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OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe noch nicht das letzte Dokument, auf das ich als Beweisstück Bezug nahm, tatsächlich vorgelegt. Es ist dies Dokument TC-77, das nun GB-48 wird.

Ich habe den Gerichtshof auf diese Dokumente hingewiesen, um zu zeigen, daß die militärischen Vorbereitungen während der ganzen Zeit weiterliefen und ihrer Vollendung entgegengingen. Ich möchte nun auf einen Brief des Angeklagten Funk verweisen, der beweist, daß zu gleicher Zeit die Wirtschaftler nicht müßig blieben. Der Brief datiert vom 26. August 1939, und der Angeklagte Funk schreibt an seinen Führer:

»Mein Führer!

Für die mir von Ihnen in so überaus freundlicher und gütiger Weise übermittelten Glückwünsche zu meinem Geburtstag danke ich Ihnen aus aufrichtigem Herzen. Wie glücklich und wie dankbar müssen wir Ihnen sein, daß es uns vergönnt ist, diese überwältigend großen und weltbewegenden Zeiten miterleben und an dem gewaltigen Geschehen dieser Tage mitwirken zu können.

Die mir von dem Herrn Generalfeldmarschall Göring übermittelte Nachricht, daß Sie, mein Führer, gestern abend die von mir vorbereiteten Maßnahmen für eine Kriegsfinanzierung und für die Gestaltung der Lohn- und Preisverhältnisse und die Durchführung eines Notopfers grundsätzlich gebilligt haben, hat mich tief beglückt. Ich melde Ihnen hiermit gehorsamst, daß es mir durch die bereits in den letzten Monaten getroffene Vorsorge gelungen ist, die Deutsche Reichsbank nach innen so stark und nach außen so unangreifbar zu machen, daß uns auch die schwersten Erschütterungen im internationalen Geld- und Kreditwesen absolut nicht berühren können. Ich habe inzwischen alle irgendwie erfaßbaren Guthaben der Reichsbank und der gesamten deutschen Wirtschaft im Auslande in völlig unauffälliger Weise in Gold verwandelt. Bei den von mir ausgearbeiteten Vorschlägen hinsichtlich einer rücksichtslosen Abdrosselung jedes nicht lebenswichtigen Konsums und jeder nicht kriegswichtigen öffentlichen Ausgabe und Aufgabe werden wir in der Lage sein, allen an die Finanzen und die Wirtschaft zu stellenden Anforderungen ohne irgendwie schwerwiegende Erschütterungen gerecht zu werden.

Ich habe es für meine Pflicht gehalten, Ihnen mein Führer, als der von Ihnen berufene Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft, in dieser Stunde diese Meldung und dieses Gelöbnis abzustatten.

Heil mein Führer!«

Unterschrift »Walter Funk«.

Das ist Dokument 699-PS, das als GB-49 vorgelegt wird. In Anbetracht dieses Briefes kann man sich kaum vorstellen, wie der Angeklagte Funk sagen kann, daß er von den Vorbereitungen und den Absichten der Deutschen Regierung, einen Krieg zu führen, nichts gewußt habe.

Ich wende mich nun der Ansprache zu, die Hitler am 22. August auf dem Obersalzberg an seine Oberbefehlshaber hielt. Am Ende der dritten Augustwoche waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Diese Rede ist vor dem Gerichtshof bereits verlesen worden. Ich hoffe, es wird die Geduld des Gerichtshofs nicht übermäßig in Anspruch nehmen, wenn ich ein halbes Dutzend Zeilen wörtlich zitiere, um eine fortlaufende Darstellung einzuhalten.

Auf Seite 1 von 1014-PS, das bereits US-30 ist, lautet die vierte Zeile:

»Jeder muß die Ansicht vertreten, daß wir von vornherein auch zum Kampf gegen die Westmächte entschlossen waren.«

Der zweite Absatz:

»Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie. Auch wenn im Westen Krieg ausbricht, bleibt Vernichtung Polens im Vordergrund.«

Dann der berühmte Satz im dritten Absatz:

»Ich werde propagandistischen Anlaß zur Auslosung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht. Bei Beginn und Führung des Krieges kommt es nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg.«

Wir werden nun nur zu klar sehen, wie dieser propagandistische Anlaß, der bereits eingeleitet war, zum Höhepunkt geführt wurde.

Ich wende mich nun der nächsten Seite im Dokument 798-PS, US-29, zu, dem dritten Absatz:

»Es war mir klar, daß es früher oder später zu einer Auseinandersetzung mit Polen kommen mußte. Ich faßte den Entschluß bereits im Frühjahr, dachte aber, daß ich mich zunächst in einigen Jahren gegen den Westen wenden würde und dann erst gegen den Osten.«

Ich weise auf diese Äußerungen nochmals besonders hin, um die Absichten der Nazi-Regierung zu betonen, nicht nur Polen zu erobern, sondern schließlich in jedem Falle gegen die westlichen Demokratien Angriffskriege zu führen.

Endlich wende ich mich der letzten Seite zu, einer Stelle, die mehr und mehr bezeichnende Bedeutung gewinnt, wenn wir in der Darstellung der Ereignisse der letzten wenigen Tage fortfahren. Ich zitiere aus dem vierten Absatz:

»Wir brauchen keine Angst vor Blockade zu haben. Der Osten liefert uns Getreide, Vieh, Kohle, Blei, Zink. Es ist ein großes Ziel, das vielen Einsatz fordert. Ich habe nur Angst, daß mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt.

Die politische Zielsetzung geht weiter. Anfang zur Zerstörung der Vormachtstellung Englands ist gemacht. Weg für den Soldaten ist frei, nachdem ich die politischen Vorbereitungen getroffen habe.«

Und nun die allerletzte Zeile, die später bedeutungsvoll wird: »Göring antwortet mit Dank dem Führer und der Versicherung, daß die Wehrmacht ihre Pflicht tun wird.«

Ich wende mich nun von den militärisch-wirtschaftlichen Vorbereitungen und seinen Ermahnungen an seine Generale ab, um zu zeigen, wie er die diplomatische und politische Lage entwickelte.

Am 23. August 1939 gab der Senat von Danzig einen Erlaß heraus, in dem Gauleiter Forster zum Führer des Staates der Freien Stadt Danzig eingesetzt wurde, eine Stellung, die bis dahin unter der damaligen Verfassung der Freien Stadt Danzig nicht bestanden hatte.

Das nächste Dokument, das aus dem englischen Blaubuch stammt, wird als Beweismaterial nur für dieses Ereignis vorgelegt, ein Ereignis, das natürlich darauf hinauslief, die Gefühle in der Stadt Danzig aufzupeitschen. Dies ist TC-72, Nummer 62, das GB-50 wird.

Zur gleichen Zeit ereigneten sich Grenzzwischenfälle, die von der Nazi-Regierung unter Hilfeleistung der SS hervorgerufen wurden. Der Gerichtshof hat kürzlich bereits die Aussagen von General Lahousen gehört, worin er sich auf die Lieferung polnischer Uniformen an die SS bezog, die für diesen Zweck verwendet wurden, so daß getötete Polen auf der deutschen Seite der Grenze gefunden werden konnten. Ich verweise den Gerichtshof nun auf drei kurze Berichte, die die Aussage des Zeugen bestätigen. Sie sind im englischen Blaubuch enthalten. Es sind Berichte des Englischen Gesandten in Warschau.

Der erste, TC-72, Nummer 53, der GB-51 wird, datiert vom 26. August:

»Eine Reihe von Vorfällen ereignete sich gestern wieder an der deutschen Grenze.

Eine polnische Streifpatrouille stieß auf eine Gruppe Deutscher bei Pelta, ein Kilometer von der ostpreußischen Grenze entfernt. Die Deutschen eröffneten das Feuer; die polnische Streitwache erwiderte es und tötete den Führer, dessen Leiche zurückgeschafft wurde. Deutsche Banden überschritten ferner die schlesische Grenze bei Szczyglo, zweimal bei Rybnik und an zwei weiteren Stellen, gaben Schüsse ab und griffen Blockhäuser und Zollposten mit Maschinengewehren und Handgranaten an. Die Polen haben in Berlin entschieden Protest eingelegt.

Die ›Gazeta Polska‹ schreibt heute in einem offiziell beeinflußten Leitartikel, daß es sich um mehr als Zwischenfälle handelt. Es seien klar vorbereitete Angriffshandlungen von halbmilitärisch gegliederten Abteilungen, die mit Waffen der regulären Armee ausgerüstet seien; in einem Fall habe es sich um eine Abteilung der regulären Armee gehandelt. Die Angriffe dauerten mehr oder weniger noch an.

Diese Vorfälle hätten Polen nicht dazu veranlaßt, die Ruhe zu verlieren und die strikte Haltung einer bloßen Verteidigung aufzugeben. Die Tatsachen sprächen für sich selbst und die Überfälle kämen von deutscher Seite. Dies sei die passendste Antwort auf das Toben der deutschen Presse.

Das Außenministerium berichtet, daß inzwischen eine uniformierte deutsche Abteilung einen Polen über die Grenze hinweg erschossen und einen zweiten verwundet hat.«

Ich gehe zum nächsten Bericht über, TC-72, Nummer 54, der GB-52 wird; er ist vom gleichen Datum, dem 26. August:

»Das Außenministerium bestreitet kategorisch die von Hitler dem Französischen Botschafter mitgeteilte Begebenheit, daß kürzlich 24 Deutsche in Lodz und acht in Bielske getötet worden seien; diese Mitteilung entbehrt jeglicher Grundlage.«

Und schließlich TC-72, Nummer 55, das GB-53 wird; der Bericht vom nächsten Tage, dem 27. August:

»Soweit ich beurteilen kann, sind die deutschen Behauptungen in Bezug auf die Massenverfolgungen der deutschen Minderheit durch polnische Behörden stark übertrieben, wenn nicht vollkommen gefälscht.

2. Es besteht kein Anzeichen dafür, daß die polnischen Zivilbehörden der Lage nicht mehr Herr sind. Warschau – und soweit ich feststellen kann – auch der Rest Polens sind immer noch vollkommen ruhig.

3. Solche Behauptungen erinnern an die Methoden der Nazi-Propaganda, die bei der Tschechoslowakei im vorigen Jahr angewandt wurden.

4. In jedem Fall ist es eine rein willkürliche deutsche Provokation aus einer festgelegten Politik heraus, die seit März« – das ist der Zeitpunkt zu dem die Rest- Tschechoslowakei besetzt wurde und sie bereit waren, gegen Polen vorzugehen – »eine Erbitterung zwischen den beiden Völkern hervorgerufen hat. Ich nehme an, daß diese den folgenden Zwecken dienten:

a) den Kriegsgeist in Deutschland zu erwecken,

b) die öffentliche Meinung im Ausland zu beeinflussen,

c) entweder Defaitismus in Polen oder einen scheinbaren Angriff durch Polen hervorzurufen.

5. Es ist offensichtlich mißlungen, eins der beiden letzteren Ziele zu erreichen.

6. Es ist bemerkenswert, daß Hitler Danzig kaum erwähnt hat.

7. Die deutsche Behandlung der tschechischen Juden und der polnischen Minderheit spielt allem Anschein nach keine Rolle im Vergleich zu den behaupteten Leiden der Deutschen in Polen, wo sie, wohlgemerkt, in keiner Gemeinde mehr als 10 Prozent der Bevölkerung betragen.

8. Angesichts dieser Tatsachen ist kaum daran zu zweifeln, daß, wenn Herr Hitler sich zum Kriege entschlossen hat, sein einziges Ziel die Zerstörung der Unabhängigkeit Polens ist.

9. Ich werde keine Gelegenheit verpassen, den Außenminister von der Notwendigkeit zu überzeugen, alles nur mögliche zu tun, um zu beweisen, daß die Behauptungen Hitlers in Bezug auf die deutsche Minderheit unwahr sind.«

Ferner haben wir eine weitere Bestätigung der Aussagen des Generals Lahousen in einer Aktennotiz, die erbeutet wurde; sie gibt eine Besprechung zwischen dem Schreiber und Keitel wieder. Es ist Dokument 795-PS, das GB-54 wird. Diese Unterhaltung mit Keitel fand am 17. August statt; ich zitiere den ersten Absatz aus der Aktennotiz. Er lautet:

»Ich melde Keitel meine Besprechung mit Jost. Er sagt, daß er sich um dieses Unternehmen nicht kümmern könne, da der Führer ihn nicht unterrichtet habe und ihm lediglich habe sagen lassen, daß wir Heydrich polnische Uniformen zur Verfügung stellen sollten. Er ist einverstanden, daß ich Generalstab unterrichte. Er sagt, daß er von derartigen Unternehmungen nicht viel hält, daß aber nichts zu machen sei, wenn sie vom Führer befohlen wären, er könne den Führer nicht fragen, wie er sich die Ausführung dieses speziellen Unternehmens dächte. Bezüglich Dirschau hat er entschieden, daß das Unternehmen nur durch die Armee durchgeführt werden soll.«

Das also, Herr Vorsitzender, war die Lage am Ende der ersten Woche im August, ich meine am Ende der dritten Woche im August. Am 22. August wurde der russisch-deutsche Nichtangriffspakt in Moskau unterzeichnet, und wir hörten in Hitlers Rede von diesem Tage an seine Oberbefehlshaber, daß der Pakt von der übrigen Welt mit Erschütterung aufgenommen worden sei. Tatsächlich wurden die Befehle zum Einfall in Polen sofort nach Unterzeichnung dieses Vertrages gegeben und die X-Stunde sollte tatsächlich früh am Morgen des 25. August sein. Es wurden Befehle gegeben, in den frühen Morgenstunden des 25. August in Polen einzufallen, und das werde ich gleich beweisen.

Am gleichen Tag, am 23. August, an dem der deutsch-russische Pakt in Moskau unterzeichnet wurde, erreichte England die Nachricht von der Unterzeichnung. Vom militärischen Gesichtspunkt aus betrachtet war natürlich ihre Bedeutung für Deutschland, besonders unter den gegebenen Umständen, ganz unverkennbar. Die Britische Regierung machte sofort ihre Position in einer letzten Hoffnung klar, und diese letzte Hoffnung bestand darin, daß sich die Deutsche Regierung dadurch vielleicht doch noch eines Besseren besinnen würde. Ich verweise auf Dokument TC-72, Nummer 56. Es ist das erste Dokument im vorletzten Teil des Dokumentenbuches, in dem der Ministerpräsident an Hitler schrieb. Dieses Dokument wird GB-55:

»Euer Exzellenz!

Euer Exzellenz werden bereits von gewissen Maßnahmen Kenntnis erhalten haben, die von Seiner Majestät Regierung getroffen und heute abend in der Presse und im Rundfunk bekanntgegeben wurden.

Diese Maßnahmen sind nach Ansicht Seiner Majestät Regierung notwendig geworden durch Truppenbewegungen, über die aus Deutschland berichtet worden ist, und durch die Tatsache, daß anscheinend die Ankündigung eines deutsch-sowjetischen Abkommens in gewissen Kreisen in Berlin als Anzeichen dafür aufgefaßt wird, daß eine Intervention seitens Großbritanniens zugunsten Polens nicht mehr eine Eventualität darstellt, mit der zu rechnen notwendig ist. Kein größerer Fehler könnte begangen werden. Welcher Art auch immer das deutsch-sowjetische Abkommen sein wird, es kann Großbritanniens Verpflichtung Polen gegenüber nicht ändern, wie Seiner Majestät Regierung wiederholt öffentlich und klar dargelegt hat, und die zu erfüllen sie entschlossen ist.

Es ist behauptet worden, daß, wenn die Regierung Seiner Majestät ihren Standpunkt im Jahre 1914 klarer gemacht hätte, jene große Katastrophe vermieden worden wäre. Unabhängig davon, ob dieser Behauptung Bedeutung beizulegen ist oder nicht, ist Seiner Majestät Regierung entschlossen, dafür zu sorgen, daß im vorliegenden Falle kein solch tragisches Mißverständnis entsteht.

Nötigenfalls ist Seiner Majestät Regierung entschlossen und bereit, alle ihr zur Verfügung stehenden Kräfte unverzüglich einzusetzen, und es ist unmöglich, das Ende einmal begonnener Feindseligkeiten abzusehen. Es würde eine gefährliche Täuschung sein, zu glauben, daß ein einmal begonnener Krieg frühzeitig enden würde, selbst wenn ein Erfolg auf einer der verschiedenen Fronten, an denen er geführt wird, erzielt worden sein sollte.«

Danach drang der Ministerpräsident in die Deutsche Regierung, den Versuch zu machen, die Schwierigkeit ohne Gewaltanwendung zu lösen, und schlug vor, daß ein Waffenstillstand erklärt werden sollte, während direkte Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen, der Polnischen und der Deutschen Regierung, stattfinden könnten. Ich zitiere nun die Worte des Premierministers Chamberlain:

»In diesem Augenblick gestehe ich, daß ich keinen an deren Weg sehen kann, um eine Katastrophe, die Europa in einen Krieg verwickeln wird, zu vermeiden. Im Hinblick auf die ernsten Folgen für die Menschheit, die aus der Handlungsweise ihrer regierenden Personen entspringen können, vertraue ich darauf, daß Euer Exzellenz meine Ihnen vorgelegten Darlegungen eingehend erwägen wollen.«

Am folgenden Tag, am 23. August, sandte Hitler eine Antwort an Ministerpräsident Chamberlain, dies ist Dokument TC-72, Nummer 60, das GB-56 wird. Er begann wieder damit, daß Deutschland stets die Freundschaft Englands gesucht und stets alles getan habe, um sie zu erringen. Andererseits habe Deutschland gewisse lebenswichtige Interessen, die es unmöglich aufgeben könne.

Ich zitiere nun den 3. Absatz:

»Deutschland war bereit, die Frage Danzigs und die des Korridors durch einen wahrhaft einmaligen großzügigen Vorschlag auf dem Wege von Verhandlungen zu lösen. Die von England ausgestreuten Behauptungen« – wir sehen hier die vollständige Verlogenheit der ganzen Geschichte – »über eine deutsche Mobilmachung gegen Polen, die Behauptung von Aggressionsbestrebungen gegenüber Rumänien, Ungarn usw., sowie die später abgegebenen sogenannten Garantieerklärungen hatten die Geneigtheit der Polen zu Verhandlungen auf einer solchen auch für Deutschland tragbaren Basis beseitigt.

Die von England Polen gegebene Generalzusicherung, ihm unter allen Umständen beizustehen, ganz gleich, aus welchen Ursachen ein Konflikt entstehen könnte, konnte in diesem Lande nur als eine Ermunterung aufgefaßt werden, nunmehr – gedeckt durch einen solchen Freibrief – eine Welle furchtbaren Terrors gegen die eineinhalb Millionen zählende deutsche Bevölkerung, die in Polen lebt, anlaufen zu lassen.«

Wieder kann ich nicht umhin, an den Bericht des Englischen Botschafters zu erinnern, auf den ich soeben hingewiesen habe.

»Die Greuel, die seitdem dort stattfinden, sind für die Betroffenen entsetzlich, für das dabei zusehen sollende Deutsche Reich als Großmacht unerträglich. Der Freien Stadt Danzig gegenüber hat Polen zahlreiche Rechtsverletzungen begangen, Forderungen ultimativen Charakters geschickt und mit der wirtschaftlichen Abdrosselung begonnen.«

Er fährt fort und sagt, daß »Deutschland nicht dulden wird, daß man die Verfolgung... fortsetzt« und daß die Tatsache einer britischen Garantie an Polen seinen Entschluß, diesem Zustand ein Ende zu bereiten, nicht beeinflusse.

Ich zitiere aus Abschnitt 7:

»Die Deutsche Reichsregierung hat Kenntnis davon bekommen, daß die Britische Regierung beabsichtigt, Mobilmachungsmaßnahmen durchzuführen, deren eindeutiger Charakter als nur gegen Deutschland gerichtet, nach den eigenen Erklärungen in Ihrem Schreiben an mich, Herr, Ministerpräsident, feststeht. Dies soll auch für Frankreich zutreffen. Da Deutschland niemals die Absicht hatte, sei es gegen England oder gegen Frankreich, militärische Maßnahmen, außer solchen defensiver Natur zu treffen, und – wie schon betont – nie beabsichtigte, und auch für die Zukunft nicht beabsichtigt, England oder Frankreich anzugreifen, kann es sich in dieser Ankündigung, wie Sie sie, Herr Ministerpräsident, in Ihrem Schreiben mir bestätigen, nur um einen in Aussicht genommenen Akt der Bedrohung des Reiches handeln. Ich teile daher Eurer Exzellenz mit, daß ich im Falle des Eintreffens dieser militärischen Ankündigungen die sofortige Mobilmachung der deutschen Wehrmacht anordnen werde.«

Wenn die Absichten der Deutschen Regierung friedliche gewesen wären, wenn sie wirklich Frieden und nicht Krieg gewollt hätten, was war dann der Zweck dieser Lügen? Dieser Lügen, daß sie niemals beabsichtigen, England oder Frankreich anzugreifen, daß sie keine Mobilmachung durchgeführt hätten, Erklärungen, von denen wir im Hinblick auf das, was wir jetzt in der Hand haben, wissen, daß es Lügen sind? Was war ihr Zweck, wenn ihre Absicht immer nur auf eine friedliche Lösung der Danziger Frage gerichtet war? Ich zitiere wieder aus dem letzten Abschnitt:

»Die Frage der Behandlung der europäischen Probleme im friedlichen Sinn kann nicht von Deutschland entschieden werden, sondern in erster Linie von jenen, die sich seit dem Verbrechen des Versailler Diktates jeder friedlichen Revision beharrlich und konsequent wider setzt haben. Erst nach der Änderung der Gesinnung der dafür verantwortlichen Mächte kann auch eine Änderung des Verhältnisses zwischen England und Deutschland in einem positiven Sinne eintreten. Ich habe Zeit meines Lebens für eine deutsch-englische Freundschaft gekämpft, bin aber durch das Verhalten der britischen Diplomatie – wenigstens bisher – von der Zwecklosigkeit eines solchen Versuches überzeugt worden. Wenn sich dies in der Zukunft ändern würde, könnte niemand glücklicher sein als ich.«

Am 25. August wurde der formelle englisch-polnische gegenseitige Beistandspakt in London unterzeichnet. Es ist nicht nötig, dieses Dokument zu verlesen. Der Gerichtshof wird sich des Inhalts wohl erinnern. Beide Regierungen verpflichten sich zur gegenseitigen Hilfeleistung im Falle eines Angriffs gegen eine von ihnen durch eine dritte Macht. Ich verweise auf Dokument TC-73, Nummer 91, das GB-57 wird. Auf die Tatsache seiner Unterzeichnung werde ich sogleich zurückkommen. Aber vielleicht ist es angebracht, während wir uns mit dem Briefwechsel zwischen dem englischen Ministerpräsidenten und Hitler befassen, auch auf einen ähnlichen Briefwechsel zwischen dem französischen Ministerpräsidenten, Herrn Daladier, und Hitler hinzuweisen, der ein paar Tage später stattfand. Ich möchte Sie hierauf besonders aufmerksam machen, weil es wünschenswert ist, zu zeigen, wie überlegt die Deutsche Regierung ihren Angriffsplan auszuführen begann!

»Der Französische Botschafter in Berlin hat mir Ihre persönliche Mitteilung zur Kenntnis gebracht.« – Dies ist am 26. August geschrieben. – »In der Stunde, wo Sie von der schwersten Verantwortung sprechen, die zwei Regierungschefs unter Umständen übernehmen können, das heißt, das Blut von zwei großen Völkern, die sich nur nach Frieden und Arbeit sehnen, zu vergießen, bin ich Ihnen persönlich und unseren beiden Völkern schuldig zu sagen, daß das Schicksal des Friedens noch in Ihren Händen liegt.

Sie können weder an meinen Gefühlen Deutschland gegenüber noch an den friedlichen Gefühlen Frankreichs für Ihre Nation einen Zweifel hegen. Kein Franzose hat mehr als ich selbst getan, um zwischen unseren beiden Völkern nicht nur den Frieden, sondern eine aufrichtige Zusammenarbeit in ihrem eigenen Interesse sowie im Interesse Europas und der Welt zu festigen.

Falls Sie nicht dem französischen Volke einen weniger hohen Begriff von Ehre zutrauen, als ich selbst dem deutschen Volke zuerkenne, können Sie nicht in Zweifel ziehen, daß Frankreich seine Verpflichtungen anderen Mächten gegenüber loyal erfüllt, so auch Polen gegenüber, das, wie ich überzeugt bin, mit Deutschland in Frieden leben möchte.

Diese beiden Überzeugungen sind vollkommen vereinbar.

Bis heute gibt es nichts, das eine friedliche Lösung der internationalen Krise in Ehren und Würden für alle Völker verhindern könnte, wenn auf allen Seiten der gleiche Friedenswille besteht.

Zusammen mit dem guten Willen Frankreichs bekunde ich denjenigen aller seiner Verbündeten. Ich übernehme persönlich die Garantie für die Bereitschaft Polens, die dieses Land immer gezeigt hat, sich einer gegenseitigen Anwendung eines Verfahrens der offenen Regelung zu unterwerfen, wie es zwischen den Regierungen zweier souveräner Nationen vorstellbar ist. Mit dem besten Gewissen kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß es unter den zwischen Deutschland und Polen mit Bezug auf die Danziger Frage entstandenen Differenzen keine gibt, die einem solchen Verfahren zum Zwecke einer friedlichen und gerechten Lösung nicht unterworfen werden könnte.

Überdies kann ich auf meine Ehre erklären, daß nichts in der klaren und loyalen Solidarität Frankreichs mit Polen und seinen Verbündeten vorhanden ist, was die friedliche Haltung meines Landes irgendwie beeinträchtigen könnte. Diese Solidarität hat uns niemals daran gehindert und hindert uns auch heute nicht, Polen in dieser friedlichen Gesinnung zu erhalten.

In einer so schweren Stunde glaube ich aufrichtig, daß kein edelgesinnter Mensch es verstehen könnte, daß ein Vernichtungskrieg entfesselt wird, ohne daß ein letzter Versuch zu einer friedlichen Regelung zwischen Deutschland und Polen gemacht worden wäre. Ihr Friedenswille könnte mit aller Bestimmtheit für dieses Ziel arbeiten, ohne der deutschen Ehre irgendwie Abbruch zu tun. Ich als Chef der Französischen Regierung, der ich das gute Verständnis zwischen dem französischen und dem deutschen Volke wünsche, und der ich andererseits durch Bande der Freundschaft und durch ein Versprechen mit Polen verbunden bin, bin bereit, alles zu tun, was ein aufrechter Mann tun kann, um diesen Versuch zu einem guten Ende zu führen.

Sie und ich waren in den Schützengräben des letzten Krieges. Sie wissen wie ich, welchen Abscheu und welche Verurteilung die Verwüstungen jenes Krieges im Gewissen der Völker hinterlassen haben, ohne Rücksicht auf das Resultat des Krieges. Das Bild, das ich mir vor meinem geistigen Auge von Ihrer hervorragenden Rolle machen kann, die Sie als Führer des deutschen Volkes auf dem Wege des Friedens, auf dem Wege zur Vollendung seiner Aufgabe an dem gemeinsamen Werk der Zivilisation spielen, führt mich dazu, eine Antwort auf diesen Vorschlag zu erbitten.

Wenn französisches und deutsches Blut von neuem vergossen werden soll, wie es vor 25 Jahren vergossen wurde, in einem noch längeren und mörderischeren Krieg, dann wird jede der beiden Nationen kämpfen im Glauben an seinen eigenen Sieg. Die sichersten Siege aber werden die Zerstörung und die Barbarei sein.«

VORSITZENDER: Ich glaube, wir werden uns nun bis 14.00 Uhr vertagen.