nach Beginn der Operationen, nachdem also die Befehle, die in dieser Frage ergangen waren, sich bereits ausgewirkt hatten und alles das, was ich gestreift oder besprochen habe, bereits geschehen war und sich im übelsten Sinne ausgewirkt hatte. Es ist also in jeder Hinsicht über die vollzogene Tatsache gesprochen worden mit dem Ziel, noch ein letztes Mal den Versuch zu machen, von unserer Seite aus die Sache rückgängig zu machen.

GENERALMAJOR NIKITSCHENKO: Haben alle diese Besprechungen Resultate gezeitigt?

LAHOUSEN: Darüber habe ich gesprochen, das war das Thema der Besprechung mit Reinecke, an der ich teilnahm. An anderen habe ich nicht teilgenommen und kann daher auch nichts sagen.

GENERALMAJOR NIKITSCHENKO: Bei welch anderen Besprechungen wurden Befehle zur Vernichtung der Ukrainer und zum Niederbrennen von Ortschaften in Galizien gegeben?

LAHOUSEN: Ich muß diese Frage, die der General meint, klarstellen. Bezieht er sich auf die Besprechung im Führerzug 1939, zeitlich vor dem Fall von Warschau? Nach den Eintragungen im Tagebuch von, Canaris fand sie am 12. September 1939 statt. Der Sinn dieses Befehls oder der Anweisung, die von Ribbentrop ausging, von Keitel an Canaris weitergegeben war und dann in kurzer Unterredung nochmals von Ribbentrop Canaris gegenüber aufgezeigt wurde, war folgende: Die Organisationen nationaler Ukrainer, mit denen das Amt Ausland/Abwehr im militärischen Sinne, also im Sinne militärischer Operationen zusammenarbeitete, sollten in Polen eine Aufstandsbewegung hervorrufen – in Polen mit den Ukrainern. Die Aufstandsbewegung sollte den Zweck haben, Polen und Juden, also vor allem Elemente oder Kreise, um die es sich ja bei diesen Besprechungen immer wieder drehte, auszurotten. Wenn Polen gesagt ist, sind in erster Linie die Intelligenz und alle diejenigen Kreise, die als Träger des nationalen Widerstandswillens zu bezeichnen sind, gemeint gewesen. Das war der Auftrag, der an Canaris ergangen war in dem Zusammenhang, wie ich ihn geschildert habe, und wie er in der Aktennotiz festgehalten wurde. Die Idee war nicht, Ukrainer zu töten, sondern im Gegenteil mit ihnen zusammen diese Aufgabe, die rein politischer und terroristischer Natur war, durchzuführen. Die Zusammenarbeit und das, was tatsächlich durch das Amt Ausland/Abwehr und diese Leute, etwa 500 oder 1000, geschehen ist, ist aus dem Tagebuch einwandfrei zu ersehen. Das war eine reine Vorbereitung für die militärische Störaufgabe.

GENERALMAJOR NIKITSCHENKO: Sind diese Befehle von Ribbentrop und Keitel ausgegangen?

LAHOUSEN: Sie sind von Ribbentrop ausgegangen. Solche Befehle, die politische Zielsetzungen behandelten, konnten, gar nicht vom Amt Ausland/Abwehr ausgegeben werden, weil ja irgendwelche...

GENERALMAJOR NIKITSCHENKO: Ich fragte Sie nicht, ob sie ausgehen konnten oder nicht; ich frage nur, woher sie kamen?

LAHOUSEN: Sie sind von Ribbentrop ausgegangen, wie aus dem Aktenvermerk zu ersehen ist. Das ist der Aktenvermerk, den ich für Canaris machte.

DR. DIX: Ich habe drei kurze Fragen; darf ich sie stellen?

VORSITZENDER: Es ist jetzt vier Uhr vorbei, und wir müssen noch die Anträge des Angeklagten Heß hören; der Gerichtshof muß sich jetzt dieser Sache widmen. Ich glaube, Sie verschieben sie besser bis morgen.