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[Pause von 10 Minuten.]

OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Das Anklagevorbringen für den Rest dieser Woche betrifft die verbrecherischen Organisationen. Als erstes steht das Korps der Politischen Leiter der NSDAP zur Behandlung, einschließlich einiger bezeichnender Verbrechen gegen die Kirche, gegen die Juden und gegen die Gewerkschaften, sowie die Tätigkeit des »Einsatzstabes Rosenberg« bezüglich der Plünderung von Kunstschätzen.

An der Schwelle der Beweisführung über den verbrecherischen Charakter des Führerkorps der NSDAP erscheint es angezeigt, die Theorie der Anklagevertretung zu diesem Fall zu wiederholen. Es handelt sich um folgendes: Die Nazi-Partei war der Mittelpunkt des gemeinsamen Planes oder der Verschwörung, wie in Punkt 1 der Anklageschrift erklärt, einer Verschwörung, die die Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit plante und umfaßte, wie es im Statut definiert und unter Strafe gestellt ist.

Das Führerkorps war, wie das Beweismaterial zeigt, verantwortlich für die Planung, Leitung und Überwachung der verbrecherischen Maßnahmen, die von der Nazi-Partei zur Förderung der Verschwörung begangen wurden. Aber darüber hinaus nahmen, wie wir zeigen werden, die Mitglieder des Korps der Politischen Leiter selbst aktiv teil an der Begehung ungesetzlicher Akte zur Unterstützung der Verschwörung. Im Lichte des Beweismaterials, das dem Gerichtshof vorgelegt werden wird, kann das Führerkorps der Politischen Leiter als das Gehirn, das Rückgrat und der lenkende Arm der Nazi-Partei beschrieben werden. Seine Verantwortlichkeit war größer und umfassender als die der Armee von Anhängern, die es in dem Ansturm gegen die friedliebenden Völker der Welt führte. Gemäß der Darlegungen in diesem Fall, die noch erweitert werden sollen, bittet die Anklagebehörde den Gerichtshof, das Korps der Politischen Leiter der NSDAP zu einer verbrecherischen Gruppe oder Organisation im Sinne des Artikels 9 des Statuts zu erklären.

Ich möchte jetzt dem Gerichtshof das Dokumentenbuch zu dieser Anklage als Beweisstück US-V vorlegen.

Hoher Gerichtshof! Ich weiche von meinem Text ab. Während der Pause wurde das Dokumentenbuch vorgelegt, in welchem jedes Dokument durch eine Klappe gekennzeichnet und jedes Zitat mit Rotstift angemerkt ist, um das Nachschlagen für den Hohen Gerichtshof zu erleichtern. Außerdem haben wir zwei Dokumente, die bereits vorgelegt wurden, erneut vorgelegt; es handelt sich um eine vergrößerte und detailliertere Kopie dieser Tabelle, die dem Hohen Gerichtshof jetzt vorliegt, und eine zweite Tabelle, eine Photokopie, die das Führerkorps zum Gegenstand hat. Beide werden später identifiziert werden.

Ich möchte nun Beweismaterial über die Zusammensetzung, die Funktionen, die Verantwortlichkeit und die Vollmachten des Führerkorps der Nazi-Partei dem Gerichtshof vorlegen. Erstens, was war das Korps der Politischen Leiter...

DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER DER NSDAP: Mir ist nach der letzten Sitzung ein »statement« von Justice Jackson mit Vorschlägen über die Beweisführung und die Zeit für die Diskussion bestimmter Fragen, die auftreten werden, zugegangen. Ich kann die Tragweite dieser Vorschläge nicht übersehen und muß mir daher vorbehalten, entgegen diesem Vorschlage zu gegebener Zeit auf diese Punkte zu sprechen zu kommen, falls dies nötig wird.

VORSITZENDER: Selbstverständlich werden die Verteidiger die Möglichkeit haben, ihre vollen Argumente in Beantwortung der von der Anklagevertretung vorgebrachten Argumente vorzutragen. Wenn ich Justice Jackson am Freitag richtig verstanden habe, schlug er vor, daß das Beweismaterial zur Frage der verbrecherischen Organisationen zuerst und die Argumente später vorgebracht werden sollen.

Die Verteidiger der Organisationen werden, wie ich heute Morgen gesagt habe, die Möglichkeit haben, in Beantwortung der Beweisführung der Anklagebehörde Beweise zu erbringen; ferner werden sie die Möglichkeit haben, alle rechtlichen Einwände gegen die Beweisführung und die Argumente der Anklagebehörde vorzubringen.

OBERST STOREY: Erstens, was war das Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei? Welche Personen waren seine Mitglieder? Wie war es mit seinem Umfang und seinem Wirkungskreis bestellt?

Wenn wir die Zusammensetzung und den organisatorischen Aufbau des Führerkorps betrachten, so wird es für den Gerichtshof zweckdienlich sein, sich des Dokuments 2903-PS zu erinnern, das jetzt als Beweisstück an der Wand zu sehen ist, und das zu Beginn des Prozesses von Herrn Albrecht vorgelegt wurde. In Ergänzung des Wandbildes lege ich Dokument 2833-PS, US-22, zum Beweis vor, das eine Übersichtstafel über das Führerkorps der Nazi-Partei darstellt und auf Seite 9 der vom Haupterziehungsamt der Nazi-Partei herausgegebenen Zeitschrift »Das Gesicht der Partei« erschienen ist. Es ist die kleine Photokopie, die Sie vor sich haben. Wir wollen später die große Tafel an die Wand hängen.

Diese Bilder und das folgende Beweismaterial zeigen, daß das Führerkorps der Nazi-Partei die Gesamtheit der Parteifunktionäre umfaßte; es schloß ein: den Führer an der Spitze, die Reichsleiter auf der waagerechten Linie und die Inhaber der Reichsämter unmittelbar darunter – die fünf Kategorien von Führern, die gebietsmäßige Zuständigkeit besaßen und »Hoheitsträger« genannt wurden. Sie befinden sich unten in den Fächern, die mit roten Buchstaben oder roten Linien gekennzeichnet sind. Sie rangieren von den ungefähr 40 Gauleitern, die großen Gebieten vorstanden, hinunter über die mittleren politischen Leiter, Kreisleiter, Ortsgruppenleiter, Zellenleiter und schließlich zu den Blockleitern, welch letztere 40 bis 60 Haushalten vorgesetzt waren, und zu den wohl am treffendsten mit Stabsfunktionären zu bezeichnenden Personen, die jeder der fünf Kategorien der Hoheitsträger beigegeben waren.

Organisiert auf hierarchischer Basis und in Form eines Pyramidenbaus – wie es aus der Tabelle hervorgeht, die der Hohe Gerichtshof vor sich hat – waren die wesentlichen politischen Führer in Abstufung ihres Wirkungsbereichs die folgenden:

Der Führer, an der Spitze,

der Reichsleiter, wie ich gesagt habe, und die Hauptämter und Amtsträger,

der Gauleiter, also der Führer eines Gebiets, mit seinen Stabsfunktionären,

der Kreisleiter, der Führer eines Bezirks, mit seinen Stabsfunktionären,

der Ortsgruppenleiter, der örtliche Führer, mit seinen Stabsfunktionären,

der Zellenleiter mit seinen Stabsfunktionären und schließlich der Blockleiter mit seinen Stabsfunktionären.

Ich lege nun Dokument 1893-PS, US-323, vor. Es ist, Hoher Gerichtshof, das Organisationsbuch der NSDAP, der Nationalsozialistischen Partei. Es wurde vom Reichsorganisationsleiter der NSDAP, dem verstorbenen Angeklagten Dr. Robert Ley, herausgegeben; die Ausgabe ist von 1943. Ein großer Teil des Beweismaterials über die Zusammensetzung des Führerkorps der Nazi-Partei wird diesem Handbuch der Nazi-Organisation entnommen werden. Ich werde später daraus zitieren. Ohne jedesmal den Gerichtshof um amtliche Kenntnisnahme zu bitten, werde ich, falls keine Fragen an mich gestellt werden, dies jeweils voraussetzen. Es ist Dokument 1893-PS in englischer Übersetzung, auf das wir Bezug nehmen werden.

Ich komme nun zu dem Beweismaterial, das die Struktur und die Machtbefugnisse der Reichsleitung des Führerkorps behandelt, die aus den Reichsleitern – vergleichen Sie die lange horizontale Linie oben auf der Tafel –, den Hauptämtern und den Ämtern oder Amtsträgern bestand.

Die Reichsleiter der Partei waren als höchste Amtsträger in der Parteihierarchie Hitler angegliedert. Alle Reichsletter, im Hauptamt und die Amtsträger in der Reichsleitung waren von Hitler ernannt und ihm direkt verantwortlich.

Ich zitiere den ersten Absatz von Seite 4 des Dokuments 1893-PS:

»1. Der Führer vollzieht die Ernennungen folgender politischer Leiter a) Reichsleiter und alle politischen Leiter, einschließlich Frauenschaftsleiterinnen in der Reichsleitung.«

Die bezeichnende Tatsache, die festgehalten werden soll, ist, daß durch die Reichsleitung eine vollkommene Koordinierung von Partei- und Staatsmaschinerie sichergestellt war. Das Partei-Handbuch sagt es wie folgt; und ich zitiere den vierten Satz des dritten Absatzes auf Seite 20 dieses Dokuments. Sie finden die Seitenzahl unten Seite 20. Es ist ein sehr kurzes Zitat:

»In der Reichsleitung laufen die Fäden der Organisation des deutschen Volkes und des deutschen Staates zusammen.«

Hoher Gerichtshof, es liegt hier eine kleine Verschiedenheit in der Übersetzung bezüglich der zitierten Stelle in Ihrem Buch vor.

VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte! Es beginnt: »In der Reichsleitung laufen die Fäden der Organisation des deutschen Volkes und des deutschen Staates zusammen.« Ist es das?

OBERST STOREY: Ja, das ist richtig. In dieser Übersetzung heißt es, daß die Pulsadern der Organisation des deutschen Volkes und des deutschen Staates verschmelzen. Um zu beweisen, daß die Reichsleiter des Führerkorps die mächtigste Vereinigung von politischen Führern im Nazi-Deutschland bildeten, ist nur eine Aufzählung ihrer Namen erforderlich. Die Liste der Reichsleiter, die zum Beweis vorgelegt wird, enthält die Namen der folgenden jetzt vor diesem. Gerichtshof stehenden Angeklagten: Rosenberg, von Schirach, Frick, Bormann, Hans Frank und der verstorbene Angeklagte Robert Ley.

Das Beweismaterial, das vorgelegt werden soll, wird zeigen, daß der Angeklagte Rosenberg der Führer einer nach ihm benannten Organisation war, des »Einsatzstabes Rosenberg«, der auf dieser Karte nicht erscheint, der aber ein umfassendes Beute- und Plünderungsprogramm hinsichtlich der Kunstschätze im besetzten Europa durchführte.

Das Beweismaterial wird weiter zeigen, daß Rosenberg als Beauftragter des Führers zur Überwachung der Nazi-Ideologie und -Erziehung, an einem aggressiven Feldzug zur Unterminierung der christlichen Kirchen und zur Ersetzung des Christentums durch eine deutsche Nationalkirche teilnahm, welche Nationalkirche auf einer Kombination von Unvernunft, pseudowissenschaftlichen Theorien, Mystizismus und dem schimpflichen Kult des Rassenstaates gegründet war. Wir werden beweisen, daß der verstorbene Angeklagte Ley als Agent Hitlers und des Führerkorps den Nazi-Angriff gegen die unabhängigen Gewerkschaften in Deutschland lenkte, und, bevor er sich selbst vernichtete, das Bollwerk der republikanischen Gesellschaft, nämlich die freie unabhängige Arbeiterbewegung, vernichtete und sie durch eine Nazi-Organisation, die Deutsche Arbeitsfront, DAF, ersetzte, und diese Organisation als Mittel für die Ausnützung der deutschen Arbeitskraft verwendete, um der Verschwörung zu dienen, und um die Nazi- Weltanschauung den deutschen Arbeitern einzuflößen.

Es wird gezeigt werden, daß der Angeklagte Frick an dem Erlaß von vielen Gesetzen beteiligt war, die dazu bestimmt waren, die Verschwörung in ihren verschiedenen Phasen zu fördern. Der Angeklagte Frick teilt die Verantwortlichkeit für die schwere Verletzung des Begriffs und der Herrschaft des Gesetzes durch die Funktionäre des Führerkorps, da er versuchte, einem großen Teil der Nazi-Gesetzgebung, die die Menschenrechte verletzte, das Äußere von Gesetzen und von formeller Gesetzmäßigkeit zu geben. So zum Beispiel der benachteiligenden Gesetzgebung, die dazu bestimmt war, das jüdische Volk in Deutschland und im deutschbesetzten Europa herabzusetzen, zu brandmarken und auszurotten.

Obwohl der Angeklagte Bormann in persona nicht auf der Anklagebank, sitzt, liegt der Beweis für seine Verantwortlichkeit bei der Führung und Förderung der Nazi-Verschwörung hier vor und gehört zu der Beweisführung für diesen Tatbestand. Als Chef der Parteikanzlei, direkt unter Hitler, war der Angeklagte Bormann ein außerordentlich wichtiger Machtfaktor bei der Leitung der Tätigkeit des Korps der Politischen Leiter. Wie gezeigt werden wird, bestimmte ein Erlaß vom 16. Januar 1942, daß die Partei an der gesamten wichtigen Gesetzgebungstätigkeit, an Ernennungen durch die Regierung und an Beförderungen beteiligt werden müsse, und zwar ausschließlich durch Bormann. Er nahm an der Vorbereitung aller Gesetze und Verordnungen teil, die von den Reichsbehörden erlassen wurden, und gab zu den Erlassen der untergeordneten Regierungsstellen, seine Zustimmung.

Ich beziehe mich nun auf Dokument 2473-PS, US- 324. Sie werden in der englischen Übersetzung eine Liste der Reichsleiter der NSDAP von Seite 170 des Buches finden, das von dem verstorbenen Reichsorganisationsleiter, dem Angeklagten Ley, herausgegeben war. Die folgenden 15 Reichsleiter, die im Jahre 1943 im Amt waren, sind auf Seite 1 und 2 des Dokuments 2473-PS zu finden. Wenn der Hohe Gerichtshof einverstanden ist, will ich nicht alle Namen verlesen, sondern die Aufmerksamkeit nur auf einige von ihnen lenken:

Martin Bormann, Leiter der Parteikanzlei.

Dann lasse ich einiges aus und komme zu Wilhelm Frick, dem Leiter der Nationalsozialistischen Reichstagsfraktion. Sie finden ihn auf der großen Tafel im zweiten Feld von rechts.

Joseph Goebbels, Reichspropagandaleiter der NSDAP; auf derselben Linie,

Heinrich Himmler, Reichsführer SS, Beauftragter der NSDAP für alle Volkstumsfragen,

Robert Ley, Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Leiter der Deutschen Arbeitsfront,

Viktor Lutze, Stabschef der SA,

Alfred Rosenberg, der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP,

Baldur von Schirach, Reichsleiter für die Jugenderziehung der NSDAP, und schließlich.

Franz Xaver Schwarz, Reichsschatzmeister der NSDAP.

Zu den Hauptfunktionen der Reichsleiter gehörte auch die Verantwortlichkeit für die Durchführung der ihnen vom Führer oder vom Leiter der Parteikanzlei, dem Angeklagten Martin Bormann, erteilten Aufgaben und Missionen. Die Reichsleiter waren ferner beauftragt, dafür zu sorgen, daß die Partei-Politik in allen unterstellten Gebieten des Reiches durchgeführt wurde. Sie waren ferner dafür verantwortlich, einen ständigen Zustrom von neuen Politischen Leitern für die Partei sicherzustellen.

Mit Bezug auf die Funktionen und Verantwortlichkeiten der Reichsleiter möchte ich nun von Seite 20 des Dokuments 1893-PS zitieren:

»Die NSDAP repräsentiert die politische Auffassung, das politische Gewissen und den politischen Willen der deutschen Nation. Politische Auffassung, politisches Gewissen und politischer Wille sind verkörpert in der Person des Führers. Nach seinen Weisungen und gemäß dem Programm der NSDAP wird von den Organen der Reichsleitung richtunggebend die politische Zielsetzung des deutschen Volkes festgelegt. In der Reichsleitung laufen die Fäden der Organisation des deutschen Volkes und des Staates zusammen. ...

Die einzelnen Organe der Reichsleitung haben die Aufgabe, über ihre Untergliederungen in den Gauen usw. in möglichst enger Fühlung mit dem Leben des Volkes zu bleiben. ...

Der Aufbau der Reichsleitung ist so vorgenommen, daß der Weg von den untersten Stellen der Partei nach oben das Durchgehen der kleinsten Schwankungen und Stimmungsänderungen des Volkes aufzeigt. ...

Eine weitere wesentliche Aufgabe der Reichsleitung ist die Sicherstellung einer guten Führerauslese. Die Reichsleitung hat dafür zu sorgen, daß auf allen Gebieten des Lebens eine Führung vorhanden ist, die unbeirrbar zur nationalsozialistischen Weltanschauung steht und an ihrer Ausbreitung mit aller Energie arbeitet. ...

Oberste Aufgabe des Reichsorganisationsleiters ist es, dem Führer in der Partei immer ein scharf geschliffenes Schwert zu erhalten.«

Die Beherrschung der Deutschen Regierung durch die höchsten Mitglieder des Führerkorps wurde durch eine Bekanntmachung des Reichsministers der Justiz vom 17. Februar 1934 erleichtert, welche die obersten Stellen der Reichsleitung des Führerkorps den obersten Reichsbehörden gleichstellte. In dieser Bekanntmachung wurde ausdrücklich gesagt, »... daß die obersten Stellen der Parteileitung... den... obersten Reichsbehörden gleichzustellen sind. ...«

Das Partei-Handbuch nannte die Kontrolle der Regierungsmaschinerie durch die Politischen Leiter der Partei: »Die Durchdringung des Staatsapparates mit dem politischen Willen der Partei«.

In einem späteren Abschnitt des Verfahrens werden wir beweisen, daß das Führerkorps der Nazi-Partei den deutschen Staat und die Deutsche Regierung unbestritten beherrschte. Die Kontrolle der Deutschen Regierung durch das Führerkorps wurde dadurch erleichtert, daß in denselben Nazi-Häuptlingen die hohen Ämter in der Reichsleitung und die entsprechenden Ämter in dem Regierungsapparat vereinigt wurden. Zum Beispiel zeigt das Dokument 2903-PS, daß Goebbels, der mit der Partei-Propaganda beauftragte Reichsleiter, gleichzeitig Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda war. Himmler bekleidete in der Reichsleitung das Hauptamt für Volkstum und war gleichzeitig Reichsführer-SS. Außerdem hatte er die Regierungsstelle eines Reichskommissars zur Festigung des deutschen Volkstums und war der regierungsmäßige Chef des deutschen Polizeisystems.

Wie noch gezeigt werden wird, hat diese personelle Vereinigung der hohen Ämter des Führerkorps mit den hohen Regierungsstellen in ein und denselben Nazi-Führern den Plan des Führerkorps, den deutschen Staat und die Deutsche Regierung zu beherrschen und zu kontrollieren, sehr gefördert.

Außer der Reichsleitung umfaßt die Parteileitung elf Hauptämter und ungefähr vier Ämter. Wie in diesem Beweisstück ausgeführt, schlossen die Hauptämter der Partei Hauptorganisationen für Personal, Ausbildung und Technik unter der Führung des Angeklagten Speer, für Volkstum unter Himmler, für Beamte, Gemeindepolitik und dergleichen in sich ein. Die Ämter der Partei der Reichsleitung umfaßten das Außenpolitische Amt unter dem Angeklagten Rosenberg, das, wie das Beweismaterial zeigen wird, aktiv an den Plänen für den Angriffskrieg gegen Norwegen teilnahm, das Kolonialpolitische Amt, das Sippenamt und das Rassenpolitische Amt.

Wie das Schaubild über das Führerkorps, das dem Gerichtshof vorliegt, zeigt, erscheinen gewisse Hauptämter und Ämter innerhalb der Reichsleitung in der Gauleitung und in der Kreisleitung wieder. Es ist damit erwiesen, daß die Reichsleiter, die Hauptämter und die Amtsträger der Reichsleitung auf dienstlichem Wege durch die untergeordneten Ämter auf den niedrigergestellten gebietsmäßigen Stufen eine totale Kontrolle über die verschiedenen Sphären des nationalen Lebens in Deutschland ausübten.

Ich möchte mich nun mit den Gauleitern befassen. Wie aus der dem Gerichtshof vorliegenden Organisationskarte der Nationalsozialistischen Partei, Beweisstück US-2, ersichtlich ist, war Deutschland für Parteizwecke in größere Verwaltungsgebiete, die Gaue, eingeteilt und diese wiederum in Kreise, Ortsgruppen, Zellen und Blocks. Ein Gauleiter war der politische Führer des Gaues. Jeder Gauleiter wurde von Hitler ernannt und war ihm selbst verantwortlich. Ich zitiere von Seite 18 der englischen Übersetzung des Dokuments 1893-PS, dem Organisationsbuch der NSDAP:

»Der Gau stellt die Zusammenfassung einer Anzahl von Parteikreisen dar. ...

Der Gauleiter untersteht unmittelbar dem Führer. ... Der Gauleiter trägt dem Führer gegenüber die Gesamt verantwortung für den ihm anvertrauten Hoheitsbereich. Die Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten des Gauleiters ergeben sich vornehmlich aus dem vom Führer erteilten Auftrag und im übrigen aus den im einzelnen festgelegten Bestimmungen.«

Die Verantwortlichkeit und Funktion des Gauleiters und seiner Funktionäre oder Amtsträger waren im wesentlichen politisch; er hatte nämlich die Autorität der Nazi-Partei in seinem Gebiet zu wahren, die Tätigkeit der Partei und der ihr angeschlossenen und untergeordneten Gliederungen zu koordinieren und den Einnuß der Partei auf das Volk und das Leben in seinem Gau im allgemeinen zu erweitern. Nach dem Ausbruch des Krieges, als die Koordinierung der verschiedenen Phasen der deutschen Kriegsanstrengungen unumgänglich wurde, übertrug man den Gauleitern zusätzliche wichtige Machtvollkommenheiten. Der Ministerrat für die Reichsverteidigung, der eine Art Generalstab für die zivile Verteidigung und die Mobilisierung der deutschen Kriegswirtschaft darstellte, ernannte durch Gesetz vom 1. September 1939, Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 1565, ungefähr 16 Gauleiter zu Reichsverteidigungskommissaren. Ich bitte den Gerichtshof, dies amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Später, unter der Wirkung der zunehmenden militärischen Rückschläge und einem steigenden wirtschaftlichen Druck, wurden mehr und mehr wichtige verwaltungsmäßige Funktionen den Gauleitern übertragen. Die Partei-Gaue wurden die Verteidigungsbezirke des Reiches, und jeder Gauleiter wurde ein Reichsverteidigungskommissar durch Erlaß des Ministerrats für die Reichsverteidigung vom 16. November. 1942, Reichsgesetzblatt 1942, Teil I, Seite 649. Ich bitte den Gerichtshof, davon amtlich Kenntnis zu nehmen. Während des Krieges wurden dem Gauleiter weitere Funktionen übertragen, so daß schließlich am Ende des Krieges alle Phasen der deutschen Kriegswirtschaft, mit Ausnahme gewisser Sonderangelegenheiten, wie das Polizeiwesen, durch die Gauleiter koordiniert und überwacht wurden. So zum Beispiel wurde die bezirksmäßige Amtsbefugnis zur Preiskontrolle den Gauleitern als Reichsverteidigungskommissaren und die Wohnungsverwaltung als Gauwohnungskommissaren unterstellt. Gegen Ende des Krieges wurden die Gauleiter sogar mit militärischen und halbmilitärischen Aufgaben betraut. Sie wurden zu Befehlshabern des Volkssturms in ihren Gebieten gemacht und mit so wichtigen Aufgaben, wie der Evakuierung der Zivilbevölkerung vor den vorrückenden alliierten Armeen, sowie mit Zerstörungsmaßnahmen lebenswichtiger Einrichtungen beauftragt.

Der Aufbau und die Organisation der Partei-Gaue wiederholt sich im wesentlichen in den niedrigen Stufen der Parteiorganisation, also den Kreisen, Ortsgruppen, Zellen und Blocks. Jedem von diesen stand ein politischer Führer vor, der infolge des Führerprinzips den Befehlen der vorgesetzten politischen Führer unterstand, in seinem Wirkungskreis jedoch souverän herrschte. Das Führerkorps der Nazi-Partei war tatsächlich eine »Hierarchie immer kleiner werdender Cäsaren«. Die untergeordneten Stufen der Partei, wie die Kreise, Ortsgruppen und so weiter, waren in Ämter organisiert, die sich mit den verschiedenen besonderen Aufgaben der Partei befaßten. Die Anzahl solcher Abteilungen und Ämter verminderte sich jedoch, je weiter unten die Partei-Einheit in der Hierarchie stand, so daß, während die Kreisleitung alle oder fast alle Ämter des Gaues besaß, wie Stellvertreter, Stabsamtsleiter, Organisationsleiter, Schulungsleiter, Propagandaleiter, Presseamtsleiter, Schatzmeister, Richter des Parteigerichts, Inspektoren und dergleichen, die Ortsgruppen weniger und die Zellen und Blocks noch weniger derartige Ämter hatten.

Der Kreisleiter wurde auf Vorschlag des Gauleiters von Hitler ernannt und entlassen und war dem Gauleiter innerhalb der Partei-Hierarchie unmittelbar unterstellt. Der Kreis umfaßte gewöhnlich einen Bezirk. Der Kreisleiter hatte im allgemeinen, innerhalb des Kreises dieselbe Stellung, Vollmachten und Vorrechte, die dem Gauleiter im Gau übertragen waren. In Städten bildeten sie das Zentrum der Macht und der Organisation der Partei. Ich zitiere von Dokument 1893-PS, Seite 17 der englischen Übersetzung:

»Der Kreisleiter ist für seinen Hoheitsbereich dem Gauleiter gegenüber gesamtverantwortlich für die politische und weltanschauliche Erziehung und Ausrichtung der Politischen Leiter, der Parteigenossen, sowie der Bevölkerung.«

Der Ortsgruppenleiter war der örtliche Hauptführer. Das Gebiet des Ortsgruppenleiters umfaßte eine oder mehrere Gemeinden oder in einer Stadt einen gewissen Bezirk. Die Ortsgruppe setzte sich aus Blocks und Zellen zusammen und umfaßte den örtlichen Umständen gemäß bis zu 1500 Haushaltungen. Der Ortsgruppenleiter verfügte über einen Stab von Amtsträgern, die ihn in den verschiedenen Funktionen der Partei unterstützten. Alle anderen politischen Führer waren in dem ihm übertragenen Bezirk dem Ortsgruppenleiter untergeordnet und standen unter seiner Leitung. So zum Beispiel unterstanden die Führer der verschiedenen der Partei angegliederten Organisationen innerhalb seines Gebiets, wie die Deutsche Arbeitsfront, die Nazi-Organisationen für Juristen, Studenten und Beamte dem Ortsgruppenleiter, Gemäß dem Führerprinzip wurde der Ortsgruppenleiter vom Gauleiter ernannt und war dem Kreisleiter direkt unterstellt. Das Partei-Handbuch schreibt über die Ortsgruppenleiter wie folgt; ich zitiere von Dokument 1893-PS, Seite 16 und 17:

»Als Hoheitsträger ist er zuständig für alle Willensäußerungen der Partei; er ist verantwortlich für die politische und weltanschauliche Führung und Ausrichtung des ihm unterstellten Hoheitsbereiches.

Der Ortsgruppenleiter ist für die politische Auswirkung aller von den Ämtern, Gliederungen und angeschlossenen Verbänden der Partei... gesamtverantwortlich. ...

Es steht dem Ortsgruppenleiter das Recht zu, mit Rücksicht auf ein geschlossenes, politisches Auftreten in der Öffentlichkeit gegen alle Maßnahmen, die dem Gesamtinteresse der Partei zuwiderlaufen, Einspruch beim Kreisleiter zu erheben.«

Der Zellenleiter war für ungefähr 4 bis 8 Blocks verantwortlich. Er war der unmittelbare Vorgesetzte der Blockleiter und hatte sie zu kontrollieren und zu überwachen.. Seine Aufgaben, und Pflichten entsprachen, gemäß dem Handbuch der Partei, denen der Blockleiter. Ich zitiere aus demselben Dokument, Seite 15, letzter Absatz, nur eine Zeile:

»Die Aufgaben des Zellenleiters entsprechen sinngemäß den Aufgaben des Blockleiters.«

Der Blockleiter war der Parteibeamte, der besonders dazu in der Lage war, mit dem deutschen Volke in dauernder Berührung zu stehen. Der Block war die unterste Einheit der Organisationspyramide der Partei. Der Block in der Partei umfaßte 40 bis 60 Haushaltungen und wurde von der Partei als der Brennpunkt betrachtet, auf welchen das volle Gewicht der Propaganda drücken sollte. Ich zitiere aus demselben Dokument von Seite 13 und 14:

»Die Haushaltung ist die unterste Gemeinschaft, auf der sich das Block- und Zellensystem aufbaut. Der Haushalt ist der organisatorische Zusammenschluß aller in einer Wohnung vereinigten Volksgenossen, einschließlich Untermieter, Hausgehilfen usw. ...

Der Blockleiter ist für die gesamten Vorgänge in seinem Bereich, welche die Bewegung betreffen, zuständig und dem Zellenleiter voll verantwortlich.«

Der Blockleiter war, wie andere politische Führer, beauftragt, für die Planung und Verbreitung, sowie die Entwicklung der Aufnahmebereitschaft für die Politik der Nazi-Partei in der Bevölkerung des ihm übertragenen Bezirks zu sorgen. Es war auch die ausdrückliche Pflicht der Blockleiter, die Bevölkerung zu bespitzeln. Ich zitiere aus demselben Dokument von Seite 14 und 15:

»Die Verbreiter schädigender Gerüchte hat er feststellen zu lassen und sie an die Ortsgruppe zu melden, damit die zuständige staatliche Dienststelle benachrichtigt werden kann.

Der Blockleiter muß nicht nur der Prediger und Verfechter der nationalsozialistischen Weltanschauung gegenüber den seiner politischen Betreuung anvertrauten Volks- und Parteigenossen sein, sondern er muß auch dahin wirken, daß seinem Blockbereich angehörende Parteigenossen praktische Mitarbeit leisten. ... Der Blockleiter soll die Parteigenossen immer wieder auf ihre besonderen Pflichten gegenüber Volk und Staat aufmerksam machen. ... Weiterhin führt der Blockleiter eine Aufstellung betr. Haushaltung. ...

Der Blockierter hat seine Dienstobliegenheiten grundsätzlich mündlich zu erledigen bzw. Meldungen mündlich entgegenzunehmen und weiterzugeben. Schriftverkehr findet nur bei unbedingter Zweckmäßigkeit bzw. Notwendigkeit statt. ...

Der Blockleiter treibt nationalsozialistische Propaganda von Mund zu Mund. Er wird bei den ewig Unzufriedenen allmählich das Verständnis wecken für oft nur falsch ausgelegte und mißverstandene Maßnahmen der Gesetze der nationalsozialistischen Regierung... In auftauchende Klagen und Meckereien über evtl. erkennbare Mißstände irgendwelcher Art, hat er bei seinen Besuchen nicht etwa mit einzustimmen, um damit seine Solidarität zu zeigen,...

Voraussetzung für die Gewinnung des Vertrauens aller Volksgenossen ist größte Verschwiegenheit in allen Dingen.«

Es wird gezeigt werden, daß es in Deutschland nahezu eine halbe Million Blockleiter gab. Obwohl diese Zahl hoch erscheint, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß diese Funktionäre zu dem Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei gehörten. Da sie an der breiten Basis der Parteipyramide standen und nicht an der Spitze, wo sich die Reichsleiter befanden, waren sie auf Grund dieser Tatsache in kleinen Abständen in der deutschen Zivilbevölkerung verteilt.

VORSITZENDER: Ich glaube, Oberst Storey, es würde für den Gerichtshof nützlich sein, wenn Sie uns gelegentlich, das heißt, zu einer Ihnen passend erscheinenden Zeit, die ungefähren Zahlen der verschiedenen Ränge des Führerkorps mitteilen könnten.

OBERST STOREY: Das ist der nächste Gegenstand, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Sehr gut.

OBERST STOREY: Es kann bezweifelt werden, daß der Durchschnittsdeutsche jemals das Gesicht Heinrich Himmlers gesehen hat. Der Mann auf der Straße in Nazi-Deutschland konnte jedoch die unangenehme Bekanntschaft mit dem Blockleiter in seiner Nachbarschaft nicht vermeiden. Ebenso wie der Revierpolizist die Durchführung des Gesetzes für den Durchschnittsmann oder die Durchschnittsfrau symbolisiert, und nicht der oberste Polizeirichter, war es der Blockleiter, der der Bevölkerung von Deutschland gegenüber den Polizeistaat Hitlers verkörperte. In der Tat, und dies kann dem Beweismittel entnommen werden, waren die Blockleiter die »kleinen Führer«, die mit wirklicher und buchstäblicher Macht über die Zivilbevölkerung ihrer Bezirke ausgestattet waren. Zum Beweis für die Machtvollkommenheit der Blockleiter, Zwang und Drohung mit Gewalt gegen die Zivilbevölkerung auszuüben, zitiere ich aus Dokument 2833-PS, einem Auszug von Seite 7 der Zeitschrift »Das Gesicht der Partei«. Das Zitat ist nur eine Zeile lang:

»Rat und auch einmal die härtere Form der Erziehung greifen ein, wo das falsche Verhalten des Einzelnen diesem selbst und damit der Gemeinschaft Schaden zufügt.«

Bevor ich zu den Zahlen komme, möchte ich mich mit den Hoheitsträgern beschäftigen.

VORSITZENDER: Glauben Sie nicht, daß es Zeit zur Vertagung ist?

OBERST STOREY: Ja, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Bis 2.00 Uhr.