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[Das Gericht vertagt sich bis

17. Januar 1946, 10.00 Uhr.]

Sechsunddreißigster Tag.

Donnerstag, 17. Januar 1947.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Ich erteile dem Herrn Anklagevertreter für die Französische Republik das Wort.

M. FRANÇOIS DE MENTHON, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Hoher Gerichtshof! Das Gewissen jener Völker, die gestern noch physisch und seelisch geknechtet und gequält waren, fordert von Ihnen, den ungeheuerlichsten Versuch der Tyrannei und Barbarei aller Zeiten zu richten und zu verurteilen, sowohl in der Person einiger der Hauptschuldigen als auch in der Gesamtheit der Gruppen und Vereinigungen, die die wesentlichen Werkzeuge ihrer Verbrechen waren.

Frankreich, das in dreißig Jahren zweimal mit Kriegen überzogen wurde, die der deutsche Imperialismus entfesselt hatte, mußte im Mai und Juni 1940 beinahe allein den Anprall der Rüstungen ertragen, die von Nazi-Deutschland seit Jahren, mit der Absicht anzugreifen, aufgebaut worden waren. Obgleich von der Überlegenheit an Zahl, an Material und Vorbereitungen vorübergehend überwältigt, hat mein Land doch niemals den Kampf um die Freiheit aufgegeben und ist diesem Kampf nicht einen Tag ferngeblieben. Die übernommenen Verpflichtungen und der Wille zur nationalen Unabhängigkeit hätten genügt, um Frankreich unter General de Gaulle einen Platz im Lager der demokratischen Nationen zu sichern. Wenn aber unser Befreiungskampf nach und nach den Charakter einer Volkserhebung annahm, dem Rufe der Männer der Widerstandsbewegung folgend, die allen Gesellschaftsschichten, allen Konfessionen und allen politischen Parteien angehörten, während unser Boden und unsere Seele von den Nazi-Eindringlingen zertrampelt wurden, so geschah dies, weil unser Volk sich nicht nur gegen Elend und Versklavung aufbäumte, sondern darüber hinaus sich auch weigerte, die Hitlerschen Dogmen anzunehmen, die mit seiner Tradition, seinen Bestrebungen und seiner menschlichen Berufung in absolutem Widerspruch standen.

Frankreich, das man systematisch ausraubte und zugrunde richtete, Frankreich, dessen Söhne in so großer Zahl in den Gefängnissen der Gestapo und in den Deportierungslagern gefoltert und ermordet wurden, Frankreich, das den noch schrecklicheren Versuch einer Demoralisierung und eines Rückfalls in das teuflische Barbarentum Deutschlands erdulden mußte, dieses Frankreich verlangt von Ihnen, insbesondere im Namen der heldenhaften Märtyrer der Widerstandsbewegung, die zu den reinsten Helden unserer nationalen Geschichte zählen, daß Gerechtigkeit geschehe!

Frankreich, das in der Weltgeschichte so oft Sprecher und Vorkämpfer der menschlichen Freiheit, der menschlichen Moral und des menschlichen Fortschritts gewesen ist, macht sich auch heute wieder durch meine Stimme zum Wortführer der Märtyrer- Völker Westeuropas, nämlich Norwegens, Dänemarks, der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs, Völker, die vielleicht mehr als alle anderen den Frieden lieben, und die zu den edelsten Völkern der Menschheit gehören, dank ihrer Bestrebungen und der Pflege, die sie den Gütern der Zivilisation angedeihen lassen. Es sind Völker, die unsere Leiden mit uns geteilt haben und die es gleich uns ablehnten, ihre Seele der Nazi-Barbarei zu opfern. Frankreich macht sich hier zu ihrem Sprecher, um volle Gerechtigkeit zu fordern.

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Herr de Menthon, die russische Übersetzung ist nicht zu hören. – Jetzt ist sie wieder in Ordnung.

M. DE MENTHON: Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit für die gefolterten Völker ist die erste Grundlage für das Erscheinen Frankreichs vor diesem Hohen Gerichtshof. Es ist nicht die einzige, vielleicht auch nicht die wichtigste Grundlage. Mehr als der Vergangenheit wenden wir uns der Zukunft zu.

Wir glauben, daß es keinen dauernden Frieden und keinen sicheren Fortschritt für die heute noch zerrissene, leidende und eingeschüchterte Menschheit ohne die Zusammenarbeit aller Völker und ohne den allmählichen Aufbau einer wahren internationalen Gesellschaft gibt.

Technische Maßnahmen und diplomatische Regelungen werden dazu nicht ausreichen. Es gibt keine ausgeglichene und dauerhafte Nation ohne allgemeine Übereinstimmung hinsichtlich der wichtigen Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens, ohne eine gleichgestimmte Haltung zu den Forderungen des Gewissens und ohne die gleichen Begriffe von Gut und Böse bei allen Staatsbürgern. Es gibt kein internes Recht, das sich bei Beurteilung und Bestrafung von strafrechtlichen Verletzungen nicht auf eine von allen anerkannte sittliche Ordnung, in einem Wort, auf eine gemeinsame Moral stützt. Es kann in Zukunft keine Gemeinschaft der Völker ohne internationale Moral geben, ohne eine gewisse Gemeinsamkeit der geistigen Zivilisation, ohne eine allgemeine Hierarchie der Werte; das Völkerrecht wird dazu berufen sein, die schwersten Verstoße gegen die allgemein anerkannten Vorschriften der Moral festzustellen und ihre Bestrafung zu sichern.

Diese Moral und dieses internationale Strafrecht, die unerläßlich sind für die endliche Errichtung einer friedlichen Zusammenarbeit und für den Fortschritt auf dauerhaften Grundlagen, können wir uns heute nicht mehr im Licht der Erfahrungen vergangener Jahrhunderte und genauer der letzten Jahre vorstellen, vielmehr, mit Rücksicht auf die unerhörte und riesenhafte Masse der Opfer und Leiden der Menschen aller Rassen und Nationalitäten, nur, wenn sie auf der Achtung der menschlichen Person, jeder menschlichen Person, wer immer es sei, und auf der Begrenzung der staatlichen Souveränität, gegründet sind.

Wenn wir aber hoffen wollen, künftig allmählich eine Gemeinschaft der Völker auf dieser Moral und diesem Völkerrecht in freier Zusammenarbeit der Völker aufzubauen, so ist es erforderlich, daß Nazi- Deutschland, das einen Angriffskrieg vorsätzlich geplant, vorbereitet und entfesselt hat, welcher den Tod von Millionen von Menschen, das Verderben zahlreicher Nationen hervorrief, das dann im Laufe der Jahre der Feindseligkeiten die hassenswertesten Verbrechen anhäufte, daß dieses Deutschland schuldig gesprochen werde, und daß seine Führer und Hauptverantwortlichen dafür bestraft werden. Ohne diese Verurteilung und Züchtigung würden die Völker nicht mehr an die Gerechtigkeit glauben. Wenn Sie ausgesprochen haben werden, daß ein Verbrechen immer ein Verbrechen bleibt, ob es nun von einer nationalen Gemeinschaft gegen ein anderes Volk oder von einem Individuum gegen ein anderes begangen wurde, werden Sie damit festgelegt haben, daß es nur eine Moral gibt, die sowohl die internationalen Beziehungen wie die Verhältnisse der Individuen zueinander bestimmen muß, und daß auf dieser Moral alle Rechtsvorschriften aufgebaut sind, die von der Gemeinschaft der Völker anerkannt werden. Dann haben Sie wirklich damit begonnen, eine internationale Gerechtigkeit einzurichten.

Dieses Werk der Gerechtigkeit ist auch für die Zukunft des deutschen Volkes unerläßlich. Jahre hindurch ist dieses Volk durch den Nazismus vergiftet worden; einige seiner ewigen und tiefen Bestrebungen haben in diesem Regime ihren ungeheuerlichen Ausdruck gefunden. Seine Gesamtverantwortung ist nicht nur auf Grund der tatsächlichen Teilnahme einer sehr großen Zahl an den begangenen Verbrechen gegeben. Seine Neuerziehung ist unerläßlich. Dies erscheint ein schwieriges und langwieriges Unternehmen. Die Anstrengungen, die die freien Völker machen müssen, um Deutschland in eine internationale Gemeinschaft einzugliedern, können nicht zum schließlichen Erfolg führen, bevor diese Neuerziehung nicht tatsächlich durchgeführt worden ist. Die vorangehende Verurteilung Nazi-Deutschlands durch diesen Hohen Gerichtshof wird die erste Belehrung für dieses Volk sein und wird den besten Ausgangspunkt darstellen für eine richtige Einschätzung der Werte und für die Neuerziehung, die die große Sorge des deutschen Volkes in den kommenden Jahren zu sein hat.

Deshalb glaubt Frankreich, den Antrag stellen zu müssen, dieser Gerichtshof möge den Angriffskrieg als solchen und die Vergehen gegen die Moral und das Recht aller zivilisierten Völker, die Deutschland bei Führung des Krieges begangen hat, rechtlich als Verbrechen bezeichnen, die Hauptverantwortlichen verurteilen und die Mitglieder der verschiedenen Gruppen und Organisationen, die die Hauptausführenden der Verbrechen Nazi-Deutschlands waren, für verbrecherisch erklären.

Dieser Hohe Gerichtshof, der von den vier Signatarmächten auf Grund des Abkommens vom 8. August 1945 eingesetzt wurde, übt sein Amt für die Gesamtheit der Vereinten Nationen aus und ist dazu berufen, im Namen der freien Völker, im Namen der befreiten Menschheit, über Nazi-Deutschland Recht zu sprechen.

Die Errichtung eines Gerichtshofs durch unsere vier Regierungen, um die von den Hauptverantwortlichen Nazi-Deutschlands begangenen Verbrechen zu richten, ist fest gegründet auf den Grundsätzen und Gebräuchen des Völkerrechts. Ein hervorragender englischer Jurist hat es uns erst kürzlich ins Gedächtnis zurückgerufen: »Die Praxis und die Lehre des Völkerrechts haben stets den kriegführenden Staaten das Recht zuerkannt, feindliche Kriegsverbrecher, die ihnen in die Hände fallen, zu bestrafen.« Dies ist eine unabänderliche Bestimmung des Völkerrechts, die noch nie bestritten worden ist. Es handelt sich nicht um einen neuen Lehrsatz. Er wurde mit dem Völkerrecht zusammen geboren. Franzisco de Vittoria und Grotius haben die Grundlagen dazu gelegt. Auch die deutschen Juristen des 17. und 18. Jahrhunderts haben diese Theorie entwickelt.

So sagt Johann Jakob Moser, ein Positivist des 18. Jahrhunderts: »Feindliche Soldaten, die dem Völkerrecht zuwiderhandeln, haben, wenn sie in die Hände ihrer Feinde fallen, keinen Anspruch darauf, als Kriegsgefangene behandelt zu werden. Sie erleiden das Los von Dieben oder Mördern.« Das Verfahren, das die Vereinigten Staaten, Großbritannien, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und Frankreich heute gegen die Männer und Organisationen, die vor diesem Hohen Gerichtshof angeklagt sind, auf Grund der am 18. Oktober 1945 in Berlin erlassenen Anklageschrift durchführen, ruht daher auf einer unantastbaren Rechtsgrundlage: dem vom Völkerrecht allgemein anerkannten Recht, Kriegsverbrecher vor ein Strafgericht zu stellen.

Dieses Recht wird durch rechtliche Erwägungen unterstützt, die vielleicht noch unwiderlegbarer sind.

Das Territorialitätsprinzip bei der Anwendung des Strafrechts gibt jedem Staat die Möglichkeit, die Verbrechen zu bestrafen, die auf seinem Gebiet begangen wurden. Das Territorialitätsprinzip deckt auch die Verletzungen des Völkerrechts in militärisch besetzten Gebieten; diese Verletzungen bilden die Hauptquelle der Kriegsverbrechen. Aber die von den Angeklagten begangenen Verbrechen waren nicht nur gegen einen bestimmten Staat in einem bestimmten besetzten Gebiet gerichtet. Die nationalsozialistischen Verschwörer, über die Recht zu sprechen wir von diesem Hohen Gerichtshof verlangen, haben die Politik des Dritten Reiches geleitet. Alle Staaten, die von ihren Streitkräften besetzt und vorübergehend versklavt wurden, waren in gleicher Weise die Opfer des unerlaubten Krieges, den sie entfesselt hatten, wie auch der Methoden, die bei der Führung des Krieges zur Anwendung kamen. Es kann daher nicht nur einer dieser Staaten für sich das Vorrecht in Anspruch nehmen, diese Verbrecher zu richten. Nur ein internationaler Gerichtshof, hervorgegangen aus der Gesamtheit der Vereinten Nationen, die noch gestern im Kriege mit Deutschland standen, ist dazu mit Recht berufen. Deshalb hat die zu Ende der Moskauer Konferenz im Oktober 1943 ergangene Erklärung über die Greueltaten der Feinde vorgesehen, daß die Führer des nationalsozialistischen Deutschlands nach dem gemeinsamen Sieg der Alliierten vor ein internationales Gericht gestellt werden sollen. Es ist also juristisch nichts Neues an dem Prinzip des Rechtes, das Sie zur Anwendung bringen sollen. Weit davon entfernt, nur ein Ausdruck der Macht der Sieger zu sein, gründet sich Ihre Zuständigkeit auf die völkerrechtliche Anerkennung des in den souveränen Staaten geltenden Territorialitätsprinzips.

Die Übertragung der rechtsprechenden Gewalt durch diese Staaten an einen internationalen Gerichtshof stellt einen bemerkenswerten Fortschritt bei der Ingangsetzung eines zwischenstaatlichen Strafverfahrens dar, bildet jedoch keine Neuerung für das rechtliche Fundament der Justiz, die Sie auszuüben berufen sind.

Es mag scheinen, daß sich die strafrechtliche Qualifikation der Taten an juristischen Einwänden stößt. Diese entsetzliche Anhäufung, dieses Labyrinth von Verbrechen gegen die Menschlichkeit umschließt und überschreitet gleichzeitig die beiden juristisch genauer bestimmten Begriffe der Verbrechen gegen den Frieden und der Kriegsverbrechen. Ich glaube jedoch, und ich werde darauf getrennt bei den Verbrechen gegen den Frieden und bei den Kriegsverbrechen noch zurückkommen, ich glaube, daß die Gesamtheit der Verbrechen gegen die Menschlichkeit tatsächlich nichts anderes darstellt, als die aus politischen Gründen erfolgte und systematische Begehung von Verbrechen des ordentlichen Strafrechts, wie Diebstahl, Plünderung, Mißhandlung, Versklavung, Mord und Totschlag, Verbrechen, die vom Strafgesetz aller zivilisierten Staaten als solche angesehen und bestraft werden.

Kein allgemeiner Einwand juristischer Natur scheint daher Ihrem Werk der Gerechtigkeit entgegenzustehen.

Darüber hinaus werden die beschuldigten Nazis auch nicht in der Lage sein, den angeblichen Mangel an geschriebenen Rechtsgrundlagen für die Strafqualifikation geltend zu machen, die Sie ihren Untaten geben werden. Hat doch die juristische Lehre des Nationalsozialismus selbst zugegeben, daß im inländischen Strafrecht sogar der Richter selbst das Gesetz vervollständigen kann und soll. Das geschriebene Gesetz stellte nicht mehr die »Magna Charta« für den Übeltäter dar. Der Richter durfte auch bei Fehlen einer gesetzlichen Strafbestimmung Strafen verhängen, wenn das nationalsozialistische Rechtsgefühl als schwer verletzt angesehen wurde.

Wie sollte der Richter im Nazi-Regime das Gesetz vervollständigen?

Um eine Lösung zu finden, die quasi-legal war, handelte er nach der Art des Gesetzgebers. Von der festen Grundlage des nationalsozialistischen Programms ausgehend suchte er eine Bestimmung zu finden, die er erlassen hätte, wäre er Gesetzgeber gewesen. Der Angeklagte Frank erklärte in seiner Rede auf dem Juristentag im Jahre 1936:

»Sagt Ihr Euch bei jeder Entscheidung, die Ihr trefft: Wie würde der Führer an meiner Stelle entscheiden? Bei jeder Entscheidung, die Euch obliegt, fragt Euch: Ist diese Entscheidung mit dem nationalsozialistischen Gewissen des deutschen Volkes zu vereinen? Dann werdet Ihr eine eherne feste Gewissensgrundlage haben, die aus der Einheit des nationalsozialistischen Volksganzen, aus der Erkenntnis der Ewigkeit des Führerwillens Adolf Hitlers heraus auch in Euere eigene Entscheidungssphäre die Autorität des Dritten Reiches für alle Zeiten bringt.«

Es würde dem Angeklagten Frank und seinen Mitschuldigen schlecht anstehen, wollten sie denjenigen, die morgen im Namen des Gewissens der Menschheit Recht sprechen werden, vorwerfen, daß es an den erforderlichen geschriebenen Strafsanktionen fehle, dies um so mehr, als abgesehen von verschiedenen internationalen Vereinbarungen, diese Bestimmungen, selbst wenn sie nicht in einem zwischenstaatlichen Strafgesetzbuch kodifiziert würden, doch in den Strafgesetzen aller zivilisierten Länder enthalten sind.

Justice Jackson hat Ihnen die verschiedenen Phasen und Seiten des nationalsozialistischen Komplotts geschildert, in seiner Vorbereitung und seinem Ablauf von den ersten Tagen der Verschwörung Hitlers und seiner Genossen, um an die Macht zu gelangen, an, bis zur Entfesselung zahlloser Verbrechen in einem Europa, das ihnen fast ganz ausgeliefert war.

Sodann hat Ihnen Sir Hartley Shawcross die verschiedenen Verletzungen von Verträgen, Verpflichtungen und Versprechungen aufgezählt, die den vielen Angriffskriegen vorangingen, derer sich Deutschland schuldig gemacht hat.

Heute möchte ich Ihnen zeigen, daß dieses gesamte organisierte und massive Verbrechertum einem, wie ich es nennen will, Verbrechen wider den Geist entsprungen ist, ich möchte sagen, einer Lehre, die alle geistigen, vernunftmäßigen und moralischen Werte verneint, auf denen die Völker seit Jahrtausenden den Fortschritt der Zivilisation aufzubauen versuchten. Dieses Verbrechertum machte es sich zur Aufgabe, die Menschheit in die Barbarei zurückzuwerfen, nicht in das natürliche und ursprüngliche Barbarentum der primitiven Völker, sondern in das dämonische Barbarentum, das sich seiner selbst wohl bewußt ist und für seine Zwecke alle materiellen Mittel verwendet, die die zeitgenössische Wissenschaft in den Dienst des Menschen stellt. Diese Sünde wider den Geist ist der ursprüngliche Fehler des Nationalsozialismus, aus dem alle Verbrechen entspringen.

Diese ungeheuerliche Lehre ist die der Rassentheorie.

Die deutsche Rasse, im Prinzip aus Ariern zusammengesetzt, sei eine natürliche und ursprüngliche Gegebenheit. Deutsche Menschen bestehen nur und können ihr Bestehen nur dadurch rechtfertigen, daß sie der Rasse oder dem Volkstum angehören, der Volksmasse, die alle Deutschen repräsentiert und bindet. Die Rasse ist der Ursprung des deutschen Volkes; aus ihr heraus lebt das Volk und entwickelt sich als organischer Körper. Jeder Deutsche muß sich als ein gesundes und kräftiges Glied dieses Körpers betrachten, das im Schoße der Gesamtheit eine bestimmte technische Funktion zu erfüllen hat. Seine Betätigung und seine Brauchbarkeit sind Maß und Rechtfertigung für seine Freiheit. Es handelt sich darum, diesen nationalen Körper »in Form zu bringen« und für den ständigen Kampf vorzubereiten.

Die Ideen und körperlichen Wahrzeichen der Rassentheorie sind integrierende Bestandteile seines politischen Systems. Man nennt dies autoritäre oder diktatorische Biologie.

Der Ausdruck »Blut«, der so oft in den Schriften der Nazi-Ideologen erscheint, bezeichnet diesen Strom des wahren Lebens, diesen roten Saft, der durch das Zirkulationssystem aller Rassen und jeder wirklichen Kultur, genau wie durch den menschlichen Körper, fließt. Arier sein heißt, diesen Strom in sich fließen fühlen, diesen Strom, der die gesamte Nation kräftigt und belebt. Das Blut ist jener Teil des ursprünglichen und unbewußten Lebens, der jedem Individuum die Rassenbegriffe offenbart. Das intellektuelle Leben darf uns niemals, auch wenn es sich höher erhebt, von dem elementaren Grund der geheiligten Gemeinschaft trennen. Wenn der Mensch in sich geht, wird er durch Offenbarung die »Gebote des Blutes« erfassen. Träume, Gebräuche und Mythen können dieser Offenbarung dienlich sein. Mit anderen Worten, der moderne Germane kann und soll in sich selbst den Ruf des alten Germanentums hören und seine Reinheit und jugendliche Einfachheit wiederfinden.

Die Einheit von Leib und Seele des Menschen soll nicht bestritten werden. So sagen die »Nationalsozialistischen Monatshefte« vom September 1938: Nicht mehr gehört der Leib dem Staate und die Seele der Kirche oder Gott, sondern der ganze Mensch gehört mit Leib und Seele dem deutschen Volk und Reich. Der Nationalsozialismus behauptet tatsächlich, daß das moralische Bewußtsein das Ergebnis orthogenetischer Entwicklung ist, die Folge einfachster physiologischer Vorgänge, die das animalische Wesen charakterisieren. Daher ist auch das moralische Bewußtsein der Vererbung unterworfen und als Folge davon der Forderung und den Geboten der Rasse.

Diese Pseudoreligion weist die Mittel der Vernunft und der technischen Tätigkeit keineswegs zurück, unterstellt sie jedoch bedingungslos dem Mythos der Rasse und führt sie auf ihn zurück.

Der einzelne Mensch als solcher gilt nichts und hat nur Bedeutung als Element der Rasse. Diese Folgerung ist logisch, wenn man zugibt, daß nicht nur die physischen und psychologischen Merkmale, sondern auch die Ansichten und Neigungen nicht dem Individuum, sondern der Nation angehören. Wer Ansichten hat, die von der offiziellen Lehre abweichen, ist asozial oder krank. Er ist krank, weil nach der Nazi-Lehre die Nation der Rasse gleichgestellt ist. Die Rassenmerkmale sind aber fest bestimmt. Eine Abweichung von der Form in geistiger oder moralischer Hinsicht stellt eine Mißbildung dar, genau so wie ein Klumpfuß oder eine Hasenscharte.

Die totalitäre Lehre läßt das Individuum nur durch die Rasse und für die Rasse ohne selbständige Handlung und ohne eigenen Zweck bestehen. Nach der totalitären Lehre ist jede Auffassung, jedes Bestreben oder Bedürfnis ausgeschlossen, das nicht mit der Rasse verbunden ist; die totalitäre Lehre schließt bei dem Einzelwesen jeden Gedanken aus, der nicht dem Interesse der Rasse dient.

Der Nationalsozialismus hat das Bestreben, die Person des Bürgers im Staate aufgehen zu lassen und jeden eigenen Wert der menschlichen Person zu verneinen.

Wie man sieht, sind wir damit auf die ältesten Begriffe barbarischer Volksstämme zurückgekommen. Alle Werte, die die Zivilisation im Laufe von Jahrhunderten angesammelt hat, sind verworfen worden, alle Begriffe von überlieferter Moral, Gerechtigkeit und Recht verschwanden vor dem Primat der Rasse, ihrer Instinkte, Forderungen und Interessen. Die menschliche Person, ihre Freiheit, ihre Rechte und ihr Streben besitzen keine eigene Daseinsberechtigung mehr.

Man begreift, wie weit diese Auffassung von der Rasse die Angehörigen der germanischen Volksgemeinschaft von den andern Menschen trennt. Unüberbrückbar ist die Verschiedenheit der Rassen, unüberwindlich die Hierarchie, die die höheren Rassen von den niederen Rassen scheidet. Das Hitler-Regime hat einen wahren Abgrund aufgerissen zwischen der deutschen Nation, dem alleinigen Hüter des Schatzes der Rasse, und den anderen Nationen.

Zwischen der germanischen Volksgemeinschaft und den verschiedenartigen niederen Bastard-Bevölkerungen gibt es kein gemeinsames Maß. Die menschliche Brüderlichkeit wird verworfen, mehr noch als alle anderen überlieferten moralischen Werte.

Wie ist es zu verstehen, daß Deutschland, das im Laufe der Jahrhunderte vom klassischen Altertum und vom Christentum und von den Gedanken der Freiheit, der Gleichheit und der sozialen Gerechtigkeit befruchtet wurde, Deutschland, das an der gemeinsamen Erbschaft des abendländischen Humanismus teil hatte, dem es so edle und wertvolle Beiträge leistete, wie ist es zu verstehen, daß Deutschland in so erstaunlicher Weise zum primitiven Barbarentum zurückkehrte?

Um das zu verstehen, und um endgültig und für die Zukunft aus Deutschland das Übel auszurotten, dem unsere gesamte Zivilisation beinahe zum Opfer gefallen wäre, muß man sich in Erinnerung rufen, daß der Nationalsozialismus auf weit zurückliegende und tiefe Ursprungsgründe zurückgeht.

Die Mystik der Rassengemeinschaft entstand aus der geistigen und moralischen Krise, die Deutschland im 19. Jahrhundert durchmachte, als es in seinem wirtschaftlichen und sozialen Aufbau durch eine besonders rasche Industrialisierung erneuert wurde. Der Nationalsozialismus ist in Wirklichkeit einer der Höhepunkte der moralischen und geistigen Krise der modernen Menschheit, die durch die Industrialisierung und den technischen Fortschritt aus der Bahn geworfen wurde. Deutschland erfuhr diese Verwandlung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens nicht nur mit ungewöhnlicher Brutalität, sondern auch zu einer Zeit, wo es noch nicht das politische Gleichgewicht und die kulturelle Einheit besaß, die die übrigen Länder Westeuropas erreicht hatten.

Während das innere und geistige Leben immer mehr zurückging, erfaßte eine schreckliche Unsicherheit die Geister, eine Unsicherheit, die vortrefflich mit dem Ausdruck »Ratlosigkeit« bezeichnet wird, ein Ausdruck, den man nicht ins Französische übersetzen kann, der aber ungefähr unserem volkstümlichen Wort »man weiß nicht mehr, welchen Heiligen man anrufen soll«, entspricht. Geistige Grausamkeit des 19. Jahrhunderts, die so viele Deutsche mit tragischer Ausdruckskraft beschrieben haben! Eine gähnende Leere entsteht in den Seelen derer, die durch die Suche nach neuen Werten aus der Bahn geworfen sind.

Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften bringen einen vollständigen Relativismus, einen tiefen Skeptizismus, der die Vergänglichkeit der Werte berührt, von denen sich der abendländische Humanismus seit Jahrhunderten nährt. Ein grober Darwinismus breitet sich aus und schlägt und verwirrt die Geister. Die Deutschen sehen in den menschlichen Gemeinschaften und Rassen nur mehr in sich geschlossene Körper, die in ständigem Kampf gegeneinanderstehen.

Im Namen dieses Verfalls verdammt der deutsche Geist den Humanismus. Er sieht in seinen Werten und folgenden Elementen nur »Krankheiten«. Die Ursache hierzu, so glaubt er, sind Mißbrauch des Intellektualismus und der Abstraktion sowie all dessen, was die Leidenschaften des Menschen hemmt, indem er ihnen gemeinsame Normen auferlegt.

Seither wird die klassische Antike nicht mehr vom Gesichtspunkt der geordneten Vernunft oder der strahlenden Schönheit her gesehen. Man sieht in ihr nur mehr Zivilisationen in heftigen Kämpfen und Rivalitäten, die durch ihren sogenannten germanischen Ursprung besonders mit Deutschland verbunden sind.

Konfessionelles Judentum und Christentum werden in allen ihren Formen als Religionen der Ehre und Brüderlichkeit verdammt, weil sie darauf berechnet seien, die Tugenden der brutalen Gewalt im Menschen zu töten.

Man schreit gegen den demokratischen Idealismus der modernen Zeit und gegen alle Internationalen.

Auf ein Volk in diesem Zustand der geistigen Krise und der Verneinung der traditionellen Werte mußte die letzte Philosophie Nietzsches einen beherrschenden Einfluß ausüben. Vom Willen zur Macht ausgehend predigte Nietzsche nicht Unmenschlichkeit, wohl jedoch Übermenschlichkeit. Wenn es kein letztes Ziel auf dieser Welt gibt, dann kann der Mensch, dessen Körper in gleicher Weise Gefühlen und Denken unterworfen ist, die Welt nach seinem Willen formen, indem er sich von einer kämpferischen Biologie leiten läßt. Wenn das höchste Ziel der Menschheit die gleichzeitig materielle und geistige Erfülltheit vom Siege ist, braucht man nur mehr die Auswahl der Starken sicherzustellen, die neue Aristokratie der Herren.

Nach Nietzsche zieht die industrielle Entwicklung notwendigerweise die Herrschaft über die Massen mit sich, das Automatisieren und Formen der Arbeitermassen. Der Staat besteht nur dank einer Elite von starken Persönlichkeiten, die unter Anwendung der Methoden, die Machiavelli so treffend geschildert hat, und die allein den Lebensgesetzen entsprechen, die Menschen gleichzeitig mit Gewalt und List leiten werden; denn die Menschen sind und bleiben böse und verderbt.

Wir sehen den modernen Barbaren erstehen, überlegen durch Intelligenz und zielbewußte Energie, unbeschwert von jeder konventionellen Moral, fähig den Massen Gehorsam und Treue aufzuerlegen, indem er sie an die Würde und Schönheit der Arbeit glauben macht und ihnen ein mittelmäßiges Wohlbefinden verspricht, mit dem sie sich so leicht zufrieden geben. Ein und dieselbe Kraft wird in Erscheinung treten bei den Herren durch die Übereinstimmung zwischen ihren elementaren Leidenschaften mit der Helligkeit ihrer organisatorischen Vernunft, bei den Massen durch das Gleichgewicht zwischen ihren dunklen oder heftigen Instinkten und der überlegten Tätigkeit, die ihnen eine unerbittliche Disziplin vorschreibt.

Wir wollen keineswegs die letzte Philosophie Nietzsches mit der brutalen Einfältigkeit des Nationalsozialismus vermischen. Nietzsche zählt aber auch zu den Ahnen, auf die sich der Nationalsozialismus mit Recht beruft, weil er einerseits der Erste war, der in zusammenhängender Form Kritik übte an den traditionellen Werten des Humanismus und andererseits, weil seine Vision von der Herrschaft über die Massen durch unumschränkte Herren das Nazi-Regime bereits ankündigte. Überdies glaubte Nietzsche an eine herrschende Rasse und billigte diesen Vorrang Deutschland zu, dem er eine junge Seele und unerschöpfliche Kraftquellen zuerkannte.

Der Mythos von der Rassengemeinschaft entspringt den Tiefen der deutschen Seele, die durch die moralischen und geistigen Krisen der modernen Menschheit aus dem Gleichgewicht gestoßen, sich wieder den traditionellen pangermanistischen Lehren zuwandte.

Schon Fichtes »Reden an die deutsche Nation«, die den Wert des Germanentums übertreiben, stellten eine der Hauptideen des Pangermanismus in das vollste Licht, daß nämlich Deutschland die Welt denke und organisiere, wie sie gedacht und organisiert werden sollte.

Ebenso alt ist die Verteidigung des Krieges. Sie geht insbesondere zurück auf Fichte und Hegel, die behauptet hatten, daß nur der Krieg die Völker klassifiziere und die Gerechtigkeit unter den Nationen herstelle. Nach Hegel wird »die sittliche Gesundheit der Völker« durch den Krieg erhalten, ebenso »wie die Bewegung der Winde die See vor der Fäulnis bewahrt«.

Die Theorie vom Lebensraum taucht seit Beginn des 19. Jahrhunderts auf. Wohlbekannte geographische und geschichtliche Darlegungen wie die von Ratzel, Arthur Dix und Lamprecht nehmen sie wieder auf und vergleichen die Konflikte unter den Völkern einem wütenden Kampf zwischen den Theorien und den Verwirklichungen des Lebensraums und erklären, daß die ganze Geschichte einer deutschen Vorherrschaft zustrebe.

Das totalitäre Staatensystem beruht auch in Deutschland auf alten Wurzeln. Das Aufgehen des Menschen im Staat war schon ein Wunsch Hegels, der schrieb, daß die Einzelwesen vor der Universalsubstanz, Volks- oder Staatsgeist, verschwinden und daß diese von sich aus die Individuen forme, so wie ihre eigenen Zwecke sie verlangten.

Der Nationalsozialismus erscheint also im heutigen Deutschland in keiner Weise als eine plötzliche Bildung, entstanden aus den Folgen der Niederlage von 1918, noch als die einfache Erfindung einer Gruppe von Männern, die entschlossen wären, die Macht an sich zu reißen.

Der Nationalsozialismus ist das Ergebnis einer langen theoretischen Entwicklung; er erscheint als Ausnützung einer der tiefsten und tragischsten Seiten der deutschen Seele durch eine Gruppe von Männern. Das Verbrechen Hitlers und seiner Gefährten war es gerade, diese Gewalt des schon vor ihm im deutschen Volk latent vorhandenen Barbarentums auszunützen und zu entfesseln, und dies bis zu den letzten Konsequenzen.

Das von Hitler und seinen Genossen eingeführte diktatorische Regime brachte für alle Deutschen das »Soldatentum« mit sich, das heißt eine Art und ein System des Lebens, das völlig verschieden ist von den Lebensformen der bürgerlichen Welt des Westens und der proletarischen Welt des Ostens. Es war eine ständige und vollständige Mobilisierung der Kräfte des einzelnen und der Gesamtheit. Diese vollständige Militarisierung setzte eine absolute Vereinheitlichung aller Gedanken und Handlungen voraus und entsprach der traditionellen preußischen Disziplin.

Die Propaganda vermittelte den Massen Glauben, Begeisterung und Trunkenheit von der gemeinschaftlichen Größe. In der Rassenlehre, in der mystischen Erregung der Gemeinschaft, finden die beifälligen Massen eine künstliche Ablenkung für ihre moralische Furcht und ihre materiellen Sorgen; die gestern noch zerstreuten und verwüsteten Seelen finden sich zu einer gemeinsamen Form vereint.

Die Nazi-Erziehung formte neue Generationen, bei denen nichts mehr übrig ist von den überlieferten Morallehren, die durch den Kult der Rasse und der Gewalt ersetzt worden sind.

Der Mythos der Rasse tendierte dazu, eine wirkliche Nationalreligion zu werden. Viele Schriftsteller träumen davon, an Stelle des Dualismus der religiösen Konfession eine ökumenische Lehre deutscher Prägung zu setzen, die einfach die Religion der deutschen Hasse als solche wäre.

In der Mitte des 20. Jahrhunderts wendet sich Deutschland freiwillig vom Christentum und von der Zivilisation ab und kehrt zum Barbarentum des primitiven Germaniens zurück; es bricht absichtlich mit allen universalistischen Auffassungen der modernen Nationen. Die nationalsozialistische Lehre, die die Unmenschlichkeit zum Prinzip erhebt, stellt in der Tat eine Lehre des Verfalls der modernen Gesellschaft dar.

Diese Lehre führte Deutschland notwendigerweise in einen Angriffskrieg und zu der systematischen Begehung von Verbrechen bei der Führung des Krieges.

Das absolute Primat der deutschen Rasse, die Verneinung jeder internationalen Regelung, der Kult der Gewalt, die Ueberspitzung des Mythos der Gemeinschaft, ließen den Deutschen die Zuflucht zum Kriege im Interesse der deutschen Rasse als logisch und berechtigt erscheinen. Die deutsche Rasse hat das absolute Recht, sich auf Kosten anderer Nationen, die als dekadent betrachtet werden, zu vergrößern. Deutschland ging daran, in der Mitte des 20. Jahrhunderts die großen Invasionen der Barbaren zu wiederholen.

Ganz natürlich und logisch führt Deutschland seinen Krieg auch in barbarischer Weise, nicht nur, weil die nationalsozialistische Ethik bei der Wahl der Mittel gleichgültig ist, sondern auch, weil der Krieg in seinen Mitteln wie in seinem Zweck total sein muß.

Ob es sich um Verbrechen gegen den Frieden oder um Kriegsverbrechen handelt, finden wir uns nicht einem zufälligen, gelegentlichen Verbrechertum gegenüber, das die Ereignisse, wenn auch nicht rechtfertigen, so doch erklären könnte, wir finden uns vielmehr vor ein systematisches Verbrechertum gestellt, das die direkte und zwangsläufige Folge einer ungeheuerlichen Lehre ist, die von den Führern Nazi- Deutschlands wohlüberlegt gebraucht wurde.

Aus der nationalsozialistischen Lehre entspringt auch die sofortige Vorbereitung des Verbrechens gegen den Frieden. Bereits seit Februar 1920, im ersten Programm der nationalsozialistischen Partei, hatte Hitler die Grundlagen für den Plan der künftigen Außenpolitik Deutschlands entworfen. 1924 im Gefängnis in Landsberg bei der Abfassung seines Buches »Mein Kampf« entwickelte er seine Ansichten ausführlich.

»Mein Kampf« zufolge sollte die Außenpolitik des Reiches als erstes Ziel Deutschland seine »Unabhängigkeit und seine effektive Souveränität« wieder verschaffen. Dies war eine klare Anspielung auf die Klauseln des Versailler Vertrags über die Abrüstung und die Entmilitarisierung des Rheinlandes. Dann sollte Deutschland danach streben, die 1919 »verlorenen Gebiete« wieder zu erobern, womit die Frage Elsaß-Lothringen fünfzehn Jahre vor Beginn des zweiten Weltkrieges deutlich gestellt war. Die deutsche Außenpolitik sollte schließlich trachten, die deutschen Gebiete in Europa zu vergrößern, da die Grenzen von 1914 »unzureichend« waren, sei es unerläßlich, sie zu erweitern, indem man »alle Deutschen« dem Reich eingliederte, angefangen mit den Deutschen Österreichs. Nach der Wiedererrichtung von Großdeutschland sollte der Nationalsozialismus »die Existenz der durch den Staat zusammengefaßten Rasse auf diesem Planeten sicherstellen, indem er zwischen der Zahl und dem Wachstum des Volkes einerseits und der Größe und Güte des Grund und Bodens andererseits ein gesundes Verhältnis schafft«. Als »gesundes Verhältnis« durfte dabei nur jener Zustand angesehen werden, der die Ernährung eines Volkes auf eigenem Grund und Boden sichert. »Nur ein genügend großer Raum auf dieser Erde sichert einem Volk die Freiheit des Daseins.« Aber dies ist nur eine Etappe. »Wenn ein Volk in der Größe seines Grund und Bodens seine Ernährung an sich gesichert hat, so ist es dennoch notwendig, auch noch die Sicherstellung des vorhandenen Bodens selbst zu bedenken«, denn die machtpolitische Stärke eines Staates wird »nicht wenig durch militär-geographische Gesichtspunkte bestimmt.«

Diese Ziele, fügt Hitler hinzu, können nicht ohne Krieg erreicht werden. Es wäre unmöglich, die Wiederherstellung der Grenzen von 1914 ohne Blutvergießen durchzusetzen. Noch unmöglicher wäre es, den nötigen Lebensraum zu erwerben, wenn man sich nicht auf einen »Waffengang« vorbereite.

»Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm Untertanen Randstaaten denken.... Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem: Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten.« Aber vorher ist es nötig, so erklärte Hitler, Frankreichs Hegemoniebestrebungen auszurotten und »mit diesem Todfeind eine endgültige Auseinandersetzung zu haben«. »Die Vernichtung Frankreichs wird es Deutschland später gestatten, Ostgebiete zu erwerben.« Die Abrechnung mit dem Westen sei nur ein Vorspiel. Man dürfe sie nur als eine Rückendeckung für die Ausdehnung unseres Gebietes in Europa betrachten.

Überdies müsse Deutschland für die Zukunft in seinen Nachbargebieten das Bestehen einer »Militärmacht« verhindern, die in Wettbewerb mit Deutschland treten könnte und müßte sich »mit allen Mitteln« der Entstehung eines solchen Staates widersetzen, der imstande wäre, eine solche Macht zu erlangen beziehungsweise, wenn ein solcher bereits entstanden sei, ihn wieder zu zerschlagen; dies sei für Deutschland nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht.

»Duldet niemals«, empfiehlt Hitler seinen Volksgenossen an einer Stelle, die er als sein politisches Testament bezeichnet, »das Entstehen zweier Kontinentalmächte in Europa. Seht in jeglichem Versuch, an den deutschen Grenzen eine zweite Militärmacht zu organisieren, und sei es auch nur in Form der Bildung eines zur Militärmacht fähigen Staates, einen Angriff gegen Deutschland...«

Krieg zur Wiedereroberung der im Jahre 1919 verlorenen Gebiete, Krieg zur Vernichtung der Macht Frankreichs, Krieg, um in Osteuropa Lebensraum zu gewinnen, Krieg schließlich gegen jeden Staat, der ein Gegengewicht zur Hegemonie des Reiches bildet oder auch nur bilden könnte, das ist der Plan von »Mein Kampf«.

So weicht der Nationalsozialismus vom Beginn seines Bestehens an vor keiner noch so sicheren Kriegsgefahr zurück, die die Anwendung seiner Lehren mit sich bringt.

Und tatsächlich haben sich Hitler und seine Gefährten von der Machtergreifung an der militärischen und diplomatischen Vorbereitung der Angriffskriege, zu denen sie entschlossen waren, gewidmet.

Gewiß hat Deutschland auch schon bevor der Nationalsozialismus zur Macht kam, den Willen gezeigt, seine militärischen Streitkräfte wiederaufzubauen, insbesondere im Jahre 1932, als Deutschland bei der Abrüstungskonferenz die »Gleichberechtigung« hinsichtlich der Rüstungen zurückforderte und die Bestimmungen des Versailler Vertrags über die Abrüstung bereits im geheimen verletzt hatte. Nachdem Hitler zur Macht gekommen war, wurde die deutsche Wiederaufrüstung jedoch in einem ganz anderen Maßstab betrieben.

Am 14. Oktober 1933 verläßt das Reich die Abrüstungskonferenz und gibt fünf Tage später bekannt, daß es sich entschlossen habe, aus dem Völkerbund auszutreten, unter dem Vorwand, daß ihm die Gleichberechtigung in der Rüstungsfrage verweigert worden sei. Dies, obwohl Frankreich sich bereit erklärt hatte, die Gleichberechtigung zu akzeptieren, wenn Deutschland zuvor einer internationalen Kontrolle zustimmen würde, die den wirklichen Stand der bestehenden Rüstungen festzustellen hätte. Deutschland wollte diese Bedingung offensichtlich nicht annehmen, weil eine internationale Kontrolle den Umfang der vom Reich in Verletzung der Verträge und heimlich durchgeführten Aufrüstung aufgedeckt hätte. Übrigens hat Hitler in einer Kabinettssitzung am 13. Oktober 1933, deren Niederschrift aufgefunden wurde, erklärt, daß er die Abrüstungskonferenz »torpedieren« werde. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß die Versuche zur Wiederaufnahme der Besprechungen, die nach dem Austritt Deutschlands geführt worden waren, scheiterten.

Durch die achtzehn Monate später gefaßte Entscheidung, die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen und sogleich eine Armee von sechsunddreißig Divisionen Friedensstärke aufzustellen, sowie eine Luftwaffe aufzubauen, verletzte die Regierung Hitlers die Verpflichtungen, die Deutschland im Vertrag von Versailles auf sich genommen hatte. Trotzdem haben Frankreich und Großbritannien am 3. Februar 1935 dem Reiche angeboten, seinen Platz im Völkerbund wieder einzunehmen und ein allgemeines Abrüstungsabkommen vorzubereiten, das die militärischen Bestimmungen des Vertrags ersetzen sollte. In dem Augenblick, da Hitler im Begriff stand, durch freie Verhandlungen die Aufhebung der einseitigen Benachteiligung zu verlangen, die, wie er sagte, vom Versailler Vertrag Deutschland auferlegt wurde, zog er es vor, sich jeder freiwilligen Beschränkung und jeder Rüstungskontrolle durch formelle Vertragsverletzung zu entziehen.

Als die Deutsche Regierung am 7. März 1936 beschloß, den Vertrag von Locarno zu kündigen und in Verletzung der Artikel 42 und 43 des Vertrags von Versailles die entmilitarisierte Rheinlandzone sofort wieder zu besetzen, gab sie vor, daß dies eine Erwiderung auf den Abschluß des Paktes sei, der am 2. Mai 1935 zwischen Frankreich und der USSR unterzeichnet und am 27. Februar 1936 von der französischen Kammer ratifiziert wurde. Dieser Pakt, so behauptete man, widerspreche dem Vertrag von Locarno. Dies war nichts als ein Vorwand, der von niemandem ernst genommen wurde. Die Nazi-Führer wollten so schnell wie möglich mit dem Bau der Siegfriedlinie in der entmilitarisierten Rheinlandzone beginnen, um eine eventuelle militärische Intervention Frankreichs zur Unterstützung seiner Verbündeten im Osten unwirksam zu machen. Die Entscheidung vom 7. März 1936 war das Vorspiel zu den Angriffen gegen Österreich, die Tschechoslowakei und Polen.

Im Innern wurde die Aufrüstung mit Hilfe einer Reihe wirtschaftlicher und finanzieller Maßnahmen durchgeführt, die alle Seiten des nationalen Lebens berührten. Die gesamte Wirtschaft wird im Sinne der Vorbereitung zum Kriege geleitet. Die Regierung erklärt den Vorrang der Rüstungsproduktion vor allen übrigen Produktionszweigen. Die Politik bestimmt die Wirtschaft. Es ist nötig, erklärte der Führer, daß die Bevölkerung sich eine Zeitlang mit der Rationierung von Butter, Fett oder Fleisch abfindet, damit sich die Aufrüstung im gewünschten Tempo durchführen läßt. Das deutsche Volk protestierte gegen dieses Schlagwort nicht. Der Staat interveniert, um die Herstellung von Ersatzgütern zu steigern, die die fehlenden Rohstoffe ersetzen und es dem Reich ermöglichen sollen, im Falle eines Konflikts die für die Armee und Luftwaffe nötige Produktion aufrechtzuerhalten, selbst wenn die Einfuhr schwierig oder unmöglich werden sollte. Im September 1936 veranlaßt der Angeklagte Göring die Einrichtung des Vierjahresplans und leitet die Anwendung des Planes, der Deutschland unter ein Kriegswirtschaftsregime stellt. Die Kosten dieser Aufrüstung werden durch den neuen Vorgang der Ausgabe von Arbeitswechseln gesichert. Während der dreieinhalb Jahre, die der Angeklagte Schacht an der Spitze des Reichswirtschaftsministeriums stand, führte er diesen Finanzmechanismus ein und spielte daher eine hervorragende Rolle bei der militärischen Vorbereitung, wie er dies selbst in einer Rede nach seinem Ausscheiden aus dem Ministerium im November 1938 vor dem Wirtschaftsrat der Deutschen Akademie hervorgehoben hat.

Auf diese Weise gelang es Deutschland, in drei Jahren wieder eine große Armee aufzustellen und in technischer Hinsicht eine Organisation ins Leben zu rufen, die vollständig auf den künftigen Krieg ausgerichtet war. Als am 5. November 1937 Hitler seinen Mitarbeitern diesen innenpolitischen Plan bekanntgab, stellte er fest, daß die Aufrüstung so gut wie vollendet sei.

VORSITZENDER: Würde eine Pause jetzt passend sein?