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M. DE MENTHON: Während die Hitler-Regierung dem Reiche die wirtschaftlichen und finanziellen Mittel für einen Angriffskrieg gab, führte sie gleichzeitig die diplomatische Vorbereitung für diesen Krieg, indem sie sich bemühte, während der Zeitspanne, die für die Aufrüstung unbedingt nötig war, die bedrohten Völker zu beruhigen und gleichzeitig ihre möglichen Gegner voneinander zu trennen.

In einer Rede vom 17. Mai 1933 verlangte Hitler die Revision des Vertrags von Versailles, stellte jedoch fest, daß er nicht daran denke, sie mit Gewalt durchzusetzen. Er erklärte, die berechtigten Ansprüche aller Völker anzuerkennen, und versicherte, daß er nicht die Absicht habe, diejenigen zu germanisieren, die keine Deutschen seien. Er wisse die Rechte der anderen Völker zu respektieren.

Der Abschluß des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes vom 26. Januar 1934, der eine Zeitlang die Warschauer Regierung beruhigen und sie in einem Gefühl falscher Sicherheit halten sollte, ist vor allem dazu bestimmt, der französischen Politik ein Aktionsmittel aus der Hand zu nehmen. In einem Werk, das unter dem Titel »Deutschlands Außenpolitik, 1933-39« im Jahre 1939 veröffentlicht wurde, schrieb der halboffizielle Verfasser, Professor von Freytagh- Loringhoven, es sei das wesentliche Ziel des Paktes gewesen, das Spiel des französisch-polnischen Bündnisses unwirksam zu machen und das ganze französische System zu Boden zu werfen.

Die Verhandlungen, die Deutschland am 26. Mai 1935 mit England zehn Tage nach der Kündigung der militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrags aufnahm, Verhandlungen, die zum Flottenabkommen vom 18. Juli 1935 führen sollten, zielen auf Beruhigung der öffentlichen Meinung in England; sie sollten zeigen, daß das Reich, wenn es auch wieder eine starke Militärmacht werden wollte, nicht daran dachte, wieder eine große Flotte aufzubauen.

Am Tage nach der Volksabstimmung vom 13. Januar 1935, die über die Rückkehr des Saargebietes zum Reich entschied, verkündete Hitler feierlich, daß er an Frankreich keine territorialen Forderungen mehr habe. Die gleiche Taktik wendet er gegenüber Frankreich bis Ende 1938 an. Als Ribbentrop am 6. Dezember 1938 nach Paris kam, um die französisch- deutsche Erklärung zu unterschreiben, die die Grenzen zwischen den beiden Ländern als »endgültig« anerkannte, und sagte, daß die beiden Regierungen entschlossen seien, »vorbehaltlich ihrer besonderen Beziehungen zu dritten Mächten... in eine Beratung einzutreten, wenn die künftige Entwicklung von beide Länder angehenden Fragen zu internationalen Schwierigkeiten führen sollte«, gibt er noch, wie der Französische Botschafter in Berlin berichtet, der Hoffnung Ausdruck, »den Frieden im Westen zu stabilisieren, um im Osten freie Hand zu haben«.

Hat Hitler nicht auch Österreich und der Tschechoslowakei die gleichen Versprechungen gegeben? Am 11. Juli 1936 unterzeichnet er ein Abkommen mit der Wiener Regierung, in dem er die Unabhängigkeit Österreichs anerkennt, die Unabhängigkeit, die er zwanzig Monate später zerstören wird.

Im Abkommen von München verspricht er am 29. September 1938 die Unantastbarkeit des tschechischen Gebietes für die Zukunft zu garantieren, des Gebietes, in das er keine sechs Monate später einfällt.

Inzwischen hatte Hitler in einer Geheimkonferenz in der Reichskanzlei am 5. November 1937 seinen Mitarbeitern mitgeteilt, daß die Stunde gekommen sei, das Problem des für Deutschland notwendigen Lebensraums mit Gewalt zu lösen. Die diplomatische Lage sei für Deutschland günstig; es habe die Rüstungsüberlegenheit erworben, laufe aber Gefahr, sie nur vorübergehend zu behalten. Man dürfe nicht länger warten sondern müsse handeln.

Alsdann folgten die verschiedenen Aggressionen, über die dem Gerichtshof bereits ein Bericht vorgetragen worden ist. Dieser Bericht hat des weiteren gezeigt, daß die verschiedenen Aggressionen internationaler Verträge und der Grundsätze des Völkerrechts geschehen sind. Im übrigen hat die deutsche Propaganda dies damals nicht in Abrede gestellt. Sie hat sich darauf beschränkt, zu sagen, daß diese Verträge und Grundsätze »mit der Zeit jeden realen Wert verloren hätten«; mit, anderen Worten, sie hat ganz einfach die Bedeutung des gegebenen Wortes geleugnet und die Grundlagen für hinfällig erklärt, auf denen das Völkerrecht beruht. Diese Begründung stimmt vollkommen mit der nationalsozialistischen Lehre überein, die, wie wir gesehen haben, kein Völkerrecht anerkennt und alle Mittel, die dem Interesse der deutschen Rasse dienen, für gerechtfertigt erklärt.

Es ist jedoch keineswegs nutzlos, die verschiedenen Argumente zu untersuchen, deren sich die deutsche Propaganda bediente, um die seit langem geplanten Aggressionen zu rechtfertigen.

Deutschland hat sich zunächst auf seine vitalen Interessen berufen. Ist es nicht entschuldbar, die Bestimmungen des Völkerrechts außer acht zu lassen, wenn es sich darum handelt, für die Existenz des eigenen Volkes zu kämpfen? Deutschland brauchte eine wirtschaftliche Ausdehnung. Es hatte das Recht und die Pflicht, die deutschen Minderheiten im Ausland zu beschützen. Es war verpflichtet, die Einkreisung abzuwehren, mit der die Westmächte das Reich bedrohten.

Die wirtschaftliche Ausdehnung war einer der Gründe, auf die sich Hitler sogar seinen direkten Mitarbeitern gegenüber bei den 1937 und 1939 in der Reichskanzlei abgehaltenen geheimen Sitzungen berief. Wirtschaftliche Bedürfnisse, so sagte er, liegen der Expansionspolitik Italiens und Japans zugrunde; sie führen auch Deutschland zu einer solchen Politik. Aber hätte Hitler-Deutschland nicht versuchen können, diese Bedürfnisse auf friedlichem Wege zu befriedigen? Hat es daran gedacht, durch Wirtschaftsverhandlungen neue Möglichkeiten für seinen Außenhandel zu erlangen? Das waren nicht die Lösungen, bei denen der Führer sich aufgehalten hätte. Zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands sah er nur die Erwerbung landwirtschaftlicher Gebiete, zweifellos, weil er unfähig war, diese Probleme anders als unter dem Gesichtswinkel der Kriegswirtschaft zu sehen. Wenn er die Notwendigkeit betonte, diesen »landwirtschaftlichen Raum«, wie er es nannte, zu gewinnen, so geschah das, weil er darin das Mittel sah, für die deutsche Bevölkerung die Nahrungsmittelquellen sicherzustellen, die sie vor den Folgen einer Blockade schützen würden.

Die Pflicht, die »deutschen Minderheiten im Ausland« zu beschützen, war von 1937 bis 1939 das Lieblingsthema, dessen sich die deutsche Diplomatie bediente. Es konnte offensichtlich nicht als Entschuldigung für die Zerstörung des Tschechoslowakischen Staates und der Errichtung des »Deutschen Protektorats Böhmen und Mähren« dienen. Aber das Schicksal der »Sudetendeutschen« und der »Danzig-Deutschen« bildete das Leitmotiv der deutschen Presse, der Reden des Führers und der Propagandaveröffentlichungen Ribbentrops. Ist es nötig, daran zu erinnern, daß Hitler in der geheimen Sitzung vom 5. November 1937, als er vor seinen Mitarbeitern den Plan für die Aktion gegen den Tschechoslowakischen Staat entwickelte, kein Wort über die »Sudetendeutschen« fallen läßt, und daß er in der Sitzung vom 23. Mai 1939 erklärt, Danzig sei nicht »das Objekt« des deutsch- polnischen Konflikts? Das Recht der Nationalitäten war ihm nur ein Propagandamittel, dazu bestimmt, die wirkliche Absicht, nämlich die Eroberung des Lebensraums, zu tarnen.

Die von den Westmächten gegen das Reich gerichtete Einkreisung ist das Argument, dessen sich Hitler bediente, als er am 28. April 1939 das 1935 mit Großbritannien abgeschlossene Flottenabkommen kündigte. Die These der Einkreisung nahm in dem Deutschen Weißbuch über den Ursprung des Krieges von 1939 einen breiten Raum ein. Aber Deutschland hatte im Mai 1939 ein Bündnis mit Italien geschlossen, und kann man von einer Einkreisung durch die Alliierten sprechen angesichts des Abschlusses des deutsch-russischen Paktes vom 23. August 1939? Darf man vergessen, daß die diplomatischen Bemühungen Frankreichs und Großbritanniens gegenüber Griechenland, Rumänien, der Türkei und Polen in der Zeit nach der Zerstörung des Tschechoslowakischen Staates und zu Beginn des deutsch-polnischen diplomatischen Konflikts liegen?

Hat nicht der englische Premierminister am 23. März 1939 im Unterhaus erklärt, daß die englische Politik sich lediglich zwei Ziele gesetzt habe: Deutschland daran zu hindern, Europa zu beherrschen und »sich einem Vorgehen zu widersetzen, das durch Gewaltandrohung die schwächeren Staaten zwänge, ihre Unabhängigkeit aufzugeben«? Das, was Hitler- Deutschland »Einkreisung« nannte, waren nur einfache Schranken, die man sich erst spät aufzurichten bemühte, um maßlose Bestrebungen einzudämmen.

Aber die deutsche Propaganda ist auch hier nicht stehen geblieben. Haben wir nicht gehört, wie einer ihrer Wortführer die passive Haltung Frankreichs und Großbritanniens im September 1938 mit dem Widerstand verglich, den diese Länder 1939 der Hitlerschen Politik entgegensetzten, und daraus den Schluß zog, daß der Frieden hätte aufrechterhalten werden können, wenn die Westmächte auf Polen Druck ausgeübt hätten, um es zur Annahme der deutschen Forderungen zu bewegen, wie sie es im Jahre vorher der Tschechoslowakei gegenüber getan hatten? Eine merkwürdige Begründung, die besagt, daß Deutschland bereit gewesen wäre, vom Krieg abzustehen, wenn alle anderen Mächte sich seinem Willen gebeugt hätten. Daß Frankreich und Großbritannien lange Zeit den Völkerrechtsverletzungen Deutschlands nichts als platonische Proteste entgegensetzten, bildet dies eine Entschuldigung für die Urheber dieser Verletzungen? Durch Hitlers Beteuerungen hinters Licht geführt, konnte die öffentliche Meinung in Frankreich und Großbritannien glauben, daß die Pläne der Nazis sich nur die Regelung des Schicksals der deutschen Minderheiten zum Ziel gesetzt hatten; konnte sie hoffen, daß die Bestrebungen Deutschlands Grenzen hätten. In Unkenntnis der geheimen deutschen Pläne, für die wir heute die Beweise besitzen, haben Frankreich und Großbritannien Deutschland das Rheinland wieder besetzen und befestigen lassen, während nach der eigenen Aussage Ribbentrops ein militärisches Eingreifen der Westmächte im März 1936 das Reich in eine kritische Lage versetzt hätte. Die Westmächte haben die Aggressionen vom März und September 1938 geschehen lassen; es bedurfte der Zerstörung des Tschechoslowakischen Staates, um die Tragweite der deutschen Pläne klar vor aller Augen zu stellen. Wie kann man sich darüber wundern, daß sie daraufhin ihre Haltung änderten und beschlossen, den deutschen Plänen Widerstand entgegenzusetzen? Wie kann man noch vorgeben, daß im August 1939 der Frieden durch Zugeständnisse hätte »erkauft« werden können, da doch die geheimen deutschen Dokumente beweisen, daß Hitler seit Mai 1939 entschlossen war, Polen anzugreifen, daß er »schwer enttäuscht« gewesen wäre, wenn Polen nachgegeben hätte, und daß er einen allgemeinen Krieg wünschte?

Tatsächlich war der Krieg durch die Machtergreifung seitens der Nationalsozialisten unvermeidlich; ihre Lehre führte notwendig darauf hin.

Wie Sir Hartley Shawcross dem Hohen Gerichtshof mit viel Überzeugungskraft vorgetragen hat, ist der Angriffskrieg eindeutig eine Verletzung des Völkerrechts und insbesondere des allgemeinen Vertrags über den Verzicht auf den Krieg vom 27. August 1928, bekannt unter dem Namen Pakt von Paris oder Briand-Kellogg-Pakt, den auch Deutschland unterzeichnet hat. Dieser Pakt bildet seither einen Teil des Völkerrechts.

Ich gestatte mir, Artikel I des Paktes zu verlesen:

»Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, daß sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.«

Der Angriffskrieg hat demnach seit 1928 aufgehört, erlaubt zu sein.

Sir Hartley Shawcross hat Ihnen in beredten Worten dargelegt, daß der Pakt von Paris ein neues Recht der zivilisierten Nationen, die Grundlage für eine bessere europäische Ordnung bilden sollte. Der Pakt von Paris, der das grundlegende Statut des Rechtes zum Kriege bleibt, bedeutet in der Tat einen wesentlichen Schritt in der Entwicklung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Die Haager Konventionen hatten das Kriegsrecht geregelt. Sie hatten die Verpflichtung aufgestellt, vor Beginn jedes Konflikts eine Vermittlung anzurufen. Sie hatten sehr deutliche Unterscheidungen gesetzt zwischen Kriegshandlungen, die internationales Recht oder Gewohnheit gestatten, und solche, deren Ausführungen untersagt werden.

Die Haager Konventionen haben jedoch das Prinzip des Krieges als solchen nicht berührt, so daß er außerhalb des Gebietes des Rechtes blieb. Der Krieg ist hingegen Gegenstand des Paktes von Paris, der das Recht zum Krieg regelt. Seit 1928 ist das internationale Recht über den Krieg aus seinem überkommenen Rahmen herausgetreten: es hat den Empirismus der Haager Konventionen überholt, um die rechtliche Grundlage für die Verwendung der Gewalt zu bestimmen. Jeder Angriffskrieg ist rechtswidrig und die Männer, die die Verantwortung für seine Entfesselung tragen, stellen sich freiwillig außerhalb des Gesetzes.

Was kann das sonst bedeuten, als daß alle Verbrechen, die als Folge eines solchen Angriffs und zur Fortführung eines so begonnenen Kampfes begangen wurden, aufhören, den rechtlichen Charakter von Kriegshandlungen zu besitzen.

Der Ausspruch Pascals ist bekannt: »Warum tötest Du mich? Warum bleibst Du nicht auf der anderen Seite des Wassers? Mein Freund, wenn Du auf dieser Seite bleibst, so würde ich ein Mörder, und es wäre ungerecht, Dich auf solche Weise zu töten. Da Du aber auf der anderen Seite bleibst, bin ich ein ehrlicher Mann, und das ist richtig.«

Die Handlungen, die bei der Führung eines Krieges begangen werden, sind Angriffe auf Personen und Güter, die an sich in allen Gesetzgebungen verboten und mit Strafe bedroht sind. Der Kriegszustand kann sie nur dann erlaubt machen, wenn der Krieg selbst erlaubt war. Da dies seit dem Briand-Kellogg-Pakt nicht mehr der Fall ist, werden solche Handlungen ganz einfach zu Verbrechen des ordentlichen Rechtes. Wie Justice Jackson Ihnen mit unwiderlegbarer Logik auseinandergesetzt hat, stellt jede Verwendung von Krieg eine Verwendung von Mitteln dar, die selbst verbrecherisch sind.

Das ist der Geist des Briand-Kellogg-Paktes. Er wollte den Unterzeichnerstaaten das Recht entziehen, in ihrem nationalen Interesse eine Reihe von Handlungen einzuleiten, die gegen physische Personen oder gegen Güter von Angehörigen fremder Mächte gerichtet sind. Da damit eine formelle Bindung bestand, haben diejenigen, die sie mißachteten, Handlungen befohlen, die vom gemeinsamen Recht aller zivilisierten Staaten verboten sind, ohne daß eine besondere Regel des Völkerrechts wirksam wird, wie jene, die vorher bestand und den sogenannten Kriegshandlungen den strafrechtlichen Charakter nahm.

Ein Krieg, der unter Verletzung des Völkerrechts begonnen wird, hat tatsächlich nicht mehr den rechtlichen Charakter eines Krieges. Er ist in Wirklichkeit ein Räuberunternehmen, ein Unternehmen systematischen Verbrechertums.

Dieser Krieg, oder vielmehr dieser angebliche Krieg, ist nicht nur eine Verletzung des Völkerrechts, sondern ein Verbrechen, da er die Auslösung dieses Unternehmens systematischen Verbrechertums bedeutet.

Da sie erlaubterweise nicht zu Gewalt greifen durften, müssen diejenigen, die dies befahlen und dies als Organe des vertraglich gebundenen Staates taten, als die eigentlichen Urheber der vielfachen Angriffe auf das Leben und das Eigentum angesehen werden, die nach allen Strafgesetzen schwer bestraft werden.

Man kann wohlverstandenerweise aus dem Vorgesagten nicht die individuelle Verantwortlichkeit aller jener ableiten, die Gewalttaten begingen. Es ist klar, daß sich in einem modern organisierten Staate die Verantwortlichkeit auf diejenigen beschränkt, die unmittelbar für den Staat handeln, da allein sie imstande sind, die Rechtmäßigkeit der gegebenen Befehle zu beurteilen. Sie allein können und sollen verfolgt werden. Das Völkerrecht ist stark genug, um durch das Prestige der Staatensouveränität nicht zur Unwirksamkeit verurteilt zu werden. Keinesfalls kann man den Standpunkt vertreten, daß Verbrechen gegen das Völkerrecht nicht geahndet werden sollen, weil einerseits der Staat ein Wesen ist, dem man keine verbrecherische Absicht zubilligen und keine Strafe auferlegen kann, und andererseits, weil es nicht möglich ist, das Individuum für Staatshandlungen nicht zur Verantwortung zu ziehen.

Es kann auch nicht eingewendet werden, daß trotz der Unerlaubtheit des Prinzips der Gewaltanwendung, wie es von Deutschland gebraucht wurde, die anderen Staaten das Bestehen eines Krieges zugegeben und von der Anwendung des Völkerrechts im Kriege gesprochen hätten. Es muß in der Tat bemerkt werden, daß selbst im Falle eines Bürgerkrieges die Parteien häufig diese Regeln angewandt haben, die die Anwendung von Gewalt in gewissem Umfang ordnen. Dies bedeutet keinesfalls eine Zustimmung zum Prinzip der Gewaltanwendung selbst.

Als übrigens Großbritannien und Frankreich dem Völkerbund anzeigten, daß zwischen ihnen und Deutschland, beginnend mit dem 3. September 1939, der Kriegszustand bestehe, erklärten sie auch, daß Deutschland mit seiner Aggression gegen Polen nicht nur die gegenüber Polen, sondern auch die den anderen Signatarmächten des Paktes von Paris gegenüber eingegangenen Verpflichtungen verletzt habe.

Von diesem Zeitpunkt an stand es in gewisser Weise für Großbritannien und Frankreich fest, daß Deutschland einen verbotenen Krieg begonnen habe.

Krieg setzt Vorbereitung und Entschluß voraus; es wäre zwecklos, ihn zu verbieten, wäre man nicht gewillt, über diejenigen Strafen zu verhängen, die absichtlich zum Kriege schreiten, obgleich sie einen anderen Weg einschlagen könnten. Man muß sie als unmittelbare Anstifter von Taten ansehen, die als Verbrechen qualifiziert sind.

Aus alledem geht, wie uns scheint, hervor, daß das Statut vom 8. August nur eine Rechtsprechung eingesetzt hat zur Aburteilung von Taten, die bereits internationale Verbrechen waren, nicht nur vor dem Gewissen der Menschheit, sondern auch für das Völkerrecht, bevor dieses Gericht bestellt wurde.

Wenn man nicht bestreitet, daß wirklich ein Verbrechen vorliegt, kann man dann die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs zur Aburteilung des Verbrechens bestreiten?

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die durch den Pakt von 1928 gebundenen Staaten eine internationale Verantwortlichkeit gegenüber den Mitsignataren übernommen haben, wenn sie entgegen den von ihnen übernommenen Verbindlichkeiten handelten.

Die internationale Verantwortlichkeit trifft gewöhnlich die staatliche Gesamtheit als solche, ohne daß grundsätzlich die Personen hervortreten, die die Urheber der unerlaubten Handlung sind. Im Rahmen des Staates, auf den eine internationale Verantwortlichkeit fallen kann, liegt es im allgemeinen, das Verhalten der Männer zu werten, die Urheber dieser Völkerrechtsverletzung sind. Sie werden sich je nach Lage des Falles politisch oder strafrechtlich vor den Parlamenten oder den zuständigen Gerichten zu verantworten haben.

Dies erklärt sich daraus, daß normalerweise der staatliche Rahmen die Staatsangehörigen in sich schließt; die staatliche Ordnung übernimmt die Rechtsausübung auf einem gegebenen Gebiet und hinsichtlich der Personen, die sich dort befinden; das Versagen des Staates bei dieser wesentlichen Aufgabe zieht die Reaktion, also den Protest dritter Mächte nach sich, insbesondere wenn eigene Staatsangehörige interessiert sind.

Gegenwärtig gibt es jedoch keinen Deutschen Staat. Seit der Kapitulationserklärung vom 5. Mai 1945 bis zu dem Tage, an dem durch Übereinkommen der vier Besatzungsmächte eine Regierung eingesetzt sein wird, gibt es kein Organ, das den Deutschen Staat vertritt. Unter diesen Umständen kann man nicht annehmen, daß eine deutsche staatliche Ordnung besteht, die fähig wäre, die Folgerungen aus der Anerkennung der Verantwortlichkeit des Reiches für die Verletzung des Briand-Kellogg-Paktes hinsichtlich der Personen zu ziehen, die in ihrer Eigenschaft als Organe des Reiches tatsächlich die Urheber dieser Verletzung sind.

Heute wird die höchste Gewalt über das gesamte deutsche Reichsgebiet und die Gesamtheit der deutschen Bevölkerung durch die vier Mächte ausgeübt, die gemeinschaftlich handeln. Es muß daher zugegeben werden, daß die Staaten, welche die höchste Gewalt über Gebiet und Bevölkerung Deutschlands ausüben, diese Schuld vor Gericht bringen können. Anders würde die Erklärung, daß Deutschland eine von ihm in aller Form übernommene Verpflichtung verletzt hat, nichts bedeuten.

Im übrigen handelt es sich um die strafrechtliche Verantwortlichkeit für eine Reihe von Handlungen, die als Verbrechen gegen Staatsangehörige der Vereinten Nationen qualifiziert werden. Diese Handlungen, die rechtlich keine Kriegshandlungen mehr sind, aber als solche begangen wurden auf Anstiftung derjenigen, die die Verantwortung für die Entfesselung des sogenannten Krieges tragen, die Angriffe gegen Leben und Eigentum von Staatsangehörigen der Vereinten Nationen gerichtet haben, diese Handlungen können auf Grund des Territorialitätsprinzips, wie wir bereits dargelegt haben, vor einem Gericht zur Aburteilung kommen, das von den Vereinten Nationen zu diesem Zweck bestellt wurde, ebenso wie die Kriegsverbrechen im engeren Sinne gegenwärtig den Gerichten jener Länder zugewiesen werden, deren Staatsangehörige die Opfer waren.

Die im Laufe des Krieges von den Nazis begangenen Verbrechen, ebenso wie der Angriffskrieg als solcher, sind, wie Justice Jackson dargelegt hat, klare Beweise für einen gemeinsamen und methodisch ausgeführten Plan.

Diese Verbrechen sind ebenso wie der Krieg selbst die unmittelbare Folge der nationalsozialistischen Lehre. Diese Lehre kennt keine Skrupel bei der Wahl der Mittel zur Erreichung des Enderfolgs, und für sie ist das Ziel des Krieges Plünderung, Zerstörung und Ausrottung.

Der totale Krieg, der in seinen Methoden und Zielen totalitäre Krieg, wird von der Vorrangstellung der deutschen Rasse und von der Verneinung aller anderen Werte diktiert. Die Nazi-Anschauung betrachtete die Auslese als ein Naturprinzip; der Mensch, der nicht der höheren Rasse angehört, zählt nicht. Das Menschenleben bedeutet nichts, und Freiheit, Persönlichkeit und Würde des Menschen noch weniger, wenn es sich um einen Gegner der deutschen Volksgemeinschaft handelt.

Es ist wirklich die »Rückkehr zum Barbarentum« mit allen ihren Folgerungen. Getreu sich selbst geht der Nazismus so weit, sich das Recht anzumaßen, sowohl Rassen, die er als feindlich oder dekadent betrachtet, wie Einzelmenschen und Gruppen innerhalb der unterworfenen und auszumerzenden Nationen, die zu einem Widerstand fähig wären, vollkommen auszurotten. Bedeutet denn der totalitäre Krieg nicht Vernichtung jedes auch nur möglichen Widerstandes? Man läßt alle diejenigen Personen verschwinden, die sich irgendwie der neuen Ordnung und der deutschen Hegemonie entgegensetzen könnten. So wird man zur absoluten Herrschaft über die Nachbarvölker gelangen, die geschwächt und machtlos sind, und zur Verwendung aller Hilfsquellen und des Menschenmaterials dieser zu Sklaven herabgewürdigten Völker zum Vorteil des Reiches.

Alle Moralbegriffe, die den Krieg humanisieren sollten, werden offensichtlich als veraltet angesehen, noch mehr alle internationalen Abmachungen, die dazu bestimmt waren, die Übel des Krieges zu mildern.

Die eroberten Völker müssen freiwillig oder gezwungen sowohl ihre materiellen Hilfsquellen als auch ihre Arbeitskräfte dem deutschen Sieger zur Verfügung stellen. Man versteht es, sie dazu zu zwingen.

Die Behandlung, der die besetzten Länder unterworfen werden, steht in gleicher Weise in Beziehung mit den Zwecken des Krieges.

So konnte man in der »Deutschen Volkskraft« vom 13. Juni 1935 lesen: »Der totalitäre Krieg wird in einem totalitären Siege enden. Totalitär bedeutet die vollständige Vernichtung des besiegten Volkes und sein vollständiges und endgültiges Verschwinden von der Bühne der Geschichte.«

Unter den besiegten Völkern ist zu unterscheiden, ob die Nationalsozialisten sie als zur Herrenrasse gehörig betrachteten oder nicht. Im ersten Fall geht man daran, sie auch gegen ihren Willen dem Reiche einzuverleiben, bei den anderen bemüht man sich, sie zu schwächen und zum Verschwinden zu bringen, und dies mit allen Mitteln von der Enteignung der Güter bis zur Ausrottung der Menschen.

Bei den einen wie den anderen greifen die Nazi- Führer nicht nur Gut und Blut an, sondern auch Geist und Seele. Sie versuchen, die Bevölkerungen nach dem Dogma und dem Verhalten der Nazis auszurichten, wenn sie sie der deutschen Gemeinschaft einverleiben wollen; sie legen es wenigstens darauf an, überall diejenigen Begriffe zu töten, die mit der Nazi- Welt unversöhnbar sind; sie sind bestrebt, die Menschen in ihrer Gesinnung und Lebenshaltung zu Sklaven zu machen, deren Nationalität zugunsten der deutschen Rasse verschwinden soll.

Im Geiste dieser Begriffe über die Art und Weise des Vorgehens in den besetzten Ländern haben die Angeklagten besondere Befehle oder allgemeine Weisungen erteilt oder haben sich ihnen freiwillig angeschlossen. Ihre Verantwortlichkeit als Täter, Mittäter oder Teilnehmer an den Kriegsverbrechen, die vom 1. September 1939 bis 8. Mai 1945 im Krieg systematisch von Deutschland begangen worden sind, kann daher ohne weiteres angenommen werden. Sie haben diese Verbrechen bewußt gewollt, vorbedacht und angeordnet, oder sich wissentlich dieser Politik des organisierten Verbrechertums angeschlossen.

Wir werden die verschiedenen Seiten dieser verbrecherischen Politik darstellen, wie sie in den besetzten Ländern Westeuropas durchgeführt wurde, indem wir nacheinander die Zwangsarbeit, die wirtschaftliche Ausplünderung und die Verbrechen gegen Personen und gegen die menschlichen Lebensgrundlagen behandeln.

Der Begriff des totalen Krieges als Erzeuger aller Verbrechen, die von Nazi-Deutschland in den besetzten Gebieten begangen wurden, war Ausgangspunkt für die Arbeitsdienstpflicht. Mit dieser Einrichtung beabsichtigte Deutschland, das Arbeitspotential der unterworfenen Völker möglichst stark auszunützen, um die deutsche Kriegsproduktion auf der notwendigen Höhe zu halten. Andererseits kann kein Zweifel bestehen darüber, daß diese Politik zum allgemeinen Plane der »Vernichtung durch Arbeit« der Deutschland benachbarten Völker paßte, die für gefährlich oder untergeordnet angesehen wurden.

Ein Dokument des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht mit Datum des 1. Oktober 1938 sah die zwangsweise Verwendung von Gefangenen und Zivilpersonen für Kriegsarbeiten vor. In einer Rede vom 9. November 1941 »zweifelte Hitler keinen Augenblick daran, daß wir in den besetzten Gebieten, die wir zur Zeit beherrschen, auch den letzten Menschen für uns arbeiten lassen werden«. Von 1942 an entwickelte sich unter der anerkannten Verantwortlichkeit des Angeklagten Sauckel, der in Verbindung mit dem Angeklagten Speer und unter der Kontrolle des Angeklagten Göring, des Beauftragten für den Vierjahresplan, handelte, die Arbeitsdienstpflicht zugunsten des von Deutschland geführten Krieges zu ihrem vollen Umfang.

Die verschiedensten Zwangsmethoden wurden gleichzeitig oder nacheinander angewandt:

1. Anforderung von Dienstleistungen unter Bedingungen, die mit Artikel 52 der Haager Konvention unvereinbar waren.

2. Fiktiv freiwillige Arbeit, die darin bestand, daß man Arbeiter zwang, Verträge zu unterschreiben, die sie zur Arbeitsleistung in Deutschland verpflichteten.

3. Aushebung zur Zwangsarbeit.

4. Verpflichtung der Kriegsgefangenen zur Arbeit für die deutsche Kriegswirtschaft, wobei man sie in bestimmten Fällen zu sogenannten freien Arbeitern verwandelte.

5. Eingliederungen bestimmter ausländischer Arbeiter, besonders Franzosen, Elsässer und Lothringer, und Luxemburger in die Deutsche Arbeitsfront.

Alle diese Vorgänge stellen Verbrechen gegen das Völkerrecht und Verletzungen der Artikel 52 der Haager Konvention dar.

Die Anforderung von Dienstleistungen erfolgte unter Todesandrohung. Die freiwillige Arbeit ist von Einzelzwangsmaßnahmen begleitet, die die Arbeiter der besetzten Gebiete dazu verpflichteten, Arbeitsverträge zu unterzeichnen. Die Dauer dieser Pseudoverträge wird alsdann einseitig und widerrechtlich von den deutschen Behörden verlängert.

Das Scheitern dieser Maßnahmen zur Anforderung von Dienstleistungen und Anwerbung von Freiwilligen führt die deutschen Behörden überall dazu, Aushebungen vorzunehmen. Hitler erklärte am 19. August 1942 in einer Sitzung des Vierjahresplans, über die der Angeklagte Speer berichtet hat, daß Deutschland zur Zwangsaushebung schreiten müsse, wenn der Grundsatz der Freiwilligkeit nicht zum Erfolg führe.

Am 7. November 1943 erklärte der Angeklagte Jodl in einer Rede vor den Gauleitern in München:

»Ich glaube aber, daß heute der Zeitpunkt gekommen ist, sowohl in Dänemark, Holland, Frankreich und Belgien mit rücksichtsloser Energie und Härte die tausenden Nichtstuer zu Befestigungsarbeiten zu zwingen, die allen anderen Aufgaben vorangehen.«

Nachdem das Prinzip des Zwanges einmal angenommen war, benützten die Deutschen zwei sich ergänzende Methoden, den gesetzlichen Zwang, indem sie Gesetze über Arbeitsdienstpflicht erließen, und den faktischen Zwang, der in Maßnahmen bestand, die notwendig waren, um die Arbeiter unter Androhung von schweren Strafen zu zwingen, sich den erlassenen Gesetzesbestimmungen zu fügen.

Grundlage der Gesetzgebung über die Arbeitspflicht ist der Erlaß des Angeklagten Sauckel vom 22. August 1942, nach welchem das System der Aushebung in allen besetzten Ländern angeordnet wurde.

In Frankreich erreichte Sauckel von der Pseudo-Regierung in Vichy die Veröffentlichung des Gesetzes vom 4. September 1942. Dieses Gesetz verfügt die Bindung der Arbeitskräfte an die Unternehmungen und sah die Möglichkeit einer Einberufung aller Franzosen vor, die geeignet waren, für Dienstleistungen zugunsten des Feindes herangezogen zu werden. Alle Franzosen im Alter von achtzehn bis fünfzig Jahren, die nicht mehr als dreißig Stunden pro Woche arbeiteten, mußten eine für die Bedürfnisse des Landes wichtige Beschäftigung nachweisen. Eine Verordnung vom 19. September 1942 und eine Durchführungsanweisung vom 24. September setzten die Einzelheiten dieser Erklärung fest. Das Gesetz vom 4. September 1942 wurde von der Pseudo-Regierung in Vichy unter dem von den Besatzungsbehörden ausgeübten starken Druck veröffentlicht. So hatte Dr. Michel, Leiter des Verwaltungsstabes des deutschen Militäroberkommandos in Frankreich, am 26. August 1942 an den Hauptdelegierten für die französisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen einen drohenden Brief geschrieben, in welchem er die Veröffentlichung des Gesetzes verlangte.

Im Jahre 1943 erwirkte Sauckel von der damaligen Regierung den Erlaß vom 2. Februar, der die Meldung aller Franzosen männlichen Geschlechts, die in der Zeit vom 1. Januar 1912 bis 31. Dezember 1921 geboren waren, vorschrieb, sowie das Gesetz vom 16. Februar, welches die Arbeitsdienstpflicht, Service du Travail Obligatoire, für alle jungen Leute im Alter von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren anordnete. Am 9. April 1943 forderte Gauleiter Sauckel die Deportation von 120000 Arbeitern im Monat Mai, und von 100000 im Juni. Zu diesem Zweck ordnete die Pseudo-Regierung in Vichy eine totale Mobilmachung des Jahrgangs 1922 an. Am 15. Januar 1944 forderte Sauckel von der damaligen Französischen Regierung die Bereitstellung von einer Million Mann während der ersten sechs Monate des Jahres und veranlaßte sie zur Herausgabe des Gesetzes vom 1. Februar 1944, das die Möglichkeit einer Einberufung von Arbeitskräften, und zwar bei Männern von sechzehn bis sechzig Jahren und bei Frauen von achtzehn bis fünfundvierzig Jahren vorsah.

Entsprechende Maßnahmen wurden in allen besetzten Ländern getroffen.

In Norwegen zwangen die deutschen Behörden die Pseudo-Regierung Quisling zur Veröffentlichung eines Gesetzes vom 3. Februar 1943, das eine Pflichtregistrierung der Norweger einführte und ihre Zwangsaushebung vorschrieb. In Belgien und Holland wurde die Arbeitsdienstpflicht durch Verordnungen der Besatzungsmacht unmittelbar organisiert. Dies geschah in Belgien durch Verordnungen des Militäroberkommandos und in Holland durch Verordnungen des Angeklagten Seyß-Inquart, des Reichskommissars für die besetzten niederländischen Gebiete. In diesen beiden Ländern nahm die Entwicklung der Zwangsarbeitspolitik denselben Verlauf. Die Pflichtarbeit wurde ursprünglich nur in besetzten Gebieten verlangt. Doch erfolgte sehr bald eine Ausdehnung dahin, daß man die Deportation von Arbeitern nach Deutschland erlaubte. In Holland geschah dies durch die Verordnung vom 28. Februar 1941 und in Belgien durch die Verordnung vom 6. März 1942, die den Grundsatz der Arbeitspflicht festlegten. Die Deportation wurde in Belgien durch Verordnung vom 6. Oktober 1942 und in Holland durch Verordnung vom 23. März 1942 eingeführt.

Um die Wirksamkeit dieser gesetzlichen Bestimmungen zu sichern, wurde in allen Ländern brutaler Zwang ausgeübt; in allen großen Städten wurden zahlreiche Razzien vorgenommen; so verhaftete man zum Beispiel am 10. und 11. November 1944 in Rotterdam 50000 Personen.

Ärger als die Zwangsarbeit der Zivilbevölkerung war die Eingliederung der Arbeiter aus den besetzten Ländern in den Arbeitsdienst des Reiches. Diese Eingliederung stellt nicht nur eine Einziehung von Arbeitern dar, sondern auch eine Anwendung der deutschen Gesetzgebung auf Staatsangehörige der besetzten Länder. Angesichts des patriotischen Widerstands der Arbeiter in den verschiedenen besetzten Ländern blieben die bedeutenden Ergebnisse, auf die der deutsche Arbeitsdienst gerechnet hatte, weit hinter den Erwartungen zurück. Allerdings wurde eine sehr große Anzahl von Arbeitern aus den besetzten Ländern dazu gezwungen, für den deutschen Krieg zu arbeiten.

Die Zahl der von der Organisation Todt beim Bau des Atlantik-Walles beschäftigten Arbeiter aus den besetzten westeuropäischen Ländern belief sich Ende März 1943 auf 248000 Mann. 3300000 Arbeiter der besetzten Länder haben in ihrer Heimat für Deutschland gearbeitet, unter anderem 300000 in Norwegen, 249000 in Holland und 650000 in Frankreich. Die Zahl der aus den besetzten Westländern nach Deutschland deportierten Arbeiter belief sich 1942 auf 131000 Belgier, 135000 Franzosen und 154000 Holländer. Am 3. April 1943 arbeiteten 1293000 Arbeiter, darunter 269000 Frauen, aus den besetzten Ländern im Westen für die deutsche Kriegswirtschaft.

Am 7. Juli 1944 erklärte Sauckel, daß die Zahl der während der ersten sechs Monate des Jahres 1944 nach Deutschland deportierten Arbeiter sich auf 537000 belief, unter ihnen 33000 Franzosen. Am 1. März 1944 hatte er bei einer Konferenz des Zentralbüros des Vierjahresplans festgestellt, daß es in Deutschland fünf Millionen Fremdarbeiter gebe, davon nur 200000 wirklich Freiwillige.

Der Bericht des französischen Ministeriums für Kriegsgefangene, Deportierte und Flüchtlinge beziffert die Gesamtzahl der deportierten französischen Männer und Frauen auf 715000.

Wir müssen noch hinzufügen, daß die in Verletzung des Völkerrechts nach Deutschland deportierten Arbeitskräfte Arbeits- und Lebensbedingungen ausgesetzt wurden, die auch den elementarsten Anforderungen menschlicher Würde nicht entsprachen. Der Angeklagte Sauckel hat selbst angegeben, daß die ausländischen Arbeiter, die fähig waren, beträchtliche Dienste zu leisten, so ernährt werden sollten, daß sie mit einem Minimum von Ausgaben im höchsten Grad ausgebeutet werden könnten, und er fügte hinzu, daß sie, sobald ihre Leistungen heruntergingen, weniger Nahrung erhalten sollten, und daß man sich um das Schicksal derjenigen, deren Leistungsfähigkeit kein Interesse mehr biete, überhaupt nicht mehr kümmern solle. Für diejenigen, die versuchten, sich den auferlegten Verpflichtungen zu entziehen, wurden besondere Vergeltungslager errichtet. Eine Verordnung vom 21. Dezember 1942 befiehlt die Überführung von widerspenstigen Arbeitern in diese Lager ohne vorangehendes Verfahren. Im Jahre 1943 erklärte Sauckel während einer Ministerbesprechung, daß er die Unterstützung der SS benötige, um die ihm übertragene Aufgabe erfolgreich durchzuführen. So zog das Verbrechen der Zwangsarbeit und der Deportation eine ganze Reihe anderer Verbrechen gegen diese Personen nach sich.

Die Arbeit der Kriegsgefangenen hielt sich ebensowenig wie die Arbeit der Zivilpersonen innerhalb der durch das Völkerrecht bestimmten Grenzen. Das nationalsozialistische Deutschland zwang die Kriegsgefangenen in Verletzung der Artikel 31 und 32 des Genfer Abkommens, für die deutsche Kriegsproduktion zu arbeiten.

Das nationalsozialistische Deutschland nützte die Kriegsgefangenen und die Arbeiter aus den besetzten Ländern in völliger Mißachtung der internationalen Abkommen im höchsten Maß für den Krieg aus und suchte gleichzeitig, sich auf jede mögliche Art und Weise der Reichtümer dieser Länder zu bemächtigen. Die deutschen Behörden führten dort systematische Plünderungen durch. Unter wirtschaftlicher Plünderung verstehen wir sowohl die Wegnahme von Gütern aller Art wie die Ausbeutung der nationalen Reichtümer an Ort und Stelle zugunsten des deutschen Krieges.

Diese Plünderung wurde systematisch organisiert.

Die Deutschen begannen überall damit, sich aller Zahlungsmittel zu bemächtigen. So konnten sie sich unter dem Schein der Rechtmäßigkeit die Güter, die sie begehrten, aneignen. Nachdem sie bestehende Zahlungsmittel gesperrt hatten, legten sie jedem Land unter dem Vorwand der Entschädigung für den Unterhalt der Besatzungstruppen ungeheure Zahlungen auf.

Erinnern wir uns daran, daß nach den Bestimmungen des Haager Abkommens besetzte Länder dazu verpflichtet werden können, für die Kosten des Unterhalts der Besatzungstruppen aufzukommen. Aber die unter diesem Titel von den Deutschen verlangten Summen überschritten die wirklichen Besatzungskosten sehr weit.

Andererseits zwangen sie den besetzten Ländern ein Clearing-System auf, das praktisch ausschließlich zugunsten Deutschlands funktionierte. Eine Einfuhr aus Deutschland in die besetzten Gebiete hat sozusagen nicht bestanden. Die nach Deutschland ausgeführten Waren waren nicht Gegenstand einer Regelung.

Um für die auf diese Art aufgebrachten Zahlungsmittel eine wesentliche Kaufkraft zu erhalten, bemühten sich die Deutschen überall, die Preise zu stabilisieren und führten eine strikte Rationierung ein. Dieses Rationierungssystem, das der Bevölkerung nur eine für das Lebensminimum nicht ausreichende Menge von Gütern ließ, bot noch dazu den Vorteil, den Deutschen einen möglichst großen Anteil an der Produktion zu sichern.

Die Deutschen nahmen so einen großen Teil der Lagerbestände und der Produktion an sich, in Ausführung von anscheinend ordnungsgemäßen Operationen, Requisitionen, Einkäufen gegen deutsche Vorzugsscheine, Einzeleinkäufen. Diese Operationen wurden noch durch andere geheime Operationen vervollständigt, und zwar in Verletzung der offiziellen, oft von den Deutschen selbst erlassenen Verordnungen. Zu diesem Zweck hatten die Deutschen eine richtige Organisation für die Einkäufe auf dem »schwarzen Markt« eingerichtet. So liest man in einem Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4. September 1942, daß der Angeklagte Göring angeordnet hatte, die Einkäufe auf dem schwarzen Markt nunmehr auf Waren auszudehnen, die bis dahin nicht in Betracht gezogen waren, wie zum Beispiel Haushaltartikel, und daß er vorgeschrieben hatte, daß sämtliche Waren, die von irgendeinem Nutzen für Deutschland sein konnten, aufgekauft werden sollten, auch wenn dadurch in den besetzten Ländern Inflationserscheinungen entstehen sollten.

Während die Nazi-Führer ein Maximum an Gütern aller Art nach Deutschland transportierten, nachdem sie sie ohne Entschädigung requiriert oder mit zu Unrecht erworbenen Banknoten oder durch einfache Buchung auf Clearing-Konto bezahlt hatten, bemühten sie sich gleichzeitig, die Wiederinbetriebsetzung der Fabriken zum Vorteil der deutschen Kriegswirtschaft zu erzwingen.

Die deutschen Industriellen hatten Anweisung erhalten, sich die Unternehmungen in den besetzten Ländern anzugliedern und aufzuteilen, wenn sie eine ihrer eigenen ähnliche Fabrikation betrieben. Indem sie ihnen Aufträge erteilten, hatten diese Industriellen gleichzeitig die Unternehmungen in den besetzten Ländern endgültig und mittels verschiedener finanzieller Kombinationen unter ihre Vormundschaft gebracht. Der Schein der ordnungsmäßigen Bezahlung oder der vertraglichen Abmachung kann keinesfalls die systematische wirtschaftliche Plünderung verschleiern, welche im Widerspruch zu den Bestimmungen des Haager Abkommens organisiert wurde. Wenn Deutschland nach den Bestimmungen dieses Abkommens das Recht hatte, die zum Unterhalt der notwendigen Besatzungstruppen unbedingt erforderlichen Mittel einzuheben, so stellen die darüber hinausgehenden Einhebungen zweifellos ein Kriegsverbrechen dar, das den Ruin der besetzten Länder herbeiführte, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf lange Zeit hinaus schwächte, ihre Lebensmittelversorgung verschlechterte und die allgemeine Unterernährung der Bevölkerung hervorrief.

Genaue Schätzungen der deutschen Machenschaften auf wirtschaftlichem Gebiet können noch nicht aufgestellt werden; in der Tat müßte man dazu die Wirtschaft mehrerer Länder während eines Zeitraums von mehr als vier Jahren bis ins einzelne studieren.

Es ist jedoch möglich gewesen, gewisse Tatsachen genau zu bestimmen und Mindestschätzungen der deutschen Raubhandlungen in den verschiedenen besetzten Ländern aufzustellen.

In Dänemark, dem ersten westeuropäischen Land, das überfallen wurde, bemächtigten sich die Deutschen eines Betrags von nahezu acht Milliarden Kronen, in Norwegen übersteigen die deutschen Plünderungen zwanzig Milliarden Kronen.

Die deutsche Plünderung in den Niederlanden war derartig, daß dieses Land, einst im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl eines der reichsten Länder der Welt, jetzt fast völlig ruiniert ist; die von der Besatzungsmacht auferlegten finanziellen Lasten übersteigen zwanzig Milliarden Gulden.

In Belgien eigneten sich die Deutschen durch verschiedene Verfahren, besonders dem der Besatzungsentschädigung und des Clearings, mehr als 130 Milliarden belgische Franken an Zahlungsmitteln an. Auch das Großherzogtum von Luxemburg erlitt bedeutende Verluste durch die Besetzung.

In Frankreich schließlich erreichte die Voreinhebung an Zahlungsmitteln 745 Milliarden Franken. In dieser Summe sind die 74 Milliarden, die Deutschland rechtlich für den Unterhalt seiner Besatzungstruppen hätte fordern können, nicht inbegriffen. Andererseits wurde die Einhebung von 9.500.000.000 Goldfranken zum Kurse des Jahres 1939 berechnet.

Neben den Zahlungen, die Deutschland in den besetzten Ländern mit Hilfe der diesen Ländern abgepreßten Zahlungsmitteln leistete, wie wir dies geschildert haben, wurden ungeheuere Mengen von Gegenständen aller Art ohne Entschädigung ganz einfach requiriert, ohne Erklärung weggenommen oder gestohlen. Die Besatzungsmacht nahm nicht nur alle Rohstoffe und Fertigwaren, die für ihre Kriegführung nützlich sein konnten, in Besitz, sondern auch alles, was ihnen auf den neutralen Märkten Kredit verschaffen konnte, so bewegliches Gut aller Art, Schmuck und Luxusartikel. Schließlich wurden die Kunstschätze der westeuropäischen Länder in schamlosester Weise geplündert.

Diese bedeutenden Summen, die sich Deutschland ohne Gegenleistungen verschaffen konnte, indem es entgegen allen Grundsätzen des Völkerrechts und ohne Gegenleistung seine Macht mißbrauchte, machten es möglich, daß Deutschland Frankreich und die anderen westeuropäischen Länder ordnungsgemäß wirtschaftlich ausplündern konnte. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus entstanden dadurch für diese Länder Substanzverluste, die sie sehr lange fühlen werden.

Die schlimmsten Folgen jedoch betrafen die Menschen selbst. In der Tat war die Bevölkerung der besetzten Länder während mehr als vier Jahren einem langsamen Hungerregime ausgesetzt, das eine Erhöhung der Sterblichkeit, eine Schwächung der physischen Kräfte der Bevölkerung und besonders eine alarmierende Verringerung des Wachstums der Kinder und der Jugendlichen zur Folge hatte.

Diese Handlungsweise, die von den deutschen Führern systematisch und in Verletzung des Völkerrechts und des Haager Abkommens sowie der allgemeinen Grundsätze des bei allen zivilisierten Nationen gültigen Strafrechts durchgeführt wurden, stellen Kriegsverbrechen dar, für die sie sich vor Ihrem Gericht zu verantworten haben werden.

VORSITZENDER: Ich glaube, daß jetzt der geeignete Zeitpunkt für eine Vertagung bis 14.00 Uhr gekommen ist.