[Der Gerichtshof setzt die Verhandlung für 10 Minuten aus.]
MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Dieses geheime Protokoll zwischen Deutschland und der Slowakei sah eine enge wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Slowakei vor. Konzessionen für Bodenschätze und Mineralvorkommen wurden der Deutschen Regierung zur Verfügung gestellt.
Ich biete als Beweisstück Dokument 2793-PS, US- 120, an und lese daraus Artikel I, Absatz 3:
»Erforschung, Erschließung und Verwertung der slowakischen Bodenschätze. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Bodenschätze, soweit sie nicht für den eigenen Bedarf der Slowakei benötigt werden, in erster Linie Deutschland zur Verfügung stehen sollen. Die gesamte Bodenforschung wird der ›Reichsstelle für Bodenforschung‹ übertragen. Die Slowakische Staatsregierung wird baldmöglichst in eine Nachprüfung eintreten, ob die bisherigen Inhaber von Freischürfen und Gerichtsamen ihren gesetzlich vorgesehenen Betriebsverpflichtungen nachgekommen sind, und wird Freischürfen und Gerichtsame zum Erlöschen bringen, soweit diese Verpflichtungen vernachlässigt wurden.«
In ihren persönlichen Erklärungen gaben die Nazi- Verschwörer hinreichenden Beweis dafür, daß sie die Slowakei nur als Vasallenstaat betrachteten, tatsächlich als eine deutsche Besitzung.
Ich biete Dokument R-100, US-121, als Beweisstück an. Dieses Dokument ist eine Informations- Denkschrift, die Hitler am 25. März 1939 an von Brauchitsch sandte. Vieles darin befaßt sich mit Fragen, die aus der kürzlich erfolgten Besetzung von Böhmen und Mähren und der Slowakei entstanden. Ich lese den Anfang des sechsten Absatzes:
»Gen. Ob. Keitel soll Slowakischer Regierung über das Auswärtige Amt mitteilen, daß bis zur Waaggrenze keine bewaffneten slowakischen Verbände (Hlinka-Gar den) unterhalten bzw. garnisoniert werden dürften. Sie sollen in das neue slowakische Gebiet. Hlinka-Garden sollen entwaffnet werden. Slowaken sollen über das Auswärtige Amt aufgefordert werden, daß alle Waffen, die wir haben wollen und die sich noch in der Slowakei befinden, auf Grund der Verabredung des Heeres mit tschechischen Truppen an uns gegen Bezahlung abgegeben werden. Dazu sollen die Millionen verwandt werden, die wir ohnehin in die Slowakei hereingeben wollen. Tschechisches Protektorat: H.Gr.«
– eine Bemerkung des Übersetzers ergibt, daß dies »Heeresgruppen« bedeuten soll, aber ich kann mich hierfür nicht verbürgen –
»sollen noch einmal angefragt werden, ob die Aufforderung zur Abgabe aller Waffen in befristeter Zeit und Androhung scharfer Strafen noch einmal wiederholt werden soll.
Alles Kriegsmaterial der ehemaligen Tscheche! nehmen wir ohne Bezahlung. Dagegen werden die vor dem 15. 2. vertragsmäßig gekauften Geschütze bezahlt.... Böhmisch-Mähren soll an den deutschen Staatssäckel jährliche Abgaben leisten. Höhe soll auf Grund der für das tschechische Heer seinerzeit gemeldeten Ausgaben festgesetzt werden.«
Die deutsche Eroberung der Tschechoslowakei, die in direktem Gegensatz zum Münchener Abkommen stand, gab Anlaß zu formellen Protesten von seiten der Englischen und Französischen Regierungen. Diese Dokumente, TC-52 und TC-53 vom 17. März 1939, werden dem Gerichtshof vom britischen Anklagevertreter vorgelegt werden.
Am gleichen Tage, dem 17. März 1939, gab der geschäftsführende Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten eine Erklärung ab, die ich als Beweismittel anbieten will, und ich ersuche den Gerichtshof, von dem gesamten Band amtlich Kenntnis zu nehmen; Dokument 2862-PS, US-122, das ein Auszug des offiziellen Bandes ist, betitelt »Frieden und Krieg: Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten 1931-1941«, herausgegeben unter Bestätigung des Department of State der Vereinigten Staaten von Amerika. Dieser Band ist zufällig mein persönliches Eigentum, ich hoffe, ein anderes Exemplar beschaffen zu können, ich biete ihn zum Beweis an, weil ich überzeugt bin, daß der Gerichtshof ihn beim Studium der Zusammenhänge dieses ganzen Falles sehr interessant finden wird. Er behandelt eine detaillierte chronologische Geschichte der diplomatischen Ereignisse bis und während des zweiten Weltkrieges und ist 1941 abgeschlossen. Das, was ich hier zum Beweis anbiete, erscheint auf den Seiten 454 und 455 dieses Bandes, eine Erklärung des geschäftsführenden Staatssekretärs Welles vom 17. März 1939:
»Die Regierung der Vereinigten Staaten hat häufig ihrer Überzeugung Ausdruck gegeben, daß der Weltfrieden nur durch internationale Unterstützung eines Programms der auf dem Recht gegründeten Ordnung gesi chert werden kann. Die Regierung unseres Landes, die auf den Grundsätzen der Freiheit der Menschen und Demokratie aufgebaut ist und diese achtet, kann sich nicht enthalten, der Verdammung von Taten Ausdruck zu geben, die die zeitweilige Vernichtung der Freiheiten eines freien und unabhängigen Volkes mit sich brachten; eines Landes, mit dem das Volk der Vereinigten Staaten seit dem Tage der Unabhängigkeit der Tschechoslowakischen Republik besonders enge und freundliche Beziehungen unterhalten hat. Die Haltung der Regierung der Vereinigten Staaten wurde vollkommen klargestellt. Sie hat die Notwendigkeit betont, die Heiligkeit von Verträgen und gegebenen Versprechen und die Nichteinmischung einer Nation in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen zu achten, und sie hat sich bei wiederholten Gelegenheiten gegen eine Politik militärischer Überfälle ausgesprochen. Es ist offenkundig, daß Handlungen mutwilliger Gesetzlosigkeit und willkürlicher Gewalt den Weltfrieden und gerade das Gebäude moderner Zivilisation bedrohen. Die absolute Notwendigkeit, die von unserer Regierung vertretenen Grundsätze zu achten, wurde klar und deutlich durch die Ereignisse der letzten drei Tage bewiesen.«
Mit der Tschechoslowakei in deutschem Besitz hatten die Nazi-Verschwörer das erreicht, was sie sich auf ihrer Konferenz in Berlin vom 5. November 1937 als Ziel gesetzt hatten. Sie wenden sich erinnern, daß dieses Eroberungsprogramm geplant war, um ihre Grenzen zu verkürzen, ihre industriellen und Ernährungsreserven zu stärken und sich wirtschaftlich und strategisch in eine Lage zu versetzen, aus der heraus sie weit ehrgeizigere und umfangreichere Angriffskriege vorbereiten konnten. Dieses Programm wurde in weniger als eineinhalb Jahren zur Zufriedenheit der Nazi-Führer durchgeführt. Und jetzt möchte ich wieder die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die große Landkarte an der Wand lenken. Ich glaube, es ist nicht bloß eine Sprachfigur, wenn ich mich auf das Wolfshaupt beziehe, das im anglo-amerikanischen Recht als caput lupinum bekannt ist.
Der untere Kinnbacken, der aus Österreich bestand, war am 12. März 1938 erobert – der rotfarbige Teil der ersten Karte. Dadurch wurde die Tschechoslowakei eingekreist; der nächste Schritt war die Einverleibung des gebirgigen Teiles, des Sudetenlandes, auf der nächsten Karte in roter Farbe eingezeichnet. Am 1. Oktober 1938 wurde die weitere Einkreisung der Tschechoslowakei vollzogen, ihre Verteidigungsmöglichkeit geschwächt, und dann bissen die Kinnbacken oder Zangen zu, wie General Keitel oder General Jodl, glaube ich, das nannte, ich glaube, es ist in General Jodls Tagebuch enthalten, und Sie sehen, was sie damit der Tschechoslowakei zufügten.
Am 15. März 1938 wurden die Grenzen verkürzt, neue Stützpunkte geschaffen, und damit war die Tschechoslowakei zerstört. Böhmen und Mähren sind schwarz dargestellt, die Slowakei in hellgelb. Ich habe Ihnen bereits aus den Urkunden geschildert, in welcher Lage die Slowakei zurückblieb. Durch die deutschen militärischen Einrichtungen in der Slowakei wurde die südliche Grenze Polens, wie Sie sehen können, vollkommen flankiert, ebenso wie seine Westgrenze. Alles war für den nächsten Überfall vorbereitet, den Ihnen der britische Anklagevertreter schildern wird.
Von all den Nazi-Verschwörern war sich der Angeklagte Göring am meisten der wirtschaftlichen und strategischen Vorteile bewußt, die die Eroberung der Tschechoslowakei für Deutschland mit sich brachte.
Ich lege nun Urkunde 1301-PS, US-123, zum Beweis vor. Es ist ein ziemlich umfangreiches Aktenstück; und wir bieten besonders Teil 10 der Urkunde, auf Seite 25 der englischen Übersetzung, zum Beweis an. Seite 25 der englischen Übersetzung enthält als »Geheime Kommandosache« das Protokoll einer Konferenz bei Göring im Luftfahrtministerium. Die Konferenz, die am 14. Oktober 1938, gerade zwei Wochen nach der Besetzung des Sudetenlandes, stattfand, befaßte sich mit der Besprechung wirtschaftlicher Fragen. Die Bemerkungen des Angeklagten Göring waren damals irgendwie prophetisch. Ich lese den 3. Absatz am Ende der 26. Seite der englischen Übersetzung:
»Das Sudetenland müsse mit allen Mitteln ausgenützt werden. Generalfeldmarschall Göring rechnet mit einer völligen wirtschaftlichen Angleichung der Slowaken. Tschechen und Slowaken würden deutsche Dominions werden. Es müsse herausgeholt werden, was irgendwie möglich ist. Der Oder-Donau-Kanal sei beschleunigt vorzusehen. In der Slowakei müßten insonderheit von Staatssekretär Keppler Untersuchungen von Erdöl und Erzen vorgenommen werden.«
Im Sommer 1939, nach der Einverleibung von Böhmen und Mähren in das Deutsche Reich, erklärte der Angeklagte Göring wiederum das große Interesse der Nazi-Führer an der tschechoslowakischen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Ich lege Dokument R-133 als Beweisstück US-124 vor. Dieses Dokument ist ein Protokoll, datiert Berlin, den 27. Juli 1939, unterzeichnet von Müller, über eine Konferenz zwischen Göring und einer Gruppe höherer Beamten des OKW und anderer deutscher Regierungsstellen, die mit der Kriegsindustrie beschäftigt waren. Diese Konferenz hatte zwei Tage zuvor, am 25. Juli, stattgefunden. Ich lese den ersten Teil dieses Sitzungsberichts:
»In längeren Ausführungen erläuterte der Herr Feldmarschall, daß die Einbeziehung von Böhmen und Mähren in den deutschen Wirtschaftsraum unter anderem auch deswegen erfolgt sei, um durch Ausnutzung der dort befindlichen Industrie das deutsche Kriegspotential zu steigern. Briefe, wie der Erlaß des Reichswirtschaftsministers – S 10 402/39 vom 10. Juli 1939 – sowie ein dem Sinne nach gleiches Schreiben an die Firma Jun kers, die Art und Umfang der Rüstungsmaßnahmen im Protektorat unter Umständen herabzusetzen vermochten, seien diesem Grundsatz zuwider. Wenn der Erlaß solcher Verfügungen notwendig sei, dann dürfe er nur mit seinem Einverständnis bewirkt werden. Jedenfalls besteht er«, das heißt der Angeklagte Göring, »im Sinne der vom Führer erteilten Anweisung darauf, daß das Kriegspotential des Protektorats in Teilen oder im ganzen unbedingt auszunutzen und möglichst bald auf den Mobfall auszurichten sei.«
Die Eroberung der Tschechoslowakei verstärkte nicht nur das Wirtschaftspotential der Nazis für ihre zukünftigen Angriffskriege, sondern lieferte ihnen auch neue Stützpunkte, von welchen die Nazis ihren nächsten Angriffskrieg, den Überfall auf Polen, durchführen konnten.
Sie erinnern sich vielleicht noch an das Protokoll der Konferenz zwischen Göring und einer nazi- freundlichen slowakischen Delegation vom Winter 1938/39. Dieses Protokoll ist unser Dokument 2801-PS, welches ich als US-109 bereits früher dem Gerichtshof vorgelegt habe. Sie erinnern sich vielleicht an den letzten Satz dieses Protokolls, an eine Feststellung des Angeklagten Göring in seiner Schlußrede. Ich zitiere diesen Satz hier wieder:
»Flughafenbasis in Slowakei für Luftwaffe im Einsatz gegen Osten sehr wichtig.«
Ich lege nun Dokument 1874-PS, US-125, dem Gerichtshof vor. Dieses Dokument ist das deutsche Protokoll einer Konferenz des Angeklagten Göring mit Mussolini und Ciano vom 15. April 1939, die einen Monat nach der Eroberung der Tschechoslowakei stattfand.
In dieser Konferenz berichtete Göring seinen Junior-Partnern in der Achse von den Fortschritten der deutschen Kriegsvorbereitung. Er verglich die Stärke Deutschlands mit der Stärke Englands und Frankreichs. Natürlich erwähnte er in diesem Zusammenhang die deutsche Besetzung der Tschechoslowakei. Ich lese nun zwei Absätze dieser Betrachtungen, auf Seite 4, Absatz 2 des deutschen Protokolls:
»Auf jeden Fall zeige jedoch die starke Aufrüstung der Tschecho-Slowakei, wie gefährlich, selbst noch nach München, dieses Land in einem ernsthaften Konflikt gewesen wäre. Durch Deutschlands Vorgehen habe sich die Lage beider Achsenmächte erleichtert, u. a. auch dadurch, daß die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich durch den Übergang der starken Produktions-Kapazitäten (Rüstungspotential) der Tschecho-Slowakei auf Deutschland ergebe. Dies trage zu einer erheblichen Stärkung der Achse gegenüber den Westmächten bei. Außerdem brauche Deutschland jetzt keine einzige Division mehr in einem großen Konflikt zur Sicherung gegenüber diesem Lande bereitzustellen. Auch dies sei ein Vorteil, der letzten Endes beiden Achsenmächten zugute käme.«
Dann auf Seite 5 den zweiten Absatz des deutschen Textes:
»Auch Polen gegenüber sei das Vorgehen Deutschlands in der Tschecho-Slowakei als ein Vorteil für die Achse anzusehen, falls sich Polen endgültig den achsenfeindlichen Mächten anschließen sollte. Deutschland könne dieses Land dann von zwei Flanken her angreifen und befinde sich in nur 25 Minuten Flugentfernung von dem neuen polnischen Industriezentrum, das gerade mit Rücksicht auf die Nähe der Grenzen zu den übrigen polnischen Industriebezirken weiter ins Innere des Landes verlegt worden war, nunmehr aber durch die Ereignisse doch wieder in die Nähe einer Grenze zu liegen käme.«
Und dieses Flankieren an zwei Fronten ist hier in den vier Abschnitten der Karte dargestellt. Ich glaube, daß die Karte selbst, besser als alle mündlichen Erklärungen, die logische und kalte Berechnung, den Vorbedacht jedes Schrittes bis zu diesem Punkt des deutschen Angriffes erläutert, und weiterhin auch erklärt, was ich als das Meisterstück eines Angriffskrieges bezeichnen kann, das heißt, jede Eroberung der Verschwörer war vorher als ein Sprungbrett für einen neuen und ehrgeizigen Angriff erwogen und geplant. Sie wollen sich an die Worte Hitlers erinnern, die er in der Konferenz in der Reichskanzlei am 23. Mai 1939 sprach, als er den polnischen Feldzug plante; Dokument L-79, US-27. Ich zitiere hieraus:
»Die zurückliegende Zeit ist wohl ausgenutzt worden. Alle Schritte waren folgerichtig auf das Ziel ausgerichtet.«
Es ist angebracht, auf zwei weitere Reden der Nazi-Führer zu verweisen. In seiner Münchener Rede vom 7. November 1943 sprach der Angeklagte Jodl wie folgt, und ich zitiere von Seite 5 des Dokuments L-172, das ich bereits als US-34 dem Gerichtshof zum Beweis vorgelegt habe, Seite 8 des deutschen Textes:
»Die unblutige Lösung des tschechischen Konfliktes im Herbst 1938 und im Frühjahr 1939 und die Angliederung der Slowakei rundete den Großdeutschen Raum derart ab, daß nunmehr auch die Möglichkeit bestand, das polnische Problem unter einigermaßen günstigen strategischen Voraussetzungen ins Auge zu fassen.«
In seiner Rede am 23. November 1939 an seine militärischen Befehlshaber beschrieb Hitler das Verfahren, nach welchem er die Wehrmacht des Reiches wieder aufgebaut hatte. Dies ist unser Dokument 789-PS, US-23. Ich lese eine Stelle aus dem zweiten Absatz:
»Der nächste Schritt war Böhmen, Mähren und Polen. Aber dieser Schritt war nicht in einem Zuge zu tun. Zunächst mußte im Westen der Westwall fertiggestellt werden. Es war nicht möglich, das Ziel in einem Anhieb zu erreichen. Vom ersten Augenblick an war mir klar, daß ich mich nicht mit dem sudetendeutschen Gebiet begnügen könnte. Das war nur eine Teillösung. Der Entschluß zum Einmarsch in Böhmen war gefaßt. Dann kam die Errichtung des Protektorats, und damit war die Grundlage für die Eroberung Polens gelegt...«
Ehe ich den Gegenstand des Angriffs gegen die Tschechoslowakei verlasse, möchte ich dem Gerichtshof ein Dokument vorlegen, das zu spät in unseren Besitz kam, um in unser Dokumentenbuch aufgenommen zu werden. Ich erhielt es am späten Nachmittag oder spät abends am letzten Samstag. Es ist eine amtliche Urkunde, wiederum von der Tschechoslowakischen Regierung, eine Ergänzung des tschechoslowakischen Berichtes, den ich vorhin als Beweisstück vorgelegt hatte. Ich lege nun diese Urkunde, 3061-PS, als US-126 dem Gerichtshof als Beweisstück vor. Dieses Dokument wurde uns in deutschem Text und in englischer Übersetzung übermittelt, die als nicht ganz ausreichend erschien. Wir haben sie noch einmal ins Englische übersetzt und die Übersetzung wurde, soviel ich weiß, soeben dem Gerichtshof übergeben. Diese vervielfältigte Übersetzung sollte unserem Dokumentenbuch »O« eingefügt werden. Ich will diesen Bericht nicht verlesen; er ist ungefähr zwölf Seiten lang. Ich bitte den Gerichtshof, ihn gemäß den Bestimmungen des Statuts amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Ich will ihn nur zusammenfassen. Dieses Dokument bestätigt und verstärkt das frühere Beweismaterial, das ich dem Gerichtshof bereits vorgelegt habe. Insbesondere unterstützt es die folgenden Behauptungen:
1. Die enge Verbindung zwischen Henlein und der SDP einerseits, Hitler und den Angeklagten Heß und Ribbentrop andererseits.
2. Die Verwendung der Deutschen Gesandtschaft in Prag zur Lenkung der Tätigkeit der Fünften Kolonne.
3. Die Finanzierung der Henlein-Bewegung durch Amtsstellen der Deutschen Regierung, einschließlich der deutschen diplomatischen Vertreter in Prag.
4. Die Verwendung der Henlein-Bewegung zu Spionagezwecken auf direkte Befehle des Reiches.
Ferner ergibt das Dokument weitere Einzelheiten über die Umstände des Besuches des Präsidenten Hacha in Berlin in der Nacht des 14. März. Es bestätigt die Tatsache, daß Präsident Hacha medizinische Hilfe des Arztes Hitlers benötigte; und unterstreicht wieder die Drohung, die der Angeklagte Göring gegenüber der tschechischen Abordnung gebrauchte.
Hiermit schließe ich die Darstellung des Kapitels, das mir immer als eines der traurigsten der Völkergeschichte erschienen ist: Die Vergewaltigung und Zerstörung des schwachen, kleinen tschechoslowakischen Staates!
SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof! Bevor ich das Beweismaterial, das ich dem Gerichtshof vorzulegen gedenke, überreiche, möchte ich eine Erklärung darüber abgeben, wie der britische Fall aufgeteilt werden soll und wer die verschiedenen Teile vortragen wird. Ich werde mich mit den allgemeinen Verträgen beschäftigen. Späterhin wird sich mein gelehrter Freund, Oberst Griffith-Jones, mit Polen beschäftigen; drittens wird Major Elwyn Jones sich mit Norwegen und Dänemark befassen; viertens wird Herr Roberts über Belgien, Holland und Luxemburg sprechen; fünftens wird Oberst Phillimore Griechenland und Jugoslawien behandeln. Danach wird sich für beide Abordnungen mein Freund, Herr Alderman von der amerikanischen Abordnung, mit dem Angriff gegen die USSR und die Vereinigten Staaten befassen.
Mit Genehmigung des Gerichtshofs möchte ich auch noch ein Wort über die Anordnung der Dokumente, die wir getroffen haben, sagen.
Jeder der Verteidiger besitzt ein Exemplar des Dokumentenbuches, das heißt, der verschiedenen Dokumentenbücher in englischer Sprache. Tatsächlich wurden bereits 30 Exemplare der ersten vier unserer Dokumente in dem Büro der Verteidiger deponiert. Wir hoffen, daß das letzte Dokumentenbuch, das sich mit Griechenland und Jugoslawien beschäftigt, auch in 30 Exemplaren heute noch dort deponiert werden kann. Ferner haben die Verteidiger mindestens sechs Exemplare jedes Dokuments in deutscher Sprache.
Bezüglich meines eigenen Teils dieses Falles, dem ersten Abschnitt über Allgemeine Verträge, sind alle Dokumente dieser Phase im »Reichsgesetzblatt« oder in den »Dokumenten der deutschen Politik« enthalten, von denen 10 Exemplare den Verteidigern zur Verfügung gestellt wurden, so daß die Verteidiger mindestens 16 Exemplare jedes angeführten Dokuments in deutscher Sprache bezüglich des Teils, der dem Gerichtshof nun vorliegt, besitzen. Schließlich stehen je ein Exemplar des »Reichsgesetzblattes« und der »Dokumente der deutschen Politik« dem Gerichtshof zur Verfügung; auch weitere Exemplare, falls es gewünscht wird. Ein Exemplar steht jedoch zur sofortigen Verfügung des Gerichtshofs, falls ein Richter wünscht, den deutschen Text nachzulesen.
VORSITZENDER: Beabsichtigen Sie Zeugen aufzurufen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Herr Vorsitzender, keine Zeugen. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich, bevor ich zu dem ersten Vertrag komme, mit Hilfe von drei Zitaten auf einen Punkt zurückkommen, der gestern in der Rede meines gelehrten Freundes, des Hauptanklägers, erwähnt worden ist. Es könnte auf Grund der traurigen Geschichte gebrochener Verträge und verletzter Versicherungen, die der Gerichtshof bereits angehört hat, angenommen werden, daß Hitler und die Nazi-Regierung es nicht einmal nach außenhin als notwendig und wünschenswert erklärten, das gegebene Wort zu halten. Nach außenhin klangen ihre Erklärungen jedoch sehr unterschiedlich. Hitler sagte unter Bezugnahme auf Verträge am 18. Oktober 1933:
»Was wir unterzeichnet haben, werden wir nach unserer besten Fähigkeit erfüllen.«
Der Gerichtshof möge die Einschränkung bemerken: »Was wir unterzeichnet haben«. Jedoch am 21. Mai 1935 sagte Hitler:
»Die Deutsche Reichsregierung wird jeden freiwillig unterzeichneten Vertrag, auch wenn seine Abfassung vor ihrem Regierungs- und Machtantritt stattfand, peinlich einhalten.«
Über Zusicherungen drückte sich Hitler noch betonter aus. In derselben Rede, der Reichstagsrede vom 21. Mai 1935, brachte Hitler zum Ausdruck, daß Zusicherungen von gleicher Verbindlichkeit seien; und die Welt konnte zu dieser Zeit nicht wissen, daß dies überhaupt keine Verbindlichkeit bedeutete. Tatsächlich sagte er:
»Wenn ich nun aus dem Munde eines englischen Staatsmannes höre, daß solche Zusicherungen nichts sind und nur in der Unterschrift unter kollektive Verträge die Gewähr für Aufrichtigkeit liegt, so bitte ich Mister Eden dabei bedenken zu wollen, daß es sich in jedem Falle um eine ›Zusicherung‹ handelt. Es ist manchmal viel leichter, einen Namen unter Verträge zu setzen mit dem inneren Vorbehalt einer letzten Nachprüfung seiner Haltung in der entscheidenden Stunde, als angesichts einer ganzen Nation in voller Öffentlichkeit sich zu einer Politik zu bekennen, die dem Frieden dient, weil sie die Voraussetzungen für den Krieg ablehnt.«
Er beschreibt dann weiterhin seine Zusicherungen Frankreich gegenüber. Ich habe persönlich nie eingesehen, was Hitler zu der Zeit beabsichtigte, als er die Welt von der Wichtigkeit seiner Verträge überzeugen wollte, und ersuche den Gerichtshof in meinem Teil des Falles lediglich 15 der Verträge zu betrachten, welche die Nazis gebrochen haben. Die übrigen 69 Vertragsbrüche, die auf unserer Karte vermerkt sind und sich zwischen den Jahren 1933 und 1943 ereigneten, werden von meinen gelehrten Freunden behandelt werden.
Schließlich bleibt die Stellung eines Vertrages im deutschen Recht, soweit mir dies bekannt ist, festzustellen. Die Veröffentlichung eines Vertrages im »Reichsgesetzblatt« hat zur Folge, daß dieser geschriebenes innerstaatliches deutsches Landesrecht wird. Dies ist eine nicht unwichtige Tatsache zum Verständnis der Vertragsbrüche, die ich dem Gerichtshof unterbreiten will. Der erste Vertrag, den ich erörtern möchte, ist das Übereinkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitigkeiten, unterzeichnet in Dem Haag am 29. Juli 1899. Ich ersuche den Gerichtshof, von diesem Abkommen amtlich Kenntnis zu nehmen, und der Einfachheit halber überreiche ich es als Beweisstück GB-1, britisches Dokument TC-1. Die deutsche Quelle ist das Reichsgesetzblatt des Jahres 1901, Nummer 44, Seite 401 bis 404 und 482 bis 483. Der Gerichtshof findet die diesbezügliche Anklage unter Anhang C, Nummer 1 der Anklageschrift.
Wie der Hauptankläger gestern ausführte, waren die Haager Abkommen die ersten zaghaften Versuche, der Unvermeidlichkeit des Krieges zu begegnen. Sie erklären den Angriffskrieg nicht als ein Verbrechen; jedoch wurden ihre milden Bedingungen ebenso bereitwillig gebrochen wie spätere schwerwiegende Vereinbarungen. Am 19. Juli 1899 unterzeichneten Deutschland, Griechenland, Serbien und 25 andere Nationen ein Abkommen. Deutschland ratifizierte das Abkommen am 4. September 1900; Serbien am 11. Mai 1901 und Griechenland am 4. April 1901.
Durch Artikel 12 des Vertrages zwischen den alliierten und assoziierten Hauptmächten einerseits und dem Serbisch-Kroatisch-Slowenischen Staat andererseits, unterzeichnet in St. Germaine-en-Laye am 10. September 1919, übernahm das neue Königreich alle alten serbischen Verträge und änderte später, wie dem Gerichtshof bekannt ist, seinen Namen in Jugoslawien um. Ich glaube, es genügt, lediglich die ersten beiden Artikel zu lesen, falls der Gerichtshof nicht gegenteiliger Ansicht ist:
»Artikel 1. Um in den Beziehungen zwischen den Staaten die Anrufung der Gewalt soweit wie möglich zu verhüten, erklären sich die Signatarmächte einverstanden, alle ihre Bemühungen aufwenden zu wollen, um die friedliche Erledigung der internationalen Streitfragen zu sichern.
Artikel 2. Die Signatarmächte kommen überein, im Falle einer ernsten Meinungsverschiedenheit oder eines Streites, bevor sie zu den Waffen greifen, die guten Dienste oder die Vermittlung einer befreundeten Macht oder mehrerer befreundeter Mächte anzurufen, soweit dies die Umstände gestatten werden.«
Das Abkommen beschäftigt sich dann mit technischen Einzelheiten, und ich glaube nicht, daß es notwendig ist, in diese Einzelheiten zu gehen, es sei denn, daß der Gerichtshof andere Wünsche hat.
Der Zweite Vertrag ist das Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle, unterzeichnet in Dem Haag am 18. Oktober 1907. Ich ersuche den Gerichtshof wiederum, davon amtlich Kenntnis zu nehmen und lege Beweisstück GB-2 vor, die Schlußakte von der Konferenz in Dem Haag, enthalten in den britischen Dokumenten TC-2, TC-3 und TC-4. Bezugstelle für das Abkommen in deutscher Sprache ist das Reichsgesetzblatt des Jahres 1910, Nummer 2, Seiten 22-25, und die entsprechende Beschuldigung findet sich unter Anklagepunkt Zwei.
Dieses Abkommen wurde im Haag von 44 Nationen unterzeichnet und ist rechtswirksam für 31 Nationen, 28 Signatarmächte und drei später hinzugetretene Vertragspartner. Hinsichtlich unseres Falles interessiert nur, daß es für folgende Staaten verbindlich ist: Die Vereinigten Staaten, Belgien, Tschechoslowakei, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Japan, die Niederlande, Norwegen, Polen und Rußland.
Durch die Bestimmungen des Artikels 91 wurde das Abkommen vom Jahre 1899 zwischen den Signatarmächten ersetzt. Da Griechenland und Jugoslawien Partner des Abkommens vom Jahre 1899 waren, nicht aber vom Jahre 1907, so ist für diese Staaten weiterhin das Abkommen des Jahres 1899 verbindlich; dies erklärt zugleich die verschiedenartige Behandlung dieser Länder in unserem Anhang C.
Auch hier möchte ich wieder darum bitten, daß der Gerichtshof nur die ersten beiden Artikel in Betracht zieht:
»1. Um in Beziehungen zwischen den Staaten die Anrufung der Gewalt soweit wie möglich zu verhüten, erklären sich die Vertragsmächte einverstanden, alle ihre Bemühungen aufwenden zu wollen, um die friedliche Erledigung der internationalen Streitfragen zu sichern.«
Ich glaube, es ist, nicht nötig, den zweiten Artikel zu lesen. Es ist derselbe Artikel, der sich mit Vermittlungen beschäftigt und wiederum eine Anzahl Bestimmungen über technische Einzelheiten enthält.
Der dritte Vertrag ist das Haager Abkommen über die Eröffnung von Feindseligkeiten, das zu gleicher Zeit unterzeichnet wurde. Es ist Teil desselben Beweisstücks, das ich bereits unterbreitet habe. Ich ersuche, auch dies amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Die britische Dokumentennummer ist TC-3, die deutsche Fundstelle ist das Reichsgesetzblatt des Jahres 1910, Nummer 2, Seiten 82 bis 102. Es befindet sich unter Anhang C zum Anklagepunkt Drei.
Das Abkommen umfaßt Deutschland, Polen, Norwegen, Dänemark, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Rußland. Es nennt den Verfahrensschritt bei der Notifizierung des voraussichtlichen Gegners vor Eröffnung von Feindseligkeiten. Sein Ursprung scheint im Russisch-Japanischen Krieg des Jahres 1904 zu liegen, als Japan Rußland ohne vorherige Warnung angriff. Sie werden bemerken, daß es keine besondere Zeitspanne zwischen dem Zeitpunkt der Notifizierung und dem Beginn der Feindseligkeiten festlegt, jedoch versucht es, einen Mindeststandard internationalen Anstandes vor Kriegsausbruch aufrechtzuerhalten. Wieder möchte ich den Gerichtshof auf den ersten Artikel aufmerksam machen;
»Die Vertragsmächte erkennen an, daß die Feindseligkeiten unter ihnen nicht beginnen dürfen ohne eine vor ausgehende unzweideutige Benachrichtigung, die entweder die Form einer mit Gründen versehenen Kriegserklärung oder die eines Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung haben muß.«
Danach folgen wieder einige Bestimmungen über technische Einzelheiten, mit denen ich den Gerichtshof nicht befassen möchte.
Der vierte Vertrag ist das gleichzeitig unterzeichnete Haager Abkommen Nummer 5 über die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges. Es ist das britische Dokument TC-4, und die deutsche Fundstelle ist das Reichsgesetzblatt 1910, Nummer 2, Seiten 168 bis 176; es ist zu finden im Anhang C unter Anklagepunkt Vier.
VORSITZENDER: Ist es notwendig, die deutsche Fundstelle zu erwähnen? Falls die Verteidiger sie benötigen, ist es in Ordnung. Sonst lassen Sie es bitte aus.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn ich sie auslassen darf, könnte ich Zeit sparen.
VORSITZENDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Falls einer der Verteidiger eine besondere Fundstelle genannt haben will, möge er die Güte haben, mich zu fragen.
VORSITZENDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Deutschland ist einer der ursprünglichen Signatare des Abkommens, und der Vertrag zwischen Deutschland und Norwegen, Dänemark, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, der USSR und den Vereinigten Staaten ist rechtsgültig auf Grund der Ratifikation oder des Beitritts.
Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf den kurzen Inhalt des Artikels 1 lenken: »Das Gebiet der neutralen Mächte ist unverletzlich«. Es erhebt sich jedoch ein Zweifel über dieses Abkommen. Ich möchte diesen Punkt sofort klarstellen. Nach Artikel 20 gelten die Bestimmungen dieses Abkommens nur zwischen den Vertragsmächten und nur dann, wenn alle Kriegführenden an dem Abkommen teilhaben. Da Großbritannien und Frankreich in den Krieg innerhalb von zwei Tagen nach Kriegsausbruch zwischen Deutschland und Polen eintraten und eine dieser Mächte das Abkommen nicht bestätigt hatte, so könnte das Argument erhoben werden, daß diese Bestimmungen im zweiten Weltkrieg nicht anwendbar waren.
Ich möchte die Zeit des Gerichtshofs durch eine Beweisführung über diese Punkte im Hinblick auf die Tatsache, daß so viele wichtigere Verträge zur Diskussion stehen, nicht in Anspruch nehmen. Aus diesem Grunde werde ich dies nicht als einen Vertragsbruch hinstellen. Ich richte lediglich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Artikel 1, der den Stand der internationalen Meinung zu diesem Zeitpunkt wiedergibt, und ersuche gleichzeitig das Element des Angriffscharakters dieses Krieges in Betracht zu ziehen, dessen Beurteilung uns obliegt.
VORSITZENDER: Ich halte dies für einen günstigen Zeitpunkt, die Verhandlung zu unterbrechen.