HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[zum Zeugen gewandt]:

Wollen Sie sich nunmehr mit den entscheidenden Teilen der Rede des Großadmirals beschäftigen.

HEISIG: Großadmiral Dönitz fuhr in seiner Rede etwa wie folgt fort: Er könne es unter der gegebenen Situation nicht verstehen, wenn deutsche Unterseeboote unter eigener Gefahr noch die Besatzungen der Handelsschiffe, die sie versenkt haben, retten. Dies hieße dem Gegner in die Hand arbeiten, denn die geretteten Besatzungen würden ja wieder auf neuen Handelsschiffen weiterfahren. Es sei ganz im Gegenteil jetzt der totale Krieg auch zur See zu führen, denn Besatzungen für Schiffe sind für Unterseeboote genau so ein Ziel wie auch die Schiffe. Einmal würde es nämlich dadurch den Alliierten unmöglich, ihre Schiffe, ihre Neubauten mit Besatzungen auszurüsten. Zum anderen sei zu erwarten, daß in Amerika, respektive in den anderen alliierten Ländern ein Streik ausbrechen wird, da ja jetzt schon ein Teil der Seeleute nicht mehr zur See fahren wollen. Wenn jetzt durch unsere Kampfmaßnahmen der Krieg zur See härter wird, wird sich das sicher auch in dieser Hinsicht zeigen. Sollten uns dieser Krieg und diese Kriegführung hart vorkommen, sollten wir stets daran denken, daß auch unsere Frauen und Familien zu Hause bombardiert würden.

Das war die Rede des Großadmirals Dönitz in den wesentlichsten Punkten.

OBERST PHILLIMORE: Und nun, wieviele Offiziere waren anwesend und hörten die Rede?

HEISIG: Ich habe keine Übung, die Anzahl der Menschen in großen Sälen festzustellen. Es kann sich nur um eine Überschlagsrechnung handeln. Ich glaube, etwa 120 Offiziere.

OBERST PHILLIMORE: Herr Vorsitzender! Der Zeuge steht zum Kreuzverhör zur Verfügung.

VORSITZENDER: Wünscht der Anklagevertreter der Vereinigten Staaten irgendwelche Fragen zu stellen?

[Keine Antwort.]

Der sowjetische Anklagevertreter?

[Keine Antwort.]

Der französische Anklagevertreter?

[Keine Antwort.]

Die Verteidigungsanwälte können nunmehr den Zeugen im Kreuzverhör vernehmen.

FLOTTENRICHTER OTTO KRANZBÜHLER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN DÖNITZ: Ich vertrete Großadmiral Dönitz.

VORSITZENDER: Der Verteidiger wird verstehen daß ich durch das, was ich zu Dr. Thoma sagte, nicht beabsichtigte, mich in Ihr Kreuzverhör einzumischen. Ich wollte nur Zeit sparen. Der Gerichtshof wünschte keine unwichtigen Stellen aus der Rede des Angeklagten Dönitz zu hören. Deshalb wollte er sie nicht von dem Zeugen hören. Es steht Ihnen jedoch frei, nach Ihrem Gutdünken Fragen zu stellen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Oberleutnant Heisig, sind Sie selbst auf Feindfahrt gewesen?

HEISIG: Jawohl.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Auf welchem Boot und unter welchem Kommandanten?

HEISIG: Auf U 877, unter Kapitänleutnant Finkeisen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wiederholen Sie bitte Ihre Antwort.

HEISIG: Ich bin auf U 877 auf Feindfahrt gewesen, unter dem Kommandanten Kapitänleutnant Finkeisen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie Erfolge gehabt gegenüber feindlichen Schiffen?

HEISIG: Das Boot wurde auf dem Marsch in das Operationsgebiet versenkt.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Bevor Sie einen feindlichen Dampfer versenkt hatten?

HEISIG: Jawohl.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Durch welche feindlichen Kampfmittel wurde das Boot versenkt?

HEISIG: Durch Wasserbomben; durch zwei kanadische Fregatten, die das Boot geortet hatten und es dann durch Wasserbomben versenkten.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ihre heutige Aussage unterscheidet sich etwas von der Erklärung, die Sie am 27. November abgegeben haben, und zwar in einem wesentlichen Punkte. Wie ist es zu dieser Erklärung vom 27. November gekommen?

HEISIG: Ich habe diese Erklärung abgegeben zur Entlastung von Kameraden, die in Hamburg vor einem Kriegsgericht standen und dort wegen Mordes an schiffbrüchigen Seeleuten zum Tode verurteilt waren.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ihre Erklärung beginnt mit den Worten, es seien Ihnen Nachrichten zugegangen, daß deutsche Seeleute wegen Mordes unter Anklage stünden, und Sie fühlten sich deshalb verpflichtet, die folgende Erklärung abzugeben. Welche Nachrichten waren Ihnen zugegangen und wann?

HEISIG: Es war zu Beginn des Hamburger Prozesses gegen den Kapitänleutnant Eck und seine Offiziere. Damals war ich in Großbritannien in einem Kriegsgefangenenlager, und ich hörte im Radio sowie in Zeitungen, daß diese Offizieren abgeurteilt werden sollten. Da ich einen Offizier dieser angeklagten Offiziere sehr gut kannte, den Leutnant August Hoffmann, und ich mich mit ihm über das Thema zwei- oder dreimal unterhalten hatte, fühlte ich mich verpflichtet, ihm da beizuspringen und ihm durch meine Aussage Entlastung zu bringen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist Ihnen bei Ihrer Vernehmung am 27. November nicht gesagt worden, daß das Todesurteil gegen Kapitänleutnant Eck und Leutnant Hoffmann bereits bestätigt war?

HEISIG: Dieses... ich weiß es nicht mehr, ob es am 27. November gewesen ist. Ich weiß nur, daß es mir hier bekanntgegeben worden ist, daß das Todesurteil vollstreckt worden ist. An welchem Datum das war, daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern, weil ich öfters verhört worden bin.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wollen Sie nach Kenntnis dieser Zusammenhänge noch angeben, daß in der Ansprache von Großadmiral Dönitz irgendwie die Rede davon war, daß auf Schiffbrüchige geschossen werden sollte?

HEISIG: Nein. Wir entnahmen das aus seinem Wort, daß der totale Krieg gegen Schiff und Besatzung geführt werden müßte und durch den Hinweis auf den Bombenkrieg. Wir glaubten das; also ich sprach darüber im Anschluß auf dem Wege zur Hansa zurück mit meinen Kameraden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sprechen Sie langsam!

HEISIG: Ja, wir vertraten die Überzeugung, daß Großadmiral Dönitz es so gemeint hat. Er hat es nicht deutlich ausgesprochen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie mit irgendwelchen Vorgesetzten auf der Schule über dieses Thema gesprochen?

HEISIG: Ich bin am selben Tage noch abgereist von der Schule. Ich kann mich aber daran erinnern, daß ich von einem Vorgesetzten, dessen Namen ich leider nicht mehr weiß, und in welchem Zusammenhang das war, weiß ich auch nicht mehr, wir einmal auf das gleiche Thema darauf hingewiesen wurden, und daß uns da empfohlen wurde, daß nach Möglichkeit nur Offiziere auf der Brücke sind, um dann dort eine Vernichtung von Schiffbrüchigen vorzunehmen, im Falle sich die Gelegenheit geben sollte oder sich notwendig erweisen sollte.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das hat Ihnen ein Vorgesetzter gesagt?

HEISIG: Jawohl, ich weiß aber nicht mehr, in welchem Zusammenhange das war und wo es war. Ich habe mich sehr viel, ich bin sehr viel von Vorgesetzten belehrt worden, in verschiedensten Dingen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: War das auf der Schule?

HEISIG: Nein, ich bin ja von der ULD, Unterseeboots- Lehrdivision, noch am selben Tage abgereist.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sind Sie auf der Schule über die ständigen Kriegsbefehle belehrt worden?

HEISIG: Über ständige Kriegsbefehle sind wir belehrt worden.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: War in den ständigen Kriegsbefehlen ein Wort gesagt darüber, daß auf Schiffbrüchige geschossen oder Rettungsmittel vernichtet werden sollten?

HEISIG: In diesen Kriegsbefehlen war davon nicht die Rede. Es war jedoch, ich glaube das aus einer Andeutung des Kapitäns Rollmann, der damals Offiziers-Kompaniechef war, entnehmen zu können, daß kurze Zeit vorher irgendein Fernschreiben gekommen sein muß, das Rettungsmaßnahmen verboten hat, und das andererseits eine Radikalisierung des Seekrieges, eine Verschärfung des Seekrieges, gefordert hat.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sehen Sie in dem Verbieten von Rettungsmaßnahmen dasselbe wie in dem Beschießen von Schiffbrüchigen?

HEISIG: Wir kamen zu diesem...

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Bitte beantworten Sie meine Frage. Sehen Sie darin dasselbe?

HEISIG: Nein.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Danke.

VORSITZENDER: Dr. Thoma, ich bedauere; der Gerichtshof muß sich jetzt vertagen, und ich möchte noch eine Erklärung abgeben. Sie können den Zeugen morgen ins Kreuzverhör nehmen.

DR. THOMA: Danke.

VORSITZENDER: Wie ich bereits gesagt habe, wird der Gerichtshof heute Nachmittag keine öffentliche Sitzung abhalten.

Die Erklärung, die ich jetzt abzugeben habe, steht im Zusammenhang mit den Organisationen, die gemäß Artikel 9 des Statuts als verbrecherisch bezeichnet werden. Die Erklärung lautet wie folgt:

Der Gerichtshof hat die ihm durch Artikel 9 des Statuts auferlegte Verpflichtung sorgfältig erwogen.

Es ist schwierig, zu bestimmen, auf welche Art und Weise den Vertretern der genannten Organisationen gestattet werden soll, gemäß Artikel 9 des Statuts vor Gericht zu erscheinen, ohne Prüfung des genauen Charakters des für die Anklage vorgebrachten Sachverhalts.

Aus diesem Grunde ist der Gerichtshof zu dem Entschluß gekommen, daß in diesem Stadium des Prozesses, da viele Tausende von Anträgen gestellt werden, der für die Anklage vorgebrachte Sachverhalt genauer als in der Anklageschrift dargelegt werden sollte.

Unter diesen Umständen beabsichtigt daher der Gerichtshof, die Anklagebehörde und die Verteidigung aufzufordern, sich nach Abschluß des Anklagevorbringens durch die Anklagevertretung über folgende Fragen zu äußern. Die Fragen, die weiterer Prüfung bedürfen, lauten wie folgt:

1. Das Statut enthält keine Begriffsbestimmung einer verbrecherischen Organisation. Es ist daher notwendig, die zur Feststellung des verbrecherischen Charakters anzuwendenden Kriterien zu prüfen und die Art des zuzulassenden Beweismaterials zu bestimmen.

Viele der Antragsteller, die bitten, gehört zu werden, behaupten, daß sie in diese Organisationen zwangsweise eingezogen wurden, daß sie die verbrecherischen Ziele dieser Organisationen nicht kannten, oder daß sie an rechtswidrigen Handlungen nicht beteiligt waren.

Es wird notwendig sein, zu entscheiden, ob ein derartiges Beweisanerbieten als Entlastungsmoment gegenüber der Beschuldigung, daß die Organisationen verbrecherisch waren, zuzulassen ist, oder aber, ob es nicht zweckmäßiger ist, es in den späteren Prozessen gemäß Artikel 10 des Statuts zuzulassen, nachdem diese Organisationen, falls der Gerichtshof so entscheidet, für verbrecherisch erklärt worden sind.

2. Die Frage der genauen Zeit, innerhalb deren die genannten Organisationen für verbrecherisch zu gelten hätten, ist für die Entscheidung des Gerichtshofs wesentlich.

Der Gerichtshof wünscht im jetzigen Stadium des Prozesses von der Anklagebehörde zu erfahren, ob diese beabsichtigt, die zeitlichen Grenzen beizubehalten wie sie in der Anklageschrift angegeben sind.

3. Der Gerichtshof wünscht zu erfahren, ob angesichts des Beweismaterials irgendeine Personenklasse innerhalb der genannten Organisationen von der Erklärung ausgeschlossen bleiben soll, und gegebenenfalls, welche.

Bei der Anklage gegen das Korps der Politischen Leiter der Nationalsozialistischen Partei hat sich die Anklagebehörde das Recht vorbehalten, zu beantragen, daß Politische Leiter untergeordneter Dienstgrade oder Dienststellungen oder sonstiger Arten oder Kategorien, unbeschadet anderer gegen sie durchzuführender Verfahren oder Maßnahmen, vom weiteren Verfahren dieses Prozesses ausgenommen werden sollen.

Beabsichtigt die Anklagebehörde einen derartigen Antrag zu stellen? Bejahendenfalls soll das sofort geschehen.

4. Der Gerichtshof würde es begrüßen, wenn die Anklagebehörde außerdem

a) in Bezug auf jede der genannten Organisationen zusammenfassend die Tatbestandsmerkmale angeben würde, die es ihrer Meinung nach rechtfertigen, die Organisationen als verbrecherisch anzuklagen;

b) angeben würde, welche Handlungen der einzelnen Angeklagten dieses Prozesses es rechtfertigen, die Gruppen oder Organisationen, denen sie angehören, im Sinne von Artikel 9 des Statuts für verbrecherisch zu erklären;

c) eine schriftliche Zusammenfassung der Tatsachen bezüglich jeder einzelnen Organisation vorlegen würde, hinsichtlich deren beantragt wird, sie für verbrecherisch zu befinden.

Es erübrigt sich hoffentlich, daß der Gerichtshof der Anklagebehörde gegenüber ausdrücklich erklärt, er beabsichtige durchaus nicht, das Recht der Anklagebehörde einzuschränken, ihren Fall im Lichte der gründlichen Kenntnis aller ihr zur Verfügung stehenden Urkunden und Tatsachen nach Gutdünken vorzubringen. Artikel 9 des Statuts verlangt jedoch vom Gerichtshof, daß der Fall jetzt klar und deutlich umrissen wird.

Diese Erklärung wird den Hauptanklagevertretern und den Verteidigungsanwälten schriftlich mitgeteilt werden.

Das Gericht vertagt sich nun bis auf 10.00 Uhr morgen Vormittag.