[Pause von 10 Minuten.]
M. HERZOG: Soeben habe ich dem Gerichtshof den gesetzlichen Rahmen in Erinnerung gebracht, innerhalb dessen der Angeklagte Sauckel seine Funktionen ausübte. Dieser Rahmen wurde ausgebaut durch die eigenen Erlasse des Angeklagten. Ein erstes Dokument beweist, daß Sauckel bewußt die Verantwortung für die allgemeine Politik der Anwerbung von Fremdarbeitern übernommen hat. Es handelt sich hierbei um seine Anordnung vom 22. August 1942, erschienen im Reichsarbeitsblatt 1942, Teil I, Seite 382. Diese Anordnung stellt den Grundsatz der Zwangsrekrutierung auf und trifft die notwendigen Maßnahmen, um das gesamte menschliche Potential der besetzten Gebiete in den Dienst der deutschen Kriegswirtschaft zu stellen. Sauckel zwingt die Bewohner der überfallenen Staaten, am Kampf Deutschlands gegen ihr Vaterland teilzunehmen. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine Verletzung des internationalen Rechtes, sondern um ein Verbrechen gegen das Völkerrecht. Ich lege diese Anordnung dem Gerichtshof als RF-17 vor und verlese:
»Anordnung Nr. 10 des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz über den Einsatz von Arbeitskräften der besetzten Gebiete vom 22. August 1942.
Um die Arbeitskräfte der besetzten Gebiete bei der Neuordnung des Arbeitseinsatzes im europäischen Raum zu mobilisieren, müssen auch diese Kräfte einer straffen und einheitlichen Lenkung unterworfen werden. Sowohl die zweckmäßige und sinnvolle Verteilung dieser Kräfte zur Befriedigung des Kräftebedarfs des Reiches und der besetzten Gebiete, wie ihre höchstmögliche Arbeitsleistung muß sichergestellt werden. Auf Grund der mir erteilten Vollmachten ordne ich deshalb an:
1. Nach dem Erlaß des Führers über den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 21. März 1942 und der Anordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan zur Durchführung dieses Erlasses vom 27. März 1942 obliegen mir auch der zweckmäßige Einsatz der Arbeitskräfte der besetzten Gebiete sowie alle Maßnahmen zur Leistungssteigerung des Einsatzes dieser Kräfte. Die für die Aufgaben des Arbeitseinsatzes und der Lohnpolitik zuständigen Dienststellen oder meine Beauftragten führen diesen Einsatz und alle Maßnahmen zur Leistungssteigerung nach meinen Weisungen durch.
2. Diese Anordnung erstreckt sich auf alle während dieses Krieges von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiete, soweit sie unter deutscher Verwaltung stehen.
3. Die verfügbaren Arbeitskräfte der besetzten Gebiete sind in erster Linie zur Befriedigung des kriegswichtigen Bedarfs in Deutschland selbst einzusetzen.
In den besetzten Gebieten sind sie nach folgender Rangordnung einzusetzen:
a) für notwendige Aufgaben der Truppe, der Besatzungsdienststellen und der zivilen Dienststellen,
b) für deutsche Rüstungsaufgaben,
c) für Aufgaben der Ernährungs- und Landwirtschaft,
d) für gewerbliche im deutschen Interesse liegende Aufgaben außerhalb der Rüstungswirtschaft,«...
VORSITZENDER: Sie lesen etwas zu schnell.
M. HERZOG:
»e) für gewerbliche Aufgaben im Interesse der Bevölkerung des betreffenden Gebietes.«
Hiermit beende ich das Zitat.
Ein zweites Dokument zeigt die Bereitwilligkeit des Angeklagten Saukel, die Verantwortung für die Betreuung der Fremdarbeiter zu übernehmen. Es handelt sich hierbei um eine Vereinbarung vom 2. Juni 1943 mit dem Leiter der Arbeitsfront. Ich lese dem Gerichtshof dieses Dokument nicht vor, da es bereits von Herrn Dodd behandelt worden ist. Ich weise darauf hin, daß diese Vereinbarung im Reichsarbeitsblatt 1943, Teil I, Seite 588, veröffentlicht wurde, und lege sie im Rahmen meiner Beweisführung als RF-18 vor.
Auf Grund des von Hitler und dem Angeklagten Keitel und Göring erteilten Auftrags, unter Aufsicht des letzteren die Politik der Zwangsarbeitsrekrutierung zu verwirklichen, hat der Angeklagte Sauckel seine Aufgabe in vollem Bewußtsein der übernommenen Verantwortung durchgeführt. Ich bitte den Gerichtshof, diese Tatsache zu beachten.
Ich möchte gleichzeitig darauf aufmerksam machen, daß die Politik der Anwerbung von Fremdarbeitern in gleicher Weise unter die Verantwortung aller deutschen Minister fällt, denen die Wirtschaft und das soziale Leben im Reich unterstanden. Eine interministerielle oder mindestens zwischenbehördliche Organisation, die Zentrale Planung des Vierjahresplans, hatte die Ausarbeitung des Programms der Anwerbung von Fremdarbeitern übernommen.
Alle am Problem des Arbeitseinsatzes interessierten Dienststellen waren bei den Sitzungen der Zentralen Planung vertreten. General Milch hatte bei den Sitzungen im Namen des Angeklagten Göring den Vorsitz. Der Angeklagte Sauckel und der Angeklagte Speer waren persönlich anwesend, und ich lege dem Gerichtshof bestimmte Erklärungen vor, die sie dort abgegeben haben. Der Angeklagte Funk hat ebenfalls an diesen Sitzungen teilgenommen. Den Plan zur Verschleppung von Arbeitern hat er daher gekannt und gebilligt. Er hat sogar an seiner Ausführung mitgearbeitet. Als Beweismaterial unterbreite ich drei Dokumente, die den Angeklagten Funk belasten.
Das erste Dokument ist ein Brief vom 9. Februar 1944, in welchem Funk aufgefordert wird, einer Sitzung der Zentralen Planung beizuwohnen. Es ist Dokument F-674; ich unterbreite es dem Gerichtshof als Beweisstück RF-19 und verlese:
»Im Auftrag der Zentralen Planung lade ich zu einer Sitzung über die Arbeitseinsatzfrage am Mittwoch, den 16. Februar 1944, 10.00 Uhr im Staatssekretär-Sitzungssaal des Reichsluftfahrtministeriums, Berlin, Leipziger Straße, ein.
Als Anlage übermittle ich einige statistische Zusammenstellungen über die Entwicklung des Arbeitseinsatzes, die als Unterlage für die Sitzung dienen sollen.«
Es war Funk nicht möglich, persönlich an der Sitzung teilzunehmen, jedoch ließ er sich von Unterstaatssekretär Hayler vertreten. Er erhielt ein Protokoll der Sitzung vom 7. März 1944; er schrieb an General Milch, um seine häufige Abwesenheit bei den Sitzungen der Zentralen Planung zu entschuldigen. Ich unterbreite dem Gerichtshof diese Dokumente. Es handelt sich um Dokument F-675, unsere Nummer RF-20; es ist ein Protokoll der 53. Sitzung der Zentralen Planung. Der Gerichtshof kann sich auf Seite 2 der französischen Übersetzung davon überzeugen, daß Minister Funk ein Protokoll dieser Sitzung erhalten hat. Sie finden es auf der zweiten Zeile des Verteilers: Reichsminister Speer, auf der zweiten Zeile Reichsminister Funk.
Ich lege nunmehr als RF-21 ein Schreiben vor, in dem sich Funk beim Feldmarschall Milch entschuldigte, daß er an den Sitzungen nicht habe teilnehmen können.
»Sehr verehrter lieber Herr Feldmarschall!
Es ist geradezu wie verhext, daß die Sitzungen der Zentralen Planung in der letzten Zeit stets auf einen Termin gelegt werden, an dem ich schon durch anderweitige wichtige Veranstaltungen festgelegt bin. So kann ich zu meinem Bedauern auch am Sonnabend nicht an der Sitzung der Zentralen Planung teilnehmen, da ich an diesem Tage in Wien auf einer großen Kundgebung zur Wiederkehr des Tages des Anschlusses sprechen muß. Auch Staatssekretär Dr. Hayler ist am Freitag und Sonnabend in Wien, wo gleichzeitig eine wichtige südosteuropäische Tagung mit Besprechungen mit ausländischen Delegierten stattfindet, auf der ich ebenfalls sprechen muß. Unter diesen Umständen bitte ich Sie als meinen Vertreter in der Sitzung der Zentralen Planung Herrn Ministerialdirektor und Generalmajor der Polizei, SS-Brigadeführer Ohlendorf, den ständigen Vertreter von Staatssekretär...«
VORSITZENDER: Enthält dieses Dokument nur die Angabe, daß der Angeklagte Funk nicht in der Lage war, an der Sitzung teilzunehmen?
M. HERZOG: Dieses Dokument, Herr Vorsitzender, wurde mir von meinen amerikanischen Kollegen überreicht mit der Bitte, mich seiner in der Frage der Arbeitsverpflichtung zu bedienen, da es ihnen wegen Zeitmangels nicht möglich war, bei der Anklage gegen Funk davon Gebrauch zu machen. Wir unterbreiten es dem Gerichtshof zum Beweis dafür, daß Funk die Sitzungen der Zentralen Planung verfolgte, und daß er dort ständige Vertreter hatte. Er ließ sich bei sämtlichen Sitzungen vertreten und wurde durch die Protokolle, die er über die Arbeit der Zentralen Planung erhielt, auf dem laufenden gehalten. Aus diesem Grunde legen wir dem Gerichtshof dieses, den Angeklagten Funk betreffende Dokument, vor. Ich fahre mit der Verlesung fort:
»Unter diesen Umständen bitte ich Sie als meinen Vertreter in der Sitzung der Zentralen Planung Herrn Ministerialdirektor und Generalmajor der Polizei, SS-Brigadeführer Ohlendorf, den ständigen Vertreter von Staatssekretär Dr. Hayler, teilnehmen zu lassen. Herr Ohlendorf wird für die Fragen der Konsumgüterwirtschaft Herrn Ministerialdirigenten Dr. Kölfen und für die Fragen des Außenhandels Ministerialrat Dr. Janke als Sachbearbeiter mitbringen.«
Die Politik der Zentralen Planung, die vom Angeklagten Sauckel verfolgt wurde, lief auf eine Massenverschleppung von Arbeitern hinaus. Das Prinzip dieser Verschleppung ist an sich schon verbrecherisch, aber die Art der Ausführung war noch weit verbrecherischer. Ich werde dies dem Gerichtshof beweisen, indem ich nacheinander die Methoden der zwangsweisen Aushebung, ihre Ergebnisse und die Umstände der Verschleppungen darlege.
Ich möchte zunächst den Mitgliedern der Französischen Delegation und der Alliierten Delegationen meinen Dank aussprechen für die Hilfe, die sie mir bei der Vorbereitung meiner Arbeit haben zuteil werden lassen und insbesondere meinem Kollegen, Herrn Pierre Portal, Advokat am Gericht von Lyon.
Die Ausführungen, die ich die Ehre habe, dem Gerichtshof zu machen, werden sich auf die zwangsweise Aushebung von Fremdarbeitern in den besetzten Gebieten Westeuropas beschränken, da die Deportierung der aus den osteuropäischen Staaten stammenden Arbeiter in den Ausführungen meiner Sowjetkollegen behandelt wird.
Während der Gesamtdauer der Besatzungszeit haben örtliche Feldkommandanten von der Bevölkerung der besetzten Gebiete Arbeitskräfte angefordert. Die Befestigungsarbeiten, die beim Fortschreiten der militärischen Operationen als erforderlich angesehen wurden, sowie der Wachdienst, der der Notwendigkeit der Sicherung der Besatzungsarmee entsprang, wurden durch die Einwohner der besetzten Gebiete ausgeführt. Die Anforderung von Arbeitskräften traf nicht nur Einzelpersonen, sondern auch ganze Bevölkerungsgruppen.
In Frankreich zum Beispiel erstreckte sie sich nacheinander auf die Verbände indochinesischer, nordafrikanischer sowie ausländischer Arbeiter und auf die Jugendbetriebe. Als Beweisstück lege ich einen Auszug des Berichts über Zwangsarbeit und Arbeiterverschickungen vor, der vom Statistischen Amt der Französischen Regierung verfaßt worden ist. Dieser Bericht trägt die Nummer F-515. Ich lege ihn dem Gerichtshof als RF-22 vor. Es handelt sich um eine Urkunde, die wegen ihrer Bedeutung vom Dokumentenbuch abgetrennt wurde. Ich zitiere zunächst Seite 17 des französischen Textes, gleichfalls Seite 17 der deutschen Übersetzung, zweitletzter Absatz.
VORSITZENDER: Welches Dokument?
M. HERZOG: Es ist Dokument RF-22, Seite 17, Herr Vorsitzender.
»6) Der Einsatz zur Zwangsarbeit von zusammengestellten Gruppen.
Endlich war die letzte von den Deutschen mehrmals während der Dauer der Besetzung, sowohl für die direkte als auch für die indirekte Zwangsarbeit angewandte Methode die ›Requisition‹ zusammengestellter Gruppen, die schon eingeübt und diszipliniert waren und folglich ausgezeichnete Ergebnisse erzielten.
a) Die indochinesischen Arbeitskräfte (M. O. I.): Diese Formation kolonialer Arbeiter war bei Beginn der Feindseligkeiten dazu bestimmt, die Bedürfnisse der französischen Industrie an ungelernten Arbeitskräften zu befriedigen. Mit einem Stamm französischer Offiziere und Unteroffiziere, die nach dem Monat Juli 1940 Zivilbeamte geworden waren, waren die indochinesischen Arbeitskräfte seit 1943 sowohl direkt als auch in direkt, zeitweise bis zu 14400 Arbeitern zur Zwangsarbeit herangezogen.«
Ich gehe nun unter Überspringung der Tabelle auf Seite 18 über:
»b) Die nordafrikanischen Arbeitskräfte (1) (M. O. N. A.): Zwischen dem 17. August und dem 6. November 1942 erhielt das französische Mutterland zwei aus Nordafrika kommende Arbeiterkontingente; das eine bestand aus 5560 Algeriern, das andere aus 1825 Marokkanern. Diese Arbeiter wurden sofort zur direkten Zwangsarbeit eingesetzt, was die Zahl der der Organisation Todt unterstellten Nordafrikaner auf 17582 erhöhte.
c) Die ausländischen Arbeitskräfte (2) (M. O. E.): Das Gesetz vom 11. Juli 1938 über die Organisation der Nation in Kriegszeiten enthielt Bestimmungen über die in Frankreich lebenden Ausländer und zwang diese zur Erfüllung von Dienstleistungen. Unter französischen Offizieren und Unteroffizieren, die durch das Gesetz vom 9. Oktober 1940 Zivilbeamte geworden waren, wurden die ausländischen Arbeitskräfte von den Deutschen nach und nach zur direkten Zwangsarbeit herangezogen.«
Ich überspringe die Tabelle und verlese weiter:
»d) Die Jugendbetriebe (3): Am 29. Januar 1943 gibt der Arbeitseinsatzstab der deutschen Waffenstillstandskommission in Paris (C.A.A.) bekannt, der Oberbefehlshaber ›West‹ prüft, ob und in welcher Form ein Appell an die französischen Arbeitsverbände zwecks Erfüllung von im Interesse beider Länder gelegenen Aufgaben ge macht werden kann. Ein teilweiser Druck folgt darauf und die Anforderung der Jugend aus den Lagern für die direkte Zwangsarbeit sind das Resultat.«
Ich unterbreche mein Zitat hier. Ähnliche Anforderungen wurden in allen besetzten Gebieten Westeuropas gestellt. Diese Anforderungen waren ungesetzlich. Sie wurden durchgeführt unter Berufung auf Artikel 52 des Anhangs zum Vierten Haager Abkommen, verletzten jedoch in Wirklichkeit systematisch den Buchstaben und den Geist dieser Bestimmungen des Völkerrechts.
Was besagt tatsächlich der Artikel 52 des Anhangs zum Vierten Haager Abkommen? Er lautet wie folgt:
»Natural- und Dienstleistungen können von Gemeinden oder Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besatzungsheeres gefordert werden. Sie müssen im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen und solcher Art sein, daß sie nicht für die Bevölkerung die Verpflichtung enthalten, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen.
Derartige Natural- und Dienstleistungen können nur mit Ermächtigung des Befehlshabers der besetzten Örtlichkeit gefordert werden.«
Die Umstände, unter denen Artikel 52 die Anforderung von Dienstleistungen durch eine Besatzungsarmee zuläßt, sind ausdrücklich festgelegt. Sie sind vierfacher Art:
Erstens: Dienstleistungen können nur für die Bedürfnisse des Besatzungsheeres gefordert werden. Alle über dieses Maß für die allgemeinen wirtschaftlichen Bedürfnisse der Besatzungsmacht hinausgehenden Anforderungen sind verboten.
Zweitens: Die geforderten Dienstleistungen dürfen nicht solcher Art sein, daß sie für die Bevölkerung die Verpflichtung enthalten, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen. Dienstleistungen im Interesse der Kriegswirtschaft der Besatzungsmacht, Wachdienst oder militärischer Kontrolldienst sind verboten.
Drittens: Die in einem bestimmten Gebiete geleisteten Dienste müssen im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Gebietes stehen und dürfen seine wirtschaftliche Entwicklung nicht unmöglich machen. Daraus folgt, daß jede Anforderung von Dienstleistungen dem Völkerrecht widerspricht, durch die die normale Entwicklung des wirtschaftlichen Wohlstandes des besetzten Landes verlangsamt oder verhindert wird.
Viertens: Schließlich dürfen nach dem Absatz des Artikels 52 Dienstleistungen nur mit Ermächtigung des Befehlshabers der besetzten Örtlichkeiten gefordert werden. Die Verschiebungen von Zwangsarbeitern von einem Teil des besetzten Gebietes in einen anderen und noch viel mehr ihre Verschickung in das Land der Besatzungsmacht ist verboten.
Die von deutschen Militär- und Zivilbehörden in den besetzten Gebieten geforderte Gestellung von Arbeitskräften entsprach nicht dem Geist des Artikels 52. Ihre Erfüllung diente der Befriedigung der Bedürfnisse der deutschen Kriegswirtschaft und sogar der Strategie der feindlichen Truppen. Diese Anforderungen nahmen absichtlich keine Rücksicht auf die aus den örtlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten entspringenden Notwendigkeiten; sie führten schließlich zu richtigen Wanderungen innerhalb der Arbeiterschaft. Das Beispiel der aus allen westeuropäischen Ländern in Anspruch genommenen Arbeiter, die im Rahmen der Organisation Todt an der Errichtung des unter dem Namen Atlantik-Wall bekannt gewordenen Befestigungssystems arbeiten sollten, kann in dieser Hinsicht als charakteristisch gelten.
Die Verletzung der internationalen Abkommen ist offensichtlich. Sie veranlaßte wiederholte Proteste des General Doyen, der Delegierter der französischen Behörde bei der Deutschen Waffenstillstandskommission war. Ich bitte den Gerichtshof, als Beweis das Schreiben General Doyens vom 25. Mai 1941 anzunehmen. Dieser Brief ist Dokument F-283 und wird dem Gerichtshof als Beweisstück RF-23 vorgelegt. Ich verlese:
»Wiesbaden, 25. Mai 1941.
Korps-General Doyen, Vorsitzender der Französischen Delegation bei der Deutschen Waffenstillstands kommission an General der Artillerie Vogl, Vorsitzender der Deutschen Waffenstillstandskommission.
Herr General!
Wiederholt und namentlich in meinen Briefen Nr. 14263/AE und 14887/AE vom 26. Februar und 8. März beehrte ich mich, gegen die Art und Weise der Heranziehung französischer Arbeitskräfte, die im Rahmen der Organisation Todt bei Durchführung von militärischen Bauarbeiten an der Bretagne-Küste eingesetzt werden sollten, Protest zu erheben.
Heute bin ich beauftragt, Ihre Aufmerksamkeit auf weitere Fälle zu lenken, in denen die Besatzungsbehörden den Einsatz von französischen Zivilisten angeordnet haben, um Dienstleistungen rein militärischer Art sicherzustellen; diese Fälle sind noch schwerwiegender als diejenigen, die ich Ihnen zuletzt gemeldet habe.
Während man bei, den von der Organisation Todt angestellten Arbeitern einwenden kann, daß einige von ihnen freiwillig eine Stellung gegen Entlohnung angenommen haben – obgleich es ihnen in der Praxis meistens nicht möglich war, die Arbeit abzulehnen –, so wird dieser Einwand hinfällig, wenn den Präfekten die Aufstellung von Wachposten an wichtigen Stellen, wie Brücken, Tunnels, Kunstbauten, Telephonleitungen, Munitionslagern und in der Umgebung von Flugplätzen aufgegeben wird, und zwar zu Lasten der Departements und der Gemeinden.
Die beigefügte Note enthält einige Beispiele solcher Wachdienste, die auf diese Weise Franzosen auferlegt wurden, Dienste, die früher die deutsche Armee versah, und ihr auch normalerweise obliegen, da es sich darum handelt, Posten zu stellen und das deutsche Heer vor Gefahren zu schützen, die sich aus dem zwischen Deutschland und Großbritannien bestehenden Kriegszustand ergeben.«
Ich unterbreche hier mein Zitat.
Angesichts des angetroffenen Widerstandes versuchten die Besatzungsbehörden, die Befolgung ihrer Dienstleistungsbefehle zu erzwingen, und die dabei ergriffenen Maßnahmen waren ebenso rechtswidrig wie die Dienstleistungsbefehle selbst. Im besetzten Frankreich gingen die nationalsozialistischen Behörden im Wege der Gesetzgebung vor. Sie erließen Verordnungen, denen zufolge die Todesstrafe gegen Personen verhängt werden konnte, die sich den Dienstleistungsbefehlen entzogen.
Ich lege dem Gerichtshof zwei solche Verordnungen vor. Die erste wurde während der ersten Monate der Besetzung, am 10. Oktober 1940, erlassen und wurde im Verordnungsblatt für die besetzten französischen Gebiete vom 17. Oktober 1940, Seite 108, veröffentlicht. Ich unterbreite sie dem Gerichtshof als RF-24 und zitiere:
»Verordnung zum Schutz gegen Sabotageakte vom 10. Oktober 1940.
Auf Grund der mir vom Führer und Obersten Befehlshaber erteilten Ermächtigung verordne ich, was folgt:
Paragraph 1: Wer vorsätzlich Bewachungsaufgaben, die ihm vom Chef der Militärverwaltung in Frankreich oder einer von diesem hierzu ermächtigten Stelle übertragen sind, nicht oder ungenügend erfüllt, wird mit dem Tode bestraft.«
Ich überspringe Paragraph 2 und zitiere Paragraph 3:
»In minder schweren Fällen von Übertretungen der Paragraphen 1 und 2 dieser Verordnung und bei Fahrlässigkeit kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden.«
Die zweite Verordnung des Militärbefehlshabers in Frankreich, auf die ich mich beziehe, stammt vom 31. Januar 1942. Sie erscheint im Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Frankreich vom 3. Februar 1942, Seite 338. Ich lege sie dem Gerichtshof als unsere Nummer RF-25 vor. Sie lautet wie folgt:
»Verordnung über Dienst- und Sachleistungen vom 31. Januar 1942.
Auf Grund der mir vom Führer und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht erteilten Ermächtigung verordne ich folgendes:
Paragraph (1). Wer Dienst- oder Sachleistungen, die ihm vom Militärbefehlshaber in Frankreich oder einer von diesem hierzu ermächtigten Stelle auferlegt sind, nicht oder in einer Weise erfüllt, die den Zweck der Leistung vereiteln oder gefährden kann, wird mit Zuchthaus, Gefängnis oder Geldstrafe bestraft. Geldstrafe kann auch neben Zuchthaus oder Gefängnis verhängt werden.
(2) In schweren Fällen kann auch Todesstrafe verhängt werden«
Diese Verordnungen riefen Proteste seitens der französischen Behörden hervor. General Doyen hat mehrere Male gegen die ersterwähnte Verordnung protestiert, ohne jedoch seine Ansicht durchsetzen zu können. Ich beziehe mich wieder auf sein Schreiben vom 25. Mai 1941, das ich dem Gerichtshof als RF-23 überreicht habe, und lese von Seite 3 der französischen Photokopie, Seite 4 der deutschen Übersetzung:
»Ich bin beauftragt, bei Ihnen scharfen Protest gegen ein derartiges Verfahren zu erheben und Sie um Ihr Einschreiten zu bitten, damit solche Vorkommnisse sofort unterbunden werden.
Seit dem 16. November und mit Schreiben Nummer 7,843/A E habe ich bereits gegen die vom Militärbefehlshaber in Frankreich am 10. Oktober 1940 erlassene Verordnung protestiert, welche die Todesstrafe für jede Person vorsieht, die die von den Besatzungsbehörden anvertrauten Bewachungsaufgaben ungenügend oder gar nicht erfüllt. Ich habe damals schon erwähnt, daß diese Anforderung ebenso wie ihre Strafandrohung dem Sinne des Waffenstillstandsvertrags zuwiderlaufen, der den Zweck hatte, die französische Bevölkerung von jeglicher Teilnahme an den Feindseligkeiten auszuschalten.
Ich hatte mich auf diesen grundsätzlichen Protest be schränkt, weil mir damals kein tatsächlicher Fall gemeldet war, in dem solche Bewachungspflichten auferlegt worden waren. Die in Ihrem Brief Nummer 1361 vom 6. März vorgebrachten Argumente konnte ich jedoch nicht als eine genügende Rechtfertigung für die betreffende Verordnung gelten lassen. Sie gaben an, daß Artikel 43 des Haager Abkommens der Besatzungsmacht das Recht gibt, Gesetze zu erlassen. Aber dieses Recht, auf das Sie sich beziehen, unterliegt in demselben Artikel zwei Beschränkungen: Gesetze dürfen nur erlassen werden, um weitmöglichst öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben aufrechtzuerhalten und sicherzustellen. Ferner müssen die erlassenen Verordnungen...«
VORSITZENDER: Genügt es nicht zu beweisen, daß General Doyen einen Protest eingereicht hat? Es ist nicht nötig, alle Argumente der beiden Teile vorzulesen.
M. HERZOG: Ich beendige damit also mein Zitat, Herr Vorsitzender.
Die deutschen Verordnungen, die ich dem Gerichtshof verlesen habe, enthielten also förmliche Verstöße gegen die allgemeinen Grundsätze der internationalen Strafgesetzgebung. Sie befanden sich im Widerspruch zu Artikel 52 des Anhangs zum Vierten Haager Abkommen und ebenfalls im Widerspruch zu Artikel 43, auf den sie sich angeblich stützten. Sie waren daher ungesetzlich und verbrecherisch, da sie Todesstrafen vorsahen, die sich durch keine Bestimmung des Völker- oder Landesrechts rechtfertigen ließen.
Die Inanspruchnahme von Dienstleistungen ist das erste Beispiel des verbrecherischen Charakters der Methoden, die die Angeklagten in Ausführung ihres Planes zur Erfassung ausländischer Arbeitskräfte anwandten.
Die nationalsozialistischen Behörden schritten danach zu einem weiteren Verfahren, um der Anwerbung von Fremdarbeitern den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben. Sie appellierten an die sogenannten freiwilligen Arbeiter. Von 1940 an eröffneten die Besatzungsbehörden in allen größeren Städten der besetzten Gebiete Arbeitsämter. Diese Stellen unterstanden der Kontrolle eines Sonderdienstes, der zu diesem Zweck den Stäben der Oberbefehlshaber der Besatzungszonen zugeteilt worden war.
Es ist dem Gerichtshof bekannt, daß von 1940 bis 1942 diese Dienststellen der Kontrolle der Befehlshaber unterstanden. Von 1942 an, oder genauer gesagt, vom Tage der Ernennung des Angeklagten Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz an, erhielten sie ihre Befehle direkt von dem letzteren. Der General von Falkenhausen, Wehrmachtsbefehlshaber von Belgien und Nordfrankreich, erklärte in einer Niederschrift, die ich vor kurzem dem Gerichtshof verlesen habe, daß er vom Sommer 1942 an lediglich der Mittelsmann war, der die Instruktionen Sauckels bezüglich des Arbeitseinsatzes weiterzuleiten hatte.
Die Politik der deutschen, in den besetzten Gebieten errichteten Arbeitsämter fiel daher von 1942 an unter die volle Verantwortung des Angeklagten Sauckel und unter die Verantwortung seines direkten Vorgesetzten, des Beauftragten für den Vierjahresplan, des Angeklagten Göring. Ich bitte den Gerichtshof, dies im Gedächtnis zu behalten.
Es war Aufgabe der Arbeitsämter, die Erfassung von Arbeitern für die von der Organisation Todt, der Wehrmacht, der Kriegsmarine, der Luftwaffe und anderen deutschen Organisationen in Europa errichteten Fabriken und Betriebe durchzuführen. Es war weiterhin ihre Aufgabe, die deutschen Rüstungswerke mit den benötigten ausländischen Arbeitskräften zu versorgen. Die auf diese Weise angeworbenen Arbeiter unterzeichneten einen Arbeitskontrakt; sie hatten also im Prinzip den Status freier Arbeiter und waren scheinbar Freiwillige.
Die Besatzungsbehörden haben immer den freiwilligen Charakter der Anwerbung durch die Arbeitsämter betont, aber ihre Propaganda verschwieg systematisch die wirklichen Verhältnisse unter denen sie stattfand. Tatsächlich war der freiwillige Charakter dieser Anwerbungen fiktiv. Die Arbeiter in den besetzten Gebieten, die sich bereit erklärten, solche Arbeitskontrakte zu unterzeichnen, standen unter materiellem und moralischem Druck.
Dieser Druck war in verschiedene Formen gekleidet, manchmal auf ganze Gruppen, manchmal auf den einzelnen zugeschnitten. Aber in jeder Form war er so stark, daß er die Arbeiter, die ihm zum Opfer fielen, der freiwilligen Zustimmung beraubte.
Die Ungültigkeit von Verträgen, die unter Gewaltandrohung abgeschlossen wurden, ist ein allen zivilisierten Nationen gemeinsames Grundprinzip des allgemeinen Rechtes. Man findet dieses Grundprinzip im deutschen Recht ebenso formell ausgedrückt wie in der Gesetzgebung der im Gerichtshof vertretenen Mächte, oder der von Deutschland besetzten Staaten. Die deutschen Arbeitsämter zwangen den Fremdarbeitern Arbeitskontrakte auf, die jeder rechtlichen Grundlage entbehrten, weil sie mit dem Makel der Gewaltandrohung behaftet waren. Ich behaupte dies und werde versuchen, dem Gerichtshof den Beweis hierfür zu erbringen.
Ich überreiche zunächst den Beweis für die Vorausplanung der Deutschen. Der Druck, dem die Fremdarbeiter unterzogen wurden, entsprang nicht der vereinzelten Initiative untergeordneter Behörden, sondern war wohlerwogener Wille, dem die Führer des nationalsozialistischen Deutschlands in genauen Anweisungen Gestalt verliehen.
Ich lege dem Gerichtshof Dokument 1183-PS als RF-26 vor. Es handelt sich um ein Rundschreiben vom 29. Januar 1942 über die Anwerbung von Fremdarbeitern. Dieses Rundschreiben ging von der Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz des Beauftragten für den Vierjahresplan aus. Es trägt die Unterschrift des Abteilungschefs Dr. Mansfeld; jedoch trägt der Angeklagte Göring dafür als Beauftragter für den Vierjahresplan die volle Verantwortung. Ich verlese das Rundschreiben:
»Berlin SW 11, den 29. Januar 1942. Saarlandstraße 96.
Betrifft: Verstärkung des Einsatzes von Arbeitskräften aus den besetzten Gebieten im Deutschen Reich und Vorbereitung eines zwangsweisen Einsatzes.
Der durch die starken Einberufungen zur Wehrmacht verschärfte Mangel an Arbeitskräften einerseits und die gesteigerten umfangreichen Rüstungsaufgaben im Reich andererseits machen es erforderlich, daß zur Ausfüllung der entstehenden Lücken Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten in einem weitaus größeren Umfang zur Dienstleistung in Deutschland herangezogen werden, als es bisher geschehen ist. In den besetzten Gebieten müssen daher alle Maßnahmen getroffen werden, die es ermöglichen, die Arbeitskräfte, die dort arbeitslos sind oder für den Einsatz in Deutschland unter strengster Auskämmung irgendwie freigestellt werden können.... einer Beschäftigung im Deutschen Reich zuzuführen.«
Sodann lese ich weiter von Seite 2 des deutschen Textes:
»Dieser Einsatz soll zunächst wie bisher auf freiwilliger Grundlage erfolgen. Aus diesem Grunde muß die Werbung für einen Einsatz im Deutschen Reich ganz erheblich verstärkt werden. Wenn aber ein befriedigendes Ergebnis erzielt werden soll, müssen die reichsdeutschen Stellen, die in den besetzten Gebieten die Hoheitsgewalt ausüben, mit allem Nachdruck die Maßnahmen anordnen können, die zur Unterstützung der freiwilligen Werbung von Arbeitskräften für den Einsatz in Deutschland erforderlich sind. Darnach müssen, soweit notwendig, die in den besetzten Gebieten geltenden Vorschriften über den Arbeitsplatzwechsel und über den Unterstützungsentzug bei Arbeitsverweigerung verschärft werden. Durch Ergänzung der Arbeitsplatzwechselvorschriften muß vor allem sichergestellt werden, daß freiwerdende ältere gegen jüngere ausgleichsfähige Kräfte ausgetauscht und diese dann für das Reich bereitgestellt werden. Durch weitgehende Senkung der Unterstützung, auch in der öffentlichen Fürsorge, muß erreicht werden, daß die Arbeitskräfte zur Arbeitsaufnahme im Reich geneigt werden. Die den Arbeitslosen gewährte Unterstützung muß so niedrig bemessen werden, daß bei ihrer Zahlung im Hinblick auf die im Reich im Durchschnitt gebotenen Löhne und Überweisungsmöglichkeiten der stärkste Anreiz für eine Arbeitsaufnahme im Reich besteht. Bei ungerechtfertigter Verwei gerung der Arbeitsaufnahme im Reich müssen die Unterstützungsleistungen auf das zur Fristung des Lebens Unerläßliche herabgesetzt oder ganz gestrichen werden. In diesem Zusammenhang kann auch an einen teilweisen Entzug von Lebensmittelkarten und an die Einweisung in besonders schwere Pflichtarbeit gedacht werden.«
Ich beendige hier die Zitierung und mache den Gerichtshof darauf aufmerksam, daß dieses Rundschreiben an alle für den Arbeitseinsatz verantwortlichen Stellen in den besetzten Gebieten gerichtet war. Die Verteilung in Westeuropa erfolgte an die folgenden Stellen:
»Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete, Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, Militärverwaltungschef für Belgien und Nordfrankreich, Chef der Militärverwaltung in Frankreich, Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg, Chef der Zivilverwaltung in Metz, Chef der Zivilverwaltung in Straßburg.«
Es ist damit bewiesen, daß ein allgemeiner, abgestimmter Plan bestand, der sich darauf erstreckte, Arbeiter der besetzten Gebiete zu zwingen, für Deutschland zu arbeiten.
Schließlich möchte ich noch zeigen, wie dieser Plan in den verschiedenen Besatzungsgebieten ins Werk gesetzt wurde. Die Art und Weise, wie die nationalsozialistischen Behörden die ausländischen Arbeiter unter Druck setzten, läßt sich im einzelnen folgendermaßen beschreiben:
Die deutschen Dienststellen des Arbeitseinsatzes organisierten eine intensive Propaganda für die Anwerbung von Fremdarbeitern. Diese Propaganda sollte die Arbeiter der besetzten Gebiete hinsichtlich der ihnen von den deutschen Arbeitsämtern gebotenen materiellen Vorteile irreführen: sie wurde über Presse, Rundfunk und alle anderen möglichen Reklamemittel betrieben.
Diese Propaganda wurde ferner auch außerhalb des Rahmens der amtlichen Dienststellen durch geheime Organisationen betrieben, die die Aufgabe hatten, Fremdarbeiter wegzulocken und mit ihnen ausgesprochenen Werbeschacher zu treiben.
Da diese Maßnahmen sich als unzureichend erwiesen, mischten sich die Besatzungsbehörden in das soziale Leben der besetzten Länder ein; sie bemühten sich, eine künstliche Arbeitslosigkeit hervorzurufen und versuchten gleichzeitig, die materiellen Lebensbedingungen der Arbeiter und Arbeitslosen zu verschlechtern.
Trotz der Arbeitslosigkeit und trotz des Elends, das sie bedrohte, blieben die Fremdarbeiter von der germanischen Propaganda unberührt. Aus diesem Grunde griffen die deutschen Behörden endlich zur Anwendung unmittelbaren Zwangs. Sie setzten die politischen Behörden der besetzten Länder unter Druck, um von diesen in ihrem Werbefeldzug Unterstützung zu erlangen. Sie verpflichteten die Arbeitgeber, in Frankreich im besonderen die Organisationskomitees, ihre Arbeiter aufzufordern, Arbeitskontrakte der deutschen Arbeitsämter anzunehmen. Schließlich übten die deutschen Behörden Zwang auf die Arbeiter aus und gingen unmerklich von der sogenannten freiwilligen Werbung zur Zwangseinziehung über.
Die Vorstellung von der Freiwilligkeit ging angesichts der Einzelarreste und der Massenrazzien, denen die Arbeiter der besetzten Länder schnell zum Opfer fielen, völlig unter.
Die Urkunden, die die von mir vorgebrachten Tatsachen beweisen können, sind unzählig; ich werde dem Gerichtshof lediglich die wichtigsten davon übergeben:
Die Urkunden, die Beweismaterial über den von den deutschen Verwaltungsbehörden in Frankreich geführten Propagandafeldzug enthalten, werden dem Gerichtshof von Herrn Edgar Faure im Laufe seines Vortrags über die Verdeutschung und Nazifizierung vorgelegt werden. Als Beispiel möchte ich dem Gerichtshof ein Dokument RF-27 vorlegen, das die französische Nummer F-516 trägt.
Es ist ein Bericht des Präfekten des Departement du Nord an den Vertreter des Innenministers der Generaldelegation der Französischen Regierung im besetzten Gebiet. Der Bericht teilt mit, daß ein Propagandawagen deutscher Herkunft durch Siedlungen Lilles fährt und französische Arbeiter aufruft, nach Deutschland zu fahren. Ich verlese den Bericht:
»Lille, den 25. März 1942.
Der Präfekt des Département du Nord, Präfekt des Bezirks Lille, an den Herrn Präfekten und Beauftragten des Innenministers bei der Hauptdelegation der Französischen Regierung in den besetzten Gebieten.
Betrifft: Deutscher Propagandawagen.
Ich teile Ihnen hierdurch mit, daß seit einigen Tagen ein Propagandawagen in der Umgebung von Lilie herumfährt, der, mit Propagandaschriften behangen, die französischen Arbeiter auffordert, sich zur Arbeit in Deutschland anwerben zu lassen. Gleichzeitig spielt ein Lautsprecher ein ganzes Schallplattenprogramm mit französischer Musik, darunter die ›Marche Lorraine‹ und die Hymne ›Maréchal nous voila‹.«
VORSITZENDER: Ich glaube, wir unterbrechen die Sitzung bis 2.00 Uhr.