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[Zum Zeugen gewandt]:

War in der Zusammenkunft zwischen Dr. Kastner und Eichmann von Geld die Rede?

WISLICENY: Ja.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wieviel?

WISLICENY: In der ersten Besprechung übergab Dr. Kastner etwa drei Millionen Pengö an Eichmann. Wie hoch die Beträge waren, die in späteren Verhandlungen genannt wurden, weiß ich nicht genau.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wem gab Dr. Kastner das Geld, und was geschah damit?

WISLICENY: Es wurde an Eichmann gegeben, der es seinem Geldverwalter übergab, dann wurde dieser Betrag dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Ungarn übergeben.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Die von Ihnen beschriebenen Aktionen betrafen ungefähr 450000 Juden, die aus Ungarn verschleppt wurden. Wurden irgendwelche offizielle Berichte über diese Transporte nach Berlin gesandt?

WISLICENY: Ja. Für jeden abgehenden Transport wurde ein Fernschreiben nach Berlin abgesandt. Eichmann erstattete auch von Zeit zu Zeit Sammelberichte an das Reichssicherheitshauptamt und an den Chef der Sicherheitspolizei.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was geschah mit den in Budapest verbliebenen Juden?

WISLICENY: Nachdem Szalasi die Regierung in Ungarn übernommen hatte....

VORSITZENDER: Oberst Brookhart, wir haben noch nicht gehört, was mit jenen Juden aus Ungarn geschah? Falls es gesagt wurde, dann habe ich es überhört.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Ich werde diese Frage jetzt stellen, Herr Vorsitzender.

[Zum Zeugen gewandt]:

Was geschah mit den Juden, von denen Sie bereits gesprochen haben, ungefähr 450000?

WISLICENY: Sie wurden restlos nach Auschwitz gebracht und dort der »Endlösung« zugeführt.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Meinen Sie, daß sie getötet wurden?

WISLICENY: Ja, mit Ausnahme von etwa 25 bis 30 Prozent, die zu Arbeitszwecken verwendet wurden. Ich nehme darauf Bezug auf meine Erwähnung einer Unterredung, die zwischen Höß und Eichmann in diesem Zusammenhang in Budapest stattfand.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was geschah mit den in Budapest verbliebenen Juden?

WISLICENY: Im Oktober, November 1944 wurden von diesen Juden etwa 30000, vielleicht noch ein paar Tausend mehr, herausgenommen und nach Deutschland verbracht. Sie sollten beim Bau des sogenannten Südostwalles, einer Verteidigungsstellung in der Nähe von Wien, als Arbeitskräfte eingesetzt werden. Es handelte sich meistens dabei um Frauen.

Diese Juden mußten den Weg von Budapest bis zur deutschen Grenze zu Fuß machen, fast 200 km. Sie wurden in Marschgruppen zusammengestellt und gingen in besonders vorgeschriebenen Marschrouten. Ihre Unterbringung und Ernährung während dieses Marsches war außerordentlich schlecht. Die meisten von ihnen wurden von Krankheiten befallen und waren entkräftet. Ich hatte den Auftrag von Eichmann, an der deutschen Grenze diese Gruppen zu übernehmen und sie an die Gauleitung Niederdonau zu Arbeitszwecken weiterzuleiten. Ich habe in vielen Fällen die Übernahme dieser sogenannten Arbeitskräfte abgelehnt, weil die Menschen völlig entkräftet und durch Krankheiten heruntergekommen waren. Eichmann zwang mich jedoch, auch diese Menschen zu übernehmen, indem er in diesem Falle sogar mir androhte, er würde mich Himmler zur Einweisung in ein Konzentrationslager melden, wenn ich ihm weitere politische Schwierigkeiten machen würde. Durch diese Tatsache wurde ich dann auch aus Eichmanns Abteilung entfernt.

Ein großer Teil dieser Menschen ist dann in den sogenannten Arbeitslagern in Niederdonau an Entkräftung und Seuchen gestorben, Ein geringer Prozentsatz, etwa 12000, wurde nach Wien und die Umgebung von Wien gebracht, und ein Transport von ungefähr 3000 ging nach Bergen-Belsen und von da in die Schweiz. Das waren Juden, die im Zuge der Verhandlungen mit dem Joint aus Deutschland herausgelassen wurden.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wenn wir die Länder Griechenland, Ungarn und Slowakei zusammennehmen, wieviele Juden wurden ihrer persönlichen Kenntnis nach von Maßregeln der Gestapo und des SD in diesen Ländern betroffen?

WISLICENY: In der Slowakei waren es ungefähr 66000. In Griechenland waren es ungefähr 64000, in Ungarn war es über eine halbe Million.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wie viele Juden wurden in den Ländern Kroatien und Bulgarien, über die sie einige Kenntnisse besitzen, von den Maßnahmen betroffen?

WISLICENY: In Bulgarien meines Wissens etwa 8000. Von Kroatien weiß ich nur die Zahl von etwa 3000 Juden, die im Sommer 1942 nach Auschwitz gebracht wurden, und zwar aus Agram.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Haben jene Spezialisten für Judenfragen des Amtes IV a Sitzungen abgehalten, deren Namen auf diesem Papier erscheinen, auf das wir bereits Bezug genommen haben?

WISLICENY: Ja, Eichmann hatte die Gewohnheit, alle Jahre eine große Sitzung seiner Sachbearbeiter in Berlin einzuberufen. Diese Sitzung fand meistens im November statt. An diesen Sitzungen mußten alle Männer, die im Ausland von ihm eingesetzt waren, über ihre Tätigkeit Bericht erstatten. Im Jahre 1944 hat ein solches Treffen meines Wissens nicht stattgefunden, weil Eichmann im November 1944 noch in Ungarn war.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wieviele Juden, über deren Schicksal Sie persönlich Bescheid wissen, wurden der »Endlösung«, also der Tötung, unterworfen?

WISLICENY: Die genaue Zahl läßt sich für mich außerordentlich schlecht feststellen. Ich habe nur einen Anhaltspunkt, und das ist das Gespräch zwischen Eichmann und Höß in Wien, in dem er sagte, daß von den Juden, die aus Griechenland nach Auschwitz gekommen wären, nur sehr wenige Arbeitskräfte dabei gewesen wären. Die Juden aus der Slowakei und aus Ungarn waren etwa 25 bis 30 Prozent arbeitsfähig. Es ist für mich daher sehr schwer, eine gültige Totalsumme genau anzugeben.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Haben Sie in den Besprechungen mit den anderen Spezialisten über Judenfragen und mit Eichmann irgendwelche Kenntnis oder Auskunft über die Gesamtzahl der unter diesem Programm getöteten Juden erhalten?

WISLICENY: Eichmann persönlich sprach immer von mindestens vier Millionen Juden, manchmal nannte er sogar die Zahl von fünf Millionen. Nach meiner persönlichen Schätzung müssen es mindestens vier Millionen Juden gewesen sein, die von der sogenannten »Endlösung« betroffen wurden. Wieviele davon wirklich am Leben geblieben sind, kann ich natürlich nicht angeben.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wann sahen Sie Eichmann zum letztenmal?

WISLICENY: Ich habe Eichmann zuletzt Ende Februar 1945 in Berlin gesehen. Er äußerte damals, daß, wenn der Krieg verloren wäre, er Selbstmord begehen würde.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Sagte er damals irgendetwas über die Zahl der getöteten Juden?

WISLICENY: Ja, er drückte das in einer besonders zynischen Weise aus. Er sagte: Er würde lachend in die Grube springen, denn das Gefühl, daß er fünf Millionen Menschen auf dem Gewissen hätte, wäre für ihn außerordentlich befriedigend.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Der Zeuge steht den anderen Vertretern zur Verfügung.

VORSITZENDER: Hat irgendein anderer Anklagevertreter den Wunsch, den Zeugen zu verhören?

MR. G D. ROBERTS, ERSTER ANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH VON GROSSBRITANNIEN UND NORDIRLAND: Herr Vorsitzender, ich habe nicht den Wunsch, Fragen an ihn zu stellen.

VORSITZENDER: Wünscht der russische Anklagevertreter Fragen zu stellen?

OBERST POKROWSKI: Die Sowjetunion hat in diesem Augenblick keine Fragen zu stellen.

VORSITZENDER: Hat der französische Anklagevertreter Fragen zu stellen?