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[zu dem Zeugen gewandt]

Seit wann ist Kaltenbrunner in Ihren Gesichtskreis getreten?

OHLENDORF: Darf ich eine Bitte aussprechen, darf ich mich setzen? Darf ich mich hinsetzen?

VORSITZENDER: Jawohl.

OHLENDORF: Ich habe Kaltenbrunner zum ersten Male gesehen auf der Fahrt von Berlin ins Hauptquartier Himmlers, als Kaltenbrunner zum Chef der Sicherheitspolizei und des SD eingesetzt werden sollte. Vorher habe ich nur die Tatsache seiner Existenz gekannt.

DR. KAUFFMANN: Nicht gekannt?

OHLENDORF: Nur die Tatsache seiner Existenz gekannt.

DR. KAUFFMANN: Kamen Sie mit Kaltenbrunner persönlich in dienstliche oder private Gespräche, nachdem er Chef des Reichssicherheitshauptamtes geworden war?

OHLENDORF: Ja, selbstverständlich.

DR. KAUFFMANN: Kennen Sie seine Gedankengänge, beispielsweise zur Judenfrage?

OHLENDORF: Mir ist keine besondere Stellungnahme Kaltenbrunners bekannt.

DR. KAUFFMANN: Zur Kirchenfrage?

OHLENDORF: In der Kirchenfrage lehnte er den antikirchlichen Kurs, wie er in Deutschland gesteuert wurde, ab. Wir waren in Übereinstimmung darüber, daß mit der Kirche eine Verständigung herbeigeführt werden müßte.

DR. KAUFFMANN: Wissen Sie, wie er dachte in der Frage der Liquidierung von Zivilgefangenen, Fallschirmabspringern und so weiter?

OHLENDORF: Nein.

DR. KAUFFMANN: Ist Ihnen bekannt, daß Kaltenbrunner bestrebt war, sich besonders des SD zu bedienen, um die im Führerstab fehlende Kritik zu ersetzen?

OHLENDORF: Ja, das war die Aufgabe des SD, auch schon bevor Kaltenbrunner kam, und er hat diese Aufgabe auch durchaus sachlich unterstützt.

VORSITZENDER: Etwas langsamer.

OHLENDORF: Dies war die Aufgabe des SD, auch bevor Kaltenbrunner kam, und er hat die Tendenz dieser Arbeit sachlich gebilligt und unterstützt.

DR. KAUFFMANN: Ist Ihnen irgendwie unmittelbar oder beispielsweise mittelbar bekannt, daß Kaltenbrunner keine Befugnis hatte, Exekutive auszuüben, also, daß er keine Befugnis hatte, Menschen in das Konzentrationslager zu bringen oder solche Menschen herauszunehmen; daß diese ganzen Dinge vielmehr ausschließlich in Händen Müllers und Himmlers lagen?

OHLENDORF: Diese Frage ist, glaube ich, zu allgemein, zu weit, um sie konkret beantworten zu können, sondern ich glaube, daß man diese Frage auflösen müßte.

Wenn Sie die Frage stellen, ob Kaltenbrunner Exekutiv-Handlungen veranlassen konnte, dann muß ich dies mit ja beantworten. Wenn Sie weiterhin Müller und Himmler, unter Ausschaltung von Kaltenbrunner, nennen, dann muß ich darauf hinweisen, daß nach der Konstruktion des Reichssicherheitshauptamtes Müller der Untergebene von Kaltenbrunner war und daher auch Befehle von Himmler an Müller Befehle an Kaltenbrunner waren und Müller verpflichtet war, Kaltenbrunner zu unterrichten. Andererseits ist sicher, daß gerade in Bezug auf die Konzentrationslager, und zwar sowohl die endgültige Einweisung als auch die Herauslassung, wesentlich von Himmler bestimmt wurde. Ich kann sagen, daß es mir absolut bekannt ist, daß – ein Ausdruck, der oft gefallen ist, – »bis zur letzten Waschfrau« Himmler sich persönlich die Entscheidung vorbehielt. Ob Kaltenbrunner keinerlei Befugnisse in dieser Beziehung gehabt hat, kann ich nicht behaupten.

DR. KAUFFMANN: Haben Sie persönlich Originalbefehle und Originalunterschriften Kaltenbrunners gesehen, die die Liquidierung von Sabotagetruppen und so weiter betrafen?

OHLENDORF: Nein.

DR. KAUFFMANN: Ist Ihnen unmittelbar oder mittelbar bekannt, daß nach dem Tode Heydrichs eine zwar nicht formelle Änderung eintrat, daß aber doch ein anderer und milderer Kurs gesteuert wurde, von Kaltenbrunner?

OHLENDORF: Ich könnte diese Frage nicht konkret mit Material beantworten.

DR. KAUFFMANN: Ich stelle diese Frage zurück. Ich komme jetzt zu einer anderen Frage. War Kaltenbrunner bekannt, daß Sie Einsatzführer waren im Osten?

OHLENDORF: Jawohl.

DR. KAUFFMANN: Wer hat Ihnen diesen Einsatzbefehl gegeben?

OHLENDORF: Heydrich.

DR. KAUFFMANN: Heydrich hat Ihnen diesen gegeben? Also das war vor der Zeit?

OHLENDORF: Ja, selbstverständlich.

DR. KAUFFMANN: Ich habe im Augenblick keine Fragen mehr.

GENERALMAJOR I. T. NIKITCHENKO, MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE SOWJETUNION: Zeuge Ohlendorf, können Sie darüber Auskunft geben, bis zu welchem Zeitpunkt die Einsatzgruppe unter Ihrem Befehl tätig war?

OHLENDORF: Der Einsatzstab ist noch mit in den Kaukasus gegangen und ist dann zurückgekehrt und, soweit ich mich erinnere, ist ein Kampfkommando daraus gebildet, unter dem Namen »Bierkamp«, das beim Bandenkampf eingesetzt worden ist. Von da ist die Einsatzgruppe dann meiner Erinnerung nach völlig aufgelöst worden. Bierkamp kam ins Generalgouvernement und hat auch eine große Zahl seiner Leute mit nach dort genommen.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Was war ihre Tätigkeit nach dem Weggang von Bierkamp?

OHLENDORF: Ich glaube, man kann sagen, daß die Einsatzgruppe mit dem Rückzug aus dem Kaukasus zu bestehen aufgehört hat. Sie hat dann wehrmachtsähnliche Aufgaben unternommen, unter dem unmittelbaren Befehl des Befehlshabers der Sicherheitspolizei der Ukraine und vor allen Dingen unter den höheren SS- und Polizei-Offizieren der Ukraine.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Mit anderen Worten, die Gruppen haben ihre Tätigkeit nur in anderen Gebieten unter einer anderen Führung ausgeübt, das war der ganze Unterschied. Dieselben Aufgaben, die bisher von der Einsatzgruppe durchgerührt wurden, fanden ihre Fortsetzung in neuen Gebieten.

OHLENDORF: Nein, sie ist dann zu einer tatsächlichen Kampfeinheit geworden.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Was bedeutet das? Gegen wen waren die militärischen Aktionen gerichtet?

OHLENDORF: Im Rahmen der Operationen, die gegen die Bandenbewegung eingesetzt wurden.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Können Sie konkreter sagen, was diese Gruppe eigentlich getan hat?

OHLENDORF: Nach dem Rückzug?

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Wenn Sie davon sprechen, daß sich die Funktionen geändert haben, als sie Operationen gegen die Partisanen durchführte.

OHLENDORF: Ich habe keine konkreten Erfahrungen selbst; sie wird nach meinem Dafürhalten sowohl mit Aufklärungen gegenüber den Bandeneinheiten zu tun gehabt haben und auch selbst im militärischen Einsatz gestanden haben.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Aber führte sie irgendwelche Hinrichtungen aus?

OHLENDORF: Also, das kann ich für diesen Zeitpunkt nicht mehr sagen, denn sie kam ja jetzt in Gebiete, für die diese Aufgabenstellung nicht mehr in Frage kam.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: In Ihrer Zeugenaussage haben Sie erklärt, daß die Einsatzgruppe die Vernichtung der Juden und Kommissare zum Ziele hatte, ist das richtig?

OHLENDORF: Ja.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Und zu welcher Kategorie zählten Sie die Kinder? Aus welchem Grunde wurden die Kinder abgeschlachtet?

OHLENDORF: Es war ja der Befehl, daß die jüdische Bevölkerung total ausgerottet werden sollte.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Einschließlich der Kinder?

OHLENDORF: Jawohl.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Wurden alle jüdischen Kinder ermordet?

OHLENDORF: Jawohl.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Und die Kinder derjenigen, die sie als zur Kategorie der Kommissare gehörig ansahen, wurden diese auch umgebracht?

OHLENDORF: Mir ist nicht bekannt, daß jemals nach der Familie eines Kommissars geforscht worden ist.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Haben Sie irgendwohin über diese von der Gruppe vorgenommenen Hinrichtungen berichtet?

OHLENDORF: Die Meldungen über Hinrichtungen wurden regelmäßig an das Reichssicherheitshauptamt erstattet.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Nein, Sie selbst, haben Sie persönlich Berichte über die von Ihnen veranlaßte Vernichtung Tausender von Menschen erstattet? Haben Sie persönlich irgendeinen Bericht vorgelegt?

OHLENDORF: Die Berichte liefen von den Einsatzkommandos, die ja die Aktionsträger waren, an die Einsatzgruppe und die Einsatzgruppe berichtete an das Reichssicherheitshauptamt.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: An wen?

OHLENDORF: Sie gingen an den Chef der Sicherheitspolizei persönlich, und an die....

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Persönlich?

OHLENDORF: Persönlich, jawohl.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Wie hieß dieser Polizeioffizier? Können Sie seinen Namen angeben?

OHLENDORF: Heydrich damals.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Und nach Heydrich?

OHLENDORF: Ja, ich habe keine Zeit mehr erlebt, aber es war ja allgemein so befohlen.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Ich frage, ob Sie nach dem Tode Heydrichs auch weiterhin Berichte erstatteten oder nicht?

OHLENDORF: Ich war nach Heydrichs Tod nicht mehr im Einsatz, aber die Berichterstattung wurde selbstverständlich fortgesetzt.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Ist Ihnen bekannt, ob nach dem Tode Heydrichs die Berichte fortgesetzt wurden oder nicht?

OHLENDORF: Jawohl!...

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Ja?

OHLENDORF: Nein, die Berichterstattung ist von...

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: War der Befehl zur Ausrottung des Sowjetvolkes in Übereinstimmung mit der Politik der Deutschen Regierung oder der Nazi-Partei oder stand er im Widerspruch dazu? Verstehen Sie die Frage?

OHLENDORF: Jawohl. Hier muß man unterscheiden. Der Befehl zu der Liquidation kam von dem Führer des Reiches; und zur Ausführung war der Reichsführer-SS bestimmt.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Aber stand das in Übereinstimmung mit der von der Nazi-Partei und der Deutschen Regierung geführten Politik, oder stand es im Widerspruch dazu?

OHLENDORF: Politik ist bereits Tätigkeit, also insofern ist es eben eine Politik, die vom Führer bestimmt war. Wenn Sie die Frage stellen würden ob es mit der Idee des Nationalsozialismus übereinstimmt, dann würde ich das verneinen.

GENERALMAJOR NIKITCHENKO: Ich spreche von der Tätigkeit.

VORSITZENDER: Aus dem, was Sie sagten, entnehme ich, daß Wertgegenstände den jüdischen Opfern vom jüdischen Ältestenrat weggenommen wurden.

OHLENDORF: Jawohl.

VORSITZENDER: Bestimmte der jüdische Ältestenrat, wer getötet werden sollte?

OHLENDORF: Nein.

VORSITZENDER: Wie wußte er, wer getötet werden sollte?

OHLENDORF: Der jüdische Ältestenrat entschied, wer Jude war und registrierte sie einzeln.

VORSITZENDER: Und als er sie registrierte nahm er ihnen ihre Wertgegenstände ab?

OHLENDORF: Das wurde verschieden gemacht. Soweit ich mich erinnern kann, wurde dem Ältestenrat gleichzeitig der Befehl zur Einsammlung der Werte gegeben.

VORSITZENDER: Das heißt, der jüdische Ältestenrat wußte nicht, ob sie getötet werden sollten?

OHLENDORF: Jawohl.

VORSITZENDER: Wir schalten nunmehr eine Verhandlungspause bis 14.05 Uhr ein.