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[Das Gericht setzt die Verhandlung für

10 Minuten aus.]

[Alle Angeklagten mit Ausnahme von Heß

verlassen den Gerichtssaal]

VORSITZENDER: Ich fordere den Verteidiger des Angeklagten Heß auf, zu sprechen.

DR. GÜNTHER VON ROHRSCHEIDT, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN HESS: Hohes Gericht, ich spreche hier für den Angeklagten Heß als Verteidiger. Die nunmehr anstehende Verhandlung gegen den Angeklagten Heß hat allein über die Frage zu entscheiden, ob der Angeklagte verhandlungsfähig, beziehungsweise verhandlungsunfähig ist, und darüber hinaus, ob die Voraussetzung vorliegt, daß er überhaupt unzurechnungsfähig sein könnte. Das Gericht hat diesen juristischen Begriff in dem Ersuchen an die Gutachter zwecks Erstattung eines Gutachtens dahin formuliert, daß es den Gutachtern aufgegeben hat, sich hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit zu äußern:

1. ob der Angeklagte zur Anklageschrift Stellung nehmen kann;

2. hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit hat es die Frage so formuliert: »ist der Angeklagte geistig gesund oder nicht?«

Zu der Frage, ob der Angeklagte verhandlungsfähig ist, beziehungsweise nach der Formulierung des Gerichts, »ob er zur Anklageschrift Stellung nehmen kann«, hat das Hohe Gericht den Gutachtern eine Spezialfrage dahingehend gestellt, ob der Angeklagte genügend Verständnis besitzt, um den Verhandlungsverlauf zu erfassen, um sich richtig zu verteidigen, um einen Zeugen zu befragen, gegen den er Einwendungen zu erheben hat, und um Einzelheiten der Beweisführung zu verstehen.

Die Sachverständigen, an die der Auftrag ergangen ist, haben in verschiedenen Kommissionen den Angeklagten Heß an einigen Tagen untersucht und dem Gericht ein Gutachten unterbreitet, das zu diesen Fragen Stellung nimmt. Ich als Verteidiger des Angeklagten muß pflichtgemäß auf Grund des Studiums dieser Gutachten, mit denen ich mich leider infolge der Kürze der Zeit nicht so eingehend befassen konnte, wie es vielleicht wünschenswert erschiene, in Verbindung mit meinen Erfahrungen und der Kenntnis, die ich persönlich mit dem Angeklagten Heß in den fast täglichen Besprechungen gemacht habe, die Überzeugung aussprechen, daß der Angeklagte Heß verhandlungsunfähig ist. Ich bin daher pflichtgemäß gezwungen, für den Angeklagten Heß folgende Anträge zu stellen:

1. Das Verfahren gegen den Angeklagten Heß durch Beschluß vorläufig einzustellen.

2. Im Falle der Bejahung der Verhandlungsunfähigkeit durch das Gericht bitte ich, von der Durchführung des Verfahrens in Abwesenheit des Angeklagten abzusehen.

3. Im Falle der Ablehnung des Antrags zu Punkt 1, das heißt, falls das Gericht den Angeklagten für verhandlungsfähig erachtet, bitte ich ein Obergutachten unter Hinzuziehung weiterer namhafter Psychiater einzufordern. Ich möchte bei dieser Gelegenheit, bevor ich zur Begründung meiner Anträge komme, auf Wunsch des Angeklagten vorausschicken, daß dieser persönlich sich für verhandlungsfähig hält und in dieser Beziehung auch das Gericht selbst unterrichten will.

Ich komme nun zur Begründung meines Antrags zu Punkt 1: Wenn es richtig ist, daß der Angeklagte verhandlungsunfähig ist, so muß das Hohe Gericht das Verfahren gegen den Angeklagten vorläufig einstellen. In dieser Beziehung kann ich mich zur Begründung meines Antrags nach meiner Ansicht auf die vorliegenden, dem Gericht unterbreiteten Gutachten beziehen. Im Verfolg und im Anschluß an die durch das Hohe Gericht an die Sachverständigen gerichteten Fragen kommen diese zu folgendem Ergebnis, das in dem Sachverständigengutachten, wenn ich so sagen soll, der gemischt zusammengesetzten Delegation enthalten ist. Diese setzt sich, soweit ich feststellen konnte, aus englischen, sowjetischen und amerikanischen Sachverständigen zusammen. Das Gutachten trägt das Datum vom 14. November 1945. Aus ihm zitiere ich wörtlich:

»Die Fähigkeit des Angeklagten Heß, sich zu verteidigen, einem Zeugen entgegenzutreten und die Einzelheiten der Beweisaufnahme zu verstehen, ist beeinträchtigt.«

Diese Fassung als Ergebnis des Gutachtens vom 14. November habe ich zitiert, weil es sich am engsten an die durch das Gericht an die Gutachter gerichteten Fragen anschließt. Darüber hinaus sagt ein anderes Gutachten, daß, wenn auch die Amnesie den Angeklagten nicht daran hindere, das, was um ihn herum vorgeht, zu verstehen und den Verlauf der Gerichtsverhandlung...

VORSITZENDER [unterbrechend]: Wollen Sie, bitte, etwas langsamer sprechen? Die Dolmetscher sind nicht in der Lage so schnell zu übersetzen. Wollen Sie uns, bitte, auch besonders auf die Teile der Sachverständigenberichte verweisen, auf die Sie unsere Aufmerksamkeit lenken möchten? Verstanden Sie, was ich sagte?

DR. VON ROHRSCHEIDT: Ja. Ich darf hierzu nur bemerken, daß ich nicht genau die Zitate nach der Seitenzahl des Originaltextes, beziehungsweise des englischen Textes, angeben kann, weil mir nur eine deutsche Übersetzung vorliegt. Daher kann ich nur, soweit ich eben sagte, angeben, daß das erste Zitat...

VORSITZENDER [unterbrechend]: Sie können die Worte in Deutsch lesen, und sie werden ins Englische übersetzt werden. Auf welchen Bericht verweisen Sie?

DR. VON ROHRSCHEIDT: Ich bezog mich für das wörtliche Zitat auf das Gutachten vom 14. November 1945, so wie ich aus der deutschen Übersetzung entnehmen kann, das von den Sachverständigen der englischen, sowjetischen und amerikanischen Delegation unterzeichnet zu sein scheint, und ferner auf den Begleitbericht vom 17. November 1945. Die Stelle lautet – darf ich wiederholen?:

»Die Fähigkeit des Angeklagten Heß, sich zu verteidigen, einem Zeugen entgegenzutreten, und die Einzelheiten der Beweisaufnahme zu verstehen, ist beeinträchtigt.« Ich bitte das Gericht, mir zu sagen...

VORSITZENDER: Können Sie angeben, welchen der Ärzte Sie zitieren?

DR. VON ROHRSCHEIDT: Es handelt sich um den Bericht, der nach meinem Exemplar mit dem 14. November 1945 unterzeichnet ist und vermutlich, wie ich schon sagte, von diesen sowjetischen, amerikanischen und englischen Ärzten unterzeichnet ist. Das Originalexemplar habe ich leider bei Rückgabe der Unterlagen, nachdem sie ins Deutsche übertragen wurden, gestern abend nicht mehr bekommen, und mein Versuch, es jetzt zu bekommen, ist bei der Kürze der Zeit nicht mehr geglückt.

VORSITZENDER: Hat die englische Anklagevertretung ein Exemplar, und kann sie uns sagen, welches es ist?

SIR DAVID MAXWELL-FIVE: Ich glaube, Eure Lordschaft, ich habe dieselben Schwierigkeiten wie Eure Lordschaft. Das Gutachten, das ich habe, enthält vier Ärzteberichte. Eure Lordschaft werden bemerken, daß es am Fuß des Dokuments, das die Überschrift »Order« trägt, heißt: »Abschriften von vier Ärztegutachten sind beigefügt.« Die erste davon ist von drei englischen Ärzten unterzeichnet und trägt das Datum vom 19. November. Die zweite ist ein Bericht von drei amerikanischen Ärzten und einem französischen Arzt mit dem Datum vom 20. November 1945, ferner liegt ein von drei russischen Ärzten unterzeichneter Bericht mit dem Datum vom 17. November vor. Schließlich ist noch ein von drei russischen Ärzten und einem französischen Arzt unterzeichneter Bericht mit dem Datum vom 16. November vorhanden.

Das sind diejenigen, die ich zusammen mit der gerichtlichen Anordnung in Händen habe.

VORSITZENDER: Ja, ich weiß nicht, welches der Bericht ist, auf den Sie verweisen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dr. von Rohrscheidt scheint einen nicht unterzeichneten Bericht vom 14. zu haben.

VORSITZENDER: Dr. von Rohrscheidt, haben Sie die vier Berichte, die uns wirklich vorliegen? Ich lese sie Ihnen vor: Der erste Bericht, den ich in der Hand habe, ist vom 19. November 1945 von Lord Moran, Dr. Rees und Dr. Riddock. Haben Sie ihn? Das ist der englische Bericht.

DR. VON ROHRSCHEIDT: Ich habe diesen Bericht nur in deutscher Übersetzung und nicht als Original.

VORSITZENDER: Aber wenn Sie ihn in deutscher Übersetzung haben, so ist das schon gut genug.

Dann der nächste ist datiert vom 20. November 1945, von Dr. Jean Delay, Dr. Nolan Lewis, Dr. Cameron und Oberst Paul Schröder. Haben Sie ihn?

DR. VON ROHRSCHEIDT: Jawohl.

VORSITZENDER: Das sind zwei. Dann der nächste ist vom 16. November, ist von drei russischen Ärzten und einem französischen Arzt, Dr. Jean Delay, unterzeichnet und vom 16. November datiert. Haben Sie ihn?

DR. VON ROHRSCHEIDT: Ja.

VORSITZENDER: Dann ist hier noch ein Bericht vom 17. von drei sowjetrussischen Ärzten allein, ohne einen französischen Arzt, unterzeichnet.

DR. VON ROHRSCHEIDT: Ja, das habe ich.

VORSITZENDER: Wollen Sie nun bitte auf die Stellen in diesen Berichten hinweisen, auf welche Sie sich beziehen? Es ist noch ein Bericht hier von zwei englischen Ärzten, der praktisch der gleiche ist. Es ist jener, den ich bereits erwähnte, und welcher den Namen von Lord Moran nicht enthält, mit dem Datum vom 19. November.

DR. VON ROHRSCHEIDT: Jawohl. Ich kann, glaube ich, diese Vorhaltungen des Gerichts dahingehend abkürzen, daß ich persönlich auf dem Standpunkt stehe, daß alle Gutachten übereinstimmend sich dahin präzisieren lassen, daß die Fähigkeit des Angeklagten Heß, sich zu verteidigen, einem Zeugen entgegenzutreten und die Einzelheiten der Beweisaufnahme zu verstehen, beeinträchtigt ist. Geht man aber davon aus, daß die Gutachten alle in dieser Beziehung übereinstimmen, daß nämlich der Angeklagte Heß in seiner Fähigkeit zur Verteidigung beeinträchtigt ist, so möchte ich vom Standpunkt des Verteidigers die Überzeugung vertreten, daß die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten Heß zu verneinen ist. Die Beeinträchtigung des Angeklagten Heß in seiner Verteidigung, die von allen Gutachtern als ein geistiger Defekt, nämlich als Amnesie anerkannt ist, muß im Hinblick auf die Feststellungen in den Gutachten, die den Zustand als einen von gemischter Art, jedoch mehr als eine Art geistige Abnormität bezeichnet, derart bewertet werden, daß er eben als nicht verhandlungsfähig anzusprechen ist. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß diese von den Gutachtern getroffene Feststellung so weitgehend ist, daß, wie die Frageformulierung lautet, auch eine angemessene Verteidigung dem Angeklagten Heß auf Grund dieses geistigen Defekts, nämlich Amnesie, nicht möglich ist. Die Gutachten gehen weiterhin davon aus, »daß der Angeklagte nicht geisteskrank ist«. Darauf kommt es im Augenblick nicht so sehr an, weil meines Erachtens schon nach dem Gutachten die Frage überzeugend bejaht ist, daß der Angeklagte außerstande ist, alle Vorgänge infolge der Verminderung seiner Verstandeskräfte zu begreifen.

Ich bin persönlich, und ich glaube, mich da auch in Übereinstimmung mit dem Gutachten zu finden, der Ansicht, daß der Angeklagte auf keinen Fall in der Lage ist, sich so verständlich zu machen, wie man es von einem geistig normal beschaffenen Angeklagten verlangen muß und verlangen kann. Ich halte den Angeklagten auf Grund meiner Erfahrung mit ihm nicht für imstande, die Vorhaltungen, die die Anklage ihm machen wird, so zu begreifen, wie er es für seine Verteidigung braucht, weil er eben in seinem Gedächtnis völlig behindert ist. Er kennt durch den Gedächtnisverlust weder die zurückliegenden Ereignisse noch die Personen seiner früheren Umgebung. Ich bin daher der Ansicht, daß es hierbei auf die gegenteilige Behauptung des Angeklagten, der sich für verhandlungsfähig hält, nicht ankommt.

Da die Behinderung des Angeklagten nach den Feststellungen des Gutachtens in absehbarer Zeit nicht beseitigt werden kann, so glaube ich, muß das Verfahren gegen den Angeklagten Heß suspendiert werden. Ob die von den Gutachtern vorgeschlagene Behandlung durch Narko-Analyse den gewünschten Erfolg bringen wird, steht zur Zeit nicht fest. Es steht auch nicht fest, in welchem Zeitraum sich die volle Gesundheit des Angeklagten bei dieser Behandlung erreichen lassen wird. Die Gutachten machen dem Angeklagten Heß den Vorwurf, daß er sich absichtlich einer solchen Kur nicht unterwerfen wolle. Er hat mir versichert, daß er ganz im Gegenteil bereit wäre, sich einer Behandlung zu unterziehen, aber die Behandlung durch die vorgeschlagene Kur deshalb ablehnt, einmal, weil er sich völlig gesund und verhandlungsfähig fühlt, daher eine Kur gar nicht für notwendig hält, und dann, weil er überhaupt ein Gegner solcher Gewalteingriffe sei und schließlich, weil er der Ansicht ist, ein solch gewaltsamer Eingriff könne ihn gerade zur jetzigen Zeit verhandlungsunfähig machen, ihn also von der Verhandlung ausschließen, was er gerade vermeiden möchte. Ist aber der Angeklagte verhandlungsunfähig, hat er also nicht die Fähigkeit, sich zu verteidigen, wie es im Gutachten heißt, und ist diese Fähigkeit, der Verhandlung zu folgen und sich zu verteidigen, für eine längere Zeit nicht gegeben, so sind meines Erachtens damit die Voraussetzungen für eine Suspendierung vorhanden.

Ich komme damit zu dem zweiten Antrag für den Fall, daß das Gericht meinen Ausführungen folgen sollte und den Angeklagten Heß als verhandlungsunfähig erachtet. Dann besteht die Möglichkeit, daß nach Artikel 12 des Statuts gegen den Angeklagten in absentia verhandelt wird. Artikel 12 schreibt vor, daß der Gerichtshof das Recht hat, ein Verfahren gegen einen Angeklagten in seiner Abwesenheit durchzuführen, wenn er nicht auffindbar ist, oder wenn der Gerichtshof im Interesse der Gerechtigkeit es aus anderen Gründen für erforderlich erachtet. Es kommt also darauf an, ob es im Interesse der Gerechtigkeit liegt, gegen den Angeklagten in absentia zu verhandeln. Es dürfte meines Erachtens mit der objektiven Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren sein, wenn tatsächliche Beweise, die hier dafür vorhanden sind, daß der Angeklagte durch eine auf krankhafter Basis liegende Beeinträchtigung, nämlich der von allen Gutachtern bejahten Amnesie, an der persönlichen Wahrnehmung seiner Rechte und an der Anwesenheit in der Verhandlung gehindert wird.

In einem Verfahren wie diesem, das so schwere Verfehlungen dem Angeklagten vorwirft, die möglicherweise zu Todesstrafen führen, ist es meines Erachtens mit der objektiven Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren sein, wenn tatsächliche Be-