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OBERSTLEUTNANT J. M. G. GRIFFITH-JONES, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof! Punkt 2 der Anklageschrift beschuldigt die Angeklagten, an der Planung und Vorbereitung, Entfesselung und Führung verschiedener Angriffskriege teilgenommen zu haben, und diese Kriege, so lautet die Anklage, bedeuteten den Bruch eines zwischenstaatlichen Vertrages. Es ist nunmehr unsere Absicht, dem Gerichtshof das Beweismaterial vorzulegen, das sich auf die gegen Polen, das Vereinigte Königreich und Frankreich gerichteten Angriffskriege bezieht.

In Absatz (B) der Ausführungen zu Punkt 2 der Anklage wird auf Anklagepunkt 1 verwiesen, in dem die Beschuldigung erhoben wird, daß diese Kriege Angriffskriege waren. Anklagepunkt 1 enthält auch die Einzelheiten über die Vorbereitungen und Planungen zu diesen Kriegen; und zwar finden wir die genaue Darstellung in Absatz (F) 4. Ich möchte mich jedoch mit Erlaubnis des Hohen Gerichtshofs zunächst mit den unter Anklage gestellten Vertragsbrüchen befassen, die in Absatz (C) ausgeführt und deren Einzelheiten in Anhang C beschrieben sind.

Jene Teile des Anhanges C, die den Krieg gegen Polen behandeln, bilden Abschnitt 2. Hier wird die Beschuldigung erhoben, daß durch ihn die Haager Konvention verletzt wurde, und zwar die Bestimmung über die friedliche Regelung von zwischenstaatlichen Streitfragen. Sir David hat dies bereits dem Gerichtshof vorgetragen, und mit Zustimmung des Gerichtshofs möchte Ich dem nichts mehr hinzufügen.

Abschnitt 3 des Anhanges C sowie Abschnitt 4 stellen Verletzungen der anderen Haager Abkommen von 1907 unter Anklage, Abschnitt 5, Unterabschnitt 4, inkriminiert einen Bruch des Versailler Vertrages im Hinblick auf die Freie Stadt Danzig, und Abschnitt 13 einen Bruch des Kellogg-Briand-Paktes.

All dies wurde bereits von Sir David Maxwell-Fyfe vorgetragen, und ich habe mich daher nur mehr mit zwei anderen Abschnitten von Anhang C zu befassen: Abschnitt 10, der den Bruch des in Locarno am 16. Oktober 1925 unterzeichneten Schiedsvertrages zwischen Deutschland und Polen unter Anklage stellt, und Abschnitt 15 des Anhanges C, der eine Verletzung der zwischen Deutschland und Polen am 26. Januar 1934 abgeschlossenen Nichtangriffserklärung vorwirft.

Wenn der Gerichtshof Teil 1 des britischen Dokumentenbuches Nr. 2 ansehen will, werde ich kurz beschreiben, wie die übrigen Teile angeordnet sind.

Das Dokumentenbuch zerfällt in sechs Teile. Ich bitte den Gerichtshof, sich zuerst Teil 1 anzusehen. Die den Verteidigern übergebenen Dokumentenbücher haben dieselbe Einteilung; nur sind sie alle zusammen und nicht in sechs Einzelumschlägen eingebunden, wie dies für den Gerichtshof zur bequemeren Handhabung geschehen ist.

Der deutsch-polnische Schiedsvertrag, der Gegenstand des Abschnittes 10 von Anhang C, bildet Dokument TC-15 und erscheint als letztes im Dokumentenbuch. Es wurde bereits unter GB-16 vorgelegt.

Ich möchte das Vorwort und Artikel 1 und 2 dieses Vertrages zitieren:

»Der Deutsche Reichspräsident und der Präsident der Republik Polen, gleichermaßen entschlossen, den Frieden zwischen Deutschland und Polen aufrechtzuerhalten, indem sie die friedliche Regelung der zwischen beiden Ländern etwa entstehenden Streitigkeiten sichern,

im Hinblick auf die Tatsache, daß die internationalen Gerichte zur Achtung der durch die Verträge begründeten oder aus dem Völkerrecht sich ergebenden Rechte verpflichtet sind,

einig darin, daß die Rechte eines Staates nur mit seiner Zustimmung geändert werden können,

und in der Erwägung, daß die aufrichtige Beobachtung des Verfahrens zur friedlichen Regelung der internationalen Streitigkeiten die Möglichkeit gibt, ohne Anwendung von Gewalt die Fragen zu lösen, die die Staaten entzweien könnten,

haben beschlossen...«

Dann weiter im Artikel 1:

»Alle Streitfragen jeglicher Art zwischen Deutschland und Polen, bei denen die Parteien untereinander über ein Recht im Streite sind, und die nicht auf dem Wege des gewöhnlichen diplomatischen Verfahrens gütlich geregelt werden können, sollen in der nachstehend bestimmten Weise, sei es einem Schiedsgericht, sei es dem Ständigen Internationalen Gerichtshof zur Entscheidung unterbreitet werden.«

Ich gehe nun gleich zu Artikel 2 über:

»Vor jedem Schiedsverfahren und vor jedem Verfahren bei dem Ständigen Internationalen Gerichtshof kann die Streitfrage durch Vereinbarung der Parteien zur Herbeiführung eines Vergleichs einer ständigen internationalen Kommission, genannt ›Ständige Vergleichskommission‹, unterbreitet werden, die gemäß dem gegenwärtigen Vertrage gebildet wird.«

Dann behandelt der Vertrag Einzelheiten des Schieds- und Ausgleichsverfahrens.

VORSITZENDER: Er hat die gleichen Bestimmungen wie der Schiedsvertrag zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei und Deutschland und Belgien, nicht wahr?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ja, Hoher Gerichtshof, das ist richtig; beide wurden in Locarno unterzeichnet.

VORSITZENDER: Ja.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Die Worte der Anklage unter Abschnitt 10 heben besonders hervor, daß Deutschland am oder um den 1. September 1939 unrechtmäßig Polen angriff und überrannte, ohne vorher versucht zu haben, seinen Streit mit Polen auf friedlichem Wege zu schlichten.

Ich werde nur noch auf einen Vertrag hinweisen: Die deutsch-polnische Erklärung vom 26. Januar 1934, die als letztes Dokument im Teil 1 des Dokumentenbuches zu finden ist und Gegenstand des Abschnitts 10 des Anhanges C bildet:

»Die Deutsche Regierung und die Polnische Regierung halten den Zeitpunkt für gekommen, um durch eine unmittelbare Verständigung von Staat zu Staat eine neue Phase in den politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen einzuleiten. Sie haben sich deshalb entschlossen, durch die gegenwärtige Erklärung die Grundlage für die künftige Gestaltung dieser Beziehungen festzulegen.

Beide Regierungen gehen von der Tatsache aus, daß die Aufrechterhaltung und Sicherung eines dauernden Friedens zwischen ihren Ländern eine wesentliche Voraussetzung für den allgemeinen Frieden in Europa ist.«

VORSITZENDER: Ist es notwendig, alles vorzulesen? Wir werden von der Erklärung amtlich Kenntnis nehmen.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bin Ihnen sehr verbunden und werde mich bemühen, die Verlesung soweit wie möglich abzukürzen.

Im Hinblick auf die späteren Behauptungen der Nazi-Regierung möchte ich die besondere Aufmerksamkeit auf den Schlußabsatz dieser Erklärung lenken:

»Die Erklärung gilt für einen Zeitraum von 10 Jahren, gerechnet vom Tage des Austausches der Ratifikationsurkunden an. Falls sie nicht von einer der beiden Regierungen 6 Monate vor Ablauf dieses Zeitraumes gekündigt wird, bleibt sie auch weiterhin in Kraft; kann je doch alsdann von jeder Regierung jederzeit mit einer Frist von 6 Monaten gekündigt werden.«

Ich gehe nun von den Vertragsbrüchen auf die Beweisführung, die Planung und Vorbereitung dieser Kriege betreffend, über und werde damit die Beschuldigung begründen, daß diese Kriege Angriffskriege waren. Der Einfachheit halber sind die einschlägigen Dokumente in verschiedene Teile zerlegt. Ich bitte den Gerichtshof, das Gesamtinhaltsverzeichnis anzusehen, das wiederum ein besonderes Buch darstellt. Auf der Titelseite werden Sie die Einteilung der Dokumente finden. Teil 1 sind »Verträge«, Teil 2 trägt die Überschrift »Beweismaterial für die deutschen Absichten vor März 1939«, genauer sollte man es als »Beweismaterial vor März 1939« bezeichnen. Ich werde mich nun mit diesem Teile beschäftigen.

Es wurde dem Gerichtshof dargelegt, daß die Aktionen gegen Österreich und die Tschechoslowakei an und für sich Teile der Vorbereitungen für weitere Angriffe waren. Ich möchte nun bei Darlegung der früheren Stadien dieser Angelegenheit die besondere Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf jene Teile des Beweismaterials lenken, die zeigen, daß sogar damals, vor der Besetzung der ganzen Tschechoslowakei, die Deutschen vollständig vorbereitet waren, im Notfall gegen England, Polen und Frankreich zu kämpfen, um jene vorläufigen Ziele zu erreichen; daß sie sich die ganze Zeit darüber im klaren waren, daß es leicht dazu kommen könnte. Darüber hinaus aber, obwohl sie erst nach März 1939 mit den unmittelbaren und besonderen Vorbereitungen für den Krieg mit Polen begannen, dachten sie trotzdem schon eine beträchtliche Zeit vorher an diesen Überfall auf Polen, sobald die Tschechoslowakei vollkommen in ihrer Hand wäre.

Während dieser Zeit – und das geschieht immer wieder im Laufe der Geschichte des Nazi-Regimes in Deutschland –, während dieser Zeit, ebenso wie später, in deren Verlauf sie ihre Vorbereitung treffen und ihre Pläne ausführen, geben sie der Außenwelt eine Zusicherung nach der anderen, um ihr Mißtrauen in Bezug auf ihre wirklichen Ziele einzuschläfern.

Die Daten – ich glaube, daß dies der gelehrte Hauptankläger in seinen Ausführungen gestern schon erwähnte –, die Daten sprechen in diesem Falle eine fast deutlichere Sprache als die Urkunden. Die Urkunden in diesem Dokumentenbuch sind in der Reihenfolge angeordnet, in der ich mich auf sie beziehen will. Die erste Urkunde ist TC-70, GB-25.

Es ist nun interessant, zu sehen, was Hitler über das mit Polen geschlossene Abkommen sagte, als es im Januar 1934 unterzeichnet wurde:

»Als ich am 30. Januar die Regierung übernahm, schienen mir die Beziehungen zwischen den beiden Ländern mehr als unbefriedigend zu sein. Es drohte die Gefahr, daß sich aus zweifellos vorhandenen Differenzen, die ihre Ursachen einerseits in den Territorialbestimmungen des Versailler Vertrages, andererseits in der daraus resultierenden beiderseitigen Gereiztheit hatten, allmählich eine Feindschaft erhärtete, die nur leicht bei längerer Fortdauer den Charakter einer beiderseitigen politischen Erbbelastung annehmen könnte.«

Und im vorletzten Absatz:

»Die Deutsche Regierung ist gewillt und bereit, im Sinne dieses Vertrages auch die wirtschaftspolitischen Beziehungen Polen gegenüber zu pflegen, daß hier gleichfalls dem Zustande unfruchtbarer Zurückhaltung eine Zeit nützlicher Zusammenarbeit folgen kann. Daß es in diesem selben Jahr auch der nationalsozialistischen Regierung in Danzig möglich wurde, zu einer ähnlichen Klärung des Verhältnisses zum polnischen Nachbarstaat zu kommen, erfüllt uns auch mit besonderer Freude.«

Das war 1934. Drei Jahre später, abermals am 30. Januar, hielt Hitler eine Reichstagsrede, Dokument 2368-PS, GB-26.

Ich will soweit wie möglich Wiederholungen von Stellen vermeiden, die der Herr Hauptankläger neulich in seiner Ansprache erwähnte. Den ersten Absatz hat er vor dem Gerichtshof bereits zitiert. Es ist ein kurzer Absatz; vielleicht darf ich ihn jetzt verlesen. Ich werde, wenn ich mich jetzt mit diesem Beweisstück befasse, Wiederholungen soweit wie möglich vermeiden:

»Durch eine Reihe von Abkommen haben wir frühere Spannungen beseitigt und damit wesentlich zu einer Verbesserung der europäischen Verhältnisse beigetragen. Ich erinnere nur an unsere Abmachung mit Polen, die beiden Staaten zum Vorteil gereicht.... Allein eine wahre Staatskunst wird Realitäten nicht übersehen, sondern sie berücksichtigen. Das italienische Volk, der neue Italienische Staat, sie sind eine Realität; das deutsche Volk und das Deutsche Reich, sie sind desgleichen eine Realität, und für meine eigenen Mitbürger möchte ich es aussprechen: das polnische Volk und der Polnische Staat sind ebenso eine Realität geworden.«

Das war am 30. Januar 1937.

Wir besitzen aber eine »Geheime Kommandosache« vom 24. Juni 1937, Dokument C-175, das bereits als US-69 vorgelegt wurde.

Diese »Geheime Kommandosache« wurde vom Reichskriegsminister und Oberkommandierenden der Wehrmacht, von Blomberg, unterzeichnet.

Oben ist zu lesen: »Durch Offizier geschrieben.... In Zusammenhang hiermit herausgehende Schriftstücke... sind durch Offizier zu schreiben.« Daher ist es offensichtlich streng geheim. Beigeschlossen ist eine Anleitung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht, die am 1. August 1937 in Kraft zu treten hatte. Die beigeschlossene Anweisung zerfällt in Teil 1: »Allgemeine Richtlinien«, Teil 2: »Wahrscheinliche Kriegsfälle« und in Teil 3: »Sonder-Vorbereitungen«.

Der Gerichtshof wird sich der einleitenden Sätze erinnern, die der Generalstaatsanwalt verlas:

»Die allgemeine politische Lage berechtigt zu der Vermutung, daß Deutschland mit keinem Angriff von irgendeiner Seite zu rechnen hat.«

Ich verlese den zweiten Absatz:

»Ebensowenig besteht von seiten Deutschlands die Absicht, einen europäischen Krieg zu entfesseln.

Trotzdem erfordert die politisch labile und überraschende Zwischenfälle nicht ausschließende Weltlage eine stete Kriegsbereitschaft der deutschen Wehrmacht, um Angriffen jederzeit entgegenzutreten und um etwa sich ergebende politisch günstige Gelegenheiten militärisch ausnutzen zu können.«

Es wird dann eine Anleitung der zu treffenden Vorbereitungen gegeben, und ich möchte den Gerichtshof besonders auf Absatz 2 b aufmerksam machen:

»Die weitere Durcharbeitung der ›Mobilmachung ohne öffentliche Verkündung‹, um die Wehrmacht in die Lage zu versetzen, einen Krieg überfallartig nach Stärke und Zeitpunkt überraschend beginnen zu können.«

Auf der nächsten Seite in Absatz 4:

»Sondervorbereitungen sind für folgende Fälle zu treffen: Bewaffnete Intervention gegen Österreich; kriegerische Verwicklung mit Rot-Spanien.«

Und drittens, dies zeigt sonnenklar, daß die Nazis schon zu jener Zeit annahmen, daß ihre Aktionen gegen Österreich und die Tschechoslowakei sie wohl in einen Krieg verwickeln könnten: »England, Polen, Litauen beteiligen sich an einem Krieg gegen uns«.

Ich bitte den Gerichtshof, nun zu Teil 2 dieser Anleitungen auf Seite 5 dieses Dokuments überzugehen:

»Wahrscheinliche Kriegsfälle. Der Bearbeitung der wahrscheinlichen Kriegsfälle (Aufmärsche) sind die nachfolgenden Voraussetzungen, Aufgaben und Aufträge zu Grunde zu legen:

I. Zweifronten-Krieg mit Schwerpunkt Westen.

Voraussetzungen: Im Westen ist Frankreich der Gegner. Belgien kann entweder sofort, später oder überhaupt nicht auf die Seite Frankreichs treten. Möglich ist auch, daß eine etwaige Neutralität Belgiens, sicherlich die Luxemburgs, durch Frankreich verletzt wird.«

Ich gehe nun zu Teil 3 über, der auf Seite 9 dieses Beweisstückes zu finden ist, und ich beziehe mich besonders auf den letzten Absatz dieser Seite unter dem Titel: »Sonderfall Erweiterung ›Rot-Grün‹«. Ich erinnere daran, daß »Rot« Spanien, und »Grün« Tschechoslowakei bedeutet:

»Die den Aufmärschen ›Rot‹ und ›Grün‹ zu Grund gelegte militärpolitische Ausgangslage kann dadurch eine Verschärfung erfahren, daß entweder England, Polen oder Litauen... auf die Seite unserer Gegner treten.

Damit würde unsere militärische Lage in einem unerträglichen Maße, sogar bis zur Aussichtslosigkeit verschlechtert werden. Die politische Führung wird deshalb alles unternehmen, um diese Länder, vor allem England und Polen, neutral zu erhalten.«

Hiernach werden die Voraussetzungen aufgeführt, welche die Grundlage dieser Weisung bilden sollen. Ich möchte das Datum, Juni 1937, hervorheben, ehe ich die Besprechung dieses Dokuments beende, weil es klar zeigt, daß schon damals die Nazi-Regierung die Möglichkeit, ja sogar die Wahrscheinlichkeit, eines bewaffneten Konflikts mit England, Polen und Frankreich gerne sah, und falls nötig, vollkommen dazu bereit war, so zu handeln, wenn sie es mußte. Am 5. November 1937 hielt Hitler, wie der Gerichtshof sich erinnern wird, eine Konferenz in der Reichskanzlei ab. Das Protokoll hierüber befindet sich in den sogenannten Hoßbach-Aufzeichnungen. Ich möchte den Gerichtshof nur auf ein oder zwei Zeilen dieses Dokuments aufmerksam machen, nämlich Hitlers Worte über England, Polen und Frankreich.

Auf Seite 1 des Beweisstückes, in der Mitte der Seite:

»Der Führer führte sodann aus: Das Ziel der deutschen Politik sei die Sicherung und die Erhaltung der Volksmasse und deren Vermehrung. Somit handle es sich um das Problem des Raumes.«

Er fuhr dann fort, wie Sie sich wohl erinnern, die »Beteiligung an der Weltwirtschaft« zu erörtern, und am Ende von Seite 2 erklärt er:

»Die einzige, uns vielleicht traumhaft erscheinende Abhilfe läge in der Gewinnung eines größeren Lebensraumes, ein Streben, das zu allen Zeiten die Ursache der Staatenbildungen und Völkerbewegungen gewesen sei.«

Am Ende des ersten Absatzes, auf Seite 3, bemerkt er:

»Daß jede Raumerweiterung nur durch Brechen von Widerstand und unter Risiko vor sich gehen könne, habe die Geschichte aller Zeiten – Römisches Weltreich, Englisches Empire – bewiesen. Auch Rückschläge seien unvermeidbar. Weder früher noch heute habe es herrenlosen Raum gegeben. Der Angreifer stoße stets auf den Besitzer.«

Hoher Gerichtshof! Es ist ganz klar, daß dieser Hinweis...

VORSITZENDER: Dies wurde bereits verlesen.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Meine Absicht war, alles, was vorgebracht wurde, soweit es England und Polen betrifft, zusammenzufassen. Wenn der Gerichtshof dies als überflüssig erachtet, würde ich die Gelegenheit begrüßen...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte nicht, daß etwas, das bereits verlesen wurde, nochmals verlesen wird.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich gehe auf die nächste Urkunde in diesem Teil Ihres Dokumentenbuches über und lege sie als Beweis vor. Der Generalstaatsanwalt bezog sich gestern in seiner Ansprache darauf. Sie zeigt, daß am gleichen Tag, an dem die Hoßbach-Konferenz stattfand, ein amtlicher Bericht als Resultat eines Empfangs des Polnischen Botschafters bei Hitler herausgegeben wurde. Im Laufe dieses Gesprächs wurde bestätigt, daß die polnisch-deutschen Beziehungen wegen der Danziger Frage keinen Abbruch erleiden sollten.

Dieses Dokument ist TC-73, das ich als GB-27 vorlege. Am 2. Januar...

VORSITZENDER: Wurde das vorher verlesen?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Es wurde vom Generalstaatsanwalt in der Eröffnungsrede verlesen.

VORSITZENDER: In der Eröffnungsrede? – Gut.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Am 2. Januar 1938 schrieb eine unbekannte Persönlichkeit eine Denkschrift für den Führer. Diese Urkunde gehört zu den deutschen Dokumenten des Auswärtigen Amtes, von denen ein Schmalfilm von den alliierten Truppen erbeutet wurde, als sie in Deutschland einrückten. Sie trägt die Aufschrift: »Ganz vertraulich! Nur persönlich!« und ist benannt:

»Schlußfolgerungen zu dem Bericht ›Deutsche Botschaft London...‹ über die zukünftige Gestaltung der deutsch-englischen Beziehungen:

Mit der Erkenntnis, daß Deutschland sich an den status quo in Mitteleuropa nicht binden will und eine krie gerische Auseinandersetzung in Europa früher oder später möglich ist, wird die Hoffnung auf eine Verständigung der deutschfreundlichen englischen Politiker, soweit sie nicht sowieso derzeit nur eine ihnen zugeteilte Rolle spielen, allmählich schwinden. Hiermit ist die Schicksalsfrage gestellt: werden letzten Endes Deutschland und England zwangsläufig in getrennte Lager treiben und eines Tages wieder gegeneinander marschieren? Zur Beantwortung dieser Frage muß man sich folgendes vergegenwärtigen:

Eine Änderung des status quo im Osten im deutschen Sinne ist nur gewaltsam durchzuführen. Solange Frankreich weiß, daß England, das sozusagen die Gefahrhaftung für Frankreich gegenüber Deutschland übernommen hat, zu ihm steht, ist Frankreichs Marschieren für seine östlichen Bundesgenossen wahrscheinlich, jedenfalls immer möglich, und damit der deutsch-englische Krieg. Dies trifft selbst dann zu, wenn England den Krieg nicht will; England, das glaubt, seine Grenze am Rhein verteidigen zu müssen, würde einfach von Frankreich automatisch hineingezogen, das heißt also, Frankreich hat es praktisch in der Hand, einen deutsch-englischen Krieg auf dem Wege über einen deutsch-französischen Konflikt zu forcieren. Hieraus folgert wiederum, daß ein Krieg zwischen Deutschland und England wegen Frankreich nur verhindert werden kann, wenn Frankreich von vorneherein weiß, daß Englands Kräfte nicht ausreichen würden, den gemeinsamen Sieg sicherzustellen. Eine solche Situation könnte England und damit Frankreich zwingen, manches hinzunehmen, was eine starke englisch-französische Konstellation niemals dulden würde. Dieser Fall wäre z.B. gegeben, wenn England mangels ausreichender Aufrüstung oder infolge Bedrohung seines Imperiums durch eine überlegene Mächtekonstellation (z.B. Deutschland-Italien-Japan), und damit Fesselung seiner militärischen Kräfte an anderen Stellen, Frankreich nicht genügend Unterstützung in Europa zu gewähren vermöchte.«

Auf der nächsten Seite wird die Möglichkeit eines starken Bündnisses zwischen Italien und Japan besprochen; und ich gehe auf die nächste Seite über, wo der Schreiber seine Ideen zusammenfaßt. Punkt 5:

»Daher von uns zu ziehende Konsequenzen:

1. nach außen weiter Verständigung mit England unter Wahrung Interessen unserer Freunde,

2. Herstellung in aller Stille, aber mit ganzer Zähigkeit einer Bündniskonstellation gegen England, d.h. praktische Festigung unserer Freundschaften mit Italien und Japan, ferner Hinzugewinnung aller Staaten, deren Interessen direkt oder indirekt mit unseren konform gehen, enge und vertrauliche Zusammenarbeit der Diplomaten der drei Großmächte zu diesem Zweck.

Nur auf diese Weise können wir England begegnen, sei es eines Tages noch zum Ausgleich oder zum Konflikt. England wird ein harter und scharfer Gegner in diesem diplomatischen Spiel sein.

Die besondere Frage, ob im Falle eines Konflikts Deutschlands in Mitteleuropa...« – Ich fürchte, die Übersetzung ist hier nicht sehr gut.- »Die besondere Frage, ob im Falle eines Konflikts Deutschlands in Mit teleuropa Frankreich und damit England eingreifen würden, hängt von den Umständen und dem Zeitpunkt ab, an dem ein solcher Konflikt ausbricht und beendet ist, und von militärischen Erwägungen, die hier nicht zu übersehen sind.«

Und wer auch der Verfasser dieser Urkunde gewesen sein mag, er muß einen ziemlich hohen Rang gehabt haben, denn er schließt mit den Worten:

»Ich möchte dem Führer hierüber einige dieser Gesichtspunkte mündlich vortragen.«

Das Dokument ist GB-28. Ich fürchte, daß die beiden nächsten Dokumente in falscher Reihenfolge in Ihr Dokumentenbuch gekommen sind. Wollen Sie bitte Dokument 2357-PS aufschlagen, das dem Dokument L-43 folgt. Sie werden sich erinnern, daß das soeben verlesene an den Führer gerichtete Dokument vom 2. Januar 1938 datiert ist.

Am 20. Januar sprach Hitler im Reichstag.

VORSITZENDER: Februar heißt es im Dokument!

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bitte um Entschuldigung, – Februar 1938. Es ist Dokument 2357-PS und trägt die Nummer GB-30. In dieser Rede sagte er:

»Es erfüllt uns im fünften Jahr nach der ersten großen außenpolitischen Abmachung des Reiches mit aufrichtiger Befriedigung, feststellen zu können, daß gerade in unserem Verhältnis zu dem Staat, mit dem wir vielleicht die größten Gegensätze hatten, nicht nur eine Entspannung eingetreten ist, sondern im Laufe dieser Jahre eine immer freundschaftlichere Annäherung.

Das damals von vielen angezweifelte Werk hat unterdes seine Probe bestanden, und ich darf wohl sagen, daß, seit der Völkerbund seine fortgesetzten Störungsversuche in Danzig endlich aufgab und durch einen neuen Kommissar auch einen Mann von persönlichem Format abstellte, gerade dieser gefährlichste Platz für den europäischen Frieden seine bedrohliche Bedeutung vollkommen verlor.

Der polnische Staat respektiert die nationalen Verhältnisse in diesem Staat, und diese Stadt und Deutschland respektieren die polnischen Rechte. So gelang es, den Weg für eine Verständigung zu ebnen, die von Danzig ausgehend, heute trotz des Versuchs mancher Störenfriede das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen endgültig zu entgiften und in ein aufrichtig freundschaftliches Zusammenarbeiten zu verwandeln vermochte.

Deutschland wird jedenfalls, gestützt auf seine Freundschaften, nichts unversucht lassen, um jenes Gut zu retten, das die Voraussetzung für jene Arbeiten auch in der Zukunft abgibt, die uns vorschweben: den Frieden.«

Ich blättere nun zurück im Dokumentenbuch, zum Dokument, das dem soeben verlesenen vorangeht, nämlich L-43, das die Nummer GB-29 trägt. Dies ist ein Dokument, worauf sich der Generalstaatsanwalt gestern bezog, datiert vom 2. Mai 1938, mit dem Titel: »Organisationsstudie 1950«. Es rührt vom Amt des Chefs des Organisationsstabes im Generalstab der Luftwaffe her und soll den Zweck haben:

»Im Rahmen ganz großer Verhältnisse soll die zweckmäßigste Art der Organisation der Luftwaffe gesucht werden. Die gewonnene Erkenntnis gilt als ›Fernziel‹. Daraus soll abgeleitet werden das im 2. Aufstellungsabschnitt bis 1942 zu erreichende Ziel, das als ›Endziel 1942‹ bezeichnet wird. Hieraus ergibt sich wiederum der für am zweckmäßigsten gehaltene Vorschlag für die Umorganisation der Stäbe der Luftwaffengruppenkommandos, Luftgaue, Flugdivisionen usw....«

Der Gerichtshof wird bemerken, daß das Inhaltsverzeichnis in verschiedene Abschnitte eingeteilt ist. Abschnitt I ist betitelt: »Annahmen«. Wenn der Gerichtshof die nächste Seite einsieht, findet er die Annahme unter der Überschrift: »Annahme:. Grenzen Deutschlands siehe Karte, Anlage 1«. Der Gerichtshof kann eine Wiedergabe dieser Karte an der Wand sehen und daraus erkennen, daß die Luftwaffe am 2. Mai 1938 in Aussicht nahm, daß Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechoslowakei, Österreich und Ungarn innerhalb der Grenzen des Reiches zu liegen kämen. Die Originalkarte ist dieser Akte beigefügt, und wenn der Gerichtshof das Original-Beweisstück betrachtet, so wird er sehen, daß diese Organisationsstudie mit der größten Sorgfalt und Gründlichkeit vorbereitet wurde und viele Karten als Anhänge aufweist. Ich möchte auch noch auf das Ende der zweiten Seite der Übersetzung hinweisen:

»Betrachtung der Organisationsgrundlagen auf Grund der in Abschnitt I gemachten Annahmen für Krieg und Frieden:

1. Angriffsflotte: Hauptgegner: England, Frankreich und Rußland.«

Im Folgenden wird gezeigt, daß alle 144 Geschwader, die gegen England eingesetzt werden sollen, in der westlichen Reichshälfte konzentriert werden müssen, das heißt, sie sollten in einer solchen Weise eingesetzt werden, daß sie unter Ausnützung der Reichweite das gesamte englische Gebiet bis in den letzten Winkel erreichen können.

VORSITZENDER: Vielleicht ist dies auf der Karte enthalten. Ich meine, Sie sollten auf die Organisation der Luftwaffe mit den Gruppenkommandos in Warschau und Königsberg hinweisen.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich danke vielmals! Unter dem Abschnitt »Annahme«, Untertitel 2: »Gliederung der Luftwaffe im Frieden« sind die sieben Gruppenkommandos angegeben: »1 Berlin, 2 Braunschweig, 3 München, 4 Wien, 5 Budapest, 6 Warschau, 7 Königsberg«.

VORSITZENDER: Jawohl.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich danke verbindlichst! Schließlich möchte ich im Zusammenhang mit diesem Dokument den letzten Absatz auf Seite 4 der Übersetzung lesen:

»Je größer das Reichsgebiet wird und je stärker die Luftwaffe anschwillt, desto zwingender wird die Notwendigkeit, bodenständige Kommandostellen zu haben....«

Ich möchte den Anfang hervorheben: »Je größer das Reichsgebiet wird und je stärker die Luftwaffe anschwillt...« Doch möchte ich noch ein Wort über dieses Dokument sagen. Ich habe festgestellt, daß das Original nicht von einem hohen Offizier der Luftwaffe unterzeichnet wurde, und ich will deshalb die Schlüsse, die daraus gezogen werden können, nicht übertreiben. Es zeigt jedoch zumindest, welche Richtung die Gedanken des Generalstabes der Luftwaffe zu jener Zeit nahmen.

Der Gerichtshof wolle sich daran erinnern, daß der Angeklagte Ribbentrop von Neurath im Februar 1938 als Außenminister ablöste. Wir haben ein weiteres, in dem erbeuteten Schmalfilm gefundenes Dokument, datiert 26. August 1938, nachdem Ribbentrop Außenminister geworden war. Es ist an ihn, »den Herrn Reichsminister, über den Herrn Staatssekretär«, gerichtet. Es ist ein ziemlich kurzes Dokument, das ich vollständig verlesen will, TC-76, GB-31:

»Das aktuellste Problem der deutschen Politik, das tschechische, kann leicht, muß aber nicht zum Konflikt mit der Entente führen. Weder Frankreich noch England suchen Händel wegen der Tschechei. Beide würden die Tschechei vielleicht sogar sich selbst überlassen, wenn diese ohne direkte äußere Eingriffe und durch innere selbstverschuldete Auflösungserscheinungen ihr verdientes Los erlitte. Dieser Prozeß müßte allerdings ein schrittweiser sein und über Volksabstimmung und Gebietsabtrennung zum Kräfteverfall des Restgebietes führen.

Für einen unmittelbaren Zugriff, dem die Entente tatenlos zusähe, ist das tschechische Problem dagegen politisch noch nicht reif, und zwar auch dann nicht, wenn dieser Zugriff schnell und überraschend käme. Deutschland kann den Zeitpunkt nicht frei bestimmen, wo diese Frucht ohne zu großes Risiko zu pflücken wäre. Es kann die gewünschte Entwicklung nur vorbereiten.«

Ich gehe nun auf den letzten Absatz dieser Seite über. Ich denke, ich kann die dazwischenliegenden Zeilen auslassen; Absatz 5:

VORSITZENDER: Sollten Sie nicht den nächsten Absatz lesen?

»Hierfür wird...«

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: »Hierfür wird das zur Zeit von England ausgehende Stichwort des Selbstbestimmungsrechts der Sudetendeutschen, das wir bewußt uns bisher nicht zu eigen gemacht haben, langsam aufzugreifen sein. Die internationale Überzeugung, daß diesen Deutschen die Wahl ihrer staatlichen Zugehörigkeit vorenthalten worden sei, wird nützliche Vorarbeit tun, gleichgültig, ob der chemische Auflösungsprozeß des tschechoslowakischen Staatsgebildes schließlich doch noch durch mechanisches Zutun gefördert werden kann oder nicht. Das Schicksal der eigentlichen Rumpf-Tschechei wäre damit allerdings noch nicht klar umrissen; es wäre aber trotzdem schon besiegelt.

Diese Methode im Vorgehen gegen die Tschechei empfiehlt sich auch wegen unseres Verhältnisses zu Polen. Unvermeidlich muß die deutsche Abkehr von den südöstlichen Grenzproblemen und der Übergang zu den östlichen und nordöstlichen die Polen hellhörig machen. Daß nach Liquidation der tschechischen Frage Polen an der Reihe ist, wird allgemein vermutet werden. Je später diese Vermutung aber als fester Bestandteil in die internationale Politik eindringt, desto besser. Wichtig in diesem Sinne aber ist es, die deutsche Politik bis auf weiteres unter landläufigen und bewährten Maximen, wie ›Selbstverwaltungsrecht‹ und ›völkische Gemeinschaft‹, fortzuführen. Alles andere könnte uns als reiner Imperialismus ausgelegt werden und den Widerstand der Entente früher und energischer auf den Plan rufen als unsere Kräfte es ertragen.«

Dies ereignete sich am 26. August 1938, gerade als die tschechische Krise auf die Münchener Regelung hinzielte. In München, oder besser gesagt, ein oder zwei Tage, bevor das Münchener Abkommen unterschrieben wurde, hielt Hitler eine Rede. Am 26. September sagte er – ich glaube, Sir David Maxwell-Fyfe hat dieses Dokument schon verlesen; ich will mich deshalb nur auf zwei Zeilen beziehen –:

»Überdies, und ich möchte es hier wiederholen, versicherte ich ihm, daß, wenn dieses Problem gelöst ist, keine territorialen Probleme für Deutschland in Europa mehr bestehen.«

Ferner, das letzte Dokument in Ihrem Buch, ein anderer Auszug aus derselben Rede. Ich will diesen nicht verlesen, es sei denn, daß der Gerichtshof es wünscht, weil ihn der Generalstaatsanwalt bereits in seiner gestrigen Rede vollständig zitiert hat. Diese beiden Dokumente sind TC-28, das schon als GB-22 vorgelegt ist, und TC-29, der zweite Auszug derselben Rede, als GB-32 vorgelegt. Ich möchte den Gerichtshof schließlich auf ein weiteres Dokument in diesem Zusammenhang hinweisen, das bereits von meinem amerikanischen Kollegen vorgelegt wurde. Es handelt sich um C-23, US-49, und ist vor Dokument TC-28 in Ihrem Dokumentenbuch zu finden. Die besondere Stelle in diesem Beweisstück, auf die ich hinweisen möchte, ist ein Brief von Admiral Carls, der unten, auf der zweiten Seite, zu finden ist. Er ist im September geschrieben und trägt kein genaues Datum. Die Überschrift lautet: »Stellungnahme zur ›Entwurfsstudie‹ Seekriegsführung gegen England.«

»Dem Gedanken der Studie wird voll zugestimmt.«

Der Generalstaatsanwalt hat gestern auch den Rest dieses Briefes zitiert, woran sich der Gerichtshof erinnern wird:

»Wenn Deutschland nach dem Willen des Führers eine in sich gesicherte Weltmachtstellung erwerben soll, bedarf es neben genügendem Kolonialbesitz gesicherter Seeverbindungen und gesicherten Zugangs zum freien Ozean.«

Dies war die Lage zur Zeit des Münchener Abkommens im September 1938. Der Gewinn war natürlich nicht so groß, wie die Nazi-Regierung erhofft und beabsichtigt hatte. Das Ergebnis war, daß sie nicht darauf vorbereitet war, sofort eine weitere Angriffshandlung gegen Polen oder ein anderes Land zu unternehmen.

Der Gerichtshof hörte jedoch heute Morgen, als sich Herr Alderman in seinen Schlußbemerkungen mit den Vorteilen befaßte, die durch die Besitzergreifung der Tschechoslowakei errungen waren, was Jodl und Hitler bei späteren Gelegenheiten sagten, daß die Slowakei nur ein Sprungbrett für den Angriff auf Polen gewesen sei. Es ist natürlich jetzt klar, daß sie beabsichtigten und in der Tat den Entschluß gefaßt hatten, gegen Polen vorzugehen, sobald die Tschechoslowakei ganz besetzt worden war.

Wir wissen nun, was Hitler meinte, als er später zu seinen militärischen Befehlshabern sprach – der Gerichtshof wird sich der Rede erinnern –, daß er von Anfang an niemals die Absicht gehabt habe, das Münchener Abkommen einzuhalten, sondern daß er die ganze Tschechoslowakei haben müsse. Aus diesem Grunde trat man sofort nach September 1938 an Polen wegen der Danziger Frage heran, obwohl man noch nicht vorbereitet war, mit aller Macht gegen Polen vorzugehen. Bis – wie der Gerichtshof bemerken wird –, bis die ganze Tschechoslowakei im März genommen worden war, wurde kein Druck ausgeübt, aber unmittelbar nach der Besetzung des Sudetenlandes wurden einleitende Schritte unternommen, um Streit mit Polen anzufangen, was schließlich als Entschuldigung oder sogenannte Rechtfertigung für den Angriff auf dieses Land dienen sollte. Wenn der Gerichtshof sich Teil 3 zuwenden möchte...

VORSITZENDER: Es ist Zeit, die Sitzung bis 10.00 Uhr morgen früh zu vertagen.