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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

M. DE MENTHON: Die Verbrechen gegen physische Personen, wie willkürliche Einsperrung, schlechte Behandlung, Deportation, Totschlag und Mord, die von den Deutschen in den besetzten Ländern verübt wurden, haben die verabscheuungswürdigsten Formen und Ausmaße angenommen, wie man sie sich auch in einem Weltkonflikt nicht hätte vorstellen können.

Diese Verbrechen entwickelten sich unmittelbar aus der Nazi-Lehre, die sich bei den Führern des Reiches in absoluter Mißachtung der menschlichen Person äußerte, in der Abschaffung jedes Gefühls für Gerechtigkeit, ja sogar für Mitleid, und in der völligen Unterdrückung jeglicher menschlichen Regung, wenn es sich um das Interesse der deutschen Gemeinschaft handelte.

Alle diese Verbrechen bilden Teile einer terroristischen Politik, die die Unterwerfung der besetzten Länder ohne großen Truppenaufwand ermöglichen, und den Gehorsam gegenüber jeglichen Forderungen sicherstellen sollte. Viele dieser Verbrechen sind mit dem Willen zur Vernichtung eng verbunden.

Wir werden der Reihe nach die Exekutionen von Geiseln, die Verbrechen der Polizei, die Deportationen, die Verbrechen gegen Kriegsgefangene, sowie die Terroraktionen gegen die Widerstandsbewegung und die Massaker an der Zivilbevölkerung behandeln.

A) Die Hinrichtungen von Geiseln bildeten in allen Ländern die ersten Terrorakte der deutschen Besatzungstruppen. Seit 1940 schritt insbesondere das deutsche Oberkommando in Frankreich zu zahlreichen Exekutionen als Vergeltungsmaßnahmen für jedes gegen die deutsche Wehrmacht gerichtete Attentat.

Dieses dem Artikel 50 des Haager Abkommens, das Kollektivstrafen verbietet, widersprechende Vorgehen rief überall ein Gefühl des Schreckens hervor und zeitigte meistens ein seinem Zwecke entgegengesetztes Ergebnis, da es die Bevölkerung zur Auflehnung gegen die Besatzungsmacht aufreizte. Diese bemühte sich sodann, diese verbrecherischen Maßnahmen zu legalisieren, indem sie den Versuch machte, die Bevölkerung dazu zu bringen, sie als »das Recht« der Besatzungsmacht anzuerkennen. Veritable »Gesetzbücher über die Geiselnahme« wurden von den deutschen Militärbehörden veröffentlicht.

Auf Grund des allgemeinen Befehls des Angeklagten Keitel vom 16. September 1941 gab Stülpnagel in Frankreich eine Verordnung vom 30. September 1941 heraus. Nach den Bestimmungen dieser Verordnung wird die Gesamtheit aller Franzosen, die aus irgendeinem Grunde von den deutschen Behörden in Haft gehalten werden, und die Gesamtheit aller Franzosen, die von französischen Dienststellen für deutsche Dienststellen in Haft gehalten werden, als Geiseln angesehen.

Die Verfügung Stülpnagels sagte, daß bei der Bestattung der Leichen zu vermeiden sei, durch die gemeinschaftliche Beerdigung einer größeren Anzahl von Personen im gleichen Friedhof Stätten zu schaffen, die jetzt oder später Anknüpfungspunkte für eine deutsch-feindliche Propaganda bilden könnten.

In Ausführung dieser Verordnung ereigneten sich die Geiselerschießungen, die in Frankreich die traurigste Berühmtheit erlangt haben.

Nach der Ermordung zweier deutscher Offiziere am 2. Oktober 1941 in Nantes, und in Bordeaux einige Tage später, ließen die deutschen Behörden 27 Geiseln in Chateaubriant und 21 in Nantes erschießen.

Am 15. August 1942 wurden 96 Geiseln in Mont- Valérien erschossen.

Im September 1942 war ein Attentat auf deutsche Soldaten im Lichtspieltheater »Rex« in Paris verübt worden. 116 Geiseln wurden erschossen, davon 46 aus dem Geiseldepot der Festung Romainville und 70 in Bordeaux.

Als Vergeltung für den Mord an einem Funktionär der Deutschen Arbeitsfront wurden Ende September 1943 50 Geiseln erschossen.

Die Drohung mit Vergeltungsmaßnahmen gegen die Familien der Patrioten der Widerstandsbewegung bildete ebenfalls einen Teil derselben verabscheuungswürdigen Geiselpolitik. Am 16. Juli 1942 ließ die Kommandantur folgende Bekanntmachung in der »Pariser Zeitung« erscheinen:

»Die nächsten männlichen Verwandten sowie die Schwäger und Vettern der Unruhestifter im Alter über 18 Jahren werden erschossen.

Alle Frauen desselben Verwandtschaftsgrades werden zu Zwangsarbeit verurteilt.

Kinder unter 18 Jahren aller obengenannten Personen werden in eine Besserungsanstalt eingewiesen.«

Die Geiselerschießungen wurden überall bis zur Befreiung fortgesetzt, aber in der letzten Periode waren sie nurmehr eine Begleiterscheinung der noch massiver gewordenen Methoden des deutschen Terrorismus.

B) Unter den Verbrechen gegen Personen aus der Zivilbevölkerung der westlichen besetzten Länder zählen jene Taten, die von den Nazi-Polizeiorganisationen verübt worden sind, zu den empörendsten.

Das Eingreifen der deutschen Polizei, welche trotz mancher äußerer Erscheinungsformen keineswegs zu den Besatzungstruppen gehörte, ist an sich völkerrechtswidrig.

Ihre Verbrechen, die wegen der völligen Mißachtung der menschlichen Würde besonders hassenswert sind, häuften sich vier Jahre lang auf dem gesamten Gebiet der im Westen durch deutsche Streitkräfte besetzten Länder.

Tatsächlich ist weder ein eindeutiger Befehl noch eine detaillierte Anweisung gefunden worden, die direkt von einem der Angeklagten oder einem der ihnen unmittelbar Unterstellten herrührten und für die Gesamtheit der deutschen Polizei oder für die Polizei der besetzten Gebiete im Westen gültig gewesen wäre. Aber diese Verbrechen wurden von einer Polizei verübt, die den direkten Ausdruck der nationalsozialistischen Ideologie und das am wenigsten bestreitbare Werkzeug der nationalsozialistischen Politik darstellte, für die alle Angeklagten die volle und ganze Verantwortung tragen.

Angesichts der gewaltigen Menge von Taten, ihrer Gleichartigkeit, ihrer Gleichzeitigkeit und ihrer Allgemeinheit in Raum und Zeit; wird niemand bestreiten können, daß diese Taten nicht nur die Individuelle Verantwortung derjenigen gründen, die sie hier und dort begangen haben, vielmehr, daß sie tatsächlich die Ausführung höherer Befehle bildeten.

Die Verhaftungen wurden ohne die elementarsten Garantien vorgenommen, wie sie sonst in allen zivilisierten Ländern anerkannt sind. Auf Grund einer einfachen, nicht überprüften Denunziation hin, ohne vorausgehende Untersuchung, oft auch ohne daß die einschreitenden Personen dazu befugt gewesen wären, fanden willkürliche Massenverhaftungen in allen besetzten Ländern statt.

Während der ersten Zeit der Besetzung haben die Deutschen eine gewissenhafte Beachtung der »Legalität« der Verhaftungen vorgetäuscht. Diese Legalität war dieselbe, die von den Nazis im Innern Deutschlands eingeführt worden war, die keine der traditionellen Garantien für das Individuum in den zivilisierten Ländern anerkannte. Sehr bald jedoch wurde selbst diese scheinbare Rechtmäßigkeit aufgegeben, und die Verhaftungen wurden absolut willkürlich.

Die schlimmste Behandlung wurde den Verhafteten zuteil, bevor auch nur ihre Schuld untersucht worden war. Die Anwendung der Folter bei Verhören war fast allgemeine Regel. Die üblicherweise angewendeten Foltern waren Stockhiebe, Peitschen, das Eintauchen in Eiswasser, Anketten während mehrerer Tage ohne Pause für Nahrung und hygienische Bedürfnisse, Ersticken im Wasser einer Badewanne, das elektrische Laden des Badewassers, das Elektrisieren der empfindlichsten Körperstellen und das Ausreißen der Nägel. Überdies hatten die Ausführungsorgane jede Möglichkeit, ihren Grausamkeitsinstinkten und sadistischen Neigungen an ihren Opfern freien Lauf zu lassen. Alle diese Taten, die in den besetzten Ländern allgemein bekannt waren, haben niemals zu irgendwelchen Sanktionen der verantwortlichen Behörden gegen die Urheber geführt. Es scheint sogar, daß die Folterungen noch strenger waren, wenn ein Behördenvertreter anwesend war.

Es erscheint unbestreitbar, daß das Vorgehen der deutschen Polizei gegen die Verhafteten Teil eines seit langem vorbedachten Verbrechenssystems bildete, das von den Leitern des Regimes angeordnet und von den zuverlässigsten Mitgliedern der nationalsozialistischen Organisationen ausgeführt wurde.

Neben der allgemeinen Anwendung von Foltern an Häftlingen hat die deutsche Polizei eine beträchtliche Anzahl von Morden begangen. Vielfach ist es unmöglich, die näheren Umstände zu ermitteln. Wir haben indessen genügend genaue Angaben, um darin einen neuen Ausdruck der allgemeinen Politik der Nationalsozialisten in den besetzten Ländern feststellen zu können. Oft waren die Todesfälle einfach die Folgen der an den Häftlingen verübten Folterungen, häufig jedoch wurde der Mord vorsätzlich geplant und durchgeführt.

C) Das Verbrechen, das unter den von den Deutschen gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Länder begangenen Taten stets in traurigster Erinnerung stehen wird, ist das der Deportation und der Internierung in den Konzentrationslagern in Deutschland.

Diese Deportationen hatten einen doppelten Zweck: der deutschen Kriegsmaschine zusätzliche Arbeitskräfte zuzuführen, und aus den besetzten Ländern jene Elemente zu entfernen und nach und nach auszurotten, die dem Germanismus den größten Widerstand entgegensetzten. Sie waren auch ein Mittel, die mit Patrioten überfüllten Gefängnisse zu leeren und diese endgültig zu entfernen.

Die Deportationen und die in den Konzentrationslagern angewandten Methoden waren für die zivilisierte Welt eine geradezu betäubende Enthüllung. Sie sind jedoch nur eine natürliche Folge der nationalsozialistischen Lehre, nach welcher der Mensch wertlos ist, wenn er nicht der deutschen Rasse dient.

Es ist unmöglich, bestimmte Zahlen anzugeben; vermutlich bleibt man hinter der Wirklichkeit zurück, wenn man von 250000 für Frankreich, 6000 für Luxemburg, 5200 für Dänemark, 5400 für Norwegen, 120000 für Holland und 37000 für Belgien spricht.

Die Verhaftungen wurden sowohl unter poetischen Vorwänden als auch unter dem Vorwand rassischer Gründe vorgenommen. Anfangs fanden sie einzeln statt, später nahmen sie einen Kollektivcharakter an; dies besonders in Frankreich seit Ende 1941. Manchmal wurde erst nach langen Monaten der Haft deportiert, meist jedoch wurde die Verhaftung direkt zum Zwecke der Deportation unter dem Regime der »Schutzhaft« durchgeführt. Überall war die Haft im Heimatland von Mißhandlungen, oft von Folterungen begleitet. Bevor die Deportierten nach Deutschland verschickt wurden, versammelte man sie in der Regel in einem Sammellager. Der Abtransport war häufig das erste Stadium der Vernichtung. Die Deportierten reisten in Viehwagen, 80 bis 120 in jedem Wagen, ohne Rücksicht auf die Jahreszeit. Selten nur gab es Transporte, bei denen sich keine Todesfälle ereigneten. Bei manchen Transporten gab es mehr als 25 Prozent Tote.

In Deutschland wurden die Deportierten fast immer in Konzentrationslager, manchmal aber auch in Gefängnisse gebracht.

In die Gefängnisse kamen die Deportierten, die bereits verurteilt waren, oder diejenigen, die noch abgeurteilt werden sollten. Die Verhafteten waren dort unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht.

Im allgemeinen jedoch war das Gefängnisleben weniger hart als das in den Lagern. Die Arbeit dort war den Kräften der Gefangenen weniger unangepaßt, und die Gefängniswärter waren nicht so unmenschlich wie die SS der Konzentrationslager.

Ein allmähliches Verschwindenlassen der Gefangenen nach Ausnützung ihrer Arbeitskraft für den deutschen Krieg scheint das Ziel gewesen zu sein, das von den Nazis in den Konzentrationslagern verfolgt wurde.

Der Gerichtshof hat Einblick bekommen in Methoden der Häftlingsbehandlung der SS, wie man sie für unvorstellbar gehalten hätte. Wir werden uns erlauben, im Laufe der Ausführungen der französischen Anklagebehörden weitere Einzelheiten zu bringen, denn es ist unerläßlich, daß der Grad des Schreckens bekannt wird, zu dem die Deutschen, von der nationalsozialistischen Lehre geleitet, herabgestiegen sind.

Das furchtbarste Moment ist vielleicht der Wille zur moralischen Erniedrigung der Häftlinge, ihrer Herabsetzung, die, wenn möglich, so weit zu gehen hatte, daß die Häftlinge alle Merkmale der menschlichen Persönlichkeit verlieren sollten.

Die üblichen Lebensverhältnisse der Deportierten in den Lagern reichten für eine langsame Ausrottung durch ungenügende Ernährung, schlechte Hygiene, brutale Behandlung seitens der Wärter, Strenge der Disziplin, Erschöpfung infolge einer den Kräften des Gefangenen nicht angepaßten Arbeit und mangelhafte ärztliche Betreuung vollkommen aus. Sie wissen bereits, daß überdies viele der Gefangenen keines natürlichen Todes starben, sondern mittels Einspritzungen, in Gaskammern oder durch Infektion mit tödlichen Krankheiten umgebracht wurden.

Aber auch eine schnellere Vernichtung kam häufig vor, sie wurde manchmal durch Mißhandlungen, wie gemeinsame Eisduschen im Winter im Freien, oder das Aussetzen von nackten Häftlingen in den Schnee, durch Prügelstrafen, Hundebisse und Aufhängen an den Handgelenken erzielt.

Einige Zahlen veranschaulichen die Ergebnisse dieser verschiedenen Vernichtungsverfahren. In Buchenwald gab es im ersten Drittel des Jahres 1945 13000 Todesfälle von 40000 Internierten. In Dachau starben 13000 bis 15000 in den drei der Befreiung vorausgegangenen Monaten. In Auschwitz, dem systematischen Vernichtungslager, erreichte die Zahl der ermordeten Personen mehrere Millionen.

Für die Gesamtheit der deportierten Franzosen lauten die amtlichen Zahlen wie folgt: Von 250000 Deportierten sind nur 35000 zurückgekehrt.

Die Deportierten dienten als Versuchskaninchen für zahlreiche medizinische, chirurgische oder andere Experimente, die in der Regel zum Tode führten. In Auschwitz, in Struthof, in dem Kölner Gefängnis, in Ravensbrück und in Neuengamme wurden zahlreiche Männer, Frauen und Kinder sterilisiert. In Auschwitz wurden die schönsten Frauen abgesondert, künstlich befruchtet und sodann vergast. In Struthof gab es eine besondere, durch Stacheldraht von den anderen getrennte Baracke, in der Gruppen von je 40 Männern tödliche Krankheiten eingeimpft wurden. In demselben Lager wurden Frauen vergast, während deutsche Ärzte durch eine eigens hergestellte Luke die Reaktionen beobachteten.

Häufig geschah die Vernichtung durch einzelne oder gruppenweise vorgenommene Exekutionen. Diese wurden durch Erschießen, durch Erhängen, durch Injektionen, in Gaswagen oder Gaskammern ausgeführt.

Ich möchte nicht länger diese Dinge besprechen, da Ihrem Hohen Gerichtshof in den letzten Tagen von der amerikanischen Anklagebehörde bereits zahlreiche Tatsachen vorgetragen worden sind; aber der Vertreter Frankreichs, welches Land so viele der Seinigen in diesen Lagern nach furchtbaren Leiden durch den Tod verloren hat, kann dieses tragische Beispiel vollkommener Unmenschlichkeit nicht mit Stillschweigen übergehen. Sie wäre im 20. Jahrhundert undenkbar gewesen, wenn sich nicht in Mitteleuropa eine Lehre der Rückkehr zur Barbarei eingerichtet hätte.

D) Die Verbrechen, die an Kriegsgefangenen begangen wurden, sind wohl weniger bekannt, legen aber in gleichem Maße Zeugnis für den Grad der Unmenschlichkeit ab, der von Nazi-Deutschland erreicht wurde.

Sehr zahlreich sind zunächst die Verletzungen internationaler Verträge, die hinsichtlich der Kriegsgefangenen begangen wurden.

Viele wurden gezwungen, außerordentlich lange Strecken fast ohne Nahrung zu Fuß zurückzulegen. Zahlreiche Lager haben auch die primitivsten hygienischen Vorschriften außer acht gelassen. Die Ernährung war sehr oft ungenügend. So zeigt ein Bericht des OKW, WFSt vom 11. April 1945, der mit Randbemerkungen des Angeklagten Keitel versehen ist, daß 82000 in Norwegen internierte Kriegsgefangene nur die Nahrung bekamen, die unumgänglich nötig war, um sie am Leben zu erhalten und das unter der Voraussetzung, daß sie keine Arbeit zu verrichten hatten, daß aber 30000 von ihnen dennoch zu schweren Arbeiten herangezogen wurden.

Mit Zustimmung des Angeklagten Keitel, der im Auftrag des Angeklagten Göring handelte, wurden Gefangenenlager für Angehörige der englischen und amerikanischen Luftwaffe in Städten errichtet, die Luftangriffen ausgesetzt waren.

Entgegen den Vorschriften der Genfer Konvention wurde in einer im Hauptquartier des Führers am 27. Januar 1945 in Gegenwart des Angeklagten Göring abgehaltenen Besprechung beschlossen, die Todesstrafe über jeden Kriegsgefangenen zu verhängen, der während eines Transports den Versuch machen sollte, zu entfliehen.

Auch abgesehen von diesen Verletzungen der Genfer Konvention wurden von den deutschen Behörden zahlreiche Verbrechen gegen Kriegsgefangene begangen: so die Hinrichtung gefangener alliierter Flieger, die Ermordung von Kommandoangehörigen, die Tötung gewisser Gruppen von Kriegsgefangenen ohne jeden Grund, wie zum Beispiel von 120 amerikanischen Soldaten in Malmedy am 27. Januar 1945. Ähnlich wie »Nacht und Nebel« eine Bezeichnung für die unmenschliche Behandlung von Zivilpersonen war, bedeutet der Ausdruck »Sonderbehandlung« eine besondere Behandlung von Kriegsgefangenen, bei welcher diese in großer Zahl verschwanden.

E) Die gleiche Barbarei zeigt sich bei den terroristischen Aktionen der deutschen Wehrmacht und der deutschen Polizei gegen die Widerstandsbewegung.

Der Befehl des Angeklagten Keitel vom 16. September 1941, den man als ein grundlegendes Dokument ansehen kann, hat zwar als Ziel den Kampf gegen die kommunistischen Bewegungen, er sieht aber vor, daß der Widerstand gegen das Besatzungsheer auch aus anderen Kreisen als den der Kommunisten kommen könne, und entscheidet, daß jeder Widerstandsakt so ausgelegt werden solle, als ob er von Kommunisten stamme.

Und in der Tat haben die Deutschen in Ausführung dieses allgemeinen Befehls, die Widerstandsbewegung mit allen Mitteln niederzuschlagen, Männer jeder Art und aus allen Kreisen verhaftet, gefoltert und massakriert.

Es ist richtig, daß die Mitglieder der Widerstandsbewegung nur sehr selten die von den Haager Konventionen vorgesehenen Bedingungen erfüllten, um als reguläre Streitkräfte angesehen zu werden. Sie hätten als Freischärler zum Tode verurteilt und hingerichtet werden können. Sie wurden jedoch in den meisten Fällen ohne vorausgehendes Urteil getötet und häufig vorher in furchtbarer Weise gefoltert.

Nach der Befreiung wurden zahlreiche Knochengruben entdeckt; die Leichen wurden von Ärzten untersucht; sie trugen offensichtlich Spuren schwerster Mißhandlungen, wie zerrissene Kopfgewebe, ausgerenkte Wirbelsäulen, Rippenbrüche, manchmal bis zur völligen Zerquetschung des Brustkorbs mit Perforation der Lunge, ausgerissene Nägel und Haare.

Die Gesamtzahl der Opfer der deutschen Greueltaten im Kampf gegen die Widerstandsbewegung kann nicht festgestellt werden. Sie ist sicherlich sehr hoch. Im Departement Rhône zum Beispiel sind nach der Befreiung 713 Leichen von Opfern aufgefunden worden.

Eine Verordnung des Oberkommandos der Streitkräfte im Westen vom 3. Februar 1944, gezeichnet »i. A. General Sperrle«, schrieb für den Kampf gegen die Terroristen vor, daß sogleich scharf geschossen werden müsse, und daß die Häuser, aus denen Schüsse gefallen seien, sofort in Brand gesteckt werden sollten. Es sei unwichtig, setzt der Text hinzu, ob dabei Unschuldige getroffen würden; das sei Schuld der Terroristen. Die Truppenführer, die bei der Unterdrückung Schwäche zeigen, müßten streng bestraft werden, dagegen würden sich diejenigen, die die erhaltenen Befehle überschritten und sich zu streng zeigten, keiner Bestrafung aussetzen.

Das Kriegstagebuch des Kommandanten des Verbindungsstabes Nummer 588 in Clermont-Ferrand, von Brodowski, gibt unwiderlegbare Beispiele der barbarischen Formen, die die Deutschen dem Kampf gegen die Widerstandsbewegung gaben. Die Mitglieder der Widerstandsbewegung, die verhaftet wurden, sind fast alle an Ort und Stelle erschossen worden; andere wurden an den SD oder an die Gestapo ausgeliefert, um zuerst gefoltert zu werden. Das Tagebuch von Brodowskis spricht von der »Säuberung eines Lazaretts« oder der »Liquidation eines Reviers«.

Der Kampf gegen die Widerstandsbewegung zeigt in allen besetzten Ländern des Westens den gleichen furchtbaren Charakter.

F) Die letzten Monate der deutschen Besetzung in Frankreich waren durch eine Verstärkung der terroristischen Politik gekennzeichnet, die die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung vervielfachte. Die Verbrechen, die wir hier erwähnen werden, waren nicht vereinzelte, gelegentlich hier oder dort begangene Taten, sie wurden vielmehr im Verlauf ausgedehnter Operationen durchgeführt. Ihre sehr große Zahl läßt sich nur durch allgemeine Befehle erklären.

Die Urheber dieser Verbrechen waren häufig SS-Leute, aber die militärische Führung hat an der Verantwortung Anteil. In einem Merkblatt vom 6. Mai 1944 mit der Überschrift »Bandenbekämpfung« erklärt der Angeklagte Jodl:

»Kollektivmaßnahmen gegen die Einwohnerschaft ganzer Dörfer (dazu gehört auch das Abbrennen von Ortschaften) dürfen nur in Ausnahmefällen und ausschließlich durch Divisionskommandeure oder von den SS- und Polizeiführern angeordnet werden.«

Das Kriegstagebuch von Brodowskis enthält folgende Eintragung:

»Kommandeur der Sipo und des SD... bleibt mir unterstellt.«

Diese Operationen werden als Repressalien dargestellt, die durch die Handlungen der Widerstandsbewegung hervorgerufen worden sein sollen. Aber die Erfordernisse des Krieges haben niemals wahllose Plünderungen und das Niederbrennen von Städten und Dörfern gerechtfertigt, ebensowenig das blinde Massakrieren von unschuldigen Personen. Die Deutschen töteten, plünderten und verbrannten häufig ohne Grund, ob dies nun im Aisne-Gebiet, in Savoyen, im Lot, Tarn-et-Garonne, Vercors, Correze oder in der Dordogne war; es wurden ganze Dörfer in Brand gesteckt, während die nächsten bewaffneten Widerstandsgruppen noch Dutzende von Kilometern entfernt waren, und ohne daß die Bevölkerung auch nur eine einzige feindselige Handlung gegen deutsche Truppen begangen hatte.

Die zwei charakteristischsten Beispiele sind die von Maillé, Indre und Loire, wo am 25. August 1944 von 60 Gebäuden 52 zerstört und 124 Personen getötet wurden, und von Oradour-sur-Glane, in Haute-Vienne. Das Kriegstagebuch von Brodowskis berichtet über diese letztere Tat wie folgt:

»Gesamte männliche Bevölkerung von Oradour wurde erschossen. Frauen und Kinder waren in die Kirche geflüchtet. Kirche fing Feuer. In Kirche lagerte Sprengstoff.« Diese letzte Behauptung hat sich als falsch herausgestellt. »Auch Frauen und Kinder kamen ums Leben.«

In der Abstufung der verschiedenen Verbrechen, die im Verlauf des Krieges durch die Führer des nationalsozialistischen Deutschlands begangen wurden, kommen wir schließlich zu der Gruppe, die wir als Verbrechen gegen die Menschenwürde (Crime contre la condition humaine) bezeichnet haben.

Zunächst ist es wichtig, daß ich dem Hohen Gerichtshof die Bedeutung dieses Ausdrucks klar auseinandersetze. Dieser klassische französische Ausdruck gehört sowohl zum technischen Wortschatz des Rechtes als auch zur Sprache der Philosophie. Er bedeutet die Gesamtheit der Fähigkeiten, deren Ausübung und Entwicklung den Sinn des menschlichen Lebens bilden. Jeder dieser Fähigkeiten entspricht eine Form in der Regelung des Lebens des Menschen in der Gesellschaft. Seine Zugehörigkeit zu mindestens zwei Kreisen – dem engsten und dem weitesten – wirkt sich im Familienrecht und in der Staatsangehörigkeit aus. Seine Beziehungen zur Obrigkeit äußern sich in einem System von Pflichten und Rechten. Sein materielles Leben als Produzent und Konsument von Gütern wird durch das Recht auf Arbeit im weitesten Sinn verkörpert. Seine geistigen Fähigkeiten schließen eine Summe von Möglichkeiten in sich, Gedanken von sich zu geben oder aufzunehmen, wie es in der Vereinigung oder der Gemeinschaft, sei es bei Ausübung der Religion, sei es durch erteilten oder erhaltenen Unterricht, sei es durch die vielen Mittel, die der Fortschritt im Laufe der Zeit zur geistigen Verbreitung zur Verfügung gestellt hat, wie Bücher, Presse, Rundfunk und Film. Dies ist das Recht auf geistige Freiheit.

Gegen diese menschlichen Lebensbedingungen, gegen dieses öffentliche und private Statut des Rechtes der menschlichen Person, haben die Nazi-Deutschen in den besetzten Ländern ein systematisches Verfahren der Korruption und Perversion eingeleitet. Wir behandeln dies an letzter Stelle, weil dieses Unternehmen den allergemeinsten Charakter zeigt. Mehr als an seinen Gütern hängt der Mensch an seiner körperlichen Unverletzlichkeit und an seiner Existenz. Aber bei jeder gehobeneren Lebensanschauung stellt er noch höher als seine Existenz jene Dinge, die seinen Charakter und seine Würde ausmachen, wie es den bekannten lateinischen Worten entspricht: »Et propter vitam vitandi perdere causas.« Wenn die Deutschen einerseits in den besetzten Ländern, trotz ihrer zahlreichen schweren Verbrechen, nicht alle Güter geplündert und nicht alle Personen getötet haben, so gibt es andererseits keinen Menschen, dessen wesentliche Rechte sie nicht geändert oder aufgehoben, den sie nicht beleidigt und dessen Lebensformen sie nicht irgendwie Gewalt angetan hätten.

Wir müssen sogar sagen, daß die Nazi-Führer auf der ganzen Welt und gegen alle Menschen, selbst gegen jene, denen sie die Vorzüge der Herrenrasse zuerkannten, sogar gegen sich selbst und ihre Agenten und Mitschuldigen, ein kapitales Verbrechen wider das menschliche Gewissen begangen haben, das sich der Mensch aus seinen jeweiligen Lebensumständen heraus formt. Der Durchführung dieses Unternehmens ging die Planung voraus. Sie offenbart sich in der gesamten Nazi-Lehre, und wir begnügen uns damit, an einige beherrschende Züge zu erinnern. Das menschliche Leben drückt sich, sagen wir, in grundlegenden Gesetzen aus, von denen jedes einzelne einen komplizierten Apparat sehr verschiedener Anordnungen enthält. Aber diese Gesetze sind in den Rechtsordnungen zivilisierter Länder von einer wesentlichen Auffassung über die Natur des Menschen erfüllt. Diese Auffassung wird in zwei sich ergänzenden Begriffen bestimmt: die Würde der menschlichen Person, die bei jedem Individuum gesondert zu betrachten ist, einerseits, und andererseits die immerwährende Dauer der menschlichen Person, innerhalb der gesamten Menschheit gesehen. Jede rechtliche Organisation der menschlichen Person in einem zivilisierten Staat geht von dieser zweifachen, für die menschliche Person wesentlichen Betrachtung aus, in jedem einzelnen und in allen, im Individuellen und im Universellen.

Bei den westlichen Völkern erscheint diese Auffassung zweifelsohne im allgemeinen als mit der christlichen Lehre verbunden; aber wenn es auch richtig ist, daß das Christentum diese Auffassung bekräftigte und verbreitete, wäre es irrig, darin ausschließlich die Lehre einer Religion oder auch bestimmter Religionen zu erblicken. Es handelt sich um eine allgemeine Auffassung, die sich in natürlicher Weise der Seele auferlegt; man bekannte sich zu ihr im vorchristlichen Altertum, und in der jüngsten Zeit hat ihr der große deutsche Philosoph Kant eine seiner packendsten Formulierungen verliehen, indem er sagte, daß der Mensch stets als Ziel und niemals als Mittel anzusehen sei.

Wie wir bereits dargelegt haben, blieb es den Zeloten des Hitler-Mythos überlassen, sich gegen diese spontane Erklärung eines Genies aufzulehnen und sich anzumaßen, hier den kontinuierlichen Fortschritt der moralischen Intelligenz aufzuhalten. Der Gerichtshof kennt bereits die reichlich vorhandene Literatur dieser Sekte, und zweifellos drückt sich niemand deutlicher aus als der Angeklagte Rosenberg im »Mythos des Zwanzigsten Jahrhunderts«, auf Seite 539; er sagt dort, daß »blutmäßig gesunde Völker den Individualismus als Maßstab nicht kennen, ebensowenig wie den Universalismus. Individualismus und Universalismus seien, grundsätzlich und geschichtlich betrachtet, die Weltanschauungen des Verfalls«.

Übrigens erklärt der Nazismus, daß »die Spanne, die zwischen dem niedersten, noch sogenannten Menschen, und unseren höchsten Rassen liegt, größer sei als die zwischen dem tiefsten Menschen und dem höchsten Affen«; die Reden Hitlers, Reichsparteitag 1933, Seite 33.

Es handelt sich also nicht nur darum, den von der Religion aufgestellten göttlichen Begriff des Menschen umzustoßen, sondern auch jeden rein menschlichen Begriff zu verwerfen und an seine Stelle einen animalischen Begriff zu setzen.

Die Folge einer solchen Lehre ist, daß der Umsturz der menschlichen Würde nicht nur als ein Mittel erscheint, zu dem angesichts zeitlich bedingter Umstände, wie sie sich zum Beispiel aus dem Kriege ergeben, man zu greifen sich erlaubt, sie erscheint vielmehr als ein notwendiges und wünschenswertes Ziel. Der Nazi beabsichtigt, die Menschen in drei große Hauptgruppen einzuteilen: in die seiner Gegner oder Personen, die er für unanpaßbar an seine sonderbare Ideen-Konstruktion hält. Diese können auf jede Art verfolgt und sogar vernichtet werden; dann in die Klasse der höheren Menschen, die sich angeblich durch ihr Blut oder irgendein willkürlich angenommenes Merkmal unterscheiden, und schließlich in die Klasse der Untermenschen, die nichts anderes verdienen als die Vernichtung, und deren Lebenskraft in einem Regime der Versklavung zum Wohl der »Herren« verwendet werden soll.

Die Nazi-Führer hatten sich vorgenommen, diese Lebensauffassung überall anzuwenden, wo sie dazu in der Lage waren; auf immer weitere Gebiete und auf immer zahlreichere Völker; und darüber hinausgehend zeigten sie noch den furchtbaren Ehrgeiz, diese Auffassung dem Geiste der Menschen aufzuzwingen und ihre Opfer überzeugen zu wollen, und von ihnen nach so vielen anderen Verlusten auch noch ein Glaubensbekenntnis zu fordern. Der Nazi-Krieg ist ein fanatischer Religionskrieg, bei dem man die Ungläubigen vernichten oder gerade so gut ihre Bekehrung erzwingen kann; dazu muß man noch bemerken, daß die Nazis die Ausschreitungen jener fürchterlichen Zeiten übertroffen haben, denn im Religionskrieg wurde der bekehrte Gegner wie ein Bruder aufgenommen, während die Nazis ihren bedauernswerten Opfern nie eine Möglichkeit boten, sich zu retten, auch nicht unter schwersten Verzichten.

Dank dieser Auffassungen haben die Deutschen die Germanisierung der besetzten Gebiete in Angriff genommen, und hatten zweifellos auch die Absicht, die Welt zu germanisieren. Diese Germanisierung unterscheidet sich von den früheren Zielen des Pangermanismus dadurch, daß sie gleichzeitig eine Nazifizierung und eine gerade Rückkehr zur Barbarei darstellt.

Die Rassenlehre teilt die Völker der besetzten Länder in zwei große Kategorien; die Germanisierung bedeutet für die eine Kategorie die nationalsozialistische Assimilierung, für die andere den Untergang oder die Versklavung. Für die Angehörigen der sogenannten höheren Rasse bedeutet die ihnen zugedachte Vorzugsstellung die Angleichung an die neuen Begriffe der germanischen Gemeinschaft. Den Angehörigen der angeblich untergeordneten Rasse beabsichtigt man entweder jeden Rechtszustand zu nehmen, indem man ihre physische Vernichtung erwartet oder vorbereitet, oder sie zur Sklaverei zu zwingen.

Dem einen wie dem anderen zwingt die Rassenlehre die Annahme der Nazi-Mythen auf.

Dieses doppelte Programm der absoluten Germanisierung wurde nicht ganz verwirklicht, auch nicht in allen besetzten Ländern. Die Deutschen hatten es sich als ein Unternehmen auf lange Sicht gedacht, das sie stufenweise durch eine Reihe aufeinanderfolgender Maßnahmen verwirklichen würden. Dieses allmähliche Vorgehen ist für die Nazi-Methode immer charakteristisch. Es entspricht, so scheint es, ebenso der Verschiedenheit der entgegenstehenden Hindernisse, dem scheinheiligen Wunsche, der öffentlichen Meinung entgegenzukommen, wie auch einem furchtbaren Drang nach wissenschaftlichen Experimenten und wissenschaftlicher Prahlerei.

Zur Zeit der Befreiung war der Stand der Germanisierung je nach den Ländern sehr verschieden, und in jedem Lande wiederum verschieden nach der Kategorie der Bevölkerung. Manchmal war die Methode bis zu ihren äußersten Folgerungen getrieben worden; an anderen Orten findet man nur den Apparat der vorbereitenden Maßnahmen. Aber es ist leicht, die Kurve desselben Übels überall festzustellen; es wurde auf verschiedenen Entwicklungsstufen aufgehalten, war aber überall von der gleichen unerbittlichen Macht getrieben.

Was die nationale Frage betrifft, sind die Deutschen in Luxemburg, in den belgischen Bezirken von Eupen und Malmedy, in den französischen Departements Elsaß und Lothringen gern einfach zur Annexion geschritten. Hier besteht das verbrecherische Vorgehen sowohl in der Aufhebung der Souveränität des Staates, des natürlichen Beschützers seiner Bevölkerung, als in der Aufhebung der Staatsangehörigkeit der Bürger dieses Staates, die ihnen kraft Landes- und Völkerrechts zugesichert war.

Die Bewohner dieser Gebiete verlieren damit ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit, sie hören auf, Luxemburger, Belgier oder Franzosen zu sein. Sie erwerben jedoch nicht zu vollem Recht die deutsche Staatsangehörigkeit, sie werden nur gradweise zu dieser besonderen Bevorzugung zugelassen und nur unter der Bedingung, daß sie gewisse Rechtfertigungsnachweise erbringen.

Die Deutschen suchen in ihnen alles bis zur Erinnerung an ihr früheres Land auszulöschen. Im Elsaß und im Moselgebiet wird die französische Sprache verboten; die Ortsnamen wie auch die Namen der Leute werden germanisiert.

Neue Staatsbürger oder einfache Untertanen werden in gleicher Weise den Verpflichtungen des Nazi- Regimes unterworfen: der Arbeitspflicht natürlich und bald auch der Einziehung zur Wehrmacht. Im Falle eines Widerstandes gegen diese ungerechten und abscheulichen Anordnungen, denn es handelt sich darum, Franzosen gegen ihre Verbündeten und tatsächlich gegen ihr eigenes Land zu bewaffnen, wurden Strafmaßnahmen nicht nur gegen die Betroffenen selbst, sondern auch gegen ihre Familienangehörigen ergriffen. Dies geschah den Thesen des Nazi-Rechts folgend, das die fundamentalsten Grundsätze des Rechtes über die Repression beseitigte.

Diejenigen, die als Refraktäre gegenüber der Nazifizierung oder als für die Unternehmungen der Nazis von geringem Wert erscheinen, fallen massiven Ausweisungen zum Opfer; innerhalb einiger Stunden werden sie mit nur sehr spärlichem Gepäck aus ihren Heimen verjagt und ihres Besitzes beraubt.

Aber dieser unmenschliche Abtransport ganzer Bevölkerungen, der einer der Schrecken unseres Jahrhunderts bleiben wird, erscheint noch wie eine Vorzugsbehandlung im Vergleich zu den Deportationen, durch welche die Konzentrationslager, und insbesondere das Lager Struthof im Elsaß, bevölkert worden sind.

Zu gleicher Zeit, da die Nazis die Bevölkerungen mit Gewalt und gegen jedes Recht unterdrückten, suchten sie sie, ihren Methoden folgend, von der Vortrefflichkeit ihres Regimes zu überzeugen. Insbesondere die Jugend wird im Geiste des Nationalsozialismus erzogen.

Die Deutschen sind nicht zu weiteren, als den von uns angeführten Annexionen im wahren Sinne des Wortes geschritten; es besteht aber kein Zweifel, und viele Anzeichen bestätigen es, daß sie die Absicht hatten, sich zahlreiche und weitaus wichtigere Gebiete anzueignen und diesen das gleiche Regime aufzuzwingen, wäre der Kampf siegreich für sie ausgegangen. Überall aber haben sie die Aufhebung oder Schwächung des nationalen Lebens vorbereitet, indem sie die Souveränität des betreffenden Staates beseitigten oder entstellten und sich bemühten, den Patriotismus zu vernichten.

In allen besetzten Ländern, gleichgültig, ob es dort eine Scheinregierungsgewalt gab oder nicht, haben die Deutschen systematisch die Besatzungsgewalt mißachtet. Sie haben Gesetze und Verordnungen erlassen und die Verwaltung geführt. Neben den wirklich annektierten Gebieten befanden sich andere besetzte Gebiete in einer Lage, die man als Zustand der Vorannexion bezeichnen kann.

Dies führt zu einem zweiten Gesichtspunkt, dem Eingriff in das geistige Leben. Überall, wenngleich verschieden nach Zeit und Ort, haben die Deutschen getrachtet, die öffentlichen Freiheiten, insbesondere die Versammlungsfreiheit und die Pressefreiheit, zu unterdrücken; sie haben sich bemüht, die wesentlichen geistigen Freiheiten einzuschränken.

Die deutschen Behörden unterwarfen die Presse der strengsten Zensur, auch wo es sich um Gegenstände handelte, denen jeder militärische Charakter fehlte, und dies bei einer Presse, deren Organe überdies oft von ihnen selbst inspiriert waren. Viele Beschränkungen wurden der Herstellung und dem Handel von Filmen auferlegt. Zahlreiche Werke, auch solche völlig unpolitischer Natur, wurden verboten; dies ging bis zu Schulbüchern. Sogar die religiösen Behörden sahen sich in der Ausübung ihres Amtes gehindert und konnten das Wort der Wahrheit nicht verkünden.

Nachdem die Deutschen die Freiheiten der Meinungsäußerung weit über das durch den Kriegs- und Besatzungszustand gerechtfertigte Maß hinaus eingeschränkt hatten, entwickelten sie systematisch ihre nationalsozialistische Propaganda durch die Presse, das Radio, den Film, durch Vorträge, Bücher und Anschläge.

All diese Bemühungen erzielten so geringe Erfolge, daß man heute versucht sein könnte, ihre Bedeutung für sehr klein zu halten. Trotzdem muß diese für die menschliche Vernunft mit den gegensätzlichen Mitteln und zugunsten einer verbrecherischen Lehre geführten Propaganda vor der Weltgeschichte einer der Schandflecken des nationalsozialistischen Systems bleiben.

Das Unternehmen der Germanisierung hat die menschlichen Lebensbedingungen in seinen anderen großen Gebieten, die wir genannt haben, nicht weniger getroffen, das heißt hinsichtlich des Rechtes der Familie, des Rechtes auf berufliche und wirtschaftliche Tätigkeit und der Rechtssicherheit. Diese Rechte wurden getroffen und diese Sicherheit verringert.

Zwangsarbeit und Deportation sind Eingriffe in das Recht der Familie und in das Arbeitsrecht. Willkürliche Verhaftungen unterdrücken die elementarsten Rechtsgarantien. Die Deutschen versuchten überdies, den Verwaltungsbehörden der besetzten Länder ihre eigenen Methoden aufzuzwingen, und hatten darin leider manchmal Erfolg.

Bekanntlich hat die rassische Diskriminierung gegen die als Juden registrierten Bürger der besetzten Länder besonders gehässige Maßnahmen getroffen, die den persönlichen Status und die Menschenwürde der Juden verletzten.

Alle diese verbrecherischen Handlungen verstießen gegen die Regeln des Völkerrechts und insbesondere gegen das Haager Abkommen, durch das die Rechte der Besatzungstruppen beschränkt werden.

Der Kampf der Nazis gegen die Menschenwürde vervollständigt das tragische und ungeheuerliche Gesamtbild der Kriegsverbrechen Nazi-Deutschlands und stellt dieses unter das Zeichen der Erniedrigung des Menschen, wie sie von der nationalsozialistischen Lehre bewußt gewollt war. Damit gibt sie ihm den wahren Charakter einer systematischen Rückkehr zur Barbarei.

Derartig sind die Verbrechen, die das nationalsozialistische Deutschland in Verfolgung des von ihm entfesselten Angriffskriegs begangen hat. Die Märtyrervölker appellieren an die Gerechtigkeit der zivilisierten Nationen und verlangen von Ihrem Hohen Gerichtshof, das nationalsozialistische Reich in der Person seiner überlebenden Führer zu verurteilen.

Die Angeklagten sollen sich über die Anklagen, die gegen sie erhoben werden, nicht wundern! Sie sollen sich nicht auf das Prinzip der Rückwirkung berufen, dessen Bestand entgegen ihrem Willen von den demokratischen Gesetzen garantiert ist. Das Kriegsverbrechen ist im Völkerrecht sowie im nationalen Recht aller modernen Zivilisationen bekannt. Die Angeklagten wußten, daß die Eingriffe in die Unverletzlichkeit der physischen Person, in das Eigentum und in das menschliche Leben feindlicher Staatsangehöriger Verbrechen waren, für die sie sich vor einer internationalen Justiz zu verantworten haben würden.

Die Regierungen der Vereinten Nationen haben ihnen seit dem Ausbruch der Feinseligkeiten wiederholt Warnungen zukommen lassen.

Am 25. Oktober 1941 erklärten Franklin Roosevelt, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, und Winston Churchill, Premierminister von Großbritannien, daß die Kriegsverbrecher ihrer gerechten Bestrafung nicht entgehen werden. »Die Massaker in Frankreich«, sagte Churchill, »sind nur ein Beispiel für das, was die Nazis Hitlers in vielen anderen Ländern, die unter ihrem Joch stehen, tun. Die Greueltaten, die in Polen, Jugoslawien, Norwegen, Holland, Belgien und besonders hinter der deutschen Front in Rußland begangen worden sind, übersteigen alles, was man seit dem finstersten und bestialischsten Zeitalter der Menschheit kannte. Die Bestrafung dieser Verbrechen muß schon jetzt zu den Hauptkriegszielen gezählt werden.«

Im Laufe des Herbstes 1941 kamen die Vertreter der Regierungen der besetzten Länder auf Anregung der Polnischen und Tschechoslowakischen Regierung in London zusammen. Sie arbeiteten eine interalliierte Erklärung aus, die am 13. Januar 1942 unterzeichnet wurde. Ich erlaube mir, den Gerichtshof an diese Erklärung zu erinnern:

»Die unterzeichneten Vertreter der Belgischen Regierung, der Tschechoslowakischen Regierung, des Nationalen Komitees des Freien Frankreich, der Griechischen Regierung, der Regierung von Luxemburg, der Regierung der Niederlande, der Polnischen Regierung und der Jugoslawischen Regierung erklären:

Angesichts des Umstandes, daß Deutschland seit dem Ausbruch dieses Krieges, der durch seine Aggressionspolitik hervorgerufen worden ist, in den besetzten Ländern eine Terrorherrschaft eingerichtet hat, die unter anderem durch Verhaftungen, Massenausweisungen, Massaker und Geiselhinrichtungen gekennzeichnet ist,

Angesichts des Umstandes, daß diese Gewaltakte auch von den Alliierten und Assoziierten des Reiches in bestimmten Ländern begangen wurden, und durch Bürger, die sich zu Komplicen der Besatzungsmacht machten,

Angesichts des Umstandes, daß eine internationale Solidarität notwendig ist, daß diese Gewalttaten individuelle oder kollektive Racheakte hervorrufen, und um schließlich dem Gerechtigkeitsgefühl der zivilisierten Welt Genüge zu tun,

Unter Hinweis darauf, daß das Völkerrecht und im besonderen die Haager Konvention vom Januar 1907 über Gesetze und Gebräuche des Landkrieges den Kriegführenden nicht gestattet, in den besetzten Ländern Gewalttaten gegen Zivilpersonen zu begehen, die geltenden Gesetze zu verletzen, oder die nationalen Einrichtungen aufzuheben,

Bestätigen, daß die gegen die Zivilbevölkerung begangenen Gewalttaten nichts gemein haben mit der Auffassung von Kriegshandlungen oder von politischen Verbrechen, wie sie von den zivilisierten Nationen angesehen werden.

Nehmen Kenntnis von den diesbezüglichen Erklärungen vom 25. Oktober 1941 des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und des Premierministers von Großbritannien.

Erklären als eines ihrer Hauptkriegsziele die Bestrafung im ordentlichen Gerichtsverfahren der Schuldigen oder der für diese Verbrechen Verantwortlichen, gleichgültig, ob sie sie angeordnet oder begangen oder an ihnen teilgenommen haben.

Beschließen im Geiste internationaler Solidarität, darüber zu wachen, daß:

a) nach den Schuldigen oder Verantwortlichen gesucht wird, welche Verantwortlichkeit sie auch immer treffen mag, daß sie vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden, und

b) daß die ergangenen Urteile tatsächlich vollstreckt werden.

Urkund dessen haben die Unterzeichneten, die hierzu ordnungsgemäß bestellt worden sind, die vorstehende Erklärung unterzeichnet.«

Die Leiter des nationalsozialistischen Deutschland haben noch weitere Warnungen erhalten. Ich verweise auf die Rede General de Gaulle's vom 13. Januar 1942, die Rede Churchills vom 8. September 1942, die Note Molotows, Volkskommissar der USSR für Auswärtige Angelegenheiten, vom 14. Oktober 1942 und die zweite interalliierte Erklärung vom 17. Dezember 1942. Die letztere gegeben infolge von Nachrichten über die Ausrottung der jüdischen Minderheiten in Europa durch die deutschen Behörden. In dieser Erklärung bestätigten die Regierungen Belgiens, der Tschechoslowakei, Griechenlands, Luxemburgs, Hollands, Norwegens, Polens, der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs, der Sowjetunion und Jugoslawiens und das Französische Nationalkomitee, das den Weiterbestand Frankreichs darstellte, feierlich von neuem ihren Vorsatz, die Kriegsverbrecher, die für diese Ausrottung verantwortlich sind, zu bestrafen.

VORSITZENDER: Wir werden die Verhandlung für 10 Minuten unterbrechen.