[Der Gerichtshof vertagt sich bis
10. Dezember 1945, 10.00 Uhr.]
Sechzehnter Tag.
Montag, 10. Dezember 1945.
Vormittagssitzung.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat einen Brief des Herrn Dr. Dix, Verteidiger für den Angeklagten Schacht, erhalten. In Beantwortung desselben wünscht der Gerichtshof die Verteidiger zu informieren, daß laut Artikel 24 (h) des Statuts ihnen nur eine Rede zusteht, und daß diese Rede nach Beendigung der gesamten Beweisaufnahme zu erfolgen hat.
Nach Beendigung der Beweisführung durch die Anklagevertreter wird den Verteidigern die Möglichkeit gegeben werden, dem Gerichtshof ihr Beweismaterial vorzulegen, das sich aber lediglich auf die Namensnennung von Zeugen und Tatsachen, die in ihrem Beweismaterial vorhanden sind, beschränken muß. Diese Beweisanbietung soll nicht in Form einer Rede vorgebracht werden. Ist das klar? Um irgendwelchen Mißverständnissen vorzubeugen, wird das soeben Gesagte im Informationszentrum der Verteidigung auf der Mitteilungstafel zur eingehenden Kenntnisnahme angeschlagen werden.
MR. ALDERMAN: Hoher Gerichtshof! Bei Vertagung der Verhandlung letzten Freitag bin ich in meinen Ausführungen über den Angriff gegen die USSR bis zu dem Zeitpunkt gekommen, da die Nazi-Verschwörer nach Ende der Kampfhandlungen im Westen die Entwicklung ihrer Pläne für den Angriff gegen die Sowjetunion begannen. Die vorläufigen Planungen und Aktionen befanden sich in einem fortgeschrittenen Stadium. Hitler hatte Anfang November bemerkt, daß detailliertere und bestimmte Instruktionen herausgegeben würden. Diese Instruktionen würden erscheinen, sobald die Operationspläne der Wehrmacht ihm im allgemeinen vorgelegt und von ihm genehmigt worden seien. Damit haben wir den Punkt im Ablauf der Ereignisse erreicht, den wir in der am letzten Freitag vorgelegten Skizze als Teil 3 des Planes »Barbarossa« bezeichnet haben. Nachdem am 18. Dezember 1940 der allgemeine Grundriß des Operationsplanes der Wehrmacht Hitler vorgelegt worden war, erging die grundlegende strategische Weisung an das Oberkommando des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe für »Barbarossa« als Weisung Nummer 21.
Auf diese Weisung, die zum erstenmal den Plan einer Invasion gegen die Sowjetunion zeigt, wurde in einem Befehl besonders Bezug genommen, obwohl er als Geheime Kommandosache bezeichnet war. Er benützt auch zum erstenmal den Decknamen »Barbarossa«, um diese Operation zu kennzeichnen.
Diese Weisung ist 446-PS und wurde im Laufe meiner Eröffnungsdarlegungen als Beweisstück US-31 unterbreitet. Da sie seinerzeit eingehend besprochen wurde, glaube ich, ist es ausreichend, den Gerichtshof jetzt lediglich an zwei oder drei der wichtigsten Sätze dieser Urkunde zu erinnern. Die meisten derselben befinden sich auf der ersten Seite der englischen Übersetzung. Ich glaube, einer der bezeichnendsten Sätze ist der Satz, mit dem der Befehl beginnt:
»Die deutsche Wehrmacht muß darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrußland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen.«
Auf der gleichen Seite heißt es:
»Vorbereitungen, die eine längere Anlaufzeit benötigen, sind – soweit nicht geschehen – schon jetzt in Angriff zu nehmen und bis zum 15. Mai 1941 abzuschließen. Entscheidender Wert ist darauf zu legen, daß die Absicht eines Angriffs nicht erkennbar wird.«
Die Weisung legt dann die Strategie in großen Zügen nieder, mit welcher der beabsichtigte Angriff vorschreiten solle, und den Anteil, welchen die verschiedenen Wehrmachtteile, Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe, daran hätten und sah mündliche Berichte der Oberbefehlshaber an Hitler vor.
Die Weisung schloß wie folgt:
»V.« – das ist auf Seite 2 – »Vorträgen der Herren Oberbefehlshaber über ihre weiteren Absichten auf Grund dieser Weisung sehe ich entgegen.
Die beabsichtigten Vorbereitungen aller Wehrmachtteile sind mir, auch in ihrem zeitlichen Ablauf, über das Oberkommando der Wehrmacht zu melden.«
Unterzeichnet von Hitler, und mit ihren Anfangsbuchstaben gezeichnet von Jodl, Keitel, Warlimont; ein Name ist unleserlich.
Es ist vollkommen klar, sowohl aus dem Inhalt des Befehls als solchen, wie auch aus seinem Ursprung, den ich bereits skizziert habe, daß diese Weisung nicht lediglich eine Übung in Generalstabsplanung darstellte. Es war ein Befehl für die Vorbereitung einer Angriffshandlung, die geplant war, und die sich tatsächlich ereignete. Die verschiedenen Wehrmachtteile, die den Befehl erhielten, faßten ihn zweifelsohne als einen Befehl zur Vorbereitung für einen Kampf auf und nicht als ein hypothetisches Stabsproblem. Das ergibt sich klar aus der in Einzelheiten gehenden Planung und Vorbereitung, die sie sofort in die Wege leiteten, um den in der grundlegenden Weisung enthaltenen allgemeinen Plan in die Tat umzusetzen.
So kommen wir jetzt zur militärischen Planung und Vorbereitung für die Durchführung des Planes »Barbarossa«.
Das Seekriegstagebuch zeigt unter dem 13. Januar 1941, daß das OKM sehr bald den Teil der Weisung Nummer 21 erfüllte, der anordnete, daß Fortschritte in den Vorbereitungen über das Oberkommando der Wehrmacht an Hitler zu melden seien. Diese Eintragung in dem Kriegstagebuch ist Dokument C-35 in unserer Serie, und ich unterbreite es als US-132.
Dieses Dokument enthält einen wesentlichen Teil technischer Informationen bezüglich der Rolle, welche die Kriegsmarine in dem bevorstehenden Feldzug spielen sollte, und der Weise, wie sie sich für diese Rolle vorbereitete. Ich glaube jedoch, daß für die Klarstellung unseres Beweispunktes, nämlich daß die Marine aktive Vorbereitung für einen Angriff zu diesem frühen Zeitpunkt traf, es ausreichend ist, nur einen kleinen Abschnitt dieser Tagebucheintragung in das Protokoll zu verlesen. Auf Seite 1 der englischen Übersetzung, die der Seite 401 des Tagebuchs entspricht, heißt es wie folgt:
»30. Januar 1941: Vortrag Ia über die dem Oberkommando der Wehrmacht einzureichenden Absichten und Anträge für den Fall ›Barbarossa‹.«
Ich darf vielleicht bemerken, daß »Ia« in diesem Falle die Abkürzung für: »Stellvertretender Chef der Seekriegsleitung« ist. Dann folgt eine Liste von den Absichten der Kriegsmarine im Kriege gegen Rußland. Unter letzteren sind viele Aufgaben für die Kriegsmarine vorgesehen, aber ich glaube, daß es genügt, dem Gerichtshof ein Beispiel zu geben, das typisch ist. Ich lese von Beginn der Seite 2 der englischen Übersetzung:
»II. Absichten der Kriegsführung gegenüber Rußland...
d) Beunruhigung russischer Flotte durch Überraschungsschläge wie: 1. Schlagartiger Einsatz von Luftkampf verbänden bei Kriegsbeginn gegen Stützpunkte und Seestreitkräfte in der Ostsee, Schwarzem Meer und Eismeer.«
Es ist lediglich das Ziel der Vorlage dieses Dokuments, die ins einzelne gehende Überlegung und Planung zur Durchführung des Planes »Barbarossa« zu zeigen, die beinahe sechs Monate, bevor das Unternehmen tatsächlich seinen Anfang nahm, im Gange war. Es ist nur ein weiteres Stück in dem Mosaik des Beweismaterials, das über alle Zweifel hinaus zeigt, daß die Invasion der Sowjetunion einen der kaltblütigsten und mit Vorbedacht ausgeführten Angriffe auf einen Nachbarstaat in der Weltgeschichte darstellt. In ähnlicher Weise enthält das Seekriegstagebuch für den Monat Februar zumindest einige Hinweise auf die Planung und die Vorbereitung des kommenden Feldzuges. Auszüge dieser Hinweise sind in Dokument C-33 enthalten, das ich als Beweisstück US-133 vorlege. Ich glaube, daß es genügt, als typisch die Eintragung für den 19. Februar 1941 zu Protokoll zu geben, die auf Seite 3 der englischen Übersetzung und auf Seite 248 des Tagebuches selbst zu finden ist:
»Mit Rücksicht auf die bevorstehende Unternehmung ›Barbarossa‹, zu der alle ›S‹-Boote in der Ostsee gebraucht werden, kommt eine Überführung erst nach Ab lauf der Unternehmung ›Barbarossa‹ in Frage.«
Am 3. Februar 1941 hielt der Führer eine Besprechung ab, um die Fortschritte, die bis jetzt im Plane »Barbarossa« gemacht worden waren, zu bewerten. Die Teilnehmer besprachen auch die Pläne für »Sonnenblume«, welches der Deckname für die nordafrikanischen Operationen war. Außer Hitler nahmen an dieser Konferenz teil der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, der Angeklagte Keitel; der Chef des Wehrmachtführungsstabes, der Angeklagte Jodl; der Oberbefehlshaber des Heeres, Brauchitsch; der Generalstabschef des Heeres, Halder, sowie mehrere andere, einschließlich Oberst Schmundt, der Adjutant Hitlers. Ein Bericht über diese Besprechung ist in unserem Dokument 872-PS enthalten, das ich als Beweisstück US-134 unterbreite. Im Verlauf dieser Konferenz erstattete der Generalstabschef des Heeres einen langen Bericht über die Stärke des Feindes im Vergleich zu den eigenen Kräften und die allgemeinen Gesamtpläne für das Invasionsunternehmen. Dieser Bericht wurde mehrfach durch Zwischenbemerkungen des Führers unterbrochen. Auf Seite 4 der englischen Übersetzung des Protokolls der Besprechung, Seite 5 des deutschen Originals, ist ein interessanter Auszug, der, obwohl nur in Stichworten, es jedoch zur Genüge klarstellt, daß sorgfältig ausgearbeitete Pläne für den Zeitablauf bereits bestanden, und zwar sowohl für den Aufmarsch von Truppen als auch für industrielle Operationen. Ich lese:
»Beabsichtigter Zeitablauf wird kartenmäßig vorgetragen.
1. Aufmarschstaffel z. Zt. Austausch Front-Heimat- Osten.
2. Aufmarschstaffel ab Mitte März gibt 3 Div. Verstärkung im Westen, es verschwinden im Westen aber Heeresgruppen und AOKs im Osten bereits wesentliche Verstärkungen, aber noch im rückwärtigen Gebiet. Von dieser Zeit ab ist Attila nur noch schwierig durchzuführen.«
Ich möchte einfügen, daß »Attila« der Deckname für die Operation der Besetzung des unbesetzten Frankreich war.
»Wirtschaftsverkehr wird durch Transportbewegungen gedrosselt. Ab Anfang April Ungarn wegen Durchmarsch angehen.
3. Aufmarschstaffel ab Mitte April. Jetzt Felix nicht mehr möglich, da Masse der Heeresartillerie verladen.«
»Felix« war der Deckname für die geplante Operation gegen Gibraltar.
»Wirtschaftlich Höchstleistungsfahrplan in Kraft. Keine Tarnung mehr.
4. Staffel ab 25. IV. – 15. V. zieht wesentliche Kräfte aus dem Westen ab (Seelöwe nicht mehr durchführbar).«
»Seelöwe« war der Deckname für die geplante Aktion gegen England und »Marita« war der Deckname für die Aktion gegen Griechenland, von dem wir später hören werden.
»Aufmarsch im Osten klar erkennbar. Höchstleistungsfahrplan bleibt. 8 Maritadivisionen zeigt Schlußbild der Kräfteverteilung auf Karte. Ob.d.H. (Oberkommandierender des Heeres) bittet 5 Überwachungsdivisionen nicht mehr hierfür einsetzen zu müssen, sondern diese Kräfte als Befehlshaberreserven im Westen bereitzustellen.
Führer: Wenn Barbarossa steigt, hält die Welt den Atem an und verhält sich still.«
Dieses gemeinsam mit den Beschlüssen der Besprechung, die ich sogleich verlesen werde, genügt als Beweis, daß die Armee und die Kriegsmarine »Barbarossa« als eine direkte Angriffsweisung betrachteten und mit ihren Kriegsvorbereitungen schon im Februar 1941, fast 5 Monate vor dem 22. Juni, dem Tage des Beginns des Angriffs, in einem fortgeschrittenen Stadium waren. Der Sitzungsbericht faßt die getroffenen Beschlüsse, soweit sie den Plan »Barbarossa« betreffen, wie folgt zusammen; ich lese nun auf Seite 6 der englischen Übersetzung, Seite 7 des deutschen Textes:
» Zusammenfassung.
1. Barbarossa:
a) Führer mit Operationsanlage im Großen einverstanden. Bei Durcharbeitung Hauptziel, Baltikum und Leningrad in die Hand zu bekommen, vor Augen haben.
b) Führer wünscht Operationskarte und Kräfteverteilungskarte von Aufmarschabschnitten baldmöglichst zu erhalten.
c) Absprachen mit beteiligten Anliegerstaaten dürfen erst eingeleitet werden, wenn Tarnung nicht mehr möglich. Ausnahme Rumänien bzgl. Verstärkung Moldau.
d) Attila muß in jedem Fall durchführbar sein (Behelfsmittel).
e) Aufmarsch Barbarossa wird als Täuschung für Seelöwe und Nebenmaßnahme Marita getarnt.«
Am 13. März 1941 unterzeichnete der Angeklagte Keitel Operationsrichtlinien zur Führerweisung Nummer 21, die in der Form von »Richtlinien auf Sondergebieten« herausgegeben wurden. Dieser ins einzelne gehende Operationsbefehl ist Dokument 447-PS, und ich unterbreite es jetzt als US-135.
Dieser Befehl, der mehr als drei Monate vor dem Angriff erteilt wurde, zeigt die Vollständigkeit des Planes in allen Phasen des Unternehmens.
Abschnitt 1 der Richtlinien trägt die Überschrift: »Operationsgebiet und vollziehende Gewalt« und besagt, wer die Kontrolle haben sollte, über welche Teile und in welchem Abschnitt. Darin wird ausgeführt, daß während der Dauer des Feldzuges in den Vormarschgebieten der Oberbefehlshaber des Heeres die vollziehende Gewalt habe. Während dieser Zeit ist jedoch der Reichsführer SS mit Sonderaufgaben betraut. Diese Beauftragung wird im Absatz 2b erwähnt, auf Seite 1 der englischen Übersetzung.
Er lautet:
»b) Im Operationsgebiet des Heeres erhält der Reichsführer SS zur Vorbereitung der politischen Verwaltung Sonderaufgaben im Auftrage des Führers, die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme ergeben. Im Rahmen dieser Aufgaben handelt der Reichsführer SS selbständig und in eigener Verantwortung. Im übrigen wird die dem Ob.d.H. und den von ihm beauftragten Dienststellen übertragene vollziehende Gewalt hierdurch nicht berührt. Der Reichsführer SS sorgt dafür, daß bei Durchführung seiner Aufgaben die Operationen nicht gestört werden. Näheres regelt das OKH mit dem Reichsführer SS unmittelbar.«
Der Befehl führt dann weiter aus, daß einige Zeit später eine politische Verwaltung von Reichskommissaren aufgestellt würde und bespricht das Verhältnis dieser Funktionäre zum Heer. Dies finden wir in Absatz 2c und Absatz 3, von denen ich Teile verlesen möchte.
»c) Sobald das Operationsgebiet eine ausreichende Tiefe erreicht hat, wird es rückwärts begrenzt. Das neubesetzte Gebiet rückwärts des Operationsgebietes erhält eine eigene politische Verwaltung. Es wird entsprechend den volkstumsmäßigen Grundlagen und in Anlehnung an die Grenzen der Heeresgruppen zu nächst in Nord (Baltikum), Mitte (Weißrußland) und Süd (Ukraine) unterteilt. In diesen Gebieten geht die politische Verwaltung auf Reichskommissare über, die ihre Richtlinien vom Führer empfangen.
3. Zur Durchführung aller militärischen Aufgaben in den politischen Verwaltungsgebieten rückwärts des Operationsgebietes werden Wehrmachtsbefehlshaber eingesetzt, die dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht unterstehen. Der Wehrmachtsbefehlshaber ist der oberste Vertreter der Wehrmacht in dem betreffenden Gebiet und übt die militärischen Hoheitsrechte aus. Er hat die Aufgaben eines Territorial-Befehlshabers und die Befugnisse eines Armee-Oberbefehlshabers bzw. Kommandierenden Generals. In dieser Eigenschaft obliegen ihm vor allem folgende Aufgaben:
a) Enge Zusammenarbeit mit dem Reichskommissar, um ihn in seiner politischen Aufgabe zu unterstützen,
b) Ausnutzung des Landes und Sicherung seiner wirtschaftlichen Werte für die Zwecke der deutschen Wirtschaft.«
Die Weisung legt auch die Verantwortung für die Wirtschaftsverwaltung in den besetzten Gebieten fest, einen Gegenstand, auf den ich noch später ausführlich zurückkommen werde. Diese Bestimmung ist auch im Abschnitt I, Absatz 4, enthalten, den ich verlesen möchte:
»4. Mit der einheitlichen Leitung der Wirtschaftsverwaltung im Operationsgebiet und in den politischen Verwaltungsgebieten hat der Führer den Reichsmar schall beauftragt, der diese Aufgaben dem Chef des Wi Rü Amtes übertragen hat. Besondere Richtlinien hierzu ergehen vom OKW/Wi Rü Amt.«
Der zweite Abschnitt behandelt Personen-, Warenverkehr und...
VORSITZENDER: Herr Alderman, können Sie uns nicht die Namen dieser Leute nennen? Wer ist der Reichsmarschall?
MR. ALDERMAN: Der Reichsmarschall ist der Angeklagte Göring.
VORSITZENDER: Und wer war Reichsführer der SS zu der Zeit?
MR. ALDERMAN: Himmler.
VORSITZENDER: Himmler?
MR. ALDERMAN: Ja.
Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit Personen-, Waren- und Nachrichtenverkehr. Ich werde ihn jetzt nicht verlesen.
Abschnitt III der Weisung betrifft die Beziehungen zu gewissen anderen Ländern und besagt zum Teil das Folgende. Ich werde jetzt von Seite 3 der englischen Übersetzung vorlesen:
»III. Richtlinien für Rumänien, Slowakei, Ungarn und Finnland.
9. Die erforderlichen Vereinbarungen mit diesen Staaten werden entsprechend den Anträgen der Oberkommandos vom OKW in Verbindung mit dem Auswärtigen Amt getroffen. Soweit darüber hinaus im weiteren Verlauf der Operationen besondere Rechte sich als notwendig erweisen sollten, sind sie beim OKW zu beantragen.«
Das Dokument schließt mit dem Abschnitt, der sich auf Schweden bezieht und der sich auch auf Seite 3 der englischen Übersetzung befindet:
»IV. Richtlinien für Schweden.
12. Da Schweden lediglich ein Durchmarschgebiet werden kann, sind für den Befehlshaber der deutschen Truppen keine besonderen Befugnisse vorgesehen. Er ist jedoch berechtigt und verpflichtet, den unmittelbaren Schutz der Eisenbahntransporte gegen Sabotageakte und Angriffe sicher zu stellen. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht:«
Unterschrift: »Keitel«.
Wie in dem ursprünglichen Befehl »Barbarossa«, Weisung Nummer 21, den ich vorher besprochen habe, hatte der Plan zunächst beabsichtigt, daß der Angriff ungefähr am 15. Mai 1941 stattfinden sollte. In der Zwischenzeit fanden sich die Nazi-Verschwörer jedoch in einen Feldzug im Balkan verwickelt und waren gezwungen, »Barbarossa« auf einige Wochen zu verschieben. Beweis für diese Verschiebung ist in einem Dokument zu finden, das unsere Nummer C-170 trägt. Dieses Dokument wurde von dem Angeklagten Raeder als eine Zusammenstellung offizieller Auszüge aus dem Kriegstagebuch der Seekriegsleitung identifiziert. Es wurde von Marinearchivaren verfaßt, die zu den Akten des Admiralstabs Zugang hatten, und es enthält Aktenverweise auf Urkunden, die die Grundlage für jede Eintragung bilden. Ich unterbreite diese Urkunde als US-136.
Obwohl ich später auf dieses Dokument zurückkommen werde, mochte ich zunächst nur einen Punkt vorlesen, der im zweiten Abschnitt des Artikels 142 auf Seite 19 der englischen Übersetzung erscheint und der sich im Wortlaut und in einer Fußnote auf Seite 26 des deutschen Originals befindet. Dieser Artikel trägt das Datum des 3. April 1941 und lautet folgendermaßen:
»Balkanoperation verzögert ›Barbarossa‹ zunächst um rund 5 Wochen. Alle Maßnahmen, die auf offensives Vorgehen schließen lassen, sind auf Führerbefehl zurückzustellen.«
Ende April war die Lage genügend geklärt, um dem Führer zu gestatten, endgültig den X-Tag auf den 22. Juni 1941 festzulegen, also für mehr als 7 Wochen später.
Dokument 873-PS ist ein Bericht, »Geheime Kommandosache«, und bezieht sich auf eine Konferenz mit dem Chef der Abteilung »Landesverteidigung des Wehrmachtführungsstabes« vom 30. April 1941. Ich lege dieses Dokument als Beweisstück US-137 vor.
Ich glaube, daß es genügen wird, die ersten zwei Absätze des Berichts zu verlesen:
»1. Zeitplan Barbarossa. Der Führer hat entschieden:
Beginn Barbarossa 22. Juni.
Ab 23. Mai Höchstleistungsfahrplan.
Zu Beginn der Operationen sind OKH-Reserven in den vorgesehenen Räumen noch nicht eingetroffen.
2. Stärke-Verhältnis im Fall Barbarossa:
Abschnitt Nord: Deutsche und russische Kräfte etwa gleich;
Abschnitt Mitte: Starke deutsche Überlegenheit;
Abschnitt Süd: Russische Überlegenheit.«
Anfangs Juni, fast 3 Wochen vor dem X-Tag, waren die Vorbereitungen für den Angriff soweit vervollständigt, daß es für das OKH möglich war, einen wohlausgearbeiteten Zeitplan herauszugeben, der in großen Einzelheiten die Aufstellung und Aufgaben des Heeres, der Marine und Luftwaffe zeigte. Dieser Zeitplan ist C-39, und ich lege ihn als US-138 vor.
Dieses Dokument ist in 21 Ausfertigungen erschienen und die Ausfertigung, die ich hier vorlege, war die dritte, die dem Oberkommando der Kriegsmarine übergeben wurde. Seite 1 ist in Form eines Sendeschreibens und lautet wie folgt:
»Geheime Kommandosache
Oberkommando der Wehrmacht
Führerhauptquartier
Nr. 44842/41
g.k. Chefs. WFSt/Abt. L (I Op.)
Chef Sache 21 Ausfertigungen
Nur durch Offizier3. Ausfertigung
(Eingangsstempel:) Ob. d.M.
I op 00845/41
Eing: 6. 6.
Anlagen: –
Der Führer hat anliegende Zeittafel als Grundlage der weiteren Vorbereitungen für den Fall ›Barbarossa‹ genehmigt. Sollten beim Ablauf Änderungen erforderlich werden, ist dies dem Oberkommando der Wehrmacht zu melden.
Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht
gez.: Keitel«
Ich werde mir nicht die Mühe nehmen, den Verteilungsplan vorzulesen, der anzeigt, an wen die 21 Ausfertigungen gingen.
VORSITZENDER: Herr Alderman, der Gerichtshof glaubt nicht, daß es notwendig ist, alle diese vorhergehenden Zeichen am Kopfe dieser Dokumente zu verlesen, wie »Geheime Kommandosache«, »Nur durch Offizier« und die verschiedenen Refereznummern und Aktenvermerke, wenn Sie die Benennung eines Dokuments vornehmen.
MR. ALDERMAN: Ja, Herr Vorsitzender.
Die nächsten zwei Seiten des Dokuments sind in Textform und geben den Stand der Vorbereitungen am 1. Juni 1941 an. Der Umriß zerfällt in sechs Abschnitte, der den Stand an diesem Datum unter sechs Überschriften angibt: Allgemeines, Besprechungen mit befreundeten Staaten, Heer, Kriegsmarine, Luftwaffe und Tarnung.
Ich glaube, es ist unnötig, etwas aus diesem Textmaterial für das Protokoll zu verlesen. Der Rest des Dokuments ist in Form einer Tabelle angelegt mit sieben Kolonnen, die von links nach rechts gehend oben auf jeder Seite folgende Bezeichnungen tragen: Zeitpunkt, Laufende Nummer, Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine, OKW und Bemerkungen.
Am interessantesten von den Eintragungen auf dieser Tabelle ist...
VORSITZENDER: Herr Alderman, wollen Sie bitte den ersten Abschnitt verlesen, der uns wichtig erscheint. Es sind zwei Zeilen.
MR. ALDERMAN: Ja, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Die Überschrift »Allgemeines« auf Seite 2.
MR. ALDERMAN: Ja, Herr Vorsitzender.
»1. ›Allgemeines‹: Am 22. Mai ist der Höchstleistungsfahrplan für den Ostaufmarsch angelaufen.«
VORSITZENDER: Ja.
MR. ALDERMAN: Die interessanteste Eintragung, die auf dieser Tabelle erscheint, ist die der Seiten 9 und 10. Diese befinden sich auf Seite 8 des deutschen Textes. Am Ende der Seite 9 heißt es in den Kolonnen für Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe – ich zitiere:
»Bis 13.00 Uhr spätester Anhaltetermin.«
In der Kolonne mit der Überschrift OKW befindet sich eine Notiz, und ich zitiere weiter:
»Anhalten durch Stichwort ›Altona‹ oder nochmalige Bestätigung des Angriffsbeginns durch Stichwort ›Dortmund‹.«
In der Kolonne »Bemerkung« steht:
»Völlige Enttarnung der Treffpunktbildung beim Heer (Panzer- und Artillerieaufmarsch) muß in Kauf genommen werden.«
Die zweite Eintragung auf Seite 10 dieser Tabelle für den 22. Juni unter der laufenden Nummer 31 ist ein Vermerk, der quer über die Kolonnen für Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine und OKW läuft und unter der Überschrift »Angriffstag« vorsieht:
»Uhrzeit für Angriffsbeginn des Heeres und Grenzüberflug der Luftwaffe: 3.30 Uhr.«
In der Kolonne »Bemerkungen« heißt es:
»Antreten des Heeres unabhängig von etwa durch Witterung verzögertem Start der Luftwaffe.«
Die anderen Teile der Tabelle sind in ähnlicher Weise, wie ich sie schon zitiert habe, gehalten und behandeln, wie ich bereits gesagt habe, in allen Einzelheiten Verteilung und Aufgaben der verschiedenen Wehrmachtteile. Am 9. Juni 1941 kam der Befehl des Führers heraus, daß endgültige Berichte über den Fall »Barbarossa« in Berlin am 14. Juni 1941, gerade 8 Tage vor »X-Tag«, erstattet werden sollten. Dieser Befehl war von Hitlers Adjutant Schmundt unterschrieben und trägt die Nummer C-78 in unserer numerierten Dokumentenserie. Ich unterbreite ihn als US-139.
Ich verlese jetzt von Seite 1 die Stelle unter der Überschrift »Besprechung Barbarossa«:
1. Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht hat Vortrag für ›Barbarossa‹ durch die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen, Armeen und gleichgestellte Befehlshaber der Kriegsmarine und Luftwaffe befohlen.
2. Die Vorträge finden am Sonnabend, dem 14. Juni 1941, in der Reichskanzlei Berlin statt.
3. Zeiteinteilung:
a) 11.00 Uhr ›Silberfuchs‹
b) 12.00 bis 14.00 Uhr ›Heeresgruppe Süd‹
c) 14.00 bis 15.30 Uhr Gemeinsamer Mittagtisch für alle Besprechungsteilnehmer
d) ab 15.30 Uhr ›Ostsee‹, ›Heeresgruppe Nord‹ und ›Heeresgruppe Mitte‹ in dieser Reihenfolge.«
Der Befehl war von Schmundt unterschrieben. Eine Liste der Teilnehmer war beigefügt, und sie enthielt auch die Reihenfolge, in der sie ihre Berichte erstatten sollten; letzteres werde ich nicht verlesen. Die Liste enthält jedoch eine große Anzahl von Mitgliedern der angeklagten Oberkommando- und Generalstabsgruppe zu diesem Zeitpunkt. Natürlich befanden sich unter denen, die teilnehmen sollten, die Angeklagten Göring, Keitel, Jodl und Raeder. Ich glaube, daß die Urkunden, die ich angeführt und aus denen ich verlesen habe, mehr als ausreichen, um die Vorsätzlichkeit und die kaltblütige Berechnung schlüssig zu beweisen, die die militärischen Vorbereitungen für die Invasion der Sowjetunion kennzeichnen. Die Nazi-Verschwörer begannen beinahe ein Jahr vor der Begehung des Verbrechens mit der Planung und Vorbereitung aller militärischen Einzelheiten ihres Angriffs auf die Sowjetunion, und zwar mit jener Gründlichkeit und Sorgfalt, die für uns ein Synonym für den deutschen Charakter ist. Obgleich verschiedene dieser Angeklagten besondere Rollen in dieser militärischen Phase der Planung und Vorbereitung für den Angriff spielten, ist es nur natürlich, daß, wie wir gesehen haben, die Militärs, nämlich die Angeklagten Göring, Keitel, Jodl und Raeder, die Hauptrollen innehatten.
Als nächstes die Vorbereitung für Plünderung, die Pläne für die wirtschaftliche Ausnutzung und Ausraubung der Sowjetunion.
Die Nazi-Verschwörer trafen die einzelnen Vorbereitungen für den Überfall nicht nur von einem rein militärischen Standpunkt, sondern, um sich zu versichern, daß ihr Angriff auch von wirtschaftlichem Nützen sei, wurde er von den Nazi-Verschwörern in dieser Hinsicht ebenso ausführlich und im einzelnen geplant und vorbereitet. Etwas später in meiner Beweisführung werde ich gegenüber dem Gerichtshof die Motive besprechen, welche diese Verschwörer veranlaßten, ohne Herausforderung einen Nachbarstaat anzugreifen. Ich werde zu gegebener Zeit beweisen, daß das Verbrechen sowohl aus politischen als auch wirtschaftlichen Erwägungen begangen wurde. Die wirtschaftliche Basis kann an diesem Punkt jedoch einfach zusammengefaßt werden als die Sucht der Nazi- Verschwörer nach Erlangung der Rohmaterialien, Nahrungsmittel und anderer Vorräte, die ihr Nachbar besaß, und die sie als notwendig erachteten, um ihre Kriegsmaschine in Gang zu halten. Für diese Angeklagten bedeutete jedoch ein solches Bedürfnis ein unbestreitbares Recht, und sie begannen frühzeitig die Planung und Vorbereitung mit dem typischen Augenmerk für Einzelheiten, um sicher zu sein, daß jedes Stück Beute, das sie im Laufe des Angriffs erfassen könnten, auch zu ihrem äußersten Vorteil ausgenutzt würde.
Ich habe bereits den Beweis vorgebracht, daß schon im August 1940 General Thomas, der Chef der Heeresgruppe B, vom Angeklagten Göring einen Hinweis auf einen möglichen Angriff auf die Sowjetunion erhielt, welcher ihn veranlaßte, die Wehrwirtschaft der Sowjetunion zum Gegenstand seiner Erwägungen zu machen. Ich sagte seinerzeit auch, daß ich zu einem späteren Zeitpunkt den Beweis erbringen würde, daß im November 1940, acht Monate vor dem Angriff, Thomas kategorisch von Göring über die geplante Operation im Osten unterrichtet wurde, und vorläufige Vorbereitungen für die wirtschaftliche Ausplünderung der im Verlauf der Operationen zu besetzenden Gebiete getroffen wurden. Göring hat natürlich hierbei, dank seiner Stellung als Beauftragter für den Vierjahresplan, die allerwichtigste Rolle gespielt.
Thomas beschreibt den Empfang dieser Kenntnis und dieser frühen Planung auf Seite 369 seines Buchentwurfs, 2353-PS, bereits vorgelegt als US-35. Ich verlese von Seite 10 und 11 der englischen Übersetzung:
»Im November 1940 wurde der Chef Wi Rü Amt zusammen mit Staatssekretär Körner, Neumann, Backe und General von Hannecken vom Reichsmarschall über die geplante Ostoperation unterrichtet.
Auf Grund dieser Weisungen wurde Ende 1940 im Wi Rü Amt mit den Vorarbeiten für den Ostfeldzug begonnen. Die Vorarbeiten für den Ostfeldzug umfaßten zunächst folgende Aufgaben:
1. Schaffung eines eingehenden Bildes über die russische Rüstungsindustrie, ihre Lageorte, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Zusammenhänge,
2. Untersuchung der Leistungsfähigkeit der einzelnen großen Rüstungszentren und ihrer Abhängigkeit voneinander,
3. Feststellung des Energie- und Verkehrsnetzes für die Wirtschaft der Sowjetunion,
4. Untersuchung der Rohstoff- und Erdölvorkommen,
5. Schaffung eines Überblicks über die Nichtrüstungswirtschaft der Sowjetunion.
Diese Punkte wurden in einer großen Bearbeitung ›Wehrwirtschaft der Sowjetunion‹ zusammengefaßt und mit eingehendem Kartenmaterial versehen.«
Ich fahre fort in der Zitierung:
»Außerdem wurde eine Kartothek geschaffen, die alle wichtigen Betriebe Sowjetrußlands enthalten sollte, und ein Wirtschaftslexikon in deutsch-russischer Sprache für den Einsatz der deutschen Wehrwirtschaftsorganisation.
Für die Bearbeitung dieser Aufgaben wurde Anfang Januar 1941 ein Arbeitsstab Rußland eingesetzt, der zunächst dem Oberstleutnant Luther, später dem Generalmajor Schubert unterstellt wurde. Die Bearbeitung erfolgte nach den Weisungen des Amtschefs beziehungsweise der Amtsgruppe Ausland des Wi Rü Amtes unter Heranziehung aller Dienststellen, Wirtschaftsstellen und sonstiger Persönlichkeiten, die Kenntnisse über Rußland besaßen. Durch diese intensive Vorbereitungstätigkeit wurde ein hervorragendes Sachmaterial zusammengebracht, das für die Verwaltung des Landes von größtem Wert sein sollte.«
Soweit geht die Zitierung.
Gegen Ende Februar 1941 hatten die vorläufigen Planungen einen Punkt erreicht, an dem ein breiterer Organisationsplan gebraucht wurde, und General Thomas hielt deshalb am 28. Februar 1941 eine Besprechung mit seinem Stabe, um einen solchen Plan zu fordern. Ein Memorandum über diese Besprechung, »Geheime Kommandosache«, und datiert vom 1. März 1941, wurde erbeutet; es ist unser Dokument 1317-PS. Ich lege es jetzt vor als US-140. Der Text des Memorandums lautet wie folgt:
»Der General befahl, einen erweiterten Organisationsentwurf für den Reichsmarschall aufzustellen.
Wesentlicher Inhalt:
1. Unterstellung der gesamten Organisation unter den Reichsmarschall. Zweck: Stützung und Erweiterung der Maßnahmen des Vierjahresplanes.
2. Organisation muß alles umfassen, was Wehrwirtschaft betrifft, ausgenommen nur Ernährung, auf deren Gebiet bereits Sonderauftrag an Staatssekretär Backe erteilt sein soll.
3. Eindeutige Feststellung, daß die Organisation unabhängig zu sein hat von der Militär- beziehungsweise Zivilverwaltung. Wohl enge Zusammenarbeit, aber Weisungen direkt von der Zentralstelle in Berlin.
4. Teilung der Arbeitsgebiete in zwei Sektoren:
a) Begleitung des Vormarsches, unmittelbar hinter der vordersten Front, um die Zerstörung von Vorräten zu vermeiden und den Abtransport wichtiger Güter sicherzustellen.
b) Verwaltung der besetzten Industriebezirke und Auswertung in sich zusammengehöriger Wirtschaftsbezirke.«
Und dann, am Ende der Seite 1:
»5. Angesichts des erweiterten Aufgabenkreises Bezeichnung ›Wehrwirtschafts-Inspektion‹ – statt ›Rüstungsinspektion‹ – vorzuziehen.
6. Angesichts des großen Aufgabenkreises großzügige Ausgestaltung der Organisation mit entsprechend zahlreichen Kräften erforderlich. Hauptaufgabe der Organisation werde in der Erfassung von Rohstoffen und in der Übernahme aller wichtigen Betriebe bestehen. Für die letztere Aufgabe würden zweckmäßigerweise von Antang an zuverlässige Persönlichkeiten deutscher Konzerne eingeschaltet werden, da nur mit Hilfe ihrer Erfahrungen von Beginn an erfolgreiche Arbeit geleistet werden könne (z.B.: Braunkohle, Erz, Chemie, Erdöl).
Nach Erörterung weiterer Einzelfragen wurde Oberstleutnant Luther beauftragt, innerhalb von 8 Tagen einen ersten derartigen Organisationsentwurf aufzustellen.
Enge Zusammenarbeit mit den einzelnen Abteilungen des Hauses erforderlich. Für Wi und Rü muß noch ein Offizier bestimmt werden, mit dem der Arbeitsstab in ständiger Verbindung bleiben kann. Wi soll jedem Abteilungschef und Oberstleutnant Luther ein Exemplar der neuen Ausarbeitung ›Rußland‹ zur Verfügung stellen.
Generalleutnant Schubert soll gebeten werden, sich in der zweiten Hälfte der nächsten Woche in Berlin einzufinden. Ebenso sollen sich die bei den einzelnen Rüstungsinspektionen mit der Aufstellung beauftragten 4 Offiziere Ende nächster Woche beim Herrn Amtschef melden.« Unterschrift: »Hamann.«
Hamann, der den Bericht unterschrieb, war einer der Anwesenden mit dem Range eines »Hauptmann« und anscheinend der rangniedrigste Offizier, und so war es nur natürlich, daß es ihm zufiel, die Aufzeichnungen über diese Besprechung vorzunehmen.
Die Befugnisse und Aufgaben dieser Organisation, die Thomas auf Görings Befehl errichtete, wurden von Keitel klar in seinem Operationsbefehl vom 13. März 1941 anerkannt. Dieses ist Befehl 447-PS, den ich bereits früher als Beweis vorgelegt habe, und zwar als US-135.
Ich zitierte seinerzeit den Absatz des Befehls, der besagte, daß der Führer die einheitliche Leitung der Wirtschaftsverwaltung im Operationsgebiet sowie die politische Verwaltung des Gebietes dem Reichsmarschall übertragen habe, der seinerseits diese Befehlsgewalt auf den Chef des Wi Rü Amtes übertrug.
Die Organisationsarbeit, die von General Thomas in der Besprechung vom 28. Februar verlangt wurde, machte anscheinend gute Fortschritte, und am 29. April 1941 fand eine Besprechung mit den verschiedenen Wehrmachtszweigen zwecks Erklärung des organisatorischen Aufbaus des Wirtschaftsstabes »Oldenburg« statt. »Oldenburg« war der Deckname für das wirtschaftliche Gegenstück des Planes »Barbarossa«. Ein Bericht über diese Konferenz wurde erbeutet: Dokument 1157-PS, das ich jetzt als US-141 vorlege. Der erste Abschnitt dieses Memorandums behandelt die allgemeine Organisation des Wirtschaftsstabes »Oldenburg«, soweit sie damals entwickelt war, und ich möchte den größten Teil des Abschnittes für das Protokoll verlesen. Der Bericht beginnt:
»Besprechung mit den Wehrmachtteilen am Dienstag, dem 29. April 194, 10.00 Uhr.
I. Begrüßung. Zweck der Zusammenkunft: Einführung in den organisatorischen Aufbau des wirtschaftlichen Sektors des Unternehmens Barbarossa-Oldenburg.
Wie bereits bekannt, hat Führer im Gegensatz zu bisherigem Vorgehen für dieses Unternehmen einheitliche Zusammenfassung aller wirtschaftlichen Vorgänge befohlen und mit der Gesamtleitung der Wirtschaftsverwaltung im Operationsgebiet und in den politischen Verwaltungsgebieten den Reichsmarschall beauftragt. Dieser hat die Aufgabe einem wirtschaftlichen Führungsstab unter dem Chef Wi Rü Amt delegiert.
Unter dem Reichsmarschall und dem wirtschaftlichen Führungsstab steht als oberste Zentralstelle im Gebiet des Unternehmens selbst der« – und dann der Titel – »Wirtschaftsstab z. b. V. Oldenburg unter Generalleutnant Schubert.
Ihm sind in örtlicher Aufgliederung unterstellt: 5 Wirtschaftsinspektionen, 23 Wirtschaftskommandos und 12 Außenstellen, die auf wichtige Plätze im Bereich der Wi Kdos verteilt sind. Die Verwendung dieser Dienststellen erfolgt im rückwärtigen Heeresgebiet; und zwar soll im Bereich jeder Heeresgruppe beim Befehls haber des rückwärtigen Heeresgebietes eine Wirtschaftsinspektion eingesetzt werden, der die Leitung der wirtschaftlichen Ausnutzung des Gebietes obliegt.
Von dem rückwärtigen Heeresgebiet zu unterscheiden ist das eigentliche Gefechtsgebiet und das rückwärtige Armeegebiet. In ihnen erfolgt die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Belange durch den IV Wi der AOKs, d.h. den VO des OKW/Wi Rü Amt bei den Armeeoberkommandos. Für das Gefechtsgebiet sind ihm beigegeben: Technische Bataillone sowie Erkundungs- und Bergungstrupps für Rohstoffe, Mineralöl, landwirtschaftliche Maschinen, insbesondere Traktoren und Produktionsmittel.
In dem zwischen dem Gefechts- und dem rückwärtigen Heeresgebiet liegenden rückwärtigen Armeegebiet sind dem VO des Wi Rü Amtes für die Unterstützung der Sachbearbeiter des AOK bei der Versorgung der Truppe aus dem Lande sowie zur Vorbereitung der späteren allgemeinen wirtschaftlichen Ausnutzung Gruppen IV Wi bei den einzelnen Feldkommandanturen zur Verfügung gestellt.
Während diese Einheiten mit der Truppe mitgehen, sind die Wirtschaftsinspektionen, Wi Kdos und Außenstellen bodenständig. Das Neue für die dem Wi Stab Oldenburg unterstellte Organisation ist, daß sie nicht nur die Wehrwirtschaft betreut, sondern das Gebiet der gesamten Wirtschaft umfaßt. Demzufolge sind alle Dienststellen nicht mehr als Wehrwirtschafts- oder Rü-Dienststellen bezeichnet, sondern ganz allgemein als Wirtschaftsinspektionen, Wirtschaftskommandos etc. Dem entspricht auch der innere Aufbau der einzelnen Dienststellen, die sich vom Wi Stab Oldenburg selbst bis zu den Wi Kdos hinunter gleichmäßig in drei große Gruppen gliedern, nämlich die Gruppe M, deren Arbeitsgebiet Truppenbedarf, Rüstung, wirtschaftliches Transportwesen umfaßt, die Gruppe L, die alle Fragen der Ernährung und Landwirtschaft bearbeitet, und die Gruppe W, der die Bearbeitung der gesamten gewerblichen Wirtschaft einschließlich Rohstoffe und Versorgungsbetriebe obliegt, ferner die Fragen der Forstwirtschaft, des Finanz- und Bankwesens, des Feindvermögens, des Handels- und Warenverkehrs und des Arbeitseinsatzes.
Als Beauftragter für Ernährung und Landwirtschaft ist beim Führungsstab Staatssekretär Backe eingesetzt, während die Bearbeitung der Fragen des Bereichs der Gruppe W von General von Hannecken geleitet wird.«
Der Rest des Dokuments befaßt sich mit örtlichen Unterabteilungen, Personal und Planungsproblemen, sowie ähnlichen Einzelheiten, von denen ich nicht glaube, daß sie für das Protokoll von Bedeutung sind. Diese Urkunden geben ein aufschlußreiches Bild der kalt berechnenden Methode, mit der die Nazi-Verschwörer monatelang vorher die Beraubung und Ausplünderung ihres in Aussicht genommenen Opfers vorbereiteten. Sie zeigen, daß die Verschwörer nicht nur einen willkürlichen Angriff gegen einen Nachbarn planten, dessen Sicherheit sie garantiert hatten, sondern daß sie darüber hinaus beabsichtigten, ihn seiner Nahrungsmittel, seiner Fabriken und seiner Lebensmöglichkeiten zu berauben.
Wie ich später im großen Rahmen ausführen werde, wenn ich auf die Frage der Beweggründe eingehe, waren diese Männer sich voll bewußt, als sie ihre Ausplünderungspläne entwarfen, daß deren Ausführung notwendigerweise Ruin und Hunger von Millionen Einwohnern der Sowjetunion mit sich bringen würde.
VORSITZENDER: Der gegenwärtige Zeitpunkt erscheint mir für eine Pause geeignet.