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[Das Gericht vertagt sich bis

19. Januar 1946, 10.00 Uhr.]

Achtunddreißigster Tag.

Samstag, 19. Januar 1946.

Vormittagssitzung.

M. HERZOG: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter! In der gestrigen Nachmittagsverhandlung habe ich dem Gerichtshof die Bedingungen vorgetragen, unter denen der Arbeitseinsatz in Frankreich nach und nach erzwungen wurde, und ich war bis zur zweiten Aktion des Angeklagten Sauckel gekommen, die durch die Gesetze und Anordnungen vom 24. Februar 1943 gekennzeichnet ist.

Die zweite Aktion des Angeklagten Sauckel beschleunigte die Zwangsaushebung der Franzosen während der Monate Februar und März 1943. Mehrere zehntausend junger Leute der Klassen 1940 bis 1942 wurden unter Anwendung des Gesetzes vom 16. Februar nach Deutschland deportiert. Das Tempo der Deportationen verlangsamte sich im Monat April, aber der Arbeitseinsatz erhob sofort neue Forderungen. Am 9. April 1943 verlangte der Angeklagte Sauckel von den französischen Behörden, daß man ihm 120000 Arbeiter während des Monats Mai und 100000 im Monat Juni zur Verfügung stelle. Im Juni gab er bekannt, er wünsche, bis zum 31. Dezember 500000 Arbeiter abzutransportieren.

Die dritte Aktion Sauckels sollte nunmehr beginnen. Sie sollte unter dem Datum des 5. Juni 1943 durch die totale Mobilisierung des Jahrgangs 1942 gekennzeichnet sein. Alle Ausnahmen, die durch das Gesetz vom 16. Februar und den nachfolgenden Gesetzen vorgesehen waren, wurden widerrufen, und den jungen Leuten der Klasse 1942 wurde in ganz Frankreich nachgejagt.

In Wirklichkeit zeichnet sich die dritte Aktion Sauckels im wesentlichen durch einen gewaltsamen Druck des Angeklagten aus, durch den er versuchte, eine Massendeportation im Wege der Zwangsanwerbung durchzusetzen. Ich lege als Beweismaterial drei Dokumente vor, die die Aktion, die von Sauckel während des Sommers 1943 durchgeführt wurde, bezeugen.

Das erste Dokument ist ein Brief von Sauckel an Hitler, der vom 27. Juni 1943 stammt. Er ist von dem Angeklagten nach der Rückkehr von einer Reise nach Frankreich verfaßt und enthält den Entwurf eines Planes für die Aushebung französischer Arbeiter während der zweiten Hälfte des Jahres 1943. Es handelt sich einerseits darum, daß eine Million Arbeiter in Frankreich den französischen Rüstungsfabriken zugewesen und andererseits, daß fünfhunderttausend französische Arbeiter nach Deutschland deportiert werden sollten. Dieses Schreiben ist Dokument 556-PS-39, das ich dem Gerichtshof als RF-65 vorlege. Ich verlese:

»Weimar, am 27. Juni 1943.

Mein Führer!

Hiermit bitte ich, mich von meiner Dienstreise nach Frankreich zurückmelden zu dürfen.

Auf Grund der Tatsache, daß die freien Arbeitsreserven in den von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten zahlenmäßig weitgehendst erfaßt sind, prüfe ich zur Zeit eingehend die Möglichkeiten der Mobilisierung weiterer Arbeitsreserven für die deutsche Kriegswirtschaft im Reich und in den besetzten Gebieten.

In meinen Darlegungen vom 20. 4. durfte ich schon darauf hinweisen, daß nunmehr eine intensive und sorgfältige Bewirtschaftung der europäischen Arbeitskräfte, soweit sie in den direktem deutschem Einfluß unterstehenden Gebieten vorhanden sind, durchgeführt werden muß.

Es war der Zweck meines jetzigen Pariser Aufenthaltes, nunmehr die Möglichkeiten, die noch in Frankreich für den Arbeitseinsatz vorhanden sind, durch eingehende Besprechungen und eigene Nachprüfung zu untersuchen. Auf Grund einer sorgfältig aufgestellten Bilanz bin ich zu folgendem Entschluß gekommen:

1. Unter der Voraussetzung, daß in Frankreich auch nur einigermaßen ernstliche, ja nur annähernd ähnliche kriegswirtschaftliche Maßnahmen wie bei uns in Deutschland durchgeführt werden, können der für deutsche Aufträge und Aufgaben arbeitenden französischen Kriegs- und Rüstungsindustrie bis zum 31. 12. 43 noch eine Million Arbeitskräfte, und zwar Frauen und Männer, zugeführt werden. In diesem Falle können noch zusätzliche deutsche Aufträge nach Frankreich gelegt werden.

2. Unter Berücksichtigung dieser Maßnahmen können bei sorgfältiger Überprüfung und Zusammenarbeit unserer deutschen Rüstungsdienststellen und der deutschen Arbeitseinsatzbehörden bis zum Ende dieses Jahres auch noch 500000 französische Arbeiter und Arbeiterinnen zur Arbeit ins Reich überführt werden.

Die Voraussetzungen für die Erfüllung dieses von mir aufgestellten Programms sind:

1. die engste Zusammenarbeit aller deutschen Dienststellen, insbesondere gegenüber den französischen Dienststellen,

2. die ständige Überprüfung der französischen Wirtschaft durch gemeinsame Kommissionen, wie sie zwischen dem Herrn Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Pg. Speer, und mir bereits vereinbart sind,

3. eine ständige, geschickte und durchschlagende Propaganda gegen die de Gaulle- und Giraud-Cliquen,

4. eine ausreichende Ernährungssicherung der für Deutschland arbeitenden französischen Bevölkerung,

5. eine nachdrückliche Vertretung dieser Notwendigkeiten gegenüber der Französischen Regierung, insbesondere gegenüber dem Marschall Pétain, der noch ein Haupthindernis für eine weitere Heranziehung der französischen Frau zum Arbeitseinsatz darstellt,

6. eine starke Erhöhung des bereits von mir in Frank reich eingeführten Umschulungsprogramms auf kriegswirtschaftliche Berufe.«

Ich überspringe den nächsten Absatz und komme zum letzten:

»Ich bitte Sie deshalb, mein Führer, mit meinem Vorschlage, eine Million Franzosen und Französinnen für die deutsche Kriegswirtschaft in Frankreich selbst im Laufe des 2. Halbjahres 1943 freizumachen und weitere 500000 Franzosen und Französinnen bis zum Ende dieses Jahres ins Reich zu überführen, einverstanden zu sein. Ihr stets getreuer und gehorsamer gez. Fritz Sauckel.«

Das Dokument, auf das ich jetzt die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs lenken möchte, beweist, daß der Führer seine Zustimmung zum Programm Sauckels gab. Eine Notiz, die am 28. Juli 1943 von Dr. Stothfang aus dem Amte des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz aufgesetzt wurde, gibt einen Bericht über eine Unterhaltung zwischen Sauckel und dem Führer.

Es handelt sich um Dokument 556-PS-41, das ich dem Gerichtshof als RF-66 unterbreite. Ich beschränke mich darauf, nur den letzten Absatz zu verlesen:

»Die in Aussicht genommene Umschichtung von 1 Million Arbeitskräften in Frankreich zugunsten der in Frankreich tätigen Rüstungsbetriebe bis zum Ende dieses Jahres und die weiter vorgesehene Hereinnahme von 500000 franz. Arbeitskräften ins Reich hat die Zustimmung des Führers gefunden.«

Ein Dokument stellt weiterhin fest, daß der Angeklagte Sauckel, bestärkt durch die Zustimmung des Führers, versucht hat, sein Programm dadurch durchzuführen, daß er auf die französischen Behörden einen Druck auszuüben versuchte. Dieses Dokument stellt ein Schreiben von Sauckel an Hitler dar, das vom 13. August 1943 stammt, nachdem der Angeklagte von einer Reise nach Frankreich, Belgien und Holland zurückgekehrt war. Es ist Dokument 556-PS-43, das ich jetzt als unsere Nummer RF-67 verlese:

»Weimar, den 13. August 1943.

Mein Führer!

Ich bitte, mich von meiner Dienstreise Frankreich, Belgien und Holland zurückmelden zu dürfen. In zähen, harten und langwierigen Verhandlungen habe ich folgendes Programm für die letzten fünf Monate des Jahres 1943 den besetzten Westgebieten auferlegt und umfassende Maßnahmen für seine Durchführung – in Frankreich mit dem Militärbefehlshaber, der Deutschen Botschaft, der Französischen Regierung, in Belgien mit dem Militärbefehlshaber und in Holland mit den Dienststellen des Reichskommissars – vorbereitet. Das Programm sieht vor:

1. In Frankreich Umschichtung von 1 Million franz. Arbeiter und Arbeiterinnen aus der franz. zivilen Industrie zugunsten der deutschen Kriegsfertigung in Frankreich. Diese Maßnahme soll eine weitere starke Verlagerung deutscher Aufträge nach Frankreich arbeitsmä ßig ermöglichen.

2. Werbung und Verpflichtung von 500000 franz. Arbeitern für die Arbeit in Deutschland. Diese Zahl soll nach außen hin nicht bekanntgegeben werden.

3. Um die passive Resistenz weiterer franz. Beamtenkreise gegenstandslos zu machen, habe ich mit Einverständnis des Militärbefehlshabers in Frankreich die Einführung von Arbeitseinsatzkommissionen für je 2 franz. Departements angeordnet und unter die Aufsicht und Führung der deutschen Gauarbeitsämter gestellt. Auf diese Weise ist eine vollkommene Erfassung des franz. Arbeitspotentials und dessen intensive Auswirkung erst möglich.

Die Französische Regierung hat zugestimmt.«

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich das Zitat zu Ende lesen, obschon die folgenden Absätze sich auf Belgien und Holland beziehen. Dies wird mir ermöglichen, diese Abschnitte im Verlaufe meiner gegenwärtigen Darlegungen zu erwähnen, ohne sie dann verlesen zu müssen:

»4. In Belgien wurde ein Programm für 150000 Arbeiter für den Einsatz im Reich sichergestellt und eine entsprechende Arbeitseinsatzorganisation wie in Frankreich, mit Zustimmung des Militärbefehlshabers in Belgien, festgelegt.«

Ich überspringe einige Zeilen und fahre fort:

»5. Für Holland wurde ebenfalls ein Programm für 150000 Arbeiter zum Einsatz nach Deutschland und 100000 Arbeiter und Arbeiterinnen aus der holländi schen Zivilwirtschaft in die deutsche Kriegsproduktion vorbereitet.«

So war das Programm Sauckels 1943. Sein Plan wurde teilweise durch den Widerstand der vaterlandsliebenden Beamten und Arbeiter zunichte gemacht. Der Beweis dafür ist in einem Geständnis des Angeklagten enthalten. Ich beziehe mich auf die Niederschrift über eine Sitzung der Zentralen Planung vom 1. März 1944, die ich dem Gerichtshof gestern als R-124, RF-30, vorgelegt habe.

Ich verlese von der ersten Seite der französischen Übersetzung, zweiter Absatz, im deutschen Text Seite 1768:

»Der Arbeitseinsatz ist im Herbst vorigen Jahres, soweit es sich um den ausländischen Arbeitseinsatz handelt, weitestgehend zerschlagen worden. Über die Gründe will ich mich hier nicht auslassen; sie sind genug erörtert worden. Ich muß Ihnen aber erklären: er ist zerschlagen worden.«

Sauckel ließ sich jedoch durch die Schwierigkeiten, denen er im Jahre 1943 begegnete, nicht entmutigen. Im Jahre 1944 versuchte er, ein neues Programm durch eine vierte Aktion durchzusetzen.

Die nationalsozialistischen Behörden entschlossen sich 1944, die Herbeischaffung von vier Millionen Fremdarbeitern nach Deutschland sicherzustellen. Diese Entscheidung wurde am 4. Januar 1944 im Verlauf einer Besprechung, die im Hauptquartier des Führers und in seiner Gegenwart stattfand, getroffen. Die Niederschrift dieser Besprechung bildet Dokument 1292-PS. Ich lege es dem Gerichtshof als RF-68 vor und verlese von Seite 3 der französischen Übersetzung, Seite 6 des deutschen Textes, letzter Absatz:

»Endergebnis der Besprechung:

1. Der GBA soll mindestens 4 Millionen neue Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten beschaffen.«

Die Einzelheiten über die jedem der besetzten Gebiete auferlegten Kontingente sollten am 16. Februar 1944 im Verlaufe einer Besprechung der Zentralen Planung beim Beauftragten für den Vierjahresplan festgelegt werden. Ich habe diese Niederschrift gestern zu Beginn meiner Ausführungen als Nummer RF-20 vorgelegt. Ich zitiere heute die Ergebnisse, die sich im Dokument F-675, RF-20, auf der ersten Seite der Übersetzung, der dritten Seite des deutschen Originals, befinden:

»Ergebnisse der 53. Sitzung der Zentralen Planung am 16.2.1945.

Arbeitseinsatz 1944.

1. An inneren deutschen Reserven könnten bei äußerster Anstrengung etwa 500000 Kräfte neu mobilisiert werden.«

Das übrige lasse ich aus.

»2. Anwerbung von italienischen Arbeitskräften in Höhe von 1500000, davon von Januar bis April monatlich 250000 = 1000000 und von Mai bis Dezem ber 500000.

3. Anwerbung von 1000000 franz. Arbeitskräften in gleich großen Monatsraten, ab 1.2. bis 31.12. 44 (rd. 91000 monatlich).

4. Anwerbung von 250000 Arbeitskräften aus Belgien.

5. Anwerbung von 250000 Arbeitskräften aus den Niederlanden.«

Hier höre ich mit dem Zitat auf, da die anderen Absätze die Ostgebiete betreffen.

Der Gerichtshof hat gesehen, daß von Frankreich verlangt wurde, ein bedeutendes Kontingent von Arbeitern zu stellen. Am 15. Januar begab sich Sauckel nach Frankreich, um seinen Willen den französischen Behörden aufzuzwingen.

Die vierte Aktion Sauckels ist durch zwei bestimmte Maßnahmen gekennzeichnet; die sogenannte Auskämmung der Industrie und die Veröffentlichung eines Gesetzes vom 1. Februar 1944, das den Bereich des Zwangsarbeitseinsatzes erweiterte. Das System der Auskämmung der Industrie hat die Arbeitseinsatzbehörde dazu geführt, Rekrutierungen in der Industrie unmittelbar vorzunehmen. Gemischte deutsch-französische Kommissionen wurden in jedem Departement gebildet. Sie setzten den Prozentsatz der Arbeiter fest, die deportiert werden sollten, und führten deren Aushebung und Abtransport durch. Die Praxis der Auskämmung der Industrie selbst stellt die Verwirklichung von Plänen dar, die der Angeklagte Sauckel schon seit dem Jahre 1943 ausgearbeitet hatte. In den Dokumenten, aus denen ich dem Gerichtshof soeben verlesen habe, hat Sauckel seine Absicht, diese gemischten Arbeitskommissionen zu gründen, bekanntgegeben.

Das Gesetz vom 1. Februar 1944 bezeichnete den Höhepunkt der Handlungen, die Sauckel im Wege des Gesetzes unternahm. Es erweiterte den Anwendungsbereich des Gesetzes vom 4. September 1942. Vom Februar 1944 an waren alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren und alle Frauen zwischen 18 und 45 Jahren der Arbeitsdienstpflicht unterworfen.

Ich lege dem Gerichtshof Gesetz vom 1. Februar 1944 als Dokument RF-69 vor und bitte den Gerichtshof, hiervon amtlich Kenntnis zu nehmen.

Der Beweis für den Druck, den Sauckel auf die französischen Behörden ausübte, um die Veröffentlichung dieses Gesetzes zu erzwingen, ist in einem Bericht des Angeklagten Sauckel an Hitler enthalten. Dieser Bericht stammt vom 25. Januar 1944 und wurde somit während der Verhandlungen, die die vierte Aktion des Angeklagten Sauckel kennzeichnen, angefertigt. Es ist Dokument 556(55)-PS, das ich dem Gerichtshof als RF-70 vorlege. Ich möchte das Dokument jetzt verlesen:

»25. Januar 1944

Mein Führer!

Die Französische Regierung hat mit Marschall Pétain am 22.1.1944 meinen Forderungen auf Erhöhung der 40 Stundenwoche auf die 48 Stundenwoche sowie auf Erweiterung des Dienstpflichtgesetzes für Frankreich und für den Einsatz von französischen Arbeitskräften ins Reich weitgehend entsprochen. Einer Dienstverpflichtung von französischen Frauen ins Reich hat der Marschall nicht zugestimmt, jedoch einer Frauendienstverpflichtung innerhalb Frankreichs selbst, und zwar von Frauen im Alter von 26 bis 45 Jahren. Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren sollen nur am Wohnort dienstverpflichtet werden. Da dies immerhin angesichts der äußerst schwierigen Verhandlungen, die ich in Paris führen mußte, doch ein beachtlicher Fortschritt ist, habe ich unter der Voraussetzung, daß die deutschen Forderungen energisch durchgesetzt und erfüllt werden, dem Gesetz, um keine Zeit zu verlieren, zugestimmt.

Die Französische Regierung hat auch meine Forderung angenommen, französische Beamte, die die Durchführung des Dienstpflichtgesetzes sabotieren, mit schweren Strafen – bis zur Todesstrafe – zur Verantwortung zu ziehen.

Ich habe aber keinen Zweifel darüber gelassen, daß, wenn die Forderungen auf Gestellung der benötigten Arbeitskräfte nicht erfüllt werden, weitere verschärfte Maßnahmen ergriffen werden.

Ihr stets gehorsamer und getreuer Fritz Sauckel.«

Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das Problem der Arbeitsdienstverpflichtung der Frauen, auf das sich die beiden vorhergehenden Dokumente beziehen. Die französischen Behörden haben sich der Einführung des Frauenarbeitsdienstes lange Zeit kategorisch entgegengestellt. Der Angeklagte Sauckel wurde nicht müde, in dieser Beziehung rücksichtslos vorzugehen.

Am 27. Juni 1943 schlug er in einem Brief an Hitler vor, daß bei der Französischen Regierung eine energische Vorstellung der deutschen Notwendigkeiten gemacht werden sollte. Ich habe diesen Brief dem Gerichtshof bereits als 556(39)-PS, RF-65, vorgelegt und will darauf nicht noch einmal zurückkommen. Aber ich möchte betonen, daß das Gesetz vom 1. Februar Sauckel nicht befriedigte und seine Forderungen nicht beruhigte.

Seine Unzufriedenheit und sein Wille zur Fortsetzung seiner Zwangspolitik offenbart sich in einem Bericht vom 26. April 1944, der seine Unterschrift trägt, und der durch einen seiner Adjutanten, namens Berk, übermittelt worden ist.

Es handelt sich um vier Berichte von Sauckel, die in der gleichen Übersetzung zusammengefaßt sind. Diese Berichte sind im Dokument 1289-PS enthalten, das ich dem Gerichtshof als unsere Nummer RF-71 vorlege. Ich verlese von Seite 2:

»Frankreich.

1. Frauenfrage. Bei Erlaß des französischen Dienstpflichtgesetzes wurde von französischen Stellen (insbesondere vom Marschall Pétain) dringend gewünscht, daß Dienstverpflichtung von Frauen nach Deutschland ausgeschlossen bleibe. Unter größtem Bedenken wurde von Seiten des GBA dieser Ausnahme zugestimmt. Dabei wurde Vorbehalt gemacht, daß die Zustimmung unter der Voraussetzung erfolgt, daß die auferlegten Kontingente erfüllt werden. Der GBA müsse sich andernfalls weitere Maßnahmen vorbehalten.

Nachdem nunmehr Kontingente nicht im entferntesten erfüllt sind, muß an die Französische Regierung die Forderung herangebracht werden, die Dienstpflicht auch auf Frauen auszudehnen.«

Die vierte Aktion Sauckels wurde daher in der Richtung geführt, die gesamte Arbeitskraft Frankreichs auszunützen. Die französische Widerstandsbewegung und die Entwicklung der militärischen Operationen behinderten die Ausführung dieses Sauckelschen Planes. Der Angeklagte hatte jedoch Sondermaßnahmen vorgesehen, die er am Tage der Landung der alliierten Armeen auszuführen trachtete. Ich beziehe mich wiederum auf Dokument 1289-PS, RF-71, und verlese:

»Arbeitseinsatzmaßnahmen im Falle einer Invasion:

In den besetzten Gebieten sind teilweise bereits Vorkehrungen getroffen worden, um im Falle einer Invasion die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten zurückzuführen und wertvolle Arbeitskräfte dem Zugriff des Feindes zu entziehen. Es kommt bei der gegenwärtigen Lage des Arbeitseinsatzes in Deutschland darauf an, leistungsfähige Arbeitskräfte in möglichst großem Umfang sofort einem zweckentsprechenden Einsatz im Reich zu zuführen. Eine befehlsmäßige Sicherung auf Seiten der Wehrmachtstellen ist für die Durchführung dieser Maßnahme unerläßlich.

Für einen Führerbefehl wäre folgende Fassung vorzuschlagen.«

Den Text der von Sauckel vorgeschlagenen Anordnung werde ich nicht verlesen.

Die Schnelligkeit des Sieges der Alliierten war derart, daß Sauckel seinen Plan der Massenverschleppung nicht durchführen konnte. Er versuchte jedoch, ihn auszuführen, und die Verschleppungen von Arbeitern dauerten bis zum Tage der Befreiung des Gebiets an. Mehrere Hunderttausende französischer Arbeiter befanden sich damals in Deutschland auf Grund der verschiedenen Aktionen Sauckels. Ich bitte den Gerichtshof, dies in Erinnerung zu behalten.

In Norwegen wurde der Zwangsarbeitsdienst in der gleichen Weise wie in Frankreich eingeführt. Die Angeklagten erpreßten von den norwegischen Behörden den Erlaß eines Gesetzes, das die allgemeine Registrierung norwegischer Staatsbürger einführte und ihre zwangsweise Erfassung vorschrieb. Ich verlese in diesem Zusammenhang einen von der Norwegischen Regierung gefertigten Vorbericht über die Verbrechen Deutschlands gegen Norwegen, der dem Hohen Gerichtshof als Dokument UK-79 vorliegt. Ich lege ihn nunmehr als RF-72 vor und verlese von der ersten Seite den dritten Absatz:

»Das Ergebnis des Erlasses Sauckels in Norwegen bestand darin, daß am 3. Februar 1943 ein Quisling-›Gesetz‹ erlassen wurde, das sich mit der Zwangsregistrierung norwegischer Männer und Frauen für den sogenannten Arbeitseinsatz befaßte. Terboven und Quisling haben offen zugegeben, daß dieses Gesetz erlassen wurde, um die Arbeitskraft der norwegischen Bevölkerung zugunsten der deutschen Kriegsindustrie einzusetzen. In einer Rede am 2. Februar erklärte Terboven unter anderem, daß er selbst und das Deutsche Reich hinter diesem Gesetz stünden; er drohte mit der Anwendung von Gewalt gegen jedermann, der versuchen würde, seine Durchführung zu verhindern.«

In Belgien und Holland wandten die deutschen Behörden ein direktes Verfahren an. Der Zwangsarbeitsdienst wurde durch Verordnungen der Besatzungsmacht organisiert.

In Belgien sind es Erlasse des Militärbefehlshabers und in Holland solche des Reichskommissars. Ich erinnere den Gerichthof, daß die Vollzugsgewalt des Militärbefehlshabers in Belgien sich auch auf Nordfrankreich erstreckte.

Es liegt ein Erlaß vom 6. März 1942 vor, der die Grundlagen des Zwangsarbeitseinsatzes in Belgien festlegt. Er ist im Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete Belgiens und Nordfrankreichs 1942, Seite 845, erschienen. Ich lege ihn dem Gerichtshof als Beweisstück RF-73 vor und bitte, ihn amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Der Erlaß vom 6. März schloß die Möglichkeit zwangsweiser Verschleppung von Arbeitskräften nach Deutschland aus. Die Verschleppungen wurden jedoch durch eine Verordnung vom 6. Oktober 1942 vorgeschrieben, die im Verordnungsblatt 1942 auf Seite 1060 erschienen ist. Ich habe diese dem Gerichtshof im Laufe meiner Darlegungen bereits als RF-57 vorgelegt.

Diese deutsche Tätigkeit in Belgien verursachte Proteste führender belgischer Persönlichkeiten, unter anderem des Königs der Belgier und des Kardinals van Roey.

Die Verordnungen, die den Zwangsarbeitsdienst in Belgien und Nordfrankreich ausführten, trugen die Unterschrift des Generals von Falkenhausen; aber dieser hat seine Verordnung vom 6. Oktober auf Anweisung von Sauckel erlassen. Ich beziehe mich abermals auf die Zeugenaussage des Generals von Falkenhausen, die ich dem Hohen Gerichtshof als RF-15 vorgelegt habe. Ich bitte den Hohen Gerichtshof um die Erlaubnis, die folgenden Sätze verlesen zu dürfen, Seite 1, Absatz 5:

»Frage: Am 6. Oktober 1942 erschien eine Verordnung, die die Zwangsarbeit in Belgien und in den Departements von Nordfrankreich für Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren und für unverheiratete Frauen im Alter von 21 bis 25 Jahren einführte.

Antwort: Ich war Befehlshaber für Nordfrankreich und Belgien.

Frage: Erinnert sich der Zeuge, diese Verordnung erlassen zu haben?

Antwort: Ich erinnere mich des Wortlautes dieser Verordnung nicht genau, weil sie nach einer langen Debatte mit dem Bevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Sauckel, erfolgte.

Frage: Hatten Sie mit Sauckel irgendwelche Schwierigkeiten?

Antwort: Ich stand der Einführung des Zwangsarbeitsdienstes grundsätzlich ablehnend gegenüber und ließ mich erst zur Ausgabe der Verordnung herbei, nachdem ich einen Befehl hierfür erhalten hatte.

Frage: Dieser Befehl wurde daher nicht auf die Initiation von Falkenhausen selbst erlassen?

Antwort: Im Gegenteil.

Frage: Wer gab die Anweisungen in diesem Fall?

Antwort: Ich glaube, daß zu jener Zeit Sauckel bereits der verantwortliche Bevollmächtigte für die Beschaffung von Arbeitskräften war und daß er mir damals alle Anweisungen auf Befehl Hitlers gegeben hat.«

Ich übergehe einiges und nehme die Verlesung auf Seite 3, Absatz 4 der französischen Übersetzung wieder auf:

»Frage: Da Sie zu der Idee des Zwangsarbeitsdienstes in Widerspruch standen, haben Sie nicht dagegen Stellung genommen, als Sie diese Anweisungen erhielten?

Antwort: Es gab zwischen Sauckel und mir endlose Streitigkeiten. Diese trugen zu einem großen Teil zu meiner Entlassung bei.«

Dies ist das Ende des Zitats.

Der heftige Druck, den der Angeklagte Sauckel auf Belgien ausübte, um seinen Plan des Zwangsarbeitsdienstes einzuführen, geht übrigens aus dem Schriftstück hervor, das ich dem Gerichtshof soeben als 556-PS-43, RF-67, unterbreitet habe. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß es sich um den von Sauckel gelegentlich seiner Rückkehr aus Frankreich, Belgien und Holland an Hitler gerichteten Bericht vom 13. August 1943 handelt.

Es bleibt mir noch die Behandlung der Einführung der Zwangsarbeit in den Niederlanden.

Ich bitte den Gerichtshof, die Einführung des Zwangsarbeitsdienstes in den besetzten niederländischen Gebieten durch den Angeklagten Seyß-Inquart auch dem Angeklagten Sauckel zur Last zu legen.

Tatsächlich ist die Verschleppung der holländischen Arbeiter durch die Verordnungen des Reichskommissars organisiert worden. Sie begründen seine Verantwortlichkeit um so mehr, als er kraft seines Amtes als Reichskommissar seine Befugnisse unmittelbar vom Führer ableitete.

Der Angeklagte Seyß-Inquart hat den Zwangsarbeitsdienst in den Niederlanden durch eine Verordnung vom 28. Februar 1941 eingeführt, die im Verordnungsblatt für die besetzten niederländischen Gebiete von 1941 als Nummer 42 erschienen ist. Ich habe mich auf diese Verordnung bereits gestern im Verlauf meiner Ausführungen als RF-58 bezogen und bitte den Gerichtshof, von ihr amtlich Kenntnis zu nehmen.

Wie in Belgien, so wurde der Zwangsarbeitsdienst ursprünglich nur für den Einsatz in den besetzten Ländern selbst verlangt; aber wie in Belgien wurde er bald erweitert, um die Verschleppung von Arbeitskräften nach Deutschland zu ermöglichen. Die Erweiterung wurde durch eine Verordnung von Seyß-Inquart vom 23. März 1942 durchgeführt, die als Verordnung Nummer 26 im Verordnungsblatt 1942 erschienen ist. Ich lege sie dem Gerichtshof als Beweisstück RF-74 vor und bitte den Gerichtshof, sie in das Verfahren einzufügen.

Der Angeklagte Seyß-Inquart hat auf diese Weise den Weg gewiesen, auf dem der Angeklagte Sauckel zu weiteren Aktionen schreiten konnte. Sauckel handelte tatsächlich derart, daß er das gesamte menschliche Potential Hollands einspannte; aber bald wurden neue Maßnahmen erforderlich, Maßnahmen, die Seyß-Inquart guthieß.

Eine Verordnung vom 6. Mai 1943, Verordnungsblatt 1943, Seite 173, ordnete die Aushebung aller Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren an. Ich lege diesen Erlaß als Beweisstück RF-75 vor.

Am 19. Februar 1943 hatte Seyß-Inquart eine Verordnung erlassen, nach der seine Dienststellen alle zweckmäßig erscheinenden Maßnahmen für die Beschaffung von Arbeitskräften treffen konnten.

Diese Verordnung, die im Verordnungsblatt 1943 erschienen ist, wird dem Gerichtshof als Beweisstück RF-76 vorgelegt.

Die Bedeutung der Verschleppungen aus Holland im Jahre 1943 geht aus einem Brief des Vertreters von Sauckel in den Niederlanden vom 16. Mai 1943 hervor.

Dieser Brief, der in der französischen Dokumentensammlung die Nummer F-664 trägt, wird dem Gerichtshof als RF-77 vorgelegt. Ich verlese:

»Auf Grund der Anmeldeverordnung vom 7. Mai 1943 sind die Jahrgänge 1920 bis 1924 karteimäßig erfaßt worden. Neben dieser sehr umfangreichen Arbeit konnten trotzdem 22986 Arbeitskräfte ins Reich vermittelt werden und dazu noch die überstellten Kriegsgefangenen. Im Monat Juni wird die für Monat Mai nicht restlos erfüllte Zahl ausgeglichen werden.

Die Jahrgänge umfassen nach dem niederländischen statistischen Reichsamt je 80000. Aus diesen Jahrgängen heraus sind bis jetzt die Vermittlungen ins Reich durchgeführt. Bis zum 1. Juni 1943 wurden ins Reich 446493 vermittelt, die zum Teil wieder zurückgeflutet sind. Die jetzt karteimäßig erfaßten Zahlen haben folgende Stärke:

Jahrgang 1921 43331

Jahrgang 1922 45354

Jahrgang 1923 47593

Jahrgang 1924 45232

Da Rückstellungen bis zu 80 % erfolgt sind, muß nunmehr mit dem Abtransport geschlossener Jahrgänge ins Reich begonnen werden. Der Reichskommissar hat seine Zustimmung zu dieser Aktion gegeben. Die anderen Stellen der Wirtschaft, Rüstung, Landwirtschaft und Wehrmacht haben ihre Zustimmung auf Grund der Notwendigkeit gegeben.«

Gegen Ende des Jahres 1944 verschärften die deutschen Behörden ihren Druck in Holland. Zu dieser Zeit wurden Zehntausende von Personen in zwei Tagen in Rotterdam festgenommen. Systematische Razzien fanden in allen Großstädten Hollands statt, bisweilen unerwartet, bisweilen nach einem Aufruf an die Bevölkerung, sich an bestimmten Stellen einzufinden. Ich lege dem Gerichtshof verschiedene Proklamationen dieser Art vor, die in dem Dokument 1162-PS enthalten sind und von Herrn Dodd bereits unterbreitet wurden. Ich möchte sie nicht noch einmal verlesen, sondern beziehe mich auf sie zur Unterstützung meiner Beweisführung auf Dokument RF-78.

Diese Dokumente berichten nicht Einzelfälle. Sie zeigen jedoch, daß die Angeklagten ihre systematische Politik bis zum 5. Mai 1945 fortsetzten, dem Tage, als die Kapitulation Deutschlands die Befreiung Hollands mit sich brachte.

Ich schulde dem Gerichtshof noch eine ergänzende Erklärung:

Die Angeklagten haben sich nicht darauf beschränkt, die Zwangsarbeit in den besetzten Gebieten einzuführen. Ich habe erklärt, daß sie verbrecherische Zwangsmaßnahmen ergriffen haben, um die Durchführung dieser Mobilisierung der Fremdarbeiter sicherzustellen. Hierfür will ich Beweise erbringen. Die Maßnahmen, welche die nationalsozialistischen Behörden ergriffen haben, um die Zwangsregistrierung der Fremdarbeiter sicherzustellen, können im übrigen nicht von dem Verfahren getrennt werden, das sie anwendeten, um die sogenannten freiwilligen Anwerbungen sicherzustellen. Der Druck war stärker, aber er entsprang derselben Denkart. Es handelt sich darum, zu täuschen und, falls diese Methode versagte, zu erzwingen. Die Angeklagten waren sich bald darüber klar, daß keine Propaganda diese Zwangsarbeit ihren Opfern annehmbar machen konnte. Wenn sie irgendwelchen Zweifel darüber gehegt hatten, so hätten die Berichte der Besatzungsbehörden diesen schnell zunichte machen müssen. Diese letzten berichteten einstimmig von der politischen Unruhe, die durch die Zwangsaushebung hervorgerufen wurde und von dem Widerstand, dem sie begegneten. Die Angeklagten haben deshalb durch Gewaltanwendung versucht, diese zivile Mobilisierung sicherzustellen.

Als hauptsächlichste Zwangsmaßnahme, welche die Deutschen ergriffen, verweise ich auf die Verweigerung der Lebensmittelkarten an Widerspenstige. Es ist dem Gerichtshof bekannt, daß diese Maßnahme bereits im Januar 1942 in einem Rundschreiben von Dr. Mansfeld vorgesehen war, das ich als 1183-PS, RF-26, verlesen habe. Der Gerichtshof erinnert sich, daß der Befehl des Führers vom 8. September 1942, den ich als 556-PS-2, RF-55, vorgelegt habe, vorschrieb, daß die Maßnahmen durchgeführt werden müßten. Nach diesem Befehl durften die Lebensmittel- und Kleiderkarten weder an Personen ohne Arbeitsnachweis noch an solche Personen ausgegeben werden, die die Zwangsarbeit verweigerten.

Der Befehl Hitlers wurde in allen besetzten Gebieten durchgeführt.

In Frankreich untersagte das Rundschreiben der Besatzungsbehörde die Erneuerung der Lebensmittel- und Kleiderkarten an Franzosen, die sich dem Meldeverfahren auf Grund des Gesetzes vom 14. Februar 1943 entzogen hatten.

In Belgien wurde der Entzug der Rationierungskarten durch eine Verordnung des Militärbefehlshabers geregelt. Es ist die Verfügung vom 5. März 1943, die im Verordnungsblatt für Belgien erschien, und die ich dem Gerichtshof als RF-79 vorlege.

General von Falkenhausen, der diese Verordnung unterzeichnete, hat ihre Richtigkeit in der Vernehmung, die ich dem Gerichtshof als RF-15 vorgelegt habe, zugegeben. Ich möchte auf sie zurückkommen. Der General hat erklärt, daß der Angeklagte Sauckel der Urheber dieser Verordnung gewesen sei, und daß Sauckel sich geweigert habe, die Amnestie zu gewähren, die General von Falkenhausen vorgeschlagen hatte. Ich zitiere Seite 4 der französischen Übersetzung, fünfter Absatz:

»Frage: Kann sich der Zeuge einer Verordnung vom 5. März 1943 erinnern, nach der den Arbeitsverweigerern die Lebensmittelkarten entzogen werden sollten?

Antwort: Ich kann mich dessen nicht mehr entsinnen. Nachdem die Verordnung wegen der Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren erlassen worden war, sind die Durchführungsbestimmungen nicht von mir, sondern von meinen Dienststellen gemacht worden. Und was die Durchführung der Strafen betrifft, so kenne ich die Einzelheiten nicht. Ich war nicht der ausführende Chef der Verwaltung, sondern ich stand darüber.

Frage: Aber zu dieser Zeit waren Sie doch über die Art und Weise der Druckmaßnahmen unterrichtet, welche die Besatzungsbehörden anzuwenden gedachten?

Antwort: Ich will meine Verantwortlichkeit im ganzen nicht ableugnen, da mir doch schließlich vieles bekannt war. Ich kann mich insbesondere der Verordnung über die Lebensmittelkarten erinnern, da ich des öfteren eine Amnestie für die in der Illegalität lebenden Personen vorgeschlagen habe, die ohne Lebensmittelkarten waren.

Frage: Wem wurde dieser Vorschlag gemacht?

Antwort: Sauckel, im Einvernehmen mit dem Präsiden ten Revert.

Frage: Welche Stellungnahme wurde damals von Sauckel eingenommen?

Antwort: Er weigerte sich, dieser Amnestie zuzustimmen.«

Das ist das Ende des Zitats.

Auch in Holland wurde in gleicher Weise die Erneuerung derjenigen Lebensmittelkarten untersagt, die nicht den Stempel der Arbeitsämter trugen.

Aber die Angeklagten haben ein weiteres Zwangsverfahren angewandt, das noch verbrecherischer war als die Entziehung der Lebensmittelkarten. Ich möchte dabei über die Verfolgungen sprechen, denen die Familien der Arbeitsverweigerer ausgesetzt waren. Ich erkläre, daß dieses Verfahren deshalb verbrecherisch war, weil es auf dem Begriff der Sippenverantwortlichkeit beruhte, der den fundamentalen strafrechtlichen Grundsätzen zivilisierter Nationen widerspricht. Dieser Grundsatz wurde trotzdem durch mehrere Gesetzgebungsakte der Nationalsozialisten bestätigt und erzwungen.

Für Frankreich zitierte ich das Gesetz vom 11. Juni 1943, das ich dem Gerichtshof vorlege, und das ich bitte, als RF-70 amtlich zur Kenntnis nehmen zu wollen.

Für Belgien beziehe ich mich auf die Verordnung des Militärbefehlshabers vom 30. April 1943, im besonderen auf deren Paragraphen 8 und 9. Die Verordnung ist am 6. Mai 1943 im Verordnungsblatt für Belgien und die besetzten Gebiete von Nordfrankreich erschienen. Ich reiche sie dem Gerichtshof als RF-81 ein und bitte, von ihr amtlich Kenntnis nehmen zu wollen.

Das Verfahren der Angeklagten richtete sich in gleicher Weise gegen die Arbeitgeber wie gegen die Beamten der Arbeitsämter. In Frankreich wurde die Aktion durch zwei Gesetze vom 1. Februar 1944 ausgelöst. Ich unterstreiche, daß diese Gesetze am gleichen Tage wie das Gesetz über den Zwangsarbeitsdienst erschienen sind und behaupte, daß sie zur gleichen Zeit wie das letztere erzwungen wurden. Zur Bekräftigung meiner Behauptung beziehe ich mich auf das Eingeständnis des Angeklagten Sauckel. Ich beziehe mich dabei auf sein Schreiben vom 25. Januar 1944, das ich dem Gerichtshof bereits als 556-PS-55, RF-80 verlesen habe. Ich lege dem Gerichtshof die Gesetze vom 1. Februar 1944 als RF-82 vor und bitte, von ihnen amtlich Kenntnis zu nehmen.

Es gab noch andere Druckmittel, zum Beispiel die Ausschließung der widerspenstigen Studenten von den Fakultäten und Schulen. Dies wurde in Belgien am 28. Juni 1943 und in Frankreich am 15. Juli 1943 verfügt. In Holland wurden die Studenten Ende Februar und im März 1943 das Opfer einer systematischen Deportation. Ich verlese zu diesem Zweck einen Brief des Höheren SS- und Polizeiführers vom 4. Mai 1943. Es handelt sich um Dokument F-665, das ich als Beweisstück RF-83 überreiche.

VORSITZENDER: Vielleicht ist es Zeit, eine Pause zu machen.