[Zum Zeugen gewandt]:
Erinnern Sie sich an einen Befehl über Logbuch- Eintragungen?
MÖHLE: Jawohl. Es ist seinerzeit – genaues Datum ist mir nicht erinnerlich – befohlen worden, daß Versenkungen und Handlungen, die im Widerspruch zu internationalen Abmachungen ständen, nicht im Kriegstagebuch aufzunehmen seien, sondern nach Rückkehr nur mündlich zur Kenntnis zu bringen seien.
OBERST PHILLIMORE: Möchten Sie uns bitte sagen, was Sie dazu veranlaßt, hier über diesen Fall auszusagen?
MÖHLE: Jawohl, weil der bei meiner Verhaftung gegen mich erhobene Vorwurf, der Urheber dieser besprochenen Befehle zu sein, weil ich diesen Vorwurf nicht auf meinem Namen sitzen lassen kann.
OBERST PHILLIMORE: Herr Vorsitzender, der Zeuge steht zur Befragung durch meine Kollegen und zum Kreuzverhör zur Verfügung.
VORSITZENDER: Wünscht irgendeiner der Verteidiger dem Zeugen Fragen zu stellen?
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Korvettenkapitän Möhle, seit wann sind Sie in der U-Bootwaffe?
MÖHLE: Seit Ende 1936.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Kennen Sie den Großadmiral Dönitz persönlich?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Seit wann?
MÖHLE: Seit Oktober 1937.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sehen Sie ihn hier in diesem Raum?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wo?
MÖHLE: Links hinten.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist Ihnen Großadmiral Dönitz bekannt als ein Admiral, der für seine Flottillenchefs und Kommandanten niemals zu sprechen war?
MÖHLE: Nein.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Oder war es umgekehrt?
MÖHLE: Er war für jeden jederzeit zu sprechen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sind Sie als Kommandant selbst gefahren?
MÖHLE: Jawohl, neun Unternehmungen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Von wann bis wann?
MÖHLE: Von Kriegsbeginn bis April 41.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wieviele Schiffe haben Sie versenkt?
MÖHLE: Zwanzig Schiffe.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie nach der Versenkung der Schiffe die Rettungsmittel vernichtet oder die Schiffbrüchigen beschossen?
MÖHLE: Nein.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hatten Sie Befehl dazu, das zu tun?
MÖHLE: Nein.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: War die Gefahr für das U-Boot vorüber nach dem Angriff auf ein Handelsschiff?
MÖHLE: Nein. Die Gefahr für ein U-Boot ist nach dem Angriff nicht vorüber.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Weshalb nicht?
MÖHLE: Weil in den meisten Fällen einer Versenkung das Schiff in der Lage ist, SOS und Standort zu geben und damit Abwehrstreitkräfte im letzten Moment auf das Boot zu ziehen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Galt in der U-Bootwaffe der Grundsatz: Kämpfen geht vor Retten?
MÖHLE: Diesen Grundsatz in dieser Formulierung habe ich nie gehört.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sind Ihnen vor dem Befehl vom September 42 andere Befehle bekannt, in denen das Retten unter Gefährdung des eigenen U-Bootes verboten wurde?
MÖHLE: Jawohl. Mir ist aber nicht bekannt, wann und wo dieser Befehl niedergelegt ist. Es ist befohlen worden, daß die Sicherheit des eigenen Bootes grundsätzlich vorgeht.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist das einmal befohlen worden oder mehrfach?
MÖHLE: Das kann ich nicht sagen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist Ihnen bekannt, daß der Befehl vom September 42 ergangen ist auf Grund eines Vorfalls, bei dem deutsche U- Boote im Gegensatz zu den ergangenen Befehlen gerettet hatten?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Und dabei von alliierten Flugzeugen angegriffen worden waren?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie bezeichneten vorhin den Befehl vom September als zweideutig. Ist das richtig?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie haben ihn den Kommandanten dahin erläutert, daß er die Vernichtung der Rettungsmittel und die Tötung der Schiffbrüchigen mit erfassen solle; ist das richtig?
MÖHLE: Nicht völlig, da ich lediglich den Kommandanten bei Rückfrage die beiden Beispiele, wie sie mir beim B. d. U. gegeben wurden, gesagt habe, sie daraus also diese Folgerung ziehen konnten.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: In welchem Satz des Befehls sehen Sie eine versteckte Aufforderung, Schiffbrüchige zu töten oder Rettungsmittel zu vernichten?
MÖHLE: In dem Satz...
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Einen Augenblick, ich lese Ihnen die einzelnen Sätze des Befehls dazu vor.
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich lese aus dem Dokument D-630:
»1. Jeglicher Rettungsversuch von Angehörigen versenkter Schiffe, also auch Auffischen von Schwimmenden und Anbordgabe auf Rettungsboote, Aufrichten gekenterter Rettungsboote, Abgabe von Nahrungsmitteln und Wasser haben zu unterbleiben.«
Sehen Sie es in diesem Satz?
MÖHLE: Nein.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER:
»Die Rettung widerspricht den primitivsten Forderungen der Kriegsführung nach Vernichtung feindlicher Schiffe und Besatzungen.«
Sehen Sie es in diesem Satz?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Steht in diesem Satz etwas von der Vernichtung von Schiffbrüchigen?
MÖHLE: Nein, von Besatzungen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: In dem Befehl befindet sich am Schluß der Satz: »Seid hart!« Haben Sie diesen Satz dort erstmalig gehört?
MÖHLE: Nein.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wurde er vom Befehlshaber der U-Boote gebraucht, um die Härte der Kommandanten auch gegen sich selbst und ihre Besatzung zu erzielen?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER, KRANZBÜHLER: Sie haben den Befehl mit Korvettenkapitän Kuppisch besprochen?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wissen Sie das jetzt genau?
MÖHLE: Soweit ich mich nach dieser langen Zeit auf mein Gedächtnis verlassen kann.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wo fand dieses Gespräch statt?
MÖHLE: Beim B. d. U.-Stab, voraussichtlich in Paris.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Welche Stellung hatte Korvettenkapitän Kuppisch damals?
MÖHLE: Soweit ich mich entsinne, bearbeitete er das feindliche Geleitzugwesen; das kann ich aber nicht genau sagen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: War der Vorgesetzte von Korvettenkapitän Kuppisch Fregattenkapitän Heßler?
MÖHLE: Der Vorgesetzte..., das kann man nicht sagen, da Kapitän Heßler auch lediglich Referent war.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: War der Vorgesetzte von Korvettenkapitän Kuppisch Admiral Goth?
MÖHLE: Jawohl, in seiner Eigenschaft als Chef des Stabes.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie mit Kapitän Heßler oder mit Admiral Goth oder mit dem Großadmiral selbst über die Auslegung des Befehls vom September gesprochen?
MÖHLE: Ob mit Kapitän Heßler, ist mir nicht erinnerlich; mit Admiral Goth oder dem Großadmiral persönlich nicht.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie sagten, Kapitän Kuppisch habe Ihnen erzählt von der Ansicht, die im Stabe des B. d. U. geherrscht habe.
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Über das Verhalten gegenüber den Fliegern in der Biscaya?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hat er Ihnen gesagt, daß dies die Ansicht des Großadmirals selbst sei?
MÖHLE: Daran entsinne ich mich nicht, da es zu lange zurückliegt. Es war für uns Flottillenchefs jedoch selbstverständlich, wenn bei Klärungen im B. d. U.-Stab ein verantwortlicher Referent eine Ansicht mitteilte, daß dies die offizielle Ansicht des B. d. U. sei. Persönliche Nachfragen bei Admiral Goth oder beim B. d. U. selbst wurden normalerweise nur gehalten, wenn die Referenten sich nicht endgültig festlegen und für eine Antwort verantwortlich zeichnen konnten.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist Ihnen nicht bekannt geworden, daß die Geschichte mit den abgeschossenen Fliegern in der Biscaya in Wirklichkeit umgekehrt gewesen ist...
MÖHLE: Das verstehe ich nicht.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Daß nämlich – ich spreche weiter – daß nämlich der Kommandant gerügt worden ist, weil er diese Flieger nicht mitgebracht hat, und zwar unter Abbruch seiner Operation.
MÖHLE: Nein, das ist mir nicht bekannt.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ist in dem zweiten Beispiel, das Sie erwähnten, von Korvettenkapitän Kuppisch gesagt worden, die Schiffbrüchigen oder ihre Rettungsmittel unter der amerikanischen Küste hätten vernichtet werden sollen?
MÖHLE: Nein, er hat lediglich gesagt, daß es bedauerlich sei, daß die Besatzungen gerettet seien.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Und daraus haben Sie den Schluß gezogen, daß es erwünscht sei, die Schiffbrüchigen zu töten?
MÖHLE: Ich habe gar keine Schlüsse daraus gezogen, da ich kommentarlos diese Beispiele weitergegeben habe.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Kennen Sie die ständigen Kriegsbefehle des B. d. U.?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Enthalten sie die maßgebenden Grundlagen für die U-Bootkriegführung?
MÖHLE: Jawohl.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Befindet sich in diesen ständigen Kriegsbefehlen irgendein Befehl, in dem die Tötung von Schiffbrüchigen oder die Vernichtung von Rettungsmitteln befohlen oder angeraten wird?
MÖHLE: Nach meiner Kenntnis, nein.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Welchen Geheimhaltungsgrad hatten die ständigen Kriegsbefehle?
MÖHLE: Soweit ich mich entsinne, »Geheime Kommandosache«.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Entsinnen Sie sich, daß in dem Ständigen Kriegsbefehl Nummer 511 Folgendes befohlen war? –
Herr Vorsitzender, ich lese aus einem Befehl vor, den ich später als Beweismittel angeben werde. Ich kann das jetzt noch nicht tun, weil mir das Original noch nicht zugänglich ist.
»Ständiger Kriegsbefehl des B. d. U. Nr. 511, 20. Mai 1943. Mitnahme von Offizieren versenkter Schiffe.
1. Soweit Unterbringungsverhältnisse an Bord es erlauben, sind Kapitäne und Chef-Ingenieure versenkter Schiffe mitzubringen. Der Gegner versucht, diese Absicht zu durchkreuzen und hat folgenden Befehl erlassen:
a) Kapitäne dürfen sich auf Befragen nicht zu erkennen geben, sondern sollen nach Möglichkeit besonders dafür ausgesuchte Seeleute vorschieben.
b) Besatzung soll erklären, daß Kapitän und Chef-Ingenieure an Bord geblieben sind.
Ist trotz energischer Anfrage Ermittlung des Kapitäns bezw. Chef-Ingenieurs nicht möglich, andere Schiffsoffiziere mitbringen.
2. Mitnahme von Kapitänen und Schiffsoffizieren neutraler Schiffe, die gemäß ›Ständigem Kriegsbefehl Nr. 101‹ versenkt werden dürfen (zum Beispiel Schweden außerhalb Göteborg-Verkehr), ist zu unterlassen, da Internierung dieser Offiziere völkerrechtlich nicht statthaft ist.
3. Falls Gefangennahme von Schiffsoffizieren nicht möglich, andere weiße Besatzungsangehörige mitnehmen, soweit Platz und weitere Aufgaben des Bootes dies zulassen, zwecks Vernehmung der Gefangenen zu militärischen und propagandistischen Zwecken.
4. Falls es gelingt, einen einzeln fahrenden Zerstörer, Korvette oder Bewacher zu versenken, unter allen Umständen versuchen. Gefangene zu machen, soweit ohne Gefährdung des Bootes möglich. Gefangenenbefragungen durch Durchgangslager... kann wertvollste Anhalte über U-Boot-Abwehrverfahren, Geräte und Waffen des Gegners bringen. Das Gleiche gilt für abgeschossene Flugzeugbesatzungen.«