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[Der Gerichtshof vertagt sich bis

5. Dezember 1945, 10.00 Uhr.]

Dreizehnter Tag.

Mittwoch, 5. Dezember 1945.

Vormittagssitzung.

MR. ALDERMAN: Meine Herren Richter! Als der Gerichtshof sich gestern zurückzog, hatte ich gerade das Dokument 2826-PS, US-111 zum Beweis vorgelegt. Es war dies ein Artikel des SS-Gruppenführers Karl Hermann Frank, veröffentlicht in »Böhmen und Mähren«, der offiziellen Zeitschrift des Reichsprotektors von Böhmen und Mähren, Ausgabe März 1941, Seite 179.

Es ist ein Artikel, der mit großer Offenheit die Funktionen der SS und des FS darlegt und den Stolz zeigt, den die Nazi-Verschwörer über die Tätigkeit dieser Organisationen empfanden. Ich lese aus diesem Artikel unter dem Titel »Die Schutzstaffel am 15. März 1939«:

»Ein moderner Volks- und Staatsaufbau ist ohne die politische Mannschaft heute überhaupt nicht mehr denkbar. Ihr fällt die besondere Aufgabe zu, Stoßtrupp der politischen Willensbildung und Garant ihrer Einheitlichkeit zu sein. Ganz besonders gilt das von den deutschen Volksgruppen, die in einem andersvölkischen Staatsverband ihre Heimat haben. So hatte auch seinerzeit die Sudetendeutsche Partei ihre politische Mann schaft aufgestellt: den Freiwilligen Selbstschutz, kurz FS genannt. Diese Mannschaft wurde im wesentlichen nach den Grundsätzen der Schutzstaffel, soweit sie allerdings damals in diesem Raume zur Anwendung gelangen durfte, erzogen. Der Mannschaft fiel hier ebenfalls die besondere Aufgabe zu, im gegebenen Fall in aktiver Weise die Heimat zu schützen. Ihre erste diesbezügliche Bewährungsprobe hat sie überall dort bestanden, wo sie in der Herbstkrise 1938 mit der Waffe in der Hand zum Schutze der Heimat antreten mußte.

Nach der Angliederung des Sudetengaues waren die Aufgaben des FS, mit Ausnahme der in der zweiten Republik verbliebenen deutschen Volksinseln, im wesentlichen auf die deutsche Studentenschaft als geschlossene Mannschaftsgliederung in Prag und Brünn übergegangen. Das war auch deshalb naheliegend, weil viele aktive Studenten bereits vom Sudetengau her Angehörige der Schutzstaffel waren. Auch die Studentenschaft hat sich dann gemeinsam mit anderen deutschen Männern in den Krisentagen des März 1939 der Bewährungsprobe unterziehen müssen...

In den frühen Morgenstunden des 15. März, nach Bekanntwerden des vorgesehenen Einmarsches deutscher Truppen, mußten in verschiedenen Orten deutsche Männer eingreifen, um den ruhigen Ablauf der Ereignisse sicherzustellen, entweder durch Übernahme der polizeilichen Exekutivgewalt, wie beispielsweise in Brünn, oder durch entsprechende Belehrung des Polizeipräsidenten usw. In einzelnen tschechischen Behörden hatte man ebenfalls in den frühen Morgenstunden mit der Ver brennung wertvoller Archive und politischen Aktenmaterials begonnen. Auch da mußte eingegriffen werden, um unsinnige Vernichtungen zu verhindern. Für wie bedeutungsvoll die vielgestaltigen und umfangreichen Maßnahmen von den zuständigen deutschen Stellen angesehen worden sind, geht daraus hervor, daß viele der Männer entweder noch am 15. März oder an den unmittelbar folgenden Tagen unter entsprechender Anerkennung, teilweise sogar durch den Reichsführer-SS persönlich oder durch SS-Gruppenführer Heydrich, in die Schutzstaffel aufgenommen worden sind. Die Handlungen und Taten dieser Männer wurden dadurch auch als im Interesse der Schutzstaffel ausgeführt bezeichnet.

Nachdem gleich mit den ersten Kolonnen der deutschen Wehrmacht die entsprechenden Abteilungen der SS eingerückt waren und die Verantwortung auf den zuständigen Sektoren übernommen hatten, stellten sich die hiesigen Männer sofort zur weiteren Verfügung und wurden wertvolle Helfer und Mitarbeiter.«

Ich ersuche den Gerichtshof, gemäß Artikel 21 des Statuts von drei offiziellen Dokumenten amtlich Kenntnis zu nehmen. Diese sind von uns als Beweisstücke D-571, D-572 und 2943-PS gekennzeichnet. Ich unterbreite D-571 als Beweisstück US-112, D-572 als Beweisstück US-113 und 2943-PS aus dem offiziellen französischen Gelbbuch Seite 66 und 67 als Beweisstück US-114.

Die ersten beiden Dokumente sind britische diplomatische Depeschen, welche von der Britischen Regierung für richtig erklärt worden sind; sie bildeten den Hintergrund der deutschen Intrigen in der Slowakei. Das dritte Dokument, 2943-PS, US-114, besteht aus Auszügen aus dem französischen Gelbbuch, insbesondere aus Auszügen von Berichten von Herrn Coulondre, dem Französischen Botschafter in Berlin, an das Französische Außenministerium aus der Zeit vom 13. und 18. März 1939.

Ich werde mich auf diese drei Berichte im Laufe meiner weiteren Ausführungen öfter beziehen. Da der Gerichtshof von diesen Dokumenten amtlich Kenntnis nehmen wird, glaube ich, daß es nicht notwendig sein dürfte, sie vollständig zu verlesen.

In der Slowakei trat die lang erwartete Krise am 10. März ein. An diesem Tag entließ die Tschechoslowakische Regierung diejenigen Mitglieder des Slowakischen Kabinetts, die es ablehnten, mit Prag weiter zu verhandeln, unter anderen den Außenminister Tiso und Durcansky. Innerhalb von 24 Stunden hatten die Nazis diese Handlung der Tschechoslowakischen Regierung als Ausrede für eine Intervention benutzt. Am nächsten Tag, dem 11. März, fand in Bratislawa, der Hauptstadt der Slowakei, eine eigenartige Szene statt; ich zitiere aus Dokument D-571, US-112. Das ist der Bericht des Britischen Gesandten in Prag an die Britische Regierung:

»Herr Bürckel, Herr Seyß-Inquart und fünf deutsche Generale kamen Samstag, den 11. März, etwa um 10 Uhr abends, zu einer Kabinettssitzung, die in Preßburg stattfand, und sagten der Slowakischen Regierung, daß sie die Unabhängigkeit der Slowakei verkünden solle. Als Herr Sidor, der Ministerpräsident, gewisse Bedenken zeigte, nahm ihn Herr Bürckel zur Seite und erklärte ihm, daß Hitler beschlossen hätte, das tschechoslowakische Problem endgültig zu lösen. Die Slowaken sollten daher ihre Unabhängigkeit erklären, weil Herr Hitler sich andernfalls um das Schicksal der Slowakei nicht mehr kümmern würde. Herr Sidor dankte Herrn Bürckel für diese Information, sagte aber, daß er die Lage erst mit seiner Regierung in Prag besprechen müsse.«

Eine sehr eigenartige Sachlage, daß er eine solche Frage mit seiner eigenen Regierung besprechen müsse, bevor er Herrn Hitlers Anweisungen Folge leisten könne, die ihm von fünf deutschen Generalen, Herrn Bürckel und Seyß-Inquart übergeben wurden.

Nun folgte es Schlag auf Schlag. Durcansky, einer der entlassenen Minister, floh mit Hilfe der Nazis nach Wien, wo ihm der deutsche Rundfunk zur Verfügung gestellt wurde. Waffen und Munition wurden von deutschen Offizieren aus Engerau über die Donau nach der Slowakei gebracht, wo sie von dem FS und der Hlinka-Garde benutzt wurden, um Grenzzwischenfälle und Unordnung von der Art hervorzurufen, wie sie von den Nazis als Ausrede für die Kriegsaktion benötigt wurden. Die deutsche Presse und das Radio begannen einen heftigen Feldzug gegen die Tschechoslowakische Regierung, und bemerkenswerterweise wurde eine Einladung von Berlin in Preßburg überreicht. Tiso, der entlassene Ministerpräsident, wurde von Hitler zu einer Audienz in die deutsche Hauptstadt befohlen. Ein Flugzeug erwartete ihn in Wien.

Zu diesem Zeitpunkt, in der zweiten Märzwoche 1939, waren die Vorbereitungen für die von den Nazi-Führern die Liquidation der Tschechoslowakei genannte Aufgabe in einer für sie sehr zufriedenstellenden Weise reibungslos fortgeschritten.

Die militärische, diplomatische und propagandistische Maschine der Nazi-Verschwörer funktionierte wie geölt. Wie während des Falles »Grün« im vorhergehenden Sommer, so hatten die Nazi-Verschwörer Ungarn zur Beteiligung an diesem neuen Angriff eingeladen. Admiral Horthy, der ungarische Regent, war durch diese Einladung wieder sehr geschmeichelt.

Ich führe als Beweisstück 2816-PS, US-115 an. Es ist ein Brief des verehrten Admirals von Ungarn – ein Land, das beiläufig bemerkt, keine Flotte besaß –, den er am 13. 3. 1939 an Hitler schrieb, und den wir in den Akten des Deutschen Auswärtigen Amtes erbeuteten:

»Euere Exzellenz! Herzlichen Dank!

Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, denn dieses Quellgebiet ist für Ungarn – ich gebrauche ungern große Worte – faktisch eine Lebensfrage.«

Ich nehme an, er benötigte einige Quellgebiete für die nicht bestehende Flotte, deren Admiral er war.

»Trotz unserer fünfwöchigen Rekruten gehen wir die Sache mit Begeisterung scharf an. Die Dispositionen sind bereits getroffen. Am Donnerstag, den 16. d. M., erfolgt ein Grenzzwischenfall, dem Samstag der große Stoß folgen soll.«

Er gebraucht nur ungern große Worte, ein »großer Stoß« genügt.

»Ich werde diesen Beweis der Freundschaft nie vergessen, und Euere Exzellenz können auf meine Dankbarkeit ewig felsenfest rechnen. In freundschaftlicher Ergebenheit gez. Horthy.«

Von diesem zynischen und hartgesottenen Brief »des verehrten Admirals...«

VORSITZENDER: War dieser Brief an den Ungarischen Botschafter in Berlin gerichtet?

MR. ALDERMAN: Ich glaube, er war an Hitler gerichtet.

VORSITZENDER: Am Briefkopf befinden sich einige Worte, die wie ein ungarischer Name aussehen.

MR. ALDERMAN: Das ist der Briefkopf; soweit ich es verstehe, war der Brief an Adolf Hitler gerichtet.

VORSITZENDER: Ganz recht

MR. ALDERMAN: Und ich sollte noch erwähnen, er endete mit...

VORSITZENDER: Befindet sich etwas im Brief, das darauf hinweist?

MR. ALDERMAN: Nur die Tatsache, daß er im Berliner Auswärtigen Amt gefunden wurde, und daß die Ausdrucksweise des Briefes und die Anschrift »Exzellenz« darauf schließen läßt, an wen er gerichtet war; aber er wurde im Berliner Auswärtigen Amt gefunden. Aus diesem zynischen und hartgesottenen Brief kann die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die Nazi-Verschwörer die Ungarische Regierung bereits über ihre Pläne für eine weitere militärische Aktion gegen die Tschechoslowakei unterrichtet hatten. Als sie sich dann schließlich ereignete, wurde die Zeittabelle allerdings etwas vorgerückt. Ich würde die Schlußfolgerung ziehen, daß »Seine Exzellenz«, Adolf Hitler, seinen ergebenen Freund Horthy zur rechten Zeit von diesem Wandel unterrichtet hat.

Auf diplomatischem Gebiet war der Angeklagte Ribbentrop sehr aktiv. Am 13. März, demselben Tage, an welchem Horthy seinen Brief schrieb, sandte Ribbentrop dem Deutschen Gesandten in Prag ein warnendes Telegramm, in dem er ihm die Haltung vorschrieb, die er während des kommenden diplomatischen Druckes verfolgen solle. Ich führe zum Beweis Dokument 2815-PS, US-116 an. Dies ist das Telegramm, das von Ribbentrop an die Deutsche Gesandtschaft in Prag am 13. März gesandt wurde:

»Berlin, den 13. März 1939. Prag. Telegramm Geheim- Chiffre-Verfahren. Mit Bezugnahme auf heutige, durch Kordt gegebene telephonische Weisung.

Falls Ihnen vom Präsidenten Hacha eine schriftliche Mitteilung zugehen sollte, bitte ich, Ihrerseits keinerlei schriftliche oder mündliche Erklärungen dazu abzugeben oder sonstige Schritte daraufhin zu tun. Vielmehr bitte ich Sie, solche lediglich in chiffriertem Telegramm nach hierher durchzugeben. Im übrigen bitte ich Sie und die anderen Mitglieder der Gesandtschaft, sich so einzurichten, daß Sie in den nächsten Tagen für etwaige Mitteilungen dortiger Regierung nicht erreichbar sind. gez. Ribbentrop.«

Monsignore Tiso kam am Nachmittag des 13. März auf Ersuchen von Hitler, auf das ich vorher verwiesen habe, in Begleitung von Durcansky, Herrn Meißner und des örtlichen Nazi-Führers in Berlin an. Am Spätnachmittag dieses Tages wurde Tiso von Hitler in seinem Arbeitszimmer in der Reichskanzlei empfangen, und es wurde ihm ein Ultimatum gestellt. Es wurden ihm zwei Möglichkeiten gegeben: Entweder eine Erklärung über die Unabhängigkeit der Slowakei abzugeben, oder ohne deutsche Hilfe zu bleiben, was einer Verschmelzung von Polen und Ungarn gleichkommen würde. Hitler sagte, die Entscheidung darüber sei nicht eine Frage von Tagen, sondern von Stunden. Ich überreiche nunmehr als Beweisstück Dokument 2802-PS als US-117, ein weiteres Dokument, das im Deutschen Auswärtigen Amt erbeutet wurde; es ist das Protokoll des Deutschen Auswärtigen Amtes über die Zusammenkunft von Hitler und Tiso am 13. März. Ich werde den Absatz am Ende der zweiten Seite und den Absatz am Anfang der Seite 3 der englischen Übersetzung vorlesen. Der erste Absatz, den ich vorlesen werde, ist eine Zusammenfassung von Hitlers Bemerkungen. Sie werden bemerken, daß Hitler mit den Lockmitteln, die er den Slowaken vor Augen führte, seine gewöhnliche Mißachtung für die Wahrheit kundgab; ich zitiere:

»Er habe nun Minister Tiso herkommen lassen, um in ganz kurzer Zeit über diese Frage Klarheit zu haben. Deutschland habe keine Interessen östlich der Karpathen. An sich wäre es ihm ganz gleichgültig, was dort geschehe. Die Frage sei die, wolle die Slowakei ihr Eigenleben leben oder nicht. Er wolle von der Slowakei nichts. Er würde nicht sein Volk oder auch nur einen Soldaten für etwas einsetzen, was vom slowakischen Volke gar nicht gewollt sei. Er möchte endgültig bestätigt bekommen, was die Slowakei eigentlich wolle. Er wolle sich nicht von Ungarn vorwerfen lassen, er konserviere etwas, was gar nicht konserviert werden will. Er sähe Unruhen und Demonstrationen im allgemeinen sehr großzügig an, aber in diesem Zusammenhang seien die Unruhen nur ein äußeres Zeichen für die innere Unsicherheit. Er ließe sich das nicht bieten, und er habe deshalb Tiso kommen lassen, um seine Entscheidung zu hören. Es handelte sich nicht um Tage, sondern um Stunden. Er habe damals gesagt, daß, wenn die Slowa kei sich selbständig machen wolle, er dieses Bestreben unterstützen, sogar garantieren würde. Er stünde zu seinem Wort, solange die Slowakei den Willen zur Selbständigkeit klar ausspräche. Würde sie zögern oder sich nicht von Prag lösen wollen, so überlasse er das Schicksal der Slowakei den Ereignissen, für die er nicht mehr verantwortlich sei. Dann würde er nur noch für die deutschen Interessen eintreten, und die lägen nicht östlich der Karpathen. Deutschland habe mit der Slowakei nichts zu tun. Sie habe niemals zu Deutschland gehört.

Der Führer fragt den Reichsaußenminister, den Angeklagten Ribbentrop, »ob er noch etwas hinzuzufügen habe. Der Reichsaußenminister unterstreicht auch von sich aus die Auffassung, daß es sich hier um eine Entscheidung von Stunden und nicht von Tagen handle. Er legt dem Führer eine gerade hereingekommene Meldung vor, welche von ungarischen Truppenbewegungen an der slowakischen Grenze berichtet. Der Führer liest diese Meldung, erwähnt sie Tiso gegenüber und drückt die Hoffnung aus, daß sich die Slowakei bald klar entscheide.«

Eine ganz außerordentliche Besprechung! Deutschland hatte kein Interesse an der Slowakei. Die Slowakei hatte niemals zu Deutschland gehört. Tiso wurde dorthin eingeladen, und dann geschah das Folgende: Bei dieser Zusammenkunft waren anwesend: die Angeklagten Ribbentrop und Keitel, Staatssekretär Dietrich, Staatssekretär Keppler und Staatsminister Meißner. Ich weise den Gerichtshof auf die Tatsache hin, daß der Angeklagte Keitel bei dieser Besprechung anwesend war, wie bei so vielen anderen Gelegenheiten, wo rein politische Maßnahmen zum Zwecke der Förderung der nationalsozialistischen Angriffsziele besprochen wurden, und wo anscheinend militärisch- technische Ratschläge unnötig erschienen.

Während ihrer Anwesenheit in Berlin unterhielten sich die Slowaken auch sonst noch mit dem Angeklagten Ribbentrop und mit anderen hohen Nazi-Beamten. Ribbentrop überreichte vorsorglich Tiso eine Abschrift des bereits in slowakischer Sprache verfaßten Gesetzes, das die Unabhängigkeit der Slowakei verkündete. Am Abend des 13. März wurde ein deutsches Flugzeug zur Verfügung Tisos gestellt, um ihn nach Hause zu bringen. Am 14. März erklärte der Landtag in Preßburg, den Wünschen der Nazi-Verschwörer entsprechend, die Unabhängigkeit der Slowakei. Slowakische Agitatoren, die auf Grund von Nazi-Befehlen handelten, begannen eine offene Revolte gegen die Tschechoslowakische Regierung, welche es den Nazi-Führern ermöglichte, gegen Prag vorzugehen. Am Abend des 14. trafen auf Vorschlag des Deutschen Botschafters in Prag, Herr Hacha, Präsident der Tschechoslowakischen Republik und Herr Chvalkowsky, sein Außenminister, in Berlin ein. Die Stimmung, die sie dort vorfanden, kann man wohl als etwas feindselig bezeichnen. Seit dem vorhergehenden Wochenende hatte die Nazi-Presse den Tschechen vorgeworfen, daß sie Gewalt gegen die Slowaken gebraucht hätten, insbesondere gegen Angehörige der deutschen Minderheit und gegen Bürger des Deutschen Reiches. Sowohl die Zeitungen, als auch das Radio behaupteten, daß das Leben von Deutschen in Gefahr sei; eine solche Situation sei untragbar, und es bestünde nunmehr die Notwendigkeit, so schnell wie möglich den Brandherd, der sich in Prag, im Herzen Europas, entwickelt habe, zu ersticken. Diese Friedensstifter!

Nach Mitternacht des 15. März um 1.15 Uhr morgens, wurden Hacha und Chvalkowsky in die Reichskanzlei gebracht. Dort standen sie Adolf Hitler, den Angeklagten Ribbentrop, Göring und Keitel und anderen Herren der hohen Nazi-Beamtenschaft gegenüber. Ich lege jetzt als Beweisstück Urkunde 2798-PS, US-118 vor. Diese Urkunde ist ein erbeuteter Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die berüchtigte Zusammenkunft. Es ist ein recht langes Dokument. Teile davon sind so aufschlußreich und geben ein so anschauliches Bild vom Benehmen und der Taktik der Nazis, daß ich es vollständig verlesen möchte. Man muß dabei bedenken, daß dieser Bericht über die schicksalsschwere Konferenz des 14./15. März von einer deutschen Quelle stammt; und man muß beim Lesen im Sinn behalten, daß diese Quelle voreingenommen war oder, wie der Verteidiger in der vergangenen Woche sagte, daß es »eine tendenziöse Berichterstattung« war. Wenn wir diesem Punkt jedoch nicht soviel Beachtung schenken, das heißt, die Quelle nicht zu sehr in Betracht ziehen, so stellt er eine vollkommene Verurteilung der Nazis dar, die durch ganz gewöhnliches, internationales Banditentum die Auflösung der Tschechoslowakei erzwangen. Ich möchte hier einfügen, daß internationales Banditentum schon seit Jahrhunderten ein Verbrechen gegen das Völkerrecht ist. Ich lese zuerst die Überschriften des Protokolls. In der englischen Vervielfältigung im Dokumentenbuch ist die angegebene Zeit falsch übersetzt. Es sollte heißen: 1.15 Uhr bis 2.15 Uhr:

»Besprechung zwischen dem Führer und Reichskanzler und dem tschechoslowakischen Staatspräsidenten Hacha in Anwesenheit des Reichsaußenministers von Ribbentrop und des tschechoslowakischen Außenministers Chvalkowsky in der Reichskanzlei am 15. März 1939, um 1.15 Uhr bis 2.15 Uhr.

Weitere Anwesende waren: Generalfeldmarschall Göring, General Keitel, Staatssekretär von Weizsäcker, Staatsminister Meißner, Staatssekretär Dietrich, Legationsrat Hewel.«

Hacha eröffnete die Konferenz. Er war entgegenkommend, sogar demütig, obwohl er der Präsident eines unabhängigen Staates war. Er dankte Hitler, daß er ihn empfangen habe, und sagte, daß er wisse, daß das Schicksal der Tschechoslowakei in den Händen des Führers ruhe. Hitler erwiderte, daß er bedauere, gezwungen gewesen zu sein, Hacha nach Berlin zu rufen, besonders mit Rücksicht auf das hohe Alter des Präsidenten. Hacha war damals, glaube ich, in den siebziger Jahren. Aber diese Reise, so sagte Hitler, könne für sein Land von großer Bedeutung werden, denn – und ich zitiere: »es seien nur noch Stunden, bis Deutschland eingreife«.

Ich zitiere jetzt von Seite 3 der englischen Übersetzung oben. Sie müssen sich vergegenwärtigen, daß das, was ich Ihnen verlese, nur kurze Notizen, Protokollaufzeichnungen von dem sind, was Hitler sagte:

»Die Slowakei sei ihm gänzlich gleichgültig. Hätte sie sich näher an Deutschland gehalten, so wäre dies auch eine Verpflichtung für Deutschland gewesen, und so wäre er froh, daß er diese jetzt nicht hätte. Östlich der Kleinen Karpathen habe er überhaupt keine Interessen. Im Herbst hätte er nicht die letzten Konsequenzen ziehen wollen...«

VORSITZENDER: Glauben Sie nicht, Sie sollten den letzten Satz auf Seite 2 lesen?

MR. ALDERMAN: Ja, vielleicht. Der letzte Satz auf der vorhergehenden Seite lautet:

»Für die anderen Länder sei die Tschechoslowakei nichts anderes gewesen, als ein Mittel zum Zweck. Lon don und Paris hätten sich nicht imstande gezeigt, sich für die Tschechoslowakei einzusetzen... Die Slowakei sei ihm gänzlich gleichgültig.«

Ich lese jetzt weiter unten:

»... aber damals schon und später, auch bei seiner Unterhaltung mit Chvalkowsky, habe er keinen Zweifel gelassen, daß, wenn die Tendenzen Beneschs nicht restlos verschwinden würden, er diesen Staat rücksichtslos zerschlagen würde. Chvalkowsky habe dies damals verstanden und den Führer um Geduld gebeten«, er prahlte immer mit seiner Geduld. »Der Führer habe das eingesehen, aber die Monate seien dahingegangen, ohne daß eine Änderung eingetreten sei. Dem neuen Regime sei es nicht gelungen, das alte psychologisch verschwinden zu lassen, das sehe er ja an der Presse, an der Mundpropaganda, an den Entlassungen der Deutschen und an vielen Handlungen, die für ihn symbolisch für das Gesamtbild seien. Er habe dieses zuerst nicht verstanden; als es ihm aber klar geworden sei, habe er endgültig seine Konsequenzen gezogen, da, wenn die Entwicklung so weitergegangen wäre, in wenigen Jahren das Verhältnis zur Tschechoslowakei genau wieder so gewesen wäre, wie es vor sechs Monaten gewesen war. Warum habe die Tschechoslowakei die Armee nicht sofort auf ein vernünftiges Maß reduziert. Eine solche Armee sei eine ungeheuere Belastung für einen solchen Staat; denn sie habe nur Sinn, wenn sie den Staat in seiner außenpolitischen Mission unterstütze. Da die Tschechoslowakei keine außenpolitische Mission mehr habe, so sei eine solche Armee sinnlos. Er zählte mehrere Bei spiele auf, die ihm bewiesen haben, daß der Geist der Armee sich nicht gewandelt habe. Aus diesem Symptom heraus habe sich bei ihm die Überzeugung gebildet, daß auch die Armee eine Quelle schwerster politischer Belastung für die Zukunft sei. Dazu sei die zwangsläufige Entwicklung der wirtschaftlichen Notwendigkeiten gekommen, und weiter die Proteste aus den Volksgruppen, die das Leben so nicht mehr ertragen konnten.«

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich hier eine Einfügung machen und auf die Sprache Adolf Hitlers einem Präsidenten eines sogenannten unabhängigen Staates und seinem Minister gegenüber hinweisen. Es geschah dies in Anwesenheit von Generalfeldmarschall Göring, dem Befehlshaber der Luftwaffe und von General Keitel. Ich fahre in der Zitierung fort:

»So sind bei mir am Sonntag die Würfel gefallen.« Dies ist noch immer die Sprache Hitlers. »Ich habe mir den Ungarischen Gesandten kommen lassen und ihm mitgeteilt, daß ich die Hände von diesem Land zurückziehe. Wir stünden nun vor dieser Sachlage, und er habe den Befehl gegeben zum Einmarsch der deutschen Truppen und der Eingliederung der Tschechoslowakei ins Deutsche Reich. Er wolle der Tschechoslowakei die vollste Autonomie und ein Eigenleben geben, mehr als sie es jemals in der österreichischen Zeit genossen habe. Das Verhalten Deutschlands gegenüber der Tschechoslowakei wird sich morgen und übermorgen entscheiden und ist abhängig von der Haltung des tschechischen Volkes und des tschechischen Militärs gegenüber den deutschen Truppen. Er habe in die Regierung kein Vertrauen mehr. Wenn er auch an die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit Hachas und Chvalkowskys glaube, So zweifle er an den Möglichkeiten des Sichdurchsetzens der Regierung im ganzen Volk. Die deutsche Armee sei heute schon ausgerückt, und bei einer Kaserne, wo Widerstand geleistet wurde, sei dieser rücksichtslos gebrochen worden, eine andere habe sich beim Auffahren der schweren Artillerie ergeben.

Morgen um 6 Uhr rücke von allen Seiten her die deutsche Armee in die Tschechei ein, und die deutsche Luftwaffe werde die tschechischen Flughäfen besetzen. Es gäbe zwei Möglichkeiten: Die erste sei die, daß sich das Einrücken der deutschen Truppen zu einem Kampf entwickelt. Dann wird dieser Widerstand mit allen Mitteln, mit Brachialgewalt, gebrochen. Die andere ist die, daß sich der Einmarsch der deutschen Truppen in erträglicher Form abspielt; dann würde es dem Führer leicht, bei der Neugestaltung des tschechischen Lebens der Tschechoslowakei ein großzügiges Eigenleben, eine Autonomie und eine gewisse nationale Freiheit zu geben.

Wir erlebten im Augenblick einen großen geschichtlichen Wendepunkt. Er wolle die Tschechen nicht quälen und nicht entnationalisieren. Er täte dieses alles auch nicht aus Haß, sondern um Deutschland zu schützen. Wenn im Herbst des vorigen Jahres die Tschechoslowakei nicht nachgegeben hätte, so wäre das tschechische Volk ausgerottet worden. Keiner hätte ihn dann daran gehindert. Sein Wille sei, daß das tschechische Volk sich national ausleben solle, und er glaube fest, daß eine Form zu finden sei, in der den tschechischen Wünschen weitgehend entgegengekommen werde. Käme es morgen zum Kampfe, so würde der Druck Gegendruck erzeugen. Man würde sich gegenseitig aufreiben, und es sei ihm dann nicht mehr möglich, die versprochenen Erleichterungen zu gewähren. Die tschechische Armee würde in zwei Tagen nicht mehr existieren. Es würden natürlich auch Deutsche fallen, und dies würde einen Haß erzeugen, der ihn« – das heißt Hitler – »aus Selbsterhaltungstrieb zwingen würde, keine Autonomie mehr zu gewähren. Die Welt würde keine Miene verziehen. Er habe Mitleid mit dem tschechischen Volk, wenn er die ausländische Presse lese. Sie mache auf ihn den Eindruck, der sich in einem deutschen Sprichwort zusammenfassen ließe, ›der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen‹.

So lägen die Dinge. In Deutschland gäbe es zwei Richtungen, eine härtere, die keine Konzessionen wolle und in Erinnerung an das Vergangene wünsche, daß die Tschechoslowakei mit Blut niedergerungen würde, und eine andere, deren Haltung seinen eben erwähnten Vorschlägen entspreche.

Dieses sei der Grund, warum er Hacha hierher gebeten habe. Diese Einladung sei der letzte gute Dienst, den er dem tschechischen Volke erweisen könne. Käme es zum Kampf, so zwinge uns das vergossene Blut auch zum Haß. Aber vielleicht könne auch der Besuch Hachas das Äußerste verhindern. Vielleicht trage er dazu bei, eine Konstruktion zu finden, die für die Tschechoslowakei so weitgehend wäre, wie sie sie im alten Österreich niemals hätte erhoffen können. Sein Ziel sei nur, die nötige Sicherung für das deutsche Volk zu schaffen. Die Stunden vergingen. Um 6 Uhr würden die Truppen einmarschieren. Er schäme sich beinahe, zu sagen, daß auf jedes tschechische Bataillon eine deutsche Division käme. Die militärische Aktion sei eben keine kleine, sondern sie sei in aller Großzügigkeit angesetzt. Er möchte ihm jetzt raten« – das heißt, Adolf Hitler gibt dem armen alten Hacha den Rat –, »sich mit Chvalkowsky zurückzuziehen, um zu besprechen, was zu tun sei.«

Als Antwort auf diese lange Rede erklärte Hacha, wie das deutsche Protokoll darlegt, daß er einsehe, Widerstand sei zwecklos; er zwölfte daran, daß er noch Zeit hätte, die notwendigen Befehle an die tschechische Armee in den vier Stunden zu erteilen, die er noch hätte, ehe die deutschen Truppen die tschechischen Grenzen überschreiten würden. Er fragte, ob der Einmarsch der Truppen den Zweck hätte, die tschechische Armee zu entwaffnen; wenn ja, sagte er, so wäre es vielleicht auf andere Weise möglich. Hitler erwiderte, sein Entschluß sei unwiderruflich, und es sei wohl bekannt, was ein Entschluß des Führers bedeute. Zwecks Zustimmung wandte er sich dem Kreis der anwesenden Nazi-Verschwörer zu; und Sie werden sich entsinnen, daß die Angeklagten Göring, Ribbentrop und Keitel anwesend waren. Die einzige Möglichkeit, die tschechische Armee zu entwaffnen, sagte Hitler, wäre eine Intervention durch die deutsche Armee.

Ich verlese jetzt einen Absatz von Seite 4 der englischen Übersetzung des deutschen Protokolls dieser berüchtigten Konferenz. Es ist der letzte Absatz auf Seite 4:

»Der Führer sagt, daß sein Entschluß unwiderruflich sei. Man wisse ja, was ein Entschluß des Führers bedeute. Er sehe keine Möglichkeit der Entwaffnung und fragt die anderen Herren« – das heißt die Angeklagten Göring, Ribbentrop und Keitel –, »ob sie seiner Meinung seien, was ihm bestätigt wird. Die einzige Möglichkeit der Entwaffnung der tschechischen Armee sei die durch das deutsche Heer.«

In diesem traurigen Moment verließen Hacha und Chvalkowsky das Zimmer.

Ich lege jetzt zum Beweis das Dokument 2861-PS vor, einen Auszug aus dem offiziellen britischen Kriegs-Blaubuch, Seite 24, und ich lege es als US- 119 vor. Dies ist ein offizielles Dokument der Britischen Regierung, und ich ersuche den Gerichtshof, es gemäß den Vorschriften des Artikels 21 des Statuts amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Der Teil, aus dem ich lese, ist eine amtliche Depesche des Britischen Botschafters, Sir Nevile Henderson, über eine Unterhaltung mit dem Angeklagten Göring, welche die Ereignisse während der Besprechung am frühen Morgen behandelt:

»Sir N. Henderson. An: Viscount Halifax. Berlin, 28. Mai 1939. Exzellenz!

Ich stattete gestern dem Feldmarschall Göring einen kurzen Besuch in Karinhall ab.

Feldmarschall Göring, der ohne Zweifel über diesen Punkt schon mit jemand anderem gesprochen hatte, sprach zunächst über das Verhalten, das England gegen alles Deutsche zur Schau trage, insbesondere unter Bezugnahme auf das Gold, das dort für die Nationalbank der Tschechoslowakei in Verwahrung gehalten werde. Bevor ich jedoch antworten konnte, wurde er zum Telephon gerufen, und als er wiederkam, kam er auf die Frage nicht mehr zurück. Er klagte über die allgemeine englische feindselige Einstellung, und zwar über die politische und wirtschaftliche Einkreisung Deutschlands und über das, was er als die Kriegspartei in England bezeichnete...

Ich erklärte dem Feldmarschall, daß er, bevor er über englische Feindseligkeit reden könne, daran denken müsse, warum sich die Atmosphäre zwischen Deutschland und England so geändert hätte. Wie er genau wüßte, war die Basis aller Unterhaltungen im Vorjahr zwischen Herrn Chamberlain und Herrn Hitler darauf abgestellt, daß, wenn das Sudetenland an Deutschland übergegangen sei, Deutschland die Tschechen in Ruhe lassen und nichts unternehmen würde, um deren Unabhängigkeit zu beeinträchtigen.

Herr Hitler hätte diesbezüglich ganz bestimmte Versicherungen gemacht, und zwar in einem Brief, den er am 27. September an den Premierminister gesandt hatte. Nachdem er nun dem Ratschlag seiner sogenannten »wilden Männer« gefolgt sei und Böhmen und Mähren absichtlich an sich gerissen habe, hätte Hitler nicht nur sein Wort gebrochen, das er Chamberlain gegeben habe, sondern hätte auch die gesamten Grundsätze der Selbstbestimmung, die als Grundlage des Münchener Abkommens galten, verletzt.

Hier unterbrach mich der Feldmarschall mit einer Beschreibung des Besuches des Präsidenten Hacha in Berlin. Ich erklärte Feldmarschall Göring, daß es unmöglich sei, von einem wirklich freien Willen zu sprechen, da ich wußte, daß er selbst damit gedroht hatte, Prag mit seinen Flugzeugen zu bombardieren, falls Dr. Hacha seine Unterschrift verweigere. Der Feldmarschall leugnete die Tatsache nicht ab, sondern versuchte zu erklären, wie die Sache gekommen sei. Nach seiner Darstellung war Dr. Hacha von Anfang an bereit, alles zu unterschreiben, habe aber behauptet, daß er dies verfassungsmäßig nicht tun könne, ohne sich erst mit Prag in Verbindung zu setzen.

Nach größeren Schwierigkeiten wurde eine telephonische Verbindung mit Prag hergestellt und die Tschechische Regierung hätte sich damit einverstanden erklärt, jedoch hinzugefügt, sie könne nicht garantieren, daß nicht eines der tschechischen Bataillone auf deutsche Truppen feuern würde. Erst dann, sagte er, habe er Dr. Hacha gewarnt, daß er Prag bombardieren lassen würde, wenn deutsches Leben verlorengehe.

Der Feldmarschall wiederholte auch in Beantwortung einer Bemerkung von mir die Geschichte, daß die Besetzung von Witkowitz nur deswegen durchgeführt worden sei, um den Polen zuvorzukommen, die, wie er sagte, die Absicht hatten, dieses wertvolle Gebiet bei der erstbesten Gelegenheit zu besetzen.«

Ich verweise den Gerichtshof auf die Depesche Nummer 77 aus dem offiziellen französischen Gelbbuch, Seite 96, Dokument 2943-PS, US-114, von dem ich den Gerichtshof amtlich Kenntnis zu nehmen bitte; sie erscheint in dem Dokumentenbuch unter dieser Nummer. Diese Depesche stammt von Herrn Coulondre, dem Französischen Botschafter, und stellt eine weitere wohlunterrichtete Darstellung jener mitternächtlichen Sitzung dar. Der Bericht über den Abschluß der Sitzung, den ich dem Gerichtshof unterbreiten werde, stammt aus diesen beiden Quellen, nämlich dem englischen Blaubuch und dem französischen Gelbbuch. Ich glaube, es wird den Gerichtshof interessieren, etwas mehr von diesen beiden Büchern zu hören, die einen großen Teil des Hintergrundes dieser Angelegenheit behandeln.

Als Präsident Hacha den Konferenzraum der Reichskanzlei verließ, war er derart erschöpft, daß er ärztliche Hilfe von einem deutschen Arzt in Anspruch nehmen mußte, der zu diesem Zwecke geeigneterweise zur Stelle war. Als die beiden Tschechen das Zimmer wieder betraten, betonten die Nazi-Verschwörer ihnen wiederum die Macht und Unbesiegbarkeit der Wehrmacht. Sie wiesen nochmals darauf hin, daß in drei Stunden, um 6 Uhr früh...

VORSITZENDER: Sie lesen nicht vor? Ich bitte um Verzeihung.

MR. ALDERMAN: Ich lese nicht vor, ich fasse zusammen.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort!

MR. ALDERMAN: Sie erinnerten sie daran, daß in drei Stunden, um 6 Uhr früh, das deutsche Heer die Grenze überschreiten werde. Der Angeklagte Göring brüstete sich damit, was die deutsche Wehrmacht tun würde, falls die tschechischen Streitkräfte es wagen sollten, den einmarschierenden Deutschen Widerstand zu leisten. Wenn deutsche Menschenleben verlorengingen, sagte der Angeklagte Göring, würde seine Luftwaffe halb Prag in zwei Stunden in Trümmer legen. Und das, so sagte Göring, wäre nur der Anfang.

Unter dieser Drohung mit dem sofortigen und erbarmungslosen Angriff zu Lande und aus der Luft, unterzeichnete der alte Staatspräsident der Tschechoslowakei um 4.30 Uhr früh die Urkunde, die die Nazi- Verschwörer ihm vorgelegt und bereits vorbereitet hatten.

Es handelt sich um Dokument TC-49, eine Erklärung vom 14. März 1939; es ist eine der zahlreichen Urkunden, die von dem britischen Anklagevertreter vorgelegt werden. Daraus zitiere ich, und ich nehme an, daß sie später zum Beweise vorgelegt wird:

»Der tschechoslowakische Staatspräsident... legt das Schicksal des tschechischen Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches.«

Wirklich ein Rendezvous mit dem Schicksal!

Während die Nazi-Beamten die Vertreter der Tschechischen Regierung bedrohten und einschüchterten, hatte die Wehrmacht an einigen Stellen schon die tschechische Grenze überschritten.

Als Beweis lege ich Dokument 2860-PS vor, einen weiteren Auszug aus dem englischen Blaubuch; ich bitte den Gerichtshof, hiervon amtlich Kenntnis zu nehmen. Es handelt sich um eine Rede des Außenministers Lord Halifax, von der ich eine Stelle zitiere:

»Es muß darauf hingewiesen werden, und diese Tatsache ist bestimmt nicht ohne Bedeutung, daß die Städte Mährisch-Ostrau und Witkowitz von deutschen SS-Einheiten am Abend des 14. März schon tatsächlich besetzt wurden, während der Präsident und der Außenminister der Tschechoslowakei sich noch auf dem Wege nach Berlin befanden, und bevor irgendwelche Besprechungen stattgefunden hatten.«

Im Morgengrauen des 15. März fielen deutsche Truppen von allen Seiten in die Tschechoslowakei ein. Hitler erließ einen Tagesbefehl an die Wehrmacht und eine Proklamation an das deutsche Volk, worin deutlich erklärt wurde: »Die Tschechoslowakei hat damit aufgehört zu existieren.«

Am nächsten Tage wurde die Tschechoslowakei in glatter Verletzung des Artikels 81 des Versailler Vertrages formell in das Deutsche Reich unter dem Namen »Protektorat Böhmen und Mähren« eingegliedert. Der Erlaß ist Dokument TC-51, eine der Urkunden, die vom britischen Anklagevertreter später dem Gerichtshof vorgelegt werden wird. Sie wurde am 16. März 1939 von Hitler, Lammers, den Angeklagten Frick und Ribbentrop in Prag unterschrieben. Ich möchte den ersten Satz dieses Erlasses vorlesen:

»Ein Jahrtausend lang gehörten die böhmisch-mährischen Länder zum Lebensraum des deutschen Volkes.«

Im übrigen Inhalt des Dokuments wird mit ungeschminkten Einzelheiten erklärt, wie weit die Tschechoslowakei von nun an von Deutschland unterworfen würde. Ein deutscher Protektor sollte für das sogenannte »Protektorat« durch den deutschen Führer ernannt werden – der Angeklagte von Neurath. Gott schütze uns vor solchen Schutzherren! Die Deutsche Regierung übernahm ihre diplomatischen Angelegenheiten, ihre Zoll- und Steuerrechte. Es wurde bestimmt, daß deutsche Garnisonen und sonstige militärische Einrichtungen im Protektorat errichtet würden. Gleichzeitig fanden die Führer der Extremisten in der Slowakei, die auf Drängen der deutschen Nazis so viel getan hatten, den tschechoslowakischen Staat zu untergraben, daß die Unabhängigkeit ihres erst eine Woche alten Staates nicht ganz so groß war, wie sie gedacht hatten.

Zum Beweis lege ich Dokument 1439-PS vor. Eigentlich brauche ich dieses nicht vorzulegen. Es erscheint auf Seite 606 im Reichsgesetzblatt 1939, Teil II, und ich bitte den Gerichtshof, es amtlich zur Kenntnis zu nehmen.

Die einleitende Erklärung ist von dem Angeklagten Reichsaußenminister von Ribbentrop unterzeichnet. Dann kommt der Titel:

»Vertrag über das Schutzverhältnis zwischen dem Deutschen Reich und dem Slowakischen Staat. Die Deutsche Regierung und die Slowakische Regierung sind, nachdem sich der Slowakische Staat unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt hat, übereingekommen, die sich hieraus ergebenden Folgen durch einen Vertrag zu regeln. Zu diesem Zweck haben die unterzeichneten Bevollmächtigten der beiden Regierungen folgende Bestimmungen vereinbart:

Artikel 1. Das Deutsche Reich übernimmt den Schutz der politischen Unabhängigkeit des Slowakischen Staates und der Integrität seines Gebietes.

Artikel 2. Zur Durchführung des vom Deutschen Reich übernommenen Schutzes hat die deutsche Wehrmacht jederzeit das Recht, in einer Zone, die westlich von der Grenze des Slowakischen Staates und östlich von der allgemeinen Linie, Ostrand der Kleinen Karpathen, Ostrand der Weißen Karpathen und Ostrand des Javornikgebirges begrenzt wird, militärische Anlagen zu errichten und in der von ihr notwendig gehaltenen Stärke besetzt zu halten.«

Ich überspringe einige Zeilen.

»Die Slowakische Regierung wird veranlassen, daß der für diese Anlagen erforderliche Grund und Boden der deutschen Wehrmacht zur Verfügung gestellt wird.«

VORSITZENDER: Wäre jetzt ein günstiger Zeitpunkt für eine Unterbrechung? Wie ich höre, wäre es den Verteidigern lieber, daß der Gerichtshof eineinviertel Stunden und nicht nur eine Stunde Mittagspause einlegt. Der Gerichtshof wird sich 12.45 Uhr zurückziehen und um 14.00 Uhr die Verhandlung fortsetzen.