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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

M. HERZOG: Herr Vorsitzender, Hoher Gerichtshof!

Ich habe heute Vormittag gezeigt, wie die offizielle Propaganda beschaffen war, die die Deutschen in Frankreich trieben, um die Arbeiter zur Arbeitsannahme in Deutschland zu veranlassen. Die Wirkung dieser amtlichen Propaganda wurde durch die Tätigkeit der Werbestellen verstärkt. Richtige Werbehöhlen wurden durch die Besatzungsbehörden organisiert, und zwar neben den Verwaltungsstellen, deren Tätigkeit sie ergänzten. Diese Werbestellen wurden von deutschen Agenten geleitet, denen es oft gelang, sich örtliche Mitarbeiter zu sichern. In Frankreich erstreckten diese Ämter ihre Zweigstellen sowohl auf die besetzte als auch auf die unbesetzte Zone. Mehrere Urkunden bezeugen ihr Vorhandensein. Die erste davon ist ein Bericht, den der Vizepräsident des Ministerrats der de-facto-Regierung von Vichy am 7. März 1942 an den Generaldelegierten für die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen richtete. Es ist Dokument F-654, RF-28 der französischen Sammlung. Dieser Bericht ist auf dem Briefpapier des Vizepräsidenten Darlan geschrieben. Er trägt die Unterschrift eines Offiziers aus seinem Stabe, des Fregattenkapitäns Fontaine.

Ich lege den Bericht als RF-28 vor und verlese daraus:

»Vichy, den 7. März 1942.

Herr Generaldelegierter! Ich habe die Ehre, Ihnen anliegend zu Ihrer Kenntnisnahme einen Bericht über die Organisation zur Anwerbung von Arbeitern für die deutsche Industrie zu übersenden.«

Ich gehe jetzt zur zweiten Seite über:

»26. Februar 1942 – Geheim –

Aufzeichnung über die Organisation zur Anwerbung von Arbeitern in Frankreich für die deutsche Industrie. Quelle: Ausgezeichnet.

1. Organisation zur Anwerbung von Arbeitern in Frankreich. – Eine der Hauptorganisationen zur Anwerbung von Arbeitern in Frankreich für Deutschland soll die ›Gesellschaft für Mechanik der Seine‹ sein, deren Sitz zu Puteaux (Seine), 8 Quai National, ist und die auch unter der Firma A.M.S. bekannt ist. Diese Gesellschaft soll unter geheimer Kontrolle der Kommandantur und dreier Ingenieure arbeiten, von denen der eine die Stellung als Chefingenieur haben soll; die beiden anderen sollen die Herren Meyer und Schronner sein. Neben den ihr obliegenden Arbeiten ist diese Gesellschaft besonders mit der Umschulung der in Frankreich angeworbenen und auf Verlangen der deutschen Industriefirmen und mittels Prämienzahlungen nach Deutschland geschickten Arbeiter beauftragt. Die Gesellschaft A.M.S. wird dabei in der besetzten Zone von drei in Paris arbeitenden Werbezentralen unterstützt; die Zentrale der Porte de Vincennes, die Zentrale von Courbe voie, 200 Bld. Saint-Denis, die Zentrale in der Avenue des Tournelles.

Diese Zentralen sind auch mit der Abstimmung der Werbetätigkeit in der unbesetzten Zone beauftragt.

Für diese Zone sind die beiden Hauptzentralen in Marseille und Toulouse. Eine dritte Zentrale soll in Tarbes bestehen.

a) Die Zentrale in Marseille ist mit der Werbung in der Mittelmeerzone unter Leitung des obengenannten Herrn Meyer beauftragt. Die Anschrift dieses Ingenieurs ist nicht bekannt; jedoch kann man ihn beim Militärbefehlshaber, Paris, 24 Avenue Kleber sehen oder Auskunft über ihn einholen. In Marseille liegt das Bureau der A.M.S. in der Rue Sylvabelle 83. Bei seiner Tätigkeit wird Herr Meyer von Herrn Ringo unterstützt, der in Madrague-Ville 5 bis Boulevard-Bernabo, bei den Schlachthäusern wohnt.«

Ich unterbreche hier das Zitat, um dem Gerichtshof die Korrespondenz vorzulegen, die in den Monaten Dezember 1941 und Januar 1942 zwischen dem Präfekten der Alpes Maritimes und den Behörden der Vichy-Regierung stattgefunden hat. Es handelt sich um das Dokument F-518, das ich dem Gerichtshof als RF-29 vorlege. Diese Korrespondenz unterstreicht die Tätigkeit der geheimen deutschen Werbeagenten und ganz besonders des Herrn Meyer, der in dem eben verlesenen Bericht des Fregattenkapitäns Fontaine erwähnt ist. Ich zitiere zunächst den Bericht vom 10. Dezember 1941, in dem der Präfekt, der Alpes Maritimes seine vorausgegangenen, auf diese Frage bezüglichen Berichte bestätigt. Es ist der Brief auf Seite 5 des französischen Textes und auf Seite 7 der deutschen Übersetzung.

»Nizza, den 10. Dezember 1941.

Der Staatsrat, Präfekt der Seealpen, an den Herrn Minister, Staatssekretär des Innern. Generalsekretariat der Polizei, Direktion der Aufenthalts- und Fremdenpolizei.

Betrifft: Tätigkeit ausländischer Agenten zwecks Anwerbung von Facharbeitern.

Vorgang: Ihre Telegramme 12402 und 12426 vom 28. 11. 1941; meine Berichte 955 und 956 vom 24. 12. 1941 und 6. 12. 1941.

Durch die obenerwähnten Berichte habe ich Ihnen die Tätigkeit von Werbeagenten gemeldet, die versuchen, Facharbeiter für Deutschland anzuwerben. Ich beehre mich, Ihnen nachstehend eine ergänzende Auskunft über diese Leute zu übermitteln:

Der deutsche Ingenieur Meyer und der französische Staatsangehörige Bentz stiegen am 1. Dezember 1941 aus Marseille kommend im Hotel ›Splendid‹ in Nizza ab.«

Ich überspringe das Folgende und komme jetzt zur Verlesung des drittletzten Absatzes:

»Ich möchte Ihre ganz besondere Aufmerksamkeit auf den Umstand lenken, daß er (Bentz) sich in Paris mit der Anwerbung französischer Arbeiter für das Reich befaßt haben soll.«

Ich beende hiermit das Zitat.

Diese Urkunden bezeugen die Tätigkeit, die die geheimen Werbestellen entfalteten. Aber es genügt mir nicht, ihr Vorhandensein darzutun; ich möchte zeigen, daß diese Stellen auf Weisung der amtlichen Verwaltungsbehörden und der deutschen Arbeitseinsatzstellen gearbeitet haben. Der Beweis wird durch eine Erklärung erbracht, die der Angeklagte Sauckel am 1. März 1944 während der 54. Sitzung der Zentralen Planung abgegeben hat. Der stenographische Bericht dieser Sitzung ist aufgefunden worden. Es ist Dokument R-124, auf das sich meine amerikanischen Kollegen bereits bezogen haben. Ich lege es dem Gerichtshof abermals als RF-30 vor und verlese einen Auszug des Sitzungsprotokolls vom 1. März 1944. Er befindet sich im Dokument RF-30; im französischen Text Seite 2, Absatz 2; im deutschen Text steht er auf den Seiten 1770 und 1771. Ich verlese dabei die Erklärung von Sauckel:

»Das fürchterlichste Moment, wogegen ich zu kämpfen habe, ist die Behauptung, in diesen Gebieten sei keinerlei deutsche Exekutive vorhanden, um die Franzosen, Italiener oder Belgier zweckmäßig zu verpflichten und zur Arbeit zu bringen. Ich bin dann sogar den Weg gegangen, mir einen Agentenstab von Franzosen und Französinnen, Italienern und Italienerinnen heranzubändigen, die gegen gute Bezahlung, wie es früher ein Shangheien gegeben hat, auf Menschenfang ausgehen und durch Schnäpse und Überredung die Leute betören...«

VORSITZENDER: Ist das nicht vorher schon verlesen worden? Mir wird mitgeteilt, daß es dem Gerichtshof schon vorher von dem Anklagevertreter der Vereinigten Staaten verlesen wurde.

M. HERZOG: Ich will also nicht darauf bestehen, die Stelle zu verlesen. Ich fahre daher mit folgendem fort:

Die Propaganda der amtlichen Behörden und der geheimen Werbestellen erwies sich als unwirksam. Die nationalsozialistischen Behörden griffen darauf zu wirtschaftlichem Druck, indem sie versuchten, den Arbeitern, die nach Deutschland gingen, Hoffnung auf materielle Vorteile zu machen. Ich zitiere hierfür eine Verordnung des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich, die ich dem Gerichtshof vorlege. Es ist eine Verordnung vom 20. Juli 1942, die im Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Belgien erschienen ist. Sie gewährt den belgischen Arbeitern in deutschen Fabriken Steuerfreiheit. Ich lege sie dem Gerichtshof als RF-31 vor.

Andererseits haben die Besatzungsbehörden versucht, die Lebenshaltung der in den besetzten Gebieten zurückgebliebenen Arbeiter herabzudrücken. Ich habe gesagt, daß sie die Not zu einem Instrument ihrer Werbepolitik gemacht haben. Ich werde dies veranschaulichen durch die Beschreibung der von ihnen zur Schaffung einer künstlichen Arbeitslosigkeit in den besetzten Gebieten und zur Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeitslosen getroffenen Maßnahmen. Ich weise darauf hin, daß die deutschen Behörden zu diesem Zwecke auch Gehaltssperrungen durchgeführt haben. Diese Maßnahme begünstigte den Werbefeldzug für Arbeitskräfte, die nach Deutschland gebracht werden sollten. Sie hatte aber auch volkswirtschaftliche Auswirkungen, und ich beziehe mich, was diese anlangt, auf die Ausführungen, die Ihnen Herr Gerthoffer bringen wird. Die Arbeitslosigkeit wurde durch zwei sich gegenseitig ergänzende Maßnahmen hervorgerufen: Die erste ist die Regelung der gesetzlichen Arbeitsdauer. Die zweite ist die Zusammenlegung und gegebenenfalls die Schließung von industriellen Betrieben.

Seit 1940 haben die lokalen Feldkommandanten sich bemüht, die Arbeitszeit in ihren Verwaltungsbezirken zu erhöhen. In Frankreich hatten die von den lokalen Behörden ergriffenen Maßnahmen Reaktionen zur Folge. Das Problem wurde ein allgemeines und dann auf einer für das ganze Land geltenden Grundlage gelöst; die Vertreter der Pseudoregierung in Vichy wurden zu langen Verhandlungen gezwungen. Schließlich erteilte eine Verordnung des Militärbefehlshabers in Frankreich vom 22. April 1942 den Besatzungsbehörden das Recht, die Arbeitszeit in den industriellen Betrieben festzusetzen. Diese Verordnung ist im Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Frankreich, Jahrgang 1942, erschienen. Ich lege sie dem Gerichtshof als RF-32 vor und zitiere den ersten Paragraphen;

»§ 1: Für wirtschaftliche Unternehmen und Betriebe aller Art kann eine Mindestarbeitszeit bestimmt werden. Die Mindestarbeitszeit wird für ein ganzes Wirtschaftsgebiet, für bestimmte Wirtschaftszweige oder für Einzelbetriebe angeordnet.«

In Belgien wurde die Arbeitszeit durch eine Verordnung und eine Durchführungsverordnung vom 6. Oktober 1942 festgelegt, die im Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Belgien veröffentlicht wurden. Ich lege dem Gerichtshof die Verordnung als RF-33 vor.

Die Festlegung der Arbeitszeit machte nicht genügend Arbeitskräfte für die deutschen Fabriken frei. Aus diesem Grunde griffen die nationalsozialistischen Behörden zu einer zweiten Methode. Unter dem Vorwand, die Produktion zu rationalisieren, ordneten sie die Zusammenlegung von Industrie- und Handelsunternehmungen an, von denen einige dann auf ihre Veranlassung geschlossen wurden.

Hierzu zitiere ich die gesetzlichen Bestimmungen, die von den Deutschen in Frankreich, Belgien und Holland erlassen oder angeordnet worden waren. Bezüglich Frankreich verweise ich auf zwei Stellen.

Die erste ist das Gesetz der Vichy-Regierung vom 17. Dezember 1941, erschienen im Amtsblatt des Französischen Staates, das ich dem Gerichtshof als RF-34 vorlege. Die zweite Stelle, auf die ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs lenken möchte, ist die Verordnung des Militärbefehlshabers in Frankreich vom 25. Februar 1942. Diese Verordnung ist im Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Frankreich erschienen. Ich möchte sie dem Gerichtshof verlesen, weil sie besonders wichtig erscheint auf Grund der Tatsache, daß der Grundsatz der zwangsweisen Schließung gewisser französischer Betriebe im Wege einer Verordnung der Besatzungsmacht befohlen wird. Ich verlese Paragraph 1 und Paragraph 2 von Dokument RF-35:

»§ 1: Wenn es die wirtschaftliche Lage, insbesondere der Einsatz von Rohstoffen und Betriebsmitteln erfordert, können wirtschaftliche Unternehmen und Betriebe ganz oder teilweise stillgelegt werden.

§ 2: Die Stillegung wird von der Feldkommandantur durch schriftlichen, an das Unternehmen oder den Betrieb gerichteten Bescheid ausgesprochen.«

Hinsichtlich Belgiens beziehe ich mich auf die Verordnungen des Militärbefehlshabers vom 30. März und vom 3. Oktober 1942, die im Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich erschienen sind; ich lege dem Gerichtshof die Verordnung vom 30. März unter RF-36 vor.

In Holland waren die Bestimmungen der Besatzungsbehörde noch strenger als anderswo.

Ich lege eine Anordnung des Reichskommissars für die besetzten niederländischen Gebiete vom 15. März 1943 vor, die ich dem Gerichtshof als RF-37 unterbreite. Diese Anordnung ist von zweifachem Interesse. Erstens gibt sie eine genaue Beschreibung der Methode, nach der die deutschen Dienststellen ihre Werbearbeit durchführten; überdies ist sie die erste von mir dem Gerichtshof vorgelegte Belastungsurkunde gegen den Angeklagten Seyß-Inquart. Die Politik des Angeklagten Sauckel wurde in Holland unter Beteiligung des Reichskommissars Seyß-Inquart durchgeführt. Die Verordnungen über die Zwangsarbeit in Holland sind alle unter der Verantwortung von Seyß- Inquart erlassen worden, gleichgültig, ob sie seine Unterschrift tragen oder nicht. Ich bitte den Gerichtshof, dieses in Erinnerung zu behalten.

Die Heraufsetzung der gesetzlichen Arbeitszeit und die Stillegung von Industriebetrieben hat Tausende von Arbeitern ihrer Arbeitsstellen beraubt. Es machte den Angeklagten nichts aus, wirtschaftlichen Zwang anzuwenden, um die Arbeitslosen zu veranlassen, für Deutschland zu arbeiten. Sie haben den Arbeitslosen angedroht, ihnen ihre Arbeitslosenunterstützung zu entziehen. Diese Drohung wurde bei verschiedenen Gelegenheiten von den örtlichen Feldkommandanten im besetzten Frankreich ausgesprochen. Den Beweis dafür erblicke ich in dem Protest der Französischen Delegation bei der deutschen Waffenstillstandskommission; es ist das französische Dokument F-282, das ich dem Gerichtshof als RF-38 vorlege. Ich lese auf der ersten Seite den dritten Absatz des Schreibens:

»Außerdem verfügten die Besatzungsbehörden, daß die Arbeiter bei Verweigerung der Aufnahme der ihnen angebotenen Arbeit ihres Rechtes auf Arbeitslosenunterstützung verlustig gehen sollten und sich der Gefahr aussetzen, wegen Sabotage der deutsch-französischen Zusammenarbeit vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden.«

Weit entfernt, die Maßnahmen der örtlichen Behörden zu mißbilligen, haben die zentralen Arbeitseinsatzdienststellen diese sogar angewiesen, damit fortzufahren. Dies ergibt sich aus dem Rundschreiben von Dr. Mansfeld vom 29. Januar 1942, das ich gerade dem Gerichtshof als 1183-PS, RF-26, vorgelegt habe, in dem angeordnet wird, die Entziehung der Arbeitslosenunterstützung als Druckmittel gegen Fremdarbeiter anzuwenden. Das Rundschreiben von Dr. Mansfeld zeigt ferner, daß die Drohung der nationalsozialistischen Machthaber sich nicht nur auf Entziehung der Arbeitslosenunterstützung beschränkte, sondern auch die Verweigerung der Aushändigung von Lebensmittelkarten einschloß.

Noch mehr, die Angeklagten versuchten durch Steigerung der Versorgungsschwierigkeiten die Bewohner der besetzten Gebiete dazu zu zwingen, nach Deutschland zu gehen. Der Beweis für diese Absicht geht aus der Niederschrift der Sitzung der Zentralen Planung vom 1. März 1944 hervor. Es ist das Dokument, auf das ich mich soeben unter R-124, RF-30, bezogen habe. Es handelt sich um eine Stelle, die noch nicht verlesen worden ist, und ich werde mir erlauben, sie dem Gerichtshof vorzutragen. Sie steht auf Seite 5 der französischen Übersetzung, und auf Seite 1814 und 1815 des deutschen Textes. Die Seitenzahlen stehen rechts unten. Ich lese von Seite 5 oben des französischen Textes:

»Milch: Ist nicht der Weg besser, daß man... die gesamte Verpflegungsfrage für die Italiener in deutsche Hand nimmt und sagt: Zu fressen kriegt nur, wer in einem S-Betrieb ist oder nach Deutschland kommt.Sauckel: Es ist ja so, daß der französische Arbeiter in Frankreich besser lebt als der deutsche Arbeiter in Deutschland, und auch der italienische Arbeiter lebt, selbst wenn er nicht arbeitet, in dem von uns besetzten Teil von Italien besser, als wenn er in Deutschland arbeitet.« Hier beende ich das Zitat.

Ich habe dem Gerichtshof die wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen gezeigt, welche die Nazi-Behörden ergriffen, um die Arbeiter in den besetzten Gebieten zu zwingen, die ihnen von den deutschen Dienststellen angebotenen Arbeitsverträge anzunehmen. Dieser indirekte Druck wurde durch den direkten Druck verstärkt, der gleichzeitig auf die lokalen Behörden, auf die Arbeitgeber und auf die Arbeitnehmer selbst ausgeübt wurde.

Die nationalsozialistischen Führer wußten, daß ihre Werbepolitik durch die örtliche Behörde erleichtert werden konnte. Deshalb versuchten sie, den Schein der Freiwilligkeit durch die Pseudoregierungen der besetzten Länder anerkennen zu lassen. Als Beispiel benenne ich dem Gerichtshof den Druck, den die deutschen Behörden zu diesem Zweck auf die Vichy-Regierung ausgeübt haben. Zuerst erreichten sie am 29. März 1941 die Herausgabe eines Rundschreibens des Arbeitsministeriums an alle Präfekturen. Die deutschen Behörden gaben sich jedoch mit diesem Rundschreiben nicht zufrieden. Sie waren sich der Ungesetzlichkeit ihrer Werbemethoden bewußt und wollten deshalb ihr Tun durch ein Abkommen mit der Französischen de-facto-Regierung rechtfertigen.

Sie verlangten eine öffentliche Bekanntmachung dieses Abkommens. Verhandlungen hierüber sind 1941 und 1942 geführt worden. Die Heftigkeit des deutschen Druckes wird durch die Briefe bezeugt, die von Dr. Michel, dem Chef des Verwaltungsstabes, zu diesem Zweck an den Generaldelegierten für die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen gerichtet wurden. Ich beziehe mich besonders auf seine Briefe vom 3. März 1942 und vom 15. Mai 1942, die als F-526, RF-39, und F-525, RF-40, vorgelegt werden. Ich möchte dem Gerichtshof den Brief vom 15. Mai 1942 verlesen, der die Bezeichnung RF-40 trägt:

»Paris, den 15. Mai 1942.

Betrifft; Anwerbung französischer Arbeiter nach Deutschland.

Auf Grund der Besprechung vom 24. Januar 1942 wurde nach wiederholten Erinnerungen vom 27. II. der erste Entwurf der französischen Regierungserklärung über die Anwerbung vorgelegt und mit kleinen Änderungen am 3. III. von deutscher Seite schriftlich zugestimmt unter der Voraussetzung, daß bei der Weitergabe an die Comités d'organisation darauf hingewiesen werden sollte, daß die Französische Regierung die Arbeitsaufnahme in Deutschland ausdrücklich gutheißt. Am 19. III. ist an die Vorlage eines Entwurfes für das Rundschreiben an die Organisationskomitees erinnert und daraufhin am 27. III. ein Entwurf vorgelegt worden. Am 30. III. wurde Herrn Terray ein Änderungsvorschlag übergeben, der mit Herrn Bichelonne besprochen werden sollte.«

Ich überspringe die nächsten beiden Absätze und lese den letzten Absatz.

»Trotzdem ein Grund für die ungewöhnliche und unverständliche Verzögerung nicht ersichtlich ist, liegt der Entwurf bis heute noch nicht vor. Da seit der ersten Aufforderung zur Vorlage des Rundschreibens mehr als zwei Monate vergangen sind, wird ersucht, die neue Fassung bis 19. Mai vorzulegen.

Für den Militärbefehlshaber: Der Chef des Verwaltungsstabes – Im Auftrag: gezeichnet Dr. Michel.«

Der Gerichtshof wird bemerkt haben, daß Dr. Michel nicht nur die Herausgabe einer öffentlichen Bekanntmachung verlangte, er bestand auch darauf, daß der Text dieser Erklärung offiziell an die Organisationskomitees weitergegeben wurde. Der Druck, den die Besatzungsbehörden auf die französischen Betriebe ausübten, um sie zur Förderung des Abzuges ihrer Arbeiter nach Deutschland zu veranlassen, wurde in der Tat über diese Organisationskomitees verwirklicht. Die deutschen Arbeitseinsatzbehörden traten direkt an die Organisationskomitees heran. Sie setzten Besprechungen fest, in deren Verlauf sie den Leitern dieser Komitees ihren Willen vorschrieben. Sie legten auch Wert darauf, daß die Organisationskomitees über alle der Französischen Regierung aufgezwungenen Maßnahmen unterrichtet wurden. Die Komitees konnten dann in diese Maßnahmen im Interesse der deutschen Politik eingeschaltet werden. Der Schriftverkehr Dr. Michels gibt zahlreiche Beispiele der fortwährenden Bemühungen der deutschen Behörden, diese Komitees zu beeinflussen. Ich habe soeben in dem verlesenen Dokument dem Gerichtshof ein Beispiel gegeben. Ich möchte jetzt ein weiteres verlesen.

1941 verlangten die Deutschen, daß Rundschreiben, im besonderen Fall das an die Präfekten gerichtete Rundschreiben vom 29. März 1941 über die Anwerbung von Arbeitern für Deutschland, offiziell den Organisationskomitees übermittelt werden sollten. Dem Wunsche der Besatzungsbehörden wurde durch ein Rundschreiben vom 25. April entsprochen. Ich unterbreite es dem Gerichtshof als F-521, RF-41.

Aber der Inhalt dieses Rundschreibens fand nicht die Zustimmung der deutschen Behörden, und am 28. Mai 1941 legte Dr. Michel beim Generalbeauftragten für die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen einen sehr scharfen Protest ein. Dieser Protest ist Dokument F-522 der französischen Archive. Ich lege es dem Gerichtshof als F-522, RF-42, vor; ich möchte daraus verlesen.

»Paris, 28. Mai 1941

Betrifft: Anwerbung von Arbeitskräften für Deutschland.

Vorgang: Ihr Schreiben vom 29. April 1941 – Nr. 192 –

Ihren Ausführungen habe ich entnommen, daß schon vor Eingang meines Schreibens vom 23. April ein Rundschreiben an die Organisationskomitees entworfen und am 25. April verteilt worden ist. Dieses Rundschreiben erscheint mir jedoch nicht ausreichend, um die von deutscher Seite durchgeführte Werbung von Arbeitskräften wirksam zu unterstützen; ich halte es deshalb für notwendig, in einem weiteren Rundschreiben auf die von mir am 23. April besonders erwähnten Punkte hinzuweisen und ersuche, mir einen entsprechenden Entwurf baldmöglichst vorzulegen.

Von deutscher Seite ist durch die bevorstehende Freigabe einer weiteren großen Zahl von Kriegsgefangenen ein eindrucksvoller Beitrag für die Schaffung einer günstigen Atmosphäre geleistet worden, die von Ihnen in der Besprechung am 24. März als Voraussetzung für den Erfolg einer verstärkten Anwerbung von Arbeitskräften für Deutschland angesehen wurde. Ich gehe deshalb wohl nicht fehl in der Erwartung, daß Sie Ihre Mitteilung an die Wirtschaftsverbände in einer Form erlassen werden, die geeignet ist, die bisherige abwartende Haltung der französischen Wirtschaft auch auf dem Gebiet der Freigabe von Arbeitskräften zu einer konstruktiven Mitarbeit zu führen.

Ich sehe daher Ihren Vorschlägen mit tunlicher Beschleunigung entgegen.«

Schließlich wurde der unmittelbare Druck der deutschen Behörden auf die Arbeiter selbst ausgeübt.

VORSITZENDER: Lesen Sie aus dem Dokument?

M. HERZOG: Nein, es ist eine kurze Zusammenfassung des Textes. In erster Linie also moralischer Druck. Dafür ist die in Frankreich im Frühjahr 1942 versuchte Ablösung charakteristisch. Die Besatzungsbehörden hatten versprochen, die Gestellung französischer Arbeiter nach Deutschland durch die Befreiung von Kriegsgefangenen auszugleichen. Die Rückkehr je eines Kriegsgefangenen sollte der Inmarschsetzung je eines Arbeiters entsprechen. Dies war nur ein leeres Versprechen; die Wirklichkeit war ganz anders. Ich zitiere hierzu den Bericht über die Zwangsarbeit und Verschickung von Arbeitern, den ich heute Vormittag dem Gerichtshof als RF-22 vorgelegt habe. Ich zitiere Seite 51 des französischen Originals und der deutschen Übersetzung; im französischen Original ist es der dritte Absatz auf Seite 51; in der deutschen Übersetzung der erste Absatz:

»Wenn die Presse von der Besatzungsmacht inspiriert in ihren Kommentaren die Ablösung zu begrüßen vorgab und dabei ein Verhältnis von je einem Arbeiter für je einen Gefangenen als Forderung aufstellt, so geschah das zweifellos auf Befehl und mit berechnender Absicht. Dies geschah scheinbar auch deshalb, weil bis zum 20. Juni 1942, dem Vorabend einer vorher erwähnten Rede« – es handelt sich um eine Rede des Chefs der Französischen de-facto-Regierung – »die Deutschen Michel und Ritter dieses Verhältnis bei ihren Verhandlungen mit den französischen Verwaltungsbehörden einzuhalten schienen. Das Verhältnis eins zu fünf scheint eine Überraschung der letzten Stunde zu sein, von der die Presse kein Wort spricht.«

Ich beende damit das Zitat.

Der Druck, dem die fremden Arbeiter unterworfen wurden, war auch ein materieller Druck. Ich habe gesagt, daß sich die Fiktion der Freiwilligkeit, angesichts der von der deutschen Polizei vorgenommenen Verhaftungen, in Nichts auflöste. Ich möchte dem Gerichtshof gerne ein Dokument vorlegen, das ein treffendes Beispiel der deutschen Geisteshaltung und der von den nationalsozialistischen Verwaltungsbehörden angewandten Methoden darstellt. Es ist Dokument F-527 der französischen Sammlung, das ich dem Gerichtshof als RF-43 vorlege. Es handelt sich um einen Brief des Beauftragten des Reichsarbeitsministeriums im Bezirk Pas de Calais. Dieser Beamte verlangte von einem jungen französischen Arbeiter, daß er als freier Arbeiter nach Deutschland gehen solle, widrigenfalls ihm unangenehme Folgen angedroht werden. Ich verlese dieses Dokument: es ist F-527, RF-43, auf der dritten Seite:

»Sehr geehrter Herr!

Im vorigen Monat, nämlich am 26. März, habe ich Sie in Marquise angeworben, um nach Deutschland zu reisen und dort in Ihrem Beruf zu arbeiten. Sie hätten mit dem Transport vom 1. April nach Deutschland abreisen müssen; Sie haben diese Aufforderung unberücksichtigt gelassen. Ich teile Ihnen mit, daß Sie sich mit Ihrem Gepäck nächsten Montag, den 28. April, vor 19 Uhr, in Calais, Rue de la Pomme d'Or einzufinden haben. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie als freier Arbeiter nach Deutschland reisen, daß Sie dort unter denselben Bedingungen arbeiten und denselben Lohn erhalten werden wie die deutschen Arbeiter. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihr Nichterscheinen ungünstige Folgen nach sich ziehen kann.

Der Beauftragte des Reichsarbeitsministeriums: gezeichnet Hânneran.«

Der Zwang, den die deutschen Behörden auf die Arbeiter der besetzten Gebiete ausübten, um ihre sogenannte freiwillige Anwerbung durchzuführen, läßt sich weiter verfolgen. Die nationalsozialistischen Behörden haben nicht nur unter Drohung und Gewalt Arbeitskontrakte aufgezwungen, sondern diese Verträge vorsätzlich selbst gebrochen.

Den Beweis dafür sehe ich in der Tatsache, daß sie die von den Arbeitern unterschriebenen Verträge einseitig verlängerten. Dies ergibt sich aus mehreren Dokumenten. Entsprechende Verordnungen wurden sowohl von Göring, als Beauftragten für den Vierjahresplan, als auch von Sauckel erlassen. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf eine Verfügung Sauckels vom 29. März 1943 lenken, die ich dem Gerichtshof als RF-44 vorlege. Es ist ein Auszug aus dem V. Band, Seite 203, der »Verfügungen, Anordnungen und Bekanntgaben«:

»Verlängerung befristeter Arbeitsverträge ausländischer Arbeitskräfte, die während der Dauer des Arbeitsverhältnisses unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sind.

Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz teilt mit:

Die ordnungsmäßige Erfüllung eines von einem ausländischen Arbeiter abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrages setzt voraus, daß sich der Arbeiter während der ganzen Dauer des Vertrages dem Betrieb voll zur Arbeit zur Verfügung stellt. Demgegenüber kommt es jedoch vor, daß ausländische Arbeiter, sei es infolge Bummelns, verspäteter Rückkehr von Heimfahrten,« – und ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die nachfolgenden Worte lenken – »Abbüßung von Freiheitsstrafen, Unterbringung in einem Erziehungslager für kürzere oder längere Zeit der Arbeit... fernbleiben.

In diesen Fällen können die ausländischen Arbeiter nicht schon in die Heimat entlassen werden, wenn kalendermäßig die Zeit verflossen ist, zu der sie sich für eine Arbeit in Deutschland verpflichtet haben. Eine solche Handhabung würde nicht dem Sinne eines befristeten Arbeitsvertrags entsprechen, der nicht nur die Anwesenheit des ausländischen Arbeiters, sondern dessen Arbeitsleistung zum Gegenstand hat.«

Gewaltsam in den deutschen Fabriken, in die man sie hineingepreßt, hatte, zurückgehalten, waren die Fremdarbeiter also weder freiwillige Arbeiter noch freie Arbeiter.

Ich habe mich damit begnügt, die Methoden der deutschen Werbung zu beschreiben, um dem Gerichtshof die fiktive Freiwilligkeit zu zeigen, auf die sie sich nach ihren Angaben stützte. Die Fremdarbeiter, die sich bereiterklärt hatten, in der nationalsozialistischen Rüstungsindustrie zu arbeiten, haben nicht freiwillig gehandelt. Ihre Zahl ist im übrigen sehr beschränkt geblieben. Die Arbeiter der besetzten Gebiete hatten die physische Kraft und den moralischen Mut, dem Drucke zu widerstehen. Dies ergibt sich meiner Ansicht nach aus einem Eingeständnis des Angeklagten Sauckel, das ich der Niederschrift der Sitzung der Zentralen Planung vom 3. März 1944 entnehme.

Es handelt sich um einen Auszug, der meines Wissens schon von meinem amerikanischen Kollegen, Herrn Dodd, verlesen worden ist. Ich will ihn dem Gerichtshof nicht nochmals vorlesen. Ich möchte nur in Erinnerung bringen, daß der Angeklagte Sauckel gesagt hat, daß von den fünf Millionen in Deutschland eingetroffenen Fremdarbeitern keine 200000 sind, die freiwillig gekommen waren. Der Widerstand der Fremdarbeiter überraschte und verstimmte den Angeklagten Sauckel. Er äußerte seine Überraschung einmal einem deutschen General gegenüber, der antwortete: Unsere Schwierigkeiten kommen daher, daß Sie sich an Patrioten wenden, die unsere Ideale nicht teilen.

Tatsächlich konnte auch nur Gewalt die Patrioten in den besetzten Gebieten zwingen, für den Feind zu arbeiten. Die nationalsozialistischen Behörden griffen zur Gewalt.

Zuerst hatten die Deutschen die Möglichkeit, ihre Zwangspolitik gegenüber den Arbeitskräften anzuwenden, deren besondere Lage die Erfassung und klare Unterordnung sicherstellten: nämlich auf die Kriegsgefangenen.

Von 1940 an stellten die deutschen Militärdienststellen Arbeitskommandos in den Kriegsgefangenenlagern auf, deren Bedeutung im Dienste der Landwirtschaft und der Kriegsindustrie sie beständig steigerten.

Die Wichtigkeit der von den Kriegsgefangenen geforderten Dienstleistungen wird durch den Bericht über Zwangsarbeit und die Verschickung von Arbeitern bestätigt, den ich dem Gerichtshof als F-515, RF-22, bereits vorgelegt habe. Auf Seite 68 des französischen und des deutschen Textes befinden sich die folgenden Schätzungen:

Am Ende des Jahres 1942 befanden sich 1036319 französische Kriegsgefangene in Deutschland. 987687 waren den Arbeitskommandos zugeteilt worden. Nur der Überschuß, das heißt 48632 Gefangene, blieben unbeschäftigt.

Der Einsatz der Kriegsgefangenen in deutschen Fabriken stellt nicht eine Einzelerscheinung dar, die von dem allgemeinen Plan zur Erfassung der Fremdarbeiter zu trennen wäre; im Gegenteil, sie ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Planes. Die Nationalsozialisten haben stets die Ansicht vertreten, daß die Verpflichtung zur Arbeitsleistung sowohl für die Kriegsgefangenen wie auch für die Zivilarbeiter der besetzten Gebiete bestand. Sie haben zu wiederholten Malen dieser Überzeugung Ausdruck gegeben. Ich beziehe mich insbesondere auf drei Urkunden.

Die erste ist der Ernennungserlaß des Angeklagten Sauckel, den ich dem Gerichtshof bereits am Anfang meines Vortrags vorgelegt habe.

Die zweite Urkunde, auf die ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs lenken möchte, ist die Anordnung Nummer 10 von Sauckel, die ich schon als RF-17 vorgelegt habe. Diese Anordnung Stellt den Grundsatz der Arbeitspflicht auf und kann gemäß Ziffer 8 auf Kriegsgefangene angewendet werden.

Schließlich hat Sauckel in einer anderen Urkunde bestimmt, daß Kriegsgefangene nach denselben Bedingungen wie die Zivilbevölkerung zur Arbeit herangezogen werden müssen. Es handelt sich um einen Brief, den er am 20. April 1942, einige Tage nach seiner Ernennung, an Rosenberg geschrieben hat, um ihm sein Programm auseinanderzusetzen. Es ist Dokument 016-PS, und mein amerikanischer Kollege, Herr Dodd, hat es bereits behandelt. Ich lege es als RF-45 vor. Ich möchte es nicht verlesen, möchte aber daran erinnern, daß auf Seite 20 des deutschen Textes das Problem der Zwangsarbeit von Ausländern in einem allgemeinen Abschnitt, betitelt »Kriegsgefangene und fremdländische Arbeiter«, behandelt wird.

Diese Urkunden geben dem Gerichtshof einen Beweis in zweifacher Hinsicht. Erstens zeigen sie den Willen der Nationalsozialisten, die Gefangenen zu zwingen, für die deutsche Kriegswirtschaft im allgemeinen Rahmen ihrer Arbeitererfassungspolitik zu arbeiten. In zweiter Linie beweisen diese Dokumente, daß die Verwendung der Kriegsgefangenen nicht nur eine Angelegenheit der militärischen Dienststellen war; ihre Verwendung wurde vielmehr auch systematisch durch Zivilbehörden, nämlich die des Arbeitseinsatzes, geregelt. Sie fällt also ebenso unter die Verantwortung des Angeklagten Keitel wie auch der deutschen Führer, die das Arbeitseinsatzprogramm verwirklicht haben, nämlich des Angeklagten Sauckel, des Angeklagten Speer und des Angeklagten Göring.

Der Gerichtshof weiß, daß das Völkerrecht die Bedingungen festlegt, unter denen Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen werden können. Die Haager Abkommen haben diese Regeln formuliert, die Genfer Konvention hat sie in ihren Artikeln 27, 31 und 32 präzisiert:

»Artikel 27: Die Kriegführenden können die gesunden Kriegsgefangenen, ausgenommen Offiziere und Gleichgestellte, je nach Dienstgrad und Fähigkeit als Arbeiter verwenden.

Wenn Offiziere oder Gleichgestellte eine ihnen zusagende Arbeit verlangen, ist sie ihnen, soweit möglich, zu verschaffen.

Die kriegsgefangenen Unteroffiziere können nur zum Aufsichtsdienst herangezogen werden, es sei denn, sie verlangten ausdrücklich eine entgeltliche Beschäftigung...

Artikel 31: Die von den Kriegsgefangenen zu leistenden Arbeiten werden...«

VORSITZENDER: Wir betrachten diese Dokumente als amtlich und genügend beglaubigt.

M. HERZOG: Diese völkerrechtlichen Bestimmungen regeln die rechtlichen Befugnisse des Staates, der die Verfügungsgewalt über die Kriegsgefangenen innehat. Es ist erlaubt, die Kriegsgefangenen während der Dauer ihrer Kriegsgefangenschaft zur Arbeit heranzuziehen, aber diese Möglichkeit hat drei rechtliche Einschränkungen.

Erstens: Es ist untersagt, gefangene Unteroffiziere ohne deren ausdrückliches Verlangen zur Arbeit heranzuziehen.

Zweitens: Die Kriegsgefangenen dürfen nicht zu gefährlichen Arbeiten herangezogen werden.

Drittens: Die Gefangenen dürfen in keiner Weise für den gegnerischen Kriegseinsatz verwendet werden.

Die nationalsozialistischen Behörden haben diese zwingenden Vorschriften systematisch mißachtet. Sie haben gewaltsamen Zwang auf die in Gefangenschaft befindlichen Unteroffiziere ausgeübt, um sie zu veranlassen, sich den Arbeitskommandos anzuschließen. Sie haben die Kriegsgefangenen als Arbeiter in ihren Fabriken und Betrieben eingesetzt, ohne Rücksicht auf die Art der ihnen auferlegten Arbeiten. Die Verwendung Kriegsgefangener durch das nationalsozialistische Deutschland geschah unter rechtswidrigen und verbrecherischen Verhältnissen. Ich erkläre dies, und ich werde dem Gerichtshof entsprechende Beweise vorlegen.