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[Das Gericht vertagt sich bis 14.15 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Die abschreckende Wirkung der Konzentrationslager beruhte darauf, daß man brutale Behandlung zu erwarten hatte. Einmal im Gewahrsam der SS-Wachen, wurde das Opfer geprügelt, gefoltert, ausgehungert und oft mittels des gestern beschriebenen, sogenannten Programms der »Ausrottung durch Arbeit« ermordet oder durch Massenhinrichtung in Gaskammern oder Krematorien der Lager getötet, wie dies vor einigen Tagen im Film dem Gerichtshof vorgeführt worden ist.

Die Berichte von offiziellen Regierungsuntersuchungen liefern weitere Beweise für die Zustände, die in diesen Konzentrationslagern herrschten. Ich verweise erneut auf Dokument 2309-PS, auf das ich mich bereits bezogen habe und das der Gerichtshof amtlich zur Kenntnis genommen hat; insbesondere auf die zweite Seite des englischen Textes, beginnend mit dem zweiten Satz des zweiten Absatzes:

»Die Arbeit in diesen Lagern bestand hauptsächlich aus Arbeit unter der Erde mit dem Zweck, ausgedehnte unterirdische Fabriken, Lagerräume usw. zu errichten. Diese Arbeit wurde vollkommen unter der Erde verrichtet, und auf Grund der brutalen Behandlung und der Arbeits- und Lebensbedingungen starben durchschnittlich 100 Gefangene täglich. Im Februar 1945 wurden in das eine Lager Oberstaubling 700 Gefangene transportiert. Am 15. April 1945 waren nur noch 405 dieser Männer am Leben. Während der 12 Monate vor der Befreiung waren Flossenbürg und seine von dort kontrollierten Zweiglager für den Tod von 14739 männlichen und 1300 weiblichen Insassen verantwortlich. Diese Zahlen stellen die Anzahl der Todesfälle fest, soweit dieselben aus den vorhandenen Lageraufzeichnungen zu ersehen waren; dieselben sind jedoch in keiner Weise vollständig, da sich viele geheime Massenhinrichtungen und Todesfälle ereignet haben. Im Jahre 1941 wurde dem Lager Flossenbürg ein zusätzliches Gefangenenlager angeschlossen, um 2000 russische Gefangene aufzunehmen. Von diesen 2000 Gefangenen blieben nur 102 am Leben. Das Konzentrationslager Flossenbürg kann am besten als eine Fabrik des Todes bezeichnet werden. Obwohl der Einsatz von Massensklavenarbeit eines der Hauptziele dieses Lagers war, bestand ein anderer seiner Hauptzwecke in der Vernichtung von Menschenleben durch bestimmte Methoden der Gefangenenbehandlung. Hunger und Hungerrationen, Sadismus, die Art und Weise der Unterbringung, unzulängliche Kleidung, medizinische Vernachlässigung, Krankheit, Prügel, Hängen, Erfrieren, Aufhängen an den Händen, erzwungene Selbstmorde, Erschießen usw. spielten sämtlich eine hervorragende Rolle bei der Erreichung der Ziele. Gefangene wurden nach Belieben ermordet, Tötungen von Juden aus Bosheit waren alltägliche Ereignisse. Gifteinspritzungen und Genickschüsse ereigneten sich jeden Tag. Epidemien von Typhus und Fleckfieber wurde freier Lauf gelassen, um Gefangene zu vernichten. Ein Leben galt nichts in diesem Lager. Das Töten wurde zu einer gewöhnlichen Sache, so gewöhnlich, daß ein schneller Tod von den Unglücklichen willkommen geheißen wurde.«

Ich gehe nun zum vorletzten Satz des gleichen Absatzes über und zitiere wörtlich.

VORSITZENDER: Auf welche Beweisstücke haben Sie sich eben bezogen?

MR. DODD: Sie liegen als Beweismaterial zusammen mit der eidesstattlichen Erklärung vor. Sie sind ihr beigefügt.

VORSITZENDER: Ich vermute, daß keine Vervielfältigungen davon in dem Exemplar, das wir haben, enthalten sind.

MR. DODD: Nein. Wir hatten keine Gelegenheit, sie alle vervielfältigen zu lassen.

VORSITZENDER: Handelt es sich um Dokumente oder Photographien oder etwas anderes?

MR. DODD: Es sind hauptsächlich Dokumente. Einige Photographien und Pläne und so weiter sind auch darunter.

VORSITZENDER: Sind es eidesstattliche Erklärungen, oder was sonst? Es scheinen...

MR. DODD: Einige liegen in der Form von eidesstattlichen Erklärungen vor, die zur Zeit der Befreiung des Lagers mit dort befindlichen Gefangenen aufgenommen wurden, und andere sind Aufnahmen von im Lager vorgefundenen Schriftstücken und von Plänen und ähnlichen Dingen.

VORSITZENDER: Ja, der Gerichtshof wird auch von diesen Beweisstücken amtlich Kenntnis nehmen.

MR. DODD: Sehr wohl, Herr Präsident.

Ich lese nunmehr den letzten Satz des gleichen Absatzes auf der gleichen Seite und zitiere:

»Am Weihnachtstag 1944 wurde eine Anzahl von Gefangenen gleichzeitig erhängt. Die anderen wurden gezwungen, diesem Hängen zuzusehen. Zur Seite der Galgen befand sich ein geschmückter Weihnachtsbaum und, wie ein Gefangener sich ausdrückte, ›es war ein schrecklicher Anblick, diese Zusammenstellung von in der Luft hängenden Gefangenen mit dem glitzernden Weihnachtsbaum daneben‹. Im März oder April wurden 13 amerikanische oder britische Fallschirmjäger gehängt. Diese waren einige Zeit vorher in das Lager eingeliefert worden und waren während des Versuches, Brücken zu sprengen, gefangen genommen worden.«

Ich will den Gerichtshof nicht mit der Wiedergabe aller dieser Berichte belasten. Wir möchten jedoch auf das Konzentrationslager Mauthausen zurückkommen, eines der berüchtigtsten Vernichtungslager. Ich beziehe mich besonders auf 2176-PS, US-249. Es ist ebenfalls ein offizieller Bericht der Justizabteilung (Office of the Judge Advocate General) der 3. amerikanischen Armee vom 17. Juni 1945. Ich beziehe mich auf die Schlußfolgerungen auf Seite 3 des englischen Textes, Absatz V, und beginne mit der Verlesung des zweiten Satzes:

»V. Schlußfolgerungen:

Ohne Zweifel war Mauthausen die Grundlage eines Planes auf lange Sicht. Es war als eine gigantische steinerne Festung auf dem Gipfel eines Berges angelegt worden, umgeben von kleinen Baracken. Mauthausen besaß neben dem dauerhaften Charakter seiner Konstruktion Unterkünfte für eine große Garnison von Offizieren und Mannschaften, und hatte geräumige Speise- und Waschräume für das Personal. Es wurde nur zu dem ausschließlichen Zweck geführt, alle sogenannten Häftlinge zu vernichten, die seine Mauern betraten.

Die sogenannten Zweiglager von Mauthausen standen unmittelbar unter dem Befehl der dort stationierten SS-Offiziere. Alle Berichte, Befehle und verwaltungsmäßigen Einrichtungen für diese Zweiglager wurden von Mauthausen aus geführt. Die anderen Lager, einschließlich der beiden größten und berüchtigten Zweiglager Gusen und Ebensee, wurden nicht ausschließlich zur Vernichtung benützt, sondern die Gefangenen wurden dort als Werkzeuge für Bau- und Produktionsarbeiten verwendet, bis sie so geschlagen oder ausgehungert waren, daß sie nicht mehr arbeiten konnten. Sie wurden dann gewöhnlich nach Mauthausen gesandt, um dort endgültig erledigt zu werden.«

Sowohl der Film, wie auch die sorgfältigen Berichte, die von der 3. amerikanischen Armee beim Einrücken in diese Konzentrationslager gemacht wurden, zeigen deutlich, daß die Verhältnisse in diesen Konzentrationslagern, in Deutschland und auch manchmal außerhalb der Reichsgrenzen, alle demselben allgemeinen Muster ähnlich waren. Das weitverbreitete Vorkommen dieser Zustände beweist, daß es sich hier nicht um die Folge vereinzelter Ausschreitungen von einzelnen Gefangenenwärtern handelt, sondern daß sie die Folge vorsätzlich von oben gegebener Richtlinien waren. Die Verbrechen, die in diesen Konzentrationslagern begangen wurden, waren von einem so ungeheueren Ausmaß, daß die Greueltaten einzelner dagegen zur Bedeutungslosigkeit verblassen.

Wir haben uns zwei Beweisstücke verschafft, die wir dem Gerichtshof nur zeigen wollen, um zu illustrieren, wie tief die Verwaltung dieser Lager gesunken war, zumindest kurz vor der Befreiung durch die alliierten Armeen. Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß wir in dem Film aus einem der Konzentrationslager zeigten, wie im Konzentrationslager Buchenwald Hautstücke von menschlichen Körpern geschnitten und als Dekorationsstücke aufbewahrt wurden. Für diesen Zweck wurden besonders unglückliche Opfer wegen ihrer Tätowierung ausgesucht. Das Beweisstück trägt die Nummer US-252. Ein Auszug aus einem offiziellen amerikanischen Armeebericht ist angefügt, in welchem angegeben wird, wie dieses Beweisstück gefunden wurde. Dieser Auszug erscheint in dem Dokument 3420-PS, das ich teilweise verlesen werde; es trägt die Überschrift:

»Mobile Feldvernehmungsabteilung Nr. 2; Kriegsgefangenen-Nachrichtenabteilung.

... 13. Konzentrationslager Buchenwald. Vorbemerkung: Der Verfasser dieses Berichts ist der Kriegsgefangene Andreas Pfaffenberger, 1. Kompanie des 9. Landesschützen-Btl., 43 Jahre alt, von begrenzter Bildung, von Beruf Metzger. Die Tatsache, daß die von ihm angegebenen Einzelheiten im wesentlichen mit den in Bericht PWIB (H) LF/736 gefundenen übereinstimmen, beweist den Wert seiner Zeugenaussage. Der Kriegsgefangene ist nicht über Erklärungen befragt worden, die nach dem, was bekannt ist, in mancher Hinsicht offenbar irrig sind, noch ist irgendein Versuch gemacht worden, den subjektiven Charakter des Berichts zu ändern, den der Kriegsgefangene niederschrieb, ohne daß man ihm von den schon bekannten Informationen etwas erzählt hätte. Die Ergebnisse der Befragung über Personen in Buchenwald sind bereits veröffentlicht worden (PWIB-Nr. 2/12 Punkt 31).

Im Jahre 1939 wurde allen Gefangenen mit Tätowierungen befohlen, sich im Krankenrevier zu melden.«

VORSITZENDER: Ist das Pfaffenbergers Aussage?

MR. DODD: Jawohl Herr Präsident!

»Niemand wußte, warum das geschah, aber, nachdem die tätowierten Gefangenen untersucht waren, wurden diejenigen mit den schönsten und künstlerischsten Mustern in dem Krankenrevier zurückbehalten und dann durch Einspritzungen getötet, die durch Karl Beigs, einen kriminellen Gefangenen, ausgeführt wurden. Die Leichen wurden dann in die Pathologische Abteilung gebracht, wo die gewünschten Stücke der tätowierten Haut von den Leichen abgetrennt und behandelt wurden. Die fertiggestellten Stücke wurden der Frau des SS-Standartenführers Koch übergeben, die sie in Lampenschirme und andere Ziergegenstände für den Haushalt verarbeiten ließ. Ich selbst sah solche tätowierte Häute mit verschiedenen Zeichnungen und Inschriften, wie zum Beispiel ›Hänsel und Gretel‹, die ein Gefangener an seinem Knie hatte, und Schiffen von der Brust von Gefangenen. Diese Arbeiten wurden von einem Gefangenen namens Wernerbach ausgeführt.«

Ich nehme auch Bezug auf 3421-PS, US-253:

»Ich, Georg C. Demas, Leutnant der amerikanischen Marine, Mitarbeiter der amerikanischen Behörde zur Verfolgung von Achsen-Verbrechen, bestätige hiermit, daß das beigefügte, aus Pergament hergestellte Beweisstück, mir in meiner obenerwähnten Eigenschaft von der Obersten Justizabteilung der amerikanischen Armee (Judge Advocate General US-Army), Abteilung für Kriegsverbrechen, übergeben wurde, und zwar auf normalem Wege, als Beweisstück, das im Lager Buchenwald gefunden und von Truppen unter dem Kommando des Oberbefehlshabers der alliierten Streitkräfte erbeutet worden war.«

Der letzte Absatz des Dokuments 3423-PS, US- 252, ist eine Schlußfolgerung, die in dem Bericht der amerikanischen Armee enthalten ist. Dort heißt es:

»Auf Grund der Feststellungen im Absatz 2 sind alle 3 Exemplare tätowierte menschliche Haut.«

Dieses Dokument ist ebenfalls diesem Beweisstück auf dem Tisch beigefügt. Wir wünschen nicht, bei dieser pathologischen Phase der Nazi-Kultur lange zu verweilen, fühlen uns aber gezwungen, ein zusätzliches Beweisstück vorzulegen, das wir als Beweisstück US-254 unterbreiten. Dieses Beweisstück, das sich auf dem Tisch befindet, ist ein menschlicher Kopf, aus dem der Schädelknochen entfernt ist, eingeschrumpft, ausgestopft und präpariert. Die Nazis köpften eines ihrer vielen Opfer, nachdem sie es vorher erhängt hatten, wahrscheinlich wegen seines Verkehrs mit einer deutschen Frau, und machten aus dem Kopf dann dieses schreckliche Dekorationsstück.

Der letzte Absatz des offiziellen Berichts der amerikanischen Armee, aus dem ich gerade vorgelesen habe, beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie dieses Stück gefunden wurde. Er lautet wie folgt:

»Dort habe ich ebenfalls die eingeschrumpften Köpfe zweier junger Polen gesehen, die gehängt worden waren, weil sie mit deutschen Mädchen Beziehungen gehabt hatten. Die Köpfe hatten die Größe einer Faust, das Haar und die Spuren des Seiles waren noch vorhan den.«

Eine weitere Beglaubigung des Leutnants Demas befindet sich in Dokument 3422-PS, US-254. Sie ähnelt jener, die ich vor einigen Minuten mit Bezug auf die Menschenhaut vorgelesen habe, nur daß sie sich dieses Mal auf das zweite Beweisstück bezieht. Wir können nicht genau abschätzen, wieviele Menschen in diesen Konzentrationslagern ihr Leben verloren haben, und vielleicht wird es nie jemand erfahren, aber wie das Beweismaterial, das dem Gerichtshof bereits vorliegt, beweist, haben die Nazi-Verschwörer im allgemeinen genau Buch geführt. Die Listen über die Konzentrationslager scheinen jedoch sehr unvollständig zu sein. Das mag aus der Gleichgültigkeit zu erklären sein, mit welcher die Nazis das Leben ihrer Opfer betrachteten. Aber gelegentlich finden wir ein Totenbuch oder einen Stoß Registrierkarten. Zum größten Teil jedoch gingen die Opfer in einen schriftlich nicht festgehaltenen Tod.

Die Bezugnahme auf eine Reihe von Totenbüchern erhellt sogleich das Ausmaß der Konzentrationslagerbetriebe, und wir legen nun Dokument 493-PS, US- 251, vor. Dieses Beweisstück besteht aus sieben Büchern, das Todeshauptbuch des Konzentrationslagers Mauthausen. Jedes Buch trägt auf seinem Umschlag das Wort »Totenbuch Mauthausen«.

In diesen Büchern wurden die Namen einiger der Insassen, die in diesem Lager starben oder ermordet wurden, vermerkt. Die Bücher erstrecken sich auf die Zeit vom Januar 1939 bis April 1945. Sie enthalten Namen, Geburtsort, die angegebene Todesursache und die Todeszeit für jede registrierte Person. Außerdem wurde jede Leiche mit einer laufenden Nummer versehen, und wenn man alle Nummern für die Periode von fünf Jahren zusammenzählt, kommt man auf die Zahl 35318.

Eine Durchsicht der Bücher ist aufschlußreich für die routinemäßige Behandlung der Todesfälle in dem Lager. Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Band 5, Seite 568 bis 582. Eine Photokopie dieses Teiles ist dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden. Diese Seiten bringen die Todeseintragungen für den 19. März 1945 zwischen 1.15 Uhr morgens bis 2.00 Uhr nachmittags. In dieser Zeit von 12 3/4 Stunden wurde in diesen Listen der Tod von 203 Personen gemeldet; sie bekamen die laufenden Nummern 8390 bis 8593. Die Namen der Toten sind aufgeführt. Als Todesursache ist bezeichnenderweise für alle Opfer die gleiche, nämlich Herzschwäche, angegeben. Sie starben in kurzen Zwischenräumen. Sie starben in alphabetischer Reihenfolge. Der erste, der starb, war ein Mann namens Ackermann; er starb um 1.15 Uhr morgens. Der letzte war ein Mann namens Zynger, der um 2 Uhr nachmittags starb.

Um 2 Uhr 20 Minuten des gleichen Nachmittags begann, wie aus dieser Liste vom 19. März 1945 hervorgeht, der tödliche Appell von neuem und setzte sich bis 4.30 Uhr nachmittags fort. In einem Zeitraum von zwei Stunden starben weitere 75 Personen. Und wieder starben sie alle an Herzschwäche und in alphabetischer Reihenfolge. Wir finden diese Eintragungen in dem gleichen Band, Seite 582 bis 586.

Es wurde noch ein anderes Totenbuch im Konzentrationslager Mauthausen gefunden. Es ist unser Dokument 495-PS, US-250. Es handelt sich um einen einzelnen Band, und wieder stehen auf dem Umschlag die Worte: »Totenbuch – Kriegsgefangene«. Ich verweise hier den Gerichtshof besonders auf die Seiten 234 bis 246. Hier zeigen die Eintragungen die Namen von 208 Kriegsgefangenen, anscheinend Russen, die 15 Minuten nach Mitternacht, am 10. Mai 1942, alle zur gleichen Zeit hingerichtet wurden. Die Eintragungen in dem Buch bestätigen, daß Heydrich, der damalige Chef der Sicherheitspolizei und des SD, die Hinrichtung leitete.

Ich wurde erst heute früh darauf aufmerksam gemacht, daß in einer New-Yorker Zeitung auf drei oder mehr Seiten Inserate von Familien erscheinen, die Auskünfte über Verwandte suchen, die früher ihren Wohnsitz in Deutschland oder Europa hatten. Die meisten dieser Anzeigen beziehen sich auf dieses oder jenes Konzentrationslager. Die Zeitung heißt: »Der Aufbau« und ist eine deutschsprachige Zeitung, die in New-York City erscheint. Diese Nummer der Zeitung stammt vom 23. November 1945.

Ich will den Gerichtshof nicht mit der Liste der Namen aller dieser unglücklichen Menschen aufhalten, aber wir nehmen Bezug auf sie, als eine New- Yorker Publikation, eine deutschsprachige Zeitung jüngsten Datums, die das schreckliche Ausmaß dieser Tragödie zeigt, die so viele Menschen durch diese Einrichtungen der Konzentrationslager betroffen hat. Unserer Ansicht nach bedarf es keines besonderen Arguments zur Unterstützung unserer Feststellung, daß die Nazi-Verschwörer diese Konzentrationslager und ähnliche Schreckenseinrichtungen benutzten, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen zu begehen.

Bei der Darstellung der Judenverfolgungen werden wir notwendigerweise mehr über Konzentrationslager hören, aber dies beschließt unsere Vorlage über die Konzentrationslager als einen in sich geschlossenen Teil des Beweisvorbringens.

VORSITZENDER: Herr Dodd, ich persönlich möchte gerne wissen, was die Überschriften bedeuten.

MR. DODD: Ja, ich habe sie hier.

VORSITZENDER: Dokument 495-PS?

MR. DODD: Ja, Dokument 495-PS. Spalte eins zeigt die Nummer, die den Gefangenen in der Reihenfolge ihres Todes zugeteilt wurde.

VORSITZENDER: Ja.

MR. DODD: Die zweite Spalte betrifft die Kriegsgefangenennummer. Die dritte Spalte zeigt den Familiennamen und die vierte den Vornamen.

VORSITZENDER: Ja.

MR. DODD: In Spalte 5 folgt das Geburtsdatum, in Spalte 6 der Geburtsort, in Spalte 7 die Todesursache. In diesen Fällen ist die Todesursache wie folgt angegeben: »Exekution lt. Erlaß des Chefs der Sipo und des SD vom 30. 4. 1942«. Die Wiederholungszeichen darunter bedeuten, daß die gleiche Todesursache für alle darunterstehenden Leute zutrifft. In der achten Spalte erscheinen Tag und Stunde des Todes; als erste der 9. 5. 42, 23.35 Uhr. Die neunte Spalte ist für Bemerkungen reserviert.

VORSITZENDER: Es sind hier verschiedene Nummern aufgeführt, M 1681 ist die erste.

MR. DODD: Jawohl, das deutsche Wort, wurde mir gesagt, bedeutet, daß der Tod mit dieser Nummer bestätigt wird. Offenbar...

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie sagten, die Nummer der Leiche.

MR. DODD: Die Nummer der Leiche, glaube ich, bedeutet es, im Unterschied zur Gefangenen-Nummer. Nach dem Tod jeder Person wurde jeder Leiche auch noch eine Nummer gegeben.

OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Die nächste Phase der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nämlich die Judenverfolgung, wird von Major Walsh vorgetragen werden.

VORSITZENDER: Major Walsh.

MAJOR WILLIAM B. WALSH, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Im Namen des amerikanischen Anklagevertreters lege ich jetzt diesem erhabenen Gerichtshof das Beweismaterial für bestimmte Taten vor, die in der Anklageschrift im Anklagepunkt 1 unter: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit enthalten sind. Ferner auf Grund eines Übereinkommens der Anklagevertreter die Anschuldigung gemäß Punkt 4, Absatz X (B), Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Titel dieser Darlegung lautet: »Die Verfolgung der Juden«.

Ich lege jetzt als Beweismaterial ein Dokumentenbuch von Übersetzungen vor, das mit »T« bezeichnet ist. Die in diesem Buch enthaltenen Urkunden sind gemäß den D-, L-, PS- und R-Serien geordnet, und innerhalb dieser Serien sind die Übersetzungen den Nummern nach gelegt. Der Titel »Die Verfolgung der Juden« ist völlig unzureichend, wenn man ihn im Lichte des folgenden Beweismaterials betrachtet. Akademisch bedeutet das Wort »verfolgen«, soviel ich weiß, quälen, belästigen und beunruhigen. Der hier gebrauchte Ausdruck beschreibt in keiner Weise auch nur annähernd das – und ich weiß keinen Ausdruck, der dieses letzte Ziel kennzeichnen würde – den eingestandenen Zweck, die jüdische Rasse auszulöschen.

Diese Darstellung ist nicht als eine vollkommene Aufzählung aller Verbrechen gegen die Juden gedacht. Ausmaß und Reichweite dieser Verbrechen waren so groß, daß sie die ganze deutsche Nation, ihre Bevölkerung und Organisationen durchdrangen.

Ich bin davon unterrichtet, daß andere, die nach mir sprechen werden, zusätzliches Beweismaterial bei anderen Teilen des Anklagevorbringens vorlegen werden. Das Beweismaterial, das sich auf die Partei- und Staatsorganisationen bezieht, deren verbrecherischer Charakter die Anklagebehörde festzustellen bemüht ist, wird die von den Organisationen in der Planung der Vernichtung gespielte Rolle enthüllen und hervorheben.

Die französischen und russischen Anklagevertreter haben ebenfalls je einen Band Beweismaterial, das sich auf dieses Thema bezieht und im Verlaufe des Prozesses zur Vorlage kommen wird. Bevor ich jedoch mit der Verlesung der offenkundigen Handlungen, die zur Vernichtung der Juden führten, beginne, möchte ich zeigen, daß diese Handlungen und diese Politik innerhalb Deutschlands von 1933 bis zum Kriegsende mit der Planung, Vorbereitung, dem Beginn und der Durchführung von Angriffskriegen zusammenhingen und damit unter den Anklagepunkt: Verbrechen gegen die Menschlichkeit fallen, wie sie im Artikel 6 (c) des Statuts definiert sind.

Seit Jahren war es eine deutsche Theorie, daß der erste Weltkrieg mit der deutschen Niederlage endete, weil es innerhalb des Landes zum Zusammenbruch gekommen sei. Bei der Planung zukünftiger Kriege beschloß man daher, daß man die Heimatfront sicher in der Hand haben müßte, um einer Wiederholung des Debakels von 1918 vorzubeugen. Die Einigung des deutschen Volkes war für die erfolgreiche Planung und Durchführung des Krieges wesentlich, und der politische Grundsatz der Nazis: »Ein Volk, ein Reich, ein Führer« mußte festgelegt werden.

Die freien Gewerkschaften mußten abgeschafft, politische Parteien außer der Nationalsozialistischen Partei verboten, die bürgerlichen Freiheiten aufgehoben und jede Art von Opposition weggefegt werden. Gottesfurcht, der Glaube an die Kirche und Achtung vor der wissenschaftlichen Wahrheit wurden als nicht vereinbar mit dem Nazi-Regime erklärt. Die antijüdische Politik war ein Teil dieses Vereinheitlichungsplanes, weil die Nazis davon überzeugt waren, daß die Juden das deutsche Militärprogramm nicht unterstützen, sondern im Gegenteil es hindern würden. Darum mußte der Jude ausgerottet werden.

Dieser Standpunkt geht deutlich aus einer Erklärung hervor, die in 1919-PS, US-170, enthalten ist. Dieses Dokument ist die Niederschrift einer Himmler- Rede bei einer Besprechung der SS-Gruppenführer am 4. Oktober 1943. Von Seite 4, Absatz 3, der dem Gerichtshof vorliegenden Übersetzung lese ich einen sehr kurzen Absatz:

»... wir wissen, wie schwer wir uns täten, wenn wir heute noch in jeder Stadt, – bei den Bombenangriffen, bei den Lasten und bei den Entbehrungen des Krieges, – noch die Juden als Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer hätten. Wir würden wahrscheinlich jetzt in das Stadium des Jahres 1916/17 gekommen sein, wenn die Juden noch im deutschen Volkskörper säßen.«

Die Behandlung der Juden in Deutschland war deshalb ebenso wie die Herstellung von Waffen und die Wehrpflicht ein Teil des Planes für den Angriffskrieg. Sie fällt in die Gerichtsbarkeit dieses Gerichtshofs als integrierender Bestandteil des Planes und der Vorbereitung zur Führung eines Angriffskrieges.

Es liegt auf der Hand, daß die Verfolgung und Ermordung von Juden in sämtlichen besetzten Gebieten Europas nach 1939 Kriegsverbrechen darstellen, wie sie im Artikel 6 (b) des Statuts definiert sind.

Außerdem verstößt sie gegen Artikel 46 des Haager Abkommens von 1907, das auch von Deutschland unterschrieben worden war. Ich zitiere Artikel 46 und ersuche den Gerichtshof, davon amtlich Kenntnis zu nehmen.

»Die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum, sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden.«

Ich kenne kein Verbrechen in der Geschichte der Menschheit, das in seinen Einzelheiten fürchterlicher ist, als die Behandlung der Juden. Wir beabsichtigen zu beweisen, daß die Gebote der Nazi-Partei, die später in die Politik des deutschen Staates übernommen und von den Angeklagten oft ausdrücklich bestätigt wurden, zum Ziele hatten, das jüdische Volk zu vernichten.

Ich werde mich bemühen, der Versuchung zu widerstehen, Kommentare zu geben oder Schlußfolgerungen aus den Dokumenten zu ziehen, wie groß der Anreiz dazu auch sein mag. Ich ziehe vor, die urkundlichen Beweisstücke in ihrer reinen Wirklichkeit für sich selbst sprechen zu lassen. Blutdurst mag bei diesen wüsten Verbrechen eine gewisse Rolle gespielt haben; aber der Zweck und das Ziel, die zugrunde lagen, nämlich die jüdische Rasse zu vernichten, war eines der grundlegenden Prinzipien des Nazi-Planes für die Vorbereitung und Führung des Angriffskrieges. Ich werde von jetzt an meine Beweisführung auf die begangenen offenkundigen Handlungen beschränken, aber ich bitte den Gerichtshof um Nachsicht, falls es bei der Zusammenstellung des Beweismaterials notwendig sein sollte, auf bestimmte früher vorgelegte Dokumente Bezug zu nehmen.

Dieses letzte Ziel, nämlich die Beseitigung und Ausrottung der Juden, konnte nicht ohne vorbereitende Schritte und Maßnahmen ausgeführt werden. Zuerst mußte der deutsche Staat von der Nazi-Partei übernommen werden, der Macht der Weltmeinung mußte ins Auge gesehen werden, und selbst dem gedrillten deutschen Volk mußte der Haß gegen die Juden als Doktrin eingeimpft werden.

Der erste klare Beweis für die Nazi-Politik in Bezug auf die Juden ist im Parteiprogramm vom Februar 1920 zu finden. Ich lege als Beweismittel Dokument 1708-PS, US-255, das Programm der NSDAP vor. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich den bezüglichen Teil dieses Programms zitieren: Punkt vier:

»Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist, Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf die Konfession....«

MR. BIDDLE: Darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen. Es ist etwas schwer zu finden, wo sich diese Beweisstücke befinden und aus welchem Bande Sie jetzt vorlesen.

MAJOR WALSH: Aus Dokument 1708-PS.

MR. BIDDLE: Band zwei?

MAJOR WALSH: Band zwei.

MR. BIDDLE: Und von welcher Seite dieses Beweisstücks?

MAJOR WALSH: Punkt 4 und 6 auf der ersten Seite. Punkt vier:

»Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.«

Und dann Punkt 6:

»Das Recht, über Führung und Gesetze des Staates zu bestimmen, darf nur dem Staatsbürger zustehen. Daher fordern wir, daß jedes öffentliche Amt, gleichgültig welcher Art, gleich ob im Reich, Land oder Gemeinde, nur durch Staatsbürger bekleidet werden darf.«

Und nun lege ich Dokument 2662-PS, US-256, »Mein Kampf«, vor. Auf den Seiten 724 und 725 schrieb Hitler, von den Juden sprechend, wenn die nationalsozialistische Bewegung ihre Aufgabe erfüllen sollte, und ich zitiere:

»Sie muß dem Volke die Augen öffnen über die fremden Nationen und muß den wahren Feind unserer heutigen Welt immer und immer wieder in Erinnerung bringen. An Stelle des Hasses gegen Arier, von denen uns fast alles trennen kann, mit denen uns jedoch gemeinsames Blut oder die große Linie einer zusammengehörigen Kultur verbindet, muß sie den bösen Feind der Menschheit, als den wirklichen Urheber allen Leides, dem allgemeinen Zorne weihen. Sorgen aber muß sie dafür, daß wenigstens in unserem Lande der tödlichste Gegner erkannt und der Kampf gegen ihn als leuchtendes Zeichen einer lichteren Zeit auch den anderen Völkern den Weg weisen möge zum Heil einer ringenden arischen Menschheit.«

Ein Strom von Schmutzliteratur aller Art und für alle Altersgruppen wurde in Deutschland herausgegeben und in Umlauf gesetzt. Bezeichnend für diese Art von Veröffentlichungen ist ein Buch mit dem Titel »Der Giftpilz«.

Ich bringe es als Beweismaterial, Dokument 1778-PS, US-257, zur Vorlage. Dieses Buch bezeichnet den Juden als einen Verfolger der Arbeiterklasse, als Rassenschänder, als einen Teufel in Menschengestalt, als Giftpilz und Mörder. In diesem Buch wurde den Schulkindern durch Karikaturen, die auf Seite 6 und 7 erscheinen, gelehrt, wie sie den Juden an seiner Körperbeschaffenheit erkennen könnten. Auf Seite 30 wird gezeigt, daß der Jude kleine Jungen und Mädchen mißbraucht, und auf Seite 13 bis 17, daß die jüdische Bibel alle Verbrechen erlaubt.

Nummer 14, vom April 1937, Seite 6 der Wochenschrift »Der Stürmer«, herausgegeben von dem Angeklagten Streicher, ging in ihren Übertreibungen so weit, daß sie behauptete, die Juden würden bei der Ritualfeier des Passahfestes Christen abschlachten. Ich lege Dokument 2699-PS, US-258, vor. Von Seite 2, Spalte 1, zitiere ich die Absätze 6 bis 9:

»Auch aus vielen Geständnissen der Juden geht hervor, daß die Ausübung von Ritualmorden dem Talmudjuden Gesetz ist. Der ehemalige Oberrabbiner und spätere Mönch Teofiti erklärt zum Beispiel, daß die Ritualmorde vornehmlich anläßlich des jüdischen Purimfestes (Erinnerung an den Persermord) und des Passahfestes (Erinnerung an den Christusmord) ausgeführt werden. Die Vorschriften sind folgende: Den Opfern ist das Blut mit Gewalt abzuzapfen. Es soll beim Passahfest im Wein und in den Mazzen Verwendung finden. Das heißt: ein kleiner Teil des Blutes ist in den Mazzenteig und in den Wein zu schütten. Die Beimischung geschieht durch den jüdischen Familienvater. Der Vorgang ist folgendermaßen:

Der Familienvater schüttet einige Tropfen des frischen und gepulverten Blutes in das Glas, tunkt den Finger der linken Hand hinein und besprengt (segnet) damit alles, was auf dem Tisch steht, worauf der Familienvater spricht: ›Also bitten wir Gott, daß er die zehn Plagen senden möge allen Feinden des jüdischen Glaubens.‹ Hierauf speisen sie und der Familienvater ruft zum Schluß: ›Also (wie das Kind, dessen Blut in Brot und Wein enthalten) mögen alle Gojim untergehen!‹

Weiter findet das frische Blut (oder das getrocknete und zu Pulver verriebene Blut) der Geschächteten Verwendung für junge verheiratete jüdische Ehepaare, für schwangere Jüdinnen, für die Beschneidung usw. Der Ritualmord wird von allen Talmudjuden anerkannt. Der Jude glaubt, sich damit zu entsühnen.«

Es ist uns schwer verständlich, daß derartige falsche Darstellungen auf fruchtbaren Boden fallen konnten, und daß eine gebildete Nation derartige Lehren lesen, annehmen und glauben konnte. Wir müssen aber daran denken, daß die strenge Pressekontrolle eine Bloßlegung dieser Lügenpropaganda ausschloß, so daß einige Unwissende oder Leichtgläubige dazu gebracht werden konnten, dies zu glauben.

Ich lege nun Dokument 2779-PS vor, eine Ausgabe des »Stürmers«, US-259. Diese Zeitung »Der Stürmer« wurde von der Verlagsfirma des Angeklagten Streicher herausgegeben. In dieser Zeitung sagte Streicher über den jüdischen Glauben:

»... mutet das Geschichtsbuch der Juden, das man als Heilige Schrift zu bezeichnen sich angewöhnt hat, wie ein einziger schauerlich-schauriger Kriminalroman an.... Von Mord und Blutschande, Betrug, Diebstahl und Sittlichkeitsverbrechen wimmelt es in diesem heiligen Buch geradezu...«

Weiter sagt er:

»Der Talmud ist das große jüdische Verbrecherlehrbuch, das der Jude täglich im praktischen Leben anwen det.«

Letzteres steht in dem Dokument 2698-PS, »Der Stürmer«, das ich ebenfalls zum Beweis vorlegen möchte. Es ist dies Beweisstück US-260.

Dieser Propagandafeldzug des Hasses war zu ausgebreitet und zu allgemein bekannt, als daß noch Beschreibungen nötig wären. Unter den Urkunden, die zu diesem wie auch zu anderen Teilen des Tatbestands als Beweismittel vorgelegt wurden, findet man ähnliche und sogar noch schmutzigere Behauptungen, von denen viele von den Angeklagten selbst, andere von ihren Mitschuldigen stammen. Als die Nazi-Partei die Kontrolle über den Staat erlangte, wurde eine neue und furchtbare Waffe gegen die Juden in ihre Hände gelegt, nämlich die Anwendung der Macht des Staates. Dies geschah durch die Herausgabe von Verordnungen. Eingewanderte Juden wurden ausgebürgert: Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 480, unterzeichnet von den Angeklagten Frick und Neurath. In Deutschland geborenen Juden wurde die Staatsangehörigkeit entzogen: Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, Seite 1146, unterzeichnet von dem Angeklagten Frick. Juden durften mit Personen deutschen Blutes weder verheiratet sein noch außereheliche Verbindungen haben: Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, Seite 1146, unterzeichnet von den Angeklagten Frick und Heß. Juden wurde das Wahlrecht aberkannt: Reichsgesetzblatt 1936, Teil I, Seite 133, unterzeichnet von dem Angeklagten Frick. Juden konnten keine öffentlichen Ämter oder Staatsstellen bekleiden: Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 277, unterzeichnet von dem Angeklagten Frick. Es wurde beschlossen, die Juden auf ein niedrigeres Niveau herabzudrücken, indem man ihnen die allgemeinen Rechte und Freiheiten entzog. Gewisse Stadtteile und Straßen, Verkehrsmittel, Unterhaltungsstätten und Gaststätten waren ihnen verboten: Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 1676. Mit der Zeit wurden immer strengere Maßnahmen angewandt, die soweit gingen, daß man ihnen die Ausübung ihrer privaten Beschäftigung untersagte. Sie durften den zahnärztlichen Beruf nicht mehr ausüben: Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 47, unterzeichnet von dem Angeklagten Heß. Sie wurden vom Rechtsanwaltsberuf ausgeschlossen: Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 1403, unterzeichnet von den Angeklagten Frick und Heß. Sie durften ihrer ärztlichen Praxis nicht mehr nachgehen: Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 969, unterzeichnet von Frick und Heß. Sie durften weder in der Presse noch am Rundfunk tätig sein: Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 661. Sie wurden von der Börse und dem Aktienhandel ausgeschlossen: Reichsgesetzblatt 1934, Teil I, Seite 169; und sogar von der Landwirtschaft: Reichsgesetzblatt 1933, Teil I, Seite 685. Im Jahre 1938 wurden sie aus dem allgemeinen Geschäfts- und Wirtschaftsleben Deutschlands ausgeschaltet: Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 1580, unterzeichnet von Göring. Die Juden wurden gezwungen, nachteilig hohe Steuern und hohe Sühnestrafen zu zahlen; ihre Heimstätten, Bankkonten, Grundstückbesitze usw. wurden ihnen genommen.

Um einen Augenblick von der Aufzählung der Verordnungen abzugehen, und um besonders auf die Sühnestrafen zu sprechen zu kommen, möchte ich Dokument 1816-PS, US-261, unterbreiten. Es handelt sich hier um einen stenographischen Bericht über eine Sitzung unter Leitung des Angeklagten Göring, an der unter anderen der Angeklagte Funk teilgenommen hat, und die am 12. November 1938, um 11.00 Uhr, im Reichsluftfahrtministerium abgehalten worden ist. Von Seite 8 und 9 des siebenten Abschnitts zitiere ich den Angeklagten Göring:

»Noch eine Frage meine Herren! Wie beurteilen Sie die Lage, wenn ich heute verkünde, daß dem Judentum als Strafe diese 1 Milliarde als Kontribution auferlegt wird?«

Und dann den letzten Absatz auf Seite 22 der Übersetzung, die dem Gerichtshof vorliegt. Ich zitiere:

»Ich werde den Wortlaut wählen, daß die deutschen Juden in ihrer Gesamtheit als Strafe für ihre ruchlosen Verbrechen usw. eine Kontribution von 1 Milliarde auf erlegt bekommen. Das wird hinhauen, die Schweine werden einen zweiten Mord so schnell nicht machen. Im übrigen muß ich noch einmal feststellen: Ich möchte kein Jude in Deutschland sein.«

Solche absonderliche Bemerkungen waren es, die Verordnungen zur Folge hatten, denn nach dieser Sitzung wurde eine Verordnung erlassen, die den deutschen Juden eine Geldstrafe von 1 Milliarde auferlegte: Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 1579, datiert vom 12. November 1938, unterzeichnet von dem Angeklagten Göring.

Ähnliche Verordnungen finden sich im Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 282, unterzeichnet von dem Angeklagten Göring; und Reichsgesetzblatt 1941, Teil I, Seite 722, unterzeichnet von den Angeklagten Frick und Bormann.

Schließlich wurde im Jahre 1943 den Juden auch der letzte Rechtsschutz durch einen Erlaß entzogen, den die Angeklagten Bormann und Frick und einige andere unterzeichneten, und die Polizei allein bekam die Entscheidungsbefugnis über Strafe und Tod: Reichsgesetzblatt 1943, Teil I, Seite 372, unterzeichnet von Frick und Bormann.

Ich ersuche den Gerichtshof, von den aus dem Reichsgesetzblatt zitierten Verordnungen amtlich Kenntnis zu nehmen.

Gleichzeitig mit der Herausgabe solcher Verordnungen und ihrer Durchführung erhielten die Partei und der von der Partei kontrollierte Staat noch eine weitere Waffe, nämlich den öffentlich unterstützten und offiziellen antijüdischen Boykott.

Ich lege Dokument 2409-PS, das veröffentlichte Tagebuch von Joseph Goebbels, Beweisstück US- 262, vor und verweise den Gerichtshof auf Seite 290, wo Goebbels unter dem Datum vom 29. März 1933 das Folgende schrieb; der Gerichtshof findet das Zitat am Anfang der ersten Seite der Übersetzung von 2409-PS:

»Der Boykottaufruf wird von der ganzen Regierung gebilligt.«

Weiter schrieb er am 31. März 1933, erster Satz auf Seite 1, Absatz 2:

»Wir halten in kleinem Kreise eine letzte Besprechung ab und beschließen, daß der Boykott morgen in aller Schärfe beginnen soll.«

Die Angeklagten Streicher und Frank waren zusammen mit Himmler, Ley und einigen anderen Mitglieder eines Zentralausschusses, der den Boykott gegen die Juden 1933 durchführte. Ihre Namen finden wir in dem Dokument 2156-PS, Nationalsozialistische Partei-Korrespondenz vom 29. März 1933, Beweisstück US-263.

Schon 1933 ging man mit Gewalttätigkeiten gegen die Juden vor. Von uniformierten Nazis wurden Razzien auf Synagogen während des Gottesdienstes durchgeführt. Personen, die in den Synagogen am Gottesdienst teilnahmen, wurden angegriffen, und religiöse Wahrzeichen und Sinnbilder wurden entweiht. Ein Bericht über einen solchen Vorgang findet sich in dem amtlichen Bericht des amerikanischen Generalkonsuls in Leipzig vom 5. April 1933. Ich lege ihn als Dokument 2709-PS vor.

VORSITZENDER: Warum beziehen Sie sich auf 2156?

MAJOR WALSH: Nur um zu zeigen, daß Streicher und Frank Mitglieder des Boykott-Ausschusses waren.

VORSITZENDER: Ich verstehe.

MAJOR WALSH: Dokument 2709-PS ist Beweisstück US-265. Ich zitiere von Absatz 1 auf Seite 1:

»In Dresden haben vor mehreren Wochen uniformierte ›Nazis‹ das jüdische Bethaus überfallen, den Abend- Gottesdienst unterbrochen, 25 Andächtige verhaftet und heilige Abzeichen oder Sinnbilder von ihren Kopfbedeckungen gerissen, die während des Gebets getragen werden.«

Bei einer Zusammenkunft hier in Nürnberg vor den deutschen Pressevertretern eröffnete der Angeklagte Streicher und Oberbürgermeister Liebel von Nürnberg den versammelten Pressevertretern im voraus, daß die Nürnberger Synagoge zerstört werden würde. Zum Beweis unterbreite ich Dokument 1724-PS, US- 266, das ein Protokoll der Sitzung vom 4. August 1938 darstellt. Von Seite 1, Absatz 4, des Originals verlese ich aus der Übersetzung, die dem Gerichtshof vorliegt, das Folgende:

»Abbruch der Synagoge (Mitteilung muß noch geheim gehalten werden). Am 10. August 1938, vormittags 10.00 Uhr, wird mit dem Abbruch der Synagoge begonnen werden. Gauleiter Julius Streicher wird persönlich den Kran in Bewegung setzen, mit dem die jüdischen Symbole (Davidstern usw.) heruntergeholt werden. Die Sache soll groß aufgezogen werden. Näheres noch unbekannt.«

Der Angeklagte Streicher selbst beaufsichtigte die Zerstörung.

Zum Beweis lege ich Dokument 2711-PS vor, eine Zeitungsnachricht vom 11. August 1938, Beweisstück US-267. Absatz 1 der dem Gerichtshof vorliegenden Übersetzung lautet:

»In Nürnberg wird die Synagoge abgebrochen. Julius Streicher leitete selbst durch eine mehr als eineinhalbstündige Rede den Beginn der Arbeiten ein. Auf seinen Befehl löste sich dann, gewissermaßen als Auftakt des Abbruchs, der riesige Davidstern von der Kuppel.«

Diese Gewaltakte waren nicht örtliche antisemitische Demonstrationen, sondern wurden von einer Zentrale in Berlin geleitet und angeordnet. Dies geht aus einer Reihe von Fernschreiben hervor, die aus der Berliner Gestapo-Zentrale an die Polizeichefs in ganz Deutschland am 10. November 1938 gesandt worden waren. Sie enthielten Vorschriften über die im voraus vorbereiteten Demonstrationen. Ich beziehe mich nun auf Dokument 3051-PS, US-240. Ich werde den erheblichen Teil eines dieser von Heydrich unterschriebenen vertraulichen Befehle verlesen. Die Übersetzung liegt dem Gerichtshof vor, zweite Hälfte der zweiten Seite:

»Auf Grund des Attentats gegen den Leg. Sekretär vom Rath in Paris sind im Laufe der heutigen Nacht – 9. auf 10. 11. 1938 – im ganzen Reich Demonstrationen gegen die Juden zu erwarten. Für die Behandlung dieser Vorgänge ergehen die folgenden Anordnungen:

1. Die Leiter der Staatspolizeistellen oder ihre Stellvertreter haben sofort nach Eingang dieses Fernschreibens mit den für ihren Bezirk zuständigen politischen Leitungen – Gauleitung oder Kreisleitung – fernmündlich Verbindung aufzunehmen und eine Besprechung über die Durchführung der Demonstrationen zu vereinbaren, zu der der zuständige Inspekteur oder Kommandeur der Ordnungspolizei zuzuziehen ist. In dieser Besprechung ist der politischen Leitung mitzuteilen, daß die Deutsche Polizei vom Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei die folgenden Weisungen erhalten hat, denen die Maßnahmen, der politischen Leitungen zweckmäßig anzupassen wären:

a) Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen (z. B. Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung vorhanden ist), b) Geschäfte und Wohnungen von Juden dürfen nur zerstört, nicht geplündert werden. Die Polizei ist angewiesen, die Durchführung dieser Anordnungen zu überwachen und Plünderer festzunehmen.«

Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir eine immer stärker werdende Hetze gegen die Juden beobachtet, einen der fundamentalen Grundsätze der Nazi-Partei und des Staates. Die Flamme des Vorurteils wurde nun entzündet und angefacht. Dem deutschen Volk ist die Doktrin weitgehend eingeimpft und die Saat des Hasses gesät worden. Der Deutsche Staat ist jetzt bewaffnet und bereit, Eroberungen zu machen, und die Macht der Weltmeinung kann nun ruhig unbeachtet bleiben. Bereits 200000 von den ursprünglich vorhandenen 500000 Juden waren aus Deutschland herausgetrieben. Der nazi-kontrollierte Deutsche Staat wurde daher ermutigt, und Hitler dachte unter Vorwegnahme der bereits geplanten Angriffskriege daran, sie als Sündenböcke zu benützen, auf deren Schultern der Vorwurf für die kommende Weltkatastrophe abgewälzt werden konnte.

Die Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 ist in der Urkunde 2663-PS enthalten, die ich nunmehr als Beweisstück US-268 vorlege. Ich zitiere:

»Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.«

VORSITZENDER: Wir werden uns nun auf 10 Minuten vertagen.