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[Das Gericht vertagt sich bis

8. Januar 1946, 10.00 Uhr.]

Neunundzwanzigster Tag.

Dienstag, den 8, Januar 1946.

Vormittagssitzung.

OBERST WHEELER: In ihrem Bestreben, die christliche Religion in Deutschland zu unterdrücken, haben die Nazis auch andere Sekten oder Konfessionen nicht übersehen. Sie verfolgten ebenso die Bibelforscher. Wir haben bereits als Beweismaterial Dokument D-84, US-236, unterbreitet; aus ihm geht hervor, daß Mitglieder dieser Sekte nicht nur vor Gericht gestellt, sondern auch verhaftet und in Konzentrationslager gebracht wurden, dies auch dann, wenn sie die vom Gericht über sie verhängte Strafe verbüßt hatten, oder wenn sie freigesprochen worden waren.

Im Dokument 2928-PS, US-239, das im US-Dokumentenbuch A enthalten ist, findet sich weiteres Beweismaterial für die Verfolgung von »Bibelforschern«.

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie gehen etwas zu schnell vor; wir behandeln jetzt nicht D-84?

OBERST WHEELER: Nein, daraus will ich nichts verlesen.

VORSITZENDER: Sie gehen jetzt zu Dokument 2928-PS über?

OBERST WHEELER: 2928-PS; es befindet sich im Dokumentenbuch, Herr Vorsitzender. Dieses Dokument ist eine eidesstattliche Versicherung von Matthias Lex, dem Vizepräsidenten des Zentralverbandes der Schuhmacher. In seiner Aussage über seine Erlebnisse im Dachauer Konzentrationslager erklärte er; und ich zitiere von der dritten Seite seiner eidesstattlichen Erklärung:

»Ich schließe in die politischen Gefangenen die Bibelforscher ein, deren Anzahl ich über 150 einschätze.«

Weiter möchte ich die letzte Zeile dieser Seite und einige Zeilen von der nächsten Seite verlesen:

»Die folgenden Gruppen wurden vollkommen isoliert gehalten: Die Angehörigen der sogenannten ›Strafkompanien‹, die das zweitemal in einem Konzentrationslager Befindlichen und ungefähr nach 1937 auch die ›Bibelforscher‹. Angehörige der ›Strafkompanien‹ waren solche Häftlinge, die sich irgendwelche Disziplinlosigkeiten oder geringere Vergehen gegen die Lagerordnung hatten zuschulden kommen lassen. Die folgenden Gruppen waren ebenfalls getrennt für jede Gruppe untergebracht, konnten jedoch tagsüber mit den anderen Gruppen zusammenkommen, entweder bei der Arbeit oder beim Herumgehen im Lager: Politische Gefangene, Juden, Asoziale, Zigeuner, Schwerverbrecher, Homosexuelle und vor 1937 auch die ›Bibelforscher‹.«

Ich komme nun zu Dokument 1531-PS, US-248, welches sich nicht im Dokumentenbuch befindet und bereits vorgelegt wurde. Es ist ein Befehl des Reichssicherheitshauptamtes von 1942, worin die Ermächtigung erteilt wurde, gegen Bibelforscher die verschärfte Vernehmung anzuwenden. Der Befehl wurde von Oberst Storey verlesen.

Ich will jetzt über die Unterdrückung in den eroberten und besetzten Gebieten sprechen. In Österreich verfaßte Bischof Rusch von Innsbruck einen aufschlußreichen Bericht über dieses Thema. Ich unterbreite diese beschworene Erklärung, Dokument 3278-PS, als US-569. Es ist ein Bericht über den Kampf gegen den Nationalsozialismus in der Apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch, Tirol und Vorarlberg. Darin erklärt der Bischof, und ich beginne auf der ersten Seite des englischen Textes und der deutschen Übersetzung:

»Nach der Machtübernahme zeigte der Nationalsozialismus sofort die Tendenz, die Kirche von der Öffentlichkeit auszuschließen.«

Der Ausdruck »Öffentlichkeit«, das hat der Bischof in englischer Sprache geschrieben, soll offenbar »Öffentliche Betätigung« heißen.

Ich zitiere weiter:

»Am Fronleichnamstag 1938 wurde die gewohnte feierliche Prozession verboten. Im Sommer desselben Jahres wurden alle kirchlichen Schulen und Kindergärten aufgelöst. Tageszeitungen und Wochenschriften christli cher Denkungsart wurden ebenfalls ausgemerzt. In demselben Jahr wurden alle kirchlichen Organisationen, insbesondere Jugendverbände wie die Pfadfinder, aufgelöst und ihnen jede Betätigung verboten.

Das Ergebnis dieser Verbote stellte sich bald ein: Die Geistlichkeit stemmte sich gegen sie, sie konnte nicht anders handeln. Darauf folgte eine große Welle von Priesterverhaftungen. Ungefähr der fünfte Teil von ihnen wurde schließlich gefangengenommen. Die Gründe für die Verhaftungen waren:

1. Der Kanzelparagraph – falls Handlungen der Partei selbst in zurückhaltendster Weise erwähnt oder kritisiert wurden.

2. Die Betreuung junger Leute. Ein besonders schweres Verbot wurde im November 1939 erlassen. Messen oder Gottesdienste für Kinder und Jugendliche wurden verboten. Religions- oder Glaubensunterricht in der Kirche war nicht erlaubt, außer dem Unterricht für die erste Kommunion oder die Konfirmation. Religionsunterricht in der Schule wurde sehr oft ohne jeden Grund verboten.

Sein Gewissen gestattete es dem Geistlichen nicht, dieser öffentlichen Ächtung tatenlos zuzuschauen; daraus erklärt sich die große Zahl der Verhaftungen von Priestern. Schließlich wurden die Priester wegen ihrer karitativen Arbeit verhaftet. Es war zum Beispiel verboten, Ausländern oder Gefangenen etwas zu geben. Ein Geistlicher wurde verhaftet, weil er zwei hungrigen Holländern eine Tasse Kaffee und Brot gab. Dieser Wohltätigkeitsakt wurde als Begünstigung fremdrassi scher Elemente angesehen.

In den Jahren 1939 und 1940 begann eine neue Aktivität. Klöster und Abteien wurden beschlagnahmt, aufgelöst und viele Kirchen, die zu ihnen gehörten, wurden geschlossen. Unter anderem wurden zwei Nonnenklöster aufgelöst: Das Kloster der Dominikanerschwestern in Bludenz und das Kloster der ›Ewigen Anbetung‹ in Innsbruck. Aus dem letzteren wurden die Schwestern eine nach der andern von der Gestapo herausgeschleift. Auf dieselbe Weise wurde kirchliches Eigentum, wie Versammlungshäuser, Pfarrhäuser und Jugendheime, beschlagnahmt. Eine Liste dieser geschlossenen Kirchen, aufgelösten Klöster und kirchlicher Einrichtungen ist beigefügt.

Trotz aller dieser Maßnahmen waren die Ergebnisse nicht zufriedenstellend. Daher wurden Priester nicht nur verhaftet, sondern auch ins Konzentrationslager gebracht. Acht Priester aus Tirol und Vorarlberg wurden eingesperrt, unter ihnen der Provikar Monsignore Dr. Charles Lampert. Einer starb dort infolge von Mißhandlungen, während die anderen zurückkehrten. Provikar Lampert wurde freigelassen, mußte aber in Stettin bleiben, wo er später wieder verhaftet und im November 1944 hingerichtet wurde, nachdem er in einem geheimen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt worden war.«

Diesem Bericht ist eine dreieinhalb Seiten lange Liste angefügt mit der Überschrift: »Liste der Kirchen, Nonnen- und Mönchsklöster und der kirchlichen Gegenstände, die in Tirol und Vorarlberg beschlagnahmt beziehungsweise eingezogen wurden, ferner der Einrichtungen, Konfessionsschulen und so weiter, die aufgelöst wurden.« Falls der Gerichtshof es nicht wünscht, werde ich diese Namen nicht verlesen.

Als nächstes Dokument lege ich 3274-PS, US-570, vor, das wir von Kardinal Innitzer aus Wien erhalten haben und das von ihm beglaubigt wurde. Dies ist der erste gemeinsame Hirtenbrief der Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs nach der Befreiung, datiert vom 17. Oktober 1945. Ich verlese von der ersten Seite den zweiten Absatz des englischen und deutschen Textes, worin das Vorgehen der Nazi-Verschwörer in Österreich geschildert wird:

»Ein Krieg, der wie keiner in den vergangenen Epochen der Menschheitsgeschichte entsetzlich und grausam gewütet hat, ist zu Ende.... Zu Ende ist auch ein geistiger Kampf, dessen Ziel es war, Christentum und Kirche in unserem Volke zu vernichten; ein Feldzug der Lüge und Tücke gegen Wahrheit und Liebe, gegen Gottes-, Menschen- und Völkerrechte.«

Ich zitiere dann den vierten und die folgenden Absätze:

»Reine Kirchenfeindlichkeit offenbarte sich in Verfügungen gegen Orden und Kloster, katholische Schulen und Anstalten, gegen religiöse Stiftungen und Werke, kirchliche Vereinshäuser und Einrichtungen; ohne das mindeste Recht einer Verteidigung wurden sie als volks- oder staatsfeindlich erklärt und ihre Existenz ver nichtet.

Religiöse Unterweisung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen wurde zielbewußt eingeschränkt, nicht selten ganz verhindert. Man förderte alle religions- und kirchenfeindlichen Bestrebungen in jeder Weise und suchte so den Kindern und der Jugend unseres Volkes den kostbarsten Schatz des heiligen Glaubens und wahrer, vom Geiste Gottes getragener Sittlichkeit zu rauben. Leider gelang der Versuch in ungezählten Fällen zum dauernden Schaden der jungen Menschen.

Die Seelsorge in Kirchen und Gotteshäusern, in Spitälern und Anstalten wurde schwer behindert, beim Militär und im Arbeitsdienst, bei der Landverschickung der Jugendlichen und darüber hinaus in den einzelnen Familien und bei zahlreichen Personen wirkungslos gemacht, gar nicht zu reden vom Verbote der Seelsorge an Menschen anderer Nationalität und anderer Rassen.

Wie oft wurde der Gottesdienst als solcher, aber auch Predigten, Volksmissionen, Einkehrtage, Exerzitien, Prozessionen, Wallfahrten mit den unmöglichsten Begründungen eingeschränkt und ganz unmöglich gemacht.

Das katholische Schrifttum, Zeitungen, Zeitschriften, Kirchenblätter, religiöse Schriften, wurden eingestellt, Bücher und Bibliotheken eingestampft.

Welches Unrecht geschah nicht bei der Auflösung vieler katholischer Vereine, bei der Zerstörung zahlreicher kirchlicher Werke!

Die einzelnen katholischen und christusgläubigen Menschen, deren religiöses Bekenntnis angeblich frei war, wurden bespitzelt, wegen ihrer Gesinnung getadelt, wegen christlicher Betätigung gerügt. Wieviel gläubige Beamte, Lehrpersonen, öffentlich und privat Angestellte, Arbeiter, Geschäftsleute und Handwerker, ja selbst Bauern wurden unter Druck und Terror gesetzt! Viele verloren ihre Stellung, andere wurden pensioniert, andere ohne jede Pension entlassen, zurückgesetzt, ihrer eigentlichen Berufstätigkeit beraubt. Oft genug wurden solche Menschen, die ihrer Überzeugung treu blieben, benachteiligt, zum Hunger verurteilt oder in Konzentrationslagern gequält. Christentum und Kirche wurden ständig verhöhnt und der Verachtung preisgegeben.

Die Abfallsbewegung fand jedwede Förderung. Man benutzte jede Gelegenheit, um ja recht viele zum Austritt aus der Kirche zu bewegen.«

Wenn wir uns fragen, wer die Veranwortung für diese Unterdrückung in Österreich trägt, so wird der Gerichtshof sich erinnern, daß der Angeklagte von Schirach Gauleiter von Wien in den Jahren 1940 bis 45 gewesen ist.

Ich komme nun zur Unterdrückung in der Tschechoslowakei. Wie der Gerichtshof sich erinnern wird, war der Angeklagte von Neurath Reichsprotektor in Böhmen und Mähren in den Jahren 1939 bis 1943, ihm folgte der Angeklagte Frick. Diese Tatsachen sind in einem offiziellen tschechischen Regierungsbericht zusammengestellt. Ich verweise auf Dokument 998-PS, US-91, das bereits als Beweismaterial dem Gerichtshof vorliegt.

Hier handelt es sich um Auszüge, die noch nicht verlesen wurden oder behandelt worden sind; sie sind dem »tschechischen offiziellen Bericht für die Anklage und den Prozeß gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher durch den Internationalen Militärgerichtshof, eingesetzt laut Übereinkommen der vier Großmächte vom 8. August 1945« entnommen. Da dies ein offizielles Regierungsdokument oder ein Bericht einer der Vereinten Nationen ist, bitte ich den Gerichtshof, ihn auf Grund des Artikels 21 des Statuts amtlich zur Kenntnis zu nehmen; ich bitte mir zu gestatten, nur eine Zusammenfassung vorzutragen, den Bericht aber nicht zu verlesen.

Er beschreibt die Mißhandlung katholischer Geistlicher, von denen 487 als Geiseln in Konzentrationslager verschleppt wurden, ferner die Auflösung religiöser Orden, die Unterdrückung des Religionsunterrichts in den tschechischen Schulen, die Unterdrückung katholischer Wochen- und Monatsschriften, die Auflösung der katholischen Turnorganisation mit 800000 Mitgliedern und die Beschlagnahme katholischen Kircheneigentums. Er schildert weiterhin das vollkommene Verbot der tschechischen Nationalkirche, die Einziehung ihres gesamten Besitzes in der Slowakei und ihre Lähmung in Böhmen.

Der Bericht schildert die starke Beschränkung der Redefreiheit für protestantische Prediger, die Verfolgung, Einkerkerung und Hinrichtung von Geistlichen, die Unterdrückung protestantischer Jugendorganisationen und theologischer Schulen sowie schließlich die vollkommene Unterordnung und spätere Auflösung der griechisch-orthodoxen Kirche. Es wird festgestellt, daß die gesamte evangelische Erziehung den Zivilbehörden übertragen wurde und viele evangelische Lehrer ihre Stellungen verloren.

Die Unterdrückungsmaßnahmen der Nazi-Verschwörer in Polen gegen die christliche Kirche waren noch drastischer und weitreichender.

Die Dokumente des Vatikans, die nunmehr eingeführt werden sollen, beschreiben die Verfolgung der katholischen Kirche in Polen in folgenden drei Gebieten:

1. in den eingegliederten Gebieten, insbesondere im Warthegau,

2. im General-Gouvernement und

3. in den angeschlossenen östlichen Gebieten.

Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß die eingegliederten Gebiete die Gebietsteile umfaßten, die an das Altreich grenzten, besonders den Reichsgau Wartheland oder Warthegau, einschließlich der Städte Posen und Lodz und dem Reichsgau Danzig-Westpreußen.

Die besetzten polnischen Gebiete, aus denen das Generalgouvernement gebildet wurde, umfaßten das restliche Polen, das im Jahre 1939 durch die deutsche Wehrmacht besetzt worden war, und erstreckt sich bis zu den neuen Grenzen mit den Sowjets, wie sie zur damaligen Zeit festgelegt waren. Zu diesem Gebiet gehörten Warschau und Krakau. Nachdem die Nazis die Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken im Juni 1941 angegriffen hatten, wurden die später überrannten, weiter gegen den Osten liegenden Teile von Alt-Polen in die sogenannten »Besetzten Ostgebiete« einbezogen.

Um die Verantwortung der Angeklagten für die Verfolgungen in diesen verschiedenen Gebieten festzustellen, möge sich der Gerichtshof vor Augen halten, daß der Angeklagte Frick der Beamte war, der hauptsächlich für die Reorganisation der Ostgebiete verantwortlich war. Der Angeklagte Frank war der Leiter des Generalgouvernements von 1939 bis 1945. Der Angeklagte Seyß-Inquart war stellvertretender Generalgouverneur von 1939 bis 1940. Der Angeklagte Rosenberg war Reichsminister für die besetzten Ostgebiete vom 17. Juli 1941 bis zum Ende.

Ich überreiche nunmehr als Beweismaterial Dokument 3263-PS, US-571 mit der Überschrift: »Denkschrift des Staatssekretariats an die Deutsche Botschaft über die religiöse Lage im ›Warthegau‹ vom 8. Oktober 1942.« Diese Urkunde trägt einen Beglaubigungsvermerk des Vatikans, unterschrieben von dem päpstlichen Sekretär für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten, der mit dem vor wenigen Minuten zum Beweis verlesenen Begleitvermerk zu 3261-PS übereinstimmt. Wenn der Gerichtshof es nicht ausdrücklich verlangt, halte ich es nicht für erforderlich, jeden dieser Beglaubigungsvermerke zu verlesen, da sie alle einander ähnlich sind. Ich zitiere aus 3263-PS den ersten Absatz:

»Seit ziemlich langer Zeit gibt die religiöse Lage im sogenannten ›Warthegau‹ Anlaß zu sehr ernster und stets wachsender Besorgnis. Das Episkopat wurde dort in der Tat allmählich völlig ausgeschaltet; die Welt- und Ordensgeistlichkeit wurde in einem solchen Ausmaße verringert, daß sie völlig unzureichend ist, da sie zum großen Teil deportiert und verbannt wurde; die Ausbildung von Priestern wurde verboten; die katholische Jugenderziehung stößt auf größten Widerstand; Nonnen wurden auseinandergetrieben; unüberwindliche Hindernisse wurden in den Weg gelegt, um dem Volke die Hilfe der Religion nicht angedeihen zu lassen; eine große Anzahl von Kirchen wurde geschlossen; katholische Wohlfahrts- und Bildungsanstalten wurden zerstört und kirchliches Eigentum beschlagnahmt.«

Am 2. März 1943 wandte sich der Kardinalstaatssekretär an den Angeklagten von Ribbentrop, den damaligen Reichsaußenminister; in seiner Note legte er im einzelnen die Verfolgung von Bischöfen, Priestern und anderen Geistlichen und die Unterdrückung der Religionsausübung in den besetzten polnischen Gebieten dar. Dieses Dokument ist so deutlich und maßgebend, daß es eine eingehende Behandlung verdient. Ich lege es demgemäß zum Beweis vor, Dokument 3264-PS, US-572. Es trägt die Überschrift:

»Note Seiner Eminenz des Kardinalstaatssekretärs an den Reichsaußenminister über die religiöse Lage in dem ›Warthegau‹ und in den von Deutschland beherrschten anderen polnischen Provinzen.«

Der Beglaubigungsvermerk des Vatikans ist der gleiche wie in 3261-PS; die Unterschrift lautet »L. Card. Maglione«, das heißt: Luigi Kardinal Maglione.

Ich zitiere aus dieser Note und beginne mit Seite 1, Absatz 3 des vervielfältigten englischen Textes und der deutschen Übersetzung:

»Das Gebiet, wo vor allem die religiöse Lage wegen ihres außergewöhnlichen Ernstes besondere Beachtung erfordert, ist der sogenannte ›Reichsgau Wartheland‹.

Sechs Bischöfe hatten im August 1939 ihren Sitz in diesem Gebiet; nur einer ist jetzt noch dort. In der Tat, der Bischof von Lodz (Litzmannstadt) und sein Weihbischof wurden im Laufe des Jahres 1941 zunächst auf einen kleinen Bezirk der Diözese beschränkt und später in das ›Generalgouvernement‹ ausgewiesen und verbannt.

Ein anderer Bischof, Mgr. Michael Kozal, Weihbischof und Generalvikar von Wladislavia (Leslau), der im Herbst 1939 verhaftet wurde, wurde eine Zeitlang im Gefängnis der Stadt und später in einer religiösen Anstalt in Lad festgehalten und schließlich in das Konzentrationslager Dachau überführt.

Da Seine Eminenz, der Kardinal Erzbischof von Gniezno (Gnesen) und Poznan (Posen) und der Bischof von Wladislavia, die während der militärischen Operationen weggegangen waren, nicht die Erlaubnis erhielten, zu ihren bischöflichen Stühlen zurückzukehren, ist Seine Exzellenz Mgr. Valentine Dymek, der Weihbischof von Posen, der einzige Bischof, der jetzt im ›Warthegau‹ übrig bleibt; und auch er wurde, zumindest bis zum November 1942, in seinem eigenen Hause interniert gehalten.«

Ich gehe nun zu Seite 2 über, zum vierten Absatz des englischen und dem fünften Absatz des deutschen Textes:

»War das Schicksal ihrer Exzellenzen der Bischöfe eine Quelle der Besorgnis für den Heiligen Stuhl, so verursachte ihm, und verursacht ihm noch immer, die Lage einer ungeheuren Zahl von Priestern und Ordensangehörigen nicht weniger Gram.

In dem sogenannten ›Warthegau‹ übten mehr als 2000 Priester ihr Amt vor dem Krieg aus; nur eine kleine Zahl von ihnen bleibt jetzt noch übrig.

Gemäß Berichten, welche den Heiligen Stuhl von verschiedenen Seiten erreichten, wurde eine nicht unerhebliche Zahl von Mitgliedern der Weltgeistlichkeit in den ersten Monaten der militärischen Besetzung erschossen oder auf andere Weise zu Tode gebracht, wäh rend andere – einige Hunderte – eingekerkert oder in unziemlicher Weise behandelt wurden. Sie wurden zu Arbeiten gezwungen, die ihrem Stand nicht entsprachen und sie der Verachtung und dem Gespött aussetzten.

Später wurden viele Geistliche in Konzentrationslager überstellt, während eine große Zahl anderer verbannt oder auf andere Weise gezwungen wurde, in das Generalgouvernement zu flüchten. Anfangs Oktober 1941 betrug die Zahl der in Dachau festgehaltenen Priester der Diözese ›Warthegau‹ schon einige Hundert; ihre Zahl wuchs jedoch in dem Monat, der einer empfindlichen Verschärfung von Polizeimaßnahmen, die in der Einkerkerung und Deportation weiterer Hunderter von Geistlichen gipfelte, beträchtlich. Ganze Kreise wurden so ihrer Priesterschaft völlig beraubt. In der Stadt Posen selbst verblieb die Seelsorge für über 200000 Katholiken in den Händen von nicht mehr als vier Priestern.

Das der Ordensgeistlichkeit bestimmte Schicksal war nicht weniger schmerzlich. Viele Ordensangehörige wurden erschossen oder auf andere Weise getötet; die große Mehrzahl der anderen wurde eingekerkert, deportiert oder verbannt.

Ebenso wurden weitgehende Maßnahmen gegen Institutionen, die Kandidaten für den geistlichen Stand vorbereiteten, getroffen. Die diözesischen Seminare in Gnesen, Posen, Leslau und Lodz würden geschlossen. Das Posner Seminar zur Ausbildung von Priestern, die für im Ausland lebende polnische Katholiken zu arbeiten bestimmt waren, wurde ebenfalls geschlossen.

Die Noviziate und Lehrhäuser für religiöse Orden und Kongregationen wurden geschlossen.

Nicht einmal Nonnen konnten ihre karitative Arbeit ohne Belästigung fortsetzen. Für sie wurde ein spezielles Konzentrationslager in Bojanowo (Schmückert) errichtet, wo Mitte des Jahres 1941 ungefähr 400 Schwestern interniert und mit Handarbeit beschäftigt waren. Auf eine Vorstellung des Heiligen Stuhls, die durch die Apostolische Nuntiatur in Berlin erhoben wurde (Memorandum Nummer 40348 vom 11. Juni 1941), antwortete ihr Reichsministerium für Auswärtige Angelegenheiten mit dem Memorandum Pol. III 1886 vom 28. September desselben Jahres, daß es sich nur handele, ›um eine mit Einvernehmen des Reichsstatthalters für den Reichsgau Wartheland getroffene vorübergehende Maßnahme, um der Obdachlosigkeit polnisch-katholischer Schwestern zu begegnen‹. In demselben Memorandum wurde zugegeben, daß infolge der Umgestaltung der Wohlfahrtseinrichtungen viele katholische Schwestern arbeitslos waren.

Obwohl aber diese Maßnahmen als vorübergehend bezeichnet wurden, kann mit Sicherheit gesagt werden, daß gegen Ende 1942 noch immer einige hundert Nonnen in Bojanowo interniert waren. Es ist erwiesen, daß den Nonnen einige Zeitlang sogar geistliche Hilfe versagt wurde.

Ebenso wurden die Rechte der katholischen Kirche in Angelegenheiten der Erziehung und religiösen Jugendbildung im ›Warthegau‹ nicht beachtet.

Alle katholischen Schulen wurden aufgelöst.«

VORSITZENDER: Wer war Reichsaußenminister zu der Zeit, als das Dokument abgesandt wurde?

OBERST WHEELER: Es war der Angeklagte von Ribbentrop.

Ich gehe nunmehr auf Seite 4, Absatz 10 des englischen, Seite 5, Absatz 4 des deutschen Textes über:

»Die polnische Sprache war bei heiligen Handlungen und selbst beim Sakrament der Beichte verboten. Außerdem – und dies ist besonders erwähnenswert und steht im Widerspruch zu dem natürlichen Recht und den Bestimmungen der Rechtssysteme aller Nationen – wurde für die Feier der Hochzeit eine minimale Altersgrenze von 28 Jahren für Männer und von 25 Jahren für Frauen festgesetzt.

Die katholische Aktion wurde so schwer getroffen, daß sie als völlig vernichtet angesehen werden kann. Das Nationale Institut, das an der Spitze der gesamten katholischen Aktionsbewegung in Polen stand, wurde aufgelöst; demzufolge wurden alle ihm angeschlossenen Verbände, welche blühten und gediehen, ebenso wie alle katholischen kulturellen, karitativen und sozialen Einrichtungen abgeschafft.

Im ganzen Warthegau gibt es keine katholische Presse und nicht einmal eine katholische Buchhandlung mehr.

Ernste Maßnahmen wurden wiederholt gegen kirchliches Eigentum getroffen.

Viele Kirchen wurden für Gottesdienste geschlossen und profanem Zweck zugeführt. Nicht einmal die Ka thedralen von Gnesen, Posen, Leslau und Lodz blieben von einer solchen Entweihung verschont. Die bischöflichen Residenzen wurden eingezogen, Grundbesitz, der Seminaren gehörte, Klöster, Diözesanmuseen und -bibliotheken sowie Kirchenvermögen wurden beschlagnahmt oder eingezogen.«

Ich verlese nunmehr den dritten Absatz auf Seite 5; er enthält nur zwei Zeilen:

»Schon bevor kirchliches Eigentum angetastet wurde, wurden die Zuschüsse für die Geistlichkeit abgeschafft.«

Ich verlese nunmehr von Seite 6 den ganzen vierten Absatz des englischen Textes:

»Die von der Kanzlei des Reichsstatthalters zur Durchführung der Verordnung vom 13. September 1941 erlassenen Verwaltungsvorschriften erschwerten die Lage der Katholiken in diesem Gebiet noch weiter.

Am 19. November 1941 z.B. erging ein Erlaß des Reichsstatthalters, in dem unter anderem bestimmt wurde, daß mit Wirkung vom vorangegangenen 13. September das Eigentum der früheren juristischen Personen der Römisch-katholischen Kirche auf die ›Römisch-katholische Kirche deutscher Nationalität im Reichsgau Wartheland‹ übergehen sollte, soweit auf Antrag der obengenannten ›Religionsgesellschaft‹ solches Eigentum vom Reichsstatthalter als ›nicht-polnisches Eigentum‹ anerkannt würde. Durch diesen Erlaß ging fast alles Vermögen der katholischen Kirche im Warthegau verloren.«

Ich gehe nun auf Seite 7, den ganzen zweiten Absatz, über:

»Wenn wir von dem Warthegau zu den anderen Gebieten im Osten übergehen, so finden wir unglücklicherweise auch dort Handlungen und Maßnahmen gegen die Rechte der Kirche und die katholischen Gläubigen, obgleich sie in Schwere und Ausmaß von Ort zu Ort wechseln.

In den Provinzen, deren Eingliederung in das Deutsche Reich erklärt wurde und die mit den Gauen Ostpreußen, Danzig-Westpreußen und Oberschlesien verbunden wurden, ist die Lage der oben beschriebenen hinsichtlich der Seminare, des Gebrauchs der polnischen Muttersprache bei heiligen Handlungen, der wohltätigen Werke, der Vereinigungen der Katholischen Aktion und der Trennung der Gläubigen nach ihrer Nationalität sehr ähnlich. Auch dort muß man die Schließung von Kirchen für den öffentlichen Gottesdienst, die Verbannung, Deportierung, den gewaltsamen Tod einer nicht unbedeutenden Zahl von Priestern – die um zwei Drittel in der Diözese Kulm und um mindestens ein Drittel in der Diözese Kattowitz vermindert wurden –, die Aufhebung des Religionsunterrichts in den Schulen, und vor allem die tatsächlich vollständige Unterdrückung des Episkopats beklagen. Nachdem in der Tat dem Bischof von Kühn, der während der militärischen Operationen fortgegangen war, die Erlaubnis zu seiner Diözese zurückzukehren, verweigert worden war, folgte im Februar 1941 die Vertreibung des Bischofs von Plock (Schröttersburg) und seines Weihbischofs, die später beide in der Gefangenschaft starben. Der Bi schof, der ehrwürdige achtzigjährige Mgr. Julian Anthony Nowowiejski, starb in Dzialdowo (Soldau) am 28. Mai 1941, und der Weihbischof Mgr. Leo Wetmanski starb in einem ›Durchgangslager‹ am 10. Oktober desselben Jahres.

Die religiöse Lage im sogenannten ›Generalgouvernement‹ wie auch in den polnischen Provinzen, die von Sowjettruppen in der Zeit zwischen September 1939 und Juni 1941 besetzt waren, ist derart, daß sie den Heiligen Stuhl in große Besorgnis und ernstliche Beunruhigung versetzt. Wir wollen keine Zeit mit der Beschreibung der Behandlung verlieren, die in vielen Fällen der Geistlichkeit zuteil wurde – Priester wurden gefangengenommen, deportiert und sogar getötet –; wir wollen auch nicht näher auf die Einziehung kirchlichen Eigentums, die Schließung von Kirchen, sogar die Unterdrückung von Vereinigungen und von Veröffentlichungen unverfänglichen und ausschließlich religiösen Charakters, die Schließung von katholischen Mittel- und Höheren Schulen und der katholischen Universität in Lublin eingehen. Es mag genügen, an zwei Arten besonders scharfer Maßnahmen zu erinnern, nämlich diejenigen, die die Seminare betreffen und die das Episkopat belasten.

Als die Gebäude der verschiedenen Seminare vollständig oder zum Teil besetzt waren, war eine Zeitlang (November 1940 bis Februar 1941) beabsichtigt, diese Lehranstalten für die Ausbildung von Priestern auf zwei herabzusetzen, nämlich die in Krakau und Sandomir; später wurde es gestattet, die anderen wieder zu eröff nen, aber nur unter der Bedingung, daß keine neuen Studenten zugelassen wurden; das hat praktisch die unausbleibliche Folge, daß alle diese Anstalten in Kürze zu schließen sein werden.«

Ich überspringe hier einen Absatz:

»Es ist bereits mehrere Male erwähnt worden, daß Geistliche deportiert oder in Konzentrationslager eingesperrt wurden. Die Mehrzahl von ihnen wurde in das Altreich überführt, wo ihre Zahl bereits ein Tausend überschreitet.«

VORSITZENDER: Was war das Altreich?

OBERST WHEELER: Das Altreich ist das alte Deutsche Reich.

VORSITZENDER: Ja.

OBERST WHEELER:

»Als der Heilige Stuhl verlangte, daß sie in Freiheit gesetzt würden und ihnen erlaubt würde, nach neutralen Ländern Europas oder Amerikas auszuwandern (1940), wurde die Bitte abgelehnt. Es wurde lediglich versprochen, daß sie alle im Konzentrationslager Dachau gesammelt würden, daß sie von zu schwerer Arbeit befreit würden und daß einige die Erlaubnis erhalten sollten, die Messe zu lesen, welcher die anderen beiwohnen könnten.

Die Behandlung der in Dachau internierten Geistlichen, welche tatsächlich eine bestimmte Zeitlang im Jahre 1941 etwas gemildert worden war, verschlechterte sich wieder gegen Ende dieses Jahres. Besonders traurig waren die Anzeigen, die viele Monate hindurch im Jahre 1942 aus diesem Lager über häufige Todesfälle von Priestern, darunter sogar einiger junger Priester, kamen.«

Ich überspringe zwei Absätze:

»Polnische Katholiken dürfen im Gebiet des Altreiches nicht heiraten; ebenso werden Anträge auf Religionsunterricht oder Vorbereitungsunterricht für die Beichte und die heilige Kommunion für die Kinder dieser Arbeiter im allgemeinen nicht genehmigt.«

Was nun mit Beschwerden über religiöse Angelegenheiten in den besetzten Gebieten geschah, selbst wenn sie vom Vatikan kamen, ergibt sich aus Dokument 3266-PS, US-573, das ich jetzt vorlege: Es handelt sich um einen Brief des Kardinalerzbischofs von Breslau an den Päpstlichen Staatssekretär vom 7. Dezember 1942. Er trägt einen Beglaubigungsvermerk des Vatikans ähnlich den schon verlesenen.

Dieser Brief macht die Parteikanzlei für die Richtlinien der Politik und die Ausübung letzter Machtbefugnisse in religiösen Fragen in den besetzten Gebieten verantwortlich.

Ich zitiere von Seite 1 den ersten Absatz dieses Briefes und erinnere den Gerichtshof daran, daß der Angeklagte Bormann damals Chef der Kanzlei der Nazi-Partei war, und daß der Angeklagte Kaltenbrunner Chef des Reichssicherheitshauptamtes war.

Ich zitiere aus Dokument 3266-PS und beginne mit der sechsten Zeile:

»Bei den schwersten Übergriffen gegen die Kirche habe ich nicht nur aus Anlaß jedes einzelnen Vorkommnisses protestiert, sondern habe insoweit auch in globo einen formellen Protest eingelegt; dieses Dokument habe ich als Sprecher der gesamten Hierarchie am 10. Dezember 1941 an das Staatsoberhaupt und die Ministerien des Reiches gesandt. Nicht ein Wort einer Antwort ist uns zugeleitet worden.

Eure Eminenz sind sich der überaus großen Schwierigkeiten wohl bewußt, die der Eröffnung von Verhandlungen im Wege stehen und die von der überragenden Machtbefugnis herrührt, die die nationalsozialistische Parteikanzlei in ihrer Stellung zur Reichskanzlei und den einzelnen Reichsministerien ausübt. Diese Parteikanzlei gibt die Richtlinien, die von dem Staat zu befolgen sind, während die Ministerien und die Reichskanzlei verpflichtet und gezwungen sind, ihre Erlasse auf diese Richtlinien einzustellen. Außerdem ist es Tatsache, daß sich das Reichssicherheitshauptamt einer Machtvollkommenheit erfreut, die alle gesetzlichen Handlungen und jeden Rechtsweg ausschließt. Unter ihm steht die sogenannte ›Geheime Staatspolizei‹ – gewöhnlich ›Gestapo‹ abgekürzt –, die in jeder Provinz eine Leitstelle hat. Gegen die Erlasse des Hauptamtes und der geheimen Stellen gibt es keine Berufung an die Gerichtshöfe; Beschwerden an die Ministerien haben keine Wirkung. Nicht selten deuten die Räte der Ministerien an, daß sie wegen der Opposition dieser Partei stellen nicht so handeln könnten, wie sie wollten. Was die Exekutivgewalt angeht, so ist die Organisation der sogenannten SS – das sind die Schutzstaffeln der Partei. – praktisch ausschlaggebend...

In mehreren sehr ernsten und grundsätzlichen Streitfragen haben wir unsere Beschwerden auch an das Reichsoberhaupt, den Führer, gerichtet. Entweder erhielten wir keinerlei Bescheid oder ein solcher wurde offensichtlich von der obenerwähnten Parteikanzlei abgefaßt, die sich nicht an das mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossene Konkordat gebunden fühlt.«

Nun lege ich Dokument 3279-PS, US-574, als Beweismaterial vor. Es ist ein Auszug aus dem Anklagepunkt Nummer 17 gegen den Angeklagten Hans Frank, Generalgouverneur von Polen, mit der Überschrift: »Mißhandlung und Verfolgung der katholischen Geistlichkeit in den eingegliederten westlichen Provinzen von Polen«; es wurde gemäß Artikel 21 des Viermächte-Abkommens vom 8. August 1945 von der Polnischen Regierung unterbreitet. Das Dokument gibt weitere Zahlen über den Umfang der Verfolgung von Priestern. Ich zitiere:

»Der beigefügte Auszug, der die ›Allgemeinen Verhältnisse und Auswirkungen der Verfolgung‹ behandelt, ist dem Text des Punktes 17, Seite 5, Absatz IV der Anklage der Polnischen Regierung gegen die in der Anklageschrift für den Internationalen Militärgerichtshof genannten Angeklagten entnommen. Er betrifft die ›Mißhandlung und Verfolgung der katholischen Geistlichkeit in den eingegliederten westlichen Provinzen Polens‹. Der Auszug ist eine wahrheitsgetreue Übersetzung des polnischen Originals ins Englische.

Er wird hiermit dem Internationalen Militärgerichtshof unter Berücksichtigung des Artikels 21 des Statuts des Gerichtshofs unterbreitet.« Unterschrift: »Dr. Tadeusz Cyprian, Stellvertreter des polnischen Delegierten für die Kriegsverbrechenskommission der Vereinten Nationen, unterzeichnend im Namen der Polnischen Regierung und der Hauptuntersuchungskommission für deutsche Kriegsverbrechen in Polen, deren Stempel ich hiermit beidrücke.«

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß Sie solche Beglaubigungsvermerke verlesen müssen.

OBERST WHEELER: Das war der einzige, den ich habe. Ich lese nun den Auszug vor:

»Die allgemeinen Verhältnisse und Auswirkungen der Verfolgung.

11. Die allgemeine Lage der Geistlichkeit in der Erzdiözese Posen anfangs April 1940 ist in den folgenden Worten des Kardinals Hlond in seinem zweiten Bericht zusammengefaßt:

5 Geistliche erschossen; 27 Geistliche im strengen Konzentrationslager in Stutthof und in anderen Lagern eingesperrt; 190 Geistliche im Gefängnis oder in Konzentrationslagern zu Bruczkow, Chlodowo, Goruszki, Kazimierz Biskupi, Lad, Lubin und Pusczykowo; 35 Geistliche infolge Mißhandlung ernstlich erkrankt; 122 Gemeinden vollständig ohne Geistliche geblieben.

12. In der Diözese Chelmno, wo vor dem Kriege ungefähr 650 Geistliche angestellt waren, wurde nur 3 % die Erlaubnis erteilt, zu bleiben. Die übrigen 97 % wurden eingekerkert, getötet oder in Konzentrationslager gesteckt.

13. Bis zum Jahre 1941 wurden ungefähr 700 Geistliche getötet; 3000 waren in Gefängnissen oder in Konzentrationslagern.«

Ich weise auch auf Dokument 3268(a)-PS, US-356 hin; es ist ein Auszug aus einer Ansprache des Papstes Pius XII. an das Heilige Kollegium vom 2. Juni 1945, der schon als Beweismittel vorgelegt und ausführlich verlesen wurde. Ich werde nichts mehr daraus verlesen. Auch darin finden sich sehr aufschlußreiche Ziffern über Geistliche und Laienbrüder, die im Konzentrationslager Dachau eingesperrt waren.

Der Gerichtshof wird sich aus der früheren Verlesung dieses Dokuments daran erinnern, daß 2800 Geistliche und Ordensbrüder allein in Dachau von 1940 bis 1945 eingesperrt waren, von denen alle bis auf etwa 800 bis zum April 1945 tot waren, einschließlich eines Weihbischofs.

Dieses Dokument gibt eine eindrucksvolle Zusammenfassung der von den Nazi-Verbrechern in ihrem Streit gegen die katholische Kirche unternommenen Schritte.

Zusammenfassend ist die Anklagebehörde der Ansicht, daß das dem Gerichtshof unterbreitete Material beweist, daß die versuchte Unterdrückung der christlichen Kirchen in Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei und in Polen einen wesentlichen Teil der Verschwörung der Angeklagten, eine innere Opposition auszurotten und andererseits den Angriffskrieg vorzubereiten und durchzuführen, darstellt; es tritt die gleiche verschwörerische Methode wie bei ihren anderen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hervor.

OBERST STOREY: Hoher Gerichtshof! Bevor wir uns den einzelnen Angeklagten zuwenden, wird in Übereinstimmung mit unseren britischen Kollegen Major Elwyn Jones einen kurzen Vortrag über »Den Angriff als eine nazistische Grundidee« halten.

MAJOR F. ELWYN JONES, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Hoher Gerichtshof, es ist nunmehr meine Pflicht, auf ein Dokument hinzuweisen, das zum Glaubensbekenntnis dieser Angeklagten wurde. Ich spreche von Hitlers »Mein Kampf«. Es ist vielleicht jetzt der richtige Zeitpunkt, daß wir uns damit befassen, bevor die Anklagebehörde das Beweismaterial gegen die einzelnen Angeklagten nach Punkt 1 und 2 der Anklageschrift vorlegt. Denn dieses Buch »Mein Kampf« gab den Angeklagten eine hinreichende Vorkenntnis der ungesetzlichen Ziele der Nazi-Führung. Es war nicht nur Hitlers politisches Testament; sie nahmen es als das ihrige an.

Dieses Buch »Mein Kampf« kann wohl als Grundriß des Nazi-Angriffs bezeichnet werden. Sein ganzer Sinn und Inhalt bekräftigt die Behauptung der Anklagebehörde, daß die aggressiven Ziele der Nazis nicht reine Zufälle waren, die sich während der Nazi-Herrschaft aus irgendeiner augenblicklichen politischen Situation in Europa und in der Welt ergaben. »Mein Kampf« läßt unzweideutig erkennen, daß das Mittel des Angriffskriegs zur Erreichung ihrer außenpolitischen Ziele Teil des ureigenen Glaubensbekenntnisses der Nazi-Partei war.

Ein großer deutscher Philosoph hat erklärt, daß Ideen Hände und Füße haben. Es wurde das vorbedachte Ziel dieser Angeklagten, dafür zu sorgen, daß Idee, Lehren und Politik von »Mein Kampf« wirksames Glaubensbekenntnis und Richtschnur für die Handlungen des deutschen Volkes werden sollten, besonders für seine leicht lenkbare Jugend.

Wie meine amerikanischen Kollegen dem Gerichtshof bereits vorgetragen haben, wurde von 1933 bis 1939 eine weitgehende Unterrichtung über die Ideen von »Mein Kampf« in den Schulen und Universitäten Deutschlands, in der Hitlerjugend unter der Leitung des Angeklagten Baldur von Schirach, in der SA und SS und in der ganzen deutschen Bevölkerung durch das Amt des Angeklagten Rosenberg durchgeführt.

Ein Exemplar des Buches »Mein Kampf« wurde allen neuverheirateten Paaren in Deutschland amtlich überreicht, und ich möchte dem Gerichtshof nunmehr ein derartiges Hochzeitsgeschenk der Nazis an deutsche Neuvermählte vorlegen; für das Sitzungsprotokoll wird es Dokument D-660, GB-128. Der Gerichtshof wird sehen, daß die Widmung auf dem Vorsetzblatt dieses Buches lautet:

»Dem jungvermählten Paare Friedrich Rosebrock und Else geborene Zum Beck mit den besten Wünschen für eine glückliche und gesegnete Ehe.

Überreicht von der Gemeindeverwaltung zur Trauung am 14. November 1940. Der Bürgermeister. Im Auftrag, der Standesbeamte.«

Der Gerichtshof wird am Fuß der Seite gegenüber dem Inhaltsverzeichnis sehen, daß diese Ausgabe von »Mein Kampf« aus dem Jahre 1940 eine Auflage von 6250000 erreicht hatte. In einem derartigen Ausmaß war dieses Buch verbreitet. Man nannte es in gotteslästerlicher Weise die »Bibel des deutschen Volkes«.

Als Ergebnis der Anstrengungen der Angeklagten und ihrer Bundesgenossen vergiftete dieses Buch eine Generation und verzerrte die Weltanschauung eines ganzen Volkes.

Wenn man jahrelang – zehn Jahre lang – predigt, daß die Slawen eine minderwertige Rasse und die Juden Untermenschen seien, wie der SS-General von dem Bach-Zelewski gestern sagte, dann folgt daraus logisch, daß die Ermordung von Millionen dieser Menschen als eine natürliche Erscheinung angesehen wird.

Von »Mein Kampf« führt der Weg direkt zu den Krematorien von Auschwitz und den Gaskammern von Maidanek.

Ich werde versuchen, dem Gerichtshof durch Zitate aus dem Buch zu zeigen, welches die Gebote in »Mein Kampf« waren. Sie finden sich in den Auszügen, die der Gerichtshof meines Wissens jetzt vor sich liegen hat; die Auszüge sind in der Reihenfolge zusammengestellt, wie ich sie jetzt dem Gerichtshof vortragen werde.

Diese Zitate zerfallen in zwei Hauptkategorien. Die erste Kategorie sind die allgemeinen Äußerungen Hitlers über seinen Glauben an die Notwendigkeit der Anwendung von Gewalt als Mittel zur Lösung internationaler Probleme. Die zweite Kategorie enthält bestimmtere Erklärungen Hitlers über die Politik, welche Deutschland verfolgen müsse.

Die meisten Zitate der zweiten Kategorie stammen aus den letzten drei Kapiteln 13, 14 und 15 des Teiles II von »Mein Kampf«, wo Hitler seine Ansicht über die Außenpolitik erläutert. Die Bedeutung dieser Tatsache wird der Gerichtshof erkennen, wenn er die deutsche Ausgabe von »Mein Kampf« betrachtet. Der Gerichtshof wird bemerken, daß Teil II von »Mein Kampf« erstmalig im Jahre 1927 veröffentlicht wurde, das heißt also, weniger als zwei Jahre nach dem Abschluß des Locarno-Paktes und nur einige Monate, nachdem Deutschland dem Völkerbund beigetreten war. Das Datum der Veröffentlichung dieser Stellen zeigt, also, daß die Politik internationaler Zusammenarbeit, die von Stresemann verfolgt wurde, verworfen wurde, und ist ein bewußter Hohn auf den Versuch, durch den Völkerhund gesetzliche Vorschriften in internationalen Angelegenheiten zu schaffen.

Zunächst werde ich dem Gerichtshof einige Zitate vorlesen, welche die allgemeine Ansicht Hitlers über den Krieg und den Angriff im allgemeinen, die sich die Angeklagten zu eigen machten und verbreiteten, wiedergeben. Das erste Zitat auf Seite 556 von »Mein Kampf« lautet:

»So wie unsere Vorfahren den Boden, auf dem wir heute leben, nicht vom Himmel geschenkt erhielten, sondern durch Lebenseinsatz erkämpfen mußten, so wird auch uns in Zukunft den Boden und damit das Leben für unser Volk keine göttliche Gnade zuweisen, sondern nur die Gewalt eines siegreichen Schwertes.«

Auf Seite 145 enthüllte Hitler seine eigene persönliche Einstellung zu dem Krieg. Über die Friedensjahre vor 1914 schrieb er:

»Ich hatte mir so über meine, wie mir vorkam, zu spät angetretene irdische Wanderschaft oft ärgerliche Gedanken gemacht und die mir bevorstehende Zeit ›der Ruhe und Ordnung‹ als eine unverdiente Niedertracht des Schicksals angesehen. Ich war eben schon als Junge kein ›Pazifist‹, und alle erzieherischen Versuche in dieser Richtung wurden zu Nieten.«

Ganz allgemein schrieb Hitler so über den Krieg. Auf Seite 162 finden wir:

»Was die Frage der Humanität betrifft, so hat sich schon Moltke dahin geäußert, daß diese beim Kriege immer in der Kürze des Verfahrens liege, also, daß ihr die schärfste Kampfesweise am meisten entspräche.

Wenn man aber versucht, in solchen Dingen mit dem Gefasel von Ästhetik usw. anzurücken, dann kann es darauf wirklich nur eine Antwort geben: Schicksalsfragen von der Bedeutung des Existenzkampfes eines Volkes heben jede Verpflichtung zur Schönheit auf.«

Wie treu diese Gebote der Rücksichtslosigkeit von den Angeklagten befolgt wurden, wird die Anklagebehörde im Lauf dieses Prozesses beweisen.

Hitlers Annahme, es gäbe ein unausweichliches Gesetz eines Kampfes ums Dasein, wird in dem Buch »Mein Kampf« in Kapitel 11, Buch I, dargestellt. Er lehrt, daß die arische Kasse anderen Rassen überlegen sei, und daß die Deutschen auf Grund dieser Überlegenheit das Recht hätten, andere Völker zu beherrschen, und sie als Werkzeuge zur Erreichung ihrer eigenen Ziele zu verwenden. Das ganze Kapitel 11 von »Mein Kampf« ist der Theorie der Herrenrasse gewidmet. Viele der späteren Reden Hitlers, seine Ansprachen an seine Generale und so weiter waren tatsächlich nur Wiederholungen aus dem Kapitel 11.

Wenn der Gerichtshof den nächsten Auszug von Seite 256 betrachtet, wird er folgendes lesen:

»Ohne diese Möglichkeit der Verwendung niederer Menschen hätte der Arier niemals die ersten Schritte zu seiner späteren Kultur zu machen vermocht; genau so, wie er ohne die Hilfe einzelner geeigneter Tiere, die er sich zu zähmen verstand, nicht zu einer Technik gekommen wäre, die ihm jetzt gerade diese Tiere langsam zu entbehren gestattet....

So war für die Bildung höherer Kulturen das Vorhandensein niederer Menschen eine der wesentlichsten Voraussetzungen....«

An einer späteren Stelle in »Mein Kampf«, auf Seite 344, bezieht Hitler diese allgemeinen Ideen auf Deutschland:

»Würde das deutsche Volk in seiner geschichtlichen Entwicklung jene herdenmäßige Einheit besessen haben, wie sie anderen Völkern zugute kam, dann würde das Deutsche Reich heute wohl die Herrin des Erdballs sein. Die Weltgeschichte hätte einen anderen Lauf genommen, und kein Mensch vermag zu entscheiden, ob dann nicht auf diesem Wege eingetroffen wäre, was so viele verblendete Pazifisten heute durch Winseln und Flennen zu erbetteln hoffen:

Ein Friede, gestützt nicht durch die Palmwedel tränenreicher pazifistischer Klageweiber, sondern begrün det durch das siegreiche Schwert eines die Welt in den Dienst einer höheren Kultur nehmenden Herrenvolkes.«

Aus diesen von mir zitierten Stellen wird der Gerichtshof Hitlers Kriegsliebe und Verachtung derer, die er als Pazifisten bezeichnet, entnommen haben. Die diesem ganzen Buch zugrunde liegende Botschaft, die immer und immer wieder zum Ausdruck kommt, ist:

1. daß der Kampf um das Dasein die Organisierung und Anwendung von Gewalt erfordert,

2. daß der arische Deutsche anderen Rassen überlegen ist und aus diesem Grund das Recht hat, sie zu besiegen und zu beherrschen,

3. daß alle Lehren, die eine friedliche Lösung internationaler Probleme anstreben, nichts weiter sind als eine beklagenswerte Schwäche des Volkes, das sie annimmt.

In der ganzen Beweisführung steckt eine grundsätzliche und anmaßende Verneinung der Möglichkeit einer Herrschaft des Rechtes in internationalen Angelegenheiten.

Angesichts dieser allgemeinen Lehren des Buches »Mein Kampf« möchte ich den Gerichtshof bitten, die mehr ins einzelne gehenden Stellen, in denen sich Hitler speziell mit den Problemen der deutschen Außenpolitik befaßt, zu betrachten.

Auf der allerersten Seite des Buches findet sich eine bemerkenswerte Voraussage über die Nazi-Politik; sie lautet, Seite 1, erste Spalte:

»Deutsch-Österreich muß wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande, und zwar nicht aus Gründen irgendwelcher wirtschaftlicher Erwägungen heraus. Nein, nein: Auch wenn diese Vereinigung, wirtschaftlich gedacht, gleichgültig, ja selbst wenn sie schädlich wäre, sie müßte dennoch stattfinden. Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich. Das deutsche Volk besitzt solange kein moralisches Recht zu kolonial-politischer Tätigkeit, solange es nicht einmal seine eigenen Söhne in einen gemeinsamen Staat zu fassen vermag. Erst wenn des Reiches Grenze auch den letzten Deutschen umschließt, ohne mehr die Sicherheit seiner Ernährung bieten zu können, ersteht aus der Not des eigenen Volkes das moralische Recht zur Erwerbung fremden Grund und Bodens. Der Pflug ist dann das Schwert, und aus den Tränen des Krieges erwächst für die Nachwelt das tägliche Brot.«

Hitler erklärt auch klar in seinem Buch, daß die bloße Wiederherstellung der deutschen Grenzen, wie sie 1914 bestanden, für seine Zwecke vollkommen unzureichend wäre. Auf Seite 553 schreibt er:.

»Vorwegnehmen möchte ich dabei folgendes: Die Forderung nach Wiederherstellung der Grenzen des Jahres 1914 ist ein politischer Unsinn von Ausmaßen und Folgen, die ihn als Verbrechen erscheinen lassen. Ganz abgesehen davon, daß die Grenzen des Reiches im Jahre 1914 alles andere eher als logische waren. Denn sie waren in Wirklichkeit weder vollständig in Bezug auf die Zusammenfassung der Menschen deutscher Natio nalität noch vernünftig in Hinsicht auf ihre militärgeographische Zweckmäßigkeit. Sie waren nicht das Ergebnis eines überlegten politischen Handelns, sondern Augenblickgrenzen eines in keiner Weise abgeschlossenen politischen Ringens, ja zum Teil Folgen eines Zufallsspieles.«

In der weiteren Ausarbeitung seiner Nazi-Politik kündigt Hitler nicht nur den Versailler Vertrag; er möchte ein Deutschland sehen, welches eine Weltmacht mit genügend Lebensraum für ein künftiges deutsches Volk ist, von einem Umfang, den er im einzelnen nicht angibt. Im nächsten Zitat von Seite 554 lautet der erste Satz:

»Die Grenzen des Jahres 1914 bedeuten für die Zukunft der deutschen Nation gar nichts.«

Der dritte Absatz auf Seite 554 lautet:

»Demgegenüber müssen wir Nationalsozialisten unverrückbar an unserem außenpolitischen Ziele festhalten, nämlich dem deutschen Volk den ihm gebührenden Grund und Boden auf dieser Erde zu sichern. Und diese Aktion ist die einzige, die vor Gott und unserer deutschen Nachwelt einen Bluteinsatz gerechtfertigt erscheinen läßt: Vor Gott, insofern wir auf diese Welt gesetzt sind mit der Bestimmung des ewigen Kampfes um das tägliche Brot, als Wesen, denen nichts geschenkt wird, und die ihre Stellung als Herren der Erde nur der Genialität und dem Mute verdanken, mit dem sie sich diese zu erkämpfen und zu wahren wissen; vor unserer deutschen Nachwelt aber, insofern wir keines Bürgers Blut vergossen, aus dem nicht tausend andere der Nachwelt geschenkt werden. Der Grund und Boden, auf dem dereinst deutsche Bauerngeschlechter kraftvolle Söhne zeugen können, wird die Billigung des Einsatzes der Söhne von heute zulassen, die verantwortlichen Staatsmänner aber, wenn auch von der Gegenwart verfolgt, dereinst freisprechen von Blutschuld und Volksopferung.«

Dann das nächste Zitat; Hitler schreibt auf Seite 557:

»Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein. Zur Weltmacht aber braucht es jene Größe, die ihm in der heutigen Zeit die notwendige Bedeutung und seinen Bürgern das Leben gibt.«

Und schließlich schreibt er:

»Wir haben uns... wieder zur Vertretung des obersten Gesichtspunktes jeder Außenpolitik zu bekennen, nämlich: den Boden in Einklang zu bringen mit der Volkszahl. Ja wir können aus der Vergangenheit nur lernen, daß wir die Zielsetzung für unser politisches Handeln in doppelter Richtung vorzunehmen haben: Grund und Boden als Ziel unserer Außenpolitik und ein neues, weltanschaulich gefestigtes, einheitliches Fundament als Ziel politischen Handelns im Innern.«

Bei dieser Stelle aus »Mein Kampf« erhebt sich nun die Frage: Wo erwartet Hitler das Gebiet zu finden, das über die deutschen Grenzen von 1914 hinausging? Hitlers Antwort hierauf ist deutlich genug. Zurückblickend auf die Geschichte des Deutschen Reiches 1871 bis 1918, schrieb er in einer früheren Stelle in »Mein Kampf« auf Seite 132:

»Für Deutschland lag demnach die einzige Möglichkeit zur Durchführung einer gesunden Bodenpolitik nur in der Erwerbung von neuem Lande in Europa selber. Kolonien können diesem Zweck solange nicht dienen, als sie nicht zur Besiedelung mit Europäern in größtem Maße geeignet erscheinen. Auf friedlichem Wege aber waren solche Kolonialgebiete im neunzehnten Jahrhundert nicht mehr zu erlangen. Es würde mithin auch eine solche Kolonialpolitik nur auf dem Wege eines schweren Kampfes durchzuführen gewesen sein, der aber dann zweckmäßiger nicht für außereuropäische Gebiete, sondern vielmehr für Land im Heimatkontinent selbst ausgefochten worden wäre.

Ein solcher Entschluß erfordert dann freilich ungeteilte Hingabe. Es geht nicht an, mit halben Mitteln oder auch nur zögernd an eine Aufgabe heranzutreten, deren Durchführung nur unter Anspannung aber auch der letzten Energie möglich erscheint. Dann mußte auch die gesamte politische Leitung des Reiches diesem ausschließlichen Zweck huldigen; niemals durfte ein Schritt erfolgen, von anderen Erwägungen geleitet als von der Erkenntnis dieser Aufgabe und ihrer Bedingungen. Man hatte sich Klarheit zu verschaffen, daß dieses Ziel nur unter Kampf zu erreichen war, und mußte dem Waffengange dann aber auch ruhig und gefaßt ins Auge sehen.

So waren die gesamten Bündnisse ausschließlich von diesem Gesichtspunkte aus zu prüfen und ihrer Ver wertbarkeit nach zu schätzen.«

Und nun folgt der entscheidende Satz:

»Wollte man in Europa Grund und Boden, dann konnte dies im großen und ganzen nur auf Kosten Rußlands geschehen, dann mußte sich das neue Reich wieder auf der Straße der einstigen Ordensritter in Marsch setzen, um mit dem deutschen Schwert dem deutschen Pflug die Scholle, der Nation aber das tägliche Brot zu geben.«

Auf dieses Programm der Ausdehnung nach dem Osten kommt Hitler am Ende von »Mein Kampf« noch einmal zurück. Nachdem er über die unzulänglichen deutschen Vorkriegsgrenzen gesprochen hat, weist er wieder den Weg nach dem Osten und erklärt, daß der »Drang nach dem Osten« wieder aufleben müsse; er schreibt:

»Damit ziehen wir Nationalsozialisten bewußt einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit.... Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft.

Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm Untertanen Randstaaten denken.«

Hitler war klug genug, zu erkennen, daß seine Angriffspläne im Osten durch ein Defensivbündnis zwischen Rußland, Frankreich und England gefährdet werden könnten. Seine Außenpolitik, wie sie in »Mein Kampf« aufgezeigt ist, mußte daher England und Italien von Frankreich und Rußland trennen und die Haltung Deutschlands gegenüber Frankreich von der Verteidigung auf den Angriff umstellen.

Das letzte Zitat aus »Mein Kampf« stammt von Seite 570:

»Solange der ewige Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich nur in der Form einer deutschen Abwehr gegenüber französischem Angriff ausgetragen wird, wird er niemals entschieden werden, wohl aber wird Deutschland von Jahrhundert zu Jahrhundert eine Position nach der anderen verlieren. Man verfolge das Wandern der deutschen Sprachgrenze vom zwölften Jahrhundert angefangen bis heute, und man wird wohl schwerlich mehr auf den Erfolg einer Einstellung und Entwicklung bauen, die uns bisher schon soviel Schaden gebracht hat.

Erst wenn dies in Deutschland vollständig begriffen sein wird, so daß man den Lebenswillen der deutschen Nation nicht mehr in bloß passiver Abwehr verkümmern läßt, sondern zu einer endgültigen aktiven Auseinandersetzung mit Frankreich zusammenrafft und in einen letzten Entscheidungskampf mit deutscherseits größten Schlußzielen hineinwirft: erst dann wird man imstande sein, das ewige und an sich so unfruchtbare Ringen zwischen uns und Frankreich zum Abschluß zu bringen; allerdings unter der Voraussetzung, daß Deutschland in der Vernichtung Frankreichs wirklich nur ein Mittel sieht, um danach unserem Volke endlich an an derer Stelle die mögliche Ausdehnung geben zu können. Heute zählen wir 80 Millionen Deutsche in Europa. Erst dann aber wird jene Außenpolitik als richtig anerkannt werden, wenn nach kaum 100 Jahren 250 Millionen Deutsche auf diesem Kontinent leben werden, und zwar nicht zusammengepreßt als Fabrikkulis der anderen Welt, sondern: als Bauern, und Arbeiter, die sich durch ihr Schaffen gegenseitig das Leben gewähren.«

Ich bin daher der Ansicht, daß, ganz abgesehen von dem dem Gerichtshof schon vorgelegten Beweismaterial, die in »Mein Kampf« enthaltenen Beweise zusammen mit den Handlungen Nazi-Deutschlands gegen andere Länder zeigen, daß Hitler und seine Kumpane, die Angeklagten, vom ersten Augenblick an, da sie die Macht an sich gerissen hatten und in Wirklichkeit schon lange vorher einen Angriffskrieg planten und vorbereiteten, wie er ihnen in der Anklageschrift zur Last gelegt ist.

Die Ereignisse haben mit dem Blut und dem Elend von Millionen von Männern und Frauen und Kindern bewiesen, daß »Mein Kampf« nicht nur eine literarische Übung war, die mit lässiger Gleichgültigkeit zu behandeln war, wie es vor dem Kriege die Bedrohten leider getan haben; es war vielmehr der Ausdruck eines fanatischen Glaubens an die Gewalt und den Betrug als Mittel für die Nazi-Herrschaft über ganz Europa, wenn nicht über die ganze Welt. Die Anklagebehörde ist der Ansicht, daß die angeklagten Nazi- Mitschuldigen, die sich die Dschungelphilosophie von »Mein Kampf« zu eigen machten und verbreiteten, unsere Zivilisation wissentlich in den Abgrund des Krieges gestoßen haben.

VORSITZENDER: Das Gericht wird sich für zehn Minuten vertagen.