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[Das Gericht vertagt sich bis

20. Dezember 1945, 10.00 Uhr.]

Vierundzwanzigster Tag.

Donnerstag, den 20. Dezember 1945.

Vormittagssitzung.

MAJOR FARR: Hoher Gerichtshof! Vor der gestrigen Vertagung des Gerichtshofs sprachen wir über die Zahl der Personen, die in das Konzentrationslager- Programm der SS verwickelt waren. Nichts beleuchtet den umfassenden Charakter der ganzen Organisation besser als das Konzentrationslager-Programm.

Das WVHA, eine der Abteilungen der Obersten Führung, befaßte sich mit der Verwaltung und der Kontrolle dieses Lagerprogramms und beschäftigte sich mit den Opfern nach ihrer Einlieferung in das Lager. Es wurde dabei von den Totenkopf verbänden unterstützt, die das Bewachungspersonal für die Lager stellten, und später von der Allgemeinen SS, die den Bewachungsdienst während des Krieges übernahm.

Das RSHA, die Polizeiabteilung der SS, spielte insofern eine Rolle im Konzentrationslager-Programm, als durch sie die Opfer festgenommen und in die Lager gebracht wurden. Ebenso erscheint der SD in diesem Bilde. Er war der persönliche Stab, die erste Abteilung der Obersten SS-Führung und eine Art Spitzenamt der ganzen Organisation, das naturgemäß viel mit der Tätigkeit aller untergeordneten Abteilungen zu tun hatte.

Wenn daher die Frage gestellt wird, wieviele Angehörige der SS mit dem Konzentrationslager-Programm zu tun hatten, so ist sie, wie ich glaube, unmöglich zu beantworten. Man kann feststellen, wieviele Personen den Totenkopf verbänden angehörten, die ursprünglich den Bewachungsdienst versahen. Man kann abschätzen, wieviele Mitglieder die Allgemeine SS hatte, aber ich kann unmöglich angeben, welcher Prozentsatz der gesamten Organisation in dieses Programm verwickelt war. Ich hatte gerade darauf hingewiesen...

VORSITZENDER: Können Sie uns sagen, ob die eine oder andere Abteilung der SS den gesamten Stab für die Konzentrationslager stellte?

MAJOR FARR: Ich nehme an, daß Sie mit dem Wort Stab die Wachen im Lager, das Lagerpersonal, meinen. Das kann man nicht. Die Totenkopfverbände zum Beispiel waren ursprünglich die Einheiten, die das gesamte Bewachungspersonal stellten. Im Laufe der Zeit wurden ihre Aufgaben von Mitgliedern der Allgemeinen SS übernommen.

VORSITZENDER: Gehörten beide Abteilungen zur SS?

MAJOR FARR: Jawohl. Die Lagerkommandanten zum Beispiel, in der Regel alles hohe Offiziere der SS, waren Mitglieder der Allgemeinen SS; solches Personal wurde daher zweifellos aus dieser Abteilung genommen. Es steht gewiß nicht außer Frage, daß das eine oder andere Mitglied der Waffen-SS zum Wachdienst in gewissen Lagern herangezogen wurde. Ich glaube nicht, daß man behaupten kann, es gäbe keine Abteilung der SS, von der nicht wenigstens ein Teil der Mannschaft in dieses Programm verwickelt war.

VORSITZENDER: Das ist nicht ganz genau das, was ich meinte. Was ich meinte, war folgendes: Kann man sagen, daß die eine oder andere Abteilung der SS den gesamten Stab der Konzentrationslager stellte?

MAJOR FARR: Ich glaube nicht, daß ich das sagen kann. Ich glaube, ich könnte dies behaupten...

VORSITZENDER: Welche andere Organisation hat einen Teil des Stabes der Konzentrationslager gestellt?

MAJOR FARR: Meinen Sie eine andere Organisation als die SS?

VORSITZENDER: Ja.

MAJOR FARR: Mir ist keine bekannt.

VORSITZENDER: Dann sollte die Antwort »Ja« lauten.

MAJOR FARR: Ich glaubte, Herr Vorsitzender, Sie meinten eine Abteilung der SS, die ausschließlich damit befaßt war. Die SS ist meines Wissens die einzige Organisation, die eine Rolle im Rahmen der Konzentrationslager spielte, außer ganz am Ende des Krieges, als, wie Oberst Storey gestern erwähnte, einige Mitglieder der SA ebenfalls als Bewachungspersonal von Konzentrationslagern eingesetzt wurden.

MR. BIDDLE: Kennen Sie den Personalbestand bei Kriegsende?

MAJOR FARR: Der gesamten SS?

MR. BIDDLE: Ja.

MAJOR FARR: Das kann man nur schätzen. Ich zitierte gestern die Zahlen, die d'Alquen als Stärke der Allgemeinen SS im Jahre 1939 angab. Er sagte damals, daß die Allgemeine SS ungefähr 240000 Mann umfaßte. Es gab zu jener Zeit ungefähr vier Regimenter Totenkopfeinheiten, verschiedene andere Regimenter der Verfügungstruppe und ewige tausend Leute im SD; ich würde daher sagen, daß die SS im Jahre 1939 ungefähr 250000 bis 300000 Mitglieder hatte. Seit Kriegsausbruch wurde die Waffen-SS aus einigen Regimentern der Verfügungstruppe auf ungefähr 31 Divisionen bei Kriegsende ausgebaut; das würde wahrscheinlich bedeuten, daß die Waffen-SS im Jahre 1945 zwischen 400000 bis 500000 Mitglieder umfaßte. Ich nehme an, daß diese 400000 bis 500000 Mitglieder der Waffen-SS dem Personalbestand der Allgemeinen SS hinzugerechnet werden müssen, weil sie der allgemeinen Dienstpflicht in der Wehrmacht unterworfen waren. Wenn ich zu schätzen hätte, so würde ich sagen, daß wahrscheinlich etwa 750000 Mann die höchste Gesamtstärke ist, die die SS jemals in der Zeit seit ihrer Aufstellung gehabt hatte. Aber das ist lediglich eine Schätzung.

MR. BIDDLE: Sie haben dann wohl keine Aufstellung, die zeigt, wieviele von ihnen Zivilisten, Angestellte, Stenotypisten, Soldaten und so weiter waren.

MAJOR FARR: Nein. Wenn wir über SS-Mitglieder sprechen, schließen wir darin nicht Stenotypisten ein, die in der Kanzlei arbeiteten, aber keine Mitglieder der SS waren. Unter SS-Mitgliedern verstehen wir Leute, die den Eid leisteten und in den Mitgliedslisten erschienen, entweder als Mitglied der Allgemeinen SS, der Totenkopfverbände oder der Waffen-SS. Ich nehme an, daß meine Zahl von 750000 die Mitglieder der SS, der Allgemeinen SS, der Totenkopfverbände und der Waffen-SS einschließt.

Ich habe auf den Übergang der Kontrolle der Konzentrationslager auf das WVHA im Jahre 1942 hingewiesen, der mit der Änderung des Grundzweckes der Lager zusammenfiel. Während sie bisher der Inhaftierung von Einzelpersonen aus politischen und Sicherheitsgründen dienten, war nun die Grundaufgabe der Lager, Arbeitskräfte zu beschaffen. Ich möchte jetzt dem Gerichtshof die Ämter der SS aufzählen, welche an dieser Aufbringung von Arbeitskräften beteiligt waren.

Dem Gerichtshof wurde als Beweisstück bereits ein Befehl vorgelegt, der im Jahre 1942 kurz nach dem Übergang der Kontrolle der Konzentrationslager auf das WVHA erlassen wurde. Er wies die Sicherheitspolizei an, sofort 35000 arbeitsfähige Häftlinge in die Lager einzuweisen. Dieser Befehl ist unser Dokument 1063-PS und wurde als Beweisstück US-219 vorgelegt.

35000 Häftlinge waren natürlich nur ein Anfang. Das Schleppnetz der SS war geeignet, viel mehr Sklaven einzufangen. Ich lege als Beweisstück einen Schreibmaschinen-Durchschlag einer von Himmlers Feldkommandostelle erlassenen Weisung an alle Abteilungen der Obersten SS-Führung vom 5. August 1943 vor. Es handelt sich um unser Dokument 744-PS, Beweisstück US-455. Diese Weisung steht auf Seite 2 der Übersetzung. Sie vervollständigt einen von dem Angeklagten Keitel unterzeichneten Befehl, der die Verwendung aller in Bandenkämpfen im Osten gemachten männlichen Gefangenen zur Zwangsarbeit anordnet. Der Befehl Keitels erscheint auf Seite 1 der Übersetzung.

Ich werde nur die Weisung Himmlers auf Seite 2 der Übersetzung verlesen. Der Gerichtshof wird daraus ersehen, daß sie an alle Hauptämter der Obersten SS-Führung gerichtet ist. Ich lese die Liste der Empfänger dieser Weisung vor:

»1. Chef des persönlichen Stabes RF-SS,

2. SS-Hauptamt,

3. Reichssicherheitshauptamt,

4. Rasse- und Siedlungshauptamt-SS,

5. Hauptamt Ordnungspolizei,

6. SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt,

7. SS-Personalhauptamt,

8. Hauptamt SS-Gericht,

9. SS-Führungshauptamt-Kommandoamt der Waffen- SS,

10. Stabshauptamt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums,

11. Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle,

12. Dienststelle SS-Obergruppenführer Heißmeyer,

13. Chef der Bandenkampt-Verbände...«

Ich verweise den Gerichtshof darauf, daß jedes der auf dem Schema aufgeführten Hauptämter Empfänger dieser Weisung war. Weitere Empfänger sind die Höheren SS- und Polizeiführer in den verschiedenen Gebieten. Ich fahre nun fort, den Text dieser Weisung zu zitieren:

»Zu Punkt 4. des obengezogenen Befehls ordne ich an, daß die einsatzfähigen jungen Gefangenen weiblichen Geschlechts über die Dienststelle des Reichskommissars Sauckel nach Deutschland in Arbeit zu vermitteln sind. Kinder, alte Frauen und alte Männer sind in den von mir befohlenen Frauen- und Kinderlagern auf Gütern, sowie am Rande der evakuierten Gebiete zu sammeln und zur Arbeit einzusetzen.«

Im April 1944 wurde von der SS die Beschaffung weiterer Arbeitskräfte verlangt, diesmal 100000 ungarische Juden. Der Gerichtshof wird sich der Niederschrift über die Besprechung des Angeklagten Speer mit Hitler am 6. und 7. April 1944 erinnern, die sich in unserem Dokument R-124 auf Seite 36 befindet; sie wurde als Beweisstück US-179 verlesen. Nach dieser Niederschrift berichtete Speer über die Erklärung Hitlers, daß er von dem Reichsführer-SS die Beschaffung von 100000 Juden aus Ungarn verlangen werde.

Die letzte Arbeitskraftquelle war noch nicht angezapft. Zu Juden, Verschleppten, Frauen und Kindern kam noch die Arbeitskraft der Kriegsgefangenen. Durch die SS preßten die Verschwörer den letzten Tropfen Arbeitskraft aus solchen Gefangenen.

Ich verweise auf die Erklärung des Angeklagten Speer, die in unserem Dokument R-124 auf Seite 13 der Übersetzung erscheint; das Dokument selbst wurde bereits als Beweisstück US-179 eingeführt. Die Erklärung ist auf Seite 7, letzter Absatz des Originals, und auf Seite 13 unseres Dokuments R-124, vorletzter Absatz, zu finden. Das Dokument ist im zweiten Band des Dokumentenbuchs enthalten. Ich zitiere:

»Speer: Wir müssen mit dem Reichsführer-SS sobald wie möglich zu einer Klärung kommen, damit Kriegsgefangene, die bei ihm eingefangen werden, für unsere Zwecke abgezweigt werden. Dem Reichsführer-SS fließen im Monat 30-40000 Mann zu.«

Um die Kontrolle der SS über die Arbeit der Kriegsgefangenen zu sichern, wurde der Reichsführer- SS am 25. September 1944 zum Chef aller Kriegsgefangenenlager ernannt. Ich lege den auf diese Ernennung bezugnehmenden Brief als Beweisstück vor; es ist unser Dokument 058-PS, Beweisstück US-456, und befindet sich im ersten Band des Dokumentenbuchs. Dieser Brief ist ein Rundschreiben des Leiters der Parteikanzlei vom 30. September 1944 und »M. Bormann« unterzeichnet. Ich zitiere beginnend mit dem ersten Absatz dieses Briefes:

»1. Der Führer hat unter dem 25. September 1944 befohlen:

Die Verwahrung sämtlicher Kriegsgefangenen und Internierten sowie die Kriegsgefangenenlager und Einrichtungen mit Bewachungskräften gehen ab 1. Oktober 1944 auf den Befehlshaber des Ersatzheeres über.«

Ich gehe zu Absatz 2 des Briefes über und werde die Unterabschnitte (a) und (c) verlesen; ich zitiere:

»2. Der Reichsführer-SS hat befohlen:

a) Ich übertrage in meiner Eigenschaft als Befehlshaber des Ersatzheeres das Kriegsgefangenenwesen dem SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, Chef des Stabes des Volkssturms, Gottlob Berger.«

Nun Unterabschnitt c):

»c) Der Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen wird im Einvernehmen zwischen dem SS-Obergruppenführer Berger und dem SS-Obergruppenführer Pohl mit den zuständigen Arbeitseinsatzstellen geordnet.

Die Verstärkung der Sicherheit auf dem Gebiet des Kriegsgefangenenwesens ist zwischen dem SS-Obergruppenführer Berger und dem Chef der Sicherheitspolizei, SS-Obergruppenführer Dr. Kaltenbrunner sicherzustellen.«

Damit übernahm die SS endgültig die Leitung und Kontrolle der Kriegsgefangenenlager.

Die durch die Arbeit in den SS-Konzentrationslagern erzielten Ergebnisse waren so eindrucksvoll, daß der Angeklagte Göring im Jahre 1944 von Himmler weitere Insassen für den Einsatz in der Luftfahrtindustrie verlangte. Der Gerichtshof wird sich seines Fernschreibens an Himmler erinnern: es ist unser Dokument 1584-PS, erster Teil, das als Beweisstück US- 221 von Herrn Dodd verlesen wurde. Lassen Sie mich nun Himmlers Antwort auf dieses Fernschreiben vortragen. Es ist unser Dokument 1584-PS, dritter Teil, und befindet sich auf Seite 2. Ich lege es als Beweisstück US-457 vor. Ich zitiere den Anfang dieses Briefes:

»Hochverehrter Herr Reichsmarschall! Im Anschluß an mein Fernschreiben vom 18. Februar 1944 überreiche ich hierbei eine Übersicht über den Einsatz von Häftlingen in der Luftfahrtindustrie.

Aus dieser Übersicht geht hervor, daß zur Zeit rund 36.000 Häftlinge für Zwecke der Luftwaffe eingesetzt sind. Die Erhöhung auf insgesamt 90.000 Häftlinge ist vorgesehen.

Die Fertigungen werden jeweils zwischen dem Reichsluftfahrtministerium und dem Chef meines Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Pohl, besprochen, festgelegt und durchgeführt.

Wir helfen mit allen zur Verfügung stehenden Kräften.

Die Aufgabe meines Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes ist jedoch allein mit der Abstellung der Häftlinge an die Luftfahrtindustrie nicht erfüllt, da SS-Obergruppenführer Pohl und seine Mitarbeiter durch laufende Kontrolle und Überwachung der Kommandos für das erforderliche Arbeitstempo sorgen und somit etwas Einfluß auf die Produktionsergebnisse nehmen. Ich darf hierbei zu erwägen geben, daß bei Vergrößerung unserer Verantwortlichkeit durch ein höheres Tempo des Gesamtbetriebes bestimmt größere Ergebnisse zu erwarten wären.«

Ich gehe nun auf die zwei letzten Absätze des Briefes über, die auf der nächsten Seite der Übersetzung stehen:

»Die Verlegung von Produktionsstätten der Luftfahrtindustrie unter die Erde erfordert einen weiteren Einsatz von ca. 100000 Häftlingen. Die Planungen für diesen Einsatz auf Grund Ihres Schreibens vom 14. Februar 1944 sind bereits in vollem Gange.

Ich werde Ihnen, hochverehrter Herr Reichsmarschall, hierüber laufend weiter berichten.«

Beiläufig möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Tatsache lenken, daß SS-Obergruppenführer Pohl, der Leiter des WVHA, auch General der Waffen-SS war; das zeigt ebenfalls, daß die Funktionen in der SS in keiner Weise eindeutig gekennzeichnet werden können.

Bis zu welchem Ausmaß die Zahl der Kriegsgefangenen durch die Anstrengungen der SS erhöht wurde, beleuchtet unser Dokument 1166-PS, das ich schon gestern als Beweisstück US-458 vorgelegt habe. Dieses Dokument ist ein Bericht der Amtsgruppe D des WVHA vom 15. August 1944. Ich werde die erste Seite dieses Berichts verlesen, die wie folgt beginnt:

»Bezugnehmend auf den oben angegebenen telefonischen Anruf melde ich nachstehend die Häftlings-Iststärke per 1. August 1944 und der bereits angekündigten Neuzugänge, sowie den Bekleidungsstand per 15. August 1944.

1. Die Iststärke am 1. August 1944 betrug:

a) männliche Häftlinge: 379167

b) weibliche Häftlinge: 145119

Hinzu kommen noch folgende angekündigten Neuzugänge:

1. aus dem Ungarnprogramm (Judenaktion) 90000

2. aus Litzmannstadt (Polizeigefängnis und Ghetto) 60000

3. Polen aus dem GG 15000

4. Strafgefangene aus dem Ostland 10000

5. ehemalige polnische Offiziere 17000

6. aus Warschau (Polen) 400000

7. lfd. Zugänge aus Frankreich ca. 15000 bis 20000

Ein Großteil der Häftlinge befindet sich bereits im Anrollen und gelangt in den nächsten Tagen zur Einlieferung in die Konzentrationslager.«

Diese intensive Erfassung von Arbeitskräften wirkte in gewisser Beziehung störend auf das von dem WVHA bereits eingeleitete Programm zur Ausrottung gewisser Klassen in den Lagern ein. Ich unterbreite die Photokopie eines Briefes vom WVHA vom 27. April 1943, unser Dokument 1933-PS, Beweisstück US-459. Der Brief ist an eine Anzahl von Konzentrationslager-Kommandanten gerichtet und von dem SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS Glücks unterzeichnet. Ich verlese den Brief:

»Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei hat auf Vorlage entschieden, daß in Zukunft nur noch geisteskranke Häftlinge durch die hierfür bestimmten Ärztekommissionen für die Aktion 14 f 13 ausgemustert werden dürfen.

Alle übrigen arbeitsunfähigen Häftlinge (Tuberkulo sekranke, bettlägerige Krüppel usw.) sind grundsätzlich von dieser Aktion auszunehmen. Bettlägerige Häftlinge sollen zu einer entsprechenden Arbeit, die sie auch im Bett verrichten können, herangezogen werden. Der Befehl des Reichsführers-SS ist in Zukunft genauestens zu beachten. Die Anforderung von Kraftstoff für diesen Zweck entfällt daher.«

Die Aktion »14 f 13« ist in diesem Brief nicht erklärt, aber es ist durchaus klar, was sie bedeutet. Jeder irgendwie arbeitsfähige Mensch war von der Aktion auszuschließen, gleichgültig, ob er bettlägerig war oder ein Krüppel oder in welchem Gesundheitszustand er sich sonst befand. Nur die Geisteskranken, von denen nichts zu erwarten war, sollten unter die Aktion fallen. Was konnte die Aktion bedeuten? Es ist vollkommen klar: die Aktion bedeutete Ausrottung.

Die SS war jedoch bis zu einem gewissen Grade imstande, beide Ziele, die gesteigerte Produktion und die Ausrottung unerwünschter Personen zu erreichen. Der Gerichtshof wird sich an das Übereinkommen zwischen dem Justizminister Thierack und Himmler am 18. September 1942 erinnern. Es ist unser Dokument 654-PS, das bereits von Herrn Dodd als Beweisstück US-218 vorgelegt wurde. Ich will dieses Dokument nicht noch einmal zitieren, möchte den Gerichtshof jedoch daran erinnern, daß das Abkommen die Überstellung asozialer Elemente nach Verbüßung ihrer Strafe an den Reichsführer-SS zur Ausmerzung durch Arbeit vorsah.

Die Bedingungen, unter denen solche Personen in den Lagern arbeiteten, waren darauf berechnet, zu ihrem Tod zu führen. Die Bedingungen selbst wurden vom WVHA herausgegeben. Um zu zeigen, wie das WVHA vorging, verweise ich den Gerichtshof auf Dokument 2189-PS, das ich als Beweisstück US-460 vorlege. Es ist ein Befehl an die Konzentrationslager- Kommandanten vom 11. August 1942; er trägt die Faksimile-Unterschrift des SS-Brigadeführers und Generalmajors der Waffen-SS Glücks, des Amtsgruppenchefs D im WVHA. Die Unterschrift erscheint nicht in der Übersetzung, wohl aber im Original. Ich werde den Text dieses Schreibens verlesen:

»Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei hat angeordnet, daß die Prügelstrafen in den Frauen- Konzentrationslagern – unter der befohlenen Dienstaufsicht – von Häftlingen vollzogen werden. In Angleichung dieses Befehls hat der Hauptamtschef-SS des Wirtschafts-Verwaltungshauptamts, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Pohl, angeordnet, daß mit sofortiger Wirkung die Prügelstrafen in den Männer-Konzentrationslagern ebenfalls von Häftlingen vollzogen werden.

Es ist verboten, den Strafvollzug bei deutschen Häftlingen durch ausländische Häftlinge durchführen zu lassen.«

Sogar nach dem Tode entgingen die Häftlinge nicht der Behandlung durch das WVHA. Ich verweise den Gerichtshof auf Dokument 2199-PS, einschreiben vom 12. September 1942 an die Kommandanten von Konzentrationslagern, unterschrieben vom Chef des Zentralamtes der Amtsgruppe D des WVHA, SS- Obersturmbannführer Liebehenschel. Ich lege ihn als Beweisstück US-461 vor. Ich werde den Text der Weisung verlesen; sie erscheint auf Seite 1 der Übersetzung. Ich zitiere:

»Nach Mitteilung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD sind laut Bericht des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD in Prag von den Konzentrationslagern Urnen von verstorbenen Tschechen und Juden zur Beisetzung an die Heimatfriedhöfe im Protektorat versandt worden.

Auf Grund verschiedener Vorkommnisse (Demonstrationen, Anbringung von reichsfeindlichen Plakaten an Urnen verstorbener Häftlinge in den Friedhofshallen der Heimatgemeinden, Wallfahrten zu den Gräbern verstorbener Häftlinge usw.) im Protektorat wird ab sofort die Herausgabe von Urnen mit den Aschenresten verstorbener Protektoratsangehöriger und Juden verboten. Die Urnen sind in den Konzentrationslagern aufzubewahren. Über die Aufbewahrung der Urnen sind, falls Unklarheiten bestehen sollten, mündliche Anweisungen auf der hiesigen Dienststelle einzuholen.«

Die SS betrachtete tatsächlich die Insassen von Konzentrationslagern als ihren persönlichen Besitz, der zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil ausgenutzt werden konnte. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß schon im Jahre 1942 der Angeklagte Speer erkannte, daß die SS von dem Verlangen nach weiteren Vorteilen getrieben wurde. Er schlug deshalb Hitler vor, die SS solle den Teil der durch Konzentrationslagerarbeit erzeugten Kriegsrüstung erhalten, der den Arbeitsstunden der Gefangenen entsprach. Ich nehme auf unser Dokument R-124, Punkt 36, Bezug, das bereits von Herrn Dodd als Beweisstück US-179 eingereicht wurde. Der Führer stimmte zu, daß die SS-Kommandeure mit einem Anteil von 3 bis 5 Prozent zufriedengestellt werden sollten.

In seiner Metz-Ansprache an das Offizierskorps der Leibstandarte-SS »Adolf Hitler« gab Himmler selbst offen seine Absicht zu, Gewinne aus den Lagern für SS-Zwecke zu ziehen. Das ist unser Dokument 1918-PS, Beweisstück US-304; die fragliche Stelle befindet sich oben auf Seite 3 der englischen Übersetzung und auf Seite 10 des deutschen Originals, siebente Zeile von unten. Der Absatz beginnt:

»Das Wohn-Bau-Programm, das die Voraussetzung für eine gesunde und soziale Grundlage der Gesamt-SS wie des gesamten Führerkorps ist, ist nicht denkbar, wenn ich nicht aus irgendeiner Steile her das Geld bekommen würde, das Geld schenkt mir niemand, das muß verdient werden, das wird verdient dadurch, daß der Abschaum der Menschheit, die Häftlinge, die Berufsverbrecher, daß die positiv zur Arbeit angesetzt werden müssen. Der Mann, der nun diese Häftlinge bewacht, tut einen schwereren Dienst wie der, der exerzieren geht. Der, der das tut und neben diesen negativsten Menschen steht, betreibt in diesen 3 oder 4 Monaten, – und das wird sich ja zeigen: Im Frieden werde ich Wachbataillone bilden und die nur abkommandieren auf 3 Monate – lernen in dieser Zeit den Kampf mit dem Untermenschentum kennen und das wird nicht eine öde Wachtätigkeit, sondern, wenn die Offiziere es richtig machen, den besten Unterricht über Untermenschentum und über Minderrassentum noch erfahren. Diese Tätigkeit ist notwendig, wie ich Ihnen schon sagte, 1. um dem deutschen Volk diese negativen Menschen wegzunehmen, 2. um sie einzuspannen noch einmal für die große Volksgemeinschaft, daß sie Steine brechen und Steine brennen, damit der Führer seine großen Bauten wieder machen kann und 3., daß das, was damit ganz nüchtern wieder an Geld verdient wird, das wird wieder umgesetzt in Häusern, in Grund und Boden, in Siedlungsstellen, daß unsere Männer und unsere Führer, damit sie leben können und Häuser haben, in denen sie wirklich große Familien haben können und viel Kinder. Das ist wieder notwendig, wenn nämlich dieses führende Blut in Deutschland, mit dem wir stehen und fallen, mit dem guten Blut, wenn das sich nicht vermehrt, werden wir die Erde nicht beherrschen können.«

Ein letzter Punkt der SS-Kontrolle über Konzentrationslager bleibt noch zu erwähnen. Die SS lenkte das Programm biologischer Experimente an menschlichen Wesen, das in den Lagern durchgeführt wurde. Erst vor ein paar Tagen hat ein anderes Militärgericht einige von denen abgeurteilt, die an den Experimenten in Dachau teilnahmen.

VORSITZENDER: Trägt das von Ihnen soeben verlesene Dokument kein Datum?

MAJOR FARR: In der englischen Übersetzung erscheint es nicht. Im Originaldokument ist es als Ansprache vom April 1943 gekennzeichnet. In einem späteren Zeitpunkt dieses Verfahrens werden wir, Beweismaterial über Einzelheiten dieses Experimentenprogramms vorlegen. Ich beabsichtige nicht, diese Experimente an sich zu behandeln. Ich werde lediglich zeigen, daß sie die Folge von SS-Vorschriften waren, und daß die SS eine bedeutende Rolle bei ihrer erfolgreichen Ausführung spielte.

Das Programm geht anscheinend auf eine Bitte Dr. Sigmund Raschers zurück, der Himmler um Erlaubnis bat, Insassen von Konzentrationslagern als Material für Versuche mit Menschen zu benutzen; das sollte in Verbindung mit Forschungsarbeiten geschehen, die er für die Luftwaffe ausführte. Ich beziehe mich auf unser Dokument 1602-PS, die Photokopie eines Briefes vom 15. Mai 1941 an den Reichsführer-SS, »S. Rascher« unterzeichnet. Ich unterbreite es als Beweisstück US-454.

Ich zitiere den zweiten Absatz der Übersetzung, den vierten Absatz des Originalbriefs. Ich zitiere:

»Zur Zeit bin ich nach München zum Luftgaukommando VII kommandiert für einen ärztlichen Auswahlkurs. Während dieses Kurses, bei dem die Höhenflugforschung eine sehr große Rolle spielt – bedingt durch die etwas größere Gipfelhöhe der englischen Jagdflugzeuge – wurde mit großem Bedauern erwähnt, daß leider noch keinerlei Versuche mit Menschenmaterial bei uns angestellt werden könnten, da diese Versuche sehr gefährlich sind und sich freiwillig keiner dazu hergibt. Ich stelle darum ernsthaft die Frage: besteht die Möglichkeit, daß zwei oder drei Berufsverbrecher zu diesen Versuchen von Ihnen zur Verfügung gestellt werden können? Die Versuche werden angestellt in der ›Bodenständigen Prüfstelle für Höhenforschung der Luftwaffe‹ in München. Die Versuche, bei denen selbstverständlich die Versuchspersonen sterben können, würden unter meiner Mitarbeit vor sich gehen. Sie sind absolut wichtig für die Höhenflugforschung und lassen sich nicht, wie bisher versucht, an Affen durchführen, da der Affe vollständig andere Versuchsverhältnisse bietet. Ich habe mit dem Vertreter des Luftflottenarztes, der diese Versuche durchführt, absolut vertraulich in diesbezüglicher Richtung gesprochen, und dieser ist ebenfalls der Meinung, daß die in Frage kommenden Probleme nur auf dem Wege des Menschenversuches geklärt werden können. (Es können als Versuchsmaterial auch Schwachsinnige Verwendung finden.)«

Dr. Rascher erhielt von der SS umgehend die Zusicherung, daß er Insassen von Konzentrationslagern für seine Versuche verwenden dürfe.

Ich weise auf unser Dokument 1582-PS, einen an Dr. Rascher gerichteten Brief vom 22. Mai 1941 hin; er trägt den Stempel des Persönlichen Stabes des Reichsführers-SS und die Anfangsbuchstaben »K. Br.«; das sind die Anfangsbuchstaben des Sturmbannführers Karl Brandt. Ich unterbreite diesen Brief als Beweisstück US-462. Ich zitiere die ersten beiden Absätze dieses Briefes:

»Sehr geehrter Herr Dr. Rascher. Kurz vor seinem Abflug nach Oslo hat mir der Reichsführer-SS Ihren Brief vom 15. Mai 1941 zur teilweisen Beantwortung übergeben. Ich kann Ihnen mitteilen, daß Häftlinge für die Höhenflugforschung selbstverständlich gern zur Verfügung gestellt werden. Ich habe dem Chef der Sicherheitspolizei von diesem Einverständnis des Reichsführers-SS Kenntnis gegeben und gebeten, den zuständigen Sachbearbeiter anzuweisen, mit Ihnen Verbindung aufzunehmen.«

Die Höhenflugversuche wurden von Dr. Rascher durchgeführt, und im Mai 1942 drückte Generalfeldmarschall Milch im Namen der Luftwaffe der SS seinen Dank für ihre Hilfe bei den Versuchen aus.

Ich beziehe mich auf unser Dokument 343-PS im ersten Band des Dokumentenbuchs. Ich lege als Beweisstück US-463 einen Originalbrief vom 20. Mai 1942 vor, der an den SS-Obergruppenführer Wolff gerichtet und »E. Milch« unterzeichnet ist. Dieser Brief, der auf Seite 2 der Übersetzung und auf Seite 1 des deutschen Originals erscheint, lautet wie folgt:

»Liebes Wölffchen! Zu Ihrem Telegramm vom 12. Mai teilt mir unser Sanitäts-Inspekteur mit, daß die von der SS und der Luftwaffe in Dachau durchgeführten Höhenversuche abgeschlossen sind. Eine Fortsetzung dieser Versuche erscheine sachlich nicht begründet. Dagegen sei die Durchführung von Versuchen anderer Art, die Seenotfragen betreffend, wichtig, diese sind im unmittelbaren Benehmen der Dienststellen vorbereitet; Oberstabsarzt Weltz wird mit ihrer Durchführung beauftragt und Stabsarzt Rascher bis auf weiteres auch hierfür zur Verfügung gestellt unter Beibehaltung seiner Aufgaben innerhalb des Sanitätsdienstes der Luftwaffe. Eine Änderung dieser Maßnahmen scheine nicht erforderlich, eine Erweiterung der Aufgaben zur Zeit nicht dringlich.

Die Unterdruckkammer werde für diese Unterkühlungsversuche nicht benötigt, sie wird an anderer Stelle dringend gebraucht und kann daher in Dachau nicht weiter belassen werden.

Ich spreche der SS für Ihre weitgehende Mithilfe den besonderen Dank des Oberbefehlshabers der Luftwaffe aus.

Ich verbleibe mit besten Wünschen für Sie in alter Kameradschaft mit Heil Hitler stets Ihr E. Milch.«

VORSITZENDER: Major Farr, sollten Sie nicht den Brief auf der vorhergehenden Seite ebenfalls verlesen? Er mag eine Erklärung enthalten.

MAJOR FARR: Der Brief auf der vorhergehenden Seite vom 31. August 1942 stammt ebenfalls von Generalfeldmarschall Milch und ist an den Reichsführer-SS gerichtet. Er lautet wie folgt:

»Lieber Herr Himmler! Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief vom 25. August. Ich habe mit großem Interesse die Ausführung von Dr. Rascher und Dr. Romberg gelesen. Ich bin über die laufenden Versuche unterrichtet. In nächster Zeit werde ich die beiden Herren bitten, vor meinen Herren einen Vortrag mit Filmvorführung zu halten.

In der Hoffnung, daß es mir bei meinem nächsten Besuch im Hauptquartier möglich ist, Sie einmal aufzusuchen, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen und Heil Hitler Ihr E. Milch.«

Nach Beendigung seiner Höhenversuche wandte sich Dr. Rascher Versuchen über Methoden der Wiedererwärmung von Personen, die sehr großer Kälte ausgesetzt gewesen waren, zu. Ich beziehe mich auf unser Dokument 1618-PS; es ist ein Zwischenbericht über die Unterkühlungsversuche, die am 15. August 1942 in Dachau begannen. Dieser Bericht ist von Dr. Rascher unterzeichnet, und ich lege ihn als Beweisstück US-464 vor. Ich werde nur ein paar Sätze aus dem Bericht verlesen und beginne mit dem ersten Absatz:

»Versuchsanordnung: Die Vp's«, Versuchspersonen, »werden mit voller Fliegeruniform, Winter- oder Sommerkombination und Fliegerhaube bekleidet ins Wasser gebracht. Eine Schwimmweste aus Gummi oder Kapok soll das Untergehen verhindern. Die Versuche wurden durchgeführt bei Wassertemperaturen zwischen 2,5 und 12° Wärme. Bei der einen Versuchsreihe war der Hinterkopf sowie Hirnstamm außerhalb des Wassers, während bei der anderen Versuchsreihe der Nacken (Hirnstamm) und Hinterhirn im Wasser lagen.

Es wurden Unterkühlungen im Magen von 26,4°, im After von 26,5° elektrisch gemessen. Todesfälle traten nur ein, wenn der Hirnstamm sowie das Hinterhirn mit unterkühlt wurden. Es fanden sich bei der Sektion derartiger Todesfälle stets innerhalb der Schädelkapsel größere Mengen freien Blutes, bis zu einem halben Liter. Das Herz zeigte regelmäßig schwerste Erweiterungen der rechten Kammer. Sobald die Unterkühlung bei diesen Versuchen 28° erreicht hatte, starb die Vp mit Sicherheit trotz aller Versuche zur Rettung.«

Ich gehe nun zum letzten Absatz des Berichtes über:

»Bei den Versuchen, Unterkühlte zu retten, zeigt sich, daß schnellem Erwärmen in jedem Falle gegenüber der langsamen Erwärmung der Vorzug zu geben ist, da nach Herausnahme aus dem kalten Wasser die Körpertemperatur rapide sinkt. Ich glaube, daß aus diesem Grunde von dem Versuch, Unterkühle durch animalische Wärme zu retten, abgesehen werden kann. Die Erwärmung durch animalische Wärme – Tierkörper oder Frauenkörper – würde zu langsam vor sich gehen.«

Obgleich Rascher vorläufig der Ansicht war, daß eine Wiedererwärmung durch Frauenkörper zu langsam vor sich gehen würde, standen ihm doch Mittel zur Durchführung solcher Versuche zur Verfügung.

Ich beziehe mich auf unser Dokument 1583-PS, eine Photokopie eines Briefes vom Reichsführer-SS Himmler an General Pohl vom 16. November 1942. Ich lege sie als Beweisstück US-465 vor. Ich werde nur die ersten beiden Absätze dieses Briefes verlesen:

»Lieber Pohl! Bei meinem Besuch in Dachau am 13. November 1942 fiel mir bei den dort angestellten Versuchen zur Rettung von Menschen, die durch Unterkühlung in Eis und Schnee oder im Wasser in Lebensgefahr schweben und durch Aufbietung aller Mittel gerettet werden sollen, folgendes auf:

Ich hatte angeordnet, daß zu diesen Versuchen zur Erwärmung dieser Unterkühlten entsprechende Frauen aus dem KL abgestellt werden sollen. Es waren vier Mädchen abgestellt, die wegen lockeren Lebenswandels bzw. weil sie als Dirnen eine Ansteckungsgefahr bildeten, im KL waren.«

Es ist wohl nicht nötig, den Rest des Absatzes zu verlesen; Himmler drückt seine Unzufriedenheit darüber aus, daß eine deutsche Prostituierte für diesen Zweck verwendet werden sollte.

Um die Fortsetzung der Versuche Raschers sicherzustellen, veranlaßte Himmler seine Überstellung zur Waffen-SS. Ich lege als Beweis einen Brief vor, der als unser Dokument 1617-PS erscheint. Es ist ein Brief des Reichsführers-SS vom November 1942 an seinen »lieben Kameraden Milch«, Generalfeldmarschall Milch. Ich lege ihn als Beweisstück US-466 vor. Ich werde nun die ersten beiden Absätze dieses Briefes verlesen, unser Dokument 1617-PS.

»Lieber Kamerad Milch. Sie werden sich erinnern, daß ich Innen durch SS-Obergruppenführer Wolff die Arbeit eines SS-Führers Dr. Rascher, der Arzt des Beurlaubtenstandes der Luftwaffe ist, besonders ans Herz legte.

Die Arbeiten, die sich mit dem Verhalten des menschlichen Organismus in großen Höhen sowie mit den Abkühlungserscheinungen des menschlichen Körpers bei längerem Verweilen im kalten Wasser und ähnlichen, gerade für die Luftwaffe lebensnotwendigen Problemen befassen, können bei uns deswegen mit so besonderer Wirkung durchgeführt werden, weil ich persönlich die Verantwortung übernommen habe, für diese Versuche todeswürdige Asoziale und Verbrecher aus den Konzentrationslagern zur Verfügung zu stellen.«

Die nächsten vier Abschnitte werde ich auslassen; in ihnen spricht Himmler über die Schwierigkeiten, solche Versuche durchzuführen, weil christliche Medizinerkreise dagegen seien. Ich gehe zum letzten Absatz auf der ersten Seite der Übersetzung über. Es ist der siebente Absatz des Briefes:

»Ich bitte Sie, den Stabsarzt d. R. Dr. Rascher aus der Luftwaffe zu entlassen und ihn mir zur Waffen-SS zu überstellen. Ich werde dann unter meiner alleinigen Verantwortung alle Versuche auf diesem Gebiet machen lassen und die Erfahrungen, die wir in der SS nur zum Teil für die Erfrierungen im Osten brauchen, restlos der Luftwaffe zur Verwertung überlassen. Hier schlage ich allerdings vor, daß zwischen Ihnen und Wolff ein nichtchristlicher Arzt, der zugleich ein honoriger und nicht zu geistigem Diebstahl neigender Wissenschaftler sein müßte, ausgemacht wird, an den die Ergebnisse mitgeteilt werden können. Dieser Arzt müßte aber auch so viel das Ohr der maßgeblichen Stellen haben, daß die Erfahrungen tatsächlich gehört werden. Ich glaube, daß diese Lösung – Dr. Rascher zur SS zu überstellen, damit er die Versuche unter meiner Verantwortung und Auftraggebung durchführen kann – der beste Weg ist. Unterbleiben dürfen die Versuche nicht, denn das sind wir unseren Männern schuldig. Bliebe Dr. Rascher bei der Luftwaffe, gäbe es ganz bestimmt eine Menge Ärger; denn ich müßte dann eine Reihe unerquicklicher Einzelheiten an Sie herantragen wegen der Arroganz und der Anmaßung, die Herr Professor Holzlöhner sich in dem Standort in Dachau – der meiner Befehlsgewalt untersteht – in Äußerungen zu SS-Standartenführer Sievers meiner Person gegenüber geleistet hat. Um uns beiden diesen Ärger zu ersparen, schlage ich vor, daß Dr. Rascher möglichst schnell zur Waffen-SS überstellt wird....«

VORSITZENDER: Ist dieser Brief von Himmler?

MAJOR FARR: Ja, Herr Vorsitzender. Raschers Versuche waren nicht etwa die einzigen, für die sich die SS interessierte. Ohne auch nur zu versuchen, das volle Ausmaß des Versuchsprogramms zu umreißen, werde ich lediglich noch ein Beispiel dieser Art der SS-Tätigkeit geben. Ich beziehe mich auf unser Dokument L-103, einen Bericht vom Obersten Hygieniker im Amt des Reichsarztes-SS und Polizei vom 12. September 1944. Ich lege es als Beweisstück US-467 vor. Ich möchte hinzufügen, daß das Amt des Reichsarztes-SS und Polizei sich in der Abteilung des persönlichen Stabes befindet, wie im zweiten Quadrat auf der rechten Seite auf der Linie, die vom persönlichen Stab nach unten führt, angezeigt ist.

Ich werde einige Absätze aus diesem Bericht verlesen. Es ist ein Bericht vom Obersten Hygieniker im Amt des Reichsarztes der SS und Polizei und von dem SS-Oberführer Dr. Mrugowsky unterschrieben. Er bezieht sich auf Versuche mit giftigen Geschossen. Der erste Absatz lautet wie folgt:

»Im Beisein von SS-Sturmbannführer Dr. Ding, Herrn Dr. Widmann und dem Unterzeichneten wurden am 11. September 1944 an fünf zum Tode Verurteilten Versuche mit Akonitinnitrat-Geschossen durchgeführt. Es handelte sich um Geschosse von Kaliber 7,65 mm, welche mit dem Gift in kristalliner Form gefüllt waren. Die Versuchspersonen erhielten im Liegen je einen Schuß in den linken Oberschenkel. Bei 2 Personen wurde der Oberschenkel glatt durchschossen. Es war auch später keine Giftwirkung zu erkennen. Diese beiden Versuchspersonen schieden daher aus.«

Ich lasse die nächsten Absätze aus und fahre dann im dritten Absatz des Berichts fort.

»Die drei Verurteilten wiesen in ihren Erscheinungen eine überraschende Übereinstimmung auf. Zunächst zeigten sich keine Besonderheiten. Nach 20 bis 25 Minuten traten motorische Unruhe und ein leichter Speichelnuß auf. Beides ging darauf wieder zurück. Nach 40 bis 44 Minuten setzte starker Speichelfluß ein. Die Vergifteten schlucken häufig, später ist der Speichelfluß so stark, daß er durch Hinunterschlucken nicht mehr bewältigt werden kann. Schaumiger Speichel entfließt dem Mund. Dann setzen Würgreiz und Erbrechen ein.«

Die nächsten drei Absätze beschreiben in kalter wissenschaftlicher Weise die Reaktionen der sterbenden Personen. Dann setzt die Beschreibung fort, und ich werde die letzten beiden Absätze zitieren; es ist der letzte Absatz auf Seite 1 der Übersetzung, der sechste Absatz des Berichts:

»Gleichzeitig bestand ein starker Brechreiz. Der eine Vergiftete versuchte vergebens zu erbrechen. Um dies zu erreichen, steckte er 4 Finger der Hand bis zu den Grundgelenken tief in den Mund. Trotzdem setzte kein Erbrechen ein. Das Gesicht war dabei gerötet.

Die anderen beiden Versuchspersonen zeigten schon früh ein blasses Gesicht. Die übrigen Erscheinungen waren dieselben. Die motorische Unruhe wuchs später so stark, daß sich die Personen aufbäumten, wieder hinwarfen, die Augen verdrehten, sinnlose Bewegungen mit den Händen und Armen ausführten. Schließlich ließ die Unruhe nach, die Pupillen erweiterten sich maximal, die Verurteilten lagen still da. Bei einem von ihnen wurden Masseterkrampf und Urinabgang beobachtet. Der Tod trat 121, 123 und 129 Minuten nach Erhalten des Schusses ein.«

Die Tatsache, daß die SS-Ärzte solche Versuche unternahmen, war kein Zufall. Es stimmte vollkommen mit einer Weltanschauung und rassischen Philosophie überein, die in Himmlers Worten Menschen als Läuse und Abschaum betrachtete. Aber der treibende Faktor war, daß nur die SS die Möglichkeit hatte, das nötige Menschenmaterial zu liefern. Und sie lieferten dieses Material durch das WVHA. Ich beziehe mich auf unser Dokument 1751-PS, einen Brief vom Chef der Amtsgruppe D des WVHA vom 12. Mai 1944. Ich lege es als Beweisstück US-468 vor. Ich zitiere diesen Brief. Es ist die letzte Seite des Originaldokuments. Ich zitiere:

»Es besteht Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß in jedem Falle vor Abstellung von Häftlingen für Versuchszwecke hier die Genehmigung zur Abstellung einzuholen ist.

Hierbei müssen Zahl, Haftart und bei arischen Häftlingen genaue Personalien, Aktenzeichen des Reichssicherheitshauptamtes und der Grund der Einweisung ins Konzentrationslager angegeben werden.

Ich verbiete hiermit ausdrücklich die Abstellung von Häftlingen zu Versuchen ohne Vorliegen der Genehmigung.«

Die Übersetzung besagt, daß die Unterschrift unleserlich ist, aber nach dem Original scheint es die Unterschrift von Glücks zu sein, da dieser Chef der Abteilung D des WVHA war. Das Reichsfinanzministerium, das in der Lage war, derartige Mittel zur Verfügung zu stellen, war bereit, das SS-Versuchsprogramm zu unterstützen. Ich lege zum Beweise einen Briefwechsel zwischen dem Reichsfinanzministerium, dem Reichsforschungsrat und dem Reichsarzt-SS und Polizei vor. Wir finden sie in dem Dokument 002-PS, Beweisstück US-469. Der erste Brief, aus dem ich zitiere, befindet sich auf Seite 4 unseres Dokuments 002-PS und ist vom Leiter des Geschäftsführenden Beirats des Reichsforschungsrats an den Reichsarzt- SS und Polizei gerichtet; er trägt das Datum vom 19. Februar 1943. Ich zitiere die ersten drei Absätze dieses Briefes:

»Der Reichsminister der Finanzen hat mir davon Mitteilung gemacht, daß Sie für Ihre Dienststelle 53 Führerstellen... zum Teil für neue Forschungsinstitute angefordert haben.

Nachdem der Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches als Präsident des Reichsforschungsrats die Betreuung der gesamten deutschen Forschung übernommen hat, sind von ihm Richtlinien unter anderem dahin ergangen, daß bei der Durchführung kriegswichtiger wissenschaftlicher Arbeiten die vorhandenen Institute nebst Einrichtung und Personal aus Gründen notwendigster Kräfteökonomie voll ausgelastet sein sollen. Die Gründung neuer Institute kommt daher nur insoweit in Frage, als für die Erledigung kriegswichtiger Forschungsaufgaben keine entsprechenden Institute vorhanden sind.«

Ich lasse den Rest des Briefes aus.

Auf diesen Brief antwortete der Reichsarzt-SS und Polizei am 26. Februar 1943. Die Antwort befindet sich auf Seite 2 der englischen Übersetzung. Es ist ein Brief vom Reichsarzt-SS und Polizei an den Leiter des Geschäftsführenden Beirats des Reichsforschungsrats vom 26. Februar 1943. Ich zitiere die ersten drei Absätze dieses Schreibens; sie lauten:

»Sehr geehrter Herr Ministerialdirektor! Ihr Schreiben vom 19. Februar 1943 bestätige ich Ihnen mit bestem Dank. Ich darf Ihnen darauf heute folgendes antworten:

Die von Ihnen zur Grundlage Ihrer Ausführungen gemachte Etatsaufstellung meiner Dienststelle mit 53 Führerstellen ist eine ausgesprochene Friedensplanung gewesen. Die zum Teil mit diesen Stellen zu besetzenden Sonderinstitute der SS sollten dem Zweck dienen, die besonderen, nur der SS eigenen Forschungsmöglichkeiten für den Geschäftsbereich wissenschaftlicher Forschungen auszuwerten und nutzbar zu machen.«

Ich lasse nun die nächsten beiden Absätze aus und fahre fort:

»Ich stehe Ihnen aber jederzeit gern zur Verfügung, um mit Ihnen die besonderen Forschungsabsichten im Rahmen der SS, die ich auf Weisung des Reichsführers-SS nach dem Kriege anlaufen lassen möchte, durchzusprechen.«

Es fand eine Besprechung zwischen dem Reichsarzt und Mentzel, dem Verfasser des Originalbriefes, statt, und am 25. März 1943 schrieb Mentzel einen Brief an den Reichsminister der Finanzen, der sich auf Seite 1 der Übersetzung befindet. Es ist ein Brief des Präsidenten des Reichsforschungsrats, Leiter des Geschäftsführenden Beirats, an den Reichsminister der Finanzen vom 25. März 1943. Der Brief beginnt:

»Auf Ihr Schreiben vom 19. Dezember,« – und dann folgt das Aktenzeichen des Briefes – »auf das ich Ihnen unter dem 19. Februar eine vorläufige Mitteilung zugehen ließ, nehme ich abschließend folgendermaßen Stellung:

Der Reichsarzt-SS und Polizei hat sich in einer persönlichen Unterredung mir gegenüber auf den Standpunkt gestellt, daß die von ihm vertretenen Etatsanforderungen im wesentlichen den rein militärischen Sektor der Waffen-SS berührten. Soweit sie zum kleineren Teil für den Ausbau wissenschaftlicher Arbeitsmöglichkeiten gemacht sind, beziehen sie sich ausschließlich auf solche Angelegenheiten, die lediglich mit dem der Waffen-SS zur Verfügung stehenden Material (Häftlinge) durchführbar sind und daher von keiner anderen forschenden Stelle übernommen werden können. Ich vermag daher von seiten des Reichsforschungsrats gegen die Etatsanforderungen des Reichsarztes-SS und Polizei keine Bedenken geltend zu machen.‹

Der Brief trägt die Unterschrift ›Mentzel, Ministerialdirektor‹.«

Weil also der SS Material für das Versuchsprogramm zur Verfügung stand, übernahm sie die Führung auf diesem Arbeitsgebiet.

VORSITZENDER: Besagt Seite 4 des Briefes, daß der Angeklagte Göring Präsident des Reichsforschungsrats war?

MAJOR FARR: Seite 4 der Übersetzung? Ja, das scheint der Fall zu sein. Der Brief weist auf die Anordnung Görings hin, daß während des Krieges keine mehrfachen Versuchsanlagen geschaffen werden sollten. Der Reichsforschungsrat, an den sich der Finanzminister um Stellungnahme gewandt hatte, fragte deshalb den Reichsarzt: Warum wollen Sie dieses Versuchsprogramm durchführen?

VORSITZENDER: Ich fragte nur, ob der Angeklagte Göring Präsident des Reichsforschungsrats war.

MAJOR FARR: Das ergibt sich aus dem Brief; es scheint der Fall zu sein.

VORSITZENDER: Was bedeuten dann die Worte auf Seite 1: »Präsident des Reichsforschungsrats?« Heißt das, daß der Brief an den Angeklagten Göring gerichtet war?

MAJOR FARR: Nein. Der Briefkopf hat den Aufdruck »Präsident des Reichsforschungsrates«, und der Brief stammt aus einem Amt dieses Rates, Leiter des Geschäftsführenden Beirats; er ist an den Reichsfinanzminister gerichtet.

VORSITZENDER: Ich sehe.

MAJOR FARR: Ich habe damit die Ausführungen über die Konzentrationslager beendet.

VORSITZENDER: Wir unterbrechen die Verhandlung jetzt für zehn Minuten.