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[Zu Herrn Faure von der Französischen Delegation gewandt]

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M. EDGAR FAURE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Präsident! Ich möchte nur dem Gerichtshof mitteilen, daß die französische Anklagebehörde vollkommen mit den Ausführungen der amerikanischen und russischen Ankläger übereinstimmt.

Wie der Vertreter der amerikanischen Anklagebehörde ausgeführt hat, ist es nicht möglich, die Frage der Beweisaufnahme in diesem Verfahren ausschließlich durch mündliches Gehör von Zeugen im Gerichtssaal zu lösen; denn unter diesen Umständen könnte es angebracht erscheinen, alle Bewohner der betroffenen Gebiete auf den Zeugenstand zu rufen. Die Verteidigung wird stets Gelegenheit haben, die von der Anklagebehörde vorgelegten Dokumente, einschließlich der schriftlichen Zeugenaussagen, zu erörtern.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß der Verteidiger Kaltenbrunners vorgeschlagen hat, jeden Zeugen vorzuladen, sondern nur solche Zeugen, die in Deutschland leben und erreichbar sind; deren Aussagen sollten nicht in der Form einer eidesstattlichen Erklärung abgegeben werden dürfen.

M. FAURE: Es ist das Recht der Verteidigung, sie als Zeugen zu laden, wenn sie es wünscht.

DR. KAUFFMANN: Ich habe noch einige Sätze zu dieser wichtigen Frage zu sagen. In der Entgegnung der Herren, die eben gesprochen haben, kommt zum Ausdruck, daß einer der Hauptgrundsätze dieses Verfahrens der Umstand sein soll, daß das Verfahren schnell durchgeführt wird. Das ist dann ja auch im Artikel 19 des Statuts zum Ausdruck gebracht. Niemand kann sich mehr wünschen, daß dieser Grundsatz durchgeführt wird, als wir selbst; aber ich bin doch der Auffassung, daß ein Grundsatz, der der höchste ist, den die Menschheit kennt, darunter nicht leiden darf, und dieser Grundsatz ist der der Wahrheit. Und wenn zu befürchten wäre, daß durch ein übereiltes Verfahren die Wahrheit beeinträchtigt werden könnte, dann muß das formelle Verfahren zurücktreten. Es gibt Grundsätze der Menschheit, die unausgesprochen sind, und die nicht ausgesprochen zu werden brauchen.

Dieser Geist der Wahrheit schwebt auch über Artikel 19 und ist sein unabänderlicher Inhalt. Die Bedenken, die ich gegen die Aussagen dieses genannten Zeugen vorgebracht habe, erscheinen mir so begründet, daß der wichtige Grundsatz der Schnelligkeit des Verfahrens gegenüber dem Grundsatz der Wahrheit zurücktreten muß. Die Humanität steht hier auf dem Spiele, und wir wollen für dieses Geschlecht und für unsere Kinder die Wahrheit finden. Wenn eine Zeugenaussage monatelang unausgesprochen bliebe, würde ein Teil der Menschheit an aller Humanität verzweifeln können, und auch das deutsche Volk würde in besonderem Maße leidtragend sein.

DR. FRIEDRICH BERGOLD, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN MARTIN BORMANN: Hohes Gericht! Ich möchte in dieser gegenwärtigen Debatte noch einen Gesichtspunkt aufwerfen, der mir als wichtig erscheint, weil er offenbar die Veranlassung gewesen ist, daß diese Debatte überhaupt ausgelöst worden ist. Nach unseren Rechtsgrundsätzen hat die Staatsanwaltschaft gegenüber der Verteidigung die Verpflichtung, gegen einen Angeklagten nicht nur die belastenden Momente hervorzuheben, sondern auch die entlastenden. Ich verstehe den Herrn Kollegen Kauffmann sehr gut, wenn er hier protestiert hat, weil ein ganz wichtiger Punkt von der Generalstaatsanwaltschaft nicht vorgetragen worden ist, nämlich der, daß gegen diesen unmenschlichen SS-Führer und seine Frau von den deutschen Behörden Anklage erhoben worden ist, und daß sie zum Tode verurteilt worden sind.

Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die Generalstaatsanwaltschaft von dieser Tatsache Kenntnis hatte, und daß sie die uns vorgelegten schauerlichen Dokumente einer verirrten Menschlichkeit aus den Akten des deutschen Gerichts entnommen hat.

Ich glaube, die ganze gegenwärtige Debatte wäre nicht entstanden, wenn die Generalstaatsanwaltschaft neben der Vorlage dieser schauerlichen Debatte auch vorgetragen hätte, daß die deutschen Behörden einen so unmenschlichen Charakter selbst beurteilt und zum Tode verurteilt haben.

Wir Verteidiger tun uns deswegen schwer, weil im Gegensatz zu unserem Verfahren die Hohe Staatsanwaltschaft meist nur die belastenden Momente hervorhebt und von einer einzelnen Urkunde oder von einer einzelnen Zeugenaussage nicht von sich aus berichtet, welche entlastenden Momente bei einem Angeklagten bei dieser Beweisführung zutage treten können. Wenn das im gegenwärtigen Falle geschehen sein würde und von der Hohen Generalstaatsanwaltschaft erklärt worden wäre, daß der Mann zum Tode verurteilt worden ist, dann wäre einmal der Eindruck gegen den Angeklagten Kaltenbrunner kein so schwerwiegender gewesen, und es wäre auch in der Öffentlichkeit ein anderer Gesamteindruck entstanden; dann hätte der Herr Kollege Kauffmann sich darauf beschränken können, in einem späteren Verfahren darzutun, daß der Angeklagte Kaltenbrunner mit dieser Sache überhaupt nichts zu tun hat. Aber die Unmenschlichkeit des Verfahrens, und damit der schreckliche Eindruck auf uns, wäre vermieden worden.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir, bitte, den Teil des deutschen Gesetzes erklären, auf den Sie sich beziehen, wenn Sie sagen, es sei die Pflicht der Staatsanwaltschaft, Beweismaterial nicht nur für die Anklage, sondern auch für die Verteidigung vorzulegen.

DR. BERGOLD: Das ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz in Deutschland. Im Paragraph 160 der Reichsstrafprozeßordnung ist das verankert. Das ist einer der Hauptrechtsgrundsätze, die wir in Deutschland haben, um eine...

VORSITZENDER: Geben Sie nur noch einmal die Rechtsquelle an.

DR. BERGOLD: Paragraph 160. Und dieser Grundsatz soll nach deutscher Auffassung ermöglichen, daß gegen einen Angeklagten, der häufig...

VORSITZENDER: Paragraph 160 welches Gesetzes?

DR. BERGOLD: Der Reichsstrafprozeßordnung. Das gilt ebenso für Österreich. Einen ähnlichen Paragraphen gibt es auch in der österreichischen Strafprozeßordnung, den ich allerdings nicht kenne. Aber dieser Rechtsgrundsatz soll ermöglichen, daß gegen einen Angeklagten die gesamte Wahrheit vorgetragen wird, weil ein Angeklagter, der in Haft ist, sehr häufig nicht in der Lage ist, altes Beweismaterial zu seinen Gunsten selbst vorzutragen und selbst vorzubringen. Darum hat das deutsche Gesetz dem Staatsanwalt aufgegeben, auch das Entlastende in einer Sache vorzutragen, gleichzeitig mit den belastenden Momenten.

DR. KUBUSCHOK: Die Frage Pfaffenberger speziell berührt den Angeklagten von Papen nicht, da dieser Anklagepunkt sich nicht auf seinen Fall bezieht. Ich spreche deshalb nur zu der prinzipiellen Seite der Frage.

Ich glaube, daß praktisch die Auswirkung der Ansichten der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger nicht erheblich sein können. Richter Jackson steht gleichfalls mit uns auf dem Standpunkt, daß bezüglich jedes Zeugen, dessen Affidavit vorgelegt wird, die Verteidigung die Vernehmung des Zeugen dann beantragen kann, wenn der Zeuge erreichbar ist. Es wird also in jedem Falle, wo die Verteidigung auf dem Standpunkt steht, daß ein zweitrangiges Beweismittel, das Affidavit, nicht genügt, sondern daß allein erstklassige Beweismittel der Zeugenvernehmung erforderlich sind, eine doppelte Beweisaufnahme stattfinden, nämlich die Verlesung des Affidavits und Verhör und Kreuzverhör des Zeugen. Dies würde zweifellos eine Verzögerung der Prozeßführung bedeuten. In jedem dieser Fälle würde also das Gericht von vornherein der Verlesung des Affidavits widersprechen, um diese Verzögerung nicht herbeizuführen. Infolgedessen ist es daher wohl zwecklos, wenn seitens der Staatsanwaltschaft Affidavits vorgelegt werden, bei denen zu erwarten ist, daß der Zeuge nochmals verhört wird. Ich glaube, die Staatsanwaltschaft braucht diesbezüglich auch keine Bedenken zu haben. Wir, die Verteidiger, wollen selbstverständlich auch nichts anderes, als was wir bei der Staatsanwaltschaft voraussetzen, einen möglichst schnellen, aber auch möglichst sicheren, in Richtung auf die Wahrheitsfindung sicheren Verlauf des Prozesses. Und schließlich ist es natürlich, wenn in einem Prozeß Beweismaterial durch ein Affidavit eingeführt wird, welches in sich ungeheure Quellen für eine nicht richtige Wahrheitsfindung trägt, daß ein solcher Beweisstoff auf kompliziertere und zeitraubendere Art erst später bei der Zeugenvernehmung klargestellt werden muß.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird über den erhobenen Einspruch nach der Vertagung beraten.

JUSTICE JACKSON: Darf ich um das Wort bitten?

VORSITZENDER: Herr Justice Jackson, es ist ungewöhnlich, einem Anwalt das Wort zu erteilen, wenn er zum zweitenmal einem Einwand widersprechen will.

JUSTICE JACKSON: Ich will nur die Frage über den augenblicklichen Aufenthaltsort Pfaffenbergers beantworten. So viel ich weiß, wurden diese eidesstattlichen Erklärungen von der amerikanischen Armee aufgenommen, als sie die Insassen der Konzentrationslager befreite; zur gleichen Zeit wurden auch die Filme aufgenommen und das gesamte vorhandene Beweismaterial gesammelt. Dieser Zeuge befand sich im Konzentrationslager, und seine Erklärungen wurden damals niedergeschrieben. Wir kennen seinen augenblicklichen Aufenthaltsort nicht, und es scheint unwahrscheinlich, daß wir ihn in Kürze finden können. Wir werden das versuchen.

VORSITZENDER: Ich danke Ihnen.

MR. ROBERTS: Hoher Gerichtshof! Darf ich versuchen, ein wenig zu helfen? Ich glaube, ich habe das deutsche Gesetz, Paragraph 160, auf das sich der Verteidiger bezieht, gefunden. Es ist natürlich in deutscher Sprache. Darf ich es dem Gerichtshof vorlegen? Die Gerichtsübersetzer werden sicher damit fertig werden.

JUSTICE JACKSON: Im Hinblick auf den hier erhobenen Vorwurf, wir hätten mit den in unserem Besitz befindlichen Informationen zurückgehalten, muß ich wohl ein paar aufklärende Worte hinzufügen: Kaltenbrunner ist verhört worden. Er hat niemals eine derartige Behauptung aufgestellt. Dies ist mir von unseren Untersuchungsbeamten mitgeteilt worden. Gemäß dem Statut ist es unsere Pflicht, den Fall für die Anklage vorzutragen. In keinem Falle werde ich zwei Herren dienen.

VORSITZENDER: Ich erteile nun Major Walsh das Wort. Ist das Dokumentenbuch, über das Sie sprechen werden, mit einem Buchstaben gekennzeichnet?

MAJOR WALSH: Ja, Herr Präsident, mit dem Buchstaben »T«.

Während der letzten Sitzung legte die Anklagebehörde kurz die vorbereitenden Maßnahmen dar, die zu dem Endziel der Nazi-Partei und der durch die Nazis kontrollierten Staaten führten, nämlich zur Ausrottung der Juden. Propaganda, Erlasse, die berüchtigten Nürnberger Gesetze, Boykotts, Registrierung und Ghettoisierung waren die ersten Maßnahmen in diesem Programm.

Mit Erlaubnis des Hohen Gerichtshofs werde ich die Erörterung der zur Vernichtung des jüdischen Volkes angewandten Methoden fortsetzen.

Zuerst möchte ich über Aushungerung sprechen. Richtlinien, die darauf abzielten, die Juden der elementarsten Lebensnotwendigkeiten zu berauben, wurden entworfen und ausgeführt. Der Angeklagte Hans Frank, damals Generalgouverneur von Polen, schrieb in seinem Tagebuch, daß Hungerrationen im Warschauer Ghetto eingeführt worden seien. Zu den neuen Ernährungsvorschriften vom August 1942 bemerkt er gefühllos und ziemlich beiläufig, daß er durch diese Vorschriften tatsächlich über eine Million Juden zum Tode verurteilt habe. Ich lege jenen Teil der Urkunde 2233(e)-PS, des Tagebuchs von Hans Frank, Korrespondenzband vom 24. August 1942, zum Beweis vor; es ist US-283. Ich zitiere:

»Daß wir 1,2 Millionen Juden zum Hungertod verurteilen, sei nur am Rande festgestellt. Es ist selbstverständlich, daß ein Nichtverhungern der Juden hoffentlich eine Beschleunigung der antijüdischen Maßnahmen zur Folge haben wird.«

Franks Tagebuch war nicht der einzige Hinweis auf die vorsätzliche, gegen die Juden angewandte Aushungerungspolitik. Sie durften keine landwirtschaftliche Tätigkeit verrichten, damit sie zu Nahrungsmittelquellen keinen Zutritt erhielten.

Ich lege Dokument 1138-PS, Beweisstück US-284, vor. Ich verweise den Gerichtshof auf Seite 4 der Übersetzung, unter der römischen Zahl V, Absätze a und b.

Die Urkunde trägt den Titel: »Vorläufige Richtlinien für die Behandlung der Juden...«; sie waren vom Reichskommissar für das Ostland herausgegeben. Ich lese vor:

»Das flache Land ist von Juden zu säubern. Die Juden sind aus dem gesamten Handel, vordringlich aber aus dem Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und anderen Lebensmitteln zu entfernen.«

Juden wurden vom Einkauf lebenswichtiger Nahrungsmittel, wie Weizenprodukte, Fleisch, Eier und Milch ausgeschlossen.

Ich lege die Urkunde 1347-PS, Beweisstück US- 285, vor und zitiere aus dem zweiten Absatz der ersten Seite der Übersetzung. Dies ist ein Originalerlaß des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft vom 18. September 1942. Ich zitiere:

»Juden erhalten von der 42. Zuteilungsperiode (19. Oktober 1942) ab folgende Lebensmittel nicht mehr: Fleisch, Fleischwaren, Eier, Weizenerzeugnisse (Kuchen, Weißbrot, Weizenkleingebäck, Weizenmehl usw.), Vollmilch, entrahmte Frischmilch, desgleichen solche Lebensmittel, die nicht auf reichseinheitlich eingeführte Lebensmittelkarten, sondern auf örtliche Bezugsausweise oder durch Sonderaufrufe der Ernährungsämter auf freie Abschnitte der Lebensmittelkarten abgegeben werden. Jüdische Kinder und Jugendliche über 10 Jahre erhalten die Brotrationen der Normalverbraucher.«

Die Kranken, Greise und schwangeren Mütter wurden von den besonderen Lebensmittelzuschüssen, die Nichtjuden zustanden, ausgeschlossen. Die Beschlagnahme von Lebensmittelsendungen aus dem Ausland an Juden durch die Staatspolizei war erlaubt. Die jüdischen Lebensmittelkarten trugen eine farbige, deutlich erkennbare, quer über die Karte gedruckte Aufschrift »Jude«, so daß der Kaufmann sofort den jüdischen Kunden erkennen und benachteiligen konnte.

Die tschechische Regierung gab im Jahr 1943 ein offizielles Dokument unter dem Titel »Die Tschechoslowakei wehrt sich« heraus. Ich lege dieses Buch als Dokument 1689-PS, US-286, vor. Den Inhalt der Seite 110 will ich zusammenfassen. Es heißt dort, daß jüdische Käufer von Lebensmitteln nicht nur an bestimmte Bezirke, sondern auch an bestimmte Tage und Stunden gebunden waren. Wie man sich denken kann, waren die Stunden für den Einkauf von Lebensmitteln auf Tageszeiten festgesetzt, zu denen die Nahrungsmittel gewöhnlich ausverkauft waren.

Auf Grund der besonderen Anordnung Nummer 44 für die besetzten Ostgebiete vom 4. November 1941 wurden die Rationen der Juden so herabgesetzt, daß sie sich nur auf die Hälfte der niedrigsten Rations-Kategorie anderer Leute beliefen, und das Landwirtschaftsministerium war ermächtigt, Juden ganz oder teilweise von der Nahrungsmittel-Belieferung auszuschließen und so die jüdische Einwohnerschaft dem Hungertode auszusetzen. Ich unterbreite nun als Beweis Dokument L-165.

VORSITZENDER: Haben Sie etwas aus 1689-PS verlesen?

MAJOR WALSH: Ich habe nur den Inhalt der Seite 110 zusammengefaßt.

VORSITZENDER: Gut. Nun unterbreiten Sie L....

MAJOR WALSH: L-165, Beweisstück US-287, Herr Präsident. Ich verweise den Gerichtshof auf die letzte Hälfte des ersten Absatzes der Übersetzung. Dies ist eine vom polnischen Informationsministerium am 15. November 1942 herausgegebene Presse-Bekanntmachung. Das polnische Ministerium kommt zu dem Schluß, daß das System der Sonder-Rationierung und der Kürzung der Nahrungsmittelzuweisung für Juden in den Ghettos von Warschau und Krakau den Hungertod bezweckte.

Ich verlese aus dem Zitat:

»Es gibt ein besonderes System für ihre Nahrungsmittelversorgung, und dieses zielt offensichtlich darauf hin, ihnen die elementarsten Notwendigkeiten des Lebens zu verweigern.«

Ich möchte nunmehr von der Ausrottung innerhalb der Ghettos sprechen. Justice Jackson erwähnte in seiner Eröffnungsrede das Dokument 1061-PS. »Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!«; es ist als Beweisstück US-275 bezeichnet.

Dieses ausgezeichnete Probestück deutscher Handwerkskunst, in Leder eingebunden, reich illustriert, auf schwerem Büttenpapier gedruckt, enthält einen beinahe unglaublich klingenden Bericht einer stolzen Leistung des Generalmajors der Polizei, Stroop, der diesen Bericht mit kühner Hand unterzeichnet hat. General Stroop rühmt in diesem Bericht erst die Tapferkeit und das Heldentum der deutschen Streitkräfte, die an der rücksichtslosen und erbarmungslosen Aktion gegen eine hilf- und schutzlose Gruppe von Juden teilnahmen, die sich, um genau zu sein, auf 56065 Personen belief, selbstverständlich einschließlich Frauen und Kinder. In diesem Dokument gibt er eine tägliche, fortlaufende Beschreibung der schließlichen Erfüllung seiner Aufgabe: Der Zerstörung und Vernichtung des Warschauer Ghettos.

Nach diesem Bericht lebten in dem Ghetto, das im November 1940 in Warschau errichtet wurde, ungefähr 400000 Juden. Vor der Aktion zur Zerstörung dieses Ghettos waren schon etwa 316000 Juden von dort deportiert worden. Der Gerichtshof wird bemerken, daß dieser Bericht etwa 75 Seiten lang ist; die Anklagebehörde ist der Ansicht, daß sein Inhalt solch schlagenden Beweiswert hat, daß keiner seiner Teile in dem Gerichtsprotokoll fehlen und daß der Gerichtshof den ganzen Bericht bei der Beurteilung der Schuld dieser Angeklagten in Betracht ziehen sollte.

Die Angeklagten haben verschiedene Photokopien dieses Gesamtdokuments vor mindestens 20 Tagen erhalten; ich bin sicher, daß sie genügend Zeit hatten, es gründlich zu prüfen. Falls der Gerichtshof nach seinem Ermessen findet, daß der ganze Bericht vollständig angenommen werden kann, dann glaubt die Anklagebehörde, daß die Verlesung eines Teils der Zusammenfassung, zusammen mit kurzen Auszügen aus den täglichen Fernschreibberichten für das mündliche Protokoll genügen würde.

Ich bitte den Gerichtshof, den Bericht zu prüfen, und überreiche ihn zusammen mit dem Duplikat des Originals. Ich bitte um die Entscheidung des Gerichtshofs, dahingehend, daß das ganze Dokument als Beweismittel angenommen wird.

VORSITZENDER: Major Walsh, der Gerichtshof wird so verfahren, vorausgesetzt, daß die Anklagebehörde sobald wie möglich den sowjetischen sowohl als auch den französischen Mitgliedern des Gerichtshofs Kopien des ganzen Dokuments in russischer und französischer Sprache zur Verfügung stellt.

MAJOR WALSH: Ja, Herr Vorsitzender; darf ich mich besprechen mit...

VORSITZENDER: Das braucht nicht sofort zu geschehen, aber so bald wie möglich.

MAJOR WALSH: Jawohl.

VORSITZENDER: Werden Sie jetzt die Teile, die Sie für wichtig erachten, verlesen?

MAJOR WALSH: Jawohl. Von Seite 6 der dem Gerichtshof vorliegenden Übersetzung des Dokuments 1061-PS möchte ich die prahlerische, aber dennoch lebhafte Schilderung der rücksichtslosen Aktion im Warschauer Ghetto verlesen.

Ich zitiere den zweiten Absatz auf Seite 6:

»Der von den Juden und Banditen geleistete Widerstand konnte nur durch energischen unermüdlichen Tag- und Nacht-Einsatz der Stoßtrupps gebrochen werden. Am 23. April 1943 erging vom Reichsführer-SS über den höheren SS- und Polizeiführer Ost in Krakau der Befehl, die Durchkämmung des Ghettos in Warschau mit größter Härte und unnachsichtlicher Zähigkeit zu vollziehen. Ich entschloß mich deshalb, nunmehr die totale Vernichtung des jüdischen Wohnbezirks durch Abbrennen sämtlicher Wohnblocks, auch der Wohnblocks bei den Rüstungsbetrieben, vorzunehmen. Es wurde systematisch ein Betrieb nach dem anderen geräumt und anschließend durch Feuer vernichtet. Fast immer kamen dann die Juden aus ihren Verstecken und Bunkern heraus. Es war nicht selten, daß die Juden in den brennenden Häusern sich so lange aufhielten, bis sie es wegen der Hitze und aus Angst vor dem Verbrennungstod vorzogen, aus den Stockwerken herauszu springen, nachdem sie vorher Matratzen und andere Polstersachen aus den brennenden Häusern auf die Straße geworfen hatten. Mit gebrochenen Knochen versuchten sie dann noch über die Straße in Häuserblocks zu kriechen, die noch nicht oder nur teilweise in Flammen standen. Oft wechselten die Juden auch ihre Verstecke während der Nacht, indem sie sich in bereits abgebrannte Ruinen verzogen und dort so lange Unterschlupf fanden, bis sie von den einzelnen Stoßtrupps aufgefunden wurden. Auch der Aufenthalt in den Kanälen war schon nach den ersten 8 Tagen kein angenehmer mehr. Häufig konnten auf der Straße durch die Schächte laute Stimmen aus den Kanälen heraus gehört werden.

Mutig kletterten dann die Männer der Waffen-SS oder der Polizei oder Pioniere der Wehrmacht in die Schächte hinein, um die Juden herauszuholen, und nicht selten stolperten sie dann über bereits verendete Juden oder wurden beschossen. Immer mußten Nebelkerzen in Anwendung gebracht werden, um die Juden herauszutreiben. So wurden an einem Tag 183 Kanaleinsteiglöcher geöffnet und in diese zu einer festgelegten Zeit Nebelkerzen herabgelassen mit dem Erfolg, daß die Banditen vor dem angeblichen Gas flüchtend im Zentrum des ehemaligen jüdischen Wohnbezirks zusammenliefen und aus den dort befindlichen Kanalöffnungen herausgeholt werden konnten. Zahlreiche Juden, die nicht gezählt werden konnten, wurden in Kanälen und Bunkern durch Sprengungen erledigt.

Je länger der Widerstand andauerte, desto härter wur den die Männer der Waffen-SS, Polizei und der Wehrmacht, die auch hier in treuer Waffenbrüderschaft unermüdlich an die Erfüllung ihrer Aufgabe herangingen und stets beispielhaft und vorbildlich ihren Mann standen. Der Einsatz ging oft vom frühen Morgen bis in die späten Nachtstunden. Nächtliche Spähtrupps, mit Lappen um die Füße gewickelt, blieben den Juden auf, den Fersen und hielten sie ohne Unterbrechung unter Druck. Nicht selten wurden Juden, welche die Nacht benutzten, um aus verlassenen Bunkern ihre Lebensmittelvorräte zu ergänzen oder mit Nachbargruppen Verbindung aufzunehmen, beziehungsweise Nachrichten auszutauschen, gestellt und erledigt.

Wenn man berücksichtigt, daß die Männer der Waffen-SS zum größten Teil vor ihrem Einsatz nur eine drei- bis vierwöchentliche Ausbildung hinter sich hatten, so muß der von ihnen gezeigte Schneid, Mut und die Einsatzfreudigkeit besonders anerkannt werden. Es ist festzustellen, daß auch die Pioniere der Wehrmacht, die von ihnen vorgenommenen Sprengungen von Bunkern, Kanälen und Betonhäusern in unermüdlicher, einsatzfreudiger Arbeit vollbrachten. Offiziere und Männer der Polizei, die zu einem großen Teil bereits Fronterfahrung hatten, bewährten sich erneut durch beispielhaftes Draufgängertum.

Nur durch den ununterbrochenen und unermüdlichen Einsatz sämtlicher Kräfte ist es gelungen, insgesamt 56065 Juden zu erfassen und nachweislich zu vernichten. Dieser Zahl hinzuzusetzen sind noch die Juden, die durch Sprengungen, Brände usw. ums Leben gekom men sind, aber nicht zahlenmäßig erfaßt werden konnten.«

VORSITZENDER: Major Walsh, sollten Sie nicht aus dem Teil, mit dem Sie sich gerade befassen, die einleitenden Absätze dieses Dokuments verlesen, die über die Verluste der deutschen Truppen sprechen?

MAJOR WALSH: Ich will es gerne tun, Herr Präsident. Ich zitiere von Seite 1 der Übersetzung. Überschrift: »Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr.«

»Für den Führer und für ihr Vaterland sind im Kampf bei der Vernichtung von Juden und Banditen im ehemaligen jüdischen Wohnbezirk in Warschau gefallen:...«

und dann folgen 15 Namen.

»Ferner fiel in Ausübung seines Dienstes am 19. April 1943 der polnische Polizei-Wachtmeister Julian Zielinski, geboren am 13. November 1891, 8. Kommissariat.

Sie setzten ihr Höchstes, ihr Leben, ein. Wir werden sie nie vergessen.

Es wurden verwundet:...«

Dann folgen die Namen von 60 Waffen-SS-Männern, 11 Wachtposten von Schulungslagern, wahrscheinlich Litauer, 12 Sicherheitspolizei-Offiziere in SS-Einheiten, 5 Männer der polnischen Polizei und 2 Soldaten der Wehrmacht-Pioniere.

Ich möchte nunmehr einige kurze Auszüge der täglichen Fernschreibeberichte verlesen. Seite 13 der Übersetzung aus dem Fernschreiben vom 22. April 1943 lautet:

»Die Anlegung des Brandes hatte im Laufe der Nacht das Ergebnis, daß die unter den Dächern, beziehungsweise in den Kellern und sonstigen Schlupfwinkeln sich trotz aller Durchsuchungsaktionen noch verborgenen Juden an den äußeren Fronten des Häuserblocks zeigten, um dem Feuer irgendwie zu entgehen. In Massen – ganze Familien – sprangen die Juden, schon vom Feuer erfaßt, aus dem Fenster oder versuchten, sich durch aneinandergeknüpfte Bettlaken usw. herabzulassen. Es war Vorsorge getroffen, daß diese sowohl als auch die anderen Juden sofort liquidiert wurden.«

Von Seite 28 der Übersetzung lese ich den letzten Teil des Absatzes:

»Bei der Vernichtung des vorgenannten Häuserblocks wurden 120 Juden erfaßt und ungezählte Juden, die infolge des Brandes aus dem Dachgeschoß auf die inneren Hofe absprangen, vernichtet. Weiter sind viele Juden in den Flammen umgekommen, beziehungsweise wurde eine weitere Anzahl von Juden durch vorgenommene Sprengungen von Bunkern und Kanalöffnungen ebenfalls vernichtet.«

Und ich lese nun von Seite 30 die zweite Hälfte des zweiten Absatzes:

»Erst nachdem die Häuserblocks durch Feuer der Vernichtung entgegengingen, kamen eine erhebliche Zahl von Juden, durch das Feuer und den Rauch gezwungen, zum Vorschein. Immer wieder versuchten die Juden, selbst durch brennende Gebäude hindurchzuwechseln. Ungezählte Juden, die sich während der Feuersbrunst auf den Dächern zeigten, sind in den Flammen umgekommen. Andere kamen erst im letzten Augenblick in den höchsten Stockwerken zum Vorschein und konnten sich nur durch Abspringen vor dem Verbrennungstod retten. Es wurden am heutigen Tage insgesamt 2283 Juden erfaßt, davon 204 erschossen, ungezählte Juden wurden in Bunkern und durch Feuer vernichtet.«

Und nun lese ich von Seite 34, Absatz 2, beginnend mit der zweiten Zeile:

»Die Juden sagen aus, daß sie nachts an die frische Luft kommen, da ein ununterbrochener Aufenthalt in ihren Bunkern für sie durch die längere Dauer der Aktion unerträglich wird. Durchschnittlich werden durch die Stoßtrupps in jeder Nacht 30-50 Juden erschossen. Nach diesen Aussagen muß angenommen werden, daß immer noch eine größere Zahl von Juden sich unterirdisch im Ghetto aufhält. Heute wurde ein Betongebäude, das durch Feuer nicht zu vernichten war, gesprengt. Hierbei wurde festgestellt, daß das Sprengen von Häusern ungemein langwierig ist und eine Riesenmenge an Munition erfordert. Die einzige und beste Methode zur Vernichtung der Juden ist daher immer noch die Anlegung von Bränden.«

Ich lese jetzt den letzten Teil des zweiten Absatzes auf Seite 35:

»Nach gemachten Aussagen sollen sich noch etwa 3-4000 Juden in den unterirdischen Löchern, Kanälen und Bunkern aufhalten. Der Unterzeichnete ist entschlossen, die Großaktion nicht eher zu beenden, bis auch der letzte Jude vernichtet ist.«

Aus dem Fernschreiben vom 15. Mai 1943 auf Seite 44 müssen wir entnehmen, daß das Unternehmen seinem Ende entgegengeht. Ich verlese den Schluß des ersten Absatzes auf Seite 44:

»Durch ein Sonderkommando wurde der letzte noch vorhandene unversehrte Gebäudekomplex des Ghettos nochmals durchsucht und anschließend vernichtet. Am Abend wurden auf dem jüdischen Friedhof die Kapelle, Leichenhalle und sämtliche Nebengebäude gesprengt, beziehungsweise durch Feuer vernichtet.«

Am 24. Mai 1943 hat Generalmajor Stroop die Bilanz gezogen. Er berichtet auf Seite 45, letzter Absatz:

»Von den 56065 insgesamt erfaßten Juden sind ca. 7000 im Zuge der Großaktion im ehemaligen jüdischen Wohnbezirk selbst vernichtet. Durch Transport nach T. II« – wir glauben, das ist Treblinka, Lager Nr. 2, auf das wir später zurückkommen werden, – »wurden 6929 Juden vernichtet, so daß insgesamt 13929 Juden vernichtet wurden. Über die Zahl 65065 hinaus sind schätzungsweise 5-6000 Juden bei Sprengungen und durch Feuer vernichtet worden.«

Der Gerichtshof hat in dem Bericht 1061-PS eine Anzahl von Photographien bemerkt, und ich möchte einige dieser Lichtbilder auf der Leinwand zeigen, falls ein Hinweis auf den Originaltext dem Gerichtshof nicht ausreichend erscheint.

VORSITZENDER: Nein. Wenn Sie diese Bilder auf der Leinwand zeigen wollen, sollten Sie das tun. Vielleicht können wir eine Pause einschalten und die Bilder nachher sehen.