HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Pause von 10 Minuten.]

SIR HARTLEY SHAWCROSS: Am 6. April 1941 fielen die deutschen Streitkräfte in Griechenland und Jugoslawien ein. Wiederum wurde der Schlag ohne Warnung und mit feiger Hinterlist geführt, wie die Welt es nachgerade von diesem selbsternannten »Herrenvolk« erwartete. Es war ein Bruch des Haager Abkommens. Es war ein Bruch des Paktes von Paris. Es war ein Bruch der besonderen Zusicherung, die Hitler am 6. Oktober 1939 gegeben hatte. In dieser hieß es:

»Ich habe sofort nach vollzogenem Anschluß Jugoslawien mitgeteilt, daß die Grenze auch mit diesem Staat von jetzt an für Deutschland eine unabänderliche sei, und daß wir nur in Frieden und Freundschaft mit ihm zu leben wünschen.«

Der Plan für den Angriff gegen Jugoslawien war natürlich gut vorbereitet. In der Angriffsaktion nach Osten, in Richtung auf die Ukraine und die Sowjetgebiete, hatten die Deutschen die Sicherheit der südlichen Flanke und der Verkehrslinien bereits wohl erwogen.

Die Geschichte der Ereignisse, die zur Invasion Jugoslawiens durch Deutschland führten, ist wohl bekannt. Am 28. Oktober 1940, um 3 Uhr morgens, wurde ein auf drei Stunden befristetes Ultimatum der Italienischen Regierung der Griechischen Regierung überreicht; der Überreichung dieses Ultimatums folgte unmittelbar ein Luftbombardement gegen griechische Provinzstädte und der Vormarsch italienischer Truppen auf griechisches Gebiet. Die Griechen, die auf einen derartigen Angriff nicht vorbereitet waren, wurden zuerst zum Rückzug gezwungen. Später jedoch wurde der italienische Vormarsch zunächst zum Halten gebracht, die Italiener wurden dann auf die albanische Grenze zurückgeworfen, und gegen Ende des Jahres 1940 hatte die italienische Armee ernste Rückschläge durch die Griechen erlitten.

Für die deutsche Stellung in dieser Angelegenheit kann der Beweis durch die Vorkommnisse erbracht werden, die sich ereigneten, als Hitler am 12. August 1939 eine Konferenz mit Ciano hatte.

Sie werden sich erinnern, was Hitler damals sagte:

»Ganz allgemein gesprochen sei es überhaupt das beste, wenn die falschen Neutralen einer nach dem anderen liquidiert würden. Dies ließe sich verhältnismäßig einfach durchführen, wenn jeweils der eine Partner der Achse den anderen, der gerade einen der unsicheren Neutralen erledigte, den Rücken deckte und umgekehrt. Für Italien sei wohl Jugoslawien als ein derartiger unsicherer Neutraler anzusehen.«

Im weiteren Verlauf dieser Konferenz, und zwar während einer längeren Besprechung am 13. August 1939, sagte Hitler:

»Im übrigen sei jede gelungene Einzelaktion eines Achsenpartners gleichbedeutend mit einer nicht nur strategischen, sondern vor allen Dingen auch psychologischen Stärkung des Partners, sowie der gesamten Achse. Italien habe in Abessinien, Spanien und Albanien eine Reihe erfolgreicher Einzelaktionen durchgeführt, und zwar immer gegen den Willen der demokratischen Entente. Diese Einzelaktionen hätten nicht nur in jedem einzelnen Falle Italiens Interessen gefördert, sondern auch seine Gesamtstellung außerordentlich gestärkt. Dasselbe sei bei Deutschlands Aktionen in Österreich, der Tschechoslowakei usw. der Fall gewesen.... Die Stärkung der Achse, die sich so ergeben habe, sei von größter Wichtigkeit für die unausbleibliche Auseinandersetzung mit den Westmächten.«

Wieder einmal sehen wir, wie dasselbe Verfahren eingehalten wurde. Diese Konferenz hatte am 12. und 13. August 1939 stattgefunden. Kaum zwei Monate später gab Hitler Jugoslawien die Zusicherung, daß Deutschland nur wünsche, in Frieden und Freundschaft mit dem jugoslawischen Staate zu leben, dessen Liquidation durch seinen Achsenpartner er selbst vor kurzem vorgeschlagen hatte.

Dann kam das italienische Ultimatum an Griechenland, der Krieg gegen Griechenland und der italienische Mißerfolg.

Wir haben unter den beschlagnahmten Dokumenten einen undatierten Brief Hitlers an Mussolini gefunden, der ungefähr zur Zeit des italienischen Überfalls auf Griechenland geschrieben worden sein muß.

»Lassen Sie mich«, sagte Hitler, »an die Spitze dieses Briefes die Versicherung stellen, daß seit den letzten 14 Tagen mein Herz und meine Gedanken mehr denn je bei Ihnen weilen. Nehmen Sie weiter, Duce, Kenntnis von meiner Entschlossenheit, alles zu tun, was in der augenblicklichen Lage für Sie entlastend wirken kann. Als ich Sie bat, mich in Florenz zu empfangen, trat ich die Reise an in der Hoffnung, Ihnen noch vor Beginn der drohenden Auseinandersetzung mit Griechenland, von der ich nur im allgemeinen Kenntnis erhalten habe, meine Gedanken darlegen zu können. Ich wollte Sie zu nächst bitten, die Aktion noch hinauszuschieben, wenn möglich, bis zu einer günstigen Jahreszeit, auf alle Fälle aber bis nach der amerikanischen Präsidentenwahl. Auf jeden Fall aber wollte ich Sie bitten, Duce, diese Aktion nicht zu unternehmen ohne eine vorherige, blitzartige Besetzung Kretas, und ich wollte Ihnen zu diesem Zweck auch praktische Vorschläge mitbringen für den Einsatz einer deutschen Fallschirmdivision und einer weiteren Luftlandedivision....

Jugoslawien muß desinteressiert werden, wenn möglich aber in unserem Sinne sogar positiv interessiert an der Beseitigung der griechischen Frage mitarbeiten. Ohne Sicherung von seiten Jugoslawiens ist keine erfolgreiche Operation auf dem Balkan zu riskieren.... Ich muß leider aber feststellen, daß die Führung eines Krieges auf dem Balkan vor März unmöglich ist. Es würde daher auch jede drohende Einwirkung auf Jugoslawien zwecklos sein, da dem serbischen Generalstab die Unmöglichkeit einer praktischen Verwirklichung einer solchen Drohung vor dem März genau bekannt ist. Jugoslawien muß daher, wenn irgend möglich, durch andere Wege und Mittel gewonnen werden.«

Am 12. November 1939 wies Hitler in einem streng geheimen Befehl das OKH an, Vorbereitungen zur Besetzung Griechenlands und Bulgariens, falls notwendig, zu treffen. Anscheinend sollten zehn Divisionen dazu benutzt werden, um ein Eingreifen der Türkei zu verhindern. Ich glaube, ich sagte 1939, es soll natürlich 12. November 1940 heißen. Um Zeit zu sparen, sollten die deutschen Divisionen in Rumänien vermehrt werden.

Am 13. Dezember erließ Hitler eine Weisung an OKW, OKL, OKH und OKM und den Generalstab über die Aktion »Marita«, wie die Invasion Griechenlands genannt werden sollte. In dieser Weisung wurde erklärt, daß die Invasion Griechenlands geplant wäre und stattfinden sollte, sobald sich die Wetterbedingungen günstig gestalteten. Ein weiterer Befehl wurde am 11. Januar 1941 herausgegeben.

Am 28. Januar 1941 kam Hitler mit Mussolini zusammen. Die Angeklagten Jodl, Keitel und Ribbentrop waren bei dieser Besprechung zugegen. Wir wissen aus Jodls Aufzeichnungen, was sich dort zutrug. Wir wissen ferner, daß Hitler erklärte, einer der Zwecke der deutschen Truppenansammlungen in Rumänien sei ihre Verwendung im Plan »Marita« gegen Griechenland.

Am 1. März 1941 zogen deutsche Truppen in Bulgarien ein und rückten gegen die griechische Grenze vor. Angesichts dieser Drohung eines Angriffs auf Griechenland durch deutsche und italienische Streitkräfte, landeten britische Truppen am 3. März in Griechenland, und zwar in Übereinstimmung mit der Erklärung der Britischen Regierung vom 13. April 1939, daß England sich verpflichtet fühlen würde, Griechenland und Rumänien alle in seiner Macht stehende Hilfe zu gewähren, falls eines dieser Länder das Opfer eines Angriffs werden und sich einem solchen Angriff widersetzen würde. Die italienische Aktion hatte natürlich diese Versprechen bereits wirksam gemacht. Am 25. März 1941 unterzeichnete Jugoslawien, das durch »die anderen Mittel und Wege«, auf die Hitler oben Bezug genommen hatte, zum Teil auf die Seite der Achse gezogen worden war, den Dreimächtepakt, der bereits von Deutschland, Italien und Japan unterschrieben war. In der Einleitung dieses Paktes war festgelegt, daß die drei Mächte zusammenstehen und zusammenarbeiten würden.

Am gleichen Tage schrieb der Angeklagte Ribbentrop zwei Noten an den Jugoslawischen Premierminister, in denen er ihm Deutschlands feste Absicht versicherte, die Souveränität und Unabhängigkeit seines Landes zu respektieren.

Diese Erklärung stellte ein weiteres Beispiel für die Treulosigkeit dar, wie sie von der deutschen Diplomatie angewandt wurde. Wir haben bereits gesehen, welche Vorbereitungen getroffen worden waren, und wir haben gesehen, wie Hitler versuchte, Italien zu einem Angriffsakt gegen Jugoslawien zu verführen. Wir haben ferner seine Januar-Befehle zur Vorbereitung einer Invasion Jugoslawiens und Griechenlands gesehen. Und nun, am 25. März, unterschreibt er einen Vertrag mit diesem Lande, und sein Außenminister gibt schriftliche Versicherungen ab, daß die Souveränität und die Unverletzlichkeit des Landes respektiert werden würde.

Die Unterzeichnung dieses Paktes hatte zur Folge, daß Antinazi-Elemente in Jugoslawien sofort einen Staatsstreich durchführten und eine neue Regierung ans Ruder brachten. Deutschland, nicht mehr gewillt, die Unverletzlichkeit und Souveränität seines Alliierten zu respektieren, beschloß gleich darauf die Invasion. Am 27. März, zwei Tage nach Unterzeichnung des Dreimächte-Paktes, gab Hitler die Anweisung, daß Jugoslawien überfallen und als Basis für die Fortführung der gemeinsamen deutsch-italienischen Operation gegen Griechenland verwendet werden solle. Sodann wurden weitere Anweisungen für die Aktion »Marita« durch von Brauchitsch am 30. März 1941 erlassen. Es wurde erklärt, und ich zitiere;

»Die für die Operation gegen Griechenland gegebenen Befehle behalten im übrigen... ihre Gültigkeit.... Am 5. April, sobald... die Wetterlage es zuläßt, Angriff der Luftwaffen gegen die jugoslawische Bodenorganisation.... Gleichzeitig... Beginn des Angriffs der 12. Armee... gegen Jugoslawien und Griechenland.«

Wie uns jetzt bekannt ist, begann der eigentliche Überfall in den Morgenstunden des 6. April. Verträge, Abmachungen, Zusicherungen und Verpflichtungen jeder Art werden beiseite geschoben und außer Acht gelassen, wann immer die aggressiven Interessen Deutschlands in Frage kommen.

Ich wende mich nun der letzten Angriffshandlung in Europa zu – meine amerikanischen Kollegen werden sich mit diesem Punkt, soweit er sich auf Japan bezieht, befassen – der letzten Angriffshandlung, derentwegen die Nazi-Verschwörer angeklagt sind, nämlich dem Angriff auf Rußland. Im August 1939 schloß Deutschland, obwohl es ohne Zweifel die Absicht hatte, Rußland bei passender Gelegenheit anzugreifen, einen Nichtangriffspakt mit der USSR ab. Als Belgien und die Niederlande besetzt wurden und Frankreich im Juni 1940 zusammenbrach, stand England trotz der unschätzbaren moralischen und wirtschaftlichen Hilfe Amerikas als der einzig übriggebliebene Vertreter der Demokratie gegen die Mächte der Aggression allein im Feld. In diesem Augenblick stand nur das Britische Reich zwischen Deutschland und seinem Ziel, die westliche Welt zu beherrschen. Allein, das Britische Reich und England als seine Zitadelle. Aber das genügte. Die erste und möglicherweise entscheidende militärische Niederlage, die der Feind erlitt, ergab sich im Feldzug gegen England; und durch diese Niederlage wurde der weitere Verlauf des Krieges einschneidend beeinflußt.

Am 16. Juli 1940 gab Hitler an Keitel und Jodl eine Weisung, der nachzukommen sie außerstande waren, nämlich die Weisung für die Invasion Englands. Sie begann mit den Worten – und die Engländer werden immer stolz darauf sein:

»Da England, trotz seiner militärisch aussichtslosen Lage, noch keine Anzeichen einer Verständigungsbereitschaft zu erkennen gibt, habe ich mich entschlossen, eine Landungsoperation gegen England vorzubereiten und, wenn nötig, durchzuführen. Zweck dieser Operation ist es, das englische Mutterland als Basis für die Fortführung des Krieges gegen Deutschland auszuschalten....

Die Vorbereitungen für die Gesamtoperation müssen bis Mitte August abgeschlossen sein.«

Die erste wichtige Voraussetzung für diesen Plan war; und ich zitiere:

»Die englische Luftwaffe muß moralisch und tatsächlich so weit niedergekämpft sein, daß sie keine nennenswerte Angriffskraft dem deutschen Übergang gegenüber mehr zeigt.«

Der Angeklagte Göring und seine Luftwaffe machten zweifellos die stärksten Anstrengungen, diese Bedingung zu erfüllen. Ihre entscheidende Niederlage stellt eines der hervorragendsten Ruhmesblätter unserer Geschichte dar. Obgleich die Bombardierung der Städte Englands und seiner Dörfer durch den düsteren Winter 1940-1941 hindurch fortgesetzt wurde, kam der Feind schließlich doch zur Einsicht, daß England mit diesen Mitteln nicht unterjocht werden könne. Demzufolge wandte sich Deutschland wieder nach dem Osten, nachdem es das erste Hauptziel nicht erreicht hatte. Am 22. Juni 1941 überfielen Deutschlands Streitkräfte ohne Warnung, ohne Kriegserklärung Rußland. Dies war ein Bruch der üblichen Serie von Verträgen, die in diesem Falle genau so wenig bedeuteten, wie in den anderen Fällen. Es war eine Verletzung des Paktes von Paris, eine besonders krasse Zuwiderhandlung gegen den Nichtangriffspakt, den Deutschland und Rußland am 23. August des Vorjahres abgeschlossen hatten.

Hitler selbst sagte mit Bezug auf diesen Vertrag, daß »Verträge nur solange einzuhalten sind, als sie einen Zweck erfüllen«.

Der Angeklagte Ribbentrop war etwas genauer. In einer Besprechung mit dem Japanischen Botschafter in Berlin am 23. Februar 1941 stellte er klar, daß deutscherseits der Zweck dieses Vertrags lediglich darin bestanden habe, einen Zwei-Fronten-Krieg zu verhindern.

Im Gegensatz zu dem, was Hitler, Ribbentrop und die anderen in geheimen Beratungen in Deutschland planten, wissen wir, was sie der übrigen Welt erzählten.

Am 19. Juli hielt Hitler im Reichstag eine Rede.

»Ich hielt es unter diesen Umständen«, sagte er, »für richtig, vor allem mit Rußland eine nüchterne Interessenfestsetzung vorzunehmen, um für immer klarzulegen, was Deutschland glaubt, für seine Zukunft als Interessengebiet ansehen zu müssen, und was umgekehrt Ruß land für seine Existenz als wichtig hält. Aus dieser klaren Abgrenzung der beiderseitigen Interessengebiete erfolgte die Neuregelung des russisch-deutschen Verhältnisses. Jede Hoffnung, daß im Vollzug dessen nun eine neue deutsch-russische Spannung eintreten könnte, ist kindisch. Weder hat Deutschland einen Schritt unternommen, der es außerhalb seiner Interessengebiete geführt hätte, noch hat Rußland einen solchen getan. Die Hoffnung Englands aber, durch die Herbeiführung irgendeiner neuen europäischen Krise eine Entlastung seiner eigenen Situation erreichen zu können, ist, soweit es sich um das Verhältnis Deutschlands zu Rußland handelt, ein Trugschluß. Die britischen Staatsmänner sehen alles etwas langsamer ein, sie werden also auch das im Laufe der Zeit begreifen lernen.«

Die ganze Erklärung war natürlich ein Lügengewebe, denn wenige Monate später wurde damit begonnen, Anstalten für einen Angriff gegen Rußland zu treffen.

Der Angeklagte Raeder gibt uns die wahrscheinlichen Gründe für diese Entscheidung in einem an Admiral Assmann gesandten Schreiben:

»Die Befürchtung, daß die Luftherrschaft über dem Kanal sich im Herbst 1940 nicht mehr werde herstellen lassen – eine Erkenntnis, die der Führer zweifellos früher gewann als die Seekriegsleitung, die über die wahren Ergebnisse der Luftangriffe auf England (eigene Verluste) nicht im gleichen Maße aufgeklärt wurde –... veranlaßte den Führer sicherlich schon im August/September dazu,« (August/September 1940) »Überlegun gen anzustellen, ob – auch vor einem Siege im Westen – ein Ostfeldzug in Frage käme, um zunächst den letzten ernstlichen Gegner auf dem Kontinent auszuschalten.... Zweifelsohne ist im Laufe des Septembers 1940 die Möglichkeit eines Ostfeldzuges öfters vom Führer erwähnt worden...«

Möglicherweise hat er der Marine seine Absicht erst später im September bekanntgegeben. Aber Anfang September hatte er zweifellos mit dem Angeklagten Jodl darüber gesprochen.

Wir haben eine Weisung des OKW vom 6. September 1940, die die Unterschrift Jodls trägt:

»Der Ostraum wird in den kommenden Wochen stärker belegt werden...

Aus Sicherheitsgründen«, ich zitiere: »darf aus diesen Umgruppierungen in Rußland nicht der Eindruck entstehen, daß wir eine Ostoffensive vorbereiten. Für die Arbeit des eigenen Nachrichtendienstes, sowie für die Beantwortung von Fragen des russischen Nachrichtendienstes, gelten folgende Richtlinien:

Die jeweilige Gesamtstärke der deutschen Truppen im Osten ist... dadurch zu verschleiern, daß Nachrichten über einen häufigen Wechsel der dortigen Heeresverbände gegeben werden... Es ist der Eindruck zu erwecken, daß der Schwerpunkt der Belegung im südlichen Gouvernement... liegt, und daß die Belegung im Norden verhältnismäßig gering ist.«

Hier sehen wir den Anfang der Aktion.

Am 12. November 1940 gab Hitler eine Weisung heraus, die vom Angeklagten Jodl unterschrieben ist, und in der er sagte, daß politische Besprechungen mit dem Ziel, die Haltung Rußlands für die nächste Zeit zu klären, eingeleitet seien. Gleichgültig, welches Ergebnis die Besprechungen haben würden, seien alle schon mündlich befohlenen Vorbereitungen für den Osten fortzuführen.

Es ist nicht anzunehmen, daß die USSR an irgend welchen Besprechungen zu dieser Zeit teilgenommen hätten, wenn sie gewußt hätten, daß am gleichen Tag Befehle zur Vorbereitung einer Invasion Rußlands gegeben wurden, und daß der Operationsbefehl, Plan »Barbarossa« genannt, bereits in voller Vorbereitung war.

Am 18. Dezember kam dieser Befehl heraus; ich zitiere:

»Die deutsche Wehrmacht muß darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrußland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen (Fall Barbarossa).«

Und dann in derselben Instruktion:

»Alle von den Herren Oberbefehlshabern auf Grund dieser Weisung zu treffenden Anordnungen müssen eindeutig dahin abgestimmt sein, daß es sich um Vorsichtsmaßnahmen handelt, für den Fall, daß Rußland seine bisherige Haltung gegen uns ändern sollte.«

Deutschland trug weiterhin eine freundliche Einstellung zur Schau. Lange nachdem der Plan »Barbarossa« zur Invasion Rußlands entschieden war, unterzeichnete Deutschland das deutsch-russische Abkommen am 10. Januar 1941. Weniger als einen Monat später, am 3. Februar 1941, hielt Hitler eine Besprechung ab, bei der die Angeklagten Keitel und Jodl zugegen waren, und bei der vorgesehen wurde, daß die ganze Aktion gegen Rußland so getarnt werden solle, als ob sie ein Teil der Vorbereitungen für den Fall »Seelöwe«, wie der Plan zur Invasion Englands genannt wurde, wäre.

Im März 1941 waren die Pläne bereits so weit vorgeschritten, daß darin Bestimmungen aufgenommen waren, nach welchen das russische Gebiet in neun Einzelstaaten unter der Verwaltung von Reichskommissaren aufgeteilt werden sollte, die ihrerseits der allgemeinen Kontrolle des Angeklagten Rosenberg unterstanden. Zur selben Zeit bestanden detaillierte Pläne für die wirtschaftliche Ausnutzung des Landes unter Aufsicht des Angeklagten Göring, dem die Verantwortung für diese Angelegenheit – und sie war eine ernste Verantwortung – von Hitler übertragen worden war.

Sie werden jetzt etwas über die Einzelheiten dieser Pläne hören. Ich erinnere an ein Dokument, auf das bereits in diesem Zusammenhang Bezug genommen wurde. Es ist bezeichnend, daß am 2. Mai 1941 eine Besprechung von Staatssekretären hinsichtlich des Planes »Barbarossa« stattfand. Während dieser Besprechung wurde folgendes festgestellt:

»1. Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Rußland ernährt wird. 2. Hierbei werden zweifellos -zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.«

Darüber machte man sich aber anscheinend keine Sorgen. Der Plan »Oldenburg«, wie der Entwurf für die wirtschaftliche Organisation und Ausnützung Rußlands hieß, wurde weiter ausgearbeitet. Ungefähr am 1. Mai 1941 war der X-Tag für den Beginn der Operation festgelegt. Am 1. Juni waren die Vorbereitungen tatsächlich fertiggestellt, und ein detaillierter Zeitplan wurde herausgegeben. Es wurde angenommen, daß, obgleich es schwere Grenzschlachten geben würde, die vielleicht vier Wochen dauern konnten, danach kein ernster Widerstand mehr zu erwarten sei.

Am 22. Juni, um 3.30 Uhr morgens, marschierten wiederum die deutschen Armeen. Hitler sagte damals in seiner Bekanntmachung:

»Ich habe mich entschlossen, das Schicksal des deutschen Volkes und des Reiches wiederum in die Hände unserer Soldaten zu legen.«

Natürlich wurden die üblichen falschen Angaben gemacht. Ribbentrop sagte am 28. Juni, daß der Schritt nur wegen Bedrohung der deutschen Grenze durch die Rote Armee unternommen wurde. Es war eine Lüge, und der Angeklagte Ribbentrop wußte, daß es eine Lüge war.

Am 7. Juni 1941 berichtete Ribbentrops Botschafter in Moskau an Ribbentrop:

»Alle Beobachtungen zeigen, daß Stalin und Molotow, die für die russische Außenpolitik allein verantwortlich sind, alles tun, um einen Konflikt mit Deutschland zu vermeiden.«

Die Stabsberichte, die Sie sehen werden, stellen klar, daß die Russen keine militärischen Vorbereitungen getroffen hatten, und daß sie weiterhin ihre Lieferungen gemäß dem Handelsvertrag fortsetzten, und zwar bis zum letzten Tage. Die Wahrheit ist natürlich, daß die Ausschaltung Rußlands als politischer Gegner und die Einbeziehung russischen Gebiets in den deutschen Lebensraum schon lange einer der kardinalen Punkte der Nazi-Politik gewesen war, welcher aber später aus diplomatischen Gründen, wie der Angeklagte Jodl es nannte, in den Hintergrund getreten war.

So wurden am 22. Juni die Nazi-Armeen gegen die Macht geworfen, mit der Hitler erst kurz vorher einen Freundschaftspakt geschlossen hatte. Deutschland ging zum letzten Angriffsakt in Europa über, der nach langem und bitterem Kampf endlich zu seinem Zusammenbruch führte.

Dies also ist die nach Punkt 2 der Anklageschrift gegen diese Angeklagten als führende Männer Deutschlands erhobene Anklage.

Es wird wahrscheinlich behauptet werden, daß viele dieser Dokumente, auf die ich mich bezogen habe, im Namen Hitlers verfaßt wurden, daß diese Befehle Befehle Hitlers waren, und daß diese Männer lediglich Werkzeuge von Hitlers Wille gewesen seien; aber sie waren die Werkzeuge, ohne die Hitlers Wille nicht hätte ausgeführt werden können. Sie waren mehr als das. Diese Männer waren nicht bloß willige Werkzeuge, obwohl sie schon in dieser Rolle hinreichende Schuld auf sich geladen hätten, sie sind die Männer, mit deren Hilfe Hitler seine Machtstellung so ausgebaut hat, wie er es beabsichtigte. Sie sind die Männer, die durch ihre Initiative und Planung die in Hitlers Namen vorgenommenen Angriffshandlungen oft ersannen und sicherlich erst möglich machten; und sie sind die Männer, die es Hitler ermöglichten, die Armee, Marine und Luftwaffe aufzubauen, die Kriegswirtschaft ins Leben zu rufen, und die Grundlage jener politischen Philosophie zu schaffen, mit deren Hilfe diese hinterlistigen Angriffe ausgeführt wurden, und durch die es ihm gelang, seine fanatischen Gefolgsleute in friedliche Länder zu führen, um zu morden, zu plündern und zu zerstören. Sie sind die Männer, durch deren Mitwirkung und Unterstützung die Nazi-Regierung in Deutschland möglich gemacht wurde.

Die Regierung eines totalitären Landes kann ohne Volksvertretung geführt werden, sie kann aber nicht überhaupt ohne jede Hilfe geführt werden. Es ist zwecklos, einen Führer zu haben, wenn es nicht auch Menschen gibt, die aus Gründen persönlicher Habsucht und persönlicher Ehrsucht willig und bereit sind, ihm zu helfen und zu dienen.

Der Diktator, der das Schicksal seines Landes leitet, kann sich nicht allein auf sich selbst verlassen, weder in der Erlangung noch in der Aufrechterhaltung seiner Macht. Er bedarf der Unterstützung und der Hilfe, die geringere Männer, selbst gierig nach einem Anteil an der diktatorischen Macht und eifrig bemüht, sich in der Anbetung des Führers zu sonnen, gern gewähren.

Vor den Strafgerichten unserer Länder, wo Leute wegen Verletzung der Landesgesetze angeklagt sind, kommt es nicht selten vor, daß eine Bande gemeinsam auf der Anklagebank sitzt, aus der sich ein Mann als die geistig führende und beherrschende Person abhebt. Der gemeine Dieb würde sich auf keinen Fall mit den Worten verantworten: Ich stahl, weil mir befohlen wurde zu stehlen; oder der Mörder: Ich tötete, weil mir aufgetragen wurde zu töten. Diese Männer sind in keiner anderen Lage, abgesehen davon, daß sie versucht haben, Nationen zu berauben und ganze Völker auszurotten.

Niemandes Vollmacht rechtfertigt die Ausführung einer ungesetzlichen Handlung. Politische Ergebenheit und militärischer Gehorsam sind vorzügliche Dinge, aber weder erheischen noch rechtfertigen sie die Ausführung von offenkundig ruchlosen Taten. Es kommt ein Punkt, wo ein Mann sich weigern muß, seinem Führer zu folgen, will er seinem Gewissen folgen. Selbst der gemeine Soldat, der in seiner Armee dient, ist nicht dazu verpflichtet, ungesetzlichen Befehlen zu gehorchen. Aber diese Männer waren keine gewöhnlichen Soldaten; sie waren die Männer, deren Geschicklichkeit und Schlauheit, deren Arbeit und Aktivität es der Deutschen Regierung möglich machten, bestehende Verträge zu zerreißen, neue Verträge einzugehen und sich über sie hinwegzusetzen, internationale Verhandlungen und Diplomatie zu einem leeren Hohn herabzuwürdigen, und alle Achtung und Kraft internationaler Gesetze zu zerstören, und schließlich gegen die Völker der Welt aufzumarschieren, um eine Herrschaft zu errichten, in die sie als hochmütige Glieder ihrer selbsterfundenen Herrenrasse ihren Glauben setzten.

Wenn diese Verbrechen in gewissem Sinne auch die Verbrechen Nazi-Deutschlands waren, so haben sich die Angeklagten persönlich mitschuldig gemacht, weil sie mit Rat und Tat Vorschub und Beistand leisteten und so die Begehung der Taten möglich machten. Die Summe der Verbrechen, die von diesen Männern begangen wurden – in ihrer Schrecklichkeit kaum zu erfassen – ist von verschiedenen Gesichtspunkten her zu betrachten. Ihr Sadismus, ihre Lüsternheit, das wohl überlegte Hinschlachten und die Herabwürdigung so vieler Millionen ihrer Mitmenschen – die Vorstellung allein macht schaudern – bildet nur eine Seite dieser Angelegenheit. Nun, da dieser Alpdruck gewichen ist und wir uns mit den zukünftigen Lebensverhältnissen zu befassen haben, erscheint ihre Schuld als Mörder und Räuber vielleicht weniger wichtig und von geringerer Wirkung für die zukünftigen Generationen als ihre verbrecherischen Betrugshandlungen, mit deren Hilfe sie ihre Morde und Räubereien begehen konnten. Das ist die andere Seite ihrer Schuld.

Die Geschichte ihrer »Diplomatie«, die auf List, Scheinheiligkeit und Untreue aufgebaut war, ist zwar weniger schauerlich, aber nicht weniger übel und vorbedacht. Sollte ihr Vorgehen als Vorbild für die Behandlung internationaler Beziehungen angesehen werden, so müßten die Auswirkungen auf die Menschheit sicherlich nicht wenig zum Ende der Zivilisation beitragen. Ohne Vertrauen zwischen den Nationen, ohne Treu und Glauben, daß das, was gesagt wird, auch so gemeint ist, und das, was unternommen wird, auch eingehalten wird, muß alle Hoffnung auf Frieden und Sicherheit erlöschen. Die Regierungen des Vereinigten Königreichs und des Britischen Commonwealth, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und Frankreichs, unterstützt von jedem friedlichen Volk der Welt, und in dessen Namen, haben sich daher vereinigt, die Gründer und Träger der Auffassung der Nazis von internationalen Beziehungen vor diesen Gerichtshof zu stellen. Sie tun es, damit diese Angeklagten für ihre Verbrechen bestraft werden. Sie tun es ferner, damit ihr Verhalten in all seiner nackten Schlechtigkeit aufgezeigt wird, und sie tun es in der Hoffnung, daß das Gewissen und das Rechtsgefühl der ganzen Welt die Folgen solchen Verhaltens und das Ende, zu dem es stets unvermeidlich führen muß, einsehen. Laßt uns den Zustand geistiger Gesundheit wieder herstellen, und damit auch die Heiligkeit unserer gegenseitigen Verpflichtungen!

VORSITZENDER: Herr Ankläger, wäre es der Britischen Anklagebehörde angenehm, fortzufahren?

SIR HARTLEY SHAWCROSS: Der Plan war ursprünglich der, daß mein Kollege, Herr Sidney Alderman, den Fall hinsichtlich der schließlichen Angriffshandlungen gegen die Tschechoslowakei fortsetze, und daß, wenn dies geschehen ist, meine britischen Kollegen mit dem Vortrag ihres Falles fortfahren. Anklagepunkt 1 und 2 ergänzen sich, wie der Gerichtshof feststellen wird, in vieler Hinsicht, und wir arbeiten mit unseren amerikanischen Kollegen auf das engste zusammen, um das Beweismaterial für diese Punkte vorzulegen.

VORSITZENDER: Herr Alderman, würde es Ihnen passen, bis 5 Uhr zu sprechen?

MR. ALDERMAN: Ja, sicherlich. Hoher Gerichtshof! Es scheint mir durchaus zweckdienlich, fortzufahren. Ich kann nicht umhin, zu sagen, daß meine Worte einen großen Unterschied gegenüber dem bedeuten werden, was Sie soeben gehört haben.

Als der Gerichtshof gestern Nachmittag die Sitzung vertagte, hatte ich gerade die Darlegung der Pläne der Nazi-Verschwörer aus den dem Münchener Vertrag unmittelbar folgenden Wochen beendet. Diese Pläne bezogen sich auf das, was die deutschen Funktionäre »die Liquidierung der Rest-Tschechoslowakei« nannten. Sie werden sich erinnern, daß drei Wochen nach München, am 21. Oktober, dem gleichen Tage, an dem die Verwaltung des Sudetenlandes den Zivilbehörden übergeben worden war, Hitler und Keitel einen Befehl an die Wehrmacht herausgaben. Es handelt sich um das Dokument C-136, US-104.

In diesem Befehl gaben Hitler und Keitel den Auftrag, mit den Vorbereitungen zur Besetzung der Rest- Tschechoslowakei durch die Wehrmacht zu beginnen. Sie werden sich ebenfalls erinnern, daß zwei Monate später, am 17. Dezember, der Angeklagte Keitel einen Zusatz zu dem ursprünglichen Befehl erließ, nach dem die Vorbereitungsarbeiten fortzusetzen waren. Es ist Dokument C-138, US-105. Beide Dokumente wurden bereits vorgelegt. In der Annahme, daß kein nennenswerter Widerstand zu erwarten sei, betonte dieser Befehl, daß der Angriff auf die Tschechoslowakei gut getarnt werden sollte, so daß er nicht als kriegsmäßige Handlung erscheinen würde.

»Auch nach außen hin,« ich zitiere, »muß klar in Erscheinung treten, daß es sich nur um eine Befriedungsaktion und nicht um ein kriegerisches Unternehmen handelt.«

Somit war bereits Anfang 1939 der Grundplan für eine militärische Aktion gegen die verstümmelte Tschechoslowakische Republik vom deutschen Oberkommando ausgearbeitet.

Ich wende mich nun den listigen und verbrecherischen Methoden zu, die die Nazi-Verschwörer anwendeten, um dafür zu sorgen, daß der deutschen Armee kein nennenswerter Widerstand entgegengesetzt werde. Wie bereits in den Fällen Österreich und Sudetenland beabsichtigten die Nazi-Verschwörer nicht, sich auf die Wehrmacht allein zu stützen, um ihr berechnetes Ziel, die Liquidierung der Tschechoslowakei, zu erreichen. Da die deutsche Minderheit bereits von der Tschechoslowakei abgetrennt war, konnten sie nicht länger »Heim ins Reich« rufen. Eine beträchtliche Minderheit, die Slowaken, befand sich noch in der Tschechoslowakei.

Ich muß hier erwähnen, daß die Tschechoslowakische Regierung alles getan hatte, um die slowakischen Extremisten in den Monaten nach der Abtretung des Sudetenlandes zu versöhnen. Den Slowaken war Autonomie mit einem autonomen Kabinett und einem Parlament in Preßburg gewährt worden. Nichtsdestoweniger und trotz dieser Konzessionen war es die Slowakei, wo die Nazi-Verschwörer fruchtbaren Boden für ihre Taktiken fanden. Das Bild, das ich jetzt von den Nazi-Operationen in der Slowakei entwerfe, stammt aus dem offiziellen tschechoslowakischen Regierungsbericht, Urkunde 998-PS, die bereits als Beweisstück US-91 zugelassen und vom Gerichtshof amtlich zur Kenntnis genommen worden ist. Nazi- Propaganda- und Spitzelorganisationen hatten sich schon lange für eine enge Verbindung mit der slowakischen, autonomistischen Opposition interessiert. Als Bela Tuka, der später Ministerpräsident des Marionetten-Staates Slowakei wurde, 1929 unter Anklage wegen Spionage und Hochverrat stand, wurde der Beweis erbracht, daß er bereits mit Nazi-Gruppen in Deutschland Verbindungen unterhielt. Schon vor 1938 hatten Nazi-Helfer enge Verbindung mit slowakischen Verrätern im Exil und versuchten, einen vorteilhafteren Kontakt mit der halbfaschistischen slowakischen katholischen Volkspartei des Monsignore Andreas Hlinka herzustellen. Im Februar und Juli 1938 konferierten die Führer der Henlein-Bewegung mit den Leitern der Partei des Paters Hlinka und kamen überein, sich gegenseitig in ihren Forderungen auf Autonomie beizustehen. Diese Übereinkunft erwies sich in der September-Agitation als nützlich, als das Auswärtige Amt in Berlin im geeigneten Moment an den Henlein-Führer Kundt in Prag ein Telegramm richtete, den Slowaken auszurichten, daß sie nun ihre Forderung nach Autonomie Stellen sollten. Dieses Telegramm, Dokument 2858-PS, US-97, ist bereits als Beweisstück vorgelegt und zur Verlesung gebracht. Zu diesem Zeitpunkt, Mitte Sommer 1938, standen die Nazis in direkter Verbindung mit Personen der slowakischen Autonomiebewegung und besaßen bezahlte Agenten im Stab der Partei des Paters Hlinka. Diese Agenten hatten die Aufgabe, jegliche Verständigung zwischen slowakischen Autonomisten und slowakischen Parteien in der Prager Regierung unmöglich zu machen.

Hans Karmasin, der später Volksgruppenführer wurde und zum Nazi-Führer in der Slowakei ernannt worden war, gab vor, im Dienste der slowakischen Autonomie zu stehen, während er tatsächlich im Solde der Nazis stand. Am 22. November telegraphierten die Nazis in indiskreter Weise an Karmasin und forderten ihn auf, sein Geld von der Deutschen Gesandtschaft in Prag abzuholen. Zum Beweis dafür lege ich Dokument 2859-PS, US-107 vor, das unter den Akten des Deutschen Auswärtigen Amtes erbeutet wurde. Ich verlese das Telegramm, das von der Deutschen Gesandtschaft in Prag nach Preßburg gesandt wurde:

»Abgeordneter Kundt bittet Staatssekretär Karmasin auszurichten, er möge die für ihn bei der Gesandtschaftskasse bereitliegende Summe persönlich abheben. Unterschrift: Hencke.«

Karmasin erwies sich als besonders nützlich für die Sache der Nazis. Obwohl es der chronologischen Folge meines Vertrags nicht entspricht, möchte ich Dokument 2794-PS als Beweisstück US-108, ein erbeutetes Memorandum des Deutschen Auswärtigen Amtes, datiert Berlin, 29. November 1939, vorlegen. Diese Urkunde, die acht Monate nach der Besetzung der Tschechoslowakei datiert ist, wirft ein interessantes Licht sowohl auf Karmasin als auch auf das Deutsche Auswärtige Amt. Ich lese nun aus diesem Memorandum vor:

»Zur Frage geldlicher Zuwendungen an Karmasin.

Karmasin bekommt monatlich RM. 30000 vom VDA bis zum 1. April 1940, von da ab monatlich RM. 15000. Ferner hat die Volksdeutsche Mittelsstelle bei der Deut schen Gesandtschaft in Preßburg RM. 300000 für K. hinterlegt, auf die er im Notfall zurückgreifen kann.

K. hat außerdem vom Reichsminister Seyß-Inquart Geld erhalten; es hat z. Zt. nicht festgestellt werden können, um welche Beträge es sich gehandelt hat und ob noch Zahlungen erfolgen.

Es scheint demnach, daß Karmasin mit Geld genügend versehen ist, so daß wohl abgewartet werden könnte, ob er seinerseits mit neuen Forderungen kommt.

Hiermit dem Herrn Reichsaußenminister vorgelegt.

Unterschrift: Woermann.«

Dieses Dokument zeigt die Mitschuld des Deutschen Auswärtigen Amtes an der Unterstützung illegaler Organisationen im Ausland. Noch wichtiger, es zeigt, daß es die Deutschen noch immer für notwendig erachteten, ihre Strohmänner in Preßburg mit wesentlichen Geldmitteln zu versehen, selbst nach der Ausrufung des sogenannten Unabhängigen Staates Slowakei. Im Winter 1938/39 hatte der Angeklagte Göring mit Durcansky und Mach, zwei Führern der slowakischen Extremistengruppe, die von Karmasin begleitet waren, eine Besprechung. Die Slowaken erklärten Göring, daß sie, wie sie es nannten, eine Unabhängigkeit mit starker, politischer, wirtschaftlicher und militärischer Anlehnung an Deutschland wünschten. Sie versprachen, daß das jüdische Problem im gleichen Sinne, wie es in Deutschland gelöst worden war, gelöst werden würde. Sie versprachen ferner das Verbot der Kommunistischen Partei. Die Aufzeichnungen über die Konferenz zeigen, daß Göring einer Forderung der Anstrengungen der Slowakei für ihre Unabhängigkeit zustimmte. Aber wie die Urkunde zeigen wird, waren seine Motive nur wenig uneigennützig.

Ich lege Dokument 2801-PS als Beweisstück US- 109 vor. Es ist eine undatierte Niederschrift einer Unterhaltung zwischen Göring und Durcansky. Dieses Dokument wurde unter den Akten des Deutschen Auswärtigen Amtes erbeutet. Ich lese dieses Protokoll, das im Telegrammstil verfaßt ist, vor. Zunächst Durcansky, der stellvertretende Ministerpräsident:

»... ›Sympathie für Führer; Dank, daß durch den Führer den Slowaken das Selbstbestimmungsrecht ermöglicht worden ist.‹ Slowaken wollen nie zu Ungarn. Die Slowaken wollen volle Selbständigkeit unter stärkster politischer, wirtschaftlicher, militärischer Anlehnung an Deutschland. Preßburg als Hauptstadt. Durchführung des Planes erst möglich, wenn Heer und Polizei slowakisch.

Beim Zusammentreten des ersten slowakischen Landtages Ausrufen der selbständigen Slowakei. Bei Abstimmung wäre Mehrheit für Loslösung von Prag. Juden stimmen für Ungarn. Abstimmung bis zur March, wo viele Slowaken wohnen.

Judenproblem wird ähnlich wie in Deutschland gelöst. Kommunistische Partei verboten. Deutsche in Slowakei wollen nicht zu Ungarn, sondern bei Slowakei bleiben. Deutscher Einfluß auf slowakische Staatsführung groß; ein deutscher Minister zugesagt. Jetzige Verhandlungen mit Ungarn werden von Slowaken geführt. Tschechen sind gegenüber Ungarn nachgiebiger als Slowaken.

Feldmarschall« – d.h. Feldmarschall Göring – »ist der Ansicht, Bestrebungen der Slowaken auf Selbständigkeit in geeigneter Weise unterstützen. Eine Tschechei ohne Slowakei ist uns noch mehr, restlos, ausgeliefert. Flughafenbasis in Slowakei für Luftwaffe im Einsatz gegen Osten sehr wichtig.«

Am 12. Februar reiste eine slowakische Delegation nach Berlin. Sie bestand aus Tuka, einem der Slowaken, mit denen die Deutschen in Verbindung waren, und Karmasin, dem bezahlten Vertreter der Nazi-Verschwörer in der Slowakei. Sie hatten am 12. Februar 1939 eine Besprechung mit Hitler und Ribbentrop in der Reichskanzlei in Berlin. Ich lege nun Dokument 2790-PS, US-110 vor, die erbeutete Niederschrift über diese Konferenz aus dem Deutschen Auswärtigen Amt:

»Nach kurzer Begrüßung dankt Tuka dem Führer für die Gewährung dieser Unterredung. Er redet den Führer mit ›Mein Führer‹ an und bringt zum Ausdruck, daß er, obwohl er an sich ein bescheidener Mensch ist, doch wohl für sich in Anspruch nehmen dürfte, im Namen des slowakischen Volkes zu sprechen. Die tschechischen Gerichte und »Gefängnisse legitimierten ihn zu dieser Behauptung. Er sagt, daß der Führer nicht nur die slowakische Frage aufgeworfen habe, sondern auch der erste gewesen sei, der dem slowakischen Volke seine Würde zuerkannt habe. Die Slowaken sollten unter der Führung des Führers zur Erhaltung der europäischen Zivilisation mitkämpfen. Es sei klar, daß ein weiteres Zusammenleben mit den Tschechen für die Slowaken seelisch wie wirtschaftlich unmöglich geworden sei.«

Ich gehe zu dem letzten Satz über:

»Ich lege das Schicksal meines Volkes in Ihre Hände« – gemeint in die des Führers.

Bei dieser Besprechung gelang es den Nazi-Verschwörern anscheinend, der slowakischen Delegation die Idee des Aufstandes einzupflanzen. Ich beziehe mich auf den letzten Satz dieses Dokuments, das ich gerade verlesen habe, des Satzes, der von Tuka gesprochen wurde: »Ich lege das Schicksal meines Volkes in Ihre Hände«.

Aus diesen Dokumenten ist ersichtlich, daß die Nazis seit Mitte Februar 1939 eine gutdisziplinierte Gruppe von Slowaken zu ihren Diensten hatten, von denen viele aus den Reihen der Partei Pater Hlinkas stammten. Geschmeichelt durch die persönliche Aufmerksamkeit solcher Männer wie Hitler und Ribbentrop und unterstützt von deutschen Vertretern, erwiesen sich die Slowaken als willige Werkzeuge in den Händen der Nazi-Verschwörer.

Außer den Slowaken benutzten die Nazi-Verschwörer auch die wenigen Deutschen, die noch immer in der verstümmelten Tschechoslowakischen Republik wohnten. Kundt, der Vertreter Henleins, der zum Führer dieser deutschen Minderheit ernannt worden war, schaffte möglichst viele »Brennpunkte deutscher Kultur«. Deutsche aus den Gebieten, die an Deutschland abgetreten waren, bekamen von Berlin aus den Auftrag, ihre Studien an der deutschen Universität in Prag fortzusetzen und diese zu einem Zentrum des aggressiven Nazismus zu machen.

Mit Hilfe von deutschen Beamten wurde ein wohlerwogener Feldzug zur Nazi-Durchdringung der tschechischen öffentlichen und privaten Einrichtungen durchgeführt, und die Henlein-Bewegung stellte ihre volle Mitarbeit den Agenten der Gestapo aus dem Reich, die auf tschechischem Boden erschienen, zur Verfügung. Die politische Tätigkeit der Nazis hatte zum Ziel, die tschechische Widerstandskraft gegen die Herrschaft Deutschlands zu unterminieren und zu schwächen. Angesichts der dauernden Drohungen diplomatischer wie auch propagandistischer Art gelang es der Tschechischen Regierung nicht, ausreichende Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die ihre Souveränität verletzten. Ich stütze meine Ausführungen auf den offiziellen Bericht der Tschechoslowakischen Regierung, der die Nummer 998-PS trägt.

Anfang März, als der Tag für den endgültigen Einmarsch in die Tschechoslowakei bereits kurz bevorstand, trat die Tätigkeit der Fünften Kolonne in ihre Schlußphase. In Böhmen und Mähren schaffte der FS, Henleins Gegenstück zur SS, in Verbindung mit den Nazi-Verschwörern im Reiche die Grundlage für die Ereignisse des 14. und 15. März.

Ich lege jetzt Dokument 2826-PS, US-111 vor, einen Artikel, der von dem SS-Gruppenführer Karl Hermann Frank verfaßt, in der Zeitschrift »Böhmen und Mähren«, der offiziellen Zeitschrift des Reichsprotektors für Böhmen und Mähren, Ausgabe März 1941, Seite 179 erschienen ist.

Es handelt sich hier um einen Artikel, der von einem Nazi-Führer in der Tschechoslowakei zu der Zeit geschrieben wurde, als Deutschland seine größten militärischen Erfolge hatte. Es ist ein prahlerischer Artikel und enthüllt mit einer in der Nazi-Presse selten gefundenen Aufrichtigkeit sowohl die Aufgaben, denen der FS und die SS dienten, als auch den Stolz der Nazi-Führer, die an diesen Organisationen tätigen Anteil genommen hatten. Es handelt sich um ein längeres Zitat.

VORSITZENDER: Werden Sie morgen damit fortfahren, Herr Alderman?

MR. ALDERMAN: Jawohl.

VORSITZENDER: Werden Sie den ganzen Tag benötigen?

MR. ALDERMAN: Ich glaube, nicht mehr als eineinhalb Stunden.

VORSITZENDER: Wird danach die britische Anklagebehörde fortsetzen?

MR. ALDERMAN: Jawohl.