HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Kurze Beratung des Gerichts.]

VORSITZENDER: Ich ersuche den Verteidiger, der soeben sprach, aufzustehen. Es wird mir mitgeteilt, daß der Grund für die Verzögerung in dem von Ihnen erwähnten Fall auf einem Irrtum in der Seitennumerierung beruhte, und daß deshalb die Übertragung dieses kurzschriftlichen Protokolls wiederholt werden mußte. Mir wird gesagt, daß die Verzögerung normalerweise nicht annähernd so lang ist wie in diesem Fall.

RA. BOEHM: Ich glaube kaum, daß diese Verzögerung sich darauf beziehen konnte, soweit die Übersetzung des Dokumentenbuchs in Frage kommt. Selbst wenn diese Verzögerung hier bezüglich der Sitzungsprotokolle berechtigt sein sollte, dann wäre ich in jedem Fall, von Woche zu Woche in meiner Verteidigung beschränkt. Ich weiß nicht am Tage vorher, was vorgetragen wird; ich weiß wochenlang nachher nicht, was vorgetragen worden ist. Ich bin also nicht in der Lage, mit meinen Arbeiten zu meinen Beweisangeboten zu beginnen. Ich weiß noch nicht einmal, was in dem Dokumentenbuch enthalten ist. Ich bin also offensichtlich und in jeder Weise in meiner Verteidigung dadurch beschränkt. Die Anklage sagt immer wieder, daß sie die Unterlagen rechtzeitig vorbringen werde. Das ist doch offensichtlich nicht der Fall.

VORSITZENDER: Vielleicht wollen Sie so freundlich sein, Ihre Beschwerde schriftlich vorzubringen und Einzelheiten anzugeben. Verstehen Sie mich recht?

RA. BOEHM: Jawohl.

VORSITZENDER: Sehr gut.

MR. ROBERTS: Hoher Gerichtshof! Es ist meine Aufgabe, das Beweismaterial gegen Keitel und auch gegen den Angeklagten Jodl vorzubringen. Ich möchte um die Erlaubnis bitten, falls es der Gerichtshof für richtig hält, diese beiden Fälle gemeinsam vorbringen zu dürfen, um so Zeit zu gewinnen, was uns allen, wie ich weiß, am Herzen liegt.

Keitels und Jodls Geschichte laufen parallel. In den fraglichen Jahren marschierten sie zusammen auf demselben Weg. Die meisten Dokumente berühren sie beide. Unter diesen Umständen glaube ich, daß wir eine wesentliche Zeitersparnis erzielen können, wenn es mir gestattet werden würde, die Tatbestände gegen beide Angeklagte gemeinsam darzulegen.

VORSITZENDER: Ja.

MR. ROBERTS: Dann werde ich, wenn ich darf, auf dieser Basis vorgehen. Hoher Gerichtshof! Darf ich hinzufügen, daß ich mir voll bewußt bin, wie oft auf die Tätigkeit der beiden Angeklagten im einzelnen bereits verwiesen wurde, kürzlich erst durch Oberst Telford Taylor. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, jede Wiederholung, soweit wie möglich, zu vermeiden. Darf ich sagen, daß ich gern jeden Vorschlag annehmen werde, den der Gerichtshof im Verlaufe meiner Darlegungen zu machen hat, um sie noch weiter zu verkürzen.

Hier ist ein sehr umfangreiches Dokumentenbuch, Dokumentenbuch VII, das ein für beide Angeklagte gemeinsames Dokumentenbuch ist und sich mit beiden befaßt.

Praktisch alle Dokumente in diesem Buch sind bereits behandelt worden. Fast alle Dokumente sind deutschen Ursprungs. Ich beabsichtige nur, einige Stellen aus neun neuen Dokumenten zu verlesen; und diese neun Dokumente sind in dem Dokumentenbündel Eurer Lordschaft und den Bündeln Ihrer Kollegen gekennzeichnet.

Ich möchte damit beginnen, so kurz wie möglich, auf den Teil der Anklageschrift zu verweisen, der sich mit den beiden Angeklagten beschäftigt. Diese Stelle findet sich auf Seite 33 der englischen Übersetzung (Band I, Seite 83). Sie beginnt mit »Keitel« in der Mitte der Seite und lautet:

»Der Angeklagte Keitel hatte zwischen 1938 und 1945 verschiedene Ämter inne.«

Ich möchte hier nur erwähnen, daß, obwohl das Anfangsdatum 1938 ist, die Anklagebehörde sich dessenungeachtet auf gewisse Tätigkeiten des Angeklagten Keitel vor dem Jahre 1938 beziehen wird. Wir sind der Ansicht, daß wir dazu wegen des allgemeinen, zu Beginn des Anhangs auf Seite 28 der Anklageschrift erscheinenden Wortlauts berechtigt sind (Band I, Seite 74):

»Die nachstehenden, dem Namen jedes Angeklagten folgenden Angaben enthalten Tatbestände, auf die die Anklagebehörde sich unter anderem in der Feststellung der Verantwortlichkeit der Angeklagten... stützen wird.«

Dann heißt es weiter:

»Keitel benützte die vorgenannten Stellungen, seinen persönlichen Einfluß und seine engen Beziehungen zum Führer in solcher Weise, daß er die militärischen Kriegsvorbereitungen, wie in Anklagepunkt 1 angeführt, förderte« –

Wenn ich die Stelle verkürzt lesen darf:

»Er nahm an der Planung und an den Vorbereitungen von Angriffskriegen und Kriegen unter Verletzung von Verträgen teil, er führte die Pläne für Angriffskriege und Kriege in Verletzung von Verträgen durch, gestattete Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und beteiligte sich an solchen Verbrechen.«

Der Angeklagte Jodl war zwischen 1932 und 1945 Inhaber verschiedener Stellungen. Er »benützte die vorgenannten Stellungen, seinen persönlichen Einfluß und seine enge Beziehung zum Führer in solcher Weise« – und das finden Sie im Text, der sich auf Keitel bezieht, nicht – »daß er die Machtergreifung der Nazi-Verschwörer und die Festigung ihrer Kontrolle über Deutschland unterstützte«.

Darf ich hier sagen, Hoher Gerichtshof, daß ich im Augenblick kein Beweismaterial für die Behauptung besitze, er habe die Machtergreifung der Nazis vor 1933 gefördert. Ausreichendes Beweismaterial dafür, daß er ein ergebener, ja nahezu fanatischer Bewunderer des Führers war, liegt vor, aber das glaube ich, würde nicht genügen.

Ferner wird Jodl beschuldigt, daß er die Kriegsvorbereitungen unterstützte; er nahm an der Planung und an den Vorbereitungen von Angriffskriegen teil, gestattete Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und beteiligte sich an solchen Verbrechen.

Hoher Gerichtshof! Was die Stellung des Angeklagten Keitel anlangt, ist es wohl bekannt, daß er im Februar 1938 Chef OKW, und ebenfalls daß Jodl Chef des Wehrmachtführungsstabes wurde. Das ist genügend bewiesen in den kurzschriftlichen Verhandlungsniederschriften und in den Dokumenten. Vielleicht sollte ich auf seine Stellung im Jahre 1935 hinweisen, zur Zeit als die Wiederbesetzung des Rheinlandes zuerst in Betracht gezogen wurde. Keitel war Leiter des Wehrmachtsamtes im Reichskriegsministerium, was durch Dokument 3019-PS bewiesen wird, einem Auszug aus der Zeitschrift »Das Archiv«. Ich bitte den Gerichtshof, davon amtlich Kenntnis zu nehmen. Es findet sich nicht in dem Aktenbündel.

Jodls Stellungen wurden durch seine eigene Erklärung bestätigt, Dokument 2865-PS, US-16. Im Jahre 1935 hatte er den Rang eines Oberstleutnants und war Chef der Operationsabteilung der Landesverteidigung.

Ich möchte nur kurz den Zeitraum vor 1938 erwähnen. Es ist die Vor-OKW-Periode, und ich nehme Bezug auf zwei Dokumente, von denen eines neu ist. Das erste Dokument, das ich, ohne es zu verlesen, erwähnen möchte, ist EC-177. Ich möchte es nicht verlesen. Es ist Beweisstück US-390. Hoher Gerichtshof! Es handelt sich um das Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses der Referenten für die Reichsverteidigung, welche kurz nach der Machtergreifung durch die Nazis stattfand. Sie trägt das Datum vom 22. Mai 1933. Keitel führte in dieser Konferenz den Vorsitz. Die Niederschrift ist bereits verlesen worden. Es ist eine lange Besprechung über die Vorarbeiten, Deutschland für einen Kriegszustand bereit zu machen. Keitel war der Ansicht, daß diese Aufgabe äußerst dringlich sei, da in den vorangehenden Jahren so wenig getan worden sei. Der Gerichtshof wird sich vielleicht an die besonders schlagende Stelle erinnern, in welcher Keitel die Notwendigkeit der Geheimhaltung betonte: Schriftstücke dürften nicht in Verlust geraten und mündlich übermittelte Dinge könnten in Genf abgestritten werden.

Wenn ich einen kurzen Kommentar machen darf, ist es interessant zu sehen, daß schon damals, zu Beginn des Jahres 1933, die Chefs der deutschen Streitkräfte den Gebrauch von Lügen als eine Waffe betrachteten.

Hoher Gerichtshof! Das nächste Dokument, auf das ich mich beziehen will, ist neu, es trägt die Nummer EC-405, GB-160. Ich möchte mich hierauf kurz beziehen, denn meiner Ansicht nach hält es fest, daß Jodl von den Plänen, entgegen dem Vertrag von Versailles das Rheinland wieder zu besetzen, wußte, und an ihnen beteiligt war. Der Gerichtshof wird feststellen, daß es sich um einen Sitzungsbericht des Arbeitsausschusses des Reichsverteidigungsrats vom 26. Juni 1935 handelt.

Der Gerichtshof wird sehen, daß Seite 43, Punkt F, Oberstleutnant Jodl einen Vortrag über die Mobilmachungsvorarbeiten hielt, und ich möchte nur den vierten und fünften Absatz auf der gleichen Seite verlesen, den vorletzten Absatz von unten:

»Besondere Behandlung erfordert die entmil. Zone. Der Führer und Reichskanzler hat in seiner Rede vom 21. 5. 1935 und anderen Erklärungen zum Ausdruck gebracht, daß die Bestimmungen des Versailler Vertrags und des Locarno-Abkommens für die entmil. Zone beachtet werden. Auf das ›Aide-Memoire‹ des französischen Geschäftsträgers vom 17. 6. 1935 über ›Ersatzdienststellen in der entmil. Zone‹ hat die Deutsche Reichsregierung geantwortet, daß weder die zivilen Ersatzbehörden noch andere Stellen in der entmil. Zone mit Mob.Aufgaben, wie Aufstellung, Ausrüstung und Bewaffnung von irgendwelchen Formationen für den Kriegsfall oder der Vorbereitung hierfür betraut sind.

Da zur Zeit außenpolitische Verwicklungen unter allen Umständen vermieden werden müssen«, ich betone: »zur Zeit«, »dürfen in der entmil. Zone nur unabweisbare notwendige Vorarbeiten durchgeführt werden. Die Tatsache solcher Vorarbeiten oder die Absicht hierzu unterliegt sowohl in der Zone selbst, wie auch im übrigen Reich, strengster Geheimhaltung.«

Hoher Gerichtshof! Ich brauche nicht mehr zu verlesen. Ich behaupte, daß dies Jodls Kenntnis von dem bevorstehenden Bruch des Versailler Vertrags zweifelsfrei feststellt.

Hoher Gerichtshof! Am Tage vor der Wiederbesetzung des Rheinlandes, am 7. März 1936, gab der Angeklagte Keitel feine Richtlinie heraus, die bereits verlesen wurde, Dokument C-194, US-55. Diese ordnete Luftaufklärung und gewisse U-Bootbewegungen für den Fall an, daß eine andere Nation versuchen sollte, sich in diese Wiederbesetzung einzumischen.

Hoher Gerichtshof! Ich wende mich nun den Ereignissen des 4. Februar 1938 zu, dem Tage, da das OKW gebildet wurde. Kurz nach seiner Errichtung wurde ein Handbuch veröffentlicht, welches ein neues Beweisstück ist, und aus dem ich kurze Stellen verlesen möchte. Die Nummer des Dokuments ist L-211, GB-161. Es ist vom 19. April 1938 datiert: »Geheime Kommandosache. Die Kriegsführung als Problem der Organisation.«

Ich lese nur vom »Anhang« vor, der die Überschrift trägt: »Was ist der Krieg der Zukunft?« Ich bitte den Gerichtshof, Seite 29 aufzuschlagen. Ich werde von Zeile 9 von unten beginnend mit den Worten »Die Überraschung«, vorlesen.

»Die Überraschung als Voraussetzung für schnelle und große Anfangserfolge wird oft dazu zwingen, die Feindseligkeiten zu beginnen, bevor die Mobilmachung oder gar der Aufmarsch des Heeres beendet ist.

Die Kriegserklärung steht nicht mehr in jedem Falle am Anfang eines Krieges.

Je nach dem, ob der Eintritt der kriegsrechtlichen Normen mehr Vorteile oder Nachteile für die Kriegführenden bringt, werden diese sich den neutralen Staaten gegenüber als im Kriege oder nicht im Kriege befindlich betrachten.«

Man könnte natürlich sagen, daß dies theoretische Worte waren und auf jede andere Nation, die die Absicht hätte, Krieg gegen Deutschland zu führen, angewandt werden könnten. Der Gerichtshof kann die im Jahre 1938 in Europa bestehenden Verhältnisse zur amtlichen Kenntnis nehmen und sich fragen, ob Deutschland irgendeinen möglichen Angreifer gegen sich hatte.

Eure Lordschaft! Ich betone diese Stelle, weil sie die Art und Weise, in welcher Deutschland im Jahre 1939 und den folgenden Jahren Krieg führte, so klar und deutlich voraussehen läßt.

Eure Lordschaft! Ich gehe nun den schon so oft beschrittenen und noch so oft zu beschreitenden Weg entlang, den Weg von 1938 bis 1941, bis zur letzten Angriffshandlung. Eure Lordschaft, ich glaube, daß ich dies, so weit Keitel und Jodl betroffen sind, in wenigen Sätzen tun kann, denn ich behaupte, daß die bereits verlesenen und in das Protokoll wiederverlesenen Dokumente ganz deutlich beweisen, daß Keitel, wie von ihm als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht und von Jodl als Chef der Operationsabteilung zu erwarten ist, in wesentlichster und engster Beziehung standen zu allen einzelnen Angriffshandlungen, die nacheinander gegen die verschiedenen Opfer der Nazi-Aggression verübt wurden.

Eure Lordschaft, dem Gerichtshof liegen das Dokumentenbuch und vielleicht auch der Anklageschriftsatz vor, in welchen diese Dokumente unter der entsprechenden Überschrift zu finden sind. Ich möchte mit dem Angriff auf Österreich beginnen. Eure Lordschaft wird sich an die Eintragung in Jodls Tagebuch vom 12. Februar 1938 erinnern, wie Keitel, der mehr als ein bloßer Soldat war, schweren Druck auf Schuschnigg ausübte; das ist Dokument 1780-PS, Jodls Tagebuch und daran, daß Keitel am folgenden Tag an Hitler schrieb, Dokument 1775-PS, US-75, und ihm vorschlug, militärische Aktionen vorzutäuschen und falsche, aber glaubwürdige Nachrichten auszustreuen, wie dies bereits übersetzt wurde.

Sodann die tatsächlichen Operationsbefehle »Otto«, Beweisstück US-74, 75 und 77, alle vom 11. März 1938 datiert, und Befehle des OKW, für die Keitel verantwortlich ist.

VORSITZENDER: Welche Nummern tragen diese Dokumente?

MR. ROBERTS: Eure Lordschaft, C-102, C-103 und C-182; eines von ihnen ist tatsächlich von Keitel unterschrieben oder abgezeichnet, und zwei sind von Jodl abgezeichnet. Dies sind die Operationsbefehle für den Vormarsch nach Österreich, in denen ausdrücklich angeordnet wurde, daß tschechische Soldaten als Feinde und die Italiener als Freunde zu behandeln seien.

Eure Lordschaft, dies ist der erste Meilenstein auf dem Wege zur Besetzung Österreichs. Eure Lordschaft, der zweite ist, nicht wahr,...

VORSITZENDER: Da Sie nun auf etwas anderes übergehen, ist es wohl besser, wenn wir die Sitzung jetzt bis 14.00 Uhr vertagen.