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[Gericht vertagt sich bis

17. Dezember 1945, 10.00 Uhr.]

Einundzwanzigster Tag.

Montag, den 17. Dezember 1945.

Vormittagssitzung.

DER VORSITZENDE, LORD JUSTICE SIR GEOFFREY LAWRENCE: Ich habe im Namen des Gerichtshofs vier Erklärungen abzugeben. Ich werde diese Erklärungen jetzt verlesen. Sie werden dann an der Anschlagtafel im Verteidigerzimmer in deutscher Sprache sobald wie möglich angebracht werden.

Die erste Erklärung lautet wie folgt:

Der Gerichtshof ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß in der Presse Erklärungen über anscheinend mit einigen Angeklagten dieses Prozesses aufgenommene Interviews erschienen sind, die von Verteidigern vermittelt worden sein sollen. Der Gerichtshof hält es für notwendig, mit größtem Nachdruck zu erklären, daß dies ein Vorgang ist, der nicht zugelassen werden kann und wird. Die Verteidiger werden daher verwarnt, daß sie die höchste Berufsauffassung in diesen Dingen beobachten und die Gelegenheit des freien Verkehrs mit ihren Klienten nicht dazu benützen sollen, als Vermittler zwischen den Angeklagten und der Presse zu fungieren. Auch bei der Abgabe von Erklärungen sollen sie in ihrem eigensten Interesse größte berufliche Diskretion walten lassen.

Der Gerichtshof erkennt an, daß es in einem derartigen Prozeß, der das öffentliche Interesse der ganzen Welt auf sich zieht, besonders wichtig ist, daß alle irgendwie an dem Prozeß beteiligten Personen sich ihrer Verantwortung bewußt sind und dafür sorgen, daß nichts geschieht, was von einer korrekten Verhandlungsführung ablenkt.

Die Weltpresse erweist uns durch die Veröffentlichung des Verfahrens vor diesem Gerichtshof einen großen Dienst. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß er mit Recht von allen Beteiligten eine Mitarbeit verlangen kann, die alles vermeidet, was im Widerspruch zu einer unparteiischen Rechtsfindung stehen könnte.

Zweitens möchte ich folgende Erklärung abgeben: Der Gerichtshof weiß, daß die gemäß Artikel 9 des Statuts ernannten Verteidiger darüber Zweifel hegen, ob sie dazu ernannt worden sind, Gruppen und Organisationen zu vertreten, die in der Anklageschrift als verbrecherisch angeklagt sind, oder ob sie die Einzelpersonen vertreten sollen, die den Antrag gestellt haben, unter Berufung auf diesen Artikel gehört zu werden.

Der Gerichtshof bestimmt, daß die Verteidiger die angeklagten Gruppen und Organisationen zu vertreten haben und nicht die Antragsteller. Wie der Gerichtshof bereits angeordnet hat, werden die Verteidiger dazu berechtigt sein, Vertreter zu laden, die Anträge gestellt haben, und auch andere Personen, deren Erscheinen vom Gerichtshof angeordnet werden kann. Anträge auf Ladung von Zeugen müssen in der üblichen Form gestellt werden. Die Aussagen dieses Zeugen und die Argumente der Verteidiger müssen sich auf Fragen der verbrecherischen Natur der Gruppen oder Organisationen beschränken. Die Verteidiger werden nicht das Recht haben, mit Bezug auf die Verantwortlichkeit der einzelnen Antragsteller Beweismaterial einzureichen oder irgendwelche Fragen zu erörtern, ausgenommen dann, wenn dies mit dem verbrecherischen Charakter der Organisationen im Zusammenhang steht. Es wird den Verteidigern gestattet sein, mit den Antragstellern zu verkehren, um zu entscheiden, welche Zeugen sie vorladen wollen.

Die dritte Erklärung ist die folgende: Der Hauptankläger für die Vereinigten Staaten hat den Gerichtshof gebeten, eine Änderung der Verfahrensordnung vorzunehmen, auf Grund welcher nur jene Teile von Dokumenten, die vor dem Gerichtshof verlesen werden, als Beweismaterial zuzulassen sind. Um soweit wie möglich dem Bedürfnis der Mitglieder des Gerichtshofs, der Anklagevertretung und der Verteidiger gerecht zu werden, das gesamte Beweismaterial dieses Falles zur Verfügung zu haben, hat der Gerichtshof nach sorgfältiger Erwägung des Antrags das Folgende bestimmt:

Alle Dokumente dürfen dem Gerichtshof überreicht werden; jedoch wird der Gerichtshof als Beweismaterial nur zulassen:

1. Dokumente oder Teile von Dokumenten, die vor dem Gerichtshof verlesen wurden.

2. Dokumente oder Teile von Dokumenten, die vor dem Gerichtshof erwähnt werden, vorausgesetzt, daß sie in die Sprachen der Mitglieder des Gerichtshofs übersetzt worden sind, und daß eine ausreichende Zahl von Dokumenten in deutscher Sprache im Informationsraum der Verteidigung zur Verfügung gestellt wird.

Das bezieht sich nicht auf Dokumente, von denen der Gerichtshof gemäß Artikel 21 des Statuts amtlich Kenntnis nimmt. Die Anklagevertreter und die Angeklagten haben das Recht, diese Dokumente zu verlesen oder auf sie Bezug zu nehmen, ohne sie zu verlesen.

Schriftsätze und Dokumentenbücher können dem Gerichtshof vorgelegt werden, falls gleichzeitig genügend Abschriften für die Verteidiger im Informationsraum hinterlegt werden. Soweit als möglich, sollen diese Dokumente, bevor sie dem Gerichtshof vorgelegt werden, bereits zur Verfügung stehen. Um es der Übersetzungsabteilung zu ermöglichen, die Übersetzungen rechtzeitig fertigzustellen, wird vorgeschlagen, daß alle Dokumente dieser Abteilung mindestens fünf Tage vor ihrer Vorlage als Beweismittel übergeben werden.

Und nun die vierte Erklärung: Der Gerichtshof hat über eine Anzahl von Anträgen auf Ladung von Zeugen entschieden. Einige dieser Anträge sind genehmigt worden unter der Voraussetzung, daß sie für die Beweisführung wesentlich sind. Andere Anträge sind abgelehnt worden. In einigen Fällen wurde verfügt, daß die Zeugen bereitzuhalten sind, das heißt: kann ein Zeuge gefunden werden, dann ist er anzuweisen, sich bereitzuhalten, um hier als Zeuge zu erscheinen, falls dem Antrag stattgegeben wird.

Es ist der Wunsch des Gerichtshofs, für die Angeklagten jene Zeugen herbeizuschaffen, die für ihre Verteidigung sachdienlich und erheblich sind. Um eine unnötige Verlängerung des Prozesses zu verhindern, ist es jedoch klar, daß Zeugen, deren Aussagen unerheblich oder nur kumulativ sind, nicht vorgeladen werden sollen. Nach Abschluß der Beweisführung durch die Anklagevertretung wird der Gerichtshof von den Verteidigern hören, welche zugelassenen oder bereitgehaltenen Zeugen sie zur Abgabe von Zeugenaussagen für notwendig erachten. Zu diesem Zeitpunkt wird der Gerichtshof auch Vorschläge bezüglich der Zeugen entgegennehmen, die abgelehnt worden sind, falls der Gerichtshof mit Rücksicht auf den Fall die Aussagen dieser Zeugen für wichtig und nicht kumulativ ansieht.

Der Verteidiger jedes Angeklagten kann jeden anderen Angeklagten über erhebliche Dinge als Zeugen befragen. Falls der andere Angeklagte in seiner eigenen Sache als Zeuge aussagt, soll der Verteidiger sein Recht erst nach Abschluß seiner Aussage ausüben.

Verhöre von Zeugen, die von anderen Angeklagten verlangt wurden: In einigen Fällen wurde dieselbe Person von mehreren Angeklagten als Zeuge angefordert. Ein solcher Zeuge soll nur einmal aufgerufen werden. Er kann dann von allen Verteidigern bezüglich aller sachdienlichen Fragen verhört werden.

Das ist alles.

Ich erteile nun dem Anklagevertreter für die Vereinigten Staaten das Wort.

HAUPTMANN SAMUEL HARRIS, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Wir fahren mit der Vorlage des Beweismaterials über die Pläne der Verschwörer zur Germanisierung und Ausplünderung fort.

Das nächste Thema, für das wir Beweismaterial vorlegen möchten, ist der Plan der Verschwörer zur Germanisierung und Ausplünderung der Sowjetunion. Wie Herr Alderman gezeigt hat, erreichten die von den Verschwörern sorgfältig vorbereiteten Pläne mit der Invasion der Sowjetunion ihren Höhepunkt. Wir werden nun die Pläne der Verschwörer für die Germanisierung und Ausplünderung der Sowjetunion nach der vorausgegangenen Eroberung dieses Landes zum Beweis vorlegen.

Der Hauptankläger für die Sowjetunion wird darlegen, wieviel menschliches Leid und Elend die Durchführung dieser Pläne mit sich brachte. Wir behaupten, daß die wenigen Beweisstücke, die wir vorzulegen beabsichtigen, das Folgende zeigen werden:

1. Die Verschwörer beabsichtigten, alle Nahrungsmittel und Rohstoffe aus dem Süden und Südosten der Sowjetunion über die Bedürfnisse der eindringenden Nazi-Streitkräfte hinaus nach Deutschland zu schaffen, ohne Rücksicht auf das absolute Existenzminimum der Bevölkerung dieser Gebiete, welche die nach Deutschland zu bringenden Produkte erzeugte. Diese Zone hatte früher den nördlichen Teil der Sowjetunion beliefert, den die Verschwörer als die »Waldzone« bezeichneten. Diese Zone umfaßte einige der führenden Industriegebiete der Sowjetunion einschließlich Moskaus und Leningrads.

2. Die absichtliche, und systematische Aushungerung von Millionen von Russen. Die Aushungerung sollte mit den folgenden Mitteln erreicht werden:

a) Wie unter Punkt 1 gezeigt, sollten die Produkte aus den südlichen und südöstlichen Gebieten der Sowjetunion, die normalerweise in die Industriegebiete des Nordens gesandt wurden, zwangsweise nach Deutschland gebracht werden. Außerdem sollte alles Vieh in den Industriegebieten für die Wehrmacht und für die deutsche Zivilbevölkerung beschlagnahmt werden. Die sich daraus ergebende Folge war, daß die Bevölkerung der Nordgebiete verhungern würde.

b) Sie stellten die folgende Dringlichkeitsliste auf, nach welcher die von den Russen erzeugten Nahrungsmittel zur Verteilung kommen sollten: erstens die Kampftruppe, zweitens die übrigen Truppen auf feindlichem Boden, drittens Truppen in Deutschland, viertens die deutsche Zivilbevölkerung und endlich die Bevölkerung der besetzten Gebiete.

Demnach sollten selbst Russen in der Nahrungsmittelüberschußzone der Ukraine, die nicht für die Produktion zugunsten der deutschen Kriegsmaschine gebraucht wurden, systematisch ausgehungert werden.

3. Planten sie die dauernde Zerstörung aller Industrien der nördlichen Gebiete der Sowjetunion, um die Reste der russischen Bevölkerung hinsichtlich der Gebrauchsgüter völlig von Deutschland abhängig zu machen.

4. Planten sie die Angliederung eines Teiles von Galizien und der Baltischen Staaten an Deutschland und die Umwandlung der Krim, des Gebietes nördlich der Krim, des Wolga-Gebiets und des Bezirks von Baku in deutsche Kolonien.

Ich werde mich nun den einzelnen Beweispunkten zuwenden.

Zunächst lege ich Dokument EC-472, US-315, vor. Das Dokument soll die Stellung und Aufgabe des Wirtschaftsstabs Osten, Gruppe La zeigen. Das Beweisstück, das wir als nächstes vorlegen werden, ist von dieser Organisation ausgearbeitet worden. Beweisstück EC-472 enthält »Richtlinien« aus dem Amt des Angeklagten Göring »für die Führung der Wirtschaft in den neubesetzten Ostgebieten«. Es ist die zweite Auflage und trägt das Datum Berlin, Juli 1941. Die erste Auflage ist augenscheinlich vor Juli 1941 herausgekommen. Das Dokument wurde unter den erbeuteten Akten des OKW in Fechenheim gefunden.

Nach diesen Richtlinien gründete der Angeklagte Göring den Wirtschaftsführungsstab Ost, der ihm persönlich verantwortlich war, und diesem untergeordnet den Wirtschaftsstab Ost. Der Wirtschaftsstab Ost war wiederum in vier Gruppen eingeteilt: Chef des Wirtschaftsstabes, Gruppe La, Gruppe W und Gruppe M. Ich zitiere nun von Seite 2, Zeile 7 bis 9 des englischen Textes, im deutschen Text Seite 7, Zeile 7 bis 9:

»Gruppe La (Arbeitsgebiet: Ernährung und Landwirtschaft, Bewirtschaftung aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse, Bereitstellung der Truppenverpflegung im Einvernehmen mit den zuständigen Dienststellen des Heeres).«

Weiterhin lege ich zum Beweis EC-126, US-316, vor. Es handelt sich um einen Bericht vom 23. Mai 1941, also von einem Datum, das vor der Invasion der Sowjetunion liegt. Er wurde in den erbeuteten Akten des OKW gefunden und trägt die Überschrift »Wirtschaftspolitische Richtlinien für Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft«. Er wurde vom Wirtschaftsstab Ost, Gruppe La, also der landwirtschaftlichen Gruppe, vorbereitet, die, wie sich aus dem soeben vorgelegten Beweisstück ergibt, einen wichtigen Teil der vom Angeklagten Göring für die wirtschaftliche Verwaltung Rußlands aufgestellten Organisation bildete.

Die Unterstreichungen im englischen Text geben nur die Unterstreichungen im Original wieder. Das Dokument beginnt mit einer Aufzählung von Tatsachen, die sich auf die landwirtschaftliche Produktion der Sowjetunion beziehen. Es heißt hier, daß die Überschüsse an Getreide in Rußland durch die Höhe des Selbstverbrauchs bestimmt werden, und daß diese Tatsache die Basis darstelle, auf welcher die Planenden ihre Maßnahmen und ihre Wirtschaftspolitik aufzubauen hätten. Ich zitiere nun vom sechsten und siebenten Absatz auf Seite 2 des englischen Textes, im deutschen Text Seite 3, die letzten 3 Zeilen, und Seite 4, die ersten 5 Zeilen:

»Die Überschußgebiete liegen im Schwarzerdegebiet (also im Süden, Südosten) und im Kaukasus. Die Zuschußgebiete liegen im wesentlichen in der Waldzone des Nordens (Podsolböden).

Daraus folgt: Eine Abriegelung der Schwarzerdegebiete muß unter allen Umständen mehr oder weniger hohe Überschüsse in diesen Gebieten für uns greifbar machen. Die Konsequenz ist die Nichtbelieferung der gesamten Waldzone einschließlich der wichtigen Industriezentren Moskau und Petersburg.«

Als nächstes zitiere ich die letzten 11 Zeilen von Seite 2 und die ganze Seite 3 des englischen Textes. Der deutsche Text beginnt in der Mitte der Zeile 6 auf Seite 5 und reicht bis Zeile 29 auf Seite 6.

Ich zitiere:

»Das«, nämlich die Einstellung der Lieferungen, »bedeutet:

1. Aufgabe der gesamten Industrie im Zuschußgebiet, im wesentlichen der Verarbeitungsindustrie im Moskauer und Petersburger Industriegebiet, desgleichen des Industriegebietes im Ural. Man kann wohl annehmen, daß diese Gebiete heute einen Zuschuß aus der Produktionszone von 5-10 Millionen Tonnen beziehen.

2. Ausgenommen werden muß das Erdölgebiet Transkaukasien, obgleich es Zuschußgebiet ist. Dieser Lieferant von Erdöl, Baumwolle, Mangan, Kupfer, Seide, Tee muß aus besonderen politischen und wirtschaftlichen Gründen unbedingt beliefert werden.

3. Jede weitere Ausnahme zwecks Erhaltung dieses oder jenes Industriebezirks oder Industrieunternehmens in der Zuschußzone muß abgelehnt werden.

4. Erhalten werden kann die Industrie nur, soweit sie im Überschußgebiet liegt. Das ist neben dem obengenannten Erdölbergbau im Kaukasus hauptsächlich die Schwerindustrie im Donezgebiet (Ukraine). Wieweit es gelingt, nach Abzug der für Deutschland erforderlichen Überschüsse, diese Industrien, insbesondere die in der Ukraine gelegenen Verarbeitungsindustrien, voll zu erhalten, muß die Zukunft zeigen.

Aus dieser Lage, die die Billigung der höchsten Stelle erfahren hat, da sie auch im Einklang mit den politischen Tendenzen steht (Erhaltung des Kleinrussentums, Erhaltung des Kaukasus, der Baltischen Provinzen, Weißrußlands auf Kosten der Zurückdrängung des Großrussentums), ergeben sich folgende Konsequenzen:

I. Für die Waldzone:

a) Die Erzeugung in der Waldbauzone = Zuschußzone wird sich entsprechend den Vorgängen im Weltkriege, Kriegskommunismus usw. naturalisieren, d. h. die Landwirtschaft wird dort zur geschlossenen Hauswirtschaft übergehen. Daraus folgt, daß der Anbau der für den Markt gebauten Erzeugnisse, wie insbesondere Flachs und Hanf aufhören wird, und die hierfür bisher benötigte Fläche mit Eigenkonsumfrüchten (Getreide, Kartoffeln) bestellt wird. Weiterhin wird die Unterbindung der Futterzufuhren zum Zusammenbruch der Milchwirtschaft und der Schweinemast in diesem Gebiete führen.

b) Ein deutsches Interesse an der Erhaltung der Erzeugungskraft dieser Gebiete ist, außer hinsichtlich der Versorgung der dort stehenden Truppen, nicht vorhanden. Die Bevölkerung wird hier nach altem Muster ihre Anbauflächen für eigene Ernährung nutzen. Hierbei zu erwarten, daß Überschüsse an Getreide und so weiter bestehen, ist zwecklos. Erst in langen Jahren könnten diese extensiven Gebiete so intensiviert werden, daß sie echte Überschüsse erzielen könnten. Die Bevölkerung dieser Gebiete, insbesondere die Bevölkerung der Städte, wird größter Hungersnot entgegensehen müssen. Es wird darauf ankommen, die Bevölkerung in die sibirischen Räume abzulenken. Da Eisenbahntransport nicht in Frage kommt, wird auch dieses Problem ein äußerst schwieriges sein.

c) Bei dieser Sachlage wird Deutschland aus diesen Gebieten nur durch einen frühzeitigen, einmaligen Eingriff wesentliche Erleichterungen erhalten können, d. h. es wird im wesentlichen darauf ankommen, die anstehende Flachsernte restlos den deutschen Zwecken zuzuführen, und zwar nicht nur die Faser, sondern auch den Samen (Ölfrucht).

Außerdem wird es darauf ankommen, das aus fremder Futtergrundlage gefütterte Vieh den deutschen Zwecken nutzbar zu machen, d. h. es wird notwendig sein, frühzeitig in die Viehbestände einzugreifen und sie nicht nur der Truppe für den Augenblick, sondern der Truppe für die Dauer und auch für den Abtransport nach Deutschland nutzbar zu machen. Da die Futterzufuhren ausfallen, werden Schweine- und Rindviehbestände in diesen Gebieten zwangsläufig in kürzester Zeit außerordentlich abnehmen; werden sie nicht deut scherseits frühzeitig abgeschöpft, wird die Bevölkerung sie für sich abschlachten, ohne daß Deutschland etwas davon hat.«

Soweit das Zitat. Mein nächstes Zitat ist vom ersten Absatz auf Seite 4 des englischen Textes genommen, Seite 7, Zeilen 26 bis 31 des deutschen Textes; ich lese:

»Es ist die Forderung des Führers, daß die Herabsetzung der Fleischration zum Herbst wieder aufgehoben wird. Dies ist nur durch stärkste Eingriffe in den Viehbestand Rußlands namentlich dieser verkehrswirtschaftlich zu Deutschland am günstigsten gelegenen Provinzen zu erreichen.«

Um die Verhandlung nicht unnötig in die Länge zu ziehen, lasse ich einige Teile dieses letzten Beweisstückes aus, die ich ursprünglich zitieren wollte.

Ich wende mich nun der Zeile 29 auf Seite 4 des englischen Textes zu, beginnend mit den Worten: »In Zukunft«, und zitiere bis Zeile 48 im deutschen Text, Zeile 3 von unten auf Seite 8 bis Zeile 17 auf Seite 9.

»In Zukunft muß Südrußland das Gesicht nach Europa wenden. Seine Nahrungsmittelüberschüsse jedoch werden nur bezahlt werden können, wenn es seine industriellen Verbrauchsgegenstände aus Deutschland bzw. aus Europa bezieht. Die russische Konkurrenz der Waldzone muß daher fallen.

Aus all dem folgt, daß die deutsche Verwaltung in diesem Gebiet wohl bestrebt sein kann, die Folgen der zweifellos eintretenden Hungersnot zu mildem und den Naturalisierungsprozeß zu beschleunigen. Man kann bestrebt sein, diese Gebiete intensiver zu bewirtschaften im Sinne einer Ausdehnung der Kartoffelanbaufläche und anderer für den Konsum wichtiger, hohe Erträge gebender Früchte. Die Hungersnot ist dadurch dort nicht zu bannen. Viele 10 Millionen von Menschen werden in diesen Gebieten überflüssig und werden sterben öder nach Sibirien auswandern müssen. Versuche, die Bevölkerung dort vor dem Hungertode dadurch zu retten, daß man aus der Schwarzerdezone Überschüsse heranzieht, können nur auf Kosten der Versorgung Europas gehen. Sie unterbinden die Durchhaltemöglichkeit Deutschlands im Kriege, sie unterbinden die Blockadefestigkeit Deutschlands und Europas. Darüber muß absolute Klarheit herrschen.«

Ich zitiere von Seite 5, Zeile 18 bis 30 im englischen Text, Seite 12, Zeile 1 bis 11 im deutschen Text:

»1. Armeeversorgung. Die Ernährungslage Deutschlands im dritten Kriegsjahre erfordert gebieterisch, daß die Wehrmacht in ihrer Gesamtverpflegung nicht aus dem großdeutschen Raum, bzw. denjenigen angegliederten oder befreundeten Gebieten, die diesen Raum durch Ausfuhren versorgen, lebt. Dieses Minimalziel, die Versorgung der Wehrmacht aus Feindesland im dritten und evtl. weiteren Kriegsjahr, muß unter allen Umständen erreicht werden. Das bedeutet, daß 1/3 der Wehrmacht aus französischen Leistungen für die Besatzungsarmee voll versorgt werden muß. Die restlichen 2/3 – bei der heutigen Wehrmachtgröße sogar etwas mehr – müssen restlos aus dem Ostraum versorgt werden.«

Ich zitiere nun die letzten neun Zeilen auf Seite 8 des englischen Textes, Seite 18, Zeile 15 bis 22 des deutschen Textes:

»Es kommt also unter keinen Umständen auf eine Erhaltung des Bisherigen an, sondern auf bewußte Abkehr vom Gewordenen und Einbeziehung der Ernährungswirtschaft Rußlands in den europäischen Rahmen. Daraus folgt zwangsläufig ein Absterben sowohl der Industrie wie eines großen Teils der Menschen in den bisherigen Zuschußgebieten.«

Es ist kaum möglich, die Härte und Grausamkeit dieser Alternative in Worten wiederzugeben.

Mein nächstes Zitat ist von den ersten 10 Zeilen auf Seite 9 des englischen Textes, Zeilen 11 bis 20 auf Seite 19 des deutschen Textes genommen:

»Das Problem heißt also nicht etwa Ersatz der europäischen Intensität durch Anschluß neuer Räume im Osten, sondern Ersatz der Übersee-Einfuhren durch Einfuhren aus dem Osten. Dabei kommt es auf zweierlei an:

1. Die Osträume müssen uns dazu dienen, den Nahrungsmangel im Kriege und in der Nachkriegszeit zu überwinden. Daraus folgt, daß vor einem Eingreifen in die Substanz im Osten nicht zurückgescheut werden darf. Ein solcher Eingriff in die Substanz ist vom europäischen Standpunkt aus sehr viel eher tragbar als ein Eingriff in die europäische landwirtschaftliche Substanz.«

Schließlich möchte ich von dem Rest auf Seite 9 bis zum Ende des vorletzten Absatzes des englischen Textes, Seite 19, Zeile 24 bis 31 der deutschen Fassung, zitieren:

»2. Für die zukünftige Ordnung müssen die Produktionsgebiete des Ostens durch Intensivierung und damit Steigerung der Erträge zu einer dauernden und größeren Ergänzung der europäischen Ernährung werden.

Die erste Aufgabe muß unter allen Umständen, selbst durch rücksichtsloseste Drosselung des russischen Eigenkonsums, gelöst werden, wobei unterschiedlich gegenüber der Konsumzone und der Produktionszone verfahren werden muß.«

Hoher Gerichtshof! Wir behaupten, daß dieses Schriftstück offensichtlich einen sorgfältig ausgearbeiteten Plan enthält, Millionen von unschuldigen Menschen durch Hunger zu ermorden. Es enthüllt ein Programm vorsätzlicher Ermordung von Millionen unschuldiger Menschen durch Hunger. Es enthüllt ein Programm vorsätzlicher Ermordung von so ungeheuren Ausmaßen, daß die menschliche Vorstellungskraft ins Taumeln gerät. Major Elwyn Jones von der Britischen Delegation wird später beweisen, daß dieser Plan tatsächlich nichts anderes als der logische Kulminationspunkt der allgemeinen Ziele war, die Adolf Hitler in »Mein Kampf« deutlich angekündigt hatte. Jeder der Angeklagten auf dieser Anklagebank war sich dieser allgemeinen Ziele vollkommen bewußt als er die Verbrechen beging, deren er angeklagt ist.

Als nächstes lege ich zum Beweis ein Schriftstück vor, das nicht weniger belastend ist als das soeben verlesene. Es handelt sich um das Dokument L-221, US-317. Das ist ein als »Geheime Reichssache« bezeichneter Aktenvermerk vom 16. Juli 1941 über eine Besprechung im Hauptquartier des Führers betreffend den Krieg im Osten. Er scheint vom Angeklagten Bormann verfaßt zu sein, weil seine Initialen oben auf der ersten Seite erscheinen. Das Dokument ist vom amerikanischen Abwehrdienst erbeutet worden.

Der Inhalt dieses Aktenvermerks zeigt, daß Hitler und Lammers sowie die Angeklagten Göring, Keitel, Rosenberg und Bormann der Sitzung beigewohnt haben.

Dieses Beweisstück ist besonders wichtig, weil es die Pläne der Verschwörer zur Germanisierung von eroberten Gebieten der Sowjetunion beleuchtet. Es ist ebenfalls wichtig, weil es den rein betrügerischen Charakter des gesamten Nazi-Propagandaprogramms enthüllt. Es zeigt, wie die Verschwörer versuchten, die ganze Welt zu täuschen, wie sie den einen Gang von Handlungen vortäuschten, während ihre tatsächlichen Ziele und Bestrebungen in einer diagonal entgegengesetzten Richtung liefen.

Ich zitiere zuerst von Seite 1, Zeile 14, bis Seite 2, Zeile 22 des englischen Textes, Seite 1, letzter Absatz, bis Seite 3, Zeile 19 des deutschen Textes:

»Wesentlich sei es nun, daß wir unsere Zielsetzung nicht vor der ganzen Welt bekanntgäben; dies sei auch nicht notwendig, sondern die Hauptsache sei, daß wir selbst wüßten, was wir wollten. Keinesfalls sollte durch überflüssige Erklärungen unser eigener Weg erschwert werden. Derartige Erklärungen seien überflüssig, denn soweit unsere Macht reiche, könnten wir alles tun, und was außerhalb unserer Macht liege, könnten wir ohnehin nicht tun.

Die Motivierung unserer Schritte vor der Welt müsse sich also nach taktischen Gesichtspunkten richten. Wir müßten hier genau so vorgehen, wie in den Fällen Norwegen, Holland, Dänemark und Belgien.

Auch in diesen Fällen hätten wir nichts über unsere Absichten gesagt, und wir würden dies auch weiterhin klugerweise nicht tun.

Wir werden also wieder betonen, daß wir gezwungen waren, ein Gebiet zu besetzen, zu ordnen und zu sichern; im Interesse der Landeseinwohner müßten wir für Ruhe, Ernährung, Verkehr usw. sorgen; deshalb unsere Regelung. Es soll also nicht erkennbar sein, daß sich damit eine endgültige Regelung anbahnt. Alle notwendigen Maßnahmen – Erschießen, Aussiedeln etc. – tun wir trotzdem und können wir trotzdem tun.

Wir wollen uns aber nicht irgendwelche Leute vorzeitig und unnötig zu Feinden machen. Wir tun also lediglich so, als ob wir ein Mandat ausüben wollten. Uns muß aber dabei klar sein, daß wir aus diesen Gebieten nie wieder herauskommen.

Demgemäß handelt es sich darum:

1. Nichts für die endgültige Regelung zu verbauen, sondern diese unter der Hand vorzubereiten;

2. Wir betonen, daß wir die Bringer der Freiheit wären.

Im einzelnen:

Die Krim muß von allen Fremden geräumt und deutsch besiedelt werden.

Ebenso wird das alt-österreichische Galizien Reichsgebiet. Jetzt ist unser Verhältnis zu Rumänien gut, aber man weiß nicht, wie künftig zu jeder Zeit unser Verhältnis sein wird. Darauf haben wir uns einzustellen und darnach haben wir unsere Grenzen einzurichten. Man soll sich nicht vom Wohlwollen Dritter abhängig machen; darnach müssen wir unser Verhältnis zu Rumänien einrichten.

Grundsätzlich kommt es also darauf an, den riesenhaften Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn

erstens beherrschen,

zweitens verwalten, und

drittens ausbeuten können.

Die Russen haben jetzt einen Befehl zum Partisanen- Krieg hinter unserer Front gegeben. Dieser Partisanen- Krieg hat auch wieder seinen Vorteil: er gibt uns die Möglichkeit, auszurotten, was sich gegen uns stellt.

Grundsätzliches:

Die Bildung einer militärischen Macht westlich des Ural darf nie wieder in Frage kommen und wenn wir hundert Jahre darüber Krieg führen müßten. Alle Nachfolger des Führers müssen wissen: die Sicherheit ist nur dann gegeben, wenn westlich des Ural kein fremdes Militär existiere; den Schutz dieses Raumes vor allen eventuellen Gefahren übernimmt Deutschland.

Eiserner Grundsatz muß sein und bleiben: Nie darf erlaubt werden, daß ein anderer Waffen trägt als der Deutsche!«

Ich zitiere weiter von Seite 3, Zeile 19 bis 31 des englischen Textes, Seite 5 die letzten 13 Zeilen des deutschen Textes:

»Der Führer betont, das gesamte Baltenland müsse Reichsgebiet werden.

Ebenso müsse die Krim mit einem erheblichen Hinterland (Gebiet nördlich der Krim) Reichsgebiet werden; das Hinterland müsse möglichst groß sein.

Hiergegen hat Rosenberg Bedenken wegen der dort wohnenden Ukrainer.

(Nebenbei: Es tritt mehrfach in Erscheinung, daß Rosenberg für die Ukrainer sehr viel übrig hat; er will die alte Ukraine auch erheblich vergrößern.)«

In diesem Zusammenhang sei bemerkt, daß dies der einzige Punkt im Programm Hitlers war, dem sich Rosenberg widersetzte.

Ich fahre fort:

»Der Führer betont weiter, auch die Wolga-Kolonie müsse deutsches Reichsgebiet werden, ebenso das Gebiet um Baku; es müsse deutsche Konzession werden (Militär-Kolonie).«

So lautete das Programm, wie es von den Verschwörern bei dieser Besprechung am 16. Juli 1941 skizziert worden ist; es verlangte die rechtswidrige Einverleibung eines Teiles von Galizien und der Baltischen Staaten in das Deutsche Reich, ferner die rechtswidrige Umwandlung der Krim und ihrer nördlichen Nachbargebiete, des Wolga-Gebiets und des Bezirks um Baku in deutsche Kolonien.

Zur weiteren Unterstützung dieses Punktes möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Dokument 1029-PS lenken, das bereits von Herrn Alderman als Beweisstück US-145 vorgelegt wurde. Diese Urkunde wurde unserem Dokumentenbuch nicht einverleibt, sondern ist von Herrn Alderman in das Protokoll, Seite 1202 und 1203, Band III, Seite 400, verlesen worden. Das Dokument trägt den Titel »Instruktion für einen Reichskommissar im Ostland«.

VORSITZENDER: Woraus zitieren Sie?

HAUPTMANN HARRIS: Herr Vorsitzender, das Stück befindet sich nicht im Dokumentenbuch, es ist jedoch im Protokoll enthalten. Im deutschen Text, dessen Original wir hier haben, findet es sich auf den Seiten 2 und 3. Ich zitiere:

»Ziel eines Reichskommissars für Estland, Lettland, Litauen und Weißruthenien«, das letzte Wort ist mit Bleistift eingefügt, »muß es sein, die Form eines deutschen Protektorats zu erstreben und dann durch Eindeutschung rassisch möglicher Elemente, durch Kolonisierung germanischer Völker und durch Aussiedlung nicht erwünschter Elemente dieses Gebiet zu einem Teil des Großdeutschen Reiches umzuwandeln. Das Baltische Meer muß ein germanischer Binnensee werden unter großdeutscher Obhut.«

Ich lege nun Dokument EC-3, US-318, zum Beweis vor, das ebenfalls unter den in Fechenheim erbeuteten OKW-Akten gefunden worden ist. Hoher Gerichtshof! Dieses Dokument wird als direkter Beweis für die Tatsache vorgelegt, auf die wir bereits früher verwiesen haben, daß nämlich die Verschwörer sogar in den Lebensmittelüberschußgebieten der besetzten Teile der Ukraine eine Verteilung der Nahrungsmittel planten, die praktisch nichts für diejenigen Menschen übrig ließ, die nicht mit der zwangsweisen Herstellung von Gütern für die deutsche Kriegsmaschine beschäftigt waren.

Dieses Dokument, ebenso wie das Dokument EC- 126, das vor einigen Augenblicken eingeführt wurde, und andere Urkunden, die wir zum Beweis vorlegen, sollten im Zusammenhang mit der ausdrücklichen Bestimmung des Artikels 52 der Haager Konvention vom Jahre 1907 gelesen werden, nach welcher Beschlagnahmen jeder Art bei Gemeinden oder bei Landeseinwohnern nicht vorgenommen werden dürfen, außer für den Bedarf der Besatzungsarmee selbst.

Ich zitiere zunächst von Seite 3 des englischen Textes des Dokuments EC-3 die Zeilen 21 bis 23, im deutschen Text Seite 13, Zeile 1 bis 3. Das Schriftstück, aus welchem ich vorlesen will, ist ein Memorandum, »Geheime Kommandosache«, vom 16. September 1941 über eine Besprechung deutscher militärischer Funktionäre unter Leitung des Angeklagten Göring. Dieses Memorandum ist unterzeichnet von einem General Nagel, Verbindungsoffizier zwischen der Dienststelle des Angeklagten Göring für den Vierjahresplan und dem OKW. Ich zitiere:

»Bei dieser Besprechung, die die bessere Ausnutzung der besetzten Gebiete für die deutsche Ernährungswirtschaft zum Gegenstand hatte, wies der Reichsmarschall«, Göring, »auf folgendes hin:«

Ich zitiere nun die ersten zwei Absätze auf Seite 4 des englischen Textes, Seite 13 die Absätze 3 und 4 des deutschen Textes:

»Es ist klar, daß eine Abstufung in der Ernährung nötig ist. Zunächst kommt die kämpfende Truppe, dann die übrigen Truppen in Feindesland und dann die Heimattruppe. Die Sätze sind dementsprechend eingerichtet. Dann wird die deutsche nichtmilitärische Bevölkerung versorgt. Erst dann kommt die Bevölkerung in den besetzten Gebieten.«

Ich verlese nun aus einem anderen Teil dieses Dokuments und beginne auf Seite 1 des englischen Textes. Es ist ein Schreiben vom 25. November 1941, das sich mit den allgemeinen Grundsätzen der Volkswirtschaftspolitik in den neubesetzten östlichen Gebieten befaßt, wie sie in einer am 8. November 1941 in Berlin abgehaltenen Sitzung vorgeschrieben worden waren. Auch dieses Memorandum ist von General Nagel verfaßt worden. Der Briefkopf des verwendeten Papiers nennt den Verbindungsstab des OKW, Wirtschaftsrüstungsamt beim Reichsmarschall Göring. Ich zitiere von Seite 1, Zeile 13:...

VORSITZENDER: Ist dieses Dokument, aus dem Sie nun vorlesen wollen, nicht kumulativ zu EC-126, Richtlinien für die Wirtschaftspolitik, das Sie soeben verlesen haben?

HAUPTMANN HARRIS: Es ist ein weiterer Beweis, Herr Vorsitzender, für den Plan der Verschwörer, die Ostgebiete auszubeuten. Ich kann es weglassen, wenn Sie wünschen.

VORSITZENDER: Es scheint nichts Neues hinzuzufügen.

HAUPTMANN HARRIS: Sehr gut, Herr Vorsitzender. Ich gehe zum nächsten Punkt über. Am 17. Juli 1941 erließen Hitler und der Angeklagte Keitel eine Verordnung, mit welcher sie den Angeklagten Rosenberg zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete bestellten. Dies geschah am Tage nach der Sitzung im Führerhauptquartier, über die das von uns bereits ausführlich zitierte Dokument L-221 bereits berichtet hat.

Dieser Erlaß, mit welchem Rosenberg zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete bestellt wird, ist im Dokument 1997-PS enthalten. Ich lege es als Beweisstück US-319 vor. Ich zitiere die Paragraphen 2 und 4 von Seite 1 dieses Erlasses, Seite 27 und 28 des deutschen Textes:

Ȥ 2.

Die Zivilverwaltung in den neubesetzten Ostgebieten untersteht, soweit diese Gebiete nicht in die Verwaltung der angrenzenden Gebiete des Reiches oder des Generalgouvernements einbezogen werden, dem ›Reichsminister für die besetzten Ostgebiete‹.

§ 4.

Zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete bestelle ich den Reichsleiter Alfred Rosenberg. Er hat seinen Sitz in Berlin.«

Die Ansichten des Angeklagten Rosenberg paßten ausgezeichnet zu dieser Aufgabe, einer der Hauptausführenden der Verschwörerpläne für die Sowjetunion zu sein. Seine Ansichten waren klar in einer Rede vom 20. Juni 1940 zum Ausdruck gebracht, einer Rede, die in Dokument 1058-PS, jetzt US-147, enthalten ist. Ich verweise den Gerichtshof auf die ersten drei Sätze des englischen Textes. Der deutsche Text erscheint auf Seite 8 in den letzten fünf Zeilen und setzt sich bis Zeile 2 auf Seite 9 fort. Rosenberg erklärte in dieser Rede, und ich zitiere:

»Die deutsche Volksernährung steht in diesem Jahre zweifellos an der Spitze der deutschen Forderungen im Osten, und hier werden die Südgebiete und Nordkaukasien einen Ausgleich für die deutsche Volksernährung zu schaffen haben. Wir sehen durchaus nicht die Verpflichtung ein, aus diesen Überschußgebieten das russische Volk mit zu ernähren. Wir wissen, daß das eine harte Notwendigkeit ist, die außerhalb jeden Gefühls steht.«

Nunmehr biete ich Dokument EC-347, US-320, zum Beweis an. Auch dieses Dokument stammt aus den erbeuteten Akten des OKW. Es enthält eine Anzahl von Richtlinien, die von dem Angeklagten Rosenberg in seiner Eigenschaft als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete herrühren.

Ich zitiere die ersten zwei Absätze auf Seite 1 dieses Beweisstücks, Seite 39, Absätze 4 und 5 im deutschen Text. In diesen Richtlinien erklärt der Angeklagte Rosenberg, und ich zitiere:

»Die erste Aufgabe der Zivilverwaltung in den besetzten Ostgebieten ist, die Interessen des Reiches zu vertreten. Dieser oberste Grundsatz ist bei allen Maßnahmen und Überlegungen voranzustellen. Zwar sollen die besetzten Gebiete in späterer Zukunft in dieser oder jener noch nicht zu bestimmenden Form ein gewisses Eigenleben führen können. Sie bleiben jedoch Teile des großdeutschen Lebensraumes und sind stets unter diesem Leitgedanken zu regieren. Die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung, die sich mit der Verwaltung eines durch eine fremde Kriegsmacht besetzten Landes befassen, gelten nicht, da die USSR. als aufgelöst zu betrachten ist und das Reich infolgedessen die Verpflichtung hat, im Interesse der Landesbewohner alle Regierungs- und sonstigen Hoheitsbefugnisse auszuüben. Es sind daher auch alle Maßnahmen zulässig, die der deutschen Verwaltung zur Durchführung dieser umfassenden Aufgaben erforderlich und geeignet erscheinen.«

VORSITZENDER: Ist das nicht schon einmal vorgelesen worden?

HAUPTMANN HARRIS: Meiner Kenntnis nach nicht.

VORSITZENDER: Sehr gut.

HAUPTMANN HARRIS: Diese Erklärung des Angeklagten Rosenberg, daß die Haager Bestimmungen auf die Sowjetunion nicht anwendbar seien, schließt seine klare Erkenntnis darüber ein, daß die Handlungen der Verschwörer in der Sowjetunion die Haager Bestimmungen flagrant verletzten. Die Erklärung ergibt, daß die Nazi-Verschwörer die Prinzipien des Völkerrechts völlig mißachteten.

Herr Dodd hat Dokument 294-PS, US-185, im Zusammenhang mit dem Sklavenarbeitsprogramm bereits zum Beweis vorgelegt. Das Dokument trägt den Vermerk »Geheime Reichssache«, ist vom 25. Oktober 1942 datiert und wurde in den Akten des Angeklagten Rosenberg gefunden. Es stammt von Bräutigam, einem hohen Beamten im Ministerium des Angeklagten Rosenberg für die besetzten Ostgebiete.

Ich möchte zwei weitere Stellen aus diesem Dokument verlesen. Ich zitiere von Seite 1 des englischen Textes den ganzen ersten Absatz, Zeilen 17 bis 20. Der deutsche Text findet sich auf Seite 1, Absatz 1, Zeilen 22 bis 25:

»Im Osten wird von Deutschland ein dreifacher Krieg geführt: Ein Krieg zur Vernichtung des Bolschewismus, ein Krieg zur Zertrümmerung des Großrussischen Reiches, und endlich ein Krieg zum Erwerb von Kolonialland zu Siedlungszwecken und zur wirtschaftlichen Ausbeutung. ...

Mit dem den Ostvölkern eigenen Instinkt hat auch der primitive Mann bald herausgefühlt, daß für Deutschland die Parole ›Befreiung vom Bolschewismus‹ nur ein Vorwand war, um die slawischen Ostvölker nach seinen Methoden zu versklaven.«

Dieses Dokument, Hoher Gerichtshof, beendet die Reihe der Beweisstücke, die sich auf die Sowjetunion beziehen, soweit wir sie jetzt vorzulegen beabsichtigen. Wie ich bereits erwähnte, enthüllen diese Beweisstücke nicht alle Plane der Verschwörer über die besetzten Gebiete; sie zeigen jedoch eine gleichbleibende Methode zur rücksichtslosen Germanisierung und Zerstörung.

Abschließend möchten wir zwei Dokumente zum Beweis vorlegen, die enthüllen, daß deutsche Industrielle und Finanzleute Himmler in seinem rücksichtslosen Programm der Germanisierung, Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung unterstützten.

Zunächst lege ich das Dokument EC-454, US-321, vor. Das Dokument wurde in den Safes des Bankhauses Stein in Köln unter den Akten des Bankiers Baron Kurt von Schröder gefunden, und zwar von einer gemischt englisch-amerikanischen Einheit unter Oberst Kellam von britischer und Hauptmann Roth von amerikanischer Seite. Es ist ein Durchschlag eines Briefes von Schröder an Himmler, datiert vom 27. August 1943 und trägt die Paraphe Schröders. Ich zitiere die ganze Urkunde:

»Mein sehr verehrter Reichsführer!

Mit aufrichtiger Freude habe ich Ihre Ernennung zum Reichsminister des Innern begrüßt und erlaube mir, Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche zur Übernahme dieses Amtes zu übermitteln.

Eine starke Hand ist jetzt für die Führung dieses Ministeriums sicher sehr notwendig, und es wird deshalb allseitig, insbesondere aber von Ihren Freunden dankbar empfunden, daß der Führer Ihnen diese Aufgabe übertragen hat. Seien Sie auch versichert, daß wir immer und jederzeit alles tun werden, was in unseren Kräften steht, wenn wir Ihnen behilflich sein können.

Es ist mir eine Freude, Ihnen bei dieser Gelegenheit melden zu können, daß Ihr Freundeskreis Ihnen auch in diesem Jahr wieder einen Betrag von etwas über 1 Million Reichsmark für Ihre besonderen Aufgabengebiete zur Verfügung gestellt hat. Eine genaue Aufstellung über die Zusammensetzung dieses Betrages werde ich Ihnen in Kürze übermitteln.

Mit vielen herzlichen Grüßen und nochmaligen guten Wünschen – auch namens meiner ganzen Familie – verbleibe ich, mein Reichsführer, in alter Treue und Verehrung mit Heil Hitler! Ihr sehr ergebener...«

Ich lege nun, und dies ist das letzte Beweisstück, dem Hohen Gerichtshof Dokument EC-453, US-322, vor. Das Dokument wurde ebenfalls von den oben erwähnten englisch-amerikanischen Personen im Bankhaus Stein in Köln gefunden. Es ist ein Durchschlag eines Briefes von Schröder an Himmler vom 21. September 1943 und zeigt ebenfalls die Paraphe Schröders. Eine Liste von Beitragszahlern liegt bei...

VORSITZENDER: Hauptmann Harris, auf welcher Grundlage behaupten Sie, daß der eine oder andere dieser Briefe Beweismaterial in diesem Prozeß darstellt?

HAUPTMANN HARRIS: Hoher Gerichtshof! Zu der Zeit, als über den Antrag auf Vertagung des Verfahrens gegen Gustav Krupp vor diesem Gerichtshof verhandelt wurde, erklärte der britische Hauptanklagevertreter ausdrücklich, daß, wenn der Gerichtshof die Absetzung des Verfahrens gegen Krupp beschließen sollte, das Beweismaterial über die Mitwirkung von ihm selbst, seiner Firma und anderer Industrieller an der Vorbereitung und Führung des Krieges dem Gerichtshof doch vorgelegt werden solle, da es einen Teil der allgemeinen Verschwörung bildete, in welche diese Angeklagten zusammen mit verschiedenen anderen jetzt nicht vor dem Gerichtshof stehenden Personen verwickelt waren.

Das Beweismaterial, das wir jetzt dem Hohen Gerichtshof vorlegen, ist genau von der Art, die Sir Hartley Shawcross meinte. Es beweist das Ausmaß der allgemeinen Verschwörung, wie sie in der Anklageschrift behauptet wird. Es handelt sich um Beweismaterial, das Beitragsleistungen an einen der Verschwörer aufzeigt, an einen Verschwörer, der im Vordergrund des rechtswidrigen Programms zur Plünderung öffentlichen und privaten Eigentums und zur Germanisierung eines großen Teiles der Welt stand. Es wird vorgelegt, weil es in diesem Verfahren erheblich ist.

Darf ich fortsetzen?

VORSITZENDER: Ja.

HAUPTMANN HARRIS: Ich zitiere den vollen Wortlaut des letzten Briefes, Dokument EC-453:

»Sehr verehrter Herr Reichsführer!

Für Ihren liebenswürdigen Brief vom 14. ds. Mts., mit dem Sie mir eine große Freude gemacht haben, danke ich Ihnen bestens.

Gleichzeitig übersende ich Ihnen anbei eine Liste mit dem Gesamtergebnis der Ihnen in diesem Jahre zur Ver fügung gestellten Beträge Ihres Freundeskreises, abschließend mit einer Summe von RM. 1.100.000.-. Wir freuen uns aufrichtig, Ihnen damit bei Ihren besonderen Aufgaben eine gewisse Hilfestellung leisten und Ihnen bei Ihrem wieder vergrößerten Aufgabenkreis eine kleine Entlastung zuteil werden lassen zu können.

Indem ich Ihnen, mein sehr verehrter Reichsführer, weiter alles Beste wünsche, verbleibe ich in alter Treue und Verehrung mit Heil Hitler! Ihr sehr ergebener...«

Ich hatte die Absicht, die Namen der Spender vorzulesen, werde aber davon Abstand nehmen, wenn Sie, Herr Präsident, es nicht für notwendig erachten.

VORSITZENDER: Ich denke, daß es kaum zur Beschleunigung des Prozesses beitragen würde.

HAUPTMANN HARRIS: Sehr gut, Herr Präsident, ich bin dem Gerichtshof für die mir geschenkte Aufmerksamkeit außerordentlich dankbar.

VORSITZENDER: Oberst Storey.

OBERST ROBERT G. STOREY, ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Wird der Hohe Gerichtshof die Verhandlung jetzt vor der Pause noch fortsetzen?

VORSITZENDER: Nein, wir machen jetzt eine Pause von 10 Minuten.