HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Pause von 10 Minuten.]

M. DE MENTHON: Die Elemente für eine gerechte Repression sind also hier vereint. Als die Angeklagten ihre Verbrechen begingen, kannten sie die Absicht der Vereinten Nationen, eine Bestrafung dieser Taten herbeizuführen. Die Warnungen, die den Angeklagten zuteil geworden sind, stellen die vorgängige Qualifikation der Tat mit Bezug auf die Bestrafung dar.

Die Angeklagten konnten sich im übrigen über die strafrechtliche Natur ihrer Handlungen nicht im unklaren sein.

Die Warnungen der alliierten Regierungen drückten tatsächlich in politischer Form die Grundprinzipien des Völkerrechts wie des nationalen Rechtes aus, nach denen es gestattet ist, die Bestrafung der Kriegsverbrecher auf Präzedenzfälle und positive Rechtsregeln zu stützen.

Der Begriff des Kriegsverbrechens ist von den Schöpfern des Völkerrechts vorausgefühlt worden, ganz besonders von Grotius, der den strafrechtlichen Charakter der unnützen Kriegshandlungen festlegte. Die Haager Konventionen haben dann einige Jahrhunderte später die zwingenden Nonnen des Kriegsrechts festgelegt. Sie haben Regeln für die Führung von Feindseligkeiten und das Verfahren der Besetzung aufgestellt, sie haben positive Regeln formuliert, um die Fälle, in denen man zur Gewalt greifen kann, einzuschränken und die Kriegsnotwendigkeiten mit den Forderungen des menschlichen Gewissens in Einklang zu bringen. Das Kriegsverbrechen erhielt so seine erste Definition, man betrachtete es als Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges, wie diese in der Haager Konvention kodifiziert sind.

Dann kam der Krieg 1914. Das Kaiserliche Deutschland führte den ersten Weltkrieg mit einer Brutalität, die vielleicht weniger systematisch und zügellos war als die des nationalsozialistischen Reiches, aber nicht weniger vorbedacht. Die Deportation von Arbeitern, die Plünderung von öffentlichem und privatem Eigentum, die Geiselnahme und Geiselhinrichtung, die Demoralisierung der besetzten Gebiete, haben 1914 ebenso wie 1939 die politischen Methoden des deutschen Krieges dargestellt.

Der Versailler Vertrag war auf die Bestimmungen der Haager Konvention gegründet, um die Bestrafung von Kriegsverbrechen zu organisieren. Unter dem Titel »Strafbestimmungen« behandelt er in Kapitel VII die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Entfesselung und Führung des Konflikts, der damals als der große Weltkrieg angesehen wurde.

Artikel 227 stellte Wilhelm von Hohenzollern, vormaligen Kaiser von Deutschland, wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge unter Anklage.

Artikel 228 räumte den alliierten und assoziierten Mächten die Befugnis ein, die wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen vor ihre Militärgerichte zu ziehen.

Artikel 229 bestimmte, daß die Verbrecher, deren Taten geographisch nicht genau lokalisiert waren, vor interalliierten Gerichten zur Aburteilung kommen sollten.

Die Bestimmungen des Versailler Vertrags sind in den Verträgen von 1919 und 1920, die mit den Verbündeten Deutschlands geschlossen wurden, wiederholt worden, insbesondere in den Verträgen von Saint-Germain und Neuilly. Auf diese Weise wurde der Begriff des Kriegsverbrechens im Völkerrecht gefestigt. Die Friedensverträge von 1919 definierten nicht nur den Begriff der Rechtsverletzung, sie formulierten auch die Art und Weise der Bestrafung.

Die Angeklagten wußten dies ebenso gut, wie sie die Warnungen der Regierungen der Vereinten Nationen kannten. Ohne Zweifel hofften sie, daß eine Wiederholung der Tatumstände, die die Bestrafung der Schuldigen von 1914 verhindert hatte, es ihnen erlauben würde, der wohlverdienten Züchtigung zu entgehen. Daß sie vor diesem Gerichtshof stehen, ist ein Symbol für den steten Fortschritt, den das Völkerrecht trotz aller Hindernisse erfährt.

Das Völkerrecht hatte eine noch genauere Definition des Kriegsverbrechens gegeben. Diese Definition war von der Kommission formuliert worden, die die vorläufige Friedenskonferenz am 25. Januar 1919 eingesetzt hatte, um die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die verschiedenen während des Krieges begangenen Kriegsverbrechen festzulegen. Es war der Bericht der Fünfzehner-Kommission vom 29. März 1919, der die historische Grundlage für Artikel 227 und folgende des Versailler Vertrags bildete. Die Fünfzehner-Kommission gründete die Untersuchung der strafrechtlichen Verantwortlichkeiten auf eine Analyse der Verbrechen, die geeignet waren, sie auszulösen. Ein materielles Element ist zum rechtlichen Begriff einer jeden Rechtsverletzung notwendig. Seine Definition ist umso genauer, als sie eine Aufzählung der eingeschlossenen Tatsachen umfaßt. Aus diesem Grund stellte die Fünfzehner-Kommission eine Liste von Kriegsverbrechen auf. Die Liste enthält zweiunddreißig Verletzungen, insbesondere die folgenden: Ermordungen, Massaker, systematischer Terrorismus, die Tötung von Geiseln, die Folterung von Zivilpersonen, die Beerdigung von Zivilpersonen unter unmenschlichen Umständen, Zwangsarbeit von Zivilpersonen in Verbindung mit militärischen Operationen des Feindes, die Anmaßung von Hoheitsrechten in besetzten Gebieten während der Besetzung, die Zwangseinziehung von Soldaten aus den besetzten Gebieten, den Versuch der Entnationalisierung von Bewohnern der besetzten Gebiete, Plünderung, Beschlagnahme von Eigentum, Auferlegung von kollektiven Geldstrafen, die absichtliche Verwüstung und Zerstörung von Vermögenswerten, die Verletzung anderer das Rote Kreuz betreffender Vorschriften, die schlechte Behandlung von Verwundeten und Kriegsgefangenen, die Verwendung von Kriegsgefangenen für unzulässige Arbeiten.

Diese Liste, auf welcher bereits die in der Anklage gegen die Angeklagten vorgebrachten Beschuldigungen erscheinen, diese Liste, aus der wir nur einige Tatbestände aufgezählt haben, diese Liste ist deshalb bezeichnend, weil die von ihr umfaßten Kriegsverbrechen einen zusammengesetzten Charakter haben. Sie sind nämlich Verbrechen sowohl nach Völkerrecht, wie nach nationalem Recht. Einige dieser Verbrechen stellen Eingriffe in grundsätzliche Freiheiten und verfassungsmäßige Rechte der Völker und Personen dar; sie bestehen in der Verletzung der öffentlichen Rechtssicherheiten, die durch die Verfassungsgrundgesetze der besetzten Länder anerkannt sind: die Verletzung der Grundsätze von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die Frankreich 1789 verkündete und deren ewigen Bestand die zivilisierten Staaten verbürgen. Diese Kriegsverbrechen sind Verletzungen des internationalen öffentlichen Rechtes, weil sie eine systematische Mißachtung der Rechte der Besetzungsmacht wie der besetzten Macht darstellen; sie können aber ebenso als Verletzungen des nationalen öffentlichen Rechtes erscheinen, weil sie mit Gewalt die verfassungsmäßigen Einrichtungen der besetzten Gebiete und den rechtlichen Status ihrer Einwohner abzuändern versuchen.

Noch zahlreicher sind die Verbrechen, die Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Person und des Vermögens darstellen.

Sie beziehen sich auf die Regeln des Kriegsrechts und bedeuten eine Verletzung internationaler Gesetze und Gebräuche.

Es muß jedoch bemerkt werden, daß die internationalen Vereinbarungen die wesentlichen Merkmale einer Rechtsverletzung bestimmen, nicht jedoch diese Verletzung im eigentlichen Sinne schaffen. Die Verletzung bestand vorher in der Gesamtheit der inneren Gesetzgebungen, sie bildete in gewisser Weise einen Teil des allen Nationen gemeinsamen Patrimoniums; die Regierungen haben sich untereinander verständigt, um ihren internationalen Charakter zu bestätigen und ihren Inhalt genau festzulegen. Das internationale Strafrecht stellt sich damit über das nationale Recht, das seine repressive Grundlage bewahrt, da das Kriegsverbrechen stets ein Verbrechen des gemeinen Rechtes bleibt. Das nationale Strafrecht gibt ihm seine Qualifikation. Alle Handlungen, die Artikel 6 des Status vom 8. August 1945 aufführt, alle Tatbestände, die von Punkt 3 der Anklageschrift vom 18. Oktober 1945 umfaßt wurden, entsprechen Verletzungen des gemeinen Rechtes, wie sie im nationalen Strafrecht vorgesehen und unter Strafe gestellt sind. Die Hinrichtung von Kriegsgefangenen, von Geiseln und von Bewohnern der besetzten Gebiete fallen im französischen Recht unter die Bestimmungen des Artikels 295 und folgende des Strafgesetzbuchs, die Mord und Totschlag definieren. Die Mißhandlungen, von denen die Anklage spricht, fallen in den Rahmen der Körperverletzungen, die in Artikel 309 und folgende beschrieben werden. Die Deportation stellt, unabhängig von den mit ihr verbundenen Morden, eine willkürliche Freiheitsberaubung im Sinne der Artikel 341 und 344 dar. Das Plündern öffentlichen und privaten Eigentums und die Auflage von Kollektivgeldstrafen werden von Artikel 221 und folgende unseres Militärstrafgesetzbuchs mit Strafe belegt. Artikel 434 des Strafgesetzbuchs bestraft die Sachbeschädigungen, und die Deportation von Zivilarbeitern kommt der Zwangsanwerbung des Artikels 92 gleich. Die Abnahme des Treueides ist nichts anderes als der erzwungene Meineid des Artikels 366, und die Germanisierung der besetzten Gebiete enthält alle Arten von Verbrechen, von denen das offenkundigste die Zwangseinstellung in die Wehrmacht in Verletzung von Artikel 92 ist. Die gleichen Parallelen können in allen modernen Rechtssystemen und im besonderen im deutschen Recht gefunden werden.

Die Verbrechen gegen die Person und gegen das Vermögen, deren die Angeklagten sich schuldig gemacht haben, sind den Gesetzgebungen aller Länder bekannt. Sie tragen internationalen Charakter, wie sie in mehreren verschiedenen Ländern begangen worden sind; daraus ergibt sich die Frage der Zuständigkeit, die das Statut vom 8. August 1945 entschieden hat, wie wir dies bereits ausgeführt haben; dies läßt jedoch die Regel der Qualifizierung unberührt.

Obwohl Verbrechen des gemeinen Rechts, ist das Kriegsverbrechen keine gewöhnliche Rechtsverletzung; es besitzt einen besonderen inneren Wesenscharakter.

Es ist ein Verbrechen, das während des Krieges oder unter dem Vorwand des Krieges begangen wurde. Es muß bestraft werden, weil selbst in Kriegszeiten Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Person und des Vermögens Verbrechen sind, wenn sie nicht auf Grund der Gesetze und Gebräuche des Krieges gerechtfertigt sind. Der Soldat, der auf dem Schlachtfelde einen feindlichen Soldaten tötet, begeht ein Verbrechen, aber dieses Verbrechen ist durch das Kriegsrecht gerechtfertigt. Das Völkerrecht übernimmt es, die Definition des Kriegsverbrechens zu geben, nicht um seine wesentlichen Kriterien zu bestimmen, sondern seine äußeren Grenzen festzusetzen.

Mit anderen Worten, jede Rechtsverletzung, die bei oder unter dem Vorwand von Feindseligkeiten begangen wird, ist verbrecherisch, wenn sie nicht durch die Gesetze und Gebräuche des Krieges gerechtfertigt wird. Das Völkerrecht wendet hier die Theorie der Notwehr an, die allen Strafgesetzgebungen bekannt ist. Der Kombattant auf dem Schlachtfelde handelt in Notwehr; sein Töten ist durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt. Sobald der Rechtfertigungsgrund wegfällt, bleibt die Rechtsverletzung, ob gewöhnliches Verbrechen oder Kriegsverbrechen, in vollem Umfange bestehen! Um einen Rechtfertigungsgrund zu bilden, muß die gesetzwidrige Handlung notwendig sein und im Verhältnis zu dem Angriff stehen, dem sie entgegengesetzt wird. Die Angeklagten, gegen die Recht zu sprechen von Ihnen verlangt wird, können sich nicht auf eine derartige Rechtfertigung berufen.

Sie können auch nicht ihre Schuld von sich abwälzen, indem sie behaupten, daß sie die Verbrechen nicht selbst ausgeführt haben. Das Kriegsverbrechen enthält zwei deutlich verschiedene und sich ergänzende Arten der Verantwortlichkeit: die des Täters und die des Anstifters. Diese Auffassung enthält keinen Widerspruch. Sie ist die getreue Wiedergabe der strafrechtlichen Theorie von der Mittäterschaft durch Anstifter. Die Verantwortlichkeit des Mittäters, gleichgültig ob sie unabhängig oder komplementär zu der des Haupttäters ist, ist unbestreitbar. Die Angeklagten tragen die volle Verantwortung für die Verbrechen, die auf ihre Anweisung oder unter ihrer Kontrolle begangen worden sind.

Schließlich können diese Verbrechen auch nicht unter dem Vorwand eines den Angeklagten von Hitler gegebenen höheren Befehls gerechtfertigt werden. Die Theorie der Rechtfertigung durch höheren Befehl ist im nationalen Recht genau umgrenzt; sie deckt nicht die Ausführung von Befehlen, deren Rechtswidrigkeit vollkommen klar ist. Das deutsche Recht anerkennt im übrigen den Begriff der Rechtfertigung durch höheren Befehl nur im beschränkten Umfang. Artikel 47 des deutschen Militärstrafgesetzbuches von 1940 geht von der Idee aus, daß grundsätzlich der verbrecherische Befehl eines Vorgesetzten die Verantwortung des Ausführenden ausschließt, bestraft den letzteren als Mittäter, wenn er in Kenntnis des verbrecherischen Charakters der befohlenen Handlung gehandelt hat. Goebbels machte eines Tages diesen rechtlichen Begriff zum Gegenstand seiner Propaganda. Am 28. Mai 1944 schrieb er im »Völkischen Beobachter«, der dem Gerichtshof von der amerikanischen Anklagebehörde vorgelegt worden ist, einen Artikel, um die Ermordung von alliierten Fliegern durch den deutschen Pöbel zu rechtfertigen:

»Die Piloten können sich nicht darauf berufen, daß sie als Soldaten auf Befehl handelten. Es ist in keinem Kriegsgericht vorgesehen, daß ein Soldat bei einem schimpflichen Verbrechen dadurch straffrei wird, daß er sich auf seinen Vorgesetzten beruft, zumal wenn dessen Anordnungen in eklatantem Widerspruch zu jeder menschlichen Moral und jeder internationalen Übung der Kriegsführung stehen.«

Der höhere Befehl entlastet den Täter eines offenkundigen Verbrechens nicht von seiner Verantwortlichkeit. Jede andere Lösung wäre im übrigen unannehmbar, da sie die Ohnmacht jeder Politik der Bestrafung bestätigen würde.

Um so weniger kann der höhere Befehl die Verbrechen dieser Angeklagten rechtfertigen. Sir Hartley Shawcross hat Ihnen mit Beredsamkeit gesagt, daß die Angeklagten nicht behaupten können, das Verbrechen gegen den Frieden sei nur die Tat Hitlers allein gewesen, Während sie sich darauf beschränkt hätten, seine allgemeinen Weisungen weiterzuleiten. Es verhält sich mit dem Kriegsverbrechertum wie mit dem Willen zum Angriff: Es ist die gemeinsame Tat der Angeklagten; sie tragen die gemeinsame Verantwortung für die verbrecherische Politik, die aus der nationalsozialistischen Lehre hervorging.

Da das deutsche Kriegsverbrechertum vor Ausbruch der Feindseligkeiten eine systematische Politik der Planung und Vorbereitung darstellte und ohne Unterbrechung von 1940 bis 1945 ausgeübt wurde, begründet es die Verantwortlichkeit aller Angeklagten, der politischen wie der militärischen Führer, der hohen Funktionäre des nationalsozialistischen Deutschlands und der Führer der Nazi-Partei.

Es scheint jedoch, daß einige von ihnen unmittelbarer verantwortlich sind für die Gesamtheit der Handlungen, auf die sich die französische Anklage im besonderen bezieht, das heißt für die Verbrechen, die in den westlichen besetzten Gebieten verübt wurden.

Wir werden die Angeklagten anführen:

Der Angeklagte Göring in seiner Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan und als Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung,

der Angeklagte Ribbentrop in seiner Eigenschaft als Reichsaußenminister, von dem die Verwaltung der besetzten Gebiete abhing,

der Angeklagte Frick in seiner Eigenschaft als Leiter des Zentralamtes für die besetzten Gebiete,

der Angeklagte Funk in seiner Eigenschaft als Reichswirtschaftsminister,

der Angeklagte Keitel, der die Besatzungsarmeen unter seinem Befehl hatte,

der Angeklagte Jodl, der die ganze Verantwortung des Vorgenannten teilte,

der Angeklagte Seyß-Inquart in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die besetzten Niederländischen Gebiete, vom 13. Mai 1940 bis zum Ende der Feindseligkeiten.

Wir werden jetzt von diesen oder anderen Personen die Verantwortlichen unter jeder Kategorie von Taten prüfen, wobei zu verstehen ist, daß diese Aufzählung in keiner Weise eine Begrenzung bedeutet.

Der Angeklagte Sauckel ist der große Schuldige für die Zwangsarbeit in allen ihren Formen. Als Bevollmächtigter für den Arbeitseinsatz griff er zu allen Mitteln für die intensive Rekrutierung von Arbeitern. Er ist insbesondere der Unterzeichner des Erlasses vom 22. August 1942, der die Richtlinien für die Zwangsrekrutierung der Arbeiterschaft in allen besetzten Ländern enthält. Er handelt in Verbindung mit dem Angeklagten Speer, dem Chef der Organisation Todt und Generalbevollmächtigten für die Rüstung innerhalb des Vierjahresplanes, ebenso zusammen mit dem Angeklagten Funk als Reichswirtschaftsminister und dem Angeklagten Göring als Chef des Vierjahresplanes.

In dieser Eigenschaft war der Angeklagte Göring unmittelbar an der wirtschaftlichen Ausplünderung beteiligt; er scheint dabei oft seinen persönlichen Vorteil gesucht und gefunden zu haben.

In seiner Eigenschaft als Außenminister war der Angeklagte Ribbentrop ebenfalls genau unterrichtet. Der Angeklagte Rosenberg, Organisator und Leiter des »Einsatzstabes Rosenberg«, ist besonders der Plünderungen von Kunstwerken in den besetzten Gebieten schuldig.

Die Hauptverantwortung für die Geiselmassaker fällt auf den Angeklagten Keitel, Herausgeber insbesondere des allgemeinen Befehls vom 16. September 1941, und auf seinen Mitangeklagten Jodl, sowie auf den Angeklagten Göring, der dem fraglichen Befehl zustimmte.

Der Angeklagte Kaltenbrunner, unmittelbarer Mitarbeiter Himmlers und Chef aller auswärtigen Dienste der Polizei und der Sicherheit, ist direkt verantwortlich für die ungeheuerlichen Verfahren, die seitens der Gestapo in allen besetzten Ländern angewandt wurden, Verfahren, die nichts anderes sind als die Fortsetzung der Methoden, die der Gestapo von ihrem Gründer in Preußen, dem Angeklagten Göring, gegeben worden waren.

Der Angeklagte Kaltenbrunner ist ebenfalls direkt verantwortlich für die Verbrechen, die in den Deportationslagern begangen wurden. Er hat übrigens diese Lager besucht, wofür Ihnen im Falle des Lagers Mauthausen die Französische Delegation die Beweise vorlegen wird. Der Angeklagte Göring hat die medizinischen Versuche an Häftlingen gekannt und gebilligt.

Der Angeklagte Sauckel hat die Häftlinge mit allen Mitteln gezwungen, unter unmenschlichen Bedingungen für die deutsche Kriegsproduktion zu arbeiten.

Der Angeklagte Keitel und sein Gehilfe, der Angeklagte Jodl, sind für die gegen die Gesetze des Krieges verstoßende Behandlung der Kriegsgefangenen verantwortlich, für Mord und Totschlag, die an ihnen verübt wurden, und für die Auslieferung einer großen Zahl von ihnen an die Gestapo.

Der Angeklagte Göring teilt ihre Verantwortlichkeit hinsichtlich der Tötung alliierter Flieger und Kommandoangehöriger. Der Angeklagte Sauckel hat die Arbeit der Kriegsgefangenen für die deutsche Kriegsproduktion entgegen den internationalen Gesetzen organisiert.

Der Angeklagte Keitel und der Angeklagte Kaltenbrunner sind beide die Hauptschuldigen an den gemeinsamen terroristischen Aktionen der deutschen Armee und Polizeikräfte in den verschiedenen besetzten Ländern, wie sie insbesondere in Frankreich gegen die Widerstandsbewegung angewandt wurden, sowie an den Verwüstungen und Massakern, denen die Zivilbevölkerung in vielen französischen Departements ausgesetzt war. Der Angeklagte Jodl teilt diese Verantwortung, insbesondere durch sein Merkblatt über die »Bandenbekämpfung« vom 6. Mai 1944, das »Kollektivmaßnahmen gegen die Einwohnerschaft ganzer Dörfer« vorsieht.

Die Eingriffe in die menschlichen Lebensbedingungen entspringen den Rassetheorien, deren Anstifter und Propagandisten unter anderen die Angeklagten Heß, Rosenberg, Streicher sind. Der Angeklagte Heß spielte bei der Ausarbeitung der in »Mein Kampf« dargelegten Thesen eine bemerkenswerte Rolle. Der Angeklagte Rosenberg, einer der Hauptvertreter der Rassentheorie, bekleidete den Posten eines Beauftragten für die Überwachung der weltanschaulichen Erziehung der Nazi-Partei. Der Angeklagte Streicher zeichnete sich als einer der heftigsten antisemitischen Agitatoren aus. Bei der Ausführung der Germanisierung und Nazifizierungspolitik teilt sich die Verantwortlichkeit zwischen dem Auswärtigen Amte, daß heißt dem Angeklagten Ribbentrop, und dem Generalstab, das heißt den Angeklagten Keitel und Jodl, und dem Zentralamt für alle besetzten Gebiete, das heißt dem Angeklagten Frick.

Die Hauptverantwortlichen des Nationalsozialismus fanden ihre Ausführungsorgane in den verschiedenen Nazi-Organisationen, auf daß sodann jedes ihrer Mitglieder, die verbrecherisch zu erklären wir Sie bitten, verhaftet und bestraft werden kann.

Das Reichskabinett, das Korps der Politischen Leiter und Generalstab und Oberkommando der deutschen Wehrmacht stellen bloß eine kleine Anzahl der Personen dar, deren Schuld und Strafbarkeit auf der Hand liegen, da sie persönlich und unmittelbar an den Entscheidungen teilgenommen oder an hohen Posten in der politischen oder militärischen Hierarchie die Durchführung der Entscheidungen sichergestellt haben, und dies, ohne daß ihnen ihr verbrecherischer Charakter verborgen bleiben konnte. Die Führer der Nazi-Partei stehen fraglos an der Spitze derer, die an dem verbrecherischen Unternehmen teilgenommen haben; neben den Angeklagten Keitel und Jodl haben noch andere Mitglieder des militärischen Oberkommandos die Wehrmacht zur Exekution von Geiseln, zu Plünderungen und zu ungerechtfertigten Zerstörungen und Massakern angeleitet.

Vielleicht aber wird es Ihnen scheinen, daß gewisse Einwendungen erhoben werden können gegen die Bestrafung von Hunderttausenden von Menschen, die der SS, dem SD, der Gestapo und SA angehört haben.

Ich will mich bemühen, sollte dies der Fall sein, diesen Einwand zu entkräften, indem ich Ihnen die furchtbare Verantwortung dieser Männer vor Augen führe.

Ohne das Dasein dieser Organisationen und ohne den Geist, von dem sie erfüllt waren, könnte man es nicht verstehen, daß so viele Greueltaten verübt werden konnten. Die systematischen Kriegsverbrechen hätten ohne diese Organisationen, ohne die Männer, aus denen sie sich zusammensetzten, nicht begangen werden können. Sie sind es, die auf Rechnung Deutschlands alle diese Verbrechen nicht nur begangen, sondern auch gewollt haben.

Es mag Ihnen unmöglich erschienen sein, daß die ungeheuerliche Barbarei der Nazi-Lehre das deutsche Volk ergriffen hat, ein Volk, das wie das unsere, Erbe der höchsten Zivilisationsgüter ist. Die Erziehung der jungen Leute, die die SS, den SD und die Gestapo bildeten, durch die Nazi-Partei erklärt die Herrschaft des Nazismus über ganz Deutschland. Sie haben den Nationalsozialismus verkörpert und ihm die Möglichkeit gegeben, durch passive Mittäterschaft der Gesamtheit der deutschen Bevölkerung einen Teil seiner Ziele zu verwirklichen.

Diese Jugend, diese Ausführungsorgane des Regimes, wurde nach einer wahrhaftigen Lehre des Immoralismus herangebildet. Dieser Immoralismus entspringt der Weltauffassung, von der das Regime erfüllt war.

Der Rassenmythos nahm in den Augen dieser seiner Anhänger dem verbrecherischen Kriege den verbrecherischen Charakter.

Wenn es feststeht, daß die höhere Rasse die für untergeordnet und dekadent betrachteten Völker vernichten soll, die Völker, die unfähig sind, das Leben so zu leben, wie es gelebt werden soll, vor welchen Mitteln der Vernichtung wird man dann zurückschrecken? Moral der Immoralität, die Folge der reinsten Lehren Nietzsches, die die Vernichtung jeglicher konventionellen Moral als höchste Pflicht des Menschen ansieht.

Das Verbrechen gegen die Rasse wird mitleidslos bestraft. Das Verbrechen für die Rasse wird in den Himmel gehoben. Das Regime schafft tatsächlich eine Logik des Verbrechens, die ihren eigenen Gesetzen folgt, die in keiner Beziehung zu dem stehen, was wir unter Moral verstehen.

Von diesem Gesichtspunkt aus konnten alle Greueltaten gerechtfertigt und erlaubt werden. So viele Taten, die uns unverständlich erscheinen, da sie so sehr in Widerspruch mit unseren üblichen Begriffen stehen, erklärten und entwickelten sich im voraus im Namen der rassischen Gemeinschaft.

Fügen Sie hinzu, daß diese Greueltaten, diese Grausamkeiten in dem starren durch den Korpsgeist geschaffenen Rahmen begangen wurden, in dieser soldatischen Solidarität, die das Individuum einsperrt und der Legitimität des Verbrechens unbeschränkten Spielraum einräumt. Die Einzelpersonen, die die Verbrechen begingen, wurden nicht nur durch das Regime als solches gedeckt, sondern durch die Disziplin und Kameradschaft dieser vom Nazi-Verbrechertum gebildeten Vereinigungen sogar dazu verleitet.

Die deutsche Jugend wurde aufgerufen, in diesen Organisationen ein außergewöhnliches Abenteuer zu erleben. Durch die Partei und ihren massiven Druck und die sich aus diesem Druck ergebende unbeschränkte Macht war die Nazi-Jugend an erster Stelle berufen, die großartigen Träume des nationalsozialistischen Pangermanismus zu verwirklichen.

Die Partei traf eine strenge Auswahl unter dieser Jugend und ließ keine Mittel des Anreizes außer acht. Man spornte ihren Ehrgeiz an, sich auszuzeichnen, ungewöhnliche, ja außernatürliche Taten zu begehen. Der junge Hitler-Anhänger in der Gestapo oder der SS wußte, daß seine Handlungen, so grausam und unmenschlich sie auch sein mochten, im Namen der Rassengemeinschaft, ihrer Bedürfnisse und ihrer Triumphe stets als legitim gelten würden.

Dank der jungen Leute in der SS, dem SD und der Gestapo war es der Nazi-Partei möglich geworden, auf dem Gebiet der Verbrechen das fertigzubringen, was keine Einzelperson und kein Volk hätte fertigbringen können. Die Mitglieder dieser Organisationen machten sich freiwillig zu Tätern dieser zahllosen Verbrechen aller Art, die oft mit einem verblüffenden Zynismus und einem raffinierten Sadismus sowohl in den Konzentrationslagern Deutschlands als auch in den verschiedenen besetzten Ländern, insbesondere in denen Westeuropas, verübt worden sind.

Die Verbrechen sind ungeheuerlich, die Verbrechen sind festgestellt, und die Verantwortlichkeit ist wohl bewiesen. Kein Zweifel ist möglich.

Und doch, im Verlauf der feierlichen Sitzungen dieses außerordentlichen Prozesses der Weltgeschichte, angesichts des besonderen Charakters des Rechts, das Ihr Hoher Gerichtshof vor den Vereinten Nationen, dem deutschen Volk und der ganzen Menschheit sprechen soll, könnten einige Einwände in unseren Gedanken entstehen.

Wir haben die Pflicht, diese Debatte zu erschöpfen, auch wenn sie nur in unserem Unterbewußtsein vorhanden ist; denn bald mag eine pseudopatriotische Propaganda in Deutschland sich ihrer bemächtigen und sogar ein Echo in manchen unserer Länder finden:

»Wer kann sagen: Ich habe ein reines Gewissen und bin ohne Fehler. Mit zweierlei Gewicht und zweierlei Maß zu messen ist beides dem Herrn ein Greuel.« Diese Worte der Heiligen Schrift, Buch der Sprüche, XX 9-10, wurden schon hier oder dort zitiert; morgen werden sie als Propagandamittel gebraucht werden. Vor allem aber sind sie tief in unsere Seelen geschrieben. Als wir im Namen unserer Märtyrervölker als Ankläger gegen Nazi-Deutschland aufstanden, haben wir keinen Augenblick lang diese Worte als ungewöhnliche Mahnung zurückgewiesen.

Gewiß, keine Nation ist in ihrer Geschichte ohne Tadel, ebenso wie kein Mensch sein Leben lang ohne Fehler bleibt. Gewiß, es liegt in der Natur des Krieges, daß er unbillige Übel und fast notwendigerweise Einzel- und Kollektivverbrechen mit sich bringt, weil er leicht die bösen Leidenschaften auslöst, die stets im Menschen schlummern.

Aber angesichts der Verantwortlichen Nazi- Deutschlands können wir uns ohne Furcht darüber befragen; wir finden kein gemeinsames Maß zwischen ihnen und uns.

Wenn dieses Verbrechertum ein zufälliges gewesen wäre, wenn Deutschland in den Krieg getrieben worden wäre, wenn Verbrechen nur in der Hitze des Gefechts begangen worden wären, dann könnten wir uns die Worte der Heiligen Schrift vorlegen. Aber der Krieg war von langer Hand vorbereitet und geplant, und bis zum letzten Tage wäre es ein leichtes gewesen, ihn zu vermeiden, ohne auch nur im geringsten etwas von den berechtigten Interessen des deutschen Volkes zu opfern. Und die Greueltaten sind im Laufe des Krieges nicht unter dem Einfluß einer wilden Leidenschaft oder eines kriegerischen Zornes oder aus einem Gefühl der Bache begangen worden, sondern aus kalter Berechnung, in bewußter Anwendung von Methoden und einer schon früher vorhandenen Lehre.

Das wahrhaft dämonische Werk Hitlers und seiner Genossen war es, alle barbarischen Instinkte, die durch Jahrhunderte der Zivilisation zurückgedrängt waren, jedoch stets im tiefsten Innern der Menschen gegenwärtig sind, alle Verneinung der traditionellen Werte der Humanität, über die die Völker und die Einzelmenschen sich in den Stunden der Verwirrung ihrer Entwicklung oder ihres Lebens befragen, zu einem um den Rassenbegriff gruppierten Komplex von Dogmen zusammenzufassen, eine Lehre aufzustellen und zu verbreiten, die das Verbrechen organisiert und regelt und sich anmaßt, dem Verbrechen befehlen zu können.

Das dämonische Werk Hitlers und seiner Genossen war es auch, alle Kräfte des Bösen aufzurufen, um seine Herrschaft über das deutsche Volk und sodann die Herrschaft Deutschlands über Europa und vielleicht über die Welt zu begründen. Das organisierte Verbrechertum entstand in einem Regierungssystem, einem System von internationalen Beziehungen und einem System der Kriegführung, in dem man in einer Nation die wildesten Leidenschaften entfesselte.

Nationalismus und Dienst am Volke und Vaterland werden vielleicht die Erklärung der Angeklagten sein; fern davon eine Entschuldigung darzustellen – als ob es überhaupt eine Entschuldigung für die Ungeheuerlichkeit ihrer Missetaten gäbe –, würden diese Beweggründe sie nur noch schwerer belasten. Sie haben den heiligen Begriff des Vaterlandes entweiht, indem sie ihn einem Unternehmen der Rückkehr zur Barbarei anpaßten. In seinem Namen haben sie, halb durch Zwang und halb durch Überredung, die Gefolgschaft eines ganzen Landes erhalten, das früher zu den Größten der Ordnung der geistigen Werte zählte, und haben es auf das tiefste Niveau herabgezogen. Moralischer Verfall, wirtschaftliche Schwierigkeiten, die Befangenheit in der Niederlage von 1918 und der verlorenen Macht, sowie die pangermanische Tradition stehen am Ursprung von der Herrschaft Hitlers und seiner Genossen über ein aus dem Gleichgewicht geworfenes Volk. Sich der Gewalt zu verschreiben, auf moralische Bedenken zu verzichten, einem Gemeinschaftstriebe zu frönen, sich dem Übermaß hinzugeben, all dies sind bei den Deutschen von Natur sehr starke Versuchungen, die von den Nazi-Machthabern zynisch ausgenutzt wurden. Der Rausch des Erfolges und die Trunkenheit der Größe bewirkten den Rest und stellten praktisch alle Deutschen, manche von ihnen zweifellos unbewußt, in den Dienst der nationalsozialistischen Lehre und verbanden sie damit dem dämonischen Unternehmen des Führers und seiner Genossen.

Angesichts dieses Unternehmens erhoben sich die Männer der verschiedensten Länder und Gesellschaftsschichten, die alle beseelt waren von dem gemeinsamen Wunsche, ihre Menschenrechte zu bewahren. Frankreich und Großbritannien traten in den Krieg ein, nur um treu zu ihrem gegebenen Wort zu stehen. Die Völker der besetzten Länder, gefoltert an Leib und Seele, verzichteten niemals auf ihre Freiheit und ihre kulturellen Werte. Es entstand das großartige Epos der im Verborgenen tätigen Widerstandsbewegung, die den wunderbaren Heldenmut beweist, mit dem die Bevölkerungen sich spontan weigerten, den Nazi-Mythos anzunehmen. Millionen von Männern der USSR sind gefallen, um mit dem Boden und der Unabhängigkeit des Vaterlandes ihren Universalismus der Menschlichkeit zu verteidigen. Die Millionen britischer und amerikanischer Soldaten, die auf unserem unglücklichen Kontinent landeten, trugen in ihrer Brust den idealen Wunsch, die besetzten Länder sowie die Völker, die freiwillig oder gezwungen zu Trabanten der Achse geworden waren, und das deutsche Volk selbst von der Nazi-Unterdrückung zu befreien.

Sie waren in der Tat, die einen wie die anderen und alle zusammen, ob mit oder ohne Uniform, die Soldaten der großen Hoffnung, die durch Jahrhunderte hindurch genährt wurde durch die Leiden der Völker, die große Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die menschlichen Lebensbedingungen.

Diese große Hoffnung, die manchmal stammelt oder sich im Wege irrt oder sich selbst betrügt oder entsetzliche Rückfälle in die Barbarei erfährt, bleibt jedoch bestehen und ist letzten Endes die Triebkraft, die trotz allem den Fortschritt der Menschheit herbeiführt. Diese immer wieder auflebenden Bestrebungen, diese stets wache, diese ohne Unterlaß gegenwärtige Furcht, dieser stete Kampf gegen das Böse, bilden ja die edle Größe des Menschen. Der Nationalsozialismus hat sie erst gestern in Gefahr gebracht.

Nach diesem gigantischen Ringen, in dem zwei Ideologien und zwei Lebensauffassungen einander gegenübergestanden haben, können wir im Namen der Völker, die wir hier vertreten, und im Namen der großen menschlichen Hoffnung, für die sie so schwer gelitten und gekämpft haben, ohne Furcht und mit reinem Gewissen als Ankläger gegen die Führer Nazi- Deutschlands aufstehen.

Wie beredt sagte Justice Jackson bei Eröffnung dieses Prozesses: »Die Zivilisation könnte es nicht überleben, wenn diese Verbrechen noch ein zweites Mal begangen würden!« Und er fügte hinzu: »Die wahre Anklägerin vor diesem Gericht ist die Zivilisation«.

Die Zivilisation verlangt von Ihnen nach dieser Entfesselung der Barbarei einen Richterspruch, der gleichzeitig eine letzte Warnung sein sollte in der Stunde, in der die Menschheit nur mit Bangen und Zögern den Weg zur Organisation des Friedens zu beschreiten scheint.

Wenn wir wollen, daß nach dem Kataklysmus des Krieges die Leiden der Märtyrervölker die Opfer der Siegervölker und auch die Sühne der schuldigen Völker eine bessere Menschheit hervorbringen, dann muß Gerechtigkeit die Verantwortlichen an dem Unternehmen der Barbarei treffen, aus dem wir uns soeben errettet haben.

Die Herrschaft der Gerechtigkeit ist der vollendete Ausdruck der großen menschlichen Hoffnung.

Ihr Urteil kann einen entscheidenden Abschnitt auf diesem schwierigen Wege bedeuten.

Ohne Zweifel ist auch heute noch diese Gerechtigkeit und diese Züchtigung nur möglich, weil vorher die freien Völker als Sieger aus dem Kampf hervorgegangen sind. Die Verbindung zwischen der Macht der Sieger und der Anklage der besiegten Führer vor Ihrem Hohen Gericht besteht tatsächlich.

Diese Verbindung bedeutet aber nichts anderes, als den Beweis für das Wissen der Nationen, daß die Gerechtigkeit, um tatsächlich und dauerhaft gegenüber Einzelpersonen und Nationen wirksam zu werden, die Macht zu ihrer Verfügung haben muß.

Der gemeinsame Wille, die Macht in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen, beseelt unsere Nationen und leitet unsere ganze Zivilisation.

Diese Entschlossenheit bestätigt sich heute mit Glanz in einem gerichtlichen Verfahren, in welchem die Tatsachen peinlich genau und unter allen Gesichtspunkten untersucht worden sind, in welchem die strafrechtliche Qualifikation streng festgestellt, die Zuständigkeit des Gerichts unbestreitbar ist, die Rechte der Verteidigung unangetastet und volle Öffentlichkeit garantiert sind.

Ihr Spruch, der unter diesen Umständen gefällt wird, wird als Grundlage für die moralische Wiederaufrichtung des deutschen Volkes dienen können, als erste Stufe zu seiner Aufnahme in die Gemeinschaft der freien Länder. Ohne Ihren Richterspruch würde die Geschichte Gefahr laufen, sich zu wiederholen; das Verbrechen könnte zum Heldengedicht, das nationalsozialistische Unternehmen zu einem letzten Wagnerschen Drama werden; und neue Anhänger des Pangermanismus würden bald wieder den Deutschen sagen: Hitler und seine Genossen haben unrecht gehabt, weil sie schließlich scheiterten, aber wir müssen eines Tages auf anderen Grundlagen das blendende Abenteuer des Germanismus wiederholen.

Nach Ihrem Urteil wird der Nationalsozialismus endgültig in die Geschichte dieses Volkes eingehen – wenn wir es nur zu unterrichten verstehen und über seine ersten Schritte auf dem Weg zur Freiheit wachen – als das Verbrechen der Verbrechen, das nur zu dem materiellen und moralischen Untergang führen konnte, als die Lehre, von der es sich immer mit Entsetzen und Verachtung abwenden muß, um den großen Normen der gemeinsamen Zivilisation treu zu bleiben oder vielmehr zu ihnen zurückzukehren.

Der hervorragende internationale Jurist und edle Europäer Politis, erinnert in seinem posthumen Buch: »Die internationale Moral« daran, daß alle Moralvorschriften, vor allem diejenigen, die dazu bestimmt sind, die internationalen Beziehungen zu regeln, nur dann außer Zweifel gestellt werden, wenn alle Völker zu der Überzeugung gelangen, daß man tatsächlich mehr Interesse daran hat, sie zu befolgen, als sie zu übertreten.

Daher kann Ihr Richterspruch dazu beitragen, das deutsche Volk und die Gesamtheit der Völker aufzuklären.

Ihr Richterspruch muß als entscheidender Schritt in die Geschichte des Völkerrechts eingehen, um die Gründung einer wirklichen Internationalen Gesellschaft vorzubereiten, die das Mittel des Krieges ausschließt und in einer bleibenden Form die Macht in den Dienst der Gerechtigkeit der Nationen stellt; er wird einer der Grundpfeiler jener Friedensordnung sein, der die Völker nach dem furchtbaren Sturm zustreben.

Das Gerechtigkeitsbedürfnis der Märtyrervölker wird befriedigt werden, denn ihre Leiden für den Fortschritt der menschlichen Würde werden nicht umsonst gewesen sein.

VORSITZENDER: Herr de Menthon, wollen Sie das Anklagevorbringen im Namen Frankreichs noch heute Nachmittag fortsetzen, oder würden Sie vorziehen, daß wir jetzt unterbrechen.

M. DE MENTHON: Wie der Gerichtshof es wünscht.

VORSITZENDER: Wenn dies so ist, schlage ich vor, bis 17.00 Uhr fortzusetzen.

M. DE MENTHON: Es wäre vielleicht vorzuziehen, zu unterbrechen, da die Ausführungen von Herrn Faure etwa eine Stunde dauern werden. Vielleicht wäre es besser, bis morgen früh zu vertagen. Jedoch wollen wir dem Gerichtshof die Entscheidung überlassen.

VORSITZENDER: Sie sagten, daß die Ausführungen, die jetzt folgen, ungefähr eine Stunde in Anspruch nehmen werden. Meinen Sie damit einleitende Ausführungen, oder bilden sie einen Teil des Falles, den Sie vortragen?

M. DE MENTHON: Es sind Teile des Falles, der von uns vorgetragen wird, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Wäre es nicht doch möglich, bis fünf Uhr fortzusetzen? Der Gerichtshof würde dies vorziehen.

M. DE MENTHON: Sehr gut.

M. EDGAR FAURE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Ich möchte dem Gerichtshof eine Einleitung zum ersten und zweiten Teil der französischen Anklage vortragen. Der erste Teil bezieht sich auf die Arbeitspflicht, der zweite Teil auf die Ausplünderung der Wirtschaft. Diese beiden Komplexe von Fragen ergänzen einander und hängen zusammen. Die Arbeit der Menschen einerseits und die materiellen Güter andererseits bilden die zwei Seiten des Reichtums eines Landes und seine Existenzgrundlagen. Maßnahmen hinsichtlich des einen beeinflussen notwendigerweise auch das andere, und es ist verständlich, daß die deutsche Politik in den besetzten Gebieten hinsichtlich der Arbeitskräfte und Wirtschaftsgüter von Anfang an durch gemeinsame leitende Grundsätze beeinflußt war.

Aus diesem Grunde ist die französische Anklagevertretung der Ansicht, daß es logisch ist, dem Gerichtshof nacheinander die beiden Aktenstücke vorzutragen, die den Buchstaben H und E von Anklagepunkt 3 entsprechen. Meine Aufgabe ist es nun, die zu Anfang ergangenen Maßnahmen zu schildern, die die Deutschen hinsichtlich des menschlichen und des materiellen Potentials in den besetzten Gebieten getroffen haben.

Als die Deutschen die Gebiete Dänemarks, Norwegens, Hollands, Belgiens und Luxemburgs und Teile des kontinentalen Frankreichs besetzten, haben sie damit die materielle Zwangsgewalt hinsichtlich der Einwohner erhalten und ebenso die materielle Macht, ihr Hab und Gut zu beschlagnahmen. Sie hatten also die tatsächliche Möglichkeit, dieses doppelte Potential für die Kriegsanstrengungen auszunützen.

Andererseits waren sie rechtlich an genaue Regeln des Völkerrechts über die Besetzung eines Gebiets durch militärische Streitkräfte eines kriegführenden Staates gebunden. Diese Regeln begrenzen sehr genau die Rechte der Besatzungsmacht, die nur Beschlagnahmen von Eigentum und Dienstleistungen für den Bedarf der Besatzungstruppen durchführen darf. Ich beziehe mich hier auf die Verordnung im Anhang zum Haager Abkommen, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907, Abschnitt III, und insbesondere auf Artikel 46, 47, 49, 52 und 53. Wenn der Gerichtshof einverstanden ist, zitiere ich nur den Absatz des Artikels. 52, der auf das genaueste die erlaubten Bedingungen für die Requisition von Personen und Gütern umschreibt:

»Naturalleistungen und Dienstleistungen können von Gemeinden oder Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besatzungsheeres gefordert werden. Sie müssen im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen und solcher Art sein, daß sie nicht für die Bevölkerung die Verpflichtung enthalten an Kriegsunternehmen gegen ihr Vaterland teilzunehmen.«

Die verschiedenen Artikel müssen übrigens von dem allgemeinen Gesichtspunkt aus betrachtet werden, der in der Präambel des Abkommens festgelegt ist. Ich erlaube mir, dem Gerichtshof den letzten Absatz zu verlesen:

»Solange bis ein vollständigeres Kriegsgesetzbuch festgestellt werden kann, halten es die Hohen vertragschließenden Teile für zweckmäßig, festzusetzen, daß in den Fällen, die in den Bestimmungen der von ihnen angenommenen Ordnungen nicht einbegriffen sind, die Bevölkerung der Kriegführenden unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens.«

Von diesem Standpunkt aus ist es klar, daß die vollkommene Ausnutzung der Hilfsquellen der besetzten Gebiete zugunsten der feindlichen Wirtschaft absolut gegen das Völkerrecht und die Forderungen des öffentlichen Gewissens verstößt.

Deutschland hat das Haager Abkommen unterzeichnet, und es ist zu beachten, daß es damals nur zu Artikel 44 Einschränkungen machte. Dieser Artikel behandelt die Lieferung von Auskünften an die Kriegführenden. Deutschland hat keine Einschränkungen zu den von mir zitierten Artikeln oder zu der Präambel ausgesprochen. Diese Artikel und diese Präambel wiederholen im übrigen die entsprechenden Textstellen des vorangehenden Haager Abkommens vom 28. Juli 1899. Die offiziellen deutschen Ratifikationen der Abkommen wurden am 4. September 1900 und am 27. November 1909 gegeben. Ich habe Wert darauf gelegt, diese bekannte Tatsache neuerlich in Erinnerung zu bringen, um zu unterstreichen, daß die Deutschen nicht in Unkenntnis über die feststehenden Grundsätze des Völkerrechts sein konnten, die sie zweimal unterschrieben hatten, lange vor ihrer Niederlage von 1918 und ohne den angeblichen Druck, auf den sie sich für den Vertrag von Versailles berufen.

Bei dieser theoretischen juristischen Frage ist es angebracht, zu erwähnen, daß in dem am 28. Juni 1919 in Versailles unterzeichneten Abkommen über die militärische Besetzung des Rheinlands, in Artikel 6 auf das Haager Abkommen Bezug genommen wurde, und zwar mit folgender Bestimmung:

»Das Requisitionsrecht in natura und in Dienstleistungen, wie es das Haager Abkommen von 1907 bestimmt, wird durch die alliierten und assoziierten Besetzungsstreitkräfte ausgeübt werden.«

So wurde die Regelung der Requisitionsrechte der Besatzungsmacht durch ein drittes internationales Instrument bestätigt, das Deutschland unterzeichnete. Da es sich um die Besetzung seines Gebiets handelte, hat Deutschland damals aus dieser Beschränkung Vorteil gezogen.

Wie werden sich die Deutschen verhalten angesichts dieser Tatsachenlage, die die Macht und die Versuchung in sich schließt, und dieser Rechtslage, die eine Begrenzung in sich trägt?

Der Gerichtshof weiß bereits aus den allgemeinen Ausführungen, daß die Handlungsweise der Deutschen darauf gerichtet war, aus den Tatsachen Vorteile zu ziehen und das Recht zu mißachten.

Die Deutschen haben systematisch die internationalen Regelungen und das Recht verletzt, und zwar auf jenen Gebieten, die uns hier interessieren, das heißt durch die Arbeitspflicht und durch die Plünderungen. Die detaillierte Darlegung dieser Handlungen in den westlichen Ländern wird Ihnen in den meinem Vortrag folgenden Ausführungen gegeben werden.

Ich für meinen Teil möchte mich nur einen Augenblick mit den Auffassungen beschäftigen, die die Deutschen von Anfang an vertraten. Zu diesem Zweck lege ich dem Gerichtshof drei einander ergänzende Behauptungen vor:

Erste Behauptung: Die Deutschen waren schon vor Beginn der Besetzung entschlossen, sich für ihre Kriegsanstrengungen aller Möglichkeiten in Sachwerten und an Menschenmaterial in den besetzten Ländern zu bemächtigen. Ihr Plan war, sich in keiner Weise an rechtliche Beschränkungen zu halten. Nicht durch den Stachel gelegentlicher Notwendigkeiten gereizt, haben sie in der Folge ihre unerlaubten Handlungen durchgeführt, nein, sie taten es auf Grund eines wohlüberlegten Vorsatzes.

Zweite Behauptung: Die Deutschen haben sich jedoch bemüht, ihre wirklichen Absichten zu verbergen. Sie haben nicht kundgemacht, daß sie die internationalen rechtlichen Regeln verwerten würden. Im Gegenteil, sie haben versichert, sie achten zu wollen.

Die Gründe für die Tarnung sind leicht zu verstehen. Die Deutschen waren genötigt, anfangs die öffentliche Meinung in den besetzten Ländern zu schonen. Brutales Vorgehen würde einen sofortigen Widerstand verursacht haben, der ihre Aktionen durchkreuzt hätte. Sie wollten auch die öffentliche Meinung der Welt täuschen und insbesondere die öffentliche Meinung Amerikas, da die Vereinigten Staaten von Amerika damals noch nicht in den Krieg eingetreten waren.

Dritte Behauptung: Die dritte Behauptung, die ich dem Gerichtshof vorlege, ergibt sich aus den beiden ersten. Aus der Tatsache, daß die Deutschen ihre Ziele erreichen und ihre Absichten verschleiern wollten, mußten sie ein System von Umwegen erfinden, das in gewissem Maße den Anschein der Legalität bewahrte. Die Kompliziertheit und die technische Natur der angewendeten Verfahren ermöglichte es ihnen, die Wahrheit mit Leichtigkeit vor jenen zu verstecken, die nicht gewarnt oder einfach nicht unterrichtet waren. Die getarnten Maßnahmen stellten sich tatsächlich als ebenso wirksam, vielleicht als noch wirksamer heraus, als es ein brutales Eingreifen gewesen wäre. Sie machten es den Deutschen überdies möglich, an dem Tag zu diesen brutalen Methoden zu greifen, wo sie der Meinung waren, daß sie in Zukunft in diesen Methoden mehr Vorteile als Nachteile finden würden.

Es scheint uns, daß diese Untersuchung der deutschen Absichten für den Gerichtshof von Interesse ist, denn einerseits läßt sie uns erkennen, daß dieses unerlaubte Vorgehen vorbedacht war, wie auch, daß die Täter sich des tadelnswerten Charakters ihrer Handlungen bewußt waren; andererseits läßt es uns leichter die Tragweite und das Ausmaß dieser Taten begreifen, trotz der Vorsichtsmaßnahmen, die man zur Verschleierung anwandte.

Die Beweise, die die Anklagebehörde vorlegen wird, beziehen sich hauptsächlich auf die zweite und dritte Behauptung, denn was die erste Behauptung anlangt, das heißt die Deliktsabsicht und die Vorbedachtheit, so werden diese durch den Widerspruch zwischen der Fassade und der Wirklichkeit bewiesen.

Ich sagte zu Anfang, daß die Deutschen zur Zeit der Besetzung vorgegeben haben, sie würden die Bestimmungen des Völkerrechts achten. Hier ist zum Beispiel eine Bekanntmachung an die französische Bevölkerung, die vom Oberkommandierenden der deutschen Streitkräfte unterzeichnet wurde: es ist ein öffentliches Dokument, abgedruckt im offiziellen Verordnungsblatt, das die vom Militärbefehlshaber für die besetzten französischen Gebiete herausgegebenen Verordnungen enthält, und zwar Nummer 1 dieses Blattes, mit Datum vom 4. Juli 1940.

Das Dokument erhält die Nummer RF-1 der französischen Dokumentensammlung, und ich zitiere nur einen Satz daraus:

»Die Truppen sind angewiesen, auf die Bevölkerung, soweit sie sich friedlich verhält, Rücksicht zu nehmen und ihr Eigentum zu schonen.«

Die Deutschen sind in allen besetzten Ländern in der gleichen Weise vorgegangen. So legen wir dem Gerichtshof den Text der gleichen Bekanntmachung, datiert vom 10. Mai 1940, vor, die in dem offiziellen Verordnungsblatt des Oberbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich veröffentlicht wurde, und zwar in Nummer 1, Seite 1, unter dem Titel: »Aufruf an die Bevölkerung von Belgien«. Der deutsche Text, wie auch der flämische Text, tragen den ausführlicheren Titel: »Aufruf an die Bevölkerung Hollands und Belgiens«.

Da diese Texte gleichlautend sind, trägt dieses Exemplar die Nummer 1 bis der französischen Dokumentensammlung.

Wir werden jetzt dem Gerichtshof eine andere Bekanntmachung vorlegen, die die Überschrift trägt »An die Einwohner der besetzten Länder«, datiert vom 10. Mai 1940, unterzeichnet vom »Oberbefehlshaber der Heeresgruppe« und ebenfalls im Verordnungsblatt veröffentlicht. Sie erhält die Nummer RF-2 der französischen Dokumentensammlung. Ich zitiere die ersten Absätze:

»Auf Grund der mir vom Oberbefehlshaber des Heeres erteilten Ermächtigung mache ich bekannt:

I. Die deutsche Wehrmacht gewährleistet den Einwohnern volle Sicherheit ihrer Person und ihres Eigentums. Wer sich ruhig und friedlich verhält, hat nichts zu befürchten.«

Ich zitiere auch Stellen aus den Absätzen V, VI und VII:

»V. Die Staats- und Kommunalbehörden, Polizei und Schulen haben weiterzuarbeiten. Sie dienen damit der eigenen Bevölkerung....

VI. Alle gewerblichen Betriebe, Handelsgeschäfte und Banken sind im Interesse der Bevölkerung offenzuhalten.

VII.... Produzenten und Händler mit Waren des täglichen Bedarfs haben ihre Tätigkeit fortzusetzen und ihre Waren dem Verbrauch zuzuführen.«

Die Absätze, die ich soeben zitiert habe, sind keine wörtliche Wiedergabe der internationalen Konventionen, aber sie geben ihren Sinn wieder. Die Wiederholung der Ausdrücke »dienen der Bevölkerung«, »im Interesse der Bevölkerung«, »dem Verbrauch zuzuführen« muß notwendigerweise als besonders starke Versicherung ausgelegt werden, daß die Reichtümer und die Arbeit des Landes dem Lande erhalten bleiben und nicht für die deutschen Kriegsanstrengungen beschlagnahmt werden sollten.

Wir wollen nun das Dokument betrachten, das die Nummer 2 bis trägt. Es enthält den Text der gleichen Bekanntmachung, unterzeichnet vom Oberbefehlshaber der Heeresgruppe, veröffentlicht im Verordnungsblatt des Oberbefehlshabers von Belgien, die vorzitierte Nummer, Seite 3.

Schließlich, am 22. Juni 1940, wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Vertretern der Deutschen Regierung und Vertretern der tatsächlichen Autorität, die damals die Regierungsgewalt in Frankreich innehatte, abgeschlossen. Dieses Abkommen ist ebenfalls ein offizielles Dokument. Es wird dem Gerichtshof später als erstes Dokument des wirtschaftlichen Teils der französischen Anklage vorgelegt werden. Jetzt möchte ich den ersten Satz aus Absatz 3 zitieren, der wie folgt lautet:

»In den besetzten Gebieten Frankreichs übt das Deutsche Reich alle Rechte einer Besatzungsmacht aus.«

Es handelt sich also um einen klaren Hinweis auf das Völkerrecht. Darüber hinaus geben die deutschen Bevollmächtigten in dieser Hinsicht zusätzliche mündliche Bekräftigungen ab. Hierzu lege ich dem Gerichtshof als Dokument RF-3 der französischen Dokumentensammlung einen Auszug aus der Aussage des Botschafters Léon Noël vor, einer Aussage, die er in einem Prozeß vor dem Obersten Gerichtshof in Frankreich gemacht hat. Der Auszug ist einem Schriftstück entnommen, das den Titel trägt: »Ausführlicher Bericht über die Verhandlungen im Prozeß gegen Marschall Pétain«, Paris 1945, in der Druckerei der Amtsblätter; es stellt daher ein Dokument dar, das gemäß Artikel 21 des Statuts Beweiskraft hat. Hier die Aussage von Léon Noël, die ich dem Gerichtshof verlesen möchte. Herr Léon Noël war Mitglied der französischen Waffenstillstandsdelegation.

VORSITZENDER: Werden Sie uns dieses Dokument vorlegen?

M. EDGAR FAURE: Dieses Dokument ist dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden. Wir haben dem Gerichtshof einen Verhandlungsbericht vorgelegt, und im Dokumentenbuch findet sich der Auszug, den ich jetzt zitiere:

VORSITZENDER: Wir haben es im Augenblick nicht zur Hand, und ich weiß nicht, wo sich das Dokument befindet.

M. EDGAR FAURE: Ich glaube, daß dieses Dokument vielleicht etwas zu spät dem Sekretariat des Gerichtshofs übergeben wurde; es liegt jedoch jetzt vor. Wenn der Gerichtshof damit einverstanden ist, will ich einen kurzen Auszug aus diesem Dokument heute verlesen.

VORSITZENDER: Jawohl. Wir werden es doch hoffentlich morgen haben?

M. EDGAR FAURE: Gewiß, Herr Vorsitzender. Ich zitiere:

»Ich habe auch eine gewisse Anzahl von Antworten erzielt, die meiner Ansicht nach in der Folgezeit hätten verwertet werden können, so Antworten von deutschen Generalen, wie General Jodl, demjenigen, der im letzten Mai in Reims die bedingungslose Kapitulation Deutschlands unterschrieben hat, und von General, später Feldmarschall Keitel, der einige Tage später in Berlin die Ratifizierung dieser Kapitulation unterschreiben mußte.

So habe ich sie dazu gebracht, in sehr kategorischer Form zu erklären, daß sie sich keinesfalls in die Verwaltung einmischen würden, daß die Rechte, die ihnen das Abkommen zugestand, ganz einfach diejenigen waren, die in solchen Fällen das Völkerrecht und die internationalen Gebräuche der Besatzungstruppen zuerkannten, das heißt, diejenigen, die unumgänglich notwendig für die Aufrechterhaltung der Sicherheit, die Transporte und die Lebensmittelversorgung der Truppen sind.«

Die Versicherungen und Versprechen der Deutschen waren also formell. Sie waren aber schon damals nicht ehrlich gemeint.

Nicht nur späterhin sollten die Deutschen sie übertreten, sondern von Anfang an organisierten sie Mittel, die ihnen die Möglichkeiten eröffneten, diese Übertretungen auf das wirksamste und gleichzeitig relativ versteckt durchzuführen.

Diese deutschen Maßnahmen hinsichtlich Wirtschaft und Arbeit gehen von einer sehr einfachen Idee aus. Sie besteht darin, daß man die Produktion nicht allein an ihrem Anfangspunkt und ihrem Endpunkt kontrolliert.

Einerseits schritten die Deutschen sofort an eine allgemeine Beschlagnahme aller Rohstoffe und aller Fertigwaren in den besetzten Ländern.

Von da ab hing es also von ihnen ab, der nationalen Industrie des Landes Rohstoffe zu liefern oder zu verweigern. Sie konnten daher den einen Sektor der Produktion zugunsten eines anderen ankurbeln, indem sie gewisse Unternehmungen begünstigten und andererseits andere Unternehmen indirekt zwangen, ihre Fabriken zu schließen. Gemäß den Ereignissen und den Gelegenheiten gelang es ihnen, sich die Rohstoffe anzueignen, hauptsächlich in der Absicht, sie in ihrem Interesse zu verteilen, immer bei Wahrung des Prinzips. Sie besaßen somit den Eingangsschlüssel zur Produktion.

Andererseits verfügten sie über den Ausgangsschlüssel, das heißt die Finanzierung. Sie versicherten sich zunächst der Geldmittel eines besetzten Landes, wodurch es ihnen möglich wurde, die Produkte, also die Ergebnisse der wirtschaftlichen Tätigkeit des Landes, zu kaufen oder sich anzueignen und dies unter Wahrung des Scheines der Legalität. In der Tat verschafften sich die Deutschen von Anfang an Geldmittel in solchem Ausmaß, daß es ihnen leicht möglich war, fast die gesamte Produktionskraft jedes Landes zu absorbieren.

Wenn es dem Gerichtshof angenehm ist, möchte ich hier meine Ausführungen unterbrechen.