HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Der Gerichtshof vertagt sich bis

6. Dezember 1945, 10.00 Uhr.]

Vierzehnter Tag.

Donnerstag, 6. Dezember 1945.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat eine dringende Bitte von der Verteidigung erhalten, die Sitzung während der Weihnachtsfeiertage für drei Wochen zu unterbrechen. Der Gerichtshof ist sich der vielfachen Interessen, die infolge der Verzwicktheit und des Umfangs des Prozesses in Betracht gezogen werden müssen, bewußt. Da der Prozeß unvermeidlich längere Zeit in Anspruch nehmen wird, ist es nicht nur im Interesse der Angeklagten und ihrer Verteidiger, sondern aller Beteiligten, eine Unterbrechung stattfinden zu lassen. Im großen und ganzen ist es besser, wenn diese Unterbrechung zu Weihnachten stattfindet, als zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Anklagevertretung ihren Vortrag beendet hat. Der Gerichtshof wird sich daher für die Weihnachtswoche und über den 1. Januar hinaus vertagen und wird nach Donnerstag, den 20. Dezember, nicht mehr verhandeln. Die nächste Sitzung wird am Mittwoch, den 2. Januar, stattfinden.

JUSTICE JACKSON: Mit Rücksicht auf meinen Stab möchte ich für die amerikanische Delegation Einwendung gegen die Vertagung der Sitzung zugunsten der Angeklagten erheben.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bitte den Gerichtshof, seine Aufmerksamkeit wieder dem dritten Teil des Dokumentenbuches zu widmen, in dem sich die Dokumente befinden, die sich auf frühere Besprechungen zwischen der Deutschen und Polnischen Regierung über die Danziger Frage beziehen. Diese Besprechungen begannen, wie sich der Gerichtshof erinnern wird, sofort nach der Münchener Krise im September 1938 und begannen zunächst als vorsichtige und freundliche Besprechungen, bis endlich der Rest der Tschechoslowakei im März des folgenden Jahres genommen worden war.

Ich bitte den Gerichtshof, sich dem ersten Teil dieses Dokuments zuzuwenden, TC-73, Nummer 44. Dieses Dokument ist dem amtlichen polnischen Weißbuch entnommen, das ich als GB-27 a unterbreite. Es ist die Wiedergabe, einer Unterhaltung beim Mittagessen im Grand Hotel in Berchtesgaden am 24. Oktober, bei welcher Gelegenheit Herr von Ribbentrop Herrn Lipski, den Polnischen Botschafter, traf:

»Während eines Mittagessens im Grand Hotel, Berchtesgaden, bei dem Herr Hewel zugegen war, brachte Herr von Ribbentrop in einer Unterhaltung am 24. Oktober eine Gesamtlösung zwischen Polen und Deutschland zum Vorschlag. Diese sah eine Wiedervereinigung Danzigs mit dem Reich vor, während Polen die Beibehaltung der Eisenbahn und wirtschaftlicher Einrichtungen zugesichert werden sollte. Polen sollte der Einrichtung einer extra-territorialen Autostraße und Eisenbahn durch Pomorze (Nordteil des Korridors) zustimmen. Als Gegenleistung erwähnte Herr von Ribbentrop die Möglichkeit der Verlängerung des polnisch-deutschen Vertrags auf 25 Jahre und eine Garantie der polnisch-deutschen Grenzen.«

Ich glaube nicht, daß ich die folgenden Zeilen zu lesen brauche, und gehe nun zum vorletzten Absatz über:

»Abschließend sagte ich Herrn von Ribbentrop, ich müsse ihm mitteilen, daß ich keine Möglichkeit zu einer Vereinbarung sehen könne, die die Wiedervereinigung der Freien Stadt mit dem Reich zur Folge haben würde. Ich schloß, indem ich ihm versprach, Ihnen die Kernpunkte dieser Unterredung mitzuteilen.«

Ich möchte die Beschuldigung der Anklage über diesen Teil des Tatbestandes unterstreichen, daß nämlich die ganze Danziger Frage, wie Hitler selbst gesagt hat, überhaupt keine Frage war. Die Danziger Frage wurde einfach als eine Ausrede verwendet, als eine sogenannte Rechtfertigung, nicht für die Einverleibung Danzigs, sondern für den Einmarsch und die Besetzung von ganz Polen. Wir sehen hier den Anfang. Im weiteren Verlauf dieser Geschichte wird es immer klarer, was die Nazi-Regierung wirklich erzielen wollte; sie wollte eine Art Krise schaffen, die eine Art Berechtigung zum Einmarsch in Polen bringen sollte.

Ich wende mich nun dem nächsten Dokument zu. Es ist wieder ein Dokument, das dem polnischen Weißbuch entnommen ist, TC-73, Nummer 45, GB-27 (b). TC-73 ist das polnische Weißbuch, welches ich später vorlegen werde. Dieses Dokument behandelt die Anweisungen, die Herr Beck, der polnische Außenminister, Herrn Lipski übergab, um sie der Deutschen Regierung zu überreichen; es enthält eine Antwort auf die von Herrn von Ribbentrop am 24. Oktober in Berchtesgaden gemachten Vorschläge. Ich brauche die erste Seite nicht zu verlesen. Die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehung wird darin dargestellt und Polens Bedürfnisse in Bezug auf Danzig werden betont.

Ich wende mich nun der zweiten Seite dieses Beweisstückes zu, und zwar Absatz 6:

»Vom Gesichtspunkt der Polnischen Regierung aus gesehen, ist die Frage Danzig durch zwei Faktoren gekennzeichnet: Das Recht der deutschen Bevölkerung der Stadt Danzig und der umliegenden Dörfer auf Lebensfreiheit und Entwicklung, und die Tatsache, daß in allen Angelegenheiten, die die Freie Stadt Danzig als Hafenstadt betreffen, sie mit Polen verbunden ist. Abgesehen vom nationalen Charakter der Mehrheit der Bevölkerung ist alles in Danzig mit Polen verknüpft.«

Ich wende mich nun dem Absatz 7 zu, der die Garantien, die mit Polen vereinbart wurden, nach dem gegenwärtigen Statut darstellt:

»Indem sie alle oben erwähnten Faktoren in Betracht zieht und in dem Bestreben, auf dem Wege eines freundschaftlichen Verständnisses mit der Regierung des Deutschen Reiches eine Stabilisierung der Verhältnisse zu erreichen, schlägt die Polnische Regierung vor, die Völkerbund-Garantie und ihre Vorrechte durch ein gegenseitiges deutsch-polnisches Abkommen zu ersetzen. Dieses Abkommen sollte das Bestehen der Freien Stadt Danzig auf dem Wege der Freiheit des nationalen und kulturellen Lebens der deutschen Mehrheit, sowie alle Rechte Polens gewährleisten. Trotz der Schwierigkeiten eines solchen Vorgehens muß die Polnische Regierung feststellen, daß irgendeine andere Lösung, insbesondere irgendein Versuch der Eingliederung der Freien Stadt Danzig in das Reich, unvermeidlich zu einem Konflikt führen müsse; dieser würde nicht nur die Form örtlicher Streitigkeiten annehmen, sondern würde jede Möglichkeit einer deutsch-polnischen Verständigung in jeglicher Hinsicht unterbinden.«

Und dann schließlich Absatz 8:

»Angesichts der Wichtigkeit und der Bedeutung dieser Fragen bin ich bereit, persönlich endgültige Besprechungen mit den Regierungskreisen des Reiches aufzunehmen. Ich halte es jedoch für notwendig, daß Sie zuerst die Grundsätze, an denen wir festhalten, vorlegen sollten, damit meine etwaigen Besprechungen nicht mit einem Zusammenbruch enden, was für die Zukunft gefährlich wäre.«

Das erste Stadium dieser Verhandlungen war vom deutschen Standpunkt aus gesehen völlig erfolgreich. Die Deutschen hatten den Vorschlag gemacht, daß die Stadt Danzig dem Reich zurückgegeben werde, und sie hätten wissen müssen, daß dieser Vorschlag unannehmbar war. Er war unannehmbar, und die Polnische Regierung hatte die Nazi-Regierung auch im voraus davor gewarnt. Die von den Deutschen vorgeschlagenen Verhandlungen hatten die Polen abgelehnt, und das war gerade das, was die Deutsche Regierung erhofft hatte. Die Polen waren mit der Rückgabe Danzigs an das Deutsche Reich nicht einverstanden; damit war das erste Stadium zur Hervorrufung der Krise erreicht.

Kurze Zeit später, ungefähr innerhalb einer Woche nach diesen Geschehnissen, nachdem die Polnische Regierung der Deutschen Regierung angeboten hatte, in Verhandlung zu treten, finden wir eine andere Geheime Kommandosache, die vom Angeklagten Keitel unterschrieben war. Sie ist an OKH, OKM und OKW gerichtet und trägt die Überschrift:

»1. Nachtrag zur Weisung vom 21. 10. 38.

Der Führer hat befohlen:

Außer den 3 in der Weisung vom 21. 10. 38 angeführten Fällen sind auch Vorbereitungen zu treffen, daß der Freistaat Danzig überraschend von deutschen Truppen besetzt werden kann....

Für die Vorbereitungen gelten folgende Grundlagen:

Voraussetzung ist eine handstreichartige Besetzung von Danzig in Ausnutzung einer politisch günstigen Lage, nicht ein Krieg gegen Polen.«

Wir erinnern uns natürlich, daß zu diesem Zeitpunkt der Rest der Tschechoslowakei noch nicht genommen war und sie deshalb noch nicht bereit waren, den Krieg gegen Polen zu beginnen. Dieses Dokument zeigt, wie die Deutsche Regierung den Vorschlag, in Verhandlungen einzutreten, beantwortete. Das ist C-137 und wird Beweisstück GB-33.

Am 5. Januar 1939 hatte Herr Beck eine Unterredung mit Hitler. Es ist nicht notwendig, den ersten Teil dieses Dokuments zu verlesen, welches das nächste Dokument des Gerichtshofs ist; es ist TC-73, Nummer 48, und wird Beweisstück GB-34. Im ersten Teil jener Unterredung, über die das Dokument berichtet, macht Hitler das Angebot, alle Fragen zu beantworten. Er sagt, daß er immer die Politik befolgt habe, die im Abkommen von 1934 niedergelegt war. Er bespricht die Danziger Frage und betont, daß vom deutschen Standpunkt aus gesehen Danzig früher oder später zum Deutschen Reich zurückkehren müsse. Ich zitiere den vorletzten Absatz auf dieser Seite:

»Herr Beck erwiderte, daß die Danziger Frage ein sehr schweres Problem sei. Er fügte hinzu, daß er in dem Vorschlag des Kanzlers keine Gegenleistung an Polen sehen könne und daß die gesamte öffentliche Meinung Polens, nicht nur die politisch denkenden Menschen, sondern die weitesten Kreise der polnischen Gesellschaft in diesem Punkte sehr empfindlich seien.

In Beantwortung dessen erklärte der Kanzler, man müsse, um diese Frage zu lösen, etwas ganz, Neues zu finden suchen, irgendeine neue Form, für die er den Ausdruck ›Körperschaft‹ gebrauchte, die einerseits die Interessen der deutschen Bevölkerung und andererseits die polnischen Interessen gewährleistete. Zusätzlich erklärte der Kanzler, daß der Minister beruhigt sein könne, in Danzig kämen keine ›faits accomplis‹ vor; es würde nichts unternommen werden, was die Lage der Polnischen Regierung erschweren könnte.«

Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß im zuletzt besprochenen Dokument vom 24. November bereits Befehle enthalten oder erlassen waren, welche die überraschende Besetzung Danzigs vorbereiteten; hier jedoch versichert er dem polnischen Außenminister, daß kein »fait accompli« stattfinden werde und daß er beruhigt sein könne.

Ich wende mich nun dem nächsten Dokument TC-73, Nummer 49, zu, das Beweisstück GB-35 werden wird; es behandelt eine Besprechung zwischen Herrn Beck und Herrn von Ribbentrop am Tage nach der Unterhaltung zwischen Beck und Hitler, auf die ich eben Bezug genommen habe.

VORSITZENDER: Haben Sie hervorgehoben, daß die letzte Unterredung in Gegenwart des Angeklagten Ribbentrop stattfand?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bin Ihnen dafür sehr verbunden. Nein, ich habe das nicht getan. Wie ich sagte, war es am nächsten Tag, am 6. Januar. Das Datum erscheint auf dem Exemplar, das ich in meinem Buch habe, nicht. Es erscheint jedoch im Weißbuch selbst:

»Herr Beck bat Ribbentrop, dem Kanzler mitzuteilen, daß, während er früher nach allen Besprechungen und Fühlungnahmen mit deutschen Staatsmännern optimistisch gewesen wäre, er heute zum erstenmal in einer pessimistischen Stimmung sei. Insbesondere was die Danziger Frage anbelangt, wie sie vom Kanzler vorgebracht worden sei, sähe er gar keine Möglichkeit einer Verständigung.«

Ich weise besonders auf den folgenden letzten Absatz hin:

»In seiner Antwort betonte Ribbentrop noch einmal, daß Deutschland keine Gewaltlösung anstrebe. Die Grundlage seiner Politik Polen gegenüber sei noch immer der Wunsch einer weiteren Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen. Es sei notwendig, einen Weg zur Beseitigung der Schwierigkeiten zu finden, der den Rechten und Interessen der beiden Parteien Rechnung trüge.«

Der Angeklagte Ribbentrop war mit diesem einmaligen Ausdruck der Loyalität augenscheinlich nicht zufrieden. Am 25. desselben Monats, im Januar 1939, zwei oder drei Wochen später, war er in Warschau und hielt eine weitere Rede. Ein Auszug dieser Rede findet sich im Dokument 2530-PS, GB-36:

»Nach dem festen Willen des Führers des deutschen Volkes ist es ein Wesentliches der deutschen Außenpolitik, daß sich die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen auf der Grundlage unseres Abkommens fortschreitend festigen und vertiefen. Der weite politische Blick- und die staatsmännischen Grundsätze, die auf beiden Seiten die bedeutsame Entscheidung des Jahres 1934 bestimmt haben, schließen die Gewähr in sich, daß im gleichen Sinne auch alle in der künftigen Entwicklung auftauchenden Fragen zwischen unseren Ländern eine Lösung finden werden, die der Achtung und dem Verständnis für die beiderseitigen berechtigten Interessen Rechnung trägt. So können Polen und Deutschland im vollen Vertrauen auf die sichere Grundlage ihrer gegenseitigen Beziehungen ihrer Zukunft entgegensehen.«

Trotzdem muß die Nazi-Regierung immer noch besorgt gewesen sein, daß die Polen anfingen »hellhörig zu werden« – der Hohe Gerichtshof wird sich des in einer Note an den Führer gebrauchten Ausdrucks »hellhörig werden« erinnern – und zu vermuten, daß sie die nächsten an der Reihe wären; denn am 30. Januar 1939 sprach Hitler wieder im Reichstag und gab weitere Versicherungen seiner Loyalität.

Dieses Dokument ist ein Auszug, der vom Generalstaatsanwalt bei seiner Ansprache verlesen wurde; ich lege es daher jetzt lediglich als Beweisstück vor. Es ist TC-73, Nummer 57 und wird GB-37.

Dies bringt uns nun zum März 1939, der Besitzergreifung des Restes der Tschechoslowakei und der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren.

Ich bitte den Gerichtshof, sich dem nächsten Teil, dem Teil IV des Dokumentenbuches, zuzuwenden. Ich hatte die Absicht, mich auf drei Dokumente zu beziehen, in denen Hitler und Jodl die Vorteile, die sich aus der Besitzergreifung des Restes der Tschechoslowakei ergeben würden, behandeln. Aber der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß sich Herr Alderman am Schluß seiner Rede gestern Morgen im einzelnen mit dieser Angelegenheit befaßte und darlegte, welche Vorteile sich aus der Besitzergreifung ergaben; dabei zeigte er an Hand der Karte an der Wand die riesige Stärkung der deutschen Lage gegenüber Polen auf. Ich verlasse daher dieses Thema. Das Beweismaterial liegt dem Gerichtshof bereits vor; sollte der Gerichtshof wünschen, es nachzuschlagen, so ist es in der richtigen geschichtlichen Reihenfolge in diesem Dokumentenbuch zu finden.

Sobald die Besetzung abgeschlossen war, das heißt innerhalb einer Woche nach dem Einmarsch in die restliche Tschechoslowakei, wurde der Druck gegen Polen gedreht.

Ich bitte den Gerichtshof, sich dem Dokument TC-73, GB-38, zuzuwenden, das sich in der Mitte des Dokumentenbuches findet. Es kommt nach dem Vortrag Jodls, das ein längeres Dokument ist, TC-73, Nummer 61. Es trägt die Überschrift »Offizielle Dokumente über die polnisch-deutschen Beziehungen«.

Am 21. März besuchte Herr Lipski von Ribbentrop abermals; die Besprechung ist im allgemeinen in einem schärferen Ton gehalten als die vorangegangene Besprechung im Grand Hotel zu Berchtesgaden:

»Ich war heute bei Herrn von Ribbentrop. Er sagte zu Anfang, er hätte mich kommen lassen, um das ganze Problem der deutsch-polnischen Beziehungen zu besprechen.

Er klagt über unsere Presse und die Demonstrationen der Warschauer Studenten beim Besuch Graf Cianos.«

Ich glaube, daß ich mich nunmehr dem längeren Absatz zuwenden kann, der mit »weiterhin« beginnt:

»Weiterhin erwähnte Herr von Ribbentrop Ihre Unterredung in Berchtesgaden mit dem Reichskanzler, in der Herr Hitler den Vorschlag einer Garantie der polnischen Grenzen als Gegenleistung für eine Autobahn und die Einverleibung Danzigs ins Reich vorgebracht hatte. Er sagte, Sie hätten weitere Besprechungen mit ihm, das heißt mit Herrn Beck, in Warschau diesbezüglich gehabt und hätten ihn auf die großen Schwierigkeiten, die der Annahme dieses Planes entgegenstanden, hingewiesen. Er ließ durchblicken, all dieses habe den Reichskanzler ungünstig beeindruckt, da er bis jetzt unsererseits keinerlei positive Einstellung zu seinen Vorschlägen gesehen habe. Herr von Ribbentrop hat gestern noch mit dem Reichskanzler gesprochen. Er sagte, der Reichskanzler lege noch immer auf gute Beziehungen mit Polen Wert und habe den Wunsch geäußert, eine eingehende Besprechung mit Ihnen über unsere gegenseitigen Beziehungen zu halten. Herr von Ribbentrop ließ erkennen, daß seiner Ansicht nach Schwierigkeiten zwischen uns auf Grund eines Mißverständnisses der tatsächlichen Ziele des Reiches aufgekommen wären. Man müsse dieses Problem von einem höheren Niveau betrachten. Seiner Ansicht nach wären unsere beiden Länder voneinander abhängig.«

Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, die nächste Seite zu verlesen. Ribbentrop unterstreicht kurz die deutschen Gründe, warum Danzig zum Reich zurückkehren sollte, und ich wende mich nun dem ersten Absatz der folgenden Seite zu:

»Ich sagte« fuhr Herr Lipski fort, »daß augenblicklich bei der Lösung der tschechoslowakischen Frage keinerlei Einverständnis zwischen uns herrsche. Es sei schon peinlich genug für die polnische Öffentlichkeit, die tschechische Angelegenheit zu verdauen, denn die Tschechen seien, trotz unserer Streitigkeiten mit ihnen, schließlich und endlich ein slavisches Volk. Aber die Lage bezüglich der Slowakei sei viel schwieriger. Ich betonte unsere Rassen-, Sprach- und Religionsverwandtschaft und erwähnte die Hilfe, die wir ihnen beim Erringen ihrer Unabhängigkeit geleistet haben. Ich verwies ihn auf unsere lange slowakische Grenze. Ich eröffnete ihm, daß der gewöhnliche Pole nicht verstehen könne, warum das Reich einen Schutz der Slowakei, der sich gegen Polen richte, übernommen hätte. Ich be tonte, diese Frage sei ein harter Schlag für unsere Beziehungen. Herr von Ribbentrop überlegte einen Moment lang und antwortete dann, man könne hierüber verhandeln.

Ich versprach, Ihnen den Vorschlag einer Unterhaltung zwischen Ihnen und dem Reichskanzler zu unterbreiten. Herr von Ribbentrop bemerkte, ich könnte doch in den nächsten paar Tagen nach Warschau gehen, um die Sache zu besprechen. Er riet, die Unterredung nicht aufzuschieben, so daß der Reichskanzler nicht zu dem Schluß käme, Polen verwürfe alle seine Angebote.

Endlich fragte ich ihn noch, ob er mir irgendwelche Mitteilungen über seine Unterredung mit dem litauischen Außenminister machen könnte. Herr von Ribbentrop gab eine unklare Antwort. Er habe Herrn Urbszys auf dessen Rückreise von Rom gesehen und die Memelfrage, die einer Lösung bedürfe, besprochen.«

Diese Besprechung fand am 21. März statt. Es dauerte nicht lange, bis die Welt erfuhr, worin die Lösung der Memelfrage bestand. Am nächsten Tage marschierten die deutschen Streitkräfte ein.

Ich bitte den Gerichtshof, sich der nächsten Seite zuzuwenden – ich glaube, das nächste Dokument ist unnötig – nämlich TC-72, Nummer 17, GB-39.

Als Ergebnis dieser Ereignisse entstand erklärlicherweise eine beträchtliche Besorgnis sowohl bei der Polnischen als auch bei der Englischen Regierung; beide Regierungen hatten deshalb Besprechungen miteinander.

Am 31. März hielt der Premierminister, Herr Chamberlain, im Unterhaus eine Rede. Er erklärte, daß als Resultat der Besprechungen, die zwischen der Polnischen und Englischen Regierung stattgefunden hatten... Ich zitiere den vorletzten Absatz seiner Erklärung:

»Wie das Haus weiß, werden gegenwärtig gewisse Besprechungen mit anderen Regierungen geführt. Um in der Zwischenzeit, bevor die Besprechungen abgeschlossen sind, die Stellungnahme der Regierung Seiner Majestät vollkommen klarzulegen, habe ich dem Hause mitzuteilen, daß während dieser Zeit für den Fall irgendeiner Aktion, die klar die polnische Unabhängigkeit bedroht und der mit ihren nationalen Streitkräften zu widerstehen, die Polnische Regierung daher als lebenswichtig ansieht, die Regierung Seiner Majestät sich verpflichtet fühlen würde, der Polnischen Regierung alle in ihrer Macht stehende Hilfe sofort zu gewähren. Sie hat der Polnischen Regierung eine Zusicherung in diesem Sinn gegeben.

Ich möchte hinzufügen, daß die Französische Regierung mich ermächtigt hat, zu erklären, daß sie in dieser Angelegenheit die gleiche Stellung einnimmt wie die Regierung Seiner Majestät.«

Am 6. April, eine Woche später, wurde seitens der Englischen und Polnischen Regierung ein formelles Kommuniqué herausgegeben, in dem die Zusicherung wiederholt wurde, die der Ministerpräsident eine Woche vorher gegeben hatte, und in der nunmehr auch Polen Großbritannien seiner Hilfe versicherte, falls Großbritannien angegriffen werde. Ich brauche das nicht ganz zu verlesen, ich brauche das überhaupt nicht zu verlesen. Ich lege es vor. Es ist TC-72, Nummer 18, GB-40.

Die Besorgnis und Unruhe auf Seiten der Polnischen und Englischen Regierung zu dieser Zeit scheinen wohl berechtigt gewesen zu sein. Während derselben Woche, am 3. April, wie der Gerichtshof aus dem nächsten Dokument ersehen wird, wurde ein Befehl von Keitel unterzeichnet; er stammt vom OKW und trägt das Datum: Berlin, 3. April 1939. Er betrifft Weisung für die Wehrmacht 1939/40.

»Die ›Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht für 1939/40‹ wird neu herausgegeben.

Teil I (›Grenzsicherung‹) und Teil III (›Danzig‹) werden Mitte April ausgegeben. Sie bleiben im Grundgedanken unverändert. Teil II Fall ›Weiß‹« – Deckname für die Operation gegen Polen – »ist anliegend beigefügt. Die Unterschrift des Führers wird nachgeholt.

Zum Fall ›Weiß‹ hat der Führer noch folgendes angeordnet:

1. Die Bearbeitung hat so zu erfolgen, daß die Durchführung ab 1. 9. 39 jederzeit möglich ist.«

Das war April – Anfang April!

»2. Das OKW ist beauftragt, eine genaue Zeittafel für den Fall ›Weiß‹ aufzustellen und die zeitliche Übereinstimmung zwischen den 3 Wehrmachtteilen durch Besprechungen zu klären.

3. Die Absichten der Wehrmachtteile und Unterlagen für die Zeittafel sind dem OKW zum 1. 5. 39 einzureichen.«

Dieses Dokument ging, wie der Gerichtshof auf der folgenden Seite unter der Überschrift »Verteiler« sehen wird, an das OKH, OKM und OKW.

VORSITZENDER: Stehen diese Worte im ersten Teil des Dokuments, oder sind es nur Anmerkungen?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie sind ein Teil des Dokuments.

VORSITZENDER: Weisungen von Hitler und Keitel, Kriegsvorbereitung.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Entschuldigen Sie bitte; nein, das ist es nicht. Das Dokument beginnt nach den Worten »Übersetzung einer von Keitel gezeichneten Urkunde«.

VORSITZENDER: Ja, ich sehe.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Das erste Wort ist »Geheime Kommandosache«. Ich bitte nun den Gerichtshof, sich der Seite 2 zuzuwenden. Nach dem Abschnitt »Verteiler« werden Sie sehen, daß dort die Übersetzung eines weiteren Dokuments vom 11. April folgt; es trägt die Unterschrift Hitlers:

»Die künftigen Aufgaben der Wehrmacht und die sich daraus ergebenden Vorbereitungen für die Kriegsfüh rung werde ich später in einer Weisung niederlegen.« – Kriegsführung! Der Krieg wird also gar nicht in Zweifel gezogen. – »Bis zum Inkrafttreten dieser Weisung muß die Wehrmacht auf folgende Fälle vorbereitet sein:

I. Sicherung der Grenzen des Deutschen Reiches und Schutz gegen überraschende Luftangriffe.

II. ›Fall Weiß‹.

III. Inbesitznahme von Danzig.

Aus Anlage IV ergibt sich die Regelung der Befehlsgewalt in Ostpreußen im Falle einer kriegerischen Verwicklung.«

Auch dieses Dokument ging an OKH, OKM und OKW.

Auf der nächsten Seite des dem Gerichtshof vorliegenden Exemplars befindet sich die Übersetzung von Anhang I, der sich mit der Sicherung der Grenzen des Deutschen Reiches befaßt; ich zitiere aus Abschnitt 2 der »Besonderen Anordnungen«;

»Gesetzliche Grundlagen.

Es ist davon auszugehen, daß der Verteidigungs- oder Kriegszustand im Sinne des Reichsverteidigungsgesetzes vom 4. 9. 38 nicht erklärt wird. Alle Handlungen und Forderungen zur Durchführung einer Mobilmachung sind auf die Friedensgesetzgebung zu gründen.«

Herr Vorsitzender, dieses Dokument ist C-120, es wird GB-41; es enthält auch einige Urkunden späteren Datums, auf die ich mich später in chronologischer Reihenfolge beziehen werde.

Die Nazi-Regierung benutzte die Erklärung des Ministerpräsidenten im Unterhaus und das darauf folgende englisch-polnische Kommuniqué vom 6. April, um die Krise, die sie in Danzig zwischen sich und Polen heraufbeschworen hatte, noch zu verstärken.

Am 28. April gab die Deutsche Regierung eine Denkschrift heraus, in der sie behauptete, die englisch-polnische Erklärung sei mit dem Pakt von 1934 zwischen Polen und Deutschland unvereinbar. Durch den Abschluß dieses Vertrags, oder als Folge davon, habe Polen selbst den Vertrag von 1934 einseitig gekündigt.

Ich zitiere lediglich drei oder vier kurze Absätze aus diesem Dokument.

Es ist TC-72, Nummer 14; es wird GB-42. Es lohnt sich, einige Stellen zu verlesen, sei es auch nur, um die völlige Unehrlichkeit der gesamten Urkunde auf den ersten Blick aufzuzeigen:

»Die Deutsche Regierung hat durch die von polnischer und britischer Seite öffentlich bekanntgegebenen Erklärungen Kenntnis von dem bisherigen Ergebnis und dem Endziel der neuerdings zwischen Polen und Großbritannien geführten Verhandlungen erhalten. Danach haben die Polnische und die Britische Regierung eine vorläufige, demnächst durch ein Dauerabkommen zu ersetzende Vereinbarung getroffen, die Polen und Großbritannien den gegenseitigen Beistand für den Fall gewährleisten soll, daß die Unabhängigkeit eines der beiden Staaten direkt oder indirekt bedroht wird.«

Dann beschäftigt sich das Dokument in den nächsten drei Absätzen mit der Geschichte der deutschen Freundschaft mit Polen. Ich zitiere aus dem letzten Absatz, Absatz 5 dieser Seite:

»Mit diesen vor wenigen Monaten abgegebenen feierlichen Erklärungen steht die jetzt von der Polnischen Regierung mit der Britischen Regierung abgeschlossene Vereinbarung in einem so offenbaren Widerspruch, daß die Deutsche Regierung von einer so plötzlichen und radikalen Schwenkung der polnischen Politik nur mit Erstaunen und Befremden Kenntnis nehmen kann.

Die neue polnisch-britische Vereinbarung ist, wie ihre endgültige Formulierung auch gestaltet werden mag, von beiden Partnern als regelrechter Bündnispakt gedacht, und zwar als ein Bündnispakt, der sich nach seiner allgemein bekannten Vorgeschichte und nach der ganzen Lage der politischen Verhältnisse ausschließlich gegen Deutschland richtet. Aus der von der Polnischen Regierung jetzt übernommenen Verpflichtung ergibt sich, daß Polen in einen etwaigen deutsch-englischen Konflikt durch einen gegen Deutschland gerichteten Angriff gegebenenfalls auch dann einzugreifen beabsichtigt, wenn dieser Konflikt Polen und seine Interessen überhaupt nicht berührt. Das ist ein direkter und flagranter Verstoß gegen den in der Erklärung von 1934 vereinbarten Verzicht auf jede Anwendung von Gewalt.«

Ich glaube, daß ich Absatz 6 auslassen kann. Absatz 7:

»Dagegen hat die Polnische Regierung durch den jetzt von ihr gefaßten Beschluß, in ein gegen Deutschland gerichtetes Bündnisverhältnis einzutreten, zu erkennen gegeben, daß sie der ihr von der Deutschen Regierung unmittelbar zugesicherten Friedensgarantie das Beistandsversprechen einer dritten Macht vorzieht. Zugleich muß die Deutsche Regierung daraus entnehmen, daß die Polnische Regierung zur Zeit keinen Wert mehr darauf legt, für deutsch-polnische Fragen die Lösung in direkter freundschaftlicher Auseinandersetzung mit der Deutschen Regierung zu suchen. Damit hat die Polnische Regierung den Weg verlassen, der im Jahre 1934 für die Gestaltung der deutsch-polnischen Beziehungen vereinbart worden ist.«

All dies würde sehr gut klingen, wenn nicht bereits Befehl für den Einmarsch in Polen an die Wehrmacht gegeben worden wäre, und die Wehrmacht nicht den Befehl erhalten hätte, eine genaue Zeittafel auszuarbeiten.

Das Dokument beschäftigt sich weiterhin mit der Geschichte der letzten Verhandlungen und Erörterungen. Es legt die Forderungen vom 21. dar, die die Deutsche Regierung erhoben hatte: die Rückkehr von Danzig, die Autobahn, die Eisenbahn, das Versprechen einer deutschen Garantie für die Dauer von 25 Jahren; und nun wende ich mich dem vorletzten Absatz auf Seite 3 des Beweisstücks unter »1.« zu:

»Die Polnische Regierung hat die ihr von der Deutschen Regierung gebotene Gelegenheit zu einer gerechten Regelung der Danziger Frage, zu einer endgültigen Sicherung ihrer Grenze gegenüber dem Deutschen Reich und damit zu einer dauernden Festigung eines freundnachbarlichen Verhältnisses beider Länder nicht ergriffen. Sie hat vielmehr die dahinzielenden deutschen Vorschläge verworfen.

Gleichzeitig hat sich die Polnische Regierung gegenüber einem anderen Staat auf politische Verpflichtungen eingelassen, die sowohl mit dem Sinn als auch dem Wortlaut der deutsch-polnischen Erklärung vom 26. Januar 1934 unvereinbar sind. Die Polnische Regierung hat damit diese Erklärung willkürlich und einseitig außer Kraft gesetzt.«

Im Schlußabsatz sagt die Deutsche Regierung, daß sie trotzdem bereit sei, freundschaftliche Beziehungen mit Polen weiter aufrecht zu erhalten.

Am gleichen Tage, an dem diese Denkschrift erging, am 28. April, hielt Hitler eine Rede im Reichstag, in der er im wesentlichen die Darlegungen der Denkschrift wiederholte. Es ist Dokument TC-72, Nummer 13, und wird GB-43. Ich möchte den Gerichtshof lediglich auf den letzten Teil der zweiten Seite der Übersetzung verweisen. Wiederum hat er die Forderungen und Angebote, die Deutschland im März machte, wiederholt, legt dann dar, daß die Polnische Regierung sein Angebot zurückgewiesen habe, und erklärt schließlich:

»Ich habe diese mir unverständliche Haltung der Polnischen Regierung aufrichtig bedauert, jedoch das allein ist nicht das Entscheidende, sondern das schlimmste ist, daß nunmehr ähnlich wie die Tschechoslowakei vor einem Jahr auch Polen glaubt, unter dem Druck einer verlogenen Welthetze Truppen einberufen zu müssen, obwohl Deutschland seinerseits überhaupt nicht einen einzigen Mann eingezogen hat und nicht daran dachte, irgendwie gegen Polen vorzugehen. Wie gesagt, dies ist an sich sehr bedauerlich, und die Nachwelt wird einmal entscheiden, ob es nun wirklich so richtig war, diesen von mir gemachten einmaligen Vorschlag abzulehnen. Dies – wie gesagt – war ein Versuch von mir, eine die ganze deutsche Nation innerlich bewegende Frage in einem wahrhaft einmaligen Kompromiß zu lösen, und zwar zu lösen zugunsten beider Länder.

Meiner Überzeugung nach war Polen bei dieser Lösung aber überhaupt kein gebender Teil, sondern nur ein nehmender; denn daß Danzig niemals polnisch werden wird, dürfte wohl außer Zweifel stehen.

Die Deutschland nunmehr von der Weltpresse einfach angedichtete Angriffsabsicht führte in der Folge zu den Ihnen bekannten sogenannten Garantieangeboten und zu einer Verpflichtung der Polnischen Regierung für einen gegenseitigen Beistand...«

Es ist nicht notwendig, Herr Vorsitzender, mehr aus diesem Dokument zu verlesen; es beweist, wie gänzlich unehrlich alles das war, was die Deutsche Regierung damals sagte. Da stand Hitler, wahrscheinlich mit einer Abschrift der Befehle für den Fall »Weiß« in der Tasche, als er sprach und erklärte, die Absicht eines deutschen Angriffs sei eine Erfindung der internationalen Presse.

Die Antwort auf diese Denkschrift seitens der Polnischen Regierung war eine Denkschrift vom 28. April. Sie ist im nächsten Beweisstück, TC-72, Nummer 16, enthalten, das GB-44 wird. Es ist unnötig, mehr daraus vorzulesen als...

VORSITZENDER: Es handelt sich um den 5. Mai und nicht um den 28. April.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bitte den Gerichtshof um Entschuldigung; es ist ein Dokument vom 5. Mai. Es ist nicht nötig, mehr als zwei kurze Absätze aus dieser Antwort zu verlesen. Ich kann das Dokument in einem Wort zusammenfassen. Es beschäftigt sich mit den Zielen des Abkommens von 1934, auf Anwendung von Gewalt zu verzichten und friedliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu pflegen, sowie Streitigkeiten durch Schiedsspruch und andere friedliche Mittel zu lösen. Die Polnische Regierung sei sich der Schwierigkeiten wegen Danzigs bewußt und schon lange bereit gewesen, Verhandlungen durchzuführen. Sie legt wiederum ihren Anteil an den jüngsten Verhandlungen dar; und ich wende mich nun der zweiten Seite des Dokuments zu, und zwar dem vorletzten Absatz, oder vielleicht sollte ich noch etwas weiter zurückgehen, zum Anfang der Seite, der ersten Hälfte der Seite. Die Polnische Regierung behauptet, an die Deutsche Regierung unter dem 26. März ein Schreiben gerichtet zu haben, was auch tatsächlich geschehen ist, in dem sie ihren Standpunkt klargelegt habe, und daß sie dann eine gemeinsame Garantie der Polnischen und Deutschen Regierung für die Freie Stadt Danzig vorgeschlagen habe, gegründet auf dem Grundsatz der Freiheit der einheimischen Bevölkerung in inneren Angelegenheiten. Sie habe sich bereiterklärt, die Möglichkeiten einer Autostraße und einer Eisenbahn zu prüfen, habe jedoch keine Antwort auf jene Vorschläge erhalten.

»Es ist offensichtlich, daß Verhandlungen, in denen der eine Staat Forderungen aufstellt und der andere Staat gezwungen ist, die Forderungen ohne Vorbehalt anzunehmen, keine Verhandlungen im Sinne der Erklärung von 1934 sind und mit den lebenswichtigen Interessen und der Ehre Polens unvereinbar sind.«

Das faßt die polnische Ansicht und Einstellung treffend zusammen. Sodann weist sie den deutschen Vorwurf, daß das englisch-polnische Abkommen mit dem deutsch-polnischen Abkommen von 1934 unvereinbar sei, zurück. Sie hebt hervor, daß Deutschland selbst mit anderen Nationen ähnliche Verträge abgeschlossen habe und schließlich, auf der nächsten Seite, erklärt sie sich ebenfalls bereit, einen neuen Pakt mit Deutschland abzuschließen, falls Deutschland es wünsche.

Ich bitte den Gerichtshof, sich noch einmal dem Dokument C-120 zuzuwenden, zu den ersten beiden Briefen; auf die ich vor einigen Minuten hingewiesen habe; sie werden GB-41. Am Ende der Seite steht eine Zahl 614; es ist die erste Seite dieses Beweisstücks, »Anordnungen von Hitler und Keitel zur Vorbereitung des Krieges und des Einmarsches in Polen«. Ich möchte auf Seite 6 dieses Beweisstücks Bezug nehmen.

Die Seitennummer steht am Ende der Seite in der Mitte. Es ist ein Schreiben des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht, unterzeichnet von Hitler, und trägt das Datum des 10. Mai. Es geht an OKH, OKW und OKM und an verschiedene Unterabteilungen des OKW; beigefügt waren offenbar die »Richtlinien für den Wirtschaftskrieg und den Schutz der eigenen Wirtschaft«. Ich erwähne es lediglich, um zu beweisen, daß während dieser ganzen Zeit die Vorbereitungen für einen sofortigen Angriff weitergetrieben wurden. Das Dokument bleibt ein Teil desselben Beweisstücks.

Dann auf der nächsten Seite, die die Nummer C-120 (1) trägt; dies ist nur ein Auszug und nicht eine volle Übersetzung, deshalb werde ich sie wohl besser nicht verlesen. Es ist die Anlage, die die »Richtlinien für den Wirtschaftskrieg und die Schutzmaßnahmen für die eigene Wirtschaft« aufzeigt.

Ich glaube, diese Vorbereitungsperiode, die ich bis zum März 1939 besprochen habe, endet tatsächlich mit jener berühmten Zusammenkunft oder Besprechung in der Reichskanzlei am 23. Mai, von der der Gerichtshof bereits gehört hat. Es war L-79 und ist jetzt Beweisstück US-27. Ich glaube auf diese Urkunde ist Bezug genommen worden und sie war als »Schmundt-Protokoll« bekannt. Es ist das letzte Dokument im Dokumentenbuch des Gerichts zu diesem Teil, und ich beabsichtige, nichts daraus zu verlesen. Es ist bereits verlesen worden, und der Gerichtshof wird sich erinnern, daß es die Rede war, in der Hitler nach Lebensraum schrie und in der er sagte, daß Danzig überhaupt nicht die Streitfrage bilde. Es war eine Frage der Ausdehnung des Lebensraumes im Osten und er sagte dabei, daß er sich entschlossen habe, Polen anzugreifen.

VORSITZENDER: Würden Sie mir das Datum angeben?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Der 23. Mai 1938.

Der Herr Vorsitzende wird sich erinnern, daß neben vielen anderen Göring, Raeder und Keitel zugegen waren. Sie enthält besonders drei Zeilen, an die ich den Gerichtshof erinnern möchte; Hitler sagte:

»Ein Bündnis Frankreich-England-Rußland gegen Deutschland-Italien-Japan würde mich veranlassen, mit wenigen vernichtenden Schlägen England und Frank reich anzugreifen. Der Führer zweifelt an der Möglichkeit einer friedlichen Auseinandersetzung mit England.«

Damit war nicht nur die endgültige Entscheidung getroffen, Polen anzugreifen, sondern auch die beinahe ebenfalls endgültige Entscheidung, England und Frankreich anzugreifen.

Ich wende mich nun der nächsten Periode zu, die ich als die Schlußvorbereitungen vom Juni bis zum Kriegsbeginn, Anfang September, beschrieben habe. Es ist Teil V des dem Gerichtshof überreichten Dokumentenbuches. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Dokumentenbuches und der Gerichtshof wird finden, daß ich aus Gründen der Einfachheit das Beweismaterial in vier Teile geteilt habe unter der jeweiligen Überschrift: »Schluß Vorbereitungen der Wehrmacht«, »Wirtschaftliche Vorbereitungen«, »Die berühmten Obersalzberger Ansprachen«, »Die politischen oder diplomatischen Vorbereitungen, die die Krise beschleunigt herbeiführten, und die Rechtfertigung für den Einfall in Polen«.

Ich verweise den Gerichtshof auf das erste Dokument in diesem Buch, das sich mit den endgültigen Vorbereitungen der Wehrmacht beschäftigt. Es ist wiederum ein Beweisstück, das verschiedene Urkunden enthält, und ich beziehe mich besonders auf die zweite Urkunde mit dem Datum des 22. Juni 1939. Es ist das Dokument C-126, welches GB-45 wird.

Sie werden sich erinnern, daß eine genaue Zeittafel angefordert worden war. Sie liegt hier vor:

»OKW hat dem Führer und Obersten Befehlshaber auf Grund der bisher vorliegenden Unterlagen der Wehrmachtteile eine vorläufige Zeittafel für den Fall ›Weiß‹ vorgelegt. Einzelheiten über die Angriffsvortage und den Angriffsbeginn waren in dieser Zeittafel nicht enthalten.

Der Führer und Oberste Befehlshaber ist mit den gemeldeten Absichten der Wehrmachtteile im großen einverstanden und hat zu Einzelpunkten folgendes bemerkt:

1. Um eine Beunruhigung der Bevölkerung durch die über das sonst übliche Maß vorgesehenen Einberufungen von Reservisten zu den Übungsvorhaben 1939 zu verhindern, ist Zivildienststellen, Arbeitgebern oder sonstigen privaten Fragestellern auf ihre Anfrage mitzuteilen, daß die Einberufungen für die Herbstübungen und für die bei diesen Übungen vorgesehenen Übungsverbände erfolgen.

Um entsprechende Anweisung der nachgeordneten Dienststellen wird gebeten.«

Dies alles wurde später erheblich, und zwar besonders erheblich, als die Deutsche Regierung Behauptungen über eine Mobilmachung auf Seiten der Polen aufstellte. Sie macht schon im Mai, oder vielmehr im Juni, mobil, nur tut sie es im geheimen.

»2. Das vom OKH ab Mitte Juli beabsichtigte Freimachen der Krankenhäuser in dem Grenzgebiet soll im Interesse der Tarnung unterbleiben.«

Ich bitte den Gerichtshof, sich den Anfang der folgenden Seite anzusehen; es ist ersichtlich, daß dieser Befehl von dem Angeklagten Keitel unterzeichnet wurde. Ich denke, es ist unnötig, weitere Auszüge aus diesem Dokument vorzulesen. Um vielleicht ein späteres Zurückgreifen zu vermeiden, wende ich mich jetzt, wenn ich auch damit etwas aus der zeitlichen Reihenfolge gerate, der ersten Urkunde auf der ersten Seite des Beweisstückes zu. Es handelt sich um einen kurzen Brief, datiert vom 2. August. Ich fürchte, daß es sich in der Übersetzung nur um einen Auszug handelt.

»Anliegend wird eine operative Weisung für den Einsatz der im Falle der Beibehaltung der Durchführungsabsicht Fall ›Weiß‹ vorsorglich in den Atlantik zu entsendenden U-Boote übersandt. F.d.U. reicht seine Operationsbefehle bis 12. August an SKL. ein.«

Es muß angenommen werden, daß der Angeklagte Dönitz davon wußte, daß seine Unterseeboote »im Falle der Beibehaltung der Durchführungsabsicht Fall ›Weiß‹ vorsorglich« in den Atlantischen Ozean geschickt werden sollten.

Ich wende mich dem nächsten Dokument im Buch des Gerichtshofs, C-30, zu, das GB-46 wird. Es handelt sich um einen Brief vom 27. Juli. Er enthält Befehle an die Luft- und Seestreitkräfte für die Besetzung der deutschen Freien Stadt Danzig.

»Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht hat die Wiedervereinigung des deutschen Freistaates Danzig mit dem Großdeutschen Reich befohlen. Die Wehrmacht hat den Freistaat Danzig zum Schutz der deutschen Bevölkerung sofort zu besetzen. Feindliche Absichten gegenüber Polen bestehen nicht, solange es sich der Besetzung nicht mit Waffengewalt entgegenstellt.«

Dann wird angeführt, wie die Besetzung vonstatten gehen soll. All dieses wird noch erheblicher, wenn wir die diplomatische Aktion der letzten Tage vor dem Kriege besprechen, als Deutschland durch Scheinangebote den Eindruck zu erwecken suchte, daß es die Streitfrage friedlich beilegen wollte. Ich möchte dies zum Beweis dafür anführen, daß die Entscheidung bereits getroffen war und daß ihn nichts von dieser Entscheidung abzubringen vermöchte. Denn, wie schon erwähnt, heißt es in diesem Dokument: »Feindliche Absichten gegenüber Polen bestehen nicht, solange es sich der Besetzung nicht mit Waffengewalt entgegenstellt«.

Nichtsdestoweniger war dies nicht die einzige Bestimmung, nach der die Besetzung stattfinden sollte; wir bemerken, daß während des Monats Juli bis zum Beginn des Krieges Schritte unternommen wurden, um die Danziger Bevölkerung zu bewaffnen und für die Teilnahme an der kommenden Besetzung vorzubereiten.

Ich verweise den Gerichtshof auf das nächste Dokument TC-71, das GB-47 wird; dort sind nur ein paar der Berichte niedergelegt, die während dieses Zeitraums beinahe täglich von Herrn Shepherd, dem Generalkonsul in Danzig, an den englischen Außenminister gesandt wurden. Die vollständige Zusammenfassung dieser Berichte befindet sich im englischen »Blaubuch«. Ich möchte jetzt auf nur zwei dieser Berichte als Beispiele für die Art der Geschehnisse hinweisen.

Der erste Bericht in diesem Beweisstück trägt das Datum des 1. Juli 1939:

»Gestern Morgen sind hier mit dem Berliner Schnellzug vier deutsche Wehrmachtsoffiziere in Zivil angekommen, um die Danziger Heimwehr zu organisieren.

Alle zu den Hügeln sowie zu den niedergerissenen Festungen führenden Zugänge, die eine beliebte öffentliche, am westlichen Rande der Stadt gelegene Promenade bilden, wurden mit Stacheldraht gesperrt und mit Aufschriften ›Verboten‹ versehen.

An den die Werften umgebenden Mauern hängen Plakate: ›Kamerad, halte Deinen Mund, damit Du die Folgen nicht bereust!‹

Als der Kapitän des britischen Dampfers ›High Commissioner Wood‹ während der Zeit vom 28. bis 30. Juni in Königsberg herumwanderte, bemerkte er eine beträchtliche militärische Aktivität, einschließlich einer intensiven Verladung von getarnten geschlossenen Loren und ähnlichem Material auf kleine Küstenfahrzeuge. Am 28. Juni verließen vier mittelgroße Dampfer, mit Truppen, Lastkraftwagen, Feldküchen und anderem beladen, Königsberg, angeblich um nach Beendigung der Manöver nach Hamburg zurückzukehren, in Wirklichkeit aber befanden sie sich auf der Fahrt nach Stettin. Die Namen der Dampfer...« und so weiter

Als ein weiteres Beispiel verweise ich auf den Bericht Nummer 11, auf der nächsten Seite des Beweisstücks, datiert vom 10. Juli:

»Derselbe Vertrauensmann, den ich für zuverlässig halte, benachrichtigt mich, daß er am 8. Juli mit seinen eigenen Augen ungefähr dreißig Wehrmachtlastkraftwagen mit ostpreußischen Registriernummern auf dem Bischofsberg gesehen habe, wo zahlreiche Feldküchen entlang der Hecken aufgestellt wurden. Dort standen auch acht große Flakgeschütze in Stellung, die nach seiner Schätzung mehr als 3 Zoll Kaliber hatten, sowie drei sechsrohrige leichte Flakmaschinengewehre. Ungefähr 500 Soldaten exerzierten dort mit Gewehren und die ganze Anlage ist mit Stacheldrahtverhauen befestigt.«

Es scheint mir nicht notwendig, die Zeit des Gerichtshofs mit weiteren Verlesungen in Anspruch zu nehmen.

Es handelt sich hier, wie ich schon erwähnte, lediglich um zwei Berichte aus vielen anderen, die im englischen Blaubuch zu finden sind, das sich mit der Bewaffnung und den Vorbereitungen der Freien Stadt Danzig beschäftigt.

Am 12. und 13. August, als die Vorbereitungen praktisch beendet waren – ich möchte daran erinnern, daß sie für eine Invasion Polens am 1. September abgeschlossen sein mußten –, sehen wir, wie Hitler und der Angeklagte Ribbentrop ihren Verbündeten, den Italienern, endlich ihre Absichten enthüllten.

An einer Stelle in der Rede Hitlers vom 23. Mai, an die, man sich erinnern wird – ich zitiere sie jetzt nicht, da sie bereits verlesen wurde –, an einer Stelle in dieser Rede sagte Hitler in Bezug auf seinen beabsichtigten Angriff auf Polen: »Auch Italien und Japan gegenüber muß die Zielsetzung geheim bleiben.«

Nun seine Vorbereitungen abgeschlossen sind, gibt er seine Absichten seinen italienischen Kameraden kund und tut dies in der Hoffnung, daß sie sich ihm anschließen werden.

Die Niederschriften dieser Konferenz sind lang; ich habe nicht die Absicht, mehr als einige wenige Stellen vorzulesen. Der Inhalt der Konferenz kann allgemein dahin zusammengefaßt werden, daß Hitler versucht, Italien zu überreden, mit ihm in den Krieg einzutreten. Die Italiener, oder besser, Ciano ist sehr überrascht. Er hätte keine Ahnung, wie er sich ausdrückt, daß die Sache so dringend sei; sie seien nicht vorbereitet. Er versucht deshalb, Hitler von einem so baldigen Losschlagen abzuraten, bis der Duce etwas mehr Zeit gehabt hätte, sich vorzubereiten.

Der Wert, vielleicht der größte Wert des Protokolls dieser Besprechung besteht darin, daß es ganz klar die deutsche Absicht zeigt, England und Frankreich schließlich und letzten Endes anzugreifen, wenn auch nicht zur selben Zeit wie Polen.

Ich weise den Gerichtshof auf die zweite Seite des Beweisstücks hin. Hitler versucht aufzuzeigen, wie stark Deutschland ist und wie sicher der siegreiche Ausgang des Krieges ist; damit hofft er, die Italiener zum Mitgehen zu bewegen. »Zur See habe England im Augenblick noch keinerlei Zuwachs zu verzeichnen.« Ich lese vom Beginn der zweiten Seite:

»Von den im Bau befindlichen Schiffen würden erst in einiger Zeit die ersten Einheiten in Dienst gestellt werden können. Was die Landarmee anbetreffe, so seien nach. Einführung der Dienstpflicht jetzt 60000 Mann unter die Fahnen gerufen worden.«

Ich lese diese Stelle besonders deshalb, um die Absicht des Angriffs auf England zu zeigen. Wir haben uns zwar mehr auf Polen zu konzentrieren, aber hier sind seine Gedankengänge ausschließlich gegen England gerichtet.

»Wenn England im eigenen Lande die notwendigen Truppen zurückbehielte, so könnte Frankreich höchstens 2 Infanteriedivisionen und 1 Panzerdivision zur Verfügung stellen. Im übrigen könnte es einige Bombengeschwader, aber kaum Jagdgeschwader auf Frankreich abstellen, da bei Kriegsausbruch die deutsche Luftflotte England sofort angreifen würde und die englischen Jagdflugzeuge daher für den Schutz des eigenen Landes dringend benötigt werden würden.

Über Frankreichs Lage bemerkte der Führer, daß bei einem allgemeinen Konflikt nach der innerhalb einer kurzen Zeit zu erwartenden Niederschlagung Polens Deutschland in der Lage sein würde, am Westwall 100 Divisionen zu versammeln, die Frankreich zwingen würden, sämtliche verfügbaren Streitkräfte aus den Kolonien, von der italienischen Grenze und anderswoher an seiner eigenen Maginot-Linie für den Kampf auf Leben und Tod, der dann einsetzen würde, zu versammeln. Er sei im übrigen der Ansicht, daß die Franzosen ebensowenig die italienischen Befestigungen überrennen könnten wie den Westwall.

Hier gab Graf Ciano einige Zeichen äußersten Zweifels zu erkennen.« – Zweifel, welche vielleicht in Anbetracht der nachherigen Ereignisse voll berechtigt waren. – »Polens Armee sei außerordentlich unterschiedlich in ihrem Wert. Es gebe neben einigen Paradedivisionen eine ganze Anzahl minderwertiger Truppenteile. In der Tankabwehr und Luftabwehr sei Polen sehr schwach. Zur Zeit könnten ihm Frankreich und England nichts liefern.«

Der Gerichtshof kann natürlich beurteilen, ob Polen eine solche Bedrohung für das Deutsche Reich an Deutschlands Ostgrenze darstellte.

»Wenn aber Polen eine längere Zeit lang vom Westen wirtschaftlich unterstützt würde, so könne es sich diese Waffen zulegen und Deutschlands Überlegenheit würde dadurch herabgesetzt. Den Fanatikern von Warschau und Krakau stände die indifferente Landbevölkerung der anderen Gegenden gegenüber. Außerdem sei die Bevölkerungszusammensetzung des Polnischen Staates zu berücksichtigen: auf 34 Millionen Einwohner kämen 11/2 Millionen Deutsche, rund 4 Millionen Juden und schätzungsweise 9 Millionen Ukrainer, so daß an eigentlichen Polen erheblich weniger als die Bevölkerungszahl übrig bleibe, und auch diese, wie bereits erwähnt, in ihrer Schlagkraft unterschiedlich zu bewerten seien. Unter diesen Umständen würde Polen durch Deutschland in kürzester Zeit zu Boden geschlagen werden.

Da Polen durch seine ganze Haltung zu erkennen gebe, daß es auf jeden Fall in einem Konflikt auf Seiten der Gegner Deutschlands und Italiens stehen würde, könne eine schnelle Liquidierung für die doch unvermeidbare Auseinandersetzung mit den westlichen Demokratien im jetzigen Augenblick nur von Vorteil sein. Bleibe ein feindliches Polen an Deutschlands Ostgrenze bestehen, so wären nicht nur die 11 ostpreußischen Divisionen, sondern auch noch weitere Kontingente in Pommern und Schlesien gebunden, was bei einer vorherigen Liquidierung nicht der Fall sein würde.«

Das Für und Wider wird in den nächsten Zeilen weiter erörtert. Ich gehe auf den Anfang der nächsten Seite über:

»Zur Danziger Frage zurückkehrend erklärte der Führer dem Grafen Ciano, daß es ihm unmöglich sei, hier zurückzuweichen. Er habe sich mit Italien auf die Zurückziehung der Deutschen aus Südtirol geeinigt, müsse aber nun gerade deswegen peinlichst alles vermeiden, was den Eindruck hervorrufen könne, es handle sich bei der Zurückziehung der Deutschen aus Südtirol um einen Präzedenzfall der auch auf andere Gebiete Anwendung finden könne. Im übrigen sei seine Rechtfertigung der Zurückziehung dieser Deutschen aus Italien dem deutschen Volke gegenüber die allgemeine nach Osten und Nordosten gehende Richtung der deutschen Politik. Der Osten und der Nordosten, d.h. die Länder an der Ostsee, seien genau so Deutschlands unumstrittene Interessengebiete seit Urzeiten wie das Mittelmeer Italiens eigenste Sphäre sei. Auch aus wirtschaftlichen Gründen brauche Deutschland die Getreide und Holz produzierenden Länder dieser östlichen Gegenden.«

Nun kommen wir der Wahrheit dieser Sache näher. Es waren nicht die Verfolgungen der deutschen Minderheiten in den polnischen Grenzbezirken, sondern es waren wirtschaftliche Gründe, der Bedarf an Lebensmitteln und Holz aus Polen.

»Im Falle Danzig handele es sich aber nicht nur um rein materielle Interessen, obwohl diese Stadt der größte Ostseehafen sei. Der Umschlag betrage tonnagegemäß 40 % von Hamburg. Danzig, das nordische Nürnberg, sei eine Urdeutsche Stadt, die in jedem Deutschen sentimentale Regungen wecke und gerade dieses psychologische Element zwinge auch den Führer, der Volksstimmung Rechnung zu tragen. Um die Lage dem italienischen Verständnis näher zu bringen, müsse sich Graf Ciano einmal vorstellen, Triest befände sich in jugoslawischen Händen und eine starke italienische Minderheit auf jugoslawischem Boden würde mit brutaler Gewalt behandelt. Es sei kaum anzunehmen, daß Italien dies sehr lange ruhig mit ansehen würde.

Graf Ciano erwiderte auf die Ausführungen des Führers, indem er zunächst auf die große Überraschung hinwies, die auf italienischer Seite über den völlig unerwarteten Ernst der Lage bestehe. Weder in den Unterhaltungen von Mailand noch in den Gesprächen anläßlich seines Berliner Besuches habe man deutscherseits zu erkennen gegeben, daß die Lage Polen gegenüber derartig ernst sei. Im Gegenteil habe der Reichsaußenminister erklärt, daß seiner Meinung nach die Danziger Frage im Laufe der Zeit geregelt werden würde. Auf Grund dieser Sachlage habe sich der Duce, getreu seiner Überzeugung, daß die Auseinandersetzung mit den westlichen Demokratien unumgänglich sei, vorgenommen, seine Vorbereitungen für diesen Fall zu treffen und habe diese Pläne auf eine bestimmte Zeitdauer von 2-3 Jahren abgestellt. Falls ein Konflikt jetzt unumgänglich sei, würde, wie der Duce noch bei der Abreise des Grafen Ciano erneut betont hätte, Italien selbstverständlich ganz an der Seite Deutschlands stehen, aber aus verschiedenen, im einzelnen aufgeführten Gründen würde es die Verschiebung eines allgemeinen Konflikts auf einen späteren Zeitpunkt begrüßen.«

Daß die Ausschaltung eines allgemeinen Konflikts begrüßenswert sei, stand überhaupt nicht zur Debatte. Das alleinige Interesse aller galt nur der Zeit.

»Graf Ciano stellte sodann an Hand der Karte die italienische Lage bei Ausbruch eines allgemeinen Konflikts dar. Italien glaube, so führte er aus, daß ein Konflikt mit Polen nicht auf dieses Land beschränkt bleiben, sondern sich zu einem allgemeinen europäischen Krieg auswachsen würde.«

Hierauf versucht Ciano während der Konferenz, Hitler von einem sofortigen Losschlagen abzubringen. Ich verlese zwei Zeilen seiner Beweisführung von Seite 5 oben:

»Aus diesen Gründen sei dem Duce außerordentlich viel daran gelegen, daß von seiten der Achsenmächte eine Geste gemacht würde, die den Friedenswillen Italiens und Deutschlands erneut bekräftige.«

Dann kommen wir zur Antwort des Führers auf diese Begründung auf Seite 5, Mitte:

»Der Führer erwiderte, daß für die Lösung des polnischen Problems keine Zeit zu verlieren sei. Je weiter man in den Herbst hineinkomme, desto schwieriger würden militärische Operationen im Osten Europas werden. Ab Mitte September sei infolge der Wetterverhältnisse die Luftwaffe in diesen Gebieten kaum noch einzusetzen, während die motorisierten Kräfte durch den Zustand der Straßen, die sich infolge der im Herbst einsetzenden Regen schnell in einen Morast verwandelten, ebenfalls unverwendbar würden. Von September bis Mai sei Polen ein großer Sumpf und für irgendwelche militärische Handlungen völlig ungeeignet. So könnte Polen im Oktober Danzig einfach besetzen..., ohne daß Deutschland irgendetwas dagegen tun könne; denn Danzig beschießen und zerstören käme natürlich nicht in Frage.«

Sie konnten natürlich nicht Plätze, wo zufälligerweise Deutsche wohnten, bombardieren oder zerstören. Warschau, Rotterdam, England, London; ich möchte wissen, ob Gefühle dieser Art bei jenen Plätzen in Erwägung gezogen wurden.

»Graf Ciano fragte, in welcher Frist nach Meinung des Führers die Danziger Frage geregelt sein müsse. Der Führer erwiderte, daß diese Regelung bis Ende August so oder so erfolgen müsse. Auf die Frage Cianos, wie sich der Führer eine Lösung vorstelle, erwiderte dieser, daß Polen politisch Danzig aufgeben müsse, wobei seine wirtschaftlichen Interessen selbstverständlich gewahrt werden würden, und daß es im übrigen auch durch seine allgemeine Haltung zur Beseitigung der Spannung beitragen müsse. Es sei ihm zweifelhaft, ob Polen dazu bereit sein werde; denn bisher habe es die deutschen Vorschläge abgelehnt. Der Führer habe persönlich Beck diese Vorschläge bei seinem Besuch auf dem Obersalzberg gemacht. Sie seien für Polen außerordentlich günstig gewesen. Gegen eine politische Rückgabe Danzigs an Deutschland unter voller Wahrung der polnischen Wirtschaftsinteressen und die Herstellung einer Verbindung zwischen Ostpreußen und dem Reich habe Deutschland eine Grenzgarantie, einen 25jährigen Freundschaftspakt und eine Beteiligung Polens am Einfluß auf die Slowakei zugesagt. Beck habe seinerzeit den Vorschlag mit dem Bemerken zur Kenntnis genommen, ihn prüfen zu wollen. Die scharfe Ablehnung sei erst als Folge der englischen Intervention erfolgt. Was im übrigen Polen für Ziele hatte, könne man mit aller Deutlichkeit aus der Presse erkennen. Ganz Ostpreußen sollte genommen werden, man wolle bis nach Berlin vorrücken usw.«

Das war etwas ganz anderes.

Die Besprechung wurde nachts gehalten und am folgenden Tage fortgesetzt. Auf Seite 7, Mitte, heißt es dann:

»Er (der Führer) käme daher zu zwei Schlußfolgerungen:

1. Wenn eine neue Provokation erfolge, würde er schnellstens zugreifen,

2. wenn Polen nicht klar und deutlich seine politische Stellungnahme zu erkennen gebe, so müsse eine derartige Stellungnahme herbeigeführt werden.«

Ich komme zur letzten Zeile auf jener Seite:

»So wie die Dinge jetzt lägen, könnten Italien und Deutschland in der Welt einfach nicht weiter existieren, und zwar aus Platzmangel. Nun sei nicht etwa kein Platz mehr da, sondern der vorhandene Raum würde nur durch die jetzigen Besitzer völlig blockiert. Wie Geizhälse säßen sie auf ihren Goldhaufen und berauschten sich daran, in ihren Reichtümern herumzuwühlen.... Die westlichen Demokratien seien von dem Willen geleitet, die Welt zu beherrschen und sähen Deutschland und Italien als nicht ebenbürtig an. Dieses psychologische Element der Mißachtung sei vielleicht das Schlimmste an der ganzen Lage. Es könne nur beseitigt werden durch einen Kampf auf Leben und Tod, den die beiden Achsenpartner um so besser bestehen könnten, als ihre Interessen sich an keinem Punkte überkreuzten. Das Mittelmeer sei unbestrittenerweise aus historischen und geographischen Gründen Italiens ureigenste Domäne, in der ihm die Vormachtstelle gebühre. Der Duce habe ihm gegenüber... die Lage dadurch hervorragend charakterisiert, daß er sagte, Italien sei bereits jetzt allein durch seine geographische Lage die vorherrschende Macht im Mittelmeer; dagegen erklärte der Führer, wird Deutschland den alten Germanenweg nach Osten beschreiten, der ihm auch aus wirtschaftlichen Gründen angezeigt erscheine. Daß Italien aus geographischen und historischen Gründen die Vormacht des Mittelmeeres sei, habe übrigens auch... Bismarck klar erkannt und in dem bekannten Brief an Mazzini zum Ausdruck gebracht. So verliefen dann die Interessenslinien Deutschlands und Italiens in ganz verschiedene Richtungen, und es könne niemals zu einem Interessenkonflikt kommen.

Der Außenminister fügte hier ein, daß, wenn die beiden in der gestrigen Unterredung vom Führer genannten Probleme gelöst wären. Italien und Deutschland im Kampfe gegen den Westen den Rücken frei hätten.

Der Führer erklärte, daß man Polen so niederschlagen müsse, daß es auf jeden Fall 10« – das scheint eine zweifelhafte Aufbauschung der Übersetzung zu sein – »viele Jahre lang kampfunfähig sei. In diesem Falle könne man sich mit dem Westen auseinandersetzen.

Graf Ciano dankte dem Führer für die außerordentlich klaren Darlegungen über die Lage. Er habe seinerseits nichts hinzuzufügen und würde dem Duce in allen Einzelheiten über die Mitteilungen des Führers berich ten. In einem Punkte erbäte er vielleicht noch eine Präzisierung, um dem Duce alle Elemente zur Beurteilung der Lage an die Hand zu geben. Der Duce würde ja wohl keine Entscheidung zu fällen haben, da der Führer der Überzeugung Ausdruck gegeben habe, daß der Konflikt mit Polen sich lokalisieren lassen würde. Auf Grund einer langen Erfahrung könne er (Graf Ciano) sagen, daß der Führer in seiner Beurteilung der Lage bisher immer recht behalten habe. Aber wenn auch Mussolini keine Entscheidung zu treffen hätte, so würde er doch gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergreifen wollen, und aus diesem Grunde stelle er (Graf Ciano) folgende Frage:

Der Führer habe zwei Gründe genannt, aus denen er gegen Polen vorgehen werde. Erstens, wenn Polen eine ernste Provokation vornähme und zweitens, wenn es seine politische Haltung nicht kläre. Die Provokationen seien von dem Willen des Führers unabhängig und könnten jederzeit erfolgen, worauf dann in jedem Augenblick die deutsche Gegenaktion ausgelöst würde.

Der zweite Fall jedoch schließe gewisse Fristen ein. Er frage daher, bis zu welchem Datum Polen seine politische Haltung nach Ansicht Deutschlands geklärt haben müsse, wobei er durchaus Verständnis für die saisonbedingten Gegebenheiten der Lage habe.

Der Führer erwiderte, daß die Klärung der politischen Stellungnahme Polens bis spätestens Ende August erfolgt sein müsse. Da zwar der entscheidende Hauptteil der militärischen Operationen gegen Polen innerhalb von 14 Tagen durchgeführt werden könnte, die endgültige Liquidierung jedoch immerhin noch weitere 14 Tage bis 4 Wochen in Anspruch nehmen würde, sie daher erst Ende September, Anfang Oktober abgeschlossen werden könnte. Daraus ergebe sich der Termin Ende August notwendigerweise.

Zum Schluß versicherte der Führer dem Grafen Ciano erneut, daß er seit seiner Jugend für die deutsch-italienische Zusammenarbeit eingetreten sei und in keiner seiner Publikationen etwas anderes zu finden wäre. Er sei von Anfang an der Ansicht gewesen, daß Deutschland und Italien von Natur aus zum Zusammengehen bestimmt seien, weil zwischen ihnen keinerlei Interessengegensätze bestünden. Persönlich sei er glücklich, in einer Zeit zu leben, wo außer ihm selbst noch ein anderer Staatsmann lebe, der groß und einmalig in der Geschichte dastehe. Daß er der Freund dieses Mannes sein könne, bedeute für ihn großes persönliches Glück. Wenn die Stunde des gemeinsamen Kampfes schlage, so würde er immer an der Seite des Duce zu finden sein, und zwar auf Gedeih und Verderb.«

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nun für 10 Minuten.