[Pause von 10 Minuten.]
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Die Anklagebehörde wird nun die Fälle der einzelnen Angeklagten unter Punkt 1 und 2 der Anklageschrift vortragen. Bevor ich damit beginne, haben die Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten und Großbritanniens den Wunsch, die folgenden vier Punkte mit Erlaubnis des Gerichtshofs völlig klarzustellen:
Zweck dieser Darlegungen ist es, im Interesse erstens des Gerichtshofs und zweitens der in Betracht kommenden Verteidiger, dasjenige Beweismaterial gegen jeden Angeklagten unter Punkt 1 und 2 zusammenzufassen, das von der Amerikanischen und Britischen Delegation vorgelegt worden ist. Es wäre sonst leicht möglich, daß unter den vielen dem Gerichtshof bereits vorliegenden Dokumenten wichtige Beweisstücke übersehen werden, welche der Gerichtshof in Erwägung ziehen, und auf welche die Angeklagten erwidern möchten.
Dies bedeutet nicht, daß der Fall dieser Angeklagten irgendwie abgeschlossen ist. Entscheidende und wichtige Teile des Falles, die sich auf die eigentlichen Grausamkeiten, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beziehen, bleiben offen. Das Beweismaterial hierfür wird in Kürze von der Französischen Delegation und der Delegation der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken vorgelegt werden. Wenn der massive Urkundenbeweis dieser Verbrechen vor dem Gerichtshof erfolgt ist, werden die Französische und Sowjetische Delegation Gelegenheit haben, ihn mit den einzelnen Angeklagten auf der Anklagebank in Zusammenhang zu bringen.
Es ist der Wunsch aller Hauptanklagevertreter gewesen, das Beweismaterial so klar wie möglich nach den verschiedenen Punkten der Anklageschrift abzugrenzen. Die beweiserheblichen Dokumente wurden jedoch nicht für diesen Prozeß geschrieben; viele von ihnen beziehen sich daher unvermeidlich auf Verbrechen, die unter mehr als einen Punkt der Anklage fallen. Daraus allein erklärt sich, daß einiges ineinander übergreift und Wiederholungen notwendig sind.
Es ist auch möglich, daß während des französischen und russischen Anklagevortrags Dokumente zum Vorschein kommen, die sich auf den allgemeinen Plan oder die Einleitung von Angriffskriegen oder auf anderes Material in Verbindung mit Punkt 1 und 2 beziehen. Die Amerikanische und Britische Delegation werden jeden zusätzlichen Beweis, den solche Dokumente für diese Teile des Falles erbringen könnten, willkommen heißen und eine solche Bestätigung durch ihre französischen und sowjetischen Kollegen gern entgegennehmen.
Ich bin dem Gerichtshof sehr dankbar, daß ich diese Erklärung abgeben durfte und bitte nun meinen Freund, Herrn Albrecht, mit diesem Teil des Falles zu beginnen.
DR. THOMA: Der Herr Oberst Wheeler hat in seiner Anklage, betreffend die Unterdrückung der christlichen Kirchen für das Ostgebiet auch den Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, den Angeklagten Rosenberg, genannt und verantwortlich gemacht. Ich habe aber weder aus dem Vortrag des Herrn Anklagevertreters noch aus dem Dokumentenbuch Beweise dafür entnehmen können, daß auch in den von Herrn Rosenberg verwalteten Gebieten solche Kirchenverfolgungen vorgekommen sind. Vielmehr bitte ich die Aufmerksamkeit des Gerichts auf das Dokument 1517-PS hinweisen zu dürfen, in welchem eine Aktennotiz, unterzeichnet von Rosenberg, über Besprechung von Ostfragen angegeben ist. In diesem Dokument ist folgende Äußerung Rosenbergs enthalten: Der Führer stimmte dem Toleranzedikt Rosenbergs zu.
VORSITZENDER: Verstehe ich Sie richtig, daß Sie in diesem Verfahrensabschnitt einen Antrag stellen wollen?
DR. THOMA: Ich habe eine Bitte an den Herrn Anklagevertreter, womöglich seinen Vorwurf gegen den Angeklagten Rosenberg noch nachträglich zu begründen.
VORSITZENDER: Wollen Sie geltend machen, daß Dokument 1517-PS noch nicht vorgelegt worden ist, oder was meinen Sie sonst?
DR. THOMA: Meines Wissens ist dieses Dokument schon einmal vorgelegt worden, und zwar im Zusammenhang mit der Meinung Hitlers, daß die Krim- Frage völlig zu bereinigen sei. Aber in meinem gegenwärtigen Antrag handelt es sich darum, daß der Anklagevertreter behauptet hat, sowohl im Generalgouvernement Polen als auch Warthegau, wie in den Ostländern, wie in den vom Angeklagten Rosenberg verwalteten Ostgebieten seien Kirchenverfolgungen vorgekommen. Der Herr Anklagevertreter hat bezüglich der drei ersten Territorien Unterlagen vorgebracht. Bezüglich des letzten Territoriums habe ich keine solchen Unterlagen, weder im Dokumentenbuch noch in den persönlichen Ausführungen des Herrn Anklagevertreters entnehmen können.
VORSITZENDER: Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß der Gerichtshof zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles, was die Anklagebehörde vorgebracht hat, als erwiesen annimmt. Sie werden ausreichende Gelegenheit haben, wenn Sie den Fall im Namen des Angeklagten Rosenberg vortragen, jedes erhebliche Dokument vorzulegen, zu jedem von der Anklagebehörde zitierten Dokumente Stellung zu nehmen und jedes Ihnen richtig erscheinende Argument vorzubringen; dies ist jedoch nicht der geeignete Zeitpunkt für solche Erörterungen. Vorläufig hören wir noch die Anklagebehörde zu diesem Fall, und Sie werden hiernach ausreichend Gelegenheit haben.
Ist Ihnen das klar?
DR. THOMA: Ich bitte das Hohe Gericht, dann meine gegenwärtigen Erklärungen als eine Feststellung aufzufassen.
VORSITZENDER: Wir werden dies tun. Es ist jedoch nicht angebracht, daß die Verteidiger sich mit Erklärungen dieser Art einmischen; sonst könnte jeder einzelne Verteidiger jederzeit dasselbe tun. Wir müssen Sie deshalb bitten, derartige Erklärungen zurückzustellen, bis Sie an die Reihe kommen, den Darlegungen der Anklagebehörde zu entgegnen.
MR. RALPH G. ALBRECHT, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Ich bin von dem Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten beauftragt, auf Grund des schon zugelassenen und des noch vorzulegenden Beweismaterials die persönliche Verantwortlichkeit einiger dieser Angeklagten für die unter Punkt 1 und 2 der Anklageschrift aufgeführten Verbrechen darzulegen.
Als sich diese Angeklagten entschlossen, alles, was sich in Deutschland als gut erwiesen hatte, aufzugeben und sie positiv an der Verwirklichung der Parteiziele mitarbeiteten, wußten sie unseres Erachtens genau, was der Nationalsozialismus darstellte. Sie kannten sowohl das von der Partei verkündete Programm als auch die Nazi-Methoden. Das amtliche NSDAP-Programm mit seinen 25 Punkten war allgemein bekannt. Es wurde der Welt im Jahre 1920 verkündet und immer und immer wieder all die Jahre hindurch veröffentlicht und darauf hingewiesen. Die Nazis verheimlichten nicht ihre Absichten, ihr Parteiprogramm zum Grundgesetz des Deutschen Staates zu machen. Sie machten auch allgemein aus ihren Absichten keinen Hehl. Alle konnten das Buch »Mein Kampf«, das Produkt des verschrobenen Gehirns des Führers, lesen, und es gab zahlreiche Schritten und Äußerungen vieler anderer prominent gewordener Führer, von denen einige nicht hier auf der Anklagebank sitzen. Auch Hitler selbst hatte erklärt, daß, falls es notwendig wäre, die Nazis zur Verwirklichung ihrer Ziele Gewalt anwenden würden.
Unter diesen Verschwörern waren es die Angeklagten Heß, Rosenberg und Göring, die mit Hitler schon seit Anbeginn der Verschwörung verbunden waren. Diese Männer gehörten zu denen, die die Urpläne entworfen hatten. Sie waren die Männer, die später Schrittmacher waren und die Zukunft formten. Es gab jedoch auch noch andere Verschwörer – die Mehrzahl der Angeklagten auf der Anklagebank gehört in die Kategorie –, die sich später freiwillig der Verschwörung zugesellten.
Wenn diese Männer auch als grausam, gewissenlos und unmenschlich gekennzeichnet werden mögen, als einfältig oder dumm kann man sie auf keinen Fall bezeichnen. Sie hatten Gelegenheit, die Auswirkungen der Nazi-Gewalt und der Nazi-Methoden zu beobachten, als sich das Zeichen des Hakenkreuzes durchsetzte, und sie kannten sie. Sie wußten auch genau, in was sie hineingerieten. Man muß daher annehmen, daß es ihr Wille war, daran mitzuwirken, und sie nahmen freiwillig daran teil; deshalb behaupten wir, es kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, daß sie sich dem Flusse der Verschwörung nicht mit offenen, sehenden Augen einfügten, als die Verschwörung an Stärke zunahm und zu einem rasenden Strom anschwoll.
Der Gerichtshof hat bereits zahlreiches Beweismaterial über die offenkundigen Taten der Angeklagten und ihrer Mitverschwörer zugelassen. Wir werden uns nicht bemühen, jetzt eine erschöpfende Darstellung aller von diesen Angeklagten geplanten oder eingeleiteten Verbrechen zu geben, für die sie über jeden Zweifel hinaus die volle Verantwortung tragen müssen. Die Welt weiß bereits mehr von den teuflischen Taten dieser Männer und ihrer Mitverschwörer als die Anklagebehörde hoffen kann, in annehmbarer Zeit und in Grenzen menschlicher Geduld darzulegen. Wir werden jetzt versuchen, die Aufmerksamkeit nur für das markante verbrecherische Verhalten der einzelnen Verschwörer zu beanspruchen.
Es liegt, wie wir glauben, im Interesse des Verfahrens, wenn wir mit Genehmigung des Gerichtshofs nur in groben Linien das Ausmaß, in dem diese Angeklagten in die ihnen zur Last gelegten schweren Verbrechen verwickelt waren, darzustellen beabsichtigen. Bei vielen dieser Verschwörer wird sich die Darlegung ihrer Verbrechen auf mehrere Arten der unter Punkt 1 und 2 der Anklageschrift beschriebenen Verbrechen erstrecken. Wir werden alle diese verschiedenen Fäden zusammenziehen und, wie schon gesagt, aufzeigen, in welchem Umfang das vollständige Beweismaterial zu Punkt 1 der Anklageschrift gegen die einzelnen Verschwörer wirkt.
Ich werde daher für die Vereinigten Staaten aufzuzeigen beginnen, wie sich einige dieser Angeklagten in den breiten Strom des gemeinsamen Planes oder der Verschwörung, Angriffskriege durchzuführen, einfügten, und in welchem Maße sie für ihre Taten bei der Durchführung dieser Verschwörung persönlich verantwortlich sind.
Zunächst erwähnen wir den verstorbenen Angeklagten Robert Ley, der durch Zuflucht zum Selbstmord aller Strafe für seine Teilnahme an der Verschwörung entgangen ist.
Dann weisen wir auf Gustav Krupp von Bohlen und Halbach hin, gegen den das Verfahren abgetrennt worden ist.
Nichtsdestoweniger muß festgestellt werden, daß der Urkundenbeweis, der bereits geführt wurde und noch geführt werden wird, die Behauptungen der Anklageschrift stützt, die sowohl Ley als auch Krupp als Mitverschwörer einschließt; für deren Verbrechen müssen die übrigen Angeklagten ebenfalls die Mitverantwortung tragen.
Als nächsten betrachten wir den Angeklagten Fritz Sauckel. Der Fall gegen Sauckel ist vollständig vorgetragen und stützt sich auf eine Unmasse von belastendem Beweismaterial, das von meinem gelehrten Kollegen, Herrn Dodd, bei seinem Vortrag über den Fall Sklavenarbeit unterbreitet worden ist. Nach unserer Meinung ist es nicht nötig, weiteres im Falle Sauckel hinzuzufügen, um zu beweisen, wie vollständig er seinen Platz im Strom der Verschwörung ausfüllte.
Der nächste Angeklagte, dem ich mich zuwende, ist Albert Speer. Wie sein Mitverschwörer Sauckel ist Speer stark in die Verschwörung verwickelt, und vieles von seinem Fall ist von Herrn Dodd im Fall der Sklavenarbeit vorgetragen worden. Anders jedoch als bei Sauckel ging die verbrecherische Tätigkeit Speers weit über den Rahmen der Sklavenarbeit hinaus. Er war einer der führenden Köpfe bei der Planung einer systematischen Beraubung und Ausbeutung der Länder, die von der deutschen Kriegsmaschine überrannt wurden. Urkundliches Beweismaterial über die Teilnahme Speers an der Ausbeutung der Länder in Westeuropa und der besetzten Ostgebiete wird später durch unsere gelehrten Kollegen, den Hauptanklagevertreter der Sowjetunion und die französischen Hauptanklagevertreter, bei der Behandlung der restlichen Anklagepunkte vorgelegt werden. Das ist im wesentlichen der Tatbestand, der beweist, daß Speer Mitglied der Verschwörung war.
Es gibt jedoch ein weiteres Beweisstück, das ich gern schon jetzt vorlegen möchte. Wir haben es vor wenigen Tagen aus der Ministerial-Dokumentensammelstelle in Kassel erhalten; es ist ein Aktenheft das über den Angeklagten Speer im Amt des Reichsführer-SS geführt wurde. Ich lege dieses Aktenheft als Beweisstück US-575 vor. Es ist unser Dokument 3568-PS, aus dem ich verlesen werde. Ich werde aus dem Brief vom 25. Juli 1942 den zweiten Absatz zitieren:
»Reichsminister Speer wurde auf Anordnung des Reichsführer-SS mit Wirkung vom 20. Juli 1942 unter der SS-nummer 46104 als SS-Mann im Persönlichen Stab Reichsführer-SS aufgenommen.«
Das ist alles, was ich aus diesem Brief zu verlesen brauche. Ich möchte jedoch den Gerichtshof auf die beiliegende Urkunde aufmerksam machen; es ist ein Fragebogen, und gleich am Anfang desselben ist verzeichnet, daß Albert Speer seit dem Herbst 1932 Mitglied der SS und seine Mitgliedsnummer in der Partei 474481 war.
Ich wende mich nun dem Angeklagten Ernst Kaltenbrunner zu, dessen Fall bereits vollständig in Verbindung mit dem Fall gegen die Gestapo und den Sicherheitsdienst als verbrecherische Organisationen vorgetragen wurde. Wir sind der Ansicht, daß wir nichts mehr vorzulegen brauchen, um zu beweisen, wie vollständig dieser Feind seines eigenen Vaterlandes Österreich von dem Strom der Verschwörung mitgeschleppt wurde.
Wir wenden uns nun dem Fall des vielleicht wichtigsten Verschwörers vor diesem Gerichtshof zu; es ist der Nazi Nummer 2, der Nazi, der gleich nach dem Führer kam, der Nazi, der in mancher Hinsicht sogar gefährlicher als der Führer und andere führende Männer der Partei war.
Wir behaupten, daß er gefährlicher war, weil dieser Verschwörer, anders als führende Nazis einschließlich Hitlers, die bis zur Machtübernahme im Jahre 1933 moralisch und sozial nicht zur höheren Gesellschaft zählten, bekanntlich aus guter Familie stammte, die in der Vergangenheit Offiziere für die Armee und führende Beamte für den Staat hervorgebracht hatte. Außerdem besaß er eine gute Erscheinung, ein verbindliches Benehmen und eine gewisse Leutseligkeit. Aber all diese Eigenschaften seines Charakters waren trügerisch, denn sie halfen nur, das stählerne Herz dieses Mannes, seine Rachsucht, seine Grausamkeit, seinen Trieb zur Selbstanbetung, Selbstverherrlichung und Macht zu verbergen.
Dieser Mann war fernerhin am allergefährlichsten, weil er mit Hilfe dieser äußeren Eigenschaften, auf die ich aufmerksam gemacht habe, und die er bis zu einem gewissen Grade hier vor dem Gerichtshof bereits zur Schau getragen hat, die Vertreter ausländischer Staaten täuschte; diese aber suchten gerade von ihm die wahren Absichten des Nazi-Staates zu erfahren, der durch die wiederholten Verhöhnungen seiner internationalen Verpflichtungen die Ruhe der Welt seit 1933 so ernstlich gestört hatte.
Ich glaube, das Sitzungsprotokoll wird erweisen, wie während der ersten Stadien dieses Prozesses, das heißt also vor der Vorlage des zu grausigen und fast unglaublichen Beweismaterials durch die Anklagebehörde viele der liebenswürdigen Eigenschaften dieses Verschwörers, sein immer bereites Lächeln und seine einnehmende Art in diesem Gerichtssaal täglich in Erscheinung traten. Seine bereitwillige Zustimmung durch ein freundliches, von allen wahrnehmbares Nicken, zur Richtigkeit von Feststellungen oder zum Inhalt einer von dem Ankläger vorgelegten Urkunde, sein vorwurfsvolles Kopfschütteln, wenn er mit dem Vorgebrachten nicht einverstanden war, sind allgemein bekannt.
VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß der Gerichtshof hieran interessiert ist, Herr Albrecht.
MR. ALBRECHT: Ich werde dann mit Erlaubnis des Gerichtshofs zum Beweisvortrag übergehen und einen Bericht über gewisse Tatsachen geben, die durch die vorgelegten Dokumente bereits bewiesen sind. Falls es nicht verlangt wird, werde ich mit Erlaubnis des Gerichtshofs die Nummern der Beweisstücke oder Zitate des alten Beweismaterials, auf das ich Bezug nehmen werde, nicht erwähnen. Diese sind in dem schon verteilten Schriftsatz angegeben.
Auf diesen Tatsachenbericht aufbauend, der alles Wesentliche aus dem bereits Vorgetragenen enthält und die Mitschuld des Angeklagten Göring zeigt, werden wir gewisses zusätzliches Dokumentenmaterial vorlegen, das unseres Erachtens notwendig ist, um Görings Verbindung und Verantwortlichkeit für gewisse Teile der Verschwörung darzulegen.
Ich hätte schon früher erklären sollen, meine Herren Richter, daß drei Bände Dokumentenbücher mit der Bezeichnung »DD« verteilt worden sind und Ihnen jetzt vorliegen, die im wesentlichen alle, sowohl neue als auch alte Dokumente enthalten, die sich auf die persönliche Verantwortlichkeit dieses Angeklagten beziehen.
Zunächst werden wir uns mit der persönlichen Verantwortung dieses Verschwörers für Verbrechen gegen den Frieden beschäftigen. Diese Verbrechen schließen Görings Teilnahme an der Übernahme und Stärkung der Macht in Deutschland sowie die wirtschaftlichen und militärischen Vorbereitungen für den Krieg und die Durchführung des Angriffskriegs ein.
Während mehr als zwei Jahrzehnten erstreckte sich Görings Tätigkeit auf fast alle Gebiete der Verschwörung. Er war einer der Verschwörer, die mit Hitler von Anfang an verbunden waren. Er war Parteimitglied seit 1922 und nahm am Münchener Putsch vom November 1923 an der Spitze der SA teil, einer Nazi- Organisation, die sich erwiesenermaßen auf Gewaltanwendung stützte.
Göring flüchtete nach diesem Putsch außer Landes, um sich der Verhaftung zu entziehen. Nach seiner Rückkehr wurde er mehr als nur ein Befehlshaber von Straßenkämpfern. Er wurde als Hitlers erster politischer Helfer eingesetzt. Um den Mann richtig zu beurteilen, muß man in einem bereits vorgelegten Beweisstück, nämlich Gritzbachs offizieller Biographie von Göring nachlesen, in der über seinen Umgang mit der Regierung Brüning, über seine Anstrengungen, die Barriere um den Präsidenten von Hindenburg niederzubrechen, sowie über seinen Coup als Reichstagspräsident im September 1932, als er ein Mißtrauensvotum gegen die Regierung von Papen kurz vor der Auflösung des Reichstags zustande brachte, berichtet wird.
Görings Schriften zeigen, daß er für seine Bemühungen, die Sache der Partei zu fördern, rückhaltlose Anerkennung verlangte. In der Tat wurde ihm auch von Hitler volle Anerkennung gezollt, und Göring rühmte sich, daß kein Titel und keine Orden ihn so stolz machen konnten, als die Bezeichnung, die ihm das deutsche Volk gegeben hatte, nämlich, und ich zitiere »der treueste Paladin unseres Führers«. Dieses kurze Zitat stammt aus Dokument 2324-PS, US-233.
Mit der Machtübernahme durch die Nazis im Januar 1933 wurde Göring Innenminister und Ministerpräsident von Preußen. In dieser Eigenschaft ging er sofort daran, eine Schreckensherrschaft in Preußen einzurichten, um jeden Widerstand gegen das Nazi- Programm zu unterdrücken.
Sein Hauptwerkzeug in diesem Zusammenhang war die preußische Polizei, die ihm bis 1936 unterstellt blieb. Schon im Februar 1933 befahl er der gesamten Polizei, den halbmilitärischen Organisationen, wie der SA und SS, die die neue Regierung unterstützten, uneingeschränkte Hilfe zuteil werden zu lassen, und alle politischen Gegner, falls notwendig, mit Waffengewalt und ohne Rücksicht auf die Folgen zu vernichten. Der Gerichtshof wird von den Anweisungen vom 10. und 17. Februar 1933 amtlich Kenntnis nehmen; sie sind auf Seite 7 unseres Schriftsatzes angeführt und sind in einer Sammlung von Erlassen, bekannt als »Ministerialblatt für die Preußische Innere Verwaltung«, Jahrgang 1933, erschienen.
Göring hat oft und stolz seine persönliche Verantwortlichkeit für Verbrechen, die auf Grund derartiger Befehle begangen wurden, zugegeben, und ich erinnere an seine Worte, die er vor Tausenden seiner deutschen Volksgenossen sprach:
»Jede Kugel, die jetzt aus dem Laufe einer Polizeipistole geht, ist meine Kugel. Wenn man das Mord nennt, dann habe ich gemordet, das alles habe ich befohlen, ich decke das, ich trage die Verantwortung dafür und habe mich nicht zu scheuen.«
Dieses Zitat stammt aus unserem Beweisstück US- 233, das schon als Beweismaterial vorliegt, unser Dokument 2324-PS.
Kurz nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten in Preußen begann Göring im Verfolg der Verschwörung, die Gestapo oder Geheime Staatspolizei zu entwickeln. Die Einzelheiten dieser Terrororganisation wurden dem Gerichtshof bereits von meinem gelehrten Kollegen, Oberst Storey, vorgetragen. Schon am 26. April 1933 unterschrieb er das erste Gesetz, das offiziell die Gestapo in Preußen errichtete. In einem von ihm selbst unterschriebenen Erlaß bezeichnete er sich als Ministerpräsident und Chef der Preußischen Geheimen Staatspolizei.
Göring war zweifellos ein erfolgreicher Verschwörer. Er beeilte sich, die Macht der Partei im Lande zu festigen. Bereits im Frühjahr 1933 wurden in Preußen Konzentrationslager errichtet. Männer und Frauen, sogenannte »Marxisten« und andere politische Gegner, wurden von der Gestapo verhaftet und ohne Prozeß in Konzentrationslager geworfen. Göring sagte: »Mit ganzer Rücksichtslosigkeit mußte gegen diese Staatsfeinde vorgegangen werden.« Diese Erklärung erscheint in unserem Dokument 2324-PS, das bereits als Beweisstück US-233 eingereicht worden ist.
Der Umfang politischen Terrors unter seiner Führung war beinahe grenzenlos. Ein Blick auf ein paar seiner Polizeierlasse in diesen frühen Tagen läßt den Umfang und die Gründlichkeit erkennen, mit der jede Gegenstimme zum Schweigen gebracht wurde. Ich bitte den Gerichtshof, von einigen dieser Erlasse amtlich Kenntnis zu nehmen; sie erscheinen in der gleichen Sammlung, dem »Ministerialblatt für die Preußische Innere Verwaltung«, die ich kurz zuvor erwähnt habe. Wir haben diese Erlasse auf Seite 9 und 10 unseres Schriftsatzes angeführt. Sie beziehen sich auf den Runderlaß vom 22. Juni 1933, der alle Beamten aufforderte, auf Äußerungen von Angestellten zu achten und dem Angeklagten Göring diejenigen zu melden, welche abfällige Bemerkungen machten. Das Unterlassen solcher Anzeigen sollte als Beweis einer feindlichen Einstellung betrachtet werden. Der Runderlaß vom 23. Juni 1933 unterdrückte jede Tätigkeit der Sozialdemokratischen Partei einschließlich Versammlungen und Partei-Presse und ordnete die Beschlagnahme ihres Eigentums an. Der Runderlaß vom 30. Juni 1933 wies die Gestapo-Behörden an, den Treuhändern der Arbeit über die politische Einstellung der Arbeiter zu berichten. Der Erlaß vom 15. Januar 1934 wies die Gestapo und die Grenzpolizei an, die Spur von Auswanderern, insbesondere politischen Auswanderern und Juden, die in Nachbarländern wohnten, zu verfolgen und sie zu verhaften und in Konzentrationslager zu bringen, falls sie nach Deutschland zurückkehrten.
Die Grausamkeit Görings wird weiterhin durch eine wohlbekannte blutige Episode beleuchtet. Nach der Vernichtung der oppositionellen Kräfte sahen sich die Nazis gezwungen, sich derjenigen in ihren eigenen Reihen zu entledigen, die sich nicht fügen wollten. Dies wurde bei der sogenannten Röhm-Säuberungsaktion vom 30. Juni 1934 bewerkstelligt. Der Angeklagte Frick, selbst ein Hauptverschwörer, stellte in diesem Zusammenhang in einer eidesstattlichen Erklärung fest, daß viele ermordet wurden, die nichts mit der inneren SA-Revolte zu tun hatten, die aber »gerade nicht beliebt waren«.
Görings Rolle in dieser schmutzigen Angelegenheit wurde weniger als zwei Wochen nach dem Ereignis durch Hitler in einer Rede vor dem Reichstag bekanntgegeben; ich möchte als US-576 unser Dokument 3442-PS vorlegen, das die Rede Hitlers vom 13. Juli 1934 vor dem Reichstag enthält. Sie ist in der Zeitschrift »Das Archiv«, Band 4, auf Seite 505, abgedruckt. Ich zitiere:
»Ministerpräsident Göring hatte unterdes von mir schon vorher den Auftrag bekommen, im Falle der Aktion der Reinigung seinerseits sofort die analogen Maßnahmen in Berlin und Preußen zu treffen. Er hat mit eiserner Faust den Angriff auf den nationalsozialistischen Staat niedergeschlagen, ehe er zur Entwicklung kam.«
Bei der Machtübernahme der Nazis übernahm Göring sofort eine Anzahl der höchsten und einflußreichsten Stellungen auch im Reich. Das schon vorgelegte Beweismaterial über die Zusammensetzung und die Aufgaben des Reichskabinetts und die Ämter Görings zeigt, daß er tatsächlich der wichtigste Vollzugsbeamte im Nazi-Staat war.
Er war Mitglied des Reichstags seit 1928 und dessen Präsident seit 1932; er war von Anfang an Mitglied des Kabinetts als Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Kurz danach erhielt er den Geschäftsbereich eines Reichsministers für Luftfahrt. Als das Kabinett in einer seiner ersten Sitzungen das schwebende Ermächtigungsgesetz besprach, welches ihm ein vollständiges Gesetzgebungsrecht gab, schlug er vor, daß die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit dadurch erreicht werden könnte, daß man den sozialdemokratischen Abgeordneten einfach den Zutritt verweigere. Ich lege als US-578 unser Dokument 2962-PS vor, welches die Niederschrift dieser Sitzung enthält. Ich möchte den Gerichtshof bitten, davon Kenntnis zu nehmen, daß diese Sitzung am 15. März 1933 stattfand, und daß außer dem Angeklagten Göring die Angeklagten von Papen, von Neurath, Frick und Funk anwesend waren. Ich lese von Seite 6 dieses Dokuments:
»Reichsminister Göring gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß das Ermächtigungsgesetz mit der erforderli chen 2/3 Mehrheit angenommen werden würde. Eventuell könne man die Mehrheit dadurch erreichen, daß einige Sozialdemokraten aus dem Saal verwiesen würden. Möglicherweise werde jedoch die Sozialdemokratie bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz sich der Stimme enthalten...«
Mit der Demaskierung einer geheimen Luftwaffe im Jahre 1935 wurde Göring ihr Oberbefehlshaber. Er saß als Mitglied und Stellvertreter des Führers im Reichsverteidigungsrat, der durch Geheimgesetz vom 21. Mai 1933 geschaffen wurde. Der Zweck dieses Rates war, wie von dem Angeklagten Frick in einer bereits vorgelegten eidesstattlichen Erklärung angegeben wurde, ich zitiere:
»Kriegsvorbereitungen und Kriegsverordnungen zu planen, die später von dem Ministerrat für die Reichsverteidigung veröffentlicht würden.«
Seine Übernahme einer immer größeren Verantwortlichkeit schien grenzenlos. Im Jahre 1936 wurde Göring zum Beauftragten für den Vierjahresplan ernannt; damit erhielt er ein vollständiges Gesetzgebungsrecht und umfassende Verwaltungsbefugnisse über das gesamte deutsche Wirtschaftsleben. Im Jahre 1938 wurde er Mitglied des Geheimen Kabinettsrats, der zur »Beratung in der Führung der Außenpolitik« eingesetzt war.
Der Ministerrat für die Reichsverteidigung, der im Jahre 1939 geschaffen wurde, übernahm tatsächlich alle Gesetzgebungsmacht des Kabinetts, soweit sie nicht schon anderen Stellen übertragen war, und Göring wurde sein Vorsitzender.
Seine wirksamen und rücksichtslosen Dienste wurden von Hitler im Jahre 1939 anerkannt, als er Göring zu seinem Nachfolger bestimmte, als rechtmäßigen Erben für die »Neue Ordnung«.
Im April 1936 wurde Göring zum Beauftragten für Rohstoff- und Devisenfragen ernannt und ermächtigt, jede Tätigkeit des Staates und der Partei auf diesem Gebiete zu überwachen. Zum Beweis dieser Tatsache lege ich als US-577 unser Dokument 2827-PS vor, einen Auszug aus Rühle »Das Dritte Reich«. Ich verlese den vierten Absatz des Auszuges, Hoher Gerichtshof, einen Auszug aus einem von Hitler gezeichneten Erlaß; er lautet wie folgt:
»Ministerpräsident Generaloberst Göring trifft die zur Erfüllung der ihm gestellten Aufgabe erforderlichen Maßnahmen und hat soweit die Befugnis zum Erlaß von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Er ist berechtigt, alle Behörden, einschließlich der obersten Reichsbehörden, und alle Dienststellen der Partei, ihrer Gliederungen und der ihr angeschlossenen Verbände zu hören und mit Weisungen zu versehen.«
In dieser Eigenschaft berief Göring den Kriegsminister, den Angeklagten Schacht als Wirtschaftsminister und Präsidenten der Reichsbank sowie den Reichsfinanzminister und den preußischen Finanzminister zusammen, um mit ihnen Probleme der Kriegsvorbereitung, die mehrere Ressorts berührten, zu besprechen. In einer Besprechung dieser Gruppe am 12. Mai 1936 entschied Göring, als die Frage der ungeheuren Kosten synthetischer Ersatzstoffe für Rohmaterialien aufgeworfen wurde:
»Wenn wir morgen Krieg haben, so müssen wir durch Ersatzstoffe uns helfen. Dann wird Geld keine Rolle spielen. Wenn das so ist, müssen wir auch bereit sein, im Frieden die Voraussetzungen dafür zu schaffen.«
Einige Tage später, am 27. Mai 1936, widersetzte sich Göring bei einer Besprechung derselben Gruppe jeglicher Einschränkung durch eine orthodoxe Finanzpolitik. Er erklärte:
»Alle Maßnahmen sind vom Standpunkt der gesicherten Kriegsführung aus zu betrachten.«
Der wohlbekannte Vierjahresplan wurde von Hitler auf dem Nürnberger Parteitag im Jahre 1936 verkündet. Göring wurde zum Beauftragten für die Durchführung dieses Programms ernannt, das eine nationale Autarkie schaffen sollte. Weiterhin bemerkte Göring im Jahre 1936, daß es seine Hauptaufgabe als Beauftragter wäre, »die gesamte Wirtschaft in 4 Jahren kriegsbereit zu stellen«. Ich möchte als Beweisstück US-579 unser Dokument EC-408 vorlegen; ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf diese Vortragsnotiz der Abteilung Landesverteidigung der Wehrmacht vom 30. Dezember 1936 lenken, die die Überschrift trägt: »Vortragsnotiz über Vierjahresplan und Vorbereitung der Kriegswirtschaft«. Im dritten Absatz der Übersetzung, auf Seite 2, in der Mitte des dritten Absatzes des deutschen Textes, findet sich folgende Erklärung in der Niederschrift der Vortragsnotiz:
»Ministerpräsident Generaloberst Göring, als Beauftragter für den Vierjahresplan durch die Ermächtigung des Führers und Reichskanzlers vom 18. Oktober 1936: Kriegswirtschaftlich gesehen, faßt Ministerpräsident Generaloberst Göring seinen Auftrag so auf, daß er ›die gesamte Wirtschaft in 4 Jahren kriegsbereit zu stellen habe‹.«
Das Beweisstück, aus dem ich soeben verlesen habe, ist wegen eines anderen Dokuments von Interesse, auf welches die Anklagebehörde soeben aufmerksam gemacht wurde. Es handelt sich um einen Aktenvermerk vom 2. Dezember 1936, der handschriftlich auf einen Briefbogen des »Ministerpräsidenten Generaloberst Göring« von Oberst Bodenschatz, dem Chef des Stabsamtes Görings, geschrieben ist. Ich lege diesen Aktenvermerk als Beweisstück US-580 vor. Es handelt sich um unser Dokument 3474-PS, und ich weise den Gerichtshof besonders darauf hin, daß das Dokument das Datum des 2. Dezembers 1936 trägt. Es war anscheinend eine Besprechung, bei der alle höheren Offiziere und Generale der deutschen Luftwaffe zusammentrafen. Außer dem Angeklagten Göring waren die Generale Milch, Kesselring, Rüdel, Stumpf, Christiansen und alle höheren Befehlshaber der Luftwaffe anwesend. Ich lese:
»Weltpresse regt sich auf über Landung von 5000 Mann deutscher Freiwilliger in Spanien. England beschwert sich offiziell und nimmt Verbindung mit Frankreich auf.
Italien schlägt vor, daß Deutschland und Italien je eine Division Erdtruppen nach Spanien schicken. Es ist aber notwendig, daß Italien als interessierte Mittelmeermacht vorher eine politische Erklärung abgibt. Eine Entscheidung ist erst in einigen Tagen zu erwarten.
Die allgemeine Lage ist sehr ernst. Rußland will den Krieg. England rüstet sehr stark auf. Also Befehl: Von heute ab ›höchste Einsatzbereitschaft‹.«
Augenscheinlich fand der Übersetzer keine passende Übertragung für die Worte »höchste Einsatzbereitschaft«.
»Keine Rücksicht auf finanzielle Schwierigkeiten. Generaloberst übernimmt volle Verantwortung.
Erwünscht ist Ruhe bis 1941.
Wir können aber nicht wissen, ob schon vorher Verwicklungen kommen. Wir befinden uns bereits im Kriege, nur wurde noch nicht geschossen.«
VORSITZENDER: Dies würde vielleicht eine günstige Zeit zu einer Verhandlungspause sein.