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[Dr. Thoma geht auf das Rednerpult zu.]

VORSITZENDER: Darf ich Sie bitten, langsam zu sprechen, damit Ihr Antrag über die Kopfhöreranlage richtig bis zu mir gelangt?

DR. ALFRED THOMA: Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, in dem Augenblick, da der Herr Anklagevertreter sich mit meinem Mandanten Rosenberg beschäftigt, eine »objection« zu der Vorlage des Dokuments 212-PS, Beweisstück US-272, vorzubringen. Der Herr Anklagevertreter hat behauptet, dieses Dokument sei eine Instruktion des Ostministers gewesen. Es beginnt mit den Worten...

VORSITZENDER: Über den Kopfhörer war nichts zu hören. Ich kann Sie nicht verstehen. Wollen Sie noch einmal beginnen?

DR. THOMA: Der Anklagevertreter hat vorhin ein Dokument vorgelegt, 212-PS, US-272, und hat behauptet, daß dieses eine Instruktion des Ostministers über die Behandlung der Juden sei. In diesem Dokument soll er angeordnet haben, daß Verletzungen deutscher Maßnahmen, insbesondere Verletzungen des Arbeitszwangs für Juden nur mit Todesstrafe geahndet würden. Dieses Dokument stammt nicht vom Angeklagten Rosenberg. Es ist auch nicht irgendwie versehentlich...

VORSITZENDER: Langsamer bitte.

DR. THOMA: Dieses Dokument stammt nicht vom Angeklagten Rosenberg, es trägt weder ein Datum, noch eine Adresse, noch seine Unterschrift. Ich lege deshalb gegen die Behauptung, daß dieses Dokument vom Angeklagten Rosenberg stamme, Einspruch ein.

VORSITZENDER: Einen Augenblick. Ich glaube nicht, daß der Anklagevertreter behauptet hat, daß das Dokument 212-PS vom Angeklagten Rosenberg herrührte. Ich habe ihn nicht so verstanden.

DR. THOMA: Ich habe ihn dahin verstanden, daß es eine Instruktion des Ostministers gewesen sei. Wenn ich mich nicht irre, hat er auch gesagt, sie stamme vom April 1941. Zu jener Zeit hat ein Ostministerium noch gar nicht bestanden. Rosenberg wurde erst im Juli 1941 zum Ostminister ernannt.

VORSITZENDER: Ich werde den Anklagevertreter fragen.

MAJOR WALSH: Soviel ich weiß, wurde das Dokument 212-PS aus den erbeuteten Akten des Angeklagten Rosenberg genommen.

DR. THOMA: Das ist richtig. Es ist beim Angeklagten Rosenberg gefunden worden. Der Angeklagte Rosenberg behauptet aber, er habe dieses Dokument nie gesehen; er kenne es nicht; es sei nie durch seine Hände gegangen.

VORSITZENDER: Wenn der Angeklagte Rosenberg als Zeuge aufgerufen wird, oder wenn Sie für ihn sprechen werden, wird er die Möglichkeit haben, zu erklären, daß er dieses Dokument nie zuvor gesehen hat. Alles, was der Anklagevertreter gesagt hat – und das scheint zu stimmen –, ist, daß das Dokument in Rosenbergs Akten gefunden wurde. Sie können sagen oder durch die Zeugenaussage des Angeklagten Rosenberg beweisen, wenn Sie Rosenberg als Zeugen aufrufen – falls Sie ihn aufrufen –, daß er dieses Dokument niemals gesehen hat. Verstehen Sie das?

DR. THOMA: Ja, danke sehr.

VORSITZENDER: Es ist jetzt 5 Uhr, und wir werden vertagen.

[Das Gericht vertagt sich bis

14. Dezember 1945, 10.00 Uhr.]

Zwanzigster Tag.

Freitag, 14. Dezember 1945.

Vormittagssitzung.

DR. KAUFFMANN: Ich erlaube mir, dem Gericht zwei Punkte vorzutragen, die die gestrige und die zukünftige Beweisaufnahme zu dem Abschnitt »Humanitätsverbrechen« betreffen.

Erstens: Ich bitte, die gestern in das Protokoll verlesene Aussage des Zeugen Pfaffenberger streichen zu wollen. Es ist nicht zu umgehen, diesen Zeugen eventuell im Kreuzverhör zu vernehmen. Die Aussage ist in wichtigsten Punkten lückenhaft. Es ist nicht zu erkennen, ob es sich bei manchen Dingen um eigene Wahrnehmungen handelt oder um Behauptungen, die auf Hörensagen beruhen. Dadurch entstehen zu leicht falsche Schlußfolgerungen. Der Zeuge hat nicht bekundet, daß der Lagerführer Koch zusammen mit seiner unmenschlichen Ehefrau von einem SS-Gericht zum Tode verurteilt wurde, und zwar wegen dieser Vorfälle unter anderem. Man kann die volle Wahrheit eines Vorganges allerdings dadurch ermitteln, daß ein Zeuge in einem späteren Verfahrensabschnitt vernommen wird. Bis dahin steht aber jeder einzelne der Herren Richter, Staatsanwälte und Verteidiger unter dem fortgesetzten Eindruck einer solchen furchtbaren Aussage. Ihr Inhalt ist so entsetzlich und so erniedrigend für den menschlichen Geist an sich, daß Auge und Ohr sich abwenden möchten. Unterdessen macht eine solche Aussage einen Gang durch die Presse der Welt. Die Zivilisation ist mit Recht empört. Die Konsequenzen einer solchen vorweg genommenen Aussage sind nicht zu übersehen. Der Herr Staatsanwalt hat die Bedeutung dieser Aussage sehr wohl erkannt und die traurigen Beweisstücke gestern im Gerichtssaal gerade ausgestellt. Wird aber erst nach Wochen oder Monaten eine solch verlesene Aussage richtiggestellt, so ist die frühere Wirkung doch niemals mehr ganz zu beseitigen. Die Wahrheit leidet, und die Gerechtigkeit gerät in Gefahr. Paragraph 19 des Statuts will einen solchen Zustand gewiß nicht herbeigeführt sehen.

Zweitens: Ich erlaube mir deshalb auch anzuregen, die Aussage von Zeugen in dem Abschnitt des Verfahrens, der gegenwärtig verhandelt wird, nicht mehr zu verlesen, sofern diese Zeugen in Deutschland wohnen und sofern ihr Erscheinen hier möglich ist. Denn in diesem Stadium des Prozesses handelt es sich um Vorwürfe, deren unmittelbarer Gegenstand noch furchtbarer ist als der Vorwurf der Angriffskriege; denn es handelt sich um das qualvolle Leben und Sterben von Menschen. Im Anfang dieses Prozesses hat das Gericht bereits die Aussagen des Zeugen Schuschnigg abgelehnt, und ich meine, was damals galt, müßte im gegenwärtigen Abschnitt des Verfahrens ganz besonders gelten. Ich möchte die vorstehende Anregung noch unterstreichen, und zwar im Hinblick auf den Angeklagten Dr. Kaltenbrunner selbst, weil er nämlich erst im Frühjahr 1943 Chef des Reichssicherungshauptamtes wurde, weil nach Auffassung der Verteidigung viele, vielleicht alle seine Unterschriften gefälscht worden sind, und weil die gesamte Exekutive für die Konzentrationslager und für alle die Dinge, die damit im Zusammenhang stehen, ausschließlich bei Himmler lagen.

Das hoffe ich noch beweisen zu können.

Ich habe das jetzt vorgetragen, um meine Anregung damit zu begründen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht nun den amerikanischen Hauptanklagevertreter zu hören.

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Herr Dodd, der Sachbearbeiter der jetzt erörterten Angelegenheit, fuhr gestern nach Amerika. Ich muß ihn deshalb hier, so gut ich kann, vertreten.

Dieser Gerichtshof steht unter einem Statut, das die Unmöglichkeit erkannte, einen Zeitabschnitt von zehn Jahren, einen Kontinent umspannenden Raum und eine Million von Handlungen mit gewöhnlichen Beweisregeln zu erfassen und gleichzeitig diesen Fall innerhalb der Zeitspanne eines Menschenlebens zu beendigen. Wir wollen hier nicht einen Prozeß führen, der wie jener von Warren Hastings sieben Jahre dauert; daher hat das Statut nur zwei Grundregeln festgesetzt, nach denen jeder Beweis meiner Ansicht nach zurückgewiesen werden kann. Erstens muß der Beweis für die Streitfrage erheblich sein, und zweitens muß er einen gewissen Beweiswert besitzen. Wegen der Schwierigkeit, diesen Fall nach den technischen Beweisregeln des gemeinen Rechts zu behandeln, sind diese im Artikel 19 enthaltenen Vorschriften als den Gerichtshof bindendes Recht geschaffen worden.

Daß hier ein Militärgericht an Stelle eines üblichen Strafgerichts geschaffen wurde, geschah zum Teil, um die präzedenzschaffende Wirkung dessen, was hier auf Grund unseres eignen Rechts geschieht, zu vermeiden sowie auch, um dem Präzedenzzwang zu entgehen, der eintreten würde, wenn wir hier ein Richterkollegium üblicher Art hätten.

Artikel 19 des Statuts besagt, daß der Gerichtshof nicht an technische Regeln der Beweisführung gebunden sein soll; er soll, soweit irgendwie möglich, schnelle und nicht-technische Verfahrensregeln anwenden und jedes Beweismittel, das Beweiswert zu haben scheint, zulassen. Daß jedes Beweismittel von Beweiswert zuzulassen ist, ist zwingend vorgeschrieben. Ich möchte behaupten, Hoher Gerichtshof, daß der Zweck dieser Vorschrift folgender ist: Die gesamte Kontroverse in diesem Falle, und wir haben keinen Zweifel, daß er genügend Streitfragen enthält, sollte auf den Wert eines Beweismittels, nicht aber auf seine Zulässigkeit konzentriert werden.

Wir haben keine Geschworenen. Deshalb besteht keine Gelegenheit, die Regeln eines Schwurgerichtsverfahrens anzuwenden. Daher erheben sich zwei Fragen, wenn ein Beweismittel angeboten wird: Hat es Beweiswert? Falls es keinen Beweiswert hat, dann soll es das Protokoll natürlich nicht belasten. Die zweite ist: Ist es von Erheblichkeit? Wenn dies nicht der Fall ist, soll es natürlich nicht zugelassen werden.

Das in Frage stehende Beweismittel ist von Erheblichkeit. Das steht außer Frage. Niemand kann behaupten, daß eine in gehöriger Form beschworene eidesstattliche Erklärung nicht irgendwelchen Beweiswert besitze. Welchen Beweiswert und welche Beweiskraft es hat, sollte erst beim Vortrag des Falles entschieden werden. Das heißt also: Wenn ein Zeuge eine eidesstattliche Erklärung abzugeben hat, welche von Herrn Kaltenbrunner bestritten wird, und Sie glauben, daß dieses Bestreiten von Gewicht und Glaubwürdigkeit ist, dann sollte diese eidesstattliche Erklärung bei der endgültigen Beurteilung des Falles nicht berücksichtigt werden. Wir behandeln jedoch jetzt Ereignisse, die sich auf große Zeitspannen und weite Räume erstrecken. Wir haben es mit Zeugen zu tun, die weit verstreut leben, und mit einer Verkehrslage, bei der Verbindungsmöglichkeiten kaum vorhanden sind.

Falls diese eidesstattliche Erklärung auch noch am Ende dieses Falles nicht abgelehnt und bestritten ist, dann liegt die Annahme nicht fern, daß Sie ihr Wert und Gewicht beimessen werden. Eine eidesstattliche Erklärung mag aus sich heraus ergeben, daß ihr die Glaubwürdigkeit fehlt, so zum Beispiel, wenn der Zeuge von Dingen spricht, von denen er keine persönliche Kenntnis hatte. Ich behaupte nicht, daß jede beliebige eidesstattliche Erklärung Beweiskraft hat, nur weil sie beschworen wurde. Aber es scheint mir, daß, wenn wir mit diesem Falle vorwärts kommen wollen, dieses einfache, im Statut als Ergebnis langer Erwägungen vorgesehene System befolgt werden soll; wenn ein Beweisstück vorgelegt wird, so sollte es, selbst wenn es den technischen Regeln eines Gerichtsverfahrens nicht entspricht, aber irgendwelche Beweiskraft für die gewöhnlichen Alltagsbelange hat, zugelassen werden. Falls es bis zum Ende des Falles unbestritten bleibt, was in vielen Fällen geschehen wird, dann kann darüber kein Streit entstehen, und es erübrigt sich, Zeugen vorzuladen, was nach unseren bisherigen Erfahrungen eine unbestimmte Zeit in Anspruch nimmt. Ich möchte behaupten, daß die Aussage des Zeugen Lahousen, die fast zwei Tage dauerte, in Form einer eidesstattlichen Erklärung vor diesem Gerichtshof in 15 Minuten hätte vorgetragen werden können; dabei hätte alles Wesentliche vor uns entwickelt werden können. Falls sie bestritten worden wäre, hätten Sie dann ihren Wert beurteilen können.

Wir wollen uns an dieses Statut halten. Die Tatsache, daß die eidesstattliche Erklärung von Greueltaten berichtet, ist meines Erachtens kein Grund, von dem Statut abzuweichen. Ich hätte geglaubt, die Welt könne durch Berichte über Greueltaten in eidesstattlichen Erklärungen nicht mehr empört sein, als sie es bei den Dokumenten war, die aus feindlichen Quellen selbst herrührten. Es liegt darin kein Grund, von den klaren Prinzipien des Statuts abzuweichen.

Ich glaube, daß hier die Frage eines ordentlichen Verfahrens und die Frage der Zeit beide eine Rolle spielen. Nach meiner Ansicht sollte der Gerichtshof eidesstattliche Erklärungen entgegennehmen; wir haben sie sorgfältig und gerecht, wie ich hoffe, vorbereitet, um sehr viel von dem zu vermeiden, was Tage um Tage der Beweisführung in Anspruch nehmen würde. Ich möchte betonen, daß diese Regelung von größerer Bedeutung für die kommenden Abschnitte des Verfahrens als für diese besondere eidesstattliche Erklärung ist.

Es gibt vielleicht noch einen anderen Grund. Es kann vorkommen, daß ein Angehöriger einer angeklagten Organisation, der uns direkt feindlich gegenübersteht, weil die Anklage gegen die Organisation ihn mit erfaßt, eine oder mehrere eidesstattliche Erklärungen abgegeben hat; sie enthalten Geständnisse, die seinen eigenen Interessen zuwiderlaufen. Zu einer anderen Streitfrage gibt er Erklärungen ab, die wir für unwahr und unglaubwürdig halten. Wir werden uns dann nicht für seine Glaubwürdigkeit im allgemeinen verbürgen wollen, indem wir ihn als Zeugen rufen; wir werden aber den Wunsch haben, von seinem Geständnis Gebrauch zu machen. So müssen wir denken, weil unser Beweismaterial zum großen Teil aus feindlichen Quellen herrührt. Das ganze Beweismaterial und alle Zeugen waren noch vor acht Monaten in der Hand des Feindes. Wir müssen unsere Beweise von ihm beziehen. Gott allein weiß, wie viele Beweisstücke es in der Welt gibt, die wir nicht in unseren Besitz bringen konnten. Wir sind der Meinung, daß es hier dem ordentlichen Verfahren entspricht, sich an das Statut zu halten und diese eidesstattlichen Erklärungen zuzulassen. Wenn sie noch am Ende des Falles unbestritten sind, dann ist der Streit gegenstandslos. Wird Einspruch gegen sie erhoben, dann wird über den Beweiswert von Ihnen bei der Schlußbetrachtung entschieden werden müssen.

VORSITZENDER: Justice Jackson, ich möchte drei Fragen an Sie richten. Die erste ist: Wo ist Pfaffenberger?

JUSTICE JACKSON: Das kann ich im Augenblick nicht beantworten, aber ich werde so rasch wie möglich eine Auskunft einholen. Wir wissen es im Augenblick nicht. Wenn wir etwas darüber erfahren sollten, so werde ich Ihnen nach der Mittagspause Bescheid geben.

VORSITZENDER: Der zweite Punkt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, ist Artikel 16 (e) des Statuts, der ein Kreuzverhör der Zeugen durch die Angeklagten vorsieht. Der einzige Grund, weshalb man annehmen könnte, daß verfügbare Zeugen ihre Aussagen nicht als eidesstattliche Erklärungen abgeben dürfen, besteht darin, daß der Verteidigung die Möglichkeit genommen wird, sie ins Kreuzverhör zu nehmen.

JUSTICE JACKSON: Ich glaube, daß diese Bestimmung genau das meint, was sie sagt; Wenn wir einen Zeugen vorladen, dann haben die Verteidiger das Recht zum Kreuzverhör. Wenn wir ihn nicht vorladen, dann hat die Verteidigung das Recht, ihn als ihren Zeugen vorzuladen, wenn er erreichbar ist, aber natürlich nicht das Recht zum Kreuzverhör. Die Bestimmung selbst, wie Sie, Herr Präsident, bemerken werden, lautet: Sie haben das Recht, jeden von der Anklagebehörde vorgeladenen Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen; das aber beseitigt und beeinflußt nicht den Artikel 19, nach dem wir jedes Beweismittel auf solche Art und Weise uns beschaffen und vorlegen können, daß der Prozeß beschleunigt wird.

VORSITZENDER: Der nächste Punkt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, ist Artikel 17 (a). Soweit ich verstehe, haben Sie geltend gemacht, der Gerichtshof sei verpflichtet, jedes erhebliche Beweismaterial zu berücksichtigen. Deshalb verweise ich Sie auf Artikel 17 (a), welcher dem Gerichtshof das Recht gibt, Zeugen vor das Gericht zu laden.

JUSTICE JACKSON: Das ist richtig. Ich glaube, daß hier keinerlei Widerspruch besteht. Die Befugnis des Gerichtshofs, Zeugen vorzuladen und Fragen an sie zu stellen, wurde mit Rücksicht auf die Rechtssysteme des Kontinents im Statut aufgenommen. In unserem Verfahren in den Staaten gibt es im allgemeinen keine Gerichtszeugen. Die Zeugen werden nur von einer der beiden Parteien vorgeladen. Aber kontinentale Gelehrte schlugen vor, daß in diesem besonders gearteten Falle, in dem wir eine Mischung beider Verfahrensarten anwenden, der Gerichtshof das Recht haben soll, selbst Verschiedenes zu tun. Eines dieser Rechte ist, Zeugen vorzuladen, ihre Anwesenheit zu verlangen und Fragen an sie zu richten. Meiner Ansicht nach kann dieser Zeuge, dessen eidesstattliche Erklärung vorgelegt wurde, vom Gerichtshof vorgeladen und befragt werden, falls er zu finden ist.

Die nächste Bestimmung des Artikels 17, sie beruht auf demselben Gedanken, ist, daß der Gerichtshof das Recht hat, jeden Angeklagten zu vernehmen. Nach unserem Rechtssystem hätte der Gerichtshof natürlich keine solchen Befugnisse, denn der Angeklagte hat das unbeschränkte Recht, von einer Zeugenaussage Abstand zu nehmen. Wieder mit Rücksicht auf das kontinentale Rechtssystem wurde jedoch dem Gerichtshof das Recht verliehen, jeden Angeklagten zu vernehmen. Die Vorrechte, die er nach der Verfassung der Vereinigten Staaten haben würde, wenn wir nach unserem System verhandeln würden, sind ihm hier genommen.

Wie mir scheint, ermächtigt die lückenlose Folgerichtigkeit jener Bestimmungen den Gerichtshof dazu, aus eigenem Entschluß (Artikel 17) Zeugen vorzuladen, ergänzendes Beweismaterial zu fordern und an Zeugen und Angeklagte Fragen zu stellen.

Wenn ein Zeuge vorgeladen wird, kann das Recht auf Kreuzverhör nicht versagt werden. Aber das hebt der Artikel 19 nicht auf, der es uns ermöglichen sollte, unseren Vortrag vor dem Gerichtshof so zu gestalten, daß das Bestreiten dann durch die Angeklagten erfolgen und der Wert des von uns Vorgebrachten einer Schlußwürdigung unterzogen werden sollte.

VORSITZENDER: Schließlich gibt es noch Artikel 17 (e), der wohl Ihrer Meinung nach den Gerichtshof, wenn er es nach Erhalt der eidesstattlichen Erklärung für angebracht halten sollte, berechtigen würde, die Beweiserhebung im Falle Pfaffenberger durch eine Kommission durchführen zu lassen.

JUSTICE JACKSON: Ja, das ist meine Meinung, Herr Präsident. Ich möchte zu diesem Abschnitt bemerken, und dies mag für Leute, die an unser Rechtssystem gewöhnt sind, vielleicht überraschend sein, daß er einer der strittigsten Punkte bei der Abfassung dieses Statuts war. Wir dachten an die Ermächtigung von »Masters«, wie wir sie nennen, die vielleicht verschiedene Orte aufsuchen und Beweiserhebung durchführen sollten, ohne zu wissen, was erforderlich sein könnte. Unsere Praxis jedoch, »Masters in Equity« auszusenden, die Beweiserhebungen durchführen und Vorschläge machen, paßte nicht in das kontinentale System. So gelangten wir schließlich zu einem Kompromiß über diese Bestimmung, die die Beweiserhebung durch Kommissionen zuläßt.

VORSITZENDER: Ich danke Ihnen.

GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Präsident, ich bin nach meinem Kollegen Herrn Jackson ans Pult getreten, um eine eigene Erklärung abzugeben, da meines Erachtens der Antrag der Verteidigung grundsätzlich falsch ist und ihm nicht stattgegeben werden sollte.

Wir legen dem Gerichtshof unsere Einwände zur Prüfung vor. Ich teile voll die Auffassung des Hauptanklagevertreters der Vereinigten Staaten, des Herrn Jackson, und möchte noch auf folgendes hinweisen: Der Verteidiger wirft in seinem Antrag die Frage auf, ob die Anklagebehörde auf solche Urkunden hinweisen oder sie publik machen darf, die eidesstattliche Versicherungen von Personen enthalten, die in Deutschland leben. Eine solche Erklärung ist vollkommen unangebracht, da die Angeklagten bekanntlich die meisten ihrer Greueltaten in allen Ländern Europas begangen haben. Es ist daher begreiflich, daß die Zeugen dieser Grausamkeiten in verschiedenen Teilen dieser Länder leben. Für die Anklagebehörde ist es wesentlich, sich auf die Aussagen solcher Zeugen, sei es in mündlicher oder in schriftlicher Form stützen zu können.

Meine Herren Richter! Wir sind in ein Stadium des Prozesses gekommen, in dem wir die Greueltaten zu erörtern haben, die mit den sogenannten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammenhängen; es sind Verbrechen, die von den Angeklagten in einem weit ausgedehnten Gebiet begangen worden sind. Wir werden dem Gerichtshof als Beweismaterial Dokumente vorlegen, die von den Angeklagten selbst oder von Personen herrühren, die Opfer der Kriegsverbrecher gewesen sind. Es wäre unmöglich, alle diese Zeugen vor Gericht zu laden, damit sie ihr Zeugnis mündlich abgeben könnten. Es ist unbedingt notwendig, eidesstattliche Versicherungen und schriftliche Erklärungen von solchen Zeugen zu verwenden.

Wie der Herr Vorsitzende bereits bemerkt hat, regelt Artikel 17 die Befugnis, Zeugen vor Gericht zu laden. Das stimmt, aber es wäre unmöglich, alle Zeugen vorzuladen, die über die von den Angeklagten begangenen Verbrechen eidesstattliche Versicherungen abgeben könnten. Ich möchte deshalb auf Artikel 19 des Statuts verweisen, welcher lautet: »Der Gerichtshof ist an Beweisregeln nicht gebunden, er soll im weiten Ausmaß ein schnelles und nicht formelles Verfahren anwenden, und jedes Beweismittel, das ihm Beweiswert zu haben scheint, zulassen.«

Ich möchte den Gerichtshof bitten, nach diesem Artikel zu verfahren, der Unzweideutig schriftliche eidesstattliche Versicherungen von Zeugen als Beweismittel zuläßt. Das ist, was ich in Ergänzung der Erklärung von Herrn Jackson ausführen wollte.

MR. ROBERTS: Hoher Gerichtshof! Die Britische Delegation möchte die Ausführungen des amerikanischen Hauptanklägers unterstützen, und wir glauben nicht, etwas Nützliches hinzufügen zu können.

VORSITZENDER: