[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
MAJOR WARREN F. FARR, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Wir werden uns nun mit der Organisation der SS befassen. Die Dokumentenbücher dieses Falles tragen den Buchstaben ›Z‹. Da die Dokumente sehr umfangreich sind, haben wir sie zur besseren Übersicht in zwei Bände geteilt. Ich werde, wenn ich mich auf ein Dokument beziehe, die Nummer des Bandes angeben, in dem sich die betreffende Urkunde befindet.
Vor einer Woche oder zehn Tagen erschien in einer in Nürnberg herausgegebenen Zeitung ein Artikel über den Besuch eines Berichterstatters dieses Blattes in einem SS-Gefangenenlager. Was den Berichterstatter besonders erstaunte, war die von den SS-Gefangenen gestellte Frage: Warum werden wir als Verbrecher angeklagt? Wir haben nichts als unsere Pflicht getan.
Das Beweismaterial, das wir dem Gerichtshof unterbreiten werden, wird diese Frage beantworten. Es wird beweisen, daß, wie die Nazi-Partei das Herz, der Kern der Verschwörung war, die SS die Essenz des Nazismus darstellte. Denn die SS war die Elite der Partei und bestand aus den draufgängerischsten Anhängern der Nazi-Idee, die mit blindem Gehorsam den Nazi-Grundsätzen verschrieben und bereit waren, diese ohne zu fragen und mit allen Mitteln durchzusetzen, eine Gemeinschaft, der alles menschlich Wertvolle so fremd war, daß ihre Mitglieder sich fragen können, was ist ungesetzlich an dem, was wir getan haben?
Während der vergangenen Wochen hat der Gerichtshof Beweismaterial über das verbrecherische Programm der Verschwörer gehört, das Programm der Angriffskriege, der Konzentrationslager, der Ausrottung der Juden, der Versklavung von Fremdarbeitern, der ungesetzlichen Verwendung von Kriegsgefangenen, der Verschleppung und der Germanisierung von Bewohnern eroberter Länder. Wie ein roter Faden zog sich durch diese Beweisführung der Name der SS. Immer wieder stieß man auf diese Organisation und ihre Gliederungen. Es soll nun bewiesen werden, warum sie eine verantwortliche Rolle bei jeder dieser verbrecherischen Unternehmungen spielte, warum sie eine Verbrecherorganisation war und tatsächlich auch sein mußte.
Die Schaffung und Entwicklung einer solchen Organisation war in der Tat von grundlegender Wichtigkeit für die Durchführung der Pläne der Verschwörer. Das umfassende Programm und die Maßnahmen, die sie zu ergreifen bereit waren und auch ergriffen, konnten in vollem Umfange weder durch die Regierungsmaschinerie, noch durch die Partei durchgeführt werden. Handlungen sollten begangen werden, für die keine Regierungsstelle und keine politische Partei, nicht einmal die Nazi-Partei, offen die Verantwortung tragen wollte. Eine besondere Art von Organisation war notwendig, eine Organisation, die bis zu einem gewissen Grade mit der Regierung in Verbindung stand und offizielle Unterstützung genoß, aber gleichzeitig eine halb unabhängige Stellung behalten konnte, so daß ihre Tätigkeit weder der Regierung noch der Partei als Ganzes zur Last gelegt werden konnte. Diese Organisation war die SS.
Ebenso wie die SA war sie eine der sieben Gliederungen oder Formationen der Nazi-Partei, die in dem Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 29. März 1935, Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, Seite 503, genannt sind. Dieses Gesetz befindet sich in unserem Dokument 1725-PS; ich werde es aber nicht verlesen. Ich nehme an, daß der Gerichtshof davon amtlich Kenntnis nehmen wird. Die SS hatte jedoch gegenüber den anderen Gliederungen eine gehobene Stellung. Mit dem Fortschreiten der Pläne der Verschwörer übernahm sie neue Aufgaben, neue Verantwortlichkeiten und eine immer bedeutsamere Stellung im Regime. Sie entwickelte sich im Verlauf der Verschwörung zu einer äußerst komplizierten Maschinerie, der mächtigsten im Nazi-Staat, deren Fühler in alle Gebiete der Nazi-Tätigkeit hineinreichten.
Die Beweise, die ich jetzt vorlegen werde, sollen erstens in Kürze schildern, wie die SS entstand und wie sie sich anfänglich entwickelte; zweitens, wie sie organisiert war, das heißt, ihr Aufbau und ihre Gliederungen; drittens die Richtlinien, die die Auswahl ihrer Mitglieder festlegten und die Verpflichtungen, die diese auf sich nahmen, und schließlich die Ziele und Mittel, die zu deren Erreichung angewandt wurden, die Art, wie die SS die Vorhaben der Verschwörer ausführte, und weshalb sie als ein Teilnehmer an den Verbrechen verantwortlich, ist, die in der Anklage behauptet werden.
Über Geschichte, Organisation und die öffentlich bekanntgegebenen Funktionen der SS bestehen keine Meinungsverschiedenheiten. Dafür ist man nicht auf Geheimarchive und erbeutete Dokumente angewiesen. Sie wurden mit Genehmigung der SS und der Partei in zahlreichen Veröffentlichungen wiedergegeben, die in Deutschland und in der ganzen Welt verbreitet waren, und zwar in offiziellen Veröffentlichungen der Nazi- Partei selbst sowie in Büchern, Druckschriften und Reden von SS-Funktionären und Regierungsbeamten. Während der Behandlung dieses Falles werde ich mich häufig auf fünf oder sechs solche Veröffentlichungen beziehen, deren Übersetzungen vollständig oder teilweise in den Dokumentenbüchern erscheinen. Obwohl ich Teile daraus zitieren werde, werde ich nicht versuchen, den gesamten Inhalt wiederzugeben, da ich annehme, daß der Gerichtshof vom Inhalt solcher offiziellen Schriftstücke amtlich Kenntnis nehmen wird.
Ich komme nun zum Ursprung der SS. Wie das dem Gerichtshof bereits unterbreitete Material bewiesen hat, war es das erste Ziel der Verschwörer, in einem politisch feindlichen Lager Fuß zu fassen, die Herrschaft über die Straße zu gewinnen und alle Gegner mit Gewalt zu bekämpfen. Zu diesem Zwecke benötigten sie ihre eigene private persönliche Polizei- Organisation. Im Falle der SA wurde soeben Material vorgelegt, das beweist, wie diese Organisation für eine derartige Aufgabe geschaffen wurde. Jedoch wurde die SA im Jahre 1923 für illegal erklärt. Als die Nazi-Partei im Jahre 1925 ihre Tätigkeit wieder aufnahm, blieb die SA verboten. An ihrer Stelle und um die Rolle von Hitlers persönlicher Polizei zu spielen, wurden kleine, leicht bewegliche Gruppen gebildet, die den Namen ›Schutz-Staffeln‹ trugen. Dies war der Ursprung der SS im Jahre 1925. Nach Aufhebung des SA-Verbots im Jahre 1926 spielte die SS für die nächsten paar Jahre keine bedeutende Rolle. Sie existierte aber weiter als Organisation innerhalb der SA, jedoch unter ihrem eigenen Führer, dem Reichsführer- SS. Diese Frühgeschichte der SS geht aus zwei der amtlichen Veröffentlichungen hervor, auf die ich mich bereits bezogen habe: die erste ist ein Buch des SS-Standartenführers Gunter d'Alquen und heißt ›Die SS‹. Dieses Buch, eine Druckschrift von ungefähr dreißig Seiten, ist die amtliche Darstellung der Geschichte, der Aufgaben und der Organisation der SS und wurde im Jahre 1939 veröffentlicht. Wie aus dem Vorwort hervorgeht, wurde diese Druckschrift auf Anweisung des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, verfaßt. Der Autor, SS-Standartenführer Gunter d'Alquen, war Herausgeber der offiziellen SS-Zeitschrift ›Das Schwarze Korps‹. Dieses Buch ist unsere Urkunde 2284-PS. Ich lege es als Beweisstück US-438 vor. Der Passus, auf den ich mich beziehe, steht auf Seite 6 und 7 des Originals und auf Seite 1 der Übersetzung.
Ich möchte den Absatz jetzt nicht verlesen.
Die zweite Veröffentlichung ist ein Artikel Himmlers mit der Überschrift »Wesen und Aufgabe der SS und der Polizei«. Er erschien im Jahre 1937 in einer Broschüre, die eine Reihe von Reden und Aufsätzen von hohen Parteifunktionären und Staatsbeamten enthält, unter dem Titel »Nationalpolitischer Lehrgang der Wehrmacht vom 15. bis 23. Januar 1937«. Der Artikel Himmlers, den ich meine, steht auf Seite 137 bis 161 dieser Broschüre. Ein umfangreicher Auszug daraus befindet sich in unserem Dokument 1992 (a)- PS. Ich unterbreite diesen Aufsatz von Himmler als US-439. Der Absatz, von dem ich gesprochen habe, steht auf Seite 137 des Originals und auf Seite 1 der Übersetzung unseres Dokuments 1992 (a)-PS. Ich werde Gelegenheit haben, aus diesen beiden Veröffentlichungen zu verlesen; hinsichtlich der historischen Tatsachen nehme ich jedoch an, daß die Bezugnahme auf die betreffenden Absätze genügt.
Schon im Jahre 1929 erkannten die Verschwörer, daß sie zur Durchführung ihrer Pläne einer Organisation bedurften, in der die Hauptprinzipien des Nazi- Systems, besonders die Rassengrundsätze, nicht nur eifersüchtig gehütet, sondern sogar derart ins Extrem gesteigert würden, daß der Rest der Bevölkerung begeistert oder eingeschüchtert wäre, einer Organisation, die gleichzeitig den Führern vollständig freie Hand ließ und blinden Gehorsam der Mitglieder gewährleistete. Die SS wurde geschaffen, um diese Forderungen zu erfüllen. Ich zitiere aus dem Buch von d'Alquen, »Die SS«, von Seite 7. Dieser Abschnitt steht in unserem Dokument Nummer 2284-PS auf Seite 4 der Übersetzung, Abschnitt 4.
»Am 6. Januar 1929 ernannte dann Adolf Hitler seinen bereits in langen Jahren bewährten Kameraden Heinrich Himmler zum Reichsführer-SS. Heinrich Himmler übernahm damit die ganzen, damals 280 Mann zählenden Schutzstaffeln mit dem ausdrücklichen und besonderen Auftrage des Führers, aus dieser Organisation eine in jedem Falle verläßliche Truppe, eine Elite-Truppe der Partei zu formen.
Mit diesem Tage beginnt die eigentliche Geschichte der SS so, wie sie heute in all ihren tieferen Wesenszügen fest verankert in der nationalsozialistischen Bewegung vor uns steht. Denn die SS und ihr Reichsführer Heinrich Himmler, ihr erster SS-Mann, sie sind beide unzertrennlich geworden im Laufe dieser kampferfüllten Jahre.«
In Durchführung von Hitlers Auftrag begann Himmler aus dieser kleinen Gruppe von Männern eine Elite-Organisation zu schaffen, bestehend, um die Worte d'Alquens zu gebrauchen, aus den »körperlich besten... zuverlässigsten, treuesten... Männern« in der Nazi-Bewegung. Ich werde Ihnen nun einen anderen Absatz aus dem Buch von d'Alquen, Seite 12 des Originals, Seite 6, Absatz 5 der Übersetzung verlesen:
»Als endlich der Tag der Machtergreifung gekommen war, waren es 52000 SS-Männer, die in diesem Geiste die Revolution mit vorantrugen, hineinmarschierten in den neuen Staat, den sie nun überall in ihren Standorten und Positionen, in Beruf und Dienst und allen notwendigen Aufgaben begannen mitgestalten zu helfen.«
Die Verschwörer hatten nun die Verwaltung der Regierung in Händen. Die ursprüngliche Aufgabe der SS, als Privatarmee und persönliche Polizeimacht tätig zu sein, war somit beendet. Aber in Wirklichkeit hatte ihre Aufgabe erst begonnen. Diese Aufgabe ist in dem Organisationsbuch der NSDAP vom Jahre 1943 beschrieben. Die Seiten dieses Buches, die die SS behandeln, Seite 417 bis 428, sind in unserem Dokument 2640-PS übersetzt. Das Organisationsbuch ist bereits als US-323 vorgelegt worden. Der Abschnitt, auf den ich mich beziehe, erscheint auf Seite 417 des Originals und auf Seite 1, Absatz 2 der Übersetzung:
»Aufgaben: Die ursprüngliche und vornehmste Aufgabe der SS ist es, für den Schutz des Führers zu sorgen. Durch den Auftrag des Führers ist das Aufgabengebiet der SS dahin erweitert worden, das Reich im Innern zu sichern.«
Diese neue Aufgabe, die innere Sicherung des Regimes, ist in ziemlich farbigen Ausdrücken von Himmler in seiner Broschüre »Die Schutzstaffel als antibolschewistische Kampf Organisation«, erschienen im Jahre 1936, umschrieben worden. Es ist Dokument 1851-PS. Ich unterbreite es als Beweisstück US-440. Die Umschreibung, auf die ich mich beziehen möchte, steht im Original am Ende der Seite 29, in der Übersetzung auf Seite 3 in der Mitte des Absatzes. Ich zitiere:
»Wir werden unablässig unsere Aufgabe, die Garanten der Sicherheit Deutschlands im Innern zu sein, erfüllen, ebenso wie die deutsche Wehrmacht die Sicherung der Ehre und Größe und des Friedens des Reiches nach außen garantiert. Wir werden dafür sorgen, daß niemals mehr in Deutschland, dem Herzen Europas, von innen oder durch Emissäre von außen her die jüdisch-bolschewistische Revolution des Untermenschen entfacht werden kann. Unbarmherzig werden wir für alle diese Kräfte, deren Existenz und Treiben wir kennen, am Tage auch nur des geringsten Versuches, sei er heute, sei er in Jahrzehnten oder in Jahrhunderten, ein gnadenloses Richtschwert sein.«
Diese Auffassung machte natürlich eine Ausdehnung der Funktionen der SS auf viele Gebiete notwendig. Sie schloß in erster Linie die Ausübung von Polizeifunktionen mit ein; darüber hinaus aber noch mehr. Sie verlangte Teilnahme an der Unterdrückung und Ausrottung aller inneren Gegner des Regimes. Sie bedeutete Mitwirkung an der Verbreitung des Regimes über die Grenzen Deutschlands hinaus und damit gegebenenfalls sogar Teilnahme an jeglicher Tätigkeit, die dazu bestimmt war, die Macht über die Gebiete und Völker zu sichern, die durch militärische Eroberung unter Deutschlands Herrschaft gekommen waren.
Die Ausdehnung der Aufgaben und des Wirkungskreises der SS hatte die Schaffung von verschiedenen Gliederungen und zahlreichen Abteilungen, und schließlich die Entstehung eines weitverzweigten Apparats zur Folge. Diese verschiedenen Gliederungen und Abteilungen können durch Darstellung ihrer Entstehung nicht hinreichend beschrieben werden. Eine eingehende Beschreibung wird sich, wie ich hoffe, ergeben, wenn das Beweismaterial für die Betätigung der SS vorgebracht wird. Es scheint jedoch angebracht, einiges über die Zusammensetzung der SS hier vorwegzunehmen und hierüber ein Wort zu sagen.
Dazu wird uns ein Blick auf das Schema behilflich sein, das die Organisation der SS, wie sie im Jahre 1945 war, wiedergibt. Kleine Wiedergaben dieses Schemas werden dem Gerichtshof übergeben; zwei in englischer, eine in französischer und eine in russischer Sprache. Außerdem wurden 8 große Kopien dieses Schemas mit dem deutschen Originaltext übergeben, nebst der Photokopie eines Affidavits von Gottlob Berger, dem früheren Chef des SS-Hauptamtes, der das Schema geprüft und erklärt hat, daß es die Organisation der SS richtig darstelle.
Ich lege nun eine Tabelle über die Reichsführung- SS zu Beweiszwecken vor und zwar als Beweisstück US-445.
An der Spitze des Schemas erscheint Himmler, der Reichsführer-SS, der die ganze Organisation unter sich hatte. Direkt darunter, und zwar quer über die Tabelle und rechts von oben nach unten dick umrandet, stehen die zwölf Hauptämter, die die oberste Führung der SS darstellen. Einige dieser Ämter sind wieder in die verschiedenen Ämter unterteilt, aus denen sie sich zusammensetzten, was durch die unter ihnen eingezeichneten Kästchen angedeutet wird. Andere Ämter sind nicht so unterteilt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß diese Ämter keine Unterabteilungen hatten. Die Unterabteilungen sind nur in den Fällen eingezeichnet, in denen die betreffenden Dienststellen irgendeiner Abteilung von besonderer Bedeutung für diesen Fall sind.
Diese Ämter und ihre Funktionen sind in zwei offiziellen Nazi-Schriften geschildert. Die erste ist das Organisationsbuch der NSDAP für 1943, unser Dokument 2640-PS, das bereits unter US-323 als Beweisstück vorliegt. Die Schilderung, die ich jetzt nicht verlesen werde, befindet sich auf Seite 419 bis 422 des Originals und auf Seite 2 bis 4 der Übersetzung. Die zweite ist ein SS-Handbuch mit dem Titel »Der Soldatenfreund, Taschenjahrbuch für die Wehrmacht, Ausgabe D: Waffen-SS«. Es wurde auf Veranlassung des Reichsführers-SS verfaßt und vom SS-Hauptamt für das Jahr 1942 herausgegeben. Es ist unser Dokument 2825-PS. Ich lege es als Beweisstück US-441 vor. Die Beschreibung, von der ich gesprochen habe, steht auf Seite 20 bis 22 des Originals und auf Seite 1 und 2 der Übersetzung. Ich werde später noch Gelegenheit haben, die Beschreibung der Aufgaben einiger Ämter vollständig zu verlesen. Ich nehme jedoch an, daß der Gerichtshof von der ganzen Stelle, auf die ich mich bezogen habe, amtlich Kenntnis nehmen wird. Außerdem sind die Ämter in einem Anschriftenverzeichnis der SS aufgeführt, das von einem der Hauptämter der SS herausgegeben wurde. Dieses Dokument wurde in den Akten des persönlichen Stabes des Reichsführers-SS gefunden, der ersten Abteilung links auf der Zeichnung. Es hat den Titel »Anschriftenverzeichnis der Schutzstaffel der NSDAP, Stand vom 1. November 1944«. Es trägt den Vermerk »Nur für den Dienstgebrauch« und die Bezeichnung »Herausgegeben vom SS-Führungshauptamt, Kommandoamt der Allgemeinen SS«. Es ist das fünfte Kästchen von links. Es ist unser Dokument 2769-PS und ich lege es als Beweisstück US-442 vor. Es ist nichts weiter als ein Verzeichnis der Namen der verschiedenen Dienststellen und Ämter mit Anschriften und Telefonnummern und bestätigt die Angaben, die in den von mir vorher erwähnten beiden Schriften enthalten sind.
Um nun zu dem Schema zurückzukommen: wenn wir die starke Mittellinie vom Reichsführer-SS bis zum mittleren Rechteck verfolgen, finden wir den Höheren SS- und Polizeiführer, allgemein bekannt als HSSPF, die höchsten SS-Kommandanten in den einzelnen Gebieten. Über deren Funktionen werde ich später sprechen. Unmittelbar darunter ist die Unterteilung der Organisation der Allgemeinen SS. Auf der linken Seite sieht man zwei weitere Gliederungen der SS, die Totenkopfverbände und die Waffen-SS. Auf der rechten Seite unter dem HSSPF befindet sich der SD. Alle diese Gliederungen zusammen mit den SS-Polizeiregimentern sind in der Anklageschrift, Anhang B, Seite 36, als Teile der SS besonders angeführt.
Nun ein Wort über die verschiedenen Gliederungen. Bis 1933 gab es keine besonders bezeichneten Unterabteilungen. Die SS war eine einzige Gruppe, eine Gruppe »freiwilliger politischer Soldaten«. Aus diesem ursprünglichen Kern heraus entwickelten sich die neuen Einheiten.
Die Allgemeine SS war die Grundlage, der Hauptstamm, aus dem die verschiedenen Äste wuchsen. Sie setzte sich aus allen Mitgliedern der SS zusammen, die nicht irgendwelchen Sonderabteilungen angehörten.
Sie war das Rückgrat der ganzen Organisation. Das Personal und die Führer der Hauptämter der Obersten Führung der SS gehörten dieser Gliederung an. Mit Ausnahme der Führer in hohem Rang und derer, die Stabsstellungen in den Hauptämtern der obersten Führung der SS innehatten, waren die Angehörigen dieser Ämter auf freiwilliger Basis, und zwar nebenberuflich, tätig. Wie die Beweiserhebung zeigen wird, wurden ihre Mitglieder zu jeder Art von SS- Dienst herangezogen. Sie wurden beim antijüdischen Pogrom von 1938 eingesetzt, sie übernahmen die Bewachung der Konzentrationslager während des Krieges und beteiligten sich am Kolonisierungs- und Wiederansiedlungsprogramm. Kurz das Wort »SS« bedeutete grundsätzlich die Allgemeine SS.
Wie man aus der Zeichnung ersehen kann, war sie nach militärischen Gesichtspunkten aufgebaut, beginnend mit dem Oberabschnitt und Abschnitt über die Standarte, den Sturmbann und Sturm bis hinunter zur Schar. Bis nach Beginn des Krieges bildete sie zahlenmäßig die größte Gliederung der SS. 1939 erklärte d'Alquen, der offizielle Sprecher der SS, in seinem Buche, Dokument 2284-PS, auf Seite 9 Absatz 3 der englischen Übersetzung, Seite 18 des Originals, folgendes:
»In einer Stärke von 240000 Mann gliedert sich die Allgemeine SS heute in 14 Oberabschnitte, 38 Abschnitte, 104 Fuß-Standarten, 19 Reiterstandarten, 14 Nachrichten-Sturmbanne, 9 Pionier-Sturmbanne, sowie Kraftfahr- und Sanitätseinheiten. Diese Allgemeine SS steht wie in der Kampfzeit voll und ganz im Beruf,...«
Ebenso findet sich ein Hinweis auf die militärische Organisation der Allgemeinen SS in dem Dokument 1992 (a)-PS, einer Rede Himmlers über »Wesen und Aufgabe der SS und der Polizei« auf Seite 4 der Übersetzung, ebenso im Organisationsbuch der NSDAP von 1943, unserem Dokument 2640-PS, auf den Seiten 4 und 5 der Übersetzung.
Mitglieder dieser Gliederung, mit Ausnahme gewisser Stabsangehöriger, waren jedoch der militärischen Dienstpflicht unterworfen. Infolge der Einberufung zahlreicher Mitglieder der Allgemeinen SS im wehrpflichtigen Alter ging die zahlenmäßige Stärke der aktiven Mitglieder während des Krieges stark zurück. Übrig blieben ältere SS-Männer und Personen in höheren Stellungen in den Hauptämtern der obersten Führung der SS. Ihre Gesamtstärke während des Krieges überstieg wahrscheinlich nicht 40000.
Die zweite Gliederung, die erwähnt werden muß, ist der Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS, im allgemeinen mit SD bezeichnet. Himmler hat ihn in seiner Rede »Wesen und Aufgabe der SS und der Polizei«, unserem Dokument 1992 (a)-PS, beschrieben. Ich zitiere nun eine Stelle von Seite 8, letzter Absatz der Übersetzung, Seite 151 Absatz 3 des Originals:
»Ich komme nun zum Sicherheitsdienst. Er ist der große weltanschauliche Nachrichtendienst der Partei und letzten Endes auch des Staates. Er war in der Kampfzeit zunächst der Nachrichtendienst der SS. Wir hatten damals aus ganz erklärlichen Gründen einen Nachrichtendienst bei den Standarten, Sturmbannen und Stürmen.«
Ich möchte einschalten, daß er hier die Standarten, Sturmbanne und Stürme der Allgemeinen SS meint.
»Wir mußten wissen, was beim Gegner los ist, ob die Kommune gerade heute eine Versammlung aufrollen wollte oder nicht, ob unsere Leute überfallen werden sollten oder nicht und ähnliche Dinge. Ich habe diesen Dienst bereits im Jahre 1931 von der Truppe gelöst.«
Ich will dazu bemerken, daß es so in der vervielfältigten Übersetzung 1941 heißt; wie aber aus einer der nächsten Seiten der Übersetzung hervorgeht, meinte er 1931.
»... von den Verbänden der Allgemeinen SS, weil ich das für falsch hielt. Einmal ist die Geheimhaltung gefährdet, zum anderen fängt der einzelne Mann oder fangen da die Stürme zu leicht das Politisieren in Tagesfragen an.«
Obwohl, wie Himmler es ausdrückte, der SD nur während der Jahre vor der Machtergreifung der Nazis der Nachrichtendienst der SS war, so wurde er sofort danach eine weitaus wichtigere Organisation. Er hatte sich unter der Führung Reinhard Heydrichs zu einer derart mächtigen, wissenschaftlichen Spionage-Organisation entwickelt, daß er am 9. Juni 1934, gerade einige Wochen vor der blutigen Reinigung der SA, durch Erlaß des Angeklagten Heß zu der einzigen Nachrichten- und Abwehrstelle der gesamten Nazi- Partei gemacht wurde. Ich verweise zur Erhärtung dieser Behauptung auf das Buch d'Alquens »Die SS«, unser Dokument 2284-PS, und zwar auf Seite 11 der Übersetzung. Ich werde nicht unterbrechen, um diese Stelle zu verlesen. Die Organisation und die Stärke des SD im Jahre 1937 wurde von Himmler folgendermaßen dargestellt, und ich zitiere wieder aus seinem Aufsatz: »Wesen und Aufgabe der SS und der Polizei«, unserem Dokument 1992(a)-PS, Absatz 2, Seite 9 der Übersetzung, Seite 151, Absatz 4 des Originals folgendes:
»Der Sicherheitsdienst wurde schon im Jahre 1931 von der Truppe getrennt und eigens organisiert. Er deckt sich heute in seinen höheren Befehlsstellen mit den Oberabschnitten und Abschnitten...«
Ich verweise auf den Oberabschnitt und Abschnitt in dem Schema hin.
»... und hat dann Außenstellen, einen eigenen Referentenapparat mit sehr vielen Führerstellen in Stärke von rund 3000 oder 4000 Mann, wenigstens wenn er ausgebaut ist.«
Bis zum Jahre 1939 war die Hauptdienststelle des SD das SS-Sicherheitshauptamt, das, wie ich gleich zeigen werde, im Jahre 1939 mit dem Reichssicherheitshauptamt oder RSHA zusammengelegt wurde, einem der Hauptämter der SS, das ich Ihnen auf dem Schema in dem sechsten Kästchen von links gezeigt habe.
Die immer engere Zusammenarbeit des SD mit der Gestapo und der Kriminalpolizei, die schließlich zur Schaffung des RSHA führte, und die Tätigkeit, die der SD in Gemeinschaft mit der Gestapo ausübte, wird später bei der Behandlung des Falles der Gestapo dargelegt werden. Der SD war selbstverständlich stets ein integrierender und wichtiger Bestandteil der SS. Aber es ist praktischer, ihn im Zusammenhang mit der unterdrückenden Tätigkeit des gesamten Polizeiapparats, mit dem er arbeitete, zu behandeln.
Die dritte Gliederung, die erwähnt werden muß, ist die Waffen-SS, die Kampftruppe der SS, die für die Zwecke des Angriffskriegs geschaffen, ausgebildet und schließlich eingesetzt wurde. Der Grund zur Schaffung dieser Kampftruppe ist in unserem Dokument 2640-PS, dem Organisationsbuch der Nazi-Partei für 1943, dargestellt, und zwar auf Seite 427 a des Originals und auf Seite 5, Absatz 7 der Übersetzung:
»Die Waffen-SS entstand aus dem Gedanken heraus, dem Führer eine auserlesene, längerdienende Truppe für die Erfüllung besonderer Aufgaben zu schaffen. Sie soll es den Angehörigen der Allgemeinen SS sowie Freiwilligen, die den besonderen Bedingungen der Schutzstaffel entsprechen, ermöglichen, auch mit der Waffe in der Hand im Kriege in eigenen Verbänden zum Teil im Rahmen des Heeres für die Verwirklichung der nationalsozialistischen Idee zu kämpfen.«
Der Ausdruck »Waffen-SS« kam erst nach Kriegsbeginn in Gebrauch. Bis dahin gab es zwei Gliederungen der SS, die sich aus gut ausgebildeten, ausschließlich als Berufssoldaten beschäftigten Männern zusammensetzten: Die sogenannte SS-Verfügungstruppe und die SS-Totenkopfverbände. Nach Kriegsbeginn wurden die Einheiten der SS-Verfügungstruppe auf Divisionsstärke gebracht, und neue Divisionen wurden hinzugefügt. Teile der SS-Totenkopfverbände wurden zu einer Division zusammengestellt, der sogenannten SS-Totenkopfdivision. Alle diese Divisionen waren unter dem Gesamtbegriff »Waffen-SS« bekannt.
Ich möchte diese Entwicklung jetzt kurz beschreiben. Ich zitiere wieder aus dem Organisationsbuch der Nazi-Partei für 1943, unserem Dokument 2640-PS, Seite 427 b des Originals, Seite 5 letzter Absatz der Übersetzung.
»Die Anfänge der Waffen-SS gehen auf die am 17. 3. 1933 befohlene Aufstellung der ›Stabswache‹ in Stärke von zunächst nur 120 Mann zurück. Aus dieser kleinen Gruppe entwickelte sich die spätere SS-Verfügungstruppe, beziehungsweise die ›Leibstandarte SS Adolf Hitler‹. Im Laute dieses Krieges wuchsen diese Verbände zu Divisionen.«
VORSITZENDER: Major Farr, ist es notwendig, so genau auf die Einzelheiten der Organisation der SS einzugehen?
MAJOR FARR: Herr Vorsitzender, es schien mir von großer Wichtigkeit, genau zu wissen, was die Organisation, mit der wir uns befassen, war. Soviel ich höre, ist dem Gerichtshof eine Anregung zugegangen, nach der bestimmte Teile dieser Organisation nicht verbrecherisch waren. Es wurde vorgebracht, daß die Rolle, die sie gespielt haben, ganz harmlos war. Ich glaube nun, daß man zur Entscheidung der Frage, ob die Organisation als Ganzes verbrecherisch war, oder irgendwelche Teile davon auszuscheiden sind, die ganze Organisation wirklich kennen muß.
VORSITZENDER: Wäre es nicht möglich, diese Frage bis zu Ihrer Replik offen zu lassen, falls die Angeklagten behaupten, daß irgendein besonderer Teil der SS nicht verbrecherisch ist?
MAJOR FARR: Wenn wir jetzt unseren Fall richtig dartun, werden wir nicht zu replizieren brauchen. Vielleicht können wir den Angeklagten klarmachen, daß ihre Behauptung, irgendein Teil der SS sei legal gewesen, nicht zu halten ist. Ich möchte jetzt ganz besonders das eine betonen: Es ist oft behauptet worden, daß die Waffen-SS auszuscheiden sei und, was man auch zum Beispiel über SD und Totenkopf verbände sagen möge, die Waffen-SS etwas ganz anderes gewesen sei. Die Waffen-SS sei ein Teil des Heeres. Ich glaube, es ist wichtig, daß man von Anfang an zeigt, daß die Waffen-SS genau so ein Teil der SS, ein untrennbarer Bestandteil der ganzen Organisation ist, wie jede andere Gliederung. Aus diesem Grunde möchte ich die Entwicklungsgeschichte der Waffen- SS darstellen, wie sie aus der SS-Verfügungstruppe entstanden ist, und die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Beweise lenken, nach denen die Waffen- SS ein untrennbarer Bestandteil der ganzen SS gewesen ist.
VORSITZENDER: Gut, gehen Sie also nach eigenem Gutdünken vor.
MAJOR FARR: Die »SS-Verfügungstruppe« wurde in einem als Geheime Kommandosache bezeichneten Befehl Hitlers vom 17. August 1938 beschrieben. Es ist unser Dokument 647-PS, das ich als US-443 vorlege. Das Dokument befindet sich im ersten Band des Dokumentenbuchs. Ich zitiere aus Abschnitt II dieses Befehls, der auf Seite 2 der Übersetzung steht, und zwar oben auf der Seite, und ebenso auf Seite 2 des deutschen Originals.
»II. Die bewaffneten Einheiten der SS.
A. Die SS-Verfügungstruppe.
1. Die SS-Verfügungstruppe ist weder ein Teil der Wehrmacht noch der Polizei. Sie ist eine stehende bewaffnete Truppe, zu meiner ausschließlichen Verfügung. Als solche und als Gliederung der NSDAP ist sie weltanschaulich und politisch nach den vor mir für die NSDAP und die Schutzstaffel gegebenen Richtlinien durch den Reichsführer-SS auszuwählen, zu erziehen und durch Einstellung von Freiwilligen, die ihrer Arbeitsdienstpflicht genügt haben, aus der Zahl der Wehrpflichtigen zu ergänzen. Die Dienstverpflichtung der Freiwilligen beträgt 4 Jahre. Für SS-Unterführer kann die Dienstverpflichtung verlängert werden. Für SS-Führer gilt eine Sonderverpflichtung. Die gesetzliche aktive Dienstpflicht (Paragraph 8 des Wehrgesetzes) gilt durch Dienst von gleicher Dauer in der SS-Verfügungstruppe als erfüllt.«
Ich möchte noch eine weitere kurze Stelle aus diesem Befehl verlesen, der auf Seite 3 der Übersetzung, in der Mitte der Seite zu finden ist, und auf Seite 5 des Originalbefehls:
»3. Bestimmungen für den Mob.fall.
a) Die Verwendung der SS-Verfügungstruppe im Mob.fall ist eine doppelte:
1) Durch den Oberbefehlshaber des Heeres im Rahmen des Kriegsheeres. Sie untersteht dann ausschließlich den militärischen Gesetzen und Bestimmungen, bleibt aber politisch eine Gliederung der NSDAP.
2) Im Bedarfsfalle im Innern nach meinen Weisungen. Sie untersteht dann dem Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei.
Die Entscheidung über Zeitpunkt, Stärke und Form der Eingliederung der SS-Verfügungstruppe in das Kriegsheer behalte ich mir im Mob.fall nach Maßgabe der jeweiligen innerpolitischen Lage persönlich vor.«
Sofort nach Erlaß dieses Befehls – der Gerichtshof wird sich erinnern, daß er im August 1938 herauskam – wurde diese militarisierte Truppe zusammen mit der Armee zu Angriffszwecken eingesetzt, und zwar bei der Übernahme des Sudetenlandes. Nach dieser Aktion wurden fieberhafte Vorbereitungen getroffen, um die Truppe zu motorisieren und neue Einheiten aufzustellen, wie Tankabwehr-, Maschinengewehr- und Aufklärungsbataillone; all dies geschah auf weitere Weisungen des Führers. Im September 1939 war die Truppe vollkommen motorisiert, ihre Einheiten waren auf Divisionsstärke erhöht und sie war vollkommen gefechtsklar.
Diese schrittweise Entwicklung ist im Nationalsozialistischen Jahrbuch 1940 und 1941 beschreiben; ich lege die Seiten 365 bis 371 des Jahrbuchs 1940 vor. Es ist unser Dokument 2164-PS, US-255. Ich lege ebenfalls als Beweismittel die Seiten 191 bis 193 des Jahrbuchs 1941 vor, unser Dokument 2163-PS, US-444. Da das Jahrbuch eine amtliche Veröffentlichung der Nazi-Partei ist, herausgegeben von Reichsleiter Robert Ley und veröffentlicht vom Verlag der Nazi-Partei, nehme ich an, daß der Gerichtshof vom Inhalt dieser Beweisstücke amtlich Kenntnis nehmen wird.
Nach Beginn des Angriffs auf Polen und während des Fortschreitens des Krieges wurden weitere Divisionen hinzugefügt. Das Organisationsbuch der Nazi- Partei für 1943, unser Dokument Nummer 2640-PS, verzeichnet als Bestand zu Ende des Jahres 1942 etwa acht Divisionen und zwei Infanterie-Brigaden. Ich verweise auf Seite 427 b des Originals, Seite 5, letzter Absatz der Übersetzung. Es war nicht mehr nur eine Verfügungstruppe, es war eine SS-Armee, und aus diesem Grunde wurde sie Waffen-SS genannt. Himmler verwies auf diese besondere Art der Entstehung dieser SS-Kampftruppe in seiner Rede vor den SS-Gruppenführern am 4. Oktober 1943 in Posen. Diese Rede ist bereits in einem früheren Stadium dieses Falles zum Beweis vorgelegt worden und zwar als US-170; es ist unser Dokument Nummer 1919-PS.
Ich möchte Teile dieser Rede verlesen, und zwar Seite 51 des Originals, Seite 2, Absatz 2 der Übersetzung, unter der Überschrift: »Die SS in Kriegszeiten«. Ich zitiere:
»Nun komme ich zu unserer eigenen Entwicklung, zu der der SS in den vergangenen Monaten. Die Entwicklung war, wenn ich den ganzen Krieg zurückblicke, unerhört. Sie ist in einem geradezu rasenden Tempo gegangen. Werfen wir einen kleinen Blick auf das Jahr 1939 zurück. Damals waren wir ein paar Regimenter, 8000 bis 9000 Mann Wachverbände, also nicht einmal eine Division; alles in allem bestenfalls 25000-28000 Mann. Wir waren zwar bewaffnet, bekamen aber unser Artillerieregiment als schwere Waffe erst zwei Monate vor Beginn des Krieges.«
Ich fahre nun fort mit einer anderen Stelle derselben Rede auf Seite 8 der englischen Übersetzung und Seite 104 des Originals. In der Übersetzung ist die Stelle ungefähr in der Mitte der Seite. Ich zitiere:
»In den harten Kämpfen in diesem Jahre ist in den bittersten Stunden die Waffen-SS zusammengeschmolzen aus den verschiedensten Divisionen und Teilen, aus denen sie sich bildete: Leibstandarte, Verfügungstruppe, Totenkopfverbände und dann die Germanische SS. Als jetzt unsere Divisionen ›Reich‹, ›Totenkopf‹, Kavallerie-Division und ›Wiking‹ beisammen waren, da wußte gerade in den letzten Wochen jeder: neben mir ist ›Wiking‹, neben mir ist ›Reich‹, neben mir ist ›Totenkopf‹. Gottseidank, da kann uns nichts passieren!«
Die Umwandlung der kleinen Verfügungstruppen in starke Kampftruppen hatte nicht zur Folge, daß diese Abteilungen von der SS abgetrennt wurden.
Obwohl sie taktisch unter dem Kommando der Wehrmacht standen, während sie im Felde waren, blieben sie trotzdem ein Teil der SS wie jeder andere Teil der Organisation. Während des ganzen Krieges wurden sie durch die Hauptämter der obersten Führung der SS ergänzt, ausgebildet, verwaltet und ausgerüstet. Ideologisch und rassisch wurden ihre Mitglieder gemäß den SS-Prinzipien ausgesucht.
Ich werde jetzt eine Stelle verlesen, die die Voraussetzungen für die Einstellung bei der Waffen-SS behandelt; sie ist veröffentlicht im SS-Jahrbuch »Der Soldatenfreund«, unserem Dokument Nummer 2825-PS. Die Stelle findet sich auf Seite 7, Absatz 1 der englischen Übersetzung und auf Seite 36, Absatz 2 des Originals. Ich verlese:
»Heute ist nun der schon lang ersehnte Tag der Annahmeuntersuchung gekommen, an dem Eignungsprüfer und Ärzte entscheiden, ob der Einzelne SS-mäßig und gesundheitlich geeignet ist, bei der Waffen-SS Dienst zu tun. Jeder hat sich mit dem ausführlichen Merkblatt für die Waffen-SS vertraut gemacht. ... Die wichtigsten Punkte wurden nachstehend veröffentlicht:
1. Der Dienst in der Waffen-SS gilt als Wehrdienst; es werden nur Freiwillige eingestellt.«
MR. BIDDLE: Zu welchem Zwecke wird all dieses Beweismaterial verlesen? Was hat das eben von Ihnen Verlesene mit Ihrem Beweisthema zu tun?
MAJOR FARR: Wie ich bereits vorher sagte, will ich beweisen, daß die Waffen-SS ein integrierender Bestandteil der SS war. Ich will zeigen, daß sie von der obersten Führung der SS vollständig verwaltet und kontrolliert wurde. Das ist das eine.
Zweitens will ich beweisen, daß der Dienst in der Waffen-SS ein freiwilliger Dienst war, genau so wie die Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS oder in den Totenkopf verbänden freiwillig war. Es stimmt, daß sich gegen Ende des Krieges Fälle ergaben, in denen einige wenige Männer zur Waffen-SS eingezogen wurden; aber dies war die Ausnahme und nicht die Regel. Wenn ich nun die Bestimmungen für die Einstellung in die Waffen-SS verlese, wie sie in dem 1942 erschienenen Buch geschildert sind, nach denen der Dienst in der Waffen-SS damals nur Freiwilligen offen stand, glaube ich damit den Beweis für eine der beiden Tatsachen zu erbringen, die meiner Ansicht nach festgestellt werden müssen.
Ich möchte daher mit Ihrer Genehmigung noch einen weiteren Absatz aus dieser Übersetzung verlesen, es ist der Absatz, der besagt, daß der Dienst freiwillig ist. Ich möchte jetzt die dritte Voraussetzung verlesen, die zeigt, daß der Dienst nur solchen Personen offen stand, die den ideologischen und rassischen Voraussetzungen der SS in ihrer Gesamtheit genügten.
Wenn der Gerichtshof glaubt, genügend Beweise für die Tatsache zu haben, daß der Dienst in der Waffen-SS freiwillig, und daß die Waffen-SS ein integrierender Bestandteil der SS war, will ich nicht auf der Verlesung weiteren Beweismaterials bestehen.
VORSITZENDER: Ich glaube, daß der Gerichtshof wenigstens im Augenblick diese beiden Punkte als genügend geklärt erachtet, nämlich, daß ihre Mitgliedschaft freiwillig und daß sie ein integrierender Bestandteil der SS war.
MAJOR FARR: Falls also der Gerichtshof diese beiden Punkte als geklärt ansieht, werde ich die Beweisführung hierüber nicht weiter fortsetzen.
VORSITZENDER: Wie Sie sagen, ist es Ihnen vielleicht möglich, zu zeigen, daß späterhin Angehörige zu dieser Organisation eingezogen wurden; wir haben jedoch bisher keine Beweise dafür gehabt.
MAJOR FARR: Nein, Herr Vorsitzender, noch nicht.
Ich will derzeit nur beweisen, daß es sich im allgemeinen um Freiwillige handelte, und daß die Waffen- SS ein integrierender Bestandteil der ganzen Organisation ist. Falls der Gerichtshof dies als völlig bewiesen ansieht, will ich in der Beschreibung der Waffen- SS nicht weiter fortfahren.
Ich will nun zur Darstellung der SS-Totenkopfverbände übergehen, der vierten Gruppe, die hier erwähnt werden soll.
Ursprung und Zweck der Totenkopf verbände sind von d'Alquen in seinem Buch »Die SS« kurz und treffend beschrieben. Es ist unser Dokument 2284-PS, und ich lese von Seite 10, Absatz 5 der englischen Übersetzung, einer Stelle, die auf Seite 20, Absatz 3 des Originals steht.
»Einen Teil der kasernierten SS bilden die SS-Totenkopfverbände. Sie entstanden aus den für die Bewachung der Konzentrationslager 1933 einberufenen Freiwilligen der Allgemeinen SS. Ihre Aufgabe ist neben der Erziehung des bewaffneten politischen Soldaten die Bewachung der in den Konzentrationslagern untergebrachten Staatsfeinde. Die SS-Totenkopfverbände verpflichteten ihre Angehörigen auf 12 Jahre. Sie rekrutierten sich zum größten Teil aus Männern, die ihrer Dienstpflicht in der Wehrmacht bereits genügt haben. Diese Dienstzeit wird in vollem Umfang angerechnet.«
Da die Totenkopfverbände ebenso wie die SS-Verfügungstruppe aus gut ausgebildeten Berufssoldaten bestanden, waren sie gleichfalls ein wertvoller Kern für die Waffen-SS. Ein als Geheime Kommandosache bezeichneter Befehl Hitlers vom 17. August 1938, unser Dokument 647-PS, das schon als Beweismittel vorgelegt wurde, bestimmte die Aufgaben der SS-Totenkopf verbände für den Mobilisierungsfall. Die Totenkopfverbände sollten ihrer Pflicht zur Bewachung der Konzentrationslager enthoben und als Stammtruppe zur SS-Verfügungstruppe versetzt werden. Ich zitiere eine Stelle aus diesem Befehl. Sie steht auf Seite 5 der Übersetzung und ist Seite 9, Absatz 4 des Originals. Ich zitiere:
»5. Bestimmungen für den Mob.Fall.
Die SS-Totenkopfverbände bilden die Stämme für die Verstärkung der SS-Totenkopf verbände (Polizei- Verstärkung) und werden in der Bewachung der Konzentrationslager durch Angehörige der Allgemeinen SS, die das 45. Lebensjahr überschritten haben und militärisch ausgebildet sind, ersetzt.«
Darf ich dem Gerichtshof erklären, zu welchem Zweck ich diese Beweisstücke vorlege? Es geschieht, um zu beweisen, daß damals die Grundlage geschaffen wurde, um nach dem Kriegsausbruch den Wachdienst in den Konzentrationslagern der Allgemeinen SS zu übertragen. Die Totenkopfverbände waren ursprünglich zu diesem Zweck geschaffen worden. Als der Krieg ausbrach, gingen sie in die Waffen-SS über, und ihre Aufgaben wurden von den Mitgliedern der Allgemeinen SS übernommen.
Die letzte Gliederung, die besonders in der Anklageschrift erwähnt ist, sind die SS-Polizeiregimenter. Ich werde in wenigen Worten schildern, durch welche Maßnahmen die SS die Kontrolle über die gesamte Reichspolizei übernahm. Aus der Polizei wurden besondere militärische Verbände gebildet, die ursprünglich als SS-Polizeibataillone bekannt waren und später zu SS-Polizeiregimentern ausgebaut wurden.
Ich werde aus Himmlers Posener Rede, unserem Dokument 1919-PS, Seite 3, vorletzter Absatz der Übersetzung, Seite 59 des Originals verlesen. Ich zitiere:
»Nun kurz zu den Aufgaben der Ordnungs- und Sicherheitspolizei. Sie sind im selben Rahmen geblieben. Was geleistet wurde, so kann ich nur feststellen, ist enorm. Wir haben rund 30 Polizeiregimenter aus Polizeireservisten und alten Polizeisoldaten – Polizeibeamten, wie man sie früher nannte – aufgestellt. Das Durchschnittsalter in unseren Polizeibataillonen ist nicht geringer als das in den Sicherungsbataillonen der Wehrmacht. Die Leistung ist über alles Lob erhaben. Wir haben außerdem durch Zusammenlegen der vorher aufgestellten Schutzmannschaftsbataillone der ›wilden Völker‹ Polizeischützen-Regimenter gebildet. Wir ließen also diese Schutzmannschaftsbataillone nicht mehr allein, sondern führten eine Mischung von ungefähr 1:3 durch.«
Die Ergebnisse dieser Zusammenlegung militarisierter SS-Polizei und »wilder Völker« zeigen sich in den Beweisen, die ich später vorlegen will; sie beziehen sich auf die Ausrottungsaktionen, die von ihnen in den Ostgebieten durchgeführt wurden, Ausrottungen, die so ungeheuer erfolgreich waren und so grausam durchgeführt wurden, daß selbst Hitler keine Worte finden konnte, um sie gebührend zu preisen.
VORSITZENDER: Wir werden jetzt für 10 Minuten unterbrechen.