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[Der Gerichtshof vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Bevor der Hauptanklagevertreter mit seiner Eröffnungsrede fortfährt, wünscht der Gerichtshof, daß ich die für die nächste Zukunft in Aussicht genommenen Sitzungszeiten bekanntgebe. Der Gerichtshof hält es für zweckmäßig, daß die Sitzungen von jetzt an wie folgt stattfinden: Vormittags 10 Uhr bis 1 Uhr, mit einer Pause von 10 Minuten. Nachmittags 2 Uhr bis 5 Uhr, ebenfalls mit einer Pause von 10 Minuten. Samstag vormittag wird keine öffentliche Sitzung des Gerichtshofs abgehalten, da sich der Gerichtshof mit zahlreichen Zeugenanträgen der Verteidiger, Dokumenten und ähnlichen Angelegenheiten zu befassen hat.

SIR HARTLEY SHAWCROSS: Hoher Gerichtshof! Als wir die Sitzung unterbrachen, hatte ich gerade gesagt, daß die Absichten der Nazi-Regierung auf Angriff gerichtet waren, und daß alles, was in Bezug auf Danzig geschah, nämlich die Verhandlungen und die aufgestellten Forderungen, tatsächlich nichts anderes war, als ein Deckmantel, ein Vorwand und eine Ausrede für die Erweiterung ihrer Herrschaft.

Schon im September 1938 waren Pläne für einen Angriffskrieg gegen Polen, England und Frankreich in Vorbereitung. Während Hitler in München aller Welt erzählte, daß das deutsche Volk Frieden wünsche und daß Deutschland, da das tschechoslowakische Problem gelöst sei, keine territorialen Probleme mehr in Europa habe, bereiteten die Stäbe seiner Wehrmacht schon ihre Pläne vor.

Am 26. September 1938 hatte Hitler erklärt:

»Wir haben den Westmächten Garantien gegeben. Wir haben allen unseren unmittelbaren Nachbarn die Unverletzlichkeit ihrer Gebiete zugesichert, soweit Deutschland in Frage kommt. Das ist keine leere Redensart. Es ist unser heiliger Wille. Wir haben an einer Friedensverletzung überhaupt kein Interesse. Wir wollen von diesen Völkern nichts.«

Die Welt hatte ein Recht darauf, sich auf diese Versicherungen zu verlassen. Internationale Zusammenarbeit ist absolut unmöglich, wenn man nicht Vertrauen in die Führer der verschiedenen Staaten setzen und ihre öffentlichen Erklärungen als ehrlich gemeint hinnehmen kann. Aber innerhalb von zwei Monaten nach dieser feierlichen, wohlerwogenen Versicherung bereiteten sich Hitler und seine Mitschuldigen tatsächlich auf die Annexion Danzigs vor. Um zu erkennen, daß jene Versicherungen, Garantien und diplomatischen Aktionen leerer Betrug waren, ist es notwendig, zunächst zu untersuchen, welche Ereignisse sich in geheimen Ratssitzungen des Reiches seit dem Münchener Abkommen abspielten.

Wir lesen einen Auszug aus einem im September 1938 geschriebenen Aktenstück über den Wiederaufbau der deutschen Kriegsmarine mit der Überschrift:

»Stellungnahme zur ›Entwurfsstudie Seekriegsführung gegen England‹:

1. Wenn Deutschland nach dem Willen des Führers eine in sich gesicherte Weltmachtstellung erwerben soll, bedarf es neben genügendem Kolonialbesitz gesicherte Seeverbindungen und gesicherten Zugang zum freien Ozean.

2. Beide Forderungen sind nur gegen englisch-französische Interessen erfüllbar und schränken deren Weltmachtstellung ein. Sie mit friedlichen Mitteln durchsetzen zu können, ist unwahrscheinlich. Der Wille zur Ausgestaltung Deutschlands als Weltmacht führt daher zwangsmäßig zur Notwendigkeit entsprechender Kriegsvorbereitungen.

3. Der Krieg gegen England bedeutet zur gleichen Zeit Krieg gegen das Empire, gegen Frankreich, wahrscheinlich auch gegen Rußland und eine große Reihe überseeischer Staaten, also gegen die Hälfte oder zwei Drittel der Gesamtwelt. Er hat innere Berechtigung und Aussicht auf Erfolg nur...« – in diesem Dokument wurde keine moralische Rechtfertigung versucht – »Er hat innere Berechtigung und Aussicht auf Erfolg nur, wenn er sowohl wirtschaftlich wie politisch und militärisch vorbereitet und der Zielsetzung entsprechend geführt wird: Deutschland den Weg zum Ozean zu erobern.«

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte den Gerichtshof wissen lassen, wann Sie die Dokumente vorzulegen beabsichtigen, die Sie in der Beweisführung zitieren?

SIR HARTLEY SHAWCROSS: Meine amerikanischen und englischen Kollegen schlugen vor, diese Dokumente nach meinem Vortrag vorzulegen. Die erste Dokumentengruppe, die mein verehrter Kollege Sir David Maxwell-Fyfe vorlegen wird, sind die Verträge.

VORSITZENDER: Ich nehme an, daß das, was Sie zitieren, noch einmal zur Verlesung gebracht werden muß.

SIR HARTLEY SHAWCROSS: Ich werde meine Zitate so kurz wie möglich fassen. Ich bin mir bewußt, daß Sie aus technischen Gründen die Zitate nochmals verlesen haben wollen, damit sie in dem Protokoll Aufnahme finden, sobald die Urkunden tatsächlich als Beweisdokumente vorgelegt werden. Aber ich glaube, daß, wenn die Dokumente selbst zur Vorlage kommen, es sich herausstellen wird, daß sie viel mehr enthalten, als ich jetzt tatsächlich zitiere.

VORSITZENDER: Ja, sehr gut.

SIR HARTLEY SHAWCROSS: Dieses Dokument über Seekriegsführung gegen England ist sowohl bedeutungsvoll als auch neu. Alle bisher in unserem Besitz befindlichen Dokumente enthüllen das Bestehen von Kriegsvorbereitungen gegen Polen, England und Frankreich. Sie wollen, wenigstens nach außenhin, den Eindruck erwecken, bloße Verteidigungsmaßnahmen zu sein, um Angriffe abzuwehren, die die Folge der Einmischung der genannten Länder in die deutschen Vorbereitungen zu einem Angriff in Zentraleuropa sein könnten. Bisher war ein Angriffskrieg gegen Polen, England und Frankreich nur soweit geplant, als er als ein in der Ferne liegendes Ziel erachtet wurde. Jetzt finden wir zum ersten Male in diesem Dokument einen Eroberungskrieg Deutschlands gegen Frankreich und England als ein zumindest von der deutschen Marine ins Auge gefaßtes zukünftiges Ziel klar bestätigt.

Am 24. 11. 1938 wurde von Keitel ein Nachtragsbefehl zu einer früher vom Führer erlassenen Weisung herausgegeben. In diesem Zusatz war die zukünftige Aufgabe der Wehrmacht und die Vorbereitung für die Kriegsführung, die sich aus diesen Aufgaben ergeben würde, klargelegt.

»Der Führer hat befohlen:« – ich zitiere – »Außer den drei in der Weisung vom 21. 10. 38 angeführten Fällen sind auch Vorbereitungen zu treffen, daß der Freistaat Danzig überraschend durch deutsche Truppen besetzt werden kann.... Für die Vorbereitung gelten folgende Grundlagen:

Voraussetzung ist eine handstreichartige Besetzung von Danzig in Ausnützung einer politisch günstigen Lage, nicht ein Krieg gegen Polen.... Die hierfür heranzuziehenden Truppen dürfen nicht gleichzeitig für die Inbesitznahme des Memellandes eingeteilt sein, damit beide Unternehmen gegebenenfalls auch gleichzeitig stattfinden können.«

Danach haben, wie durch die Beweisführung vor dem Gerichtshof schon dargetan wurde, endgültige Vorbereitungen für die Invasion Polens stattgefunden. Am 3. 4. 1939, also drei Tage vor Veröffentlichung des englisch-polnischen Kommuniqués, gab der Angeklagte Keitel an das Oberkommando der Wehrmacht eine Weisung heraus, in der erklärt wurde, daß die Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht von 1939/1940 neu herausgegeben würde und daß der Teil, der sich mit Danzig beschäftigt, im April erscheinen werde. Die wesentlichen Grundsätze sollten dieselben bleiben wie die der früheren Weisung. Diesem Dokument waren die Befehle zum Fall "Weiß« beigefügt, Deckname für die geplante Invasion Polens. Die Vorbereitungen für diese Invasion sollten, so wurde gesagt, in der Weise getroffen werden, daß die Operation jederzeit vom 1. 9. 1939 ab durchgeführt werden könnte.

Am 11. 4. gab Hitler die »Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht 1939/1940« heraus, in welcher er sagte:

»Die künftigen Aufgaben der Wehrmacht und die sich daraus ergebenden Vorbereitungen für die Kriegsfüh rung werde ich später in einer Weisung niederlegen. Bis zum Inkrafttreten dieser Weisung muß die Wehrmacht auf folgende Fälle vorbereitet sein:

I. Sicherung der Grenzen des Deutschen Reiches und Schutz gegen überraschende Luftangriffe...

II. Fall ›Weiß‹...

III. Inbesitznahme von Danzig...«

In einem Zusatz zu diesem Dokument, welches die Überschrift trägt »Politische Hypothesen und Ziele« wird erklärt, daß Störungen im Verhältnis zu Polen vermieden werden sollen. Sollte aber Polen seine Politik umstellen und eine das Reich bedrohende Haltung einnehmen, so könne eine endgültige Abrechnung ungeachtet des Paktes mit Polen erforderlich werden.... Der Freistaat Danzig werde spätestens mit Beginn des Konfliktes als deutsches Reichsgebiet erklärt werden. Die politische Führung sehe es als ihre Aufgabe an, Polen in diesem Fall zu isolieren, das heißt den Krieg auf Polen zu beschränken, was in jener Zeit mit Rücksicht auf die innere Krise in Frankreich und die daraus folgende Zurückhaltung Englands möglich erschien. Der Wortlaut dieses Dokuments – der Gerichtshof wird Gelegenheit haben, von dem ganzen Dokument Kenntnis zu nehmen – beinhaltet nicht direkt die Absicht zu einem sofortigen Angriff. Es ist ein Angriffsplan für den Fall, daß Polen seine Politik umstellt und eine drohende Haltung einnimmt. Die Vorstellung, daß Polen mit seinen vollkommen unzulänglichen Aufrüstungen dem bis zu den Zähnen bewaffneten Deutschland hätte gefährlich werden können, ist lächerlich genug. Das wirkliche Ziel des Dokuments geht aus einem Satz hervor, den ich zitiere:

»Das Ziel ist dann, die polnische Wehrkraft zu zerschlagen und eine den Bedürfnissen der Landesverteidigung entsprechende Lage im Osten zu schaffen.«

Eine vage Phrase, geeignet, irgendwelche Absichten unbekannter Tragweite zu verbergen. Aber selbst in diesem Stadium genügt das Beweismaterial nicht, um darzutun, daß die tatsächliche Entscheidung, Polen zu gegebener Zeit anzugreifen, bereits getroffen war. Alle Vorbereitungen wurden der Reihe nach in Gang gebracht. Alle notwendigen Handlungen wurden für den Fall unternommen, daß eine Entscheidung fallen sollte.

Innerhalb von drei Wochen nach Herausgabe dieses Dokuments hielt Hitler am 28. April 1939 vor dem Reichstag eine Rede. In dieser wiederholt er das Verlangen, das er an Polen bereits gestellt hatte, und schritt dazu, den deutsch-polnischen Vertrag vom Jahre 1934 zu kündigen. Lassen wir für einen Augenblick die Kriegsvorbereitungen für einen Angriff, die Hitler hinter der Szene anordnete, außer Betracht. Ich bitte den Gerichtshof, in Erwägung zu ziehen, in welcher Art Hitler einen Vertrag kündigte, dem er in der Vergangenheit solche Wichtigkeit beigelegt hatte. Zunächst war Hitlers Vertragsaufkündigung an sich nicht gültig. Der Wortlaut des Vertrages hatte eine Kündigung vor Ablauf von zehn Jahren durch keinen der Unterzeichner vorgesehen. Eine Kündigung konnte rechtsgültig vor Juni oder Juli 1943 nicht vorgenommen werden. Hitler hatte also im April 1939, mehr als fünf Jahre zu früh, davon gesprochen. Zweitens, als Hitlers eigentlicher Angriff gegen Polen am 1. September unternommen wurde, geschah dies vor Ablauf der sechsmonatigen, im Vertrag vorgesehenen Kündigungsfrist. Drittens waren die Gründe für die Kündigung dieses Vertrages, die Hitler in seiner Reichstagsrede angegeben hat, nur vorgeschützt. Wie immer man auch die Bedingungen auslegt, es ist unmöglich, sich der Ansicht anzuschließen, daß das englisch-polnische Übereinkommen zur gegenseitigen Hilfeleistung im Falle eines Angriffs den deutsch-polnischen Vertrag ungültig machen konnte, welchen Eindruck Hitler zu erwecken versuchte. Wäre das die Wirkung der englisch-polnischen Garantie gewesen, so hätten die Bündnisse, die Hitler selbst mit Italien und Japan eingegangen war, den Vertrag mit Polen bereits ungültig gemacht. Hitler hätte sich jedes Wort sparen können. Die Wahrheit ist jedoch, daß der Text des englisch-polnischen Kommuniqués, der Text der Garantieerklärung, überhaupt nichts enthält, was das deutsch-polnische Abkommen irgendwie beeinträchtigt hätte. Warum machte dann Hitler diesen dreifach untauglichen Versuch, sein eigenes diplomatisches Lieblingskind, diesen Vertrag aufzukündigen? Gibt es irgendeine andere Erklärung, als die, daß mit der Erfüllung des Zweckes des Abkommens die Gründe für die Kündigung nur deshalb gewählt wurden, um Deutschland, zumindest aber dem deutschen Volk, irgendeine Rechtfertigung für den Angriff, den die deutschen Führer beabsichtigten, zu geben.

Hitler brauchte natürlich dringend irgendeine Rechtfertigung, irgendeine scheinbar anständige Entschuldigung, denn auf polnischer Seite war nichts geschehen und wäre wahrscheinlich auch nichts geschehen, was ihm irgendeinen Vorwand für eine Invasion Polens liefern konnte. Bis dahin hatte er Forderungen an seinen Vertragspartner gerichtet, die Polen als souveräner Staat abzulehnen durchaus berechtigt war. Wenn Hitler eine solche Ablehnung nicht zusagte, so war er gemäß den Bestimmungen des Übereinkommens gebunden, eine Lösung zu suchen. Ich lese die betreffenden Worte des Vertrages vor:

»Eine Lösung zu suchen durch andere friedliche Mittel, unbeschadet der Möglichkeit, nötigenfalls diejenigen Verfahrensarten zur Anwendung zu bringen, die in den zwischen ihnen in Kraft befindlichen anderweitigen Abkommen für solchen Fall vorgesehen sind.«

Das ist, wie ich annehme, eine Bezugnahme auf das Deutsch-Polnische Schiedsabkommen, das im Jahre 1925 in Locarno unterzeichnet worden ist.

Die bloße Tatsache, daß die Nazi-Führer, als sie das, was sie wollten und was sie von Polen zu verlangen nicht berechtigt waren, nicht bekommen konnten, keine weiteren Anstrengungen machten, um die Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln, gemäß den Bestimmungen des Übereinkommens und des Kellogg-Paktes, zu dem sich beide Parteien bekannt hatten, zu regeln, macht die Annahme der Absicht eines Angriffskrieges auf Seiten Hitlers und seiner Mitarbeiter äußerst wahrscheinlich. Diese Annahme wird zur Gewißheit, wenn man die Dokumente, auf die ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs lenken werde, studiert.

Am 10. Mai gab Hitler einen Befehl heraus, der sich auf die Beschlagnahme von wirtschaftlichen Einrichtungen in Polen bezog.

Am 16. Mai ließ der Angeklagte Raeder als Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine eine Niederschrift herausgeben, in der er die Anweisungen des Führers darlegte, Vorbereitungen für die Operation Fall »Weiß«, die jederzeit nach dem 1. September 1939 stattfinden könne, zu treffen.

Das entscheidende Dokument ist jedoch eine Niederschrift über eine Besprechung, die Hitler am 23. Mai 1939 mit verschiedenen hohen Offizieren hatte, unter denen sich die Angeklagten Göring, Raeder und Keitel befanden.

Die Einzelheiten des ganzen Dokuments werde ich vor dem Gerichtshof später zur Verlesung bringen. Ich fasse lediglich die Kernpunkte dieses Teiles zusammen: Hitler erklärte, daß die Lösung der wirtschaftlichen Probleme, denen Deutschland gegenüberstände, nicht ohne Einbruch in fremde Staaten oder Angreifen fremden Eigentums möglich sei.

»Danzig« – und ich zitiere – »Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um Arrondierung des Lebensraumes im Osten. Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen, und bleibt der Entschluß, bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen. An eine Wiederholung der Tschechei ist nicht zu glauben. Es wird zum Kampf kommen. Aufgabe ist es, Polen zu isolieren. Das Gelingen der Isolierung ist entscheidend. Es ist Sache geschickter Politik, Polen zu isolieren.«

Dies erklärte Hitler seinen Mitschuldigen. Er sah als eine der Folgen die Möglichkeit eines Krieges gegen England und Frankreich voraus. Doch sollte ein Zwei-Fronten-Krieg, wenn irgend möglich, vermieden werden. Trotzdem wurde England – ich sage das mit Stolz – als der gefährlichste Gegner Deutschlands anerkannt. »England« sagte er, und ich zitiere:

»England ist der Motor, der gegen Deutschland treibt. Ziel ist immer, England auf die Knie zu zwingen.«

Mehr als einmal sagte er voraus, daß ein Krieg mit England und Frankreich ein Kampf auf Leben und Tod sein würde. Dessenungeachtet, so schloß er, werde Deutschland sich nicht in einen Krieg hineinzwingen lassen; es würde jedoch nicht gelingen, um ihn herumzukommen. Am 14. Juni 1939 gab General Blaskowitz, der damals Oberbefehlshaber der 3. Armeegruppe war, einen ausführlichen Schlachtplan für den Fall »Weiß« heraus.

Am nächsten Tage gab von Brauchitsch eine Denkschrift heraus, in der erklärt wurde, daß das Ziel der bevorstehenden Aktion die Zerstörung der polnischen Armeen sei. Die hohe Politik mache es notwendig, erklärte er, daß der Krieg mit einem schweren Überraschungsschlag beginnen müsse, um schnelle Ergebnisse herbeizuführen.

Die Vorbereitungen schritten schnell vorwärts.

Am 22. Juni legte der Angeklagte Keitel eine vorläufige Zeittafel für die Operation vor, der Hitler anscheinend zustimmte. Er schlug vor, die beabsichtigten Maßnahmen zu tarnen, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen.

Am 3. Juli schrieb Brauchitsch an den Angeklagten Raeder, daß bestimmte vorläufige Marinemaßnahmen fallen gelassen werden sollten, um die Überraschungswirkung des Angriffs nicht zu beeinträchtigen. Am 12. und 13. August hatten Hitler und Ribbentrop eine Besprechung mit Ciano, dem italienischen Außenminister. Es war eine Besprechung, die der Gerichtshof unter verschiedenen Gesichtspunkten wird betrachten müssen.

Ich fasse jetzt nur eine Seite der Angelegenheit zusammen. Zu Beginn der Besprechung unterstrich Hitler die Stärke der deutschen Stellung, der deutschen westlichen und östlichen Befestigungen, und auch der strategischen und anderen Vorteile, im Vergleich zu jenen Englands, Frankreichs und Polens. Ich zitiere nunmehr aus dem erbeuteten Dokument selbst. Hitler sagte:

»Da Polen durch seine ganze Haltung zu erkennen gebe, daß es auf jeden Fall in einem Konflikt auf seiten der Gegner Deutschlands und Italiens stehen würde, könne eine schnelle Liquidierung für die doch unvermeidbare Auseinandersetzung mit den westlichen Demokratien im jetzigen Augenblick nur von Vorteil sein. Bleibe ein feindliches Polen an Deutschlands Ostgrenze bestehen, so wären nicht nur die elf ostpreußischen Divisionen, sondern auch noch weitere Kontingente in Pommern und Schlesien gebunden, was bei einer vorherigen Liquidierung nicht der Fall sein würde. Ganz allgemein gesprochen sei es überhaupt das beste, wenn die falschen Neutralen einer nach dem andern liquidiert würden. Dies ließe sich verhältnismäßig einfach durchführen, wenn jeweils der eine Partner der Achse dem anderen, der gerade einen der unsicheren Neutralen erledigte, den Rücken deckte und umgekehrt. Für Italien sei wohl Jugoslawien als ein derartiger unsicherer Neutraler anzusehen.«

Ciano wollte die Operation hinausschieben; Italien sei noch nicht fertig und glaube, daß ein Konflikt mit Polen sich zu einem allgemeinen europäischen Krieg entwickeln würde. Mussolini war überzeugt, daß eine Auseinandersetzung mit den westlichen Demokratien unumgänglich sei. Er habe jedoch seine Pläne auf eine bestimmte Zeitdauer von zwei bis drei Jahren abgestellt.

Der Führer sagte, daß die Frage Danzig so oder so gelöst werden müsse, und zwar bis Ende August.

Ich zitiere:

»Der Führer sei daher entschlossen, die Gelegenheit der nächsten politischen Provokation in Gestalt eines Ultimatums... zu benutzen...«

Am 22. August berief Hitler seine Oberbefehlshaber auf den Obersalzberg und gab den Befehl zum Angriff. Im Verlauf seiner Ansprache legte er dar, daß die Entscheidung, anzugreifen, schon im vorhergegangenen Frühjahr gefällt worden war. Er würde einen, wenn auch fadenscheinigen Grund für den Kriegsbeginn geben. Zu diesem Zeitpunkt war der Angriff für die Morgenstunden des 26. August geplant. Einen Tag vorher, also am 25. August, war die Britische Regierung, in der Hoffnung, daß Hitler doch noch zögern würde, die Welt in einen Krieg zu stürzen, und in dem Glauben, daß ein formeller Vertrag ihn mehr beeindrucken würde als die unformellen Versicherungen, die vorher gegeben worden waren, einen Vertrag mit Polen eingegangen, einen ausdrücklichen Vertrag zur gegenseitigen Hilfeleistung, der die ehemaligen, früher schon in diesem Jahre gegebenen Versicherungen in sich schloß.

Hitler wußte, daß Frankreich durch den französisch-polnischen Vertrag von 1921 und durch den Locarno-Vertrag von 1925 gezwungen war, im Falle eines Angriffs zugunsten Polens zu intervenieren. Einen Augenblick lang zögerte Hitler. Die Angeklagten Göring und Ribbentrop gaben während der Verhöre, wie Sie sehen werden, zu, daß es der englisch- polnische Vertrag war, der ihn veranlaßte, den für den 26. angesetzten Angriff abzusagen oder besser zu verschieben. Er hoffte vielleicht, daß doch noch Aussicht auf eine Wiederholung der tschechischen Affäre, wie er es nannte, bestünde. Wenn ja, dann war es eine Hoffnung von kurzer Dauer.

Am 27. August nahm Hitler Mussolinis Entscheidung an, nicht sofort in den Krieg einzutreten; er bat jedoch um propagandistische Unterstützung und ein Zurschaustellen militärischer Aktivität durch Italien, um auf diese Weise bei den Alliierten Unsicherheit hervorzurufen. Ribbentrop erklärte am gleichen Tage, daß die Armeen marschierten.

Inzwischen wurden, und natürlich besonders während des letzten Monats, seitens der westlichen Mächte verzweifelte Anstrengungen gemacht, den Krieg zu verhindern. Einzelheiten hierüber werden Ihnen zum Beweis vorgelegt werden, über die Intervention des Papstes, über die Botschaft von Präsident Roosevelt, über das Anerbieten des Britischen Ministerpräsidenten, das Äußerste zu tun, um Bedingungen zu schaffen, unter denen alle in Frage stehenden Angelegenheiten Gegenstand freier Verhandlungen sein könnten und die resultierenden Entscheidungen zu garantieren.

Aber diese und alle anderen Anstrengungen anständiger Menschen, die Schrecken eines europäischen Krieges zu verhindern, waren von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die Deutschen hatten beschlossen, daß der Zeitpunkt für einen Krieg gekommen sei. Am 31. August gab Hitler den streng geheimen Befehl für den Angriff in den Morgenstunden des 1. Septembers. Die notwendigen Grenzzwischenfälle erfolgten programmäßig.

War das vielleicht der Grund, daß der Angeklagte Keitel von Hitler die Anweisung erhielt, Heydrich mit polnischen Uniformen zu versorgen? Ohne Kriegserklärung, ohne der Polnischen Regierung Gelegenheit zu geben, die endgültigen Forderungen Deutschlands zu sehen. Sie werden die Beweise über die außerordentlichen diplomatischen Verhandlungen in Berlin, wenn man sie so nennen kann, noch hören; ohne den Polen auch nur Gelegenheit zu geben, mit Nazi- Deutschland zu verhandeln oder den Schiedsweg zu beschreiten, drangen die Nazi-Truppen in Polen ein.

Am 3. September schickte Hitler an Mussolini ein Telegramm, in dem er für sein Eingreifen dankte, aber erklärte, daß der Krieg unvermeidlich sei, und daß der günstigste Augenblick nach kühler Überlegung ergriffen werden müsse. Und so begannen Hitler und seine Mitschuldigen, die jetzt vor diesem Gerichtshof stehen, den ersten ihrer Angriffskriege, auf den sie sich so lange und so gründlich vorbereitet hatten. Sie führten ihn so ungestüm, daß Polen in wenigen Wochen überrannt war.

Am 23. November 1939 erläuterte Hitler die Lage vor seinen militärischen Befehlshabern. Im Verlauf seiner Ansprache sagte er:

»Ein Jahr später kam Österreich, auch dieser Schritt wurde für sehr bedenklich angesehen. Er brachte eine wesentliche Stärkung des Reiches. Der nächste Schritt war Böhmen, Mähren und Polen. Aber dieser Schritt war nicht in einem Zuge zu tun. Zunächst mußte im Westen der Westwall fertiggestellt werden...

Dann kam die Errichtung des Protektorats, und damit war die Grundlage für die Eroberung Polens gelegt, aber ich war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht im klaren darüber, ob ich erst gegen den Osten und dann gegen den Westen oder umgekehrt vorgehen sollte... Zwangsläufig kam es zuerst zum Kampf gegen Polen. Man wird mir vorwerfen Kampf und wieder Kampf. Ich sehe im Kampf das Schicksal aller Wesen.«

Er war sich nicht sicher, wo er zuerst angreifen solle, wohl jedoch, daß er früher oder später angreifen würde, sei es nun im Westen oder im Osten.

Und doch war er dahingehend gewarnt worden, nicht nur von den Ministerpräsidenten von England und Frankreich, sondern auch von seinem eigenen Mitschuldigen Mussolini, daß ein Angriff gegen Polen auch England und Frankreich in den Krieg ziehen werde. Er wählte den ihm gut dünkenden Zeitpunkt und schlug los.

Unter diesen Umständen ist die Absicht, Krieg gegen England und Frankreich zu führen und ihn durch einen Angriff auf Polen zu beschleunigen, nicht zu leugnen. Hier handelte es sich um eine herausfordernde Verletzung heiligster Vertragsverpflichtungen. Hier handelte es sich um die Außerachtlassung der stärksten Friedensversicherungen. Hier lag ein Angriff vor, nackt und schamlos, der den furchtbarsten und heldenhaftesten Widerstand aller zivilisierten Völker herbeiführte, der jedoch vor seinem Ende viel von dem Bau der Zivilisation niederreißen sollte.

Nachdem die Ausführung der Pläne, Europa, wenn nicht die Welt, zu beherrschen, erfolgreich begonnen worden war, schritt die Nazi-Regierung dazu, andere Länder anzugreifen, wo sich die Gelegenheit dazu ergab.

Die ersten Länder, die nach dem Angriff auf Polen wirklich angegriffen und Gegenstand einer Invasion werden sollten, waren Dänemark und Norwegen.

Am 9. April 1940 drangen die deutschen Streitkräfte in Norwegen und Dänemark ohne Warnung und ohne Kriegserklärung ein. Es war ein Bruch der Haager Konvention vom Jahre 1907. Es war ein Bruch des Schieds- und Vergleichsvertrags, der am 2. Juni 1926 von Deutschland und Dänemark unterzeichnet worden war. Es war natürlich auch ein Bruch des Briand-Kellogg-Paktes vom Jahre 1928. Es war eine Verletzung des Nichtangriffsvertrags zwischen Deutschland und Dänemark vom 31. Mai 1939. Und es war ein Bruch der nachdrücklichsten Friedensversicherungen, die man gegeben hatte. Nachdem die Einverleibung der Tschechoslowakei das Vertrauen der Welt erschüttert hatte, versuchte Hitler, die skandinavischen Staaten durch neuerliche Versicherungen zu beruhigen. Am 28. April 1939 versicherte er wiederum, daß er niemals an einen dieser Staaten ein Verlangen gestellt habe, das sich mit deren Souveränität und Unabhängigkeit nicht vereinbaren ließe. Am 31. Mai 1939 unterzeichnete er einen Nichtangriffspakt mit Dänemark. Am 2. September 1939, einen Tag, nachdem er in Polen eingefallen war und Danzig besetzt hatte, brachte er in einer Verbalnote, die an diesem Tage dem norwegischen Außenminister vom Deutschen Gesandten in Oslo übergeben wurde, wieder seine angebliche Entschlossenheit zum Ausdruck, die Unverletzbarkeit und Unantastbarkeit Norwegens zu wahren.

Einen Monat später, am 6. Oktober 1939, erklärte er in einer öffentlichen Rede:

»Deutschland hat mit den Nordischen Staaten schon früher keine Interessenkonflikte oder gar Streitpunkte besessen und hat sie heute genau so wenig. Schweden und Norwegen haben beide von Deutschland Nichtangriffspakte angeboten erhalten und sie nur abgelehnt, weil sie sich selbst gar nicht als irgendwie bedroht fühlten.«

Als der Einfall in Dänemark und Norwegen am frühen Morgen des 9. April 1940 bereits begonnen hatte, wurde den Regierungen ein deutsches Memorandum übergeben, das den Versuch machte, das deutsche Vorgehen zu rechtfertigen. Verschiedene Beschuldigungen gegen die Regierungen der überfallenen Länder wurden erhoben. So wurde erklärt, daß Norwegen Neutralitätsbrüche begangen habe. So wurde erklärt, daß es den Gebrauch seiner Küstengewässer durch Großbritannien erlaubt und geduldet habe. Es wurde erklärt, daß England und Frankreich Pläne schmiedeten, um in Norwegen einzufallen und es zu besetzen, und daß die Regierung Norwegens bereit sei, in einem solchen Falle sich einverstanden zu erklären.

Ich beabsichtige nicht die Frage zu behandeln, ob diese Behauptungen richtig oder falsch waren. Dies ist unerheblich für die Fragen, die diesem Gerichtshof vorliegen. Sogar wenn die Beschuldigungen wahr gewesen wären, und sie waren offenbar falsch, würden sie keine denkbare Rechtfertigung für eine Invasion ohne Warnung, ohne Kriegserklärung, ohne einen Versuch der Vermittlung oder Schlichtung bilden.

Ein Angriffskrieg ist nicht weniger ein Angriffskrieg, weil der Staat, der ihn führt, glaubt, daß andere Staaten eine ähnliche Aktion in der Zukunft vornehmen würden. Die Vergewaltigung einer Nation ist nicht aus dem Grunde gerechtfertigt, weil man denkt, daß sie von einer anderen Nation vergewaltigt werden könnte. Nicht einmal zur Selbstverteidigung sind Kriegsmaßnahmen gerechtfertigt, es sei denn, daß alle Möglichkeiten einer Vermittlung versucht wurden und fehlgeschlagen sind, und daß Gewalt gegen den betreffenden Staat bereits angewendet wurde.

Die Angelegenheit ist jedoch unerheblich, da ja in der Tat durch das Beweismaterial, das wir jetzt besitzen, reichlich klargestellt ist, daß die Invasion dieser beiden Länder für völlig andere Zwecke unternommen wurde. Sie war lange, bevor irgendeine Frage eines Neutralitätsbruchs oder eine Besetzung Norwegens durch England jemals hätte eintreten können, geplant, und es ist ebenso klar, daß die 1939 immer wiederholten Versicherungen keinem anderen Zwecke dienten, als jeden Verdacht in diesen Ländern zu zerstreuen, und sie daran zu hindern, Abwehrmaßnahmen gegen einen Angriff, der schon lange aktiv vorbereitet wurde, zu treffen.

Während mehrerer Jahre hatte der Angeklagte Rosenberg in seiner Eigenschaft als Chef des Außenpolitischen Amtes, APA der NSDAP, sich für die Förderung der Tätigkeit einer Fünften Kolonne in Norwegen interessiert. Er schuf ein enges Verhältnis mit der »Nasjonal Samling«, einer politischen Gruppe, der der jetzt notorische Verräter, Vidkun Quisling, vorstand. Während des Winters 1938/39 war das APA mit Quisling in Kontakt, und später sprach Quisling mit Hitler und den Angeklagten Raeder und Rosenberg. Im August 1939 wurde ein besonderer vierzehntägiger Kursus in der Schule des Außenpolitischen Amtes in Berlin abgehalten, an dem 25 Anhänger teilnahmen, die von Quisling ausgewählt waren. Der Plan bestand darin, eine Anzahl ausgesuchter und »zuverlässiger« Männer nach Deutschland zu schicken, um sie in einem isolierten Lager einer kurzen militärischen Ausbildung zu unterziehen. Diese »verläßlichen« Männer sollten die Gebiets- und Sprachspezialisten für Deutschlands Spezialtruppen sein, die nach Oslo in Kohlenschiffen gebracht werden sollten, um politische Aktionen in Norwegen durchzuführen. Das Ziel war, durch einen Putsch, in dem Quisling seine Hauptgegner, einschließlich des Königs, verhaften sollte, jeden militärischen Widerstand von Anfang an auszuschalten. Gleichzeitig mit dieser Tätigkeit der Fünften Kolonne traf Deutschland seine militärischen Vorbereitungen. Am 2. September 1939 hatte Hitler, wie ich bereits gesagt habe, Norwegen seiner Absicht versichert, die Neutralität dieser Länder zu achten. Am 6. Oktober sagte er, daß die skandinavischen Staaten in keiner Weise bedroht seien. Aber am 3. Oktober führte der Angeklagte Raeder aus, daß die Besetzung von Stützpunkten, wenn notwendig durch Gewalt, die deutsche strategische Lage wesentlich verbessern würde. Am 9. Oktober schlug Dönitz Drontheim als Hauptstützpunkt vor und Narvik als einen Alternativstützpunkt für Brennstoffversorgung. Der Angeklagte Rosenberg berichtete kurz darauf über die Möglichkeit eines Staatsstreichs durch Quisling, der sofort von deutschen Heeres- und Marinestreitkräften unterstützt werden sollte. Am 12. September 1939 riet der Angeklagte Raeder Hitler in Gegenwart der Angeklagten Keitel und Jodl, daß, falls Hitler von Quisling einen guten Eindruck gewonnen habe, sich das OKW auf die Besetzung Norwegens vorbereiten sollte, wenn möglich mit Quislings Beihilfe, oder, wenn notwendig, allein durch Gewalt. Hitler stimmte zu; aber es bestanden Zweifel, ob man zuerst gegen die Niederlande oder gegen Skandinavien vorgehen sollte. Die Wetterverhältnisse verzögerten den Marsch auf die Niederlande. Im Januar 1940 wurden der deutschen Marine Anweisungen für den Angriff auf Norwegen gegeben.

Am 1. März gab Hitler eine Weisung für die Besetzung heraus. Als allgemeines Ziel wurde nicht die Verhinderung einer Besetzung durch englische Streitkräfte genannt, sondern in unbestimmten und allgemeinen Ausdrücken die Verhinderung englischer Übergriffe nach Skandinavien und der Ostsee.

»Unsere Erzbasis in Schweden soll gesichert und für Kriegsmarine und Luftwaffe die Ausgangsstellung gegen England erweitert werden.«

Die Weisung fuhr fort, und dies ist ein Musterbeispiel:

»... Grundsätzlich ist anzustreben, der Unternehmung den Charakter einer friedlichen Besetzung zu geben, die den bewaffneten Schutz der Neutralität der nordischen Staaten zum Ziel hat.... Von großer Bedeutung ist, daß unsere Maßnahmen die nordischen Staaten wie die Westgegner überraschend treffen.... Können die Vorbereitungen für die Verschiffung nicht mehr geheim gehalten werden, sind Führern und Truppe andere Ziele vorzutäuschen.«

Form und Erfolg der Invasion sind wohlbekannt. In den frühen Morgenstunden des 9. April transportierten 7 Kreuzer, 14 Zerstörer, eine Anzahl Torpedoboote und andere kleine Schiffe Vortruppen von 6 Divisionen, insgesamt ungefähr 10 000 Mann; sie erzwangen die Einfahrt in den äußeren Oslo-Fjord und setzten dort, sowie in Kristiansand, Stavanger, Bergen, Drontheim und Narvik Truppen an Land. Eine kleinere Zahl von Truppen landete auch bei Arendal und Egersund an der südlichen Küste. Außerdem wurden Luftlandetruppen mit Flugzeugen in der Nähe von Oslo und Stavanger gelandet. Der deutsche Angriff kam als völlige Überraschung.

Alle überfallenen Städte an der Küste wurden planmäßig und mit nur geringen Verlusten erobert. Lediglich der Plan, den König und das Parlament gefangen zu nehmen, mißlang. Aber so tapfer auch der Widerstand war, der eiligst im ganzen Lande organisiert wurde, so konnte doch gegen den lange geplanten Überraschungsangriff nichts getan werden. Am 10. Juni hörte der militärische Widerstand auf. Damit war ein weiterer Angriffsakt vollendet.

Ungefähr einen Monat nach dem Angriff auf Norwegen, am 10. Mai 1940, wiederholten die deutschen Streitkräfte das, was 25 Jahre zuvor bereits geschehen war, und brachen planmäßig ohne Warnung und ohne Kriegserklärung in Belgien, Holland und Luxemburg ein.

Was geschah, war natürlich ein Bruch des Haager Abkommens und steht auch als solcher zur Anklage. Es war eine Verletzung des Locarno-Vertrages vom Jahre 1925, den die Nazi-Regierung 1935 bestätigt hatte, nur um ihn einige Jahre später rechtswidrig zu widerrufen. Durch diesen Vertrag sollten alle Fragen, die durch gewöhnliche diplomatische Mittel nicht gelöst werden konnten, auf den Schiedsweg verwiesen werden. Sie werden die umfassenden Bestimmungen all dieser Verträge noch kennenlernen. Es war ein Bruch des Schieds- und Schlichtungsvertrages zwischen Deutschland und Holland vom 20. Mai 1926. Es war ein Bruch eines ähnlichen Vertrages mit Luxemburg vom 11. September 1929. Es war ein Bruch des Briand-Kellogg-Paktes. Aber diese Verträge besaßen vielleicht nach Ansicht der Nazi-Herrscher Deutschlands keine erhöhte Heiligkeit mit Rücksicht auf den Umstand, daß sie feierlich von Vor-Nazi-Regierungen Deutschlands geschlossen worden waren. Betrachten wir aber auch die besonderen Zusicherungen und Maßnahmen, die die Nazi-Herrscher selbst diesen Staaten gegeben haben, die ihren Plänen gegen Frankreich und England im Wege standen, und die anzugreifen sie immer beabsichtigt hatten. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern elfmal wurden die klarsten Zusicherungen an Belgien, Holland und Luxemburg gegeben. Diese Länder waren berechtigt, sich auf diese Zusicherungen, die feierlich und formell gegeben wurden, zu stützen, und sie taten es auch. Wegen des Bruches dieser Zusicherungen haben sich diese Angeklagten zu verantworten.

Am 30. Januar 1937 z.B. erklärte Hitler:

»Im übrigen habe ich öfter als einmal den Wunsch und die Hoffnung ausgesprochen, mit allen unseren Nachbarn zu einem ähnlich guten und herzlichen Verhältnis zu kommen. Deutschland hat, und ich wiederhole dies hier feierlich, immer wieder versichert, daß es z.B. zwischen ihm und Frankreich überhaupt keinerlei menschlich denkbare Streitpunkte geben kann. Die Deutsche Regierung hat weiter Belgien und Holland versichert, daß sie bereit ist, diese Staaten jederzeit als unantastbare neutrale Gebiete anzuerkennen und zu garantieren.«

Nachdem Hitler das Rheinland wieder militarisiert und den Locarno-Pakt verworfen hatte, versuchten England und Frankreich die Sicherheit Belgiens wieder herzustellen, die durch Hitlers Handlung bedroht war. Sie gaben deshalb am 24. April 1937 Belgien eine besondere Garantie, daß sie die Hilfsmaßnahmen gegenüber Belgien aufrechterhalten würden, zu denen sie sich beide unter dem Locarno-Pakt und der Völkerbunds-Satzung verpflichtet hatten. Am 13. Oktober 1937 gab die Deutsche Regierung eine Versicherung ab, in der die Unverletzlichkeit Belgiens garantiert wurde. Es ist vielleicht dienlich, sich mit den noch übrigen Zusicherungen zu beschäftigen, wenn wir das Beweismaterial durchgehen, das die Vorbereitungen und Absichten der Deutschen Regierung vor dem tatsächlichen Einfall in Belgien vom 10. Mai 1940 betrifft.

Wie im Falle Polen, wie im Falle Norwegen und Dänemark, so sprechen auch hier die Daten für sich selbst. Schon im August 1938 wurden Schritte unternommen, um die Niederlande als Basis für entscheidende Handlungen im Westen zu benutzen, sollten sich Frankreich und England den damals aktuellen Angriffsplänen Deutschlands gegen die Tschechoslowakei widersetzen.

In einem Schreiben der Luftwaffe vom 25. August 1938, das sich damit beschäftigt, was zu tun wäre, wenn England und Frankreich in das Unternehmen gegen die Tschechoslowakei eingreifen sollten, wird festgestellt:

»Mit dem Eingreifen anderer Staaten gegen Deutschland wird zunächst nicht gerechnet. Für die Kriegsführung in Westeuropa gewinnt in diesem Zusammenhang der belgisch-niederländische Raum, insbesondere als Vorfeld der Luftkriegsführung eine gegenüber dem Weltkrieg erheblich gesteigerte Bedeutung.«

Im letzten Absatz dieses Befehls heißt es:

»Da Belgien und die Niederlande in deutschen Händen einen außerordentlichen Vorteil in der Luftkriegsführung gegen Großbritannien als auch gegen Frankreich bedeuten...«

Das war im August 1938; acht Monate später, am 28. April, erklärte Hitler wiederum:

»Ich war glücklich darüber, daß eine Anzahl europäischer Staaten diese Erklärungen der Deutschen Reichs regierung zum Anlaß nahmen, um auch ihrerseits den Willen zu einer unbedingten Neutralität auszusprechen und zu vertiefen.«

Einen Monat später, am 23. Mai 1939, hielt Hitler eine Konferenz in der Reichskanzlei ab, auf die ich mich bereits bezogen habe. Die Niederschriften dieser Konferenz berichten, daß Hitler sagte:

»Die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müssen militärisch besetzt werden. Auf Neutralitätserklärungen kann nichts gegeben werden. Wollen Frankreich und England es beim Krieg Deutschland/Polen zu einer Auseinandersetzung kommen lassen, dann werden sie Holland und Belgien in ihrer Neutralität unterstützen.... Wir müssen daher, wenn bei polnischem Krieg England eingreifen will, blitzartig Holland angreifen. Erstrebenswert ist es, eine neue Verteidigungslinie auf holländischem Gebiet bis zur Zuider-See zu gewinnen.«

Sogar noch danach sollte er seine feierlichen Erklärungen abgeben, daß er die Neutralität dieser Länder wahren werde. Am 26. August 1939, als die Krisis hinsichtlich Danzig und Polen ihren Höhepunkt erreichte, also am gleichen Tage, den er für den Einfall in Polen bestimmt hatte, wurden durch die Deutschen Gesandten dem König der Belgier, der Königin der Niederlande und der Regierung des Großherzogtums Luxemburg in feierlichster Weise Erklärungen überreicht, die die betreffenden Regierungen der Absicht, ihre Neutralität zu respektieren, versicherten.

Aber zur Armee sagte Hitler:

»Wenn Holland und Belgien erfolgreich besetzt sind und gehalten werden, so ist ein erfolgreicher Krieg gegen England sichergestellt.«

Am 1. September fand die Invasion Polens statt, und zwei Tage später traten England und Frankreich gemäß ihrer vertraglichen Verpflichtungen, auf die ich bereits hingewiesen habe, in den Krieg gegen Deutschland ein.

Am 6. Oktober erneuerte Hitler seine Freundschaftsversicherungen Belgien und Holland gegenüber; am 9. Oktober jedoch, bevor seitens der Deutschen Regierung irgendwelche Anschuldigungen über Neutralitätsbrüche gemacht worden waren, gab Hitler eine Weisung für die Führung des Krieges heraus. Er sagte darin folgendes:

»1. Sollte es in der nächsten Zeit zu erkennen sein, daß England und unter dessen Führung auch Frankreich nicht gewillt sind, den Krieg zu beenden, so bin ich entschlossen, ohne lange Zeit verstreichen zu lassen, aktiv und offensiv zu handeln.

2. Ein längeres Abwarten führt nicht nur zu einer Beseitigung der belgischen, vielleicht auch der holländischen Neutralität zugunsten der Westmächte, sondern stärkt auch die militärische Kraft unserer Feinde in zunehmendem Maße, läßt das Vertrauen der Neutralen auf einen Endsieg Deutschlands schwinden, trägt nicht dazu bei, Italien als militärischen Bundesgenossen an unsere Seite zu bringen.

3. Für die Weiterführung der militärischen Operatio nen befehle ich daher folgendes:

a. Am Nordflügel der Westfront ist durch den luxemburgisch-belgischen und holländischen Raum eine Angriffsoperation vorzubereiten. Dieser Angriff muß so stark und so frühzeitig als möglich geführt werden.

b. Zweck dieser Angriffsoperation ist es, möglichst starke Teile des französischen Operationsheeres und die an seiner Seite fechtenden Verbündeten zu schlagen, und gleichzeitig möglichst viel holländischen, belgischen und nordfranzösischen Raum als Basis für eine aussichtsreiche Luft- und Seekriegführung gegen England als weiteres Vorfeld des lebenswichtigen Ruhrgebietes zu gewinnen.«

Nichts könnte das Ziel, das hinter der Invasion dieser drei Länder stand, klarer umschreiben, als dieses Dokument es zum Ausdruck bringt.

Am 15. Oktober 1939 schrieb der Angeklagte Keitel ein streng geheimes Schriftstück, das sich auf den Fall »Gelb« bezog; Fall »Gelb« war der Deckname für die Operation gegen die Niederlande. Darin sagte er:

»Die Sicherung des Ruhrgebietes durch möglichst weites Vorschieben der Flugmeldeorganisation und der Luftabwehr in den holländischen Raum ist für die Gesamtkriegführung von nicht unerheblicher Bedeutung. Je mehr holländischer Raum von uns besetzt wird, um so wirksamer kann die Verteidigung des Ruhrgebietes gestaltet werden. Dieser Gesichtspunkt muß für die Zielsetzung des Heeres maßgebend sein, auch wenn Heer und Kriegsmarine unmittelbar an einem solchen Raumgewinn nicht interessiert sind. Die Vorbereitungen des Heeres müssen darauf abgestellt werden, daß – auf besonderen Befehl – der holländische Raum zunächst bis zur Grebbe-Maas-Linie in Besitz genommen wird. Von dem politischen und militärischen Verhalten der Holländer, sowie von der Wirksamkeit ihrer Überschwemmungen wird es abhängig sein, ob dann das Ziel noch weiter gesteckt werden muß und kann.«

Die Ausführung der Operation Fall »Gelb« war anscheinend für Anfang November 1939 geplant. Wir besitzen eine Serie von 17 Schriftstücken, datiert vom 7. November bis 9. Mai, durch die der X-Tag der Operation fast von Tag zu Tag verschoben wurde, so daß zu Beginn des November alle wesentlichen Pläne und Vorbereitungen tatsächlich bereits getroffen waren. Am 10. Januar 1940 mußte ein deutsches Flugzeug in Belgien notlanden. In ihm wurden Überreste eines Operationsbefehls, den der Pilot zu verbrennen versucht hatte, gefunden. Er enthielt beträchtliche Einzelheiten über belgische Flughäfen, die durch die Luftwaffe erobert werden sollten. Viele andere Dokumente sind gefunden worden, die die Planung und die Vorbereitung dieser Invasion in der zweiten Hälfte 1939 und Anfang 1940 dartun. Doch sie beleuchten die Angelegenheit nicht weiter und bringen auch keinen klareren Beweis für die Pläne und die Absichten der Deutschen Regierung und ihrer Wehrmacht, als die Beweise, auf die ich bereits hingewiesen habe.

Am 10. Mai 1940 begann ungefähr um 5 Uhr morgens der deutsche Einfall in Belgien, Holland und Luxemburg. Wieder einmal waren die Streitkräfte der Aggression im Vormarsch. Verträge, Zusicherungen, die Rechte souveräner Staaten, sie alle bedeuteten nichts. Brutale Gewalt, verbunden mit dem größten Überraschungsmoment, das die Nazis erreichen konnten, sollte zur Inbesitznahme von alldem angewendet werden, was notwendig erschien, um den tödlichen Streich gegen England, den Hauptfeind, zu führen.

Die einzige Schuld dieser drei unglücklichen Länder war, daß sie dem deutschen Eindringling bei seinem Vorhaben gegen England und Frankreich im Wege standen; und das genügte, um sie zu überfallen.