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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Die Personen, die diese Stellungen im gewöhnlichen Kabinett innehatten, wechselten in den Jahren 1933 bis 1945. Obwohl es nicht unsere Aufgabe ist, zu beweisen, wer sie waren – denn nicht die Einzelpersonen, sondern die Gruppe steht zur Erörterung – so liegen doch dem Gerichtshof bereits ihre Namen in der Originaltabelle über die Regierung, Beweisstück US-3, vor. Da es für den Gerichtshof von Interesse sein wird, zu erfahren, welche Personen es waren und welche Stellungen sie im Kabinett innehatten, siebzehn von ihnen stehen ja hier als Angeklagte, ist eine Tabelle angefertigt worden, die alle die von mir erwähnten Abteilungen, Stellungen und die Personen, die die Stellungen während der Jahre 1933 bis 1945 innehatten, verzeichnet. Die entsprechenden deutschen Titel sind ebenfalls angegeben. Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werde ich jetzt diese Tabelle an seine Mitglieder verteilen. Abschriften wurden auch in das Informationsbüro der Verteidiger gegeben. In der Tabelle sind auch Quellenzitate zur Bestätigung der aufgezeichneten Tatsachen vermerkt. All dies jedoch war während der in Frage kommenden Zeit allgemein bekannt.

Erläuternd möchte ich nur hinzufügen, daß die Tabelle nur hergestellt ist, um dem Gerichtshof das Studium der Schriftsätze und Dokumente zu erleichtern. Wie ich zu Beginn sagte, wird das Beweismaterial ergeben, daß der Unterschied zwischen dem ordentlichen Kabinett, dem Geheimen Kabinettsrat und dem Ministerrat für die Reichsverteidigung nur ein künstlicher war. Das folgt in erster Linie aus der Personaleinheit in den drei Unterabteilungen. So schuf Hitler am 4. Februar 1938 den Geheimen Kabinettsrat. Wenn sich die Herren Richter dieser großen Tabelle zuwenden wollen, werden sie unter 1938 eine rote Linie bemerken, die auf den Geheimen Kabinettsrat hinunterzeigt, der in diesem Jahre geschaffen wurde. Der betreffende Erlaß erscheint im Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 112. Es ist Dokument 2031-PS in unserem Dokumentenbuch; ich möchte aus diesem Dokument zitieren. Es beginnt mit dem einleitenden Absatz des Dokuments 2031-PS in der Abteilung Gesetze und Erlasse. Ich zitiere:

»Zu meiner Beratung in der Führung der Außenpolitik setze ich einen Geheimen Kabinettsrat ein. Ich ernenne zum Präsidenten des Geheimen Kabinettsrats den Reichsminister Freiherrn von Neurath. Ich berufe als Mitglieder in den Geheimen Kabinettsrat: den Reichsminister des Auswärtigen Joachim von Ribbentrop; den Preußischen Ministerpräsidenten, Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Generalfeldmarschall Hermann Göring; den Stellvertreter des Führers, Reichsminister Rudolf Heß; den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Joseph Goebbels; den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Dr. Hans-Heinrich Lammers;« – er erscheint ganz oben, unmittelbar unter Hitler – »den Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Walther von Brauchitsch; den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Dr. h. c. Raeder; den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, General der Artillerie Wilhelm Keitel.«

Es ist zu bemerken, daß jedes Mitglied entweder Reichsminister war, oder, wie im Falle der Führer von Heer, Marine und OKW, den Rang und die Befugnisse eines Reichsministers hatte.

Am 30. August 1939 schuf Hitler den Ministerrat für die Reichsverteidigung, besser bekannt als der Ministerrat. Vom Jahre 1939 an bildete der Minister- Verteidigungsrat das sogenannte Kriegskabinett. Der Erlaß erscheint im Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, Seite 1539; ich verweise auf Dokument 2018-PS, in der Abteilung Gesetze und Verordnungen; und ich zitiere den mit »I« bezeichneten Artikel:

»(1) Aus dem Reichsverteidigungsrat wird als ständiger Ausschuß ein Ministerrat für die Reichsverteidigung gebildet.«

»(2) Dem Ministerrat für die Reichsverteidigung gehören als ständige Mitglieder an:

Generalfeldmarschall Göring als Vorsitzender, der Stellvertreter des Führers« – der Angeklagte Heß –, »der Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung« – der Angeklagte Frick –, »der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft« – der Angeklagte Funk –, »der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei« – Dr. Lammers –, »der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht« – der Angeklagte Keitel.

»(3) Der Vorsitzende kann auch andere Mitglieder des Reichsverteidigungsrats sowie weitere Persönlichkeiten zu den Beratungen zuziehen.«

Wieder kann man sehen, daß sie alle auch Mitglieder des ordentlichen Kabinetts waren. Aber diese Verwendung des Kabinetts als ein Menschenreservoir, aus dem die vertrauten Mitarbeiter ausgewählt wurden, sticht besonders hervor, wenn wir die Handlungen der Nazi-Verschwörer betrachten, die nicht im Reichsgesetzblatt veröffentlicht wurden, die vor der Welt verheimlicht wurden, und die einen wesentlichen Teil ihrer Verschwörung, Angriffskriege zu führen, bildeten. Sie werden bemerkt haben, daß der Erlaß über die Bildung des Ministerrats jenen Satz enthielt, auf den ich gerade Bezug genommen habe:

»Aus dem Reichsverteidigungsrat wird als ständiger Ausschuß ein Ministerrat für die Reichsverteidigung gebildet;« – dann auch noch den Absatz 3 desselben Erlasses »Der Vorsitzende kann auch andere Mitglieder... zuziehen.«

Dem Gerichtshof liegt bereits Beweismaterial vor, das die Errichtung dieser wirklich im geheimen den Krieg planenden Körperschaft durch das Kabinett am 4. April 1933 zeigt. Ich verweise den Gerichtshof auf Beweisstück US-24, das in unserem Dokumentenbuch als Dokument 2261-PS erscheint. Dieses Dokument enthält das unveröffentlichte Reichsverteidigungsgesetz vom 21. Mai 1935. Was die Mitgliedschaft in diesem Rat zur Zeit seiner Errichtung betrifft, so habe ich hier die Abschrift einer Niederschrift über die zweite Sitzung des Arbeitsausschusses der Referenten für die Reichsverteidigung vom 22. Mai 1933; sie ist von dem Angeklagten Keitel unterschrieben. Sie erscheint in unserem Dokumentenbuch als EC-177, Beweisstück US-390. Die Zusammensetzung des Reichsverteidigungsrats ergibt sich aus Seite 3 des Originals und auch aus Seite 3 der Übersetzung.

VORSITZENDER: Ich glaubte, Sie wollten auf 2261-PS hinweisen.

OBERST STOREY: Ich habe nur darauf hinweisen wollen, Herr Vorsitzender, daß dieses Dokument als Beweisstück schon vorgelegt worden ist, und daß es eines der unveröffentlichten Reichsverteidigungsgesetze enthält. Dies war der einzige Grund, aus dem ich es erwähnte. Das Zitat fängt oben auf Seite 3 der Übersetzung an:

»Zusammensetzung des Reichsverteidigungsrates:

Vorsitz: Reichskanzler,

Vertretung: Reichswehrminister.

Ständige Mitglieder:

Reichswehrminister,

Reichsminister des Äußeren,

Reichsminister des Innern,

Reichsminister der Finanzen,

Reichswirtschaftsminister,

Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda,

Reichsminister der Luftfahrt,

Chef der Heeresleitung,

Chef der Marineleitung.

Von Fall zu Fall: die übrigen Reichsminister, weitere Persönlichkeiten, zum Beispiel führende Männer der Wirtschaft, pp.«

Alle, außer den Chefs der Heeresleitung und der Marineleitung, waren damals Mitglieder des gewöhnlichen Kabinetts. Die Zusammensetzung dieses Verteidigungsrats wurde im Jahre 1938 geändert. Ich verweise den Gerichtshof auf Beweisstück US-36, das in unserem Dokumentenbuch als Dokument 2194-PS erscheint. Es enthält das unveröffentlichte Reichsverteidigungsgesetz vom 4. September 1938.

Ich zitiere jetzt aus Paragraph 10, der die Überschrift: »Der Reichsverteidigungsrat« trägt. Sie finden die Stelle auf Seite 4 des Originals des Gesetzes, und ich zitiere nun von Seite 6 der englischen Übersetzung, am Anfang der Seite:

»(2) Den Vorsitz im RVR hat der Führer und Reichskanzler. Sein ständiger Vertreter ist Generalfeldmarschall Göring. Er ist berechtigt, den RVR zu Sitzungen einzuberufen.

Ständige Mitglieder des RVR sind:

der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe,

der Oberbefehlshaber des Heeres,

der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine,

der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht,

der Stellvertreter des Führers,

der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei,

der Präsident des Geheimen Kabinettsrates,

der Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung,

der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft,

der Reichsminister des Auswärtigen,

der Reichsminister des Innern,

der Reichsminister der Finanzen,

der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda,

der Präsident des Reichsbankdirektoriums.

Die übrigen Reichsminister und die dem Führer und Reichskanzler unmittelbar unterstellten Reichsstellen werden nach Bedarf hinzugezogen. Weitere Persönlichkeiten können von Fall zu Fall einberufen werden.«

VORSITZENDER: Oberst Storey, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir erklären würden, welche Schlüsse wir aus diesen Dokumenten ziehen sollen.

OBERST STOREY: Herr Vorsitzender! Wir versuchten, die fortschreitende Beherrschung des Reichskabinetts durch die Angeklagten und die Mitglieder dieser Gruppe darzulegen, so daß sie, wie die Herren Richter später sehen werden, Gesetze und Verordnungen geheim, im Umlaufswege oder, im Ergebnis, nach Belieben der Angeklagten erlassen konnten. Sicher geht das ein wenig in Einzelheiten, aber wir versuchen jetzt die Zusammensetzung und Organisation zu erklären, und werden später die Schlüsse ziehen.

Zu jenem Zeitpunkt war den Oberkommandierenden der Armee und der Marine Ministerrang verliehen und sie waren ermächtigt worden, an Kabinettssitzungen teilzunehmen. Ich zitiere Reichsgesetzblatt 1938, Teil I, Seite 215.

Dürfen wir jetzt die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf zwei Mitglieder des Verteidigungsrats lenken, die auch im Ministerrat unter demselben Titel erscheinen: den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung und den Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft. Den ersten Posten hatte der Angeklagte Frick inne, während den letzten zuerst der Angeklagte Schacht und dann der Angeklagte Funk bekleidete; sie zeichneten den Erlaß in dieser Eigenschaft. Diese Tatsachen sind durch den Angeklagten Frick im Beweisstück US-3 bestätigt; es ist die Organisationstabelle der Nazi-Regierung, auf die wir schon früher hingewiesen haben.

Wie wir später zeigen werden, waren diesen beiden Posten auf dem Gebiete der Kriegsplanung viele andere Ministerien unterstellt. Sie zusammen mit dem Chef des OKW bildeten ein machtvolles Triumvirat, als Drei-Männer-Kollegium bekannt. Sie sehen es in den drei Kästchen von 1935 bis 1938. Es spielte, wie das Beweismaterial zeigen wird, eine prominente Rolle bei den Plänen und Vorbereitungen für die Durchführung von Angriffskriegen. Die Personen, die diese Stellen innehatten, waren Kabinettsmitglieder, nämlich die Angeklagten Frick, Funk und Keitel.

Diese Verwendung des ordentlichen Kabinetts als eine Ergänzungsstelle für andere Regierungsstellen und der Zusammenhang zwischen allen diesen Gruppen kann vielleicht am schnellsten erkannt werden, wenn wir uns die Tabelle ansehen. Die Punkte, die ich erwähnt habe, sind auf dieser Tabelle veranschaulicht. Wir legen diese Tabelle nicht als Beweismaterial vor, obwohl alle Tatsachen, die in ihr aufgezeichnet sind, bereits bewiesen worden sind oder noch bewiesen werden. Diese Tabelle ist auch dazu bestimmt, die zeitliche Entwicklung der Ausläufer des Kabinetts, links von der Linie, die rechts bis zur Mitte hinunterläuft, zu zeigen. So erscheinen gewisse Daten in dem Hauptkästchen mit der Bezeichnung »Reichskabinett«, das direkt unter Hitler steht. Ich glaube, ich kann die Beschreibung dieser Linien übergehen, da sie für sich selbst sprechen.

Der Ministerrat für die Reichsverteidigung wurde im Jahre 1944 errichtet; der Bevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz war Goebbels. Diese beiden Stellen waren nächst Hitler die wichtigsten Nazi- Funktionäre. In jedem Fall waren sie, wie die Tabelle zeigt, von Personen besetzt, die aus dem Kabinett stammten. Der Pfeil, der vom Reichsverteidigungsrat zum Ministerrat für die Reichsverteidigung läuft, soll die Tatsache beleuchten, daß, wie schon zuvor gezeigt, der letztere aus dem ersteren gebildet wurde. Bei anderen Punkten dieses Vertrags werden wir noch einmal auf die Tabelle zurückkommen, besonders auf jenen Teil rechts, der sich auf die Ministerien bezieht.

Die Einheit, der Zusammenhang und die inneren Beziehungen der Unterabteilungen der »Reichsregierung« waren nicht nur das Ergebnis einer personellen Verschmelzung. Sie wurden auch durch die Methoden, nach denen sie handelte, erreicht. Das ordentliche Kabinett beriet sowohl in Sitzungen als auch im Wege des sogenannten Umlaufverfahrens. Bei diesem Verfahren, das vorwiegend angewandt wurde, wenn keine Sitzungen stattfanden, wurden Gesetzentwürfe in den einzelnen Ministerien ausgearbeitet und diese dann den übrigen Kabinettsmitgliedern zur Zustimmung oder zum Widerspruch zugeleitet.

Der Mann, der in erster Linie für den Umlauf von Gesetzentwürfen nach diesem Verfahren verantwortlich war, war Dr. Lammers, der Leiter und Chef der Reichskanzlei. Ich habe hier eine von ihm abgegebene eidesstattliche Erklärung über die technischen Einzelheiten dieses Verfahrens; wir legen sie als Beweisstück US-391, Dokument 2999-PS, vor. Sie ist kurz und ich möchte sie ganz vorlesen:

»Ich, Hans Heinrich Lammers, erkläre und sage unter Eid aus: Ich war Leiter der Reichskanzlei vom 30. Januar 1933 bis zum Ende des Krieges. In dieser Eigenschaft machte ich Entwürfe von vorgeschlagenen Gesetzen und Erlassen, die mir von dem Minister, der das Gesetz entworfen hatte, unterbreitet wurden, allen Kabinettsmitgliedern zugänglich. Ein gewisser Termin war für Einwände vorgesehen, nach dessen Ablauf das Gesetz als von den Kabinettsmitgliedern angenommen betrachtet wurde. Dieses Verfahren wurde während des ganzen Krieges fortgesetzt. Es wurde gleicherweise im Ministerrat für die Reichsverteidigung angewandt.«

Unterschrieben: »Dr. Lammers« und vor Oberstleutnant Hinkel beschworen.

Um Ihnen zu zeigen, wie das Umlauf verfahren lief, habe ich hier ein Schreiben vom 9. August 1943, das die Faksimile-Unterschrift des Angeklagten Frick trägt und an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei gerichtet ist. Diesem Schreiben ist ein Entwurf des in Frage kommenden Gesetzes und ein Durchschlag des vom Angeklagten Rosenberg an den Reichsinnenminister gerichteten Briefes vom 22. Dezember 1943 beigelegt, in dem er zu dem Gesetzesentwurf Stellung nimmt. Ich lege Dokument 1701-PS als Beweisstück US-392 vor und möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf den dicken roten Rand der Anlage lenken. Die zitierte Stelle befindet sich auf Seite 1 der Übersetzung und auf Seite 1 des Originals. Ich zitiere:

»An den Herrn Reichsminister und Chef der Reichskanzlei in Berlin W 8. Nachrichtlich den übrigen Herren Reichsministern. Betrifft: Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder. Im Nachgang zu meinem Schreiben vom 19. März 1942, Anlage: 55. Nachdem der Gesetzentwurf über die Behandlung Gemeinschaftsfremder von Grund auf überarbeitet worden ist, übersende ich im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz Dr. Thierack, der dem Gesetz nunmehr seine Zustimmung erteilt hat, den anliegenden neuen Entwurf mit der Bitte, die Verabschiedung des Gesetzes im Umlaufwege herbeizuführen. Die erforderliche Anzahl Abdrücke ist angeschlossen.«

Dasselbe Verfahren wurde im Ministerrat angewandt, nachdem er geschaffen war. Die Erlasse des Ministerrats wurden auch bei den Mitgliedern des ordentlichen Kabinetts in Umlauf gesetzt.

Hier ist ein Durchschlag eines Memorandums, das von alliierten Truppen in den Akten der Reichskanzlei gefunden wurde. Es war an die Mitglieder des Ministerrats gerichtet, trägt das Datum vom 17. September 1939 und die Unterschrift von Dr. Lammers in Maschinenschrift. Ich zitiere aus der englischen Übersetzung des Dokuments 1141-PS, Beweisstück US-393, den letzten Absatz über der Unterschrift von Dr. Lammers:

»Die beim Ministerrat für die Reichsverteidigung eingebrachten Vorlagen sind bisher nur bei den Mitgliedern des Ministerrats verteilt worden. Einige der Herren Reichsminister, die nicht ständige Mitglieder des Ministerrats sind, haben mich gebeten, ihnen von den Verordnungsentwürfen, die dem Ministerrat vorgelegt werden, Kenntnis zu geben, damit sie in der Lage sind, diese Entwürfe vom Standpunkt ihrer Ressorts zu prüfen. Ich werde diesem Wunsch entsprechen und in Zukunft die bei mir eingehenden Verordnungsentwürfe, die von dem Ministerrat für die Reichsverteidigung verabschiedet werden sollen, sämtlichen Herren Reichsministern zur Kenntnis bringen. Ich darf daher bitten, den für den Ministerrat bestimmten Vorlagen 45 Überstücke, und zwar sowohl der Entwürfe wie der Anschreiben, die in der Regel die Begründung enthalten, beifügen zu lassen.«

Von Stutterheim, ein Beamter in der Reichskanzlei, erläuterte dieses Verfahren auf Seite 34 einer Broschüre mit dem Titel »Die Reichskanzlei«, die ich jetzt als Beweisstück, Dokument 2231-PS, vorlege...

VORSITZENDER: Oberst Storey, ich kann die Bedeutung des letzten Dokuments nicht erkennen.

OBERST STOREY: Das letzte Dokument, Herr Vorsitzender, ist weiteres Beweismaterial für die Billigung von Gesetzen und für die Verabschiedung von Gesetzen im Umlauf verfahren.

VORSITZENDER: Wir haben das bereits in der eidesstattlichen Erklärung von Dr. Lammers.

OBERST STOREY: Es könnte, streng genommen, als kumulatives Beweismaterial angesehen werden, wenn Sie das im Auge haben, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Ja; wenn es kumulativ ist, so möchten wir es wirklich nicht hören.

OBERST STOREY: Jawohl, Herr Vorsitzender, ich werde bitten, daß es aus dem Protokoll gestrichen wird. Ich habe wirklich übersehen, daß es eine Wiederholung ist. Fräulein Boyd und Fregattenkapitän Kaplan sagen mir gerade, daß das Dokument 2231 wahrscheinlich auch nur dasselbe Verfahren bestätigen wird; ich werde es daher nicht vorlegen.

Ich habe bereits erklärt, daß das Kabinett eine Zeitlang in wirklichen Sitzungen beriet. Der Ministerrat tat das gleiche; jedoch besuchten auch die Kabinettsmitglieder, die nicht schon Mitglieder des Rates waren, die Sitzungen des Ministerrats. Wenn sie daran nicht persönlich teilnahmen, waren sie gewöhnlich durch die Staatssekretäre der Ministerien vertreten.

Wir haben hier das Protokoll von sechs Sitzungen des Ministerrats, und zwar vom 1., 4., 8. und 19. September 1939, vom 16. Oktober und 15. November 1939. Diese Originaldokumente wurden in den Akten der Reichskanzlei gefunden. Ich lege sie zum Beweis als Dokument 2852-PS, Beweisstück US-395, vor. Es wird für unsere Zwecke nur notwendig sein, auf einige wenige Protokolle hinzuweisen. Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Sitzung vom 1. September 1939, wahrscheinlich die erste Sitzung seit der Errichtung des Rates am 30. August 1939. Ich lese aus diesem Dokument die Anwesenheitsliste vor und beginne am Anfang, der englischen Übersetzung:

»Anwesend waren die ständigen Mitglieder des Ministerrates für die Reichsverteidigung: Der Vorsitzende: Generalfeldmarschall Göring. Der Stellvertreter des Führers: Heß« – aus unbekanntem Grund ist der Name Heß durchgestoßen –. »Die Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung: Dr. Frick. Der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft: Funk. Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei: Dr. Lammers. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht: Vertreter Generalmajor Thomas.«

Das waren die ordentlichen Mitglieder des Rates.

Ferner waren anwesend der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Darré, und sieben Staatssekretäre, deren Namen aufgeführt sind. Sie kamen von verschiedenen Ministerien oder anderen Obersten Reichsbehörden. Um nur beispielsweise einige zu nennen: Körner war der Stellvertreter des Angeklagten Göring für den Vierjahresplan; Stuckart war im Ministerium des Innern; Landfried im Wirtschaftsministerium; Syrup im Arbeitsministerium. Diese Stellungen erscheinen auch in der Regierungstabelle, die schon vorgelegt wurde.

Eine andere Sitzung des Rates,... – ich werde diese auslassen. Dann kamen dort die Namen von neun Staatssekretären...

MR. BIDDLE: Oberst Storey, das letzte Dokument zeigte nur, daß gewisse Mitglieder des Kabinetts an der Kabinettssitzung teilgenommen haben. Zeigt es noch etwas anderes?

OBERST STOREY: Ich wollte gerade fortfahren und zeigen, daß auch ein SS-Gruppenführer und andere Leute zugegen waren.

MR. BIDDLE: Und was würde das zeigen?

OBERST STOREY: Mit anderen Worten, daß diese untergeordneten Leute zu einer Ministersitzung hinzugezogen wurden.

MR. BIDDLE: Was würde das zeigen?

OBERST STOREY: Nun, es zeigt gerade die Verflechtung der Partei und der untergeordneten Dienststellen, so daß sie dieses Reichskabinett für jeden von ihnen gewünschten Zweck benutzen und auf jede Weise Gesetze verabschieden konnten. Sie zogen diese untergeordneten Leute in diesen untergeordneten Stellen hinzu und setzten sich mit ihnen bei Erlaß von Kabinettsmaßnahmen zusammen. Ich möchte auch die Aufmerksamkeit der Herren Richter auf den Ministerrat für die Reichsverteidigung lenken; er war angeblich ein Kabinett von Ministern, und doch zogen sie, wie ich gerade zeigen wollte, den SS-Gruppenführer Heydrich zu dieser Sitzung hinzu.

VORSITZENDER: Es kann doch kein Zweifel bestehen, daß es ein Reichskabinett gab?

OBERST STOREY: Nein, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Und daß das Reichskabinett Verordnungen auf diesem Umlaufwege erließ? Darüber besteht kein Zweifel.

OBERST STOREY: Das ist richtig, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Was ergibt sich sonst noch aus diesem Dokument?

OBERST STOREY: Es zeigt, wer teilnahm und wie sie in die Partei gingen, um andere heranzuziehen; ich werde jedoch die restlichen Hinweise auf diese anderen Einzelpersonen auslassen.

VORSITZENDER: Aber wir haben doch umfangreiches Beweismaterial vor uns, wer zu dem Reichskabinett gehörte, nicht wahr?

OBERST STOREY: Jawohl, ich werde die restlichen Hinweise auf andere Teilnehmer überspringen und auf Seite 23 der Sitzungsniederschrift übergehen. Bevor ich diese Niederschrift verlasse, die kennzeichnend für die Tätigkeit der Reichsregierung ist, möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf einige der Erlasse und kurzen Entwürfe hinlenken, die bei dieser Sitzung erörtert wurden. In der ersten Sitzung am 1. September 1939 wurden vierzehn Verordnungen von dem Rat ratifiziert. Ich weise den Gerichtshof auf den Erlaß Nummer 6 aus dieser Gruppe hin, der auf Seite 2 der Übersetzung erscheint. Ich zitiere:

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie haben uns die Nummer nicht angegeben.

OBERST STOREY: Ich bitte um Verzeihung. Es ist Reichsgesetzblatt I, Seite 1681. Ich möchte den Gerichtshof bitten, es amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Die Verordnung bezog sich auf den Aufbau der Verwaltung und auf die deutsche Sicherheitspolizei im Protektorat Böhmen und Mähren. Sie erscheint in der Übersetzung von 2852-PS. Eine andere Verordnung vom 19. September 1938 erscheint auf Seite 6 der Übersetzung. Ich zitiere vom Ende der Seite an:

»Der Vorsitzende des Ministerrats, Generalfeldmarschall Göring, machte Ausführungen zu dem Aufbau der Zivilverwaltung im besetzten polnischen Gebiet. Er legte seine Absicht klar hinsichtlich der wirtschaftlichen Räumungsmaßnahmen in diesem Gebiet. Die Fragen des Lohnabbaues, der Arbeitszeit und der Unterstützung von Angehörigen eingezogener Arbeiter wurden erörtert.«

Dann gibt es noch eine Anzahl verschiedener Diskussionspunkte; und aus dem Absatz 2 des Protokolls, Seite 7, zitiere ich das Folgende:

»Der Vorsitzende ordnete an, daß. alle Mitglieder des Ministerrates die Lageberichte des Reichsführers-SS regelmäßig erhalten.

Es wurde alsdann die Frage der Bevölkerung des zukünftigen polnischen Protektoratsgebietes und die Unterbringung in Deutschland lebender Juden erörtert.«

Abschließend lenke ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das Protokoll über die Sitzung vom 15. November 1939, Seite 10 der Übersetzung, wo unter anderem die Behandlung polnischer Kriegsgefangener besprochen wurde.

Unseres Erachtens ergibt sich aus diesem Dokument nicht nur eine enge Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen des Staates und der Partei, besonders mit der berüchtigten SS; es weist auch darauf hin, daß die Reichsregierung, wie in der Anklageschrift festgestellt, für die Politik verantwortlich war, die von den Regierungsstellen übernommen und in die Tat umgesetzt wurde. Dazu gehört auch die Begehung von Verbrechen, auf die in der Anklageschrift hingewiesen ist.

Die Arbeitsgemeinschaft allein würde jedoch bedeutungslos sein, wenn nicht die Macht dahinter gestanden hätte. Die Regierung hatte diese Macht. Von Hitler selbst abgesehen, hatte sie praktisch jede Macht, die eine Regierung ausüben kann. Die Anklage hat bereits Beweismaterial darüber vorgelegt, wie das Hitler-Kabinett und die anderen Nazi-Verschwörer den Erlaß des »Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich« vom 24. März 1933 durchsetzte; hierauf wurde schon in Dokument 2001-PS hingewiesen.

Dieses Gesetz stattete das Kabinett mit gesetzgeberischer Vollmacht aus und ermächtigte es sogar, von der bis dahin geltenden Verfassung abzuweichen. Diese Vollmacht blieb sogar bestehen als die Mitglieder des Kabinetts wechselten. Die verschiedenen Staaten, Provinzen und Gemeinden, die bisher halbautonom gewesen waren, wurden in Verwaltungsorgane der Zentralregierung umgewandelt.

Das ordentliche Kabinett wurde durch diese schnelle Folge von Ereignissen allmächtig. Der Angeklagte Frick gibt diesem Erfolg beredten Ausdruck. Ich habe hier einen Artikel in Dokument 2380-PS, den ich als Beweisstück US-396 vorlege. Er stammt aus dem Nationalsozialistischen Jahrbuch von 1935; ich zitiere von Seite 213 des Originals, Seite 1 der englischen Übersetzung, zweiter Absatz:

»Das Verhältnis zwischen Reich und Länder ist auf eine völlig neue, in der Geschichte des deutschen Volkes noch niemals dagewesene Grundlage gestellt. Es gibt der Reichsregierung die unbeschränkte Macht, ja es verpflichtet sie sogar, eine völlig einheitliche Führung und Verwaltung des Reiches aufzubauen. Es gibt von nun an nur noch eine Staatsgewalt, die des Reiches! Damit ist das Deutsche Reich zum Einheitsstaat geworden und die gesamte Verwaltung erfolgt in den Ländern nur noch im Auftrage und im Namen des Reiches. Die Landesgrenzen sind nur noch verwaltungstechnische Gebietsgrenzen, aber keine Hoheitsgrenzen mehr!

In ruhiger Entschlossenheit verwirklicht die Reichsregierung Schritt für Schritt, getragen vom Vertrauen des gesamten deutschen Volkes, die große Sehnsucht der Nation: Die Schaffung des nationalsozialistischen deutschen Einheitsstaates.«

VORSITZENDER: Oberst Storey! Dieses Dokument scheint mir nur kumulativ zu sein. Sie und auch andere Anklagevertreter der Vereinigten Staaten haben festgestellt, daß die Reichsminister die Macht hatten, Gesetze zu erlassen. Es ist nur die Frage, ob Sie irgendwelches Beweismaterial über die verbrecherische Natur der Reichsregierung vorgelegt haben.

OBERST STOREY: Herr Vorsitzender! Ich habe das wieder nur eingefügt, um die Verbindung eines der Angeklagten hier...

VORSITZENDER: Ich wollte nur darauf hinweisen, daß es sich um eine Wiederholung handelte.

OBERST STOREY: Ja, ganz recht, Herr Vorsitzender! Es mag wirklich nur eine Wiederholung sein. Ich werde den nächsten Hinweis auslassen, der sicher auch nur eine Wiederholung ist, und wende mich nun...

VORSITZENDER: Meinen Sie dasselbe Dokument?

OBERST STOREY: Nein, Herr Vorsitzender. Es ist ein anderes Dokument, das ich jetzt vorlegen wollte. Es ist 2849-PS, ein Zitat aus einem anderen Buch; sicherlich bezieht es sich auf denselben Punkt. Ich werde es auch auslassen. Das nächste ist ein Hinweis darauf, daß der Ministerrat gesetzgeberische Vollmachten hatte. Meines Wissens ist bisher noch nicht bewiesen worden, daß dieser Rat selbst gesetzgeberische Vollmachten erhalten hatte; das ergibt sich aus Artikel II des Erlasses vom 30. August 1939, Dokument 2018-PS. Das ordentliche Kabinett behielt die Legislative während des ganzen Krieges. Natürlich mußten sich infolge der Personalverschmelzung zwischen dem Ministerrat und dem ordentlichen Kabinett Fragen ergeben, in welcher Form das einzelne Gesetz bezeichnet werden sollte. Dr. Lammers, der Chef der Reichskanzlei und Mitglied beider Stellen, schrieb daher am 14. Januar 1942 einen Brief an den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, in dem er diese Frage behandelte.

Es dürfte nicht notwendig sein, das nächste Dokument zu verlesen. Es zeigt nur, daß beide Stellen weiterhin auf gesetzgeberischem Gebiete nebeneinander tätig waren. Es würde wirklich nur kumulatives Beweismaterial sein. Außer denen, die ich gerade erwähnte, gab es noch andere, die ein Gesetzgebungsrecht besaßen. Natürlich besaß Hitler ein solches Recht. Göring konnte als Stellvertreter für den Vierjahresplan Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen und hat dies auch getan. Das Kabinett übertrug das Recht, Gesetze zu erlassen, die von dem bestehenden Recht abweichen durften, an die Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft und für die Verwaltung sowie an den Chef des OKW, das sogenannte »Drei- Männer-Kollegium«! Dieses »Drei-Männer-Kollegium« hatte also ein Gesetzgebungsrecht. Es wurde bei dem Kriegsplanungsgesetz, dem geheimen Verteidigungsgesetz von 1938, Dokument 2194-PS, Beweisstück US-36, ausgeübt. Diese drei Funktionäre, Frick, Funk und Keitel, waren jedoch, wie wir bewiesen haben, auch Mitglieder des Ministerrats und des ordentlichen Kabinetts. Es kann deshalb wirklich mit den Worten der Anklage gesagt werden, daß die Reichsregierung Gesetzgebungsbefugnisse allererster Ordnung im deutschen Regierungssystem besaß. Daß sie diese Befugnisse auch tatsächlich ausübte, ist zum Teil schon gezeigt worden. Ich weise auf Dokument 2494-PS, ohne zu zitieren, nur hin, um zu zeigen, daß es ein geheimes Kabinettsgesetz war.

Die Vollziehungs- und Verwaltungsgewalt des Reiches war hauptsächlich als Folge von zwei Grundgesetzen der Nazis, die die einzelnen Länder zu bloßen geographischen Bezirken herabminderten, in der Zentralregierung konzentriert. Hoher Gerichtshof! Diese Gesetze sind bereits zitiert. Ich glaube, es würde nur eine Wiederholung des Beweismaterials sein, wenn ich die Gesetze im einzelnen anführen würde. Ich gehe nun zu dem Teil am Ende der Seite 29 über. Es wurden noch weitere Schritte zur Zentralisation unternommen. Lassen sie uns betrachten, über welche Macht das ordentliche Kabinett im Ergebnis verfügte. Wir haben hier eine Veröffentlichung von 1944, die von Dr. Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im Reichsinnenministerium, und von Dr. Harry von Rosen-von Hoewel, einem anderen Beamten im Reichsinnenministerium mit dem Titel »Oberregierungsrat«, herausgegeben war. Die Veröffentlichung trägt den Titel: »Verwaltungsrecht«. Ich lege sie als Dokument 2959-PS, Beweisstück US-399, vor. Sie behandelt im einzelnen die Vollmachten und Funktionen aller Minister des ordentlichen Kabinetts. Ich möchte nur einiges herausgreifen, um das Ausmaß der Kontrolle, mit der die Reichsregierung ausgestattet war, zu veranschaulichen.

Ich zitiere von Seite 2 der Übersetzung und von Seite 66 des Originals:

»Die Reichsminister. Es gibt zur Zeit 21 Reichsminister, nämlich...«

Darf ich einfügen, daß der einzige Zweck dieser Darlegung ist, den Geschäftsbereich und das Ausmaß der Amtsgewalt jedes Ministers zu veranschaulichen. Zum Beispiel wird beim Reichsaußenminister im einzelnen ausgeführt, womit er sich befaßt. Von dem Reichsinnenminister wird genau gesagt, worauf sich sein Geschäftsbereich erstreckt, und so weiter.

VORSITZENDER: Oberst Storey, darf ich Sie fragen, was das mit dem verbrecherischen Charakter des Reichskabinetts zu tun hat?

OBERST STOREY: Obwohl es vielleicht wieder eine Wiederholung sein mag, so soll meines Erachtens damit gezeigt werden, Herr Vorsitzender, wie die Angeklagten und ihre Kumpane ein Kabinett, die Ministerien und jene Räte bildeten, um jeder von ihnen beschlossenen Handlung den Anschein der Gesetzmäßigkeit zu geben, gleichgültig, ob sie eine Sitzung einberiefen oder nicht, je nach dem Befehl der betreffenden Minister; es zeigt mit anderen Worten eine vollkommene Beherrschung.

VORSITZENDER: Ich hätte geglaubt, daß das bereits genügend gezeigt wurde.

OBERST STOREY: Ganz recht, Herr Vorsitzender. Ich werde dann weitere Hinweise lassen, alle übrigen Gesetze überspringen und mich Seite 35 der Aufzeichnung zuwenden, um den verbrecherischen Charakter und die einzelnen Verbrechen aufzuzeigen.

Wir kommen damit zum zweiten Teil des Beweisvortrags gegen die Reichsregierung und wollen ihren verbrecherischen Charakter aufzeigen. Wenn die Anklagebehörde ihr gesamtes Beweismaterial vorgelegt hat, wird der Gerichtshof immer mehr zu der Erkenntnis gelangen, daß sich jedes Beweismittel auf die Reichsregierung und ihre sich hierfür ergebende Verantwortung bezieht. Hier wollen wir jetzt die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf einige hervorstechende Bestandteile des Beweismaterials lenken, das diese Gruppe brandmarkt.

Zunächst kann nicht oft genug betont werden, daß die Reichsregierung unter dem Nazi-Regime ein verbrecherisches Werkzeug der Nazi-Partei wurde. In dem ursprünglichen Kabinett vom 30. Januar 1933 waren nur drei Kabinettsmitglieder Parteimitglieder, nämlich Göring, Frick und Hitler.

Ich habe bereits gezeigt, daß, als neue Ministerien hinzukamen, prominente Nazis an ihre Spitze gestellt wurden. Am 30. Januar 1937 veranlaßte Hitler die Aufnahme solcher Kabinettsmitglieder in die Partei, die noch nicht Mitglieder der Nazi-Partei waren. Darüber berichtet der »Völkische Beobachter«, Süddeutsche Ausgabe, vom 1. Februar 1937, Dokument 2964-PS, Beweisstück US-401. Ich zitiere die Absätze drei und vier der englischen Übersetzung:

»Mit Rücksicht darauf, daß demnächst die Mitgliedersperre für die Partei aufgehoben werden soll, vollzog der Führer als erste Maßnahme in dieser Hinsicht persönlich den Eintritt der Kabinettsmitglieder in die Partei, die ihr bisher noch nicht angehörten und überreichte ihnen gleichzeitig das Goldene Parteiabzeichen, das höchste Ehrenzeichen der Partei.

Ferner verlieh der Führer das Goldene Parteiabzeichen dem Generaloberst Freiherrn von Fritsch, dem Generaladmiral Dr. h. c. Raeder, dem preußischen Finanzminister Professor Popitz und dem Staatssekretär und Chef der Präsidialkanzlei, Dr. Meißner. Ebenfalls zeichnete der Führer mit dem Goldenen Parteiabzeichen die Parteigenossen Staatssekretär Dr. Lammers, Staatssekretär Funk, Staatssekretär Körner und Staatssekretär General der Flieger Milch aus.«

Es war möglich, die so übertragene Mitgliedschaft der Partei zurückzuweisen, aber nur ein Mann hat es tatsächlich getan, von Eltz-Rübenach, der damalige Post- und Verkehrsminister. Ich habe hier den Originalbrief von Eltz-Rübenach an Hitler vom 30. Januar 1937. Er ist handschriftlich abgefaßt; und ich lege ihn als Dokument 1534-PS, Beweisstück US-402, vor. Ich zitiere das gesamte Dokument:

»Berlin W 8, 30. Januar 1937, Wilhelmstraße 79.

Mein Führer! Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie mir während der vier Jahre Ihrer Führerschaft geschenkt haben und für das ehrenvolle Anerbieten, mich in die Partei aufzunehmen. Mein Gewissen verbietet mir aber, dieses Anerbieten anzunehmen. Ich stehe auf dem Boden des positiven Christentums und habe meinem Herrgott und mir selbst die Treue zu halten. Die Zugehörigkeit zur Partei würde aber bedeuten, daß ich den sich ständig verschärfenden Angriffen von Parteistellen gegen die christlichen Konfessionen und diejenigen, die ihren religiösen Überzeugungen treu bleiben wollen, widerspruchslos gegenüberstehe.

Mein Entschluß ist mir unendlich schwer gefallen. Denn ich habe niemals in meinem Leben mit größerer. Freude und Genugtuung meinen Dienst getan, als unter Ihrer weisen Staatsführung. Ich bitte um meine Entlassung. Mit Deutschem Gruß! Ihr sehr ergebener Frh. v. Eltz.«

Aber die Nazis warteten nicht, bis alle Mitglieder des Kabinetts...

VORSITZENDER: Erhielt Baron von Eltz seine Entlassung?

OBERST STOREY: Ja! Meiner Meinung nach war jeder einzelne von ihnen, mit Ausnahme dieses einen, Parteimitglied! Er zog sich zurück und dankte ab, was ihm auch bewilligt wurde. Die Nazis warteten nicht, bis alle Mitglieder des Kabinetts Parteimitglieder wurden. Kurz nach der Machtübernahme sicherten sie sich die aktive Teilnahme an den Arbeiten des Kabinetts. Am 1. Dezember 1933 erließ das Kabinett ein Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat. Es ist vor kurzem eingeführt worden, und ich will mich nicht weiter damit befassen. Es ist hier als unser Dokument 1395-PS bezeichnet.

VORSITZENDER: Warum ist Baron von Eltz im Jahre 1938 als Kabinettsmitglied aufgeführt?

OBERST STOREY: Herr Vorsitzender! Das »1938« bezieht sich nur auf den Zeitpunkt, zu dem der Geheime Kabinettsrat errichtet wurde. Es steht in keinem Zusammenhang mit dem Zeitpunkt, in dem irgendeiner von diesen Leuten in das Kabinett kam.

VORSITZENDER: Ja, ich sehe.

OBERST STOREY: Mit anderen Worten, alle diese Pfeile zeigen, daß diese verschiedenen Stellen während dieser Jahre geschaffen wurden.

VORSITZENDER: Ja, ich verstehe.

OBERST STOREY: Zur Information des Gerichtshofs möchte ich bemerken, daß auf dieser Liste aller Mitglieder des Kabinetts und der Reichsregierung von 1933 an sein Name steht. Diese Liste haben wir dem Hohen Gerichtshof übergeben.

VORSITZENDER: Bis 1937?

OBERST STOREY: Nein, Herr Vorsitzender. Sein Name ist von 1933 bis 1945 aufgeführt. Die Herren Richter werden sich daran erinnern, daß wir eine gesonderte Liste eingereicht haben; sie enthält den Namen des Barons, die ihm übertragene Amtsgewalt und so weiter.

VORSITZENDER: Sie meinen, das ist ein Fehler?

OBERST STOREY: Nein, es ist kein Fehler.

VORSITZENDER: War er denn nicht zurückgetreten?

OBERST STOREY: Er war zurückgetreten. Der Gerichtshof fragte mich jedoch, ob sein Name hier aufgeführt sei, und ich erklärte, daß sein Name in der Sonderliste, die alle Mitglieder der Reichsregierung von 1933 bis 1945 umfaßt, enthalten war. Der Hinweis in der Sonderliste soll eigentlich dem Gerichtshof nur als Anhaltspunkt dienen.

Ich habe hier eine Abschrift eines unveröffentlichten Erlasses, unterschrieben von Hitler und datiert vom 27. Juli 1934. Es ist Dokument D-138, Beweisstück US-403, und befindet sich in dem Teil »Gesetze und Erlasse«. Es ist ein Erlaß von Adolf Hitler:

»Ich ordne an, daß der Stellvertreter des Führers, Reichsminister Heß, bei der Bearbeitung von Gesetzentwürfen in sämtlichen Reichsressorts die Stellung eines beteiligten Reichsministers erhält. Sämtliche gesetzgeberischen Arbeiten sind ihm in dem Zeitpunkt zuzuleiten, in dem sie die sonst beteiligten Reichsminister erhalten. Dies gilt auch dann, wenn außer dem federführenden Reichsminister kein anderer beteiligt ist. Reichsminister Heß ist Gelegenheit zu geben, zu Referentenentwürfen Stellung zu nehmen.

Auf den Erlaß von Rechtsverordnungen findet diese Anordnung sinngemäß Anwendung.

Der Stellvertreter des Führers kann in seiner Eigenschaft als Reichsminister sich durch Referenten seines Stabes vertreten lassen. Diese Referenten sind berechtigt, an seiner Stelle Erklärungen gegenüber den Reichsministern abzugeben.«

Unterschrift von Hitler.

Der Angeklagte Heß selbst hat eine bezeichnende Bemerkung über sein Recht auf Beteiligung namens der Partei zu machen. Ich lege zum Beweis Dokument D-139, Beweisstück US-404, vor. Es ist ein Originalschreiben auf Briefpapier der NSDAP, das von Heß unterschrieben wurde und das Datum vom 9. Oktober 1934 trägt. Es ist an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda gerichtet.

Ich zitiere das gesamte Dokument:

»Das mir durch Erlaß des Führers vom 27. Juli 1934 eingeräumte Mitwirkungsrecht bei der Gesetzgebung des Reiches, sowohl bei formalen Gesetzen wie bei Rechtsverordnungen, darf nicht dadurch illusorisch gemacht werden, daß mir die Entwürfe zu Gesetzen und Verordnungen mit Fristbestimmung und so spät zugehen, daß ich innerhalb der gestellten Frist den betreffenden Stoff nicht mehr bearbeiten kann. Ich muß darauf hinweisen, daß meine Mitwirkung die Stellungnahme der NSDAP überhaupt bedeutet und daß ich bei den meisten Gesetz- und Verordnungsentwürfen die zuständigen Stellen der Partei anhöre, ehe ich meine Äußerungen abgebe. Nur wenn ich so verfahre, kann ich dem in dem Erlaß des Führers vom 27. Juli 1934 ausgesprochenen Willen des Führers gerecht werden.

Ich muß deshalb die Herren Reichsminister bitten, zu veranlassen, daß mir Entwürfe zu Gesetzen und Verordnungen mit ausreichender Fristbestimmung zugehen. Andernfalls würde ich mich in Zukunft genötigt sehen, meine Zustimmung zu solchen Entwürfen in allen den Fällen von vornherein und ohne auf die Sache einzugehen, vorzuenthalten, in denen ich nicht genügend Frist zur ordnungsgemäßen Bearbeitung erhalte. Heil!« Unterschrift: »Rudolf Heß.«

Am Fuß des Briefes befindet sich eine handschriftliche Notiz. Sie lautet; und ich zitiere von Seite 2 der Übersetzung:

»Berlin, den 17. Oktober 1934. 1. Das Schreiben ist offenbar in gleicher Form an alle Ressorts gerichtet worden. In unserem Sachgebiet ist die Verfügung vom VI. Juli 1934 noch kaum praktisch geworden. Antwort erscheint nicht erforderlich. 2. Zu den Akten. Im Auftrag« Unterschrift »R«.

Das Mitwirkungsrecht von Heß wurde später erweitert. Ich verweise auf Dokument D-140, Beweisstück US-405; es ist ein Schreiben von Dr. Lammers an die Reichsminister vom 12. April 1938.

Ich lege es als Beweismaterial vor und zitiere aus der englischen Übersetzung vom dritten Absatz an:

»Der Stellvertreter des Führers ist auch bei der Zustimmung der Reichsminister zu Landesgesetzen und Rechtsverordnungen der Länder auf Grund des Paragraph 3 der Ersten Verordnung über den Neuaufbau des Reichs vom 2. Februar 1934 (Reichsgesetzblatt I Seite 81) zu beteiligen. Soweit die Reichsminister bereits in einem früheren Zeitpunkt solche Gesetze oder Rechtsverordnungen bearbeiten oder an ihrer Bearbeitung beteiligt sind, ist der Stellvertreter des Führers gleichfalls beteiligter Reichsminister.

Dies gilt auch für Gesetze und Rechtsverordnungen des Landes Österreich.« Unterschrift: »Dr. Lammers.«

VORSITZENDER: Oberst Storey! Darf ich Sie fragen, was diese drei Dokumente beweisen sollen?

OBERST STOREY: In erster Linie, Herr Vorsitzender, habe ich darauf verwiesen, um zu zeigen, daß sie Gesetze über eroberte Gebiete erließen. Dies bezog sich auf Österreich. Das andere von Heß unterschriebene gibt ihm fast unbegrenzte Vollmachten, soweit formale Gesetze und Rechtsverordnungen in Frage kommen; der wichtigste Punkt ist meines Erachtens außerdem, daß Heß sagt, sie müßten sie ihm rechtzeitig vorher zusenden, damit er mit der Partei und den zuständigen Parteimitgliedern Fühlung nehmen und ihre Stellungnahme erhalten könne.

VORSITZENDER: Ist das ein Beweis eines verbrecherischen Charakters, daß Heß sich der Mühe unterzog, die Meinung anderer Minister zu hören?

OBERST STOREY: Ich glaube, es ist ein Teil der allgemeinen Verschwörung und zeigt die Beherrschung von Partei und Staat durch die Nazi-Partei und insbesondere durch das Führerkorps.

VORSITZENDER: Ich glaubte, ich habe bereits erklärt, daß wir – und ich glaube im Namen des ganzen Gerichtshofs zu sprechen – der Ansicht sind, daß diese Tatsache schon genügend bewiesen ist, und daß wir wünschten, sich der Frage des verbrecherischen Charakters der Reichsregierung zuzuwenden.

OBERST STOREY: Darf ich annehmen, Herr Vorsitzender, daß wir dann keinen weiteren Beweis zu führen brauchen, daß die Partei selbst mit dem Erlaß dieser Gesetze gemäß dem Vorschlag des Angeklagten Heß zu tun hatte? Ich glaubte, es wäre unsere Aufgabe, zu beweisen, daß die Partei und insbesondere das Führerkorps dieses Kabinett beherrschte.

VORSITZENDER: Sie beschäftigen sich jetzt mit dem Reichskabinett, und ich glaube, der Gerichtshof hat sich genügend davon überzeugt, daß das Reichskabinett die Vollmacht hatte, Gesetze zu erlassen.

OBERST STOREY: Ich glaube, wir sollten einen kleinen Schritt weitergehen und, falls wir es noch nicht getan haben, zu beweisen versuchen, daß die Art und Weise, wie sie die Gesetze im Einvernehmen mit der Partei erließen, verbrecherisch war. Ergänzend hätte ich noch einige andere Gesetze zu zitieren, aber wenn dem Gerichtshof das bisherige Beweismaterial schon genügt, will ich davon absehen.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß sich der Gerichtshof vorstellen würde, daß sie Gesetze erließen, ohne irgend jemanden zu befragen.

Es ist vielleicht jetzt angebracht, für 10 Minuten zu unterbrechen.