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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

MR. ROBERTS: Hoher Gerichtshof! Ich bin bis zu der behaupteten Aggression gegen die Tschechoslowakei gekommen. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß das führende Beweisstück für diese Sache das Aktenstück 388-PS, US-26, nämlich das Aktenbündel über den Fall »Grün« war. Hoher Gerichtshof! Dieses Aktenbündel enthält meiner Meinung nach reiches Beweismaterial gegen beide, Keitel und Jodl, das zeigt, daß sie die ihren Stellungen als Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht und des Führungsstabs entsprechenden Rollen gespielt haben.

Ich mochte den Gerichtshof an Stück 2 erinnern, will es aber nicht verlesen. Ich möchte nur auf die Notizen über eine Besprechung vom 21. April 1938 Bezug nehmen. Wichtig hierbei ist, daß die Besprechung nur zwischen Keitel und dem Führer stattgefunden hat, was die zwischen ihnen bestehende enge Verbindung beleuchtet. In dieser Sitzung wurden die vorbereitenden Pläne besprochen, einschließlich der Möglichkeit eines Zwischenfalls, nämlich der Ermordung des Deutschen Gesandten in Prag. Stück 5 dieses Aktenstücks, datiert vom 20. Mai 1938, zeigt die Pläne für den politischen und militärischen Feldzug gegen die Tschechoslowakei, die von Keitel ausgegeben wurden. Stück 11, datiert vom 30. Mai 1938, enthält die von Keitel unterschriebene Weisung für die Invasion der Tschechoslowakei, die für den 1. Oktober 1938 angesetzt wurde. Viele Stücke sind von Jodl abgezeichnet, Stück 14 und Stück 17, um nur zwei zu erwähnen. Vielleicht sollte ich der Vollständigkeit halber auch die anderen erwähnen, nämlich die Stücke 24, 36 und 37.

Dann liegt in Stück 31 und Stück 32 die von Keitel unterzeichnete Weisung vom 27. September 1938 vor, die Befehle für die geheime Mobilmachung in sich schließt.

Das Tagebuch Jodls, 1780-PS, enthält viele Hinweise auf die bevorstehende Aggression, besonders die Eintragungen vom 13. Mai und 8. September. Eine besonders aufschlußreiche Eintragung in Jodls Tagebuch ist die mit Datum vom 11. September, 1780-PS, in welcher er sagt:

VORSITZENDER: Wollen Sie uns das Datum angeben?

MR. ROBERTS: Ich bitte Eure Lordschaft um Entschuldigung, es ist vom 11. September 1938.

»Nachmittags Besprechung mit Staatssekretär Hahnke des Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda über bevorstehende gemeinsame Aufgaben.

Als besonders wichtig wurden die gemeinsamen Vorbereitungen für die Widerlegung eigener und die Ausnützung feindlicher Verletzungen des Völkerrechts erkannt.«

Ich betone diese Worte: »Eigener Verletzungen des Völkerrechts«.

Hoher Gerichtshof! Als Ergebnis dieser Besprechung wurde das Dokument C-2, auf das sich der britische Hauptankläger, Sir David, bezogen hat, vorbereitet, das, wie der Gerichtshof sich erinnern wird, in parallelen Spalten die möglichen Verstöße gegen das Völkerrecht und die Ausreden enthält, die gebraucht werden sollten. Es ist vor so kurzer Zeit vorgebracht worden, daß ich nicht noch einmal darauf hinzuweisen brauche.

Hoher Gerichtshof! Bezüglich dieses Teils des Falles bin ich der Ansicht, daß überwältigendes Beweismaterial vorhanden ist, daß Keitel und Jodl eine bedeutende, geradezu lebenswichtige Rolle bei der Aggression gegen die Tschechoslowakei gespielt haben, die zum Abkommen von München führte.

Hoher Gerichtshof! Nach Abschluß des Abkommens von München begannen die Nazi-Verschwörer, wie schon des öfteren erwähnt worden ist, sofort mit ihren Vorbereitungen für die Annektierung der restlichen Tschechoslowakei.

Hoher Gerichtshof! Um diese Zeit verschwindet Jodl für eine Weile von der Szene, da er als Artilleriegeneral in Österreich dient. Er war General der 44. Division. Es kann daher nicht gesagt werden, daß Beweismaterial gegen ihn für den Zeitraum vom Abschluß des Münchener Abkommens bis zum 23. August 1939 vorliegt. An diesem Tag, am Vorabend des Angriffs auf Polen, wurde er zurückgerufen, um seine Pflichten als Chef des Führungsstabs im OKW wieder aufzunehmen.

Was Keitel anbetrifft, so hat er am 21. Oktober 1938, also weniger als einen Monat nach dem Pakt in München, den Befehl Hitlers für die Liquidation der restlichen Tschechoslowakei und für die Besetzung des Memellandes gegengezeichnet, Dokument C-136, US-104.

Am 24. November 1938, C-137, GB-33, erließ Keitel eine Anordnung, betreffend die überraschende Besetzung Danzigs.

Am 17. Dezember 1938, C-138, US-105, unterschreibt er einen an die unterstellten Formationen gerichteten Befehl, »für die Erledigung der Resttschechei« vorbereitet zu sein. Diese Vorbereitungen wurden getroffen.

Am 15. März 1939 war Keitel, der, ich wiederhole es, nicht nur Soldat war, bei einer mitternächtlichen Besprechung zwischen Hitler und dem Präsidenten der Tschechoslowakei, Hácha, zugegen, auf der Hácha infolge der Androhung der Bombardierung von Prag den Rest seines Landes an die Deutschen auslieferte. Ich sehe davon ab, auf den Inhalt dieses Protokolls einzugehen, da bereits mehrmals daraus verlesen worden ist.

Hoher Gerichtshof! Dieser Meilenstein liegt hinter uns. Erneut möchte ich behaupten, daß Keitel klarerweise eine sehr wesentliche Rolle bei all diesen Angriffen spielte, da er als Hitlers rechte Hand und ihm unterstellt über die ganze Wehrmacht verfügte.

Nunmehr wende ich mich dem Angriff auf Polen zu. Keitel war bei der Sitzung am 23. Mai 1939 in der Reichskanzlei zugegen, Dokument L-79, US-27, als gesagt wurde, und ich erwähne einige bereits wohlbekannte Worte: Danzig sei nicht das Objekt, um das es gehe; Polen solle bei erster passender Gelegenheit angegriffen werden; die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müßten militärisch besetzt werden; auf Neutralitätserklärungen könne nichts gegeben werden.

Die Weisung für den Fall »Weiß«, die Invasion Polens, findet sich in Dokument C-120(a), GB-41, mit Datum vom 3. April 1939. Der Gerichtshof wird sich daran erinnern, daß die Pläne dem OKW bis zum 1. Mai vorzulegen waren, und daß die Truppen für die Invasion bis zum 1. September bereit sein sollten, und diese Weisung trägt Keitels Unterschrift.

C-126, GB-45, stellt eine Fortsetzung dieser früheren Weisung dar. Es ist vom 22. Juni 1939 datiert. Die Notwendigkeit von Tarnungen wird betont, ferner heißt es: »Um eine Beunruhigung der Bevölkerung... zu verhindern...«. Auch dieses Papier ist von Keitel unterzeichnet.

Am 17. August 1939, 795-PS, GB-54, hatte Keitel eine Besprechung mit Admiral Canaris über die Lieferung von polnischen Uniformen an Heydrich, und aus dem letzten Absatz dieses Dokuments ist zu ersehen, daß Admiral Canaris gegen den Krieg war und Keitel dafür sprach. Auch prophezeite Keitel, daß Großbritannien nicht in den Krieg eintreten würde.

Ich behaupte, daß die Rolle Keitels bei der Vorbereitung des Angriffs gegen Polen klar und außer jedem Zweifel feststeht.

Jodl, wie ich vor dem Gerichtshof bereits erwähnt habe, wurde am 23. August zurückberufen. Dies ist aus seiner Tagebucheintragung, 1780-PS, ersichtlich, wo er sagt, daß er zur Übernahme des Wehrmachtführungsstabs zurückberufen worden sei. Er sagt:

»Auf Befehl des OKW nach Berlin befohlen und Stelle des Chefs WFA übernommen.«

Dann heißt es:

»11.00 bis 13.30 Besprechungen bei Chef OKW, Ausgabe des X-Tages 26. 8., Ausgabe der Y-Zeit 4.30 Uhr.«

Ich glaube, daß der Gerichtshof aus der Tatsache, daß Jodl am Vorabend des Kriegsausbruchs nach Berlin zurückgerufen wurde, um seine Stellung als Chef des Wehrmachtführungsstabs wieder zu übernehmen, folgern kann, wie wichtig seine Rolle in dieser Verschwörung war. So wurde Polen überfallen, und bevor ich mich der nächsten Aggression zuwende, möchte ich noch darauf hinweisen, daß nach General Lahousens Aussagen, falls der Gerichtshof dies hier in Betracht ziehen will, Keitel und Jodl mit Hitler zusammen am 10. September 1939 im Felde waren. Dies geht aus dem Sitzungsprotokoll Band II, Seite 492 und 493 hervor. Es kann wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß der Chef OKW und der Chef seines Operationsstabs im Felde waren.

Eure Lordschaft! Ich wende mich jetzt Norwegen und Dänemark zu. Soweit beide betroffen sind, ersehen wir aus dem Dokument C-64, GB-86, daß am 12. Dezember 1939 sowohl Keitel als auch Jodl bei einer Besprechung Hitlers mit Raeder zugegen waren, bei welcher die Invasion Norwegens behandelt wurde. Keitels direkte Verantwortlichkeit für diese Operationen ergibt sich meiner Ansicht nach aus dem Dokument C-63, GB-87, in welchem Keitel erklärte, daß die Operationen gegen Norwegen unter seiner unmittelbaren und persönlichen Leitung stattfinden würden. Und er setzt einen Arbeitsstab im Oberkommando der Wehrmacht für die Ausführung dieser Operationen ein.

Daß Jodl den Plan kannte und an seiner Ausführung teilnahm, ist meiner Meinung nach klar ersichtlich aus den Eintragungen in sein eigenes Tagebuch, Urkunde 1809-PS; das ist der zweite Teil seines Tagebuchs. Der Gerichtshof wird sich an die Eintragung vom 13. März 1940 erinnern, in der er aufzeichnete, daß der Führer immer noch auf der Suche nach einer Begründung für die »Weserübung« sei.

Das war am 13. März, Herr Präsident, und ist Urkunde 1809-PS.

»Führer gibt Befehl zur ›W‹ noch nicht. Er ist noch auf der Suche nach einer Begründung.« Und dann am 14. März: »Führer noch nicht entschlossen, wie Weserübung zu begründen«, – was meiner Meinung nach, wenn ich eine kurze Erläuterung geben darf, den Ehrenkodex der deutschen Militärs in einem grausigen Licht erscheinen läßt – »er ist noch auf der Suche nach einer Begründung«.

Hoher Gerichtshof! Und dann wurde bekanntlich Norwegen überrumpelt und folglich für den Angriff eine lügnerische Begründung gegeben.

Hoher Gerichtshof! Meiner Ansicht nach beweisen die Dokumente klar, daß auch die Invasion von Holland, Belgien und Luxemburg von Keitel, unter Jodls Mitwirkung, geleitet und ausgeführt wurde.

Der Gerichtshof ist über das Protokoll einer Besprechung im Mai über die Besetzung dieser Länder bereits unterrichtet, und zwar durch Dokument L-79. Ein weiteres Beweisstück ist C-62, GB-106, das aus einer von Hitler unterzeichneten Weisung vom 9. Oktober 1939 und einer weiteren von Keitel unterschriebenen Weisung vom 15. Oktober besteht. C-62 enthält also zwei Dokumente, und zwar eins vom 9. und eins vom 15. Oktober, zwei Weisungen, von denen die eine von Hitler, die andere von Keitel unterschrieben ist, beide enthalten Befehle für die Besetzung Hollands und Belgiens.

Herr Vorsitzender, C-10, GB-108, vom 8. November, enthält Keitels Operationsbefehle an die 7. Fallschirm-Division für eine Luftlandung in der Mitte von Holland.

Dokument 440-PS, GB-107, vom 20. November 1939, trägt die Unterschrift Keitels und ist eine weitere Weisung für die Invasion Hollands und Belgiens.

Dokument C-72, GB-109, trägt die Daten 7. November 1939, 10. Mai 1940 und enthält achtzehn Briefe, von denen elf von Keitel und sieben von Jodl unterschrieben sind. In einem Brief heißt es:

»Auf Grund der Wetterlage hat sich der Führer entschieden, den A-Tag zu verschieben.«

Hoher Gerichtshof, das Tagebuch Jodls ist auch über dieses Thema sehr beredt. Ich verweise auf Dokument 1809-PS. Eine Anzahl von Stellen, auf die ich mich wohl nicht noch einmal zu beziehen brauche, sprechen von diesen bevorstehenden Operationen, besonders die Eintragung vom 8. Mai. Der Gerichtshof wird sich vielleicht daran erinnern, wie Jodl sagt, daß »alarmierende Nachrichten aus Holland« eintreffen, und wie er zutiefst darüber empört ist, daß die bösen Holländer Sperren an den Straßen errichten und Mobilisierungsvorbereitungen treffen.

Herr Vorsitzender, so wurden diese drei neutralen Länder überrannt, und ich bin der Ansicht, daß reichhaltiges und überwältigendes Beweismaterial dafür vorliegt, daß diese beiden Männer für die militärischen Maßnahmen verantwortlich waren, die diese Invasion ermöglichten.

Herr Vorsitzender, ich gehe zu der Planung des Angriffs auf Griechenland und Jugoslawien über. PS-1541, GB-117, vom 13. Dezember 1940, ist ein Befehl Hitlers für »Marita«, das Unternehmen gegen Griechenland, mit Hitlers Unterschrift, und zwar ist es eine Ausfertigung für das OKW, das heißt für Keitel.

Dokument 448-PS, GB-118, vom 11. Januar 1941, ist ein Befehl Hitlers für das Unternehmen gegen Griechenland, mit der Paraphe von Keitel.

Aus C-134, GB-119, vom 20. Januar 1941 ergibt sich, daß sowohl Keitel als auch Jodl bei einer Besprechung zwischen Hitler. Mussolini und anderen zugegen waren, in der der Angriff auf Griechenland und Jugoslawien besprochen wurde.

In C-59, GB-121, vom 19. Februar 1941, sind die Daten für das Unternehmen »Marita« von Keitel eingetragen.

1746-PS, GB-120, vom 27. März 1941, betrifft eine Besprechung zwischen Hitler, Keitel und Jodl, in der die Entscheidung getroffen wurde, Jugoslawien anzugreifen und zu zerstören. Der Führer sagte, er sei entschlossen, »den Schlag gegen Jugoslawien mit unerbittlicher Härte zu führen«, um andere neutrale Länder »abzuschrecken«. Und diese beiden Soldaten waren bei dieser Äußerung anwesend.

Herr Vorsitzender, ich glaube, daß damit die Mittäterschaft dieser beiden Männer an diesem Angriff hinreichend bewiesen ist.

Herr Vorsitzender, nunmehr wende ich mich dem Fall »Barbarossa« zu. Das Dokument 446-PS, US- 31, vom 18. Dezember 1940, ist Hitlers Befehl für den Fall »Barbarossa« und trägt wiederum die Paraphen von Keitel und Jodl. Wie sich der Gerichtshof erinnern wird, sagte Hitler, daß er beabsichtige, Rußland in einem einzigen schnellen Feldzug niederzuwerfen.

872-PS, US-134, vom 3. Februar 1941, betrifft eine Besprechung zwischen Hitler, Keitel und Jodl über den Fall »Barbarossa« und »Sonnenblume«, Vorschläge über Nord-Afrika. Hitler sagte: »Wenn ›Barbarossa‹ steigt, hält die Welt den Atem an und verhält sich still«.

447-PS, US-135, vom 13. März 1941, ist ein von Keitel unterschriebener Operationsbefehl über die Verwaltung der zu besetzenden Gebiete, der wiederum zeigt, daß Keitel nicht nur Soldat war; denn dies war eine Frage der Zivilverwaltung.

C-39, US-138, vom 6. Juni 1941, ist ein Zeitplan für den Fall »Barbarossa« mit Keitels Unterschrift; Jodl erhielt die 6. Ausfertigung.

C-78, US-139, vom 9. Juni 1941, ist ein an Keitel und Jodl gerichteter Befehl Hitlers, am 14. Juni 1941 an einer Vorbesprechung über »Barbarossa« teilzunehmen, also acht Tage vor dem Unternehmen.

Herr Vorsitzender! Durch diese Tatsachen und Dokumente über die von den beiden Angeklagten eingenommenen Stellungen ist meiner Ansicht nach die Teilnahme der beiden an diesem Angriff in unwiderlegbarer Weise bewiesen.

Herr Vorsitzender! Der letzte Angriffspakt betrifft die provokative Beeinflussung Japans, die Vereinigten Staaten von Amerika anzugreifen. Hoher Gerichtshof! Wir besitzen zwei Schlüsseldokumente, die beide, sowohl Keitel als auch Jodl, belasten. Das erste ist C-75, US-151, vom 5. März 1941. Es ist eine OKW-Weisung mit Keitels Unterschrift, und die Ausfertigung für Jodl: »Japan muß so bald wie möglich zum aktiven Handeln« gebracht werden, lautet ein Zitat daraus.

C-152, GB-122, vom 18. März 1941, betrifft eine Besprechung zwischen Hitler, Raeder, Keitel und Jodl über das Thema: Japan soll Singapore erobern. Das ist der wesentlichste Punkt.

Herr Vorsitzender! Der Sachverhalt, der gegen diese zwei Männer hinsichtlich dieser Angriffshandlungen und ihrer Vorbereitungen vorliegt, ist meiner Ansicht nach überwältigend. Es ist meiner Meinung nach klar, daß sie zu ihrer Verteidigung lediglich anführen könnten, sie hätten den Befehlen eines Vorgesetzten gehorcht. Dieser Einwand steht ihnen auf Grund des Statuts nicht zu. Zweifellos wurden diese niederträchtigen Pläne in dem bösen Gehirn Hitlers ausgeheckt, aber er allein konnte sie nicht durchführen. Er brauchte Männer, die annähernd so niederträchtig und so skrupellos waren wie er selbst.

Hoher Gerichtshof! Nun wende ich mich kurz der Frage der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu. Es wurde bereits bewiesen, daß Keitel die »Nacht- und Nebel-Befehle« unterschrieb, die es ermöglichten, Personen in Deutschland einzukerkern, wo jede Spur von ihnen verloren ging. Das ist L-90, US-503.

Nun ist hier noch ein neues Dokument, das ich vorzulegen wünsche. Oberst Telford Taylor hat C-50, Keitels Befehl für rücksichtslose Aktion im Fall »Barbarossa«, vorgelegt. Ein ergänzendes Dokument, C-51, GB-162, ist ein Befehl Keitels vom 27. Juli 1941:

»Alle Ausfertigungen des durch die Bezugsverfügung herausgegebenen Führererlasses vom 13. Mai 1941«- das ist C-50, der »Barbarossa«-Befehl – »sind nach den Bestimmungen der Verschlußsachen-Vorschrift zu vernichten:

a) bei allen Dienststellen bis zu den Generalkommandos einschließlich aufwärts« – das heißt, Hoher Gerichtshof, alle Befehlshaber von Armeekorps abwärts müssen diese Ausfertigung vernichten –

»b) bei den Panzergruppenkommandos« – das heißt, Dienststellen eines Panzerkorps unter dem Rang eines Korps-Befehlshabers müssen die Ausfertigung vernichten –

»c) bei den Armeeoberkommandos und diesen gleichgestellten Dienststellen, wenn die unabwendbare Gefahr besteht, daß sie in die Hände Unberufener fallen.«

Das heißt, daß sogar höhere Generale im Falle des Näherrückens des Krieges diese Dokumente lieber vernichten sollten, als sie möglicherweise in die Hände des Feindes fallen zu lassen:

»Die Geltung des Erlasses wird durch die Vernichtung der Ausfertigung nicht berührt. Die Truppenbefehlshaber bleiben nach den Bestimmungen des Abschnitts III persönlich dafür verantwortlich, daß die Offiziere und Rechtsberater rechtzeitig unterrichtet und, daß nur solche Urteile bestätigt werden, die der politischen Absicht der Führung entsprechen.«

Das bezog sich auf den Befehl, daß deutsche Soldaten für begangene Vergehen an Sowjettruppen nicht vor ein Militärgericht zu stellen seien:

»Dieser Befehl ist mit den Ausfertigungen des Führer erlasses zu vernichten.«

Hoher Gerichtshof! Ich möchte bemerken, daß der Wunsch des OKW, dessen Chef Keitel war, diesen Befehl, diesen, wie ich behaupte, ungesetzlichen und barbarischen Befehl, zu vernichten, daß dieser Wunsch bezeichnend ist.

Nunmehr möchte ich ein weiteres Dokument einreichen, beinahe das letzte Dokument im Bündel: UK- 20. Der Hohe Gerichtshof wird es am Schluß dieses Bündels finden. Es stammt aus dem Hauptquartier des Führers vom 26. Mai 1943, und lautet:

»Betrifft Behandlung von Anhängern de Gaulles, die auf sowjetrussischer Seite kämpfen.

An der Ostfront sind erstmalig französische Flieger in sowjetischem Dienst abgeschossen worden. Der Führer hat befohlen, daß dem Einsatz von Franzosen auf sowjetischer Seite mit aller Schärfe entgegenzutreten ist.

Es wird deshalb angeordnet:

1. An der Ostfront gefangengenommene de Gaulle- Anhänger werden gem. Weisung OKW... der Französischen Regierung zur Aburteilung übergeben.«

Und dann lese ich Absatz 3:

»3. Gegen im besetzten französischen Gebiet befindliche Familienangehörige von Franzosen, die auf sowjetischer Seite kämpfen, sind in geeigneten Fällen strenge Untersuchungen durchzuführen. Ergibt die Untersuchung, daß Familienangehörige bei der Flucht aus Frankreich Beihilfe geleistet haben, so sind scharfe Maßnahmen zu ergreifen.«

Eure Lordschaft, ich lege dies als Beweisstück GB-163 vor.

Dann haben wir ein Dokument, das ich einführen möchte; es ist das nächste Dokument im Bündel: UK- 57, GB-164. Ich glaube, es ist das letzte Dokument im Bündel. Es stammt vom »Amt Ausland/Abwehr«, ich glaube von der Auslandsnachrichtenabteilung, und ist vom 4. Januar 1944 datiert und an das OKW gerichtet. Die Überschrift lautet: »Gegenaktion gegen Charkower Schauprozeß«. Ich werde nur Absatz 2 verlesen:

»Über die ›Commandos‹ sind vom Reichssicherheitshauptamt die einschlägigen Unterlagen beigezogen und eingehend geprüft worden. In 5 Fällen waren als Beteiligte britische Wehrmachtsangehörige festgenommen worden. Sie sind entsprechend dem Führerbefehl alsbald erschossen worden. Es bestünde die Möglichkeit, diesen eine Völkerrechtsverletzung zuzuschreiben und sie nachträglich im Prozeßwege zum Tode zu verurteilen. Bisher konnten den ›Commando‹-Teilnehmern keine besonderen Völkerrechtsverletzungen nachgewiesen werden.«

Herr Vorsitzender! Ich verlese nicht mehr; es handelt sich hier zweifellos um ein Eingeständnis von Mord und nicht um Kriegführung.

Keitels Vermerk, Herr Vorsitzender, ist in der linken oberen Ecke des Dokuments zu finden:

»Wir wollen Unterlagen haben, auf Grund derer wir gleiche Verfahren organisieren können. Es ist eine Re pressalie, die nicht mit Kampfhandlungen zusammenhängt – Juristische Rechtfertigungen sind überflüssig!«

VORSITZENDER: Ist es nicht oben von Keitel unterzeichnet?

MR. ROBERTS: Es ist mit Schreibmaschine auf der Ausfertigung, die das Original ist, geschrieben.

VORSITZENDER: Ist keine wirkliche Unterschrift vorhanden?

MR. ROBERTS: Nein.

MR. BIDDLE: Wie hängt das mit Keitel zusammen?

MR. ROBERTS: Es heißt: »Vermerk Chef OKW.« Das ist also die erste Vortragsnotiz. Herr Vorsitzender, die zweite Vortragsnotiz behandelt das gleiche Thema und stammt vom 6. Januar 1944. Sie trägt das große rote »K« Keitels oben auf dem ersten Blatt, was beweist, daß er das Schriftstück erhalten hat. Der erste Absatz, Herr Vorsitzender, handelt von zwei Offizieren, die damals im Lager Eichstätt in Bayern waren. Herr Vorsitzender, dieser Absatz ist nicht wichtig, da diese beiden Offiziere noch am Leben sind.

Der zweite Absatz lautet:

»Versuchter Anschlag auf das Schlachtschiff Tirpitz.

Ende Oktober 1942 hatte ein mit einem Kutter nach Norwegen gekommenes britisches Kommando den Auf trag, durch Einsatz eines Zwei-Mann-Torpedos, einen Anschlag auf das Schlachtschiff ›Tirpitz‹ im Drontheim-Fjord durchzuführen. Die Aktion mißlang, da die beiden am Kutter befestigten Torpedos in stürmischer See verlorengegangen waren. Von der aus 6 Engländern und 4 Norwegern bestehenden Besatzung wurde ein Trupp von 3 Engländern und 4 Norwegern an der schwedischen Grenze gestellt. Es gelang jedoch nur, den britischen Matrosen... Robert Paul Evans, geboren am 14. Januar 1922 in London, festzunehmen. Die anderen sind nach Schweden entkommen.

Evans besaß eine Pistolentasche, wie sie zum Tragen von Waffen in der Achselhöhle verwendet wird und einen Schlagring. Völkerrechtswidrige Gewalttaten konnten ihm nicht nachgewiesen werden. Evans hat ausführliche Aussagen über das Unternehmen gemacht. Er wurde am 19. Januar 1943 gemäß Führerbefehl erschossen.«

Wiederum bin ich der Ansicht, daß dies Mord war. Völkerrechtswidrige Gewalttaten konnten ihm nicht nachgewiesen werden.

Herr Vorsitzender, nun der dritte Absatz:

»Sprengung des Kraftwerkes Glomfjord.

Am 16. September 1942 landeten 10 Engländer und 2 Norweger in Uniform der britischen Gebirgsjäger schwer bewaffnet und mit Sprengmunition aller Art ausgerüstet an der norwegischen Küste. Nach Übersteigen schwierigen Gebirgsgeländes sprengten sie am 21. September 1942 in dem Kraftwerk Glomfjord wichtige Anlagen. Ein deutscher Wachposten wurde dabei erschossen. Den norwegischen Arbeitern wurde angedroht, daß sie bei Widerstand chloroformiert würden. Die Engländer hatten hierfür Morphiumspritzen bei sich. Sieben der Täter sind festgenommen worden, während die übrigen nach Schweden entkommen sind. Die Festgenommenen sind:

Hauptmann Graeme Black, am 9. Mai 1911 in Dresden geboren,

Hauptmann Joseph Houghton, am 13. Juni 1911 in Bromborough geboren,

Oberfeldwebel Miller Smith, am 2. November 1915 in Middlesborough geboren,

Unteroffizier William Chudley, am 10. Mai 1922 in Exeter geboren,

Schütze Reginald Makeham, am 28. Januar 1914 in Ipswich geboren,

Schütze Cyril Abram, am 20. August 1922 in London geboren,

Schütze Eric Curtis, am 24. Oktober 1921 in London geboren.

Sie sind am 30. Oktober 1942 erschossen worden.«

Wiederum wird keinerlei Andeutung darüber gemacht, daß völkerrechtswidrige Gewalttaten vorlagen. Sie waren englische Seeleute und sie waren in Uniform.

Dann Absatz 4:

»Sabotageanschläge an deutschen Schiffen vor Bordeaux.

Am 12. Dezember 1942 wurden mehrere deutsche Schiffe vor Bordeaux durch Sprengkörper unter Wasser schwer beschädigt. Die Haftminen waren durch 5 englische Sabotagetrupps von Paddelbooten aus angebracht worden. Von den 10 Teilnehmern konnten wenige Tage darauf festgenommen werden:...«

Dann folgt eine Liste von sechs Namen, sechs britische Namen, unter ihnen ein Ire; ein Leutnant, ein Unteroffizier, ein Sergeant und drei Marinesoldaten.

»Ein siebenter Soldat namens Moffett wurde ertrunken aufgefischt, die anderen entkamen wahrscheinlich nach Spanien.

Die Teilnehmer waren je zu zweit von einem U-Boot aus in Paddelbooten die Gironde-Mündung aufwärts gefahren. Sie trugen eine oliv-graue Spezialuniform. Nach Durchführung von Sprengungen haben sie die Boote versenkt und versucht, mit Hilfe der französischen Zivilbevölkerung in Zivilkleidern nach Spanien zu entkommen. Besondere Straftaten auf der Flucht sind nicht festgestellt worden. Sämtliche Festgenommenen sind am 23. März 1943 befehlsgemäß erschossen worden.«

Keitel hat das Dokument paraphiert. Dieses Dokument, das von meinem Kollegen, Sir David Maxwell- Fyfe, vor kurzem verlesen wurde, ist 735-PS; Keitel sagt darin: »Ich bin gegen gerichtliche Verfahren! Das klappt nicht!«

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte die nachfolgende fünfte Seite verlesen?

MR. ROBERTS: Hoher Gerichtshof, das wollte ich gerade tun. Seite 5:

»Führerhauptquartier, den 9. 1. 1944.

Anliegendes Schreiben hat Chef OKW an stellv. Chef...« – das wäre der Wehrmachtführungsstab, das ist Jodl – »mit folgender Bemerkung übergeben:

Es handelt sich nicht darum, aktenmäßig Völkerrechtsverletzungen nachzuweisen, sondern es kommt vielmehr darauf an, Material zusammenzustellen, das für die propagandistische Darstellung eines Schauprozesses geeignet ist. Ein Schauprozeß als solcher soll demnach nicht stattfinden, sondern nur propagandistische Darstellungen und Völkerrechtsverletzungen durch Feindsoldaten, die dabei namentlich genannt werden sollen und entweder für ihr Vergehen bereits mit dem Tode bestraft sind oder die Todesstrafe zu erwarten haben.

Chef OKW bittet Chef Ag Ausland, entsprechende Unterlagen bei seinem nächsten Besuch im F. H. Qu. mitzubringen.«

Wie der Gerichtshof heute bereits von meinem Kollegen, Sir David Maxwell-Fyfe, bei der Verlesung des Dokuments 735-PS gehört hat, hat Keitel geäußert: »Ich bin gegen gerichtliche Verfahren! Das klappt nicht!«

Man kann mit Keitel übereinstimmen, wenn man diesen von mir vorgelegten Bericht gelesen, der, meiner Ansicht nach, kaltblütigen Mord an tapferen Männern darstellt, tapferen Soldaten und Matrosen, die für ihr Land kämpften; und obgleich in diesem Prozeß viele Beweise für den Tod, für die Ermordung tapferer Männer vorliegen, so gibt es doch wenige Fälle, die so erschütternd sind wie die in den von mir vorgelegten Dokumenten.

Hiermit bringe ich meine Darstellung des Tatbestands gegen Keitel und Jodl zu Ende.

Was Jodls Teilnahme an den Kriegsverbrechen und an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrifft, so tritt er viel weniger in Erscheinung als Keitel. Er hatte natürlich nicht die Befugnis, Befehle und Weisungen auszugeben; aber wir sehen, daß er jedenfalls den berüchtigten Führerbefehl unterschrieben und weitergegeben hat, nach dem Kommandos erschossen und keinesfalls als Kriegsgefangene behandelt werden sollten.

Ich bin der Meinung, daß gegen diese zwei Männer das Beweismaterial überwältigend ist, und ihre Verurteilung von der zivilisierten Welt verlangt wird.

Hoher Gerichtshof! Herr Walter W. Brudno von der amerikanischen Anklagevertretung wird nunmehr den Fall gegen Rosenberg vorbringen.

MR. WALTER W. BRUDNO, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! In Verbindung mit dem Fall gegen den Angeklagten Rosenberg möchte ich ein Dokumentenbuch vorlegen, das mit Beweisstück der Vereinigten Staaten EE bezeichnet ist. Das Buch enthält die englischen Übersetzungen aller als Beweisurkunden vorzulegender, wie auch der bereits vorgelegten Dokumente, auf die ich mich beziehen werde. Diese Dokumente sind in Serien zusammengestellt, in der Reihenfolge C, L, R, PS und EC, und innerhalb dieser Serien sind sie nach Nummern geordnet.

Der Gerichtshof wird bemerken, daß die ersten vier Seiten des Dokumentenbuchs eine Liste mit Beschreibung der Urkunden enthalten. Diese Liste ist eine Zusammenstellung aller Urkunden, die Rosenberg betreffen, einschließlich der bereits als Beweis vorgelegten und derjenigen, die ich noch vorlegen werde. Die bereits vorgelegten Dokumente wurden mit der Seitenzahl des Verhandlungsberichts versehen, auf der sie bereits erwähnt wurden, und mit ihrer alten Beweisstücknummer. Diese Liste ist in den Dokumentenbüchern enthalten, die der Verteidigung zur Verfügung gestellt wurden. Diese Liste vereinigt alle im Verhandlungsbericht bisher gemachten Hinweise auf den Angeklagten Rosenberg. Um Wiederholungen zu vermeiden, werde ich mich nur auf wenige der bereits früher vorgelegten Dokumente beziehen.

Auf Seite 29 der Anklageschrift (Band I, Seite 76) wird Rosenberg unter allen vier Punkten der Anklageschrift beschuldigt. In der folgenden Darlegung werde ich zeigen, daß, wie in Anklagepunkt 1, Abschnitt IV, Unterabschnitt D ausgeführt, Rosenberg eine besonders hervorragende Rolle bei der Schaffung und Verbreitung des doktrinären Unterbaus der Verschwörung gespielt hat, desgleichen bei der Schaffung und Verbreitung von religiösen Anschauungen und Gebräuchen, die mit der christlichen Lehre unvereinbar sind; er hat dies getan, indem er den Einfluß der Kirchen auf das deutsche Volk untergrub, indem er das Programm der mitleidslosen Judenverfolgung betrieb, und indem er das Erziehungssystem umgestaltete mit der Absicht, das deutsche Volk dem Willen der Verschwörer gefügig zu machen und das Volk für einen Angriffskrieg psychologisch vorzubereiten.

Ich werde auch beweisen, daß Rosenberg durch die Steuerung des Außenhandels eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung Deutschlands für einen Angriffskrieg gespielt hat, wie unter Anklagepunkt 1, Unterabschnitt E der Anklageschrift ausgeführt ist; ich werde ferner beweisen, daß seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Außenpolitik zur Vorbereitung der Angriffe, wie in Unterabschnitt F der Anklageschrift ausgeführt, und zu den Verbrechen gegen den Frieden, wie unter Anklagepunkt 2 ausgeführt, wesentlich beigetragen hat.

Schließlich werde ich zeigen, daß Rosenberg an der Planung und Durchführung der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie in Abschnitt G des Anklagepunktes 1 der Anklageschrift erwähnt sind, teilgenommen hat. Insbesondere hat er an der Planung und Leitung der Plünderung von Kunstschätzen in den westlichen Ländern teilgenommen, wie auch an vielen Verbrechen, die in den früher der Sowjetunion unterstehenden Ostgebieten begangen worden sind.

Die politische Karriere des Angeklagten Rosenberg umschließt die ganze Geschichte des Nationalsozialismus und ist mit fast allen Phasen der Verschwörung, mit der wir uns hier befassen, verwoben. Um eine richtige Vorstellung seines Einflusses auf die Verschwörung und seiner Teilnahme daran zu gewinnen, muß man seinen politischen Werdegang kurz überblicken und jede seiner politischen Handlungen in ihrer Beziehung zu dem Fortschreiten der Verschwörung betrachten, einer Verschwörung, die die ganze Zeitspanne von der Gründung der Partei 1919 bis zur Niederlage Deutschlands im Jahre 1945 umfaßt.

Es ist interessant und aufschlußreich, festzustellen, daß für Rosenberg der 30. November 1918 den »Eintritt in das politische Leben durch einen Vortrag über die ›Judenfrage‹« bedeutete. Diese Erklärung befindet sich auf Zeile 2 der Übersetzung des Dokuments 2886-PS, das einen Auszug aus der Biographie »Das Werk Alfred Rosenbergs« darstellt. Ich lege es als US-591 vor.

Aus Dokument 3557-PS, das Auszüge aus einer »Daten der Geschichte der NSDAP« betitelten amtlichen Broschüre enthält, und das ich als US-592 vorlege, ist zu ersehen, daß Rosenberg im Januar 1919 Mitglied der Deutschen Arbeiterpartei, der späteren Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, wurde, und daß Hitler sich mit Rosenberg und seinen Kollegen im Oktober des gleichen Jahres zusammenschloß. Rosenberg war also sogar vor Hitler Mitglied der Nationalsozialistischen Bewegung.

Nun lege ich das Dokument 3530-PS vor, einen Auszug aus dem »Deutschen Führerlexikon« des Jahres 1934/35; ich lege es als US-593 vor. Aus diesem Dokument erfahren wir folgende zusätzliche biographische Angaben über Rosenberg:

»Ab 1921 Schriftleiter des ›Völkischen Beobachters‹ bis heute; Schriftleiter der NS-Monatshefte; 1930 Reichstagsabgeordneter und Vertreter der Außenpolitik der Bewegung;... ab April 1933 Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP; und dann zum Reichsleiter ernannt; Januar 1934 überträgt ihm der Führer die Überwachung der weltanschaulichen Erziehung der NSDAP, der Deutschen Arbeitsfront und aller gleichgeschalteten Verbände.«

Dokument 2886-PS, auf das ich mich soeben bezogen habe, und das als US-591 vorgelegt wurde, enthält die weitere Information, daß Rosenberg im Juli 1941 zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete ernannt wurde.

Wir wollen diese allgemeinen Angaben als Hintergrund im Auge behalten und uns nunmehr der ersten Phase der Beweiserhebung zuwenden, die sich mit Rosenberg als dem offiziellen Schöpfer und Exponenten der nationalsozialistischen Weltanschauung beschäftigt. Das Beweismaterial, das ich vorlegen werde, wird Wesen und Reichweite der von ihm vertretenen weltanschaulichen Grundsätze und den Einfluß, den er auf die Gleichschaltung des deutschen Denkens ausübte, dartun, eine Gleichschaltung, die einen wesentlichen Teil des Programms der Verschwörer im Hinblick auf die Machtergreifung und die Vorbereitung von Angriffskriegen darstellte.

Rosenberg schrieb eingehend über fast jeden Punkt des nationalsozialistischen Programms und beteiligte sich aktiv daran. Seine erste Veröffentlichung über »Wesen, Grundsätze und Ziele der NSDAP« erschien im Jahre 1922. Rosenberg erwähnte dieses Buch in einer Rede, die wir in dem als US-167 vorgeführten Film gehört und gesehen haben. Auf Seite 2, Teil 1 der Niederschrift dieser Rede, Dokument 3054-PS, erklärt Rosenberg folgendes:

»In diese Zeit« – das war im ersten Aufbaustadium der Partei – »fiel die Abfassung einer kleinen Schrift, die doch ihre Bedeutung in der Geschichte der NSDAP hat« – so sagt Rosenberg –. »Es wurde immer gefragt, welche Programmpunkte die NSDAP habe und wie sie im einzelnen aufzufassen seien. Ich verfaßte darauf ›Wesen, Grundsätze und Ziele der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei‹, und diese Schrift hat die erste dauernde Verbindung zwischen München und den entstehenden Ortsgruppen und den Freunden im Reiche hergestellt.«

Daraus ersehen wir, daß es der Angeklagte Rosenberg war, der das Parteiprogramm ursprünglich entworfen hat und sein Wortführer gewesen ist. Ohne auf das ganze von Rosenberg vertretene weltanschauliche Programm, wie es in seinen verschiedenen, übrigens sehr zahlreichen Schriften und Reden niedergelegt ist, eingehen zu wollen, möchte ich als Beweis einige seiner Erklärungen vorlegen, die Art und Umfang des von ihm propagierten weltanschaulichen Programms veranschaulichen. Man wird dabei feststellen, daß es keinen wesentlichen Grundsatz der Nazi-Philosophie gab, die nicht durch Rosenberg maßgeblich zum Ausdruck gebracht worden wäre. Rosenberg schrieb den »Mythus des 20. Jahrhunderts«, der im Jahre 1930 erschienen ist. Das Buch ist als Beweisstück US-352 eingereicht. Auf Seite 479, Herr Vorsitzender, das heißt auf der zweiten Seite der englischen Übersetzung des Dokuments 3553-PS schrieb Rosenberg über die Rassenfrage:

»Das Wesen der heutigen Weltrevolution liegt im Erwachen der rassischen Typen. Nicht in Europa allein, sondern auf dem ganzen Erdenrund. Dieses Erwachen ist die organische Gegenbewegung gegen die letzten chaotischen Ausläufer des liberalwirtschaftlichen Händlerimperialismus, dessen Ausbeutungsobjekte aus Verzweiflung dem bolschewistischen Marxismus ins Garn gingen, um zu vollenden, was die Demokratie begonnen hatte: die Ausrottung des Rasse- und Volksbewußtseins.«

Rosenberg vertrat die Idee des Lebensraums, die der Hauptbeweggrund, der dynamische Impuls war, der Deutschland zum Angriffskrieg trieb. In seiner Zeitschrift »Nationalsozialistische Monatshefte«, Ausgabe Mai 1932, unser Dokument 2777-PS, das ich als Beweisstück US-594 vorlegen möchte, schrieb er auf Seite 199:

»Mit dieser Erkenntnis, daß das deutsche Volk, will es nicht in des Wortes wahrster Bedeutung untergehen, eigenen Grund und Boden für sich und seine Nachkommen braucht, und der zweiten nüchternen Einsicht, daß dieser Boden nicht mehr in Afrika erobert werden kann, sondern in Europa, in allererster Linie im Osten erschlossen werden muß, mit dieser Erkenntnis ist die organische Einstellung einer deutschen Außenpolitik für Jahrhunderte gegeben.«

Rosenberg brachte seine Gedankengänge über die Stellung der Religion im nationalsozialistischen Staat im »Mythus des 20. Jahrhunderts« zum Ausdruck, aus dem weitere Auszüge im Dokument 2891-PS enthalten sind. Auf Seite 215 des »Mythus« heißt es:

»Wir erkennen heute, daß die zentralen Höchstwerte der römischen und protestantischen Kirche als negatives Christentum unserer Seele nicht entsprechen, daß sie den organischen Kräften der nordischrassisch bestimmten Völker im Wege stehen, ihnen Platz zu machen haben, sich neu im Sinne eines germanischen Christentums umwerten lassen müssen. Das ist der Sinn des heutigen religiösen Suchens.«

An Stelle des traditionellen Christentums suchte Rosenberg den neu-heidnischen Mythus des Blutes einzuführen.

VORSITZENDER: Wollen Sie hier Ihre Ausführungen unterbrechen, um eine Pause einzuschalten?

MR. BRUDNO: Jawohl, Herr Vorsitzender.