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[Pause von 10 Minuten.]

M. HERZOG: Herr Vorsitzender, Hoher Gerichtshof! Vor der Pause stand ich gerade im Begriff, ein Schreiben vom 4. Mai 1943 zu verlesen, das den Beweis für die in Holland durchgeführte Aktion einer systematischen Deportation der Studenten erbringt. Es ist Dokument RF-83. Ich verlese:

»Betrifft Studentenaktion.

Diese Aktion startet nunmehr doch am Donnerstag früh. Da es für die Presseveröffentlichung heute bereits zu spät ist, wird der Aufruf des Höheren SS- und Polizeiführers ab morgen früh 7 Uhr über Drahtfunk, ferner in der morgigen Morgen- und Abendpresse bekanntgegeben. Im übrigen bleibt es bei den Richtlinien des Fernschreibens von gestern.«

Es folgt der Text des Aufrufs: »Anordnung über die Meldung von Studierenden.«

Ich überspringe den ersten Absatz und verlese:

»Alle männlichen Personen, die im Studienjahr 1942/1943 eine niederländische Universität oder Hoch schule besucht und ihr Studium noch nicht lehrplanmäßig abgeschlossen haben (im folgenden Studierende genannt), haben sich am 6. Mai 1943 in der Zeit von 10 Uhr bis 15 Uhr bei den nach ihrem Aufenthaltsort zuständigen Kommandeuren der SS- und Polizeisicherungsbereiche zum Zwecke der Erfassung für den Arbeitseinsatz zu melden.«

Ich überspringe wieder die Abschnitte 2 und 3 und verlese Abschnitt 4:

»1. Wer den Bestimmungen dieser Anordnung zuwiderhandelt, oder sie zu umgehen versucht, wer insbesondere der Verpflichtung zur Meldung nicht nachkommt, oder wer vorsätzlich oder fahrlässig unwahre Angaben macht, wird mit Gefängnis und Geldstrafe in unbeschränkter Höhe oder mit einer dieser Strafen bestraft, sofern nicht nach anderen Bestimmungen eine strengere Strafe verwirkt ist.«

Ich verlese den vierten Unterabschnitt:

»Die Inhaber der elterlichen Gewalt oder Vormundschaft über die Studierenden sind für das pflichtgemäße Erscheinen der Studierenden mitverantwortlich. Sie unterliegen der gleichen Strafe wie der Täter selbst.

Diese Anordnung tritt mit ihrer Verkündigung in Kraft.«

Da keine dieser Maßnahmen die Arbeiter in den besetzten Gebieten einzuschüchtern vermochte, riefen die Angeklagten schließlich ihre Polizeikräfte auf, um die Festnahme der Arbeiter, die sie nach Deutschland deportieren wollten, sicherzustellen. Dieser Eingriff der Polizei war vom Angeklagten Sauckel gefordert worden.

Ich lege zum Beweis zwei Dokumente vor. Das erste stellt einen Bericht über eine Konferenz dar, die am 4. Januar 1944 im Führerhauptquartier stattfand. Ich habe dieses Dokument bereits als Beweisstück 1292-PS, RF-68, eingereicht. Ich verlese von Seite 2 der französischen Übersetzung den letzten Absatz. Im deutschen Original ist es Seite 4 auf der Mitte der Seite. Es handelt sich um Dokument RF-68:

»GBA Sauckel erklärte, daß er mit fanatischem Willen den Versuch machen werde, diese Arbeitskräfte zu beschaffen. Bisher habe er seine Zusagen in Bezug auf die Zahlenhöhe der zu beschaffenden Arbeitskräfte stets gehalten, für 1944 sei er jedoch mit dem besten Willen nicht in der Lage, eine feste Zusage zu geben. Er werde alles tun, was in seinen Kräften stehe, um für 1944 die gewünschten Arbeitskräfte zu beschaffen. Ob dies gelinge, hänge aber im wesentlichen davon ab, welche deutschen Exekutivkräfte zur Verfügung gestellt würden. Mit einheimischen Exekutivkräften sei seine Aktion nicht durchzuführen.«

Ich beziehe mich nunmehr auf die Erklärungen von Sauckel, die dieser auf der Sitzung der Zentralen Planung beim Beauftragten für den Vierjahresplan am 1. März 1944 abgegeben hat. Es ist Dokument R-124, RF-30, auf das ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs bereits wiederholt hingelenkt habe. Der Teil, den ich verlesen werde, ist vor dem Gerichtshof bisher noch nicht verhandelt worden. Es handelt sich um die Seite 3 der französischen Übersetzung und im deutschen Text um die Seite 1775 ff.:

»Der S-Betrieb in Frankreich ist nichts anderes als eine Abschirmung vor dem Zugriff Sauckels! Das ist von den Franzosen so aufgefaßt und kann ja auch von ihnen gar nicht anders aufgefaßt werden, denn sie sind ja Franzosen und sie haben hier eine deutsche Divergenz in der Auffassung und Durchführung festzustellen. Inwieweit die Schutzbetriebe zweckmäßig und notwendig sind, unterliegt nicht meiner Kritik. Nur so, wie ich es geschildert habe, sieht es von mir aus aus. Ich hoffe aber auf der einen Seite durch meine alte Agentenorganisation und mein Schutzkorps und zweitens durch die Maßnahmen, die ich glücklicherweise bei der Französischen Regierung durchdrücken konnte, doch noch durchzukommen. Ich habe es in 5 bis 6-stündiger Verhandlung mit Herrn Laval durchgesetzt, daß die Todesstrafe für Beamte ausgesprochen werden kann, die den Arbeitseinsatz und andere Maßnahmen sabotieren. Glauben Sie mir: das ist sehr schwer gewesen. Das war für mich ein sehr bitterer Kampf, das durchzusetzen. Aber es ist jetzt geschehen und ich bitte darum, vor allem auch die Wehrmacht, daß nun in Frankreich, wenn die Französische Regierung nicht durchgreift, deutscherseits wirklich kategorisch durchgegriffen wird. Nehmen Sie mir die Bemerkung nicht übel: Ich habe mit meinen Herren in Frankreich einige Male vor Situationen gestanden, in denen ich erklären mußte: gilt denn der deutsche Leutnant und 10 Mann in Frankreich überhaupt nichts? Mo natelang hat man jedes Wort von mir mit der Antwort paralysiert: Was wollen Sie denn, Herr Gauleiter; wir haben ja gar keine Exekutive; wir können in Frankreich nichts machen! – Das ist mir immer wieder entgegengehalten worden. Wie soll ich da den Arbeitseinsatz in Frankreich durchführen? Hier müssen die deutschen Stellen zusammenarbeiten, und, wenn die Franzosen trotz aller Versprechungen nicht durchgreifen, müssen wir von deutscher Seite aus ein Exempel statuieren und auf Grund dieses Gesetzes unter Umständen mal einen Präfekten oder Bürgermeister an die Mauer stellen, wenn er nicht mitzieht; sonst geht überhaupt kein Franzose mehr nach Deutschland.«

Auf diese Weise wurde schließlich die Deportation der Arbeiter nach Deutschland durch Verhaftung und Androhung von Vergeltungsmaßnahmen sichergestellt. Es lag in der Logik des nationalsozialistischen Systems begründet, daß die Politik des Zwangsarbeitseinsatzes der Fremdarbeiter durch Polizeiterror durchgeführt werden mußte.

Ich habe dem Gerichtshof vorgetragen, daß der Widerstand, den die Kriegsgefangenen und die Arbeiter der besetzten Gebiete der hinterlistigen und gewalttätigen Aktion der Angeklagten entgegensetzten, schließlich den Plan der Aushebung von Fremdarbeitern zum Scheitern brachte. Der Angeklagte Sauckel hat zugegeben, daß er die größten Schwierigkeiten gehabt habe, um die von Hitler und den Angeklagten Göring, Speer und Funk genehmigten Programme durchzuführen.

Das bedeutet nicht, daß es dem nationalsozialistischen Deutschland nicht gelungen wäre, Massendeportationen von Fremdarbeitern tatsächlich durchzuführen. Die Zahl der Arbeiter, die aus den besetzten westeuropäischen Gebieten stammten und nach Deutschland deportiert wurden, ist sehr hoch. Noch größer war die Zahl der Arbeiter, die gezwungen wurden, an Ort und Stelle in den Fabriken und Werken zu arbeiten, die von den Besatzungsbehörden kontrolliert wurden.

Ich werde dem Gerichtshof statistische Angaben vorlegen, die es ihm ermöglichen, meine Behauptungen nachzuprüfen. Diese statistischen Angaben sind lückenhaft. Sie stammen aus Berichten, welche die Regierungen der besetzten Länder nach ihrer Befreiung aufgestellt haben, ebenso wie auch aus Denkschriften, die während des Krieges von den Arbeitseinsatzbehörden an die zuständigen Stellen gerichtet worden sind.

Die statistischen Angaben alliierten Ursprungs sind unvollständig, und die Archive, mit deren Hilfe sie angefertigt wurden, sind zum Teil zerstört. Andererseits besitzen die Verwaltungen der besetzten Gebiete nur Auskünfte aus zweiter Hand, dann nämlich, wenn die Aushebung der Arbeiter unmittelbar von den Besatzungsbehörden durchgeführt wurde. Was die deutschen statistischen Angaben betrifft, so sind auch sie unvollständig, da die Alliierten Behörden noch nicht alle Archive des Feindes entdeckt haben.

Dennoch ist es möglich, dem Gerichtshof eine genaue Schätzung des Umfangs der von Deutschland durchgeführten Deportierungen zu geben. Diese Schätzung wird den Beweis erbringen, daß die von den Angeklagten begangenen Verletzungen des Völkerrechts nicht im Stadium des Versuchs steckengeblieben sind, der durch einen Anfang der Ausführung gekennzeichnet und für sich allein schon strafbar ist. Sie haben die soziale Unordnung herbeigeführt, die vom Standpunkt der Strafgesetzgebung die Vollendung des Verbrechens selbst bedeutet. Ich verlese zunächst die statistischen Angaben, die von der Französischen Regierung stammen.

Der Bericht der Französischen Regierung stammt aus dem Institut für Konjunkturforschung. Er enthält zahlreiche statistische Tabellen, aus denen ich nur die Globalzahlen entnehme. Der Bericht gibt nachfolgende Einzelheiten:

738000 Arbeiter sind zur Zwangsarbeit in Frankreich eingesetzt worden,

875952 französische Arbeiter sind in deutsche Fabriken deportiert worden,

987687 Kriegsgefangene sind in der deutschen Kriegswirtschaft beschäftigt worden.

Insgesamt sind 2601639 Arbeiter französischer Nationalität gezwungen worden, für die Kriegsanstrengungen des nationalsozialistischen Deutschlands zu arbeiten.

Aus dem amtlichen Bericht der Belgischen Regierung ergibt sich, daß 150000 Personen zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden, und der Bericht der Holländischen Regierung gibt die Zahl von 431400 Personen an, wobei hinzugefügt werden muß, daß diese Zahl weder die systematischen Razzien, die während des Monats November 1944 durchgeführt wurden noch auch die Deportationen aus dem Jahre 1945 einschließt.

Ich unterbreite dem Gerichtshof nunmehr genaue Angaben über alle Stadien der Politik, die sich auf die Aushebung von Fremdarbeitern bezieht.

Diese Angaben entstammen den Berichten des Angeklagten Sauckel selbst oder der verschiedenen Verwaltungen, die sich mit der Deportation von Arbeitskräften beschäftigt haben.

Die Bedeutung der Arbeitskräfte, die in den besetzten Gebieten eingesetzt wurden, ergibt sich aus der Statistik über die Arbeiter, die bei dem Bau des Atlantikwalls innerhalb der Organisation Todt beschäftigt waren, von der ich bemerken möchte, daß ihre Leitung nach dem Tode ihres Begründers von dem Angeklagten Speer übernommen wurde.

Ich finde diese Statistik in einem Fernschreiben vom 17. Mai 1943, das der Angeklagte Sauckel an Hitler gerichtet hat. Es ist Dokument 556-PS-33, das ich dem Gerichtshof als RF-84 einreiche:

»Mein Führer!

Über den Arbeitseinsatz bei der Organisation Todt bitte ich folgende Zahlen vorlegen zu dürfen:

Zusätzlich zu den durch den Arbeitseinsatz seit meiner Amtsübernahme der gesamten deutschen Wirtschaft zugewiesenen Arbeitskräften wurde auch die Organisation Todt laufend mit neuen Arbeitskräften versehen.

Die Gesamtzahl der bei der OT beschäftigten Arbeitskräfte betrug:

Ende März 1942 270969 und

Ende März 1943 696003.

Dabei ist beachtlich, daß der Arbeitseinsatz insbesondere der OT im Westen zum Zwecke der Durchführung der Arbeiten am Atlantikwall beschleunigt und mit großer Energie Arbeitskräfte zugewiesen hat. Dieses ist umso bemerkenswerter, weil

1. in Frankreich, Belgien und Holland...« – ich überspringe einige Zeilen und lese auf Seite 2:

»Trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten wurde der Bestand der OT im Westen von

Ende März 1942 66701 Kräften

bis Ende März 1943 auf 248200 Kräfte erhöht.«

Schluß des Zitats.

Die Zahlen der Fremdarbeiter, die bis zum 30. September 1941 nach Deutschland deportiert wurden, sind in einem Bericht enthalten, der in den Archiven des OKW gefunden wurde. Es ist dies Dokument 1323-PS, das ich als RF-85 vorlege. Nach diesem Dokument waren am 30. September 1941 1226686 Arbeiter in Deutschland beschäftigt. Von diesen kamen 483842 aus den besetzten Westgebieten. Ich verlese dieses Dokument, das Einzelheiten über das Ursprungsland der deportierten Arbeiter enthält.

Ich beschränke mich auf die Auszüge, die die Westgebiete behandeln, da die Statistik über die deportierten Ostarbeiter in den Bereich meines Sowjetkollegen gehört:

Dänemark: 63309; Holland: 134093; Belgien: 212903; Frankreich: 72475; Italien: 238557.

Schließlich legte Sauckel am 7. Juli 1944 in einem seiner letzten Berichte der nationalsozialistischen Regierung gegenüber Rechenschaft ab über die Ergebnisse seines Feldzugs im ersten Halbjahr 1944.

Ich verlese das Dokument, das die Nummer 208-PS trägt und überreiche es dem Gerichtshof als RF-86.

Ich verlese von der zweiten Seite:

»Von den Ausländern kamen... aus Frankreich, ohne Nordfrankreich: 33000; Belgien mit Nordfrankreich: 16000; Niederlande: 15000; Italien: 37000.«

Es handelt sich um die neuen Arbeitskräfte, die der deutschen Industrie zwischen dem 1. Januar und 30. Juni 1944 zur Verfügung gestellt wurden.

Ich habe dem Gerichtshof den Beweis erbracht, den ich ihm schuldete. Der Gerichtshof wird sich im übrigen auch des Geständnisses erinnern, das Sauckel auf der 58. Sitzung des Vierjahresplans abgegeben hat, und das ich bereits früher verlesen habe. Sauckel hat gestanden, daß es in Deutschland 5 Millionen Fremdarbeiter gegeben hat, von denen nur 200000 als wirkliche Freiwillige zu bezeichnen wären. Die Tatsache des Verbrechens, das ich hier bloßstelle, erhellt sowohl aus den Umständen seiner Ausführung als auch aus der Zahl der betroffenen Opfer. Um den Ernst seiner Wirkung zu beweisen, bleibt mir nur noch übrig, die den Fremdarbeitern in Deutschland zuteil gewordene Behandlung zu erläutern.

Die deutsche Propaganda hat immer behauptet, daß die nach Deutschland deportierten Fremdarbeiter genau so behandelt worden wären, wie die deutschen Arbeiter: Gleiche Lebensbedingungen, gleiche Arbeitsbedingungen und gleiche Disziplin. Diese These ist für sich allein nicht beweiskräftig. Meine amerikanischen Kollegen haben die Eingriffe bewiesen, die die nationalsozialistischen Verschwörer in die Würde und in die Lebensführung der deutschen Arbeiter vorgenommen haben. Die Wirklichkeit ist noch schlimmer. Die Fremdarbeiter haben in Deutschland nicht die Behandlung erfahren, auf die sie als menschliche Wesen ein Recht hatten. Ich behaupte dies und werde dem Gerichtshof den Beweis dafür erbringen.

Ich möchte jedoch zunächst die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Bedeutung des neuen Verbrechens hinlenken, das ich ankündige. Es vollendet nicht nur das Verbrechen der Deportierung an sich, sondern gibt ihm erst seinen wirklichen Sinn. Ich habe dargelegt, daß die Politik der Angeklagten in den besetzten Gebieten in folgendem Satz zusammengefaßt werden kann: Ausnutzung der schaffenden und Ausrottung der unproduktiven Kräfte. Man muß von dieser Idee, die einen der Leitsätze des Nationalsozialismus darstellt, ausgehen, um die Behandlung beurteilen zu können, welche die Angeklagten den Fremdarbeitern zuteil werden ließen. Die Deutschen haben die menschliche Arbeitskraft in den besetzten Gebieten bis zur äußersten Grenze der persönlichen Kräfte ausgenutzt.

Sie haben den Fremdarbeitern Entgegenkommen gezeigt, wenn es ihnen darauf ankam, die Arbeitsleistung zu erhöhen. Sie haben ihnen aber das allgemeine Los der Deportierten in dem Maße aufgezwungen, wie ihre Arbeitskraft abnahm. Ich will meine Behauptung beweisen, indem ich dem Gerichtshof die Arbeits- und Lebensbedingungen beschreibe, die den Fremdarbeitern in Deutschland aufgezwungen wurden, und ihm von der besonderen Disziplin Mitteilung machen, der die Fremdarbeiter unterworfen waren.

Ich bitte den Gerichtshof, die Tatsache, die ich vorbringe, dem Angeklagten Sauckel zur Last zu legen. Die allgemeinen Arbeitsbedingungen für die Fremdarbeiter sind unter der Kontrolle des Angeklagten durch ein Übereinkommen festgesetzt worden, dem er freiwillig zugestimmt hat. Der Text dieses Übereinkommens, der mit dem Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Ley, geschlossen wurde, ist im Reichsarbeitsblatt 1943, Teil I, Seite 588, erschienen. Ich habe ihn dem Gerichtshof zu Beginn meiner Darlegungen als RF-18 vorgelegt. Aus diesem Abkommen geht hervor, daß die Behandlung der Fremdarbeiter der Kontrolle eines Arbeitseinsatzinspekteurs unterstellt war. Der Angeklagte Sauckel mußte also von den Mißhandlungen Kenntnis haben, denen die Fremdarbeiter in Deutschland ausgesetzt waren. Wenn er diese Mißhandlungen auch nicht selbst angeordnet hat, so hat er sie doch geduldet.

Die Arbeitsverhältnisse der nach Deutschland deportierten Arbeiter erbringen den ersten Beweis dafür, daß die Angeklagten gewillt waren, die menschliche Arbeitskraft der besetzten Gebiete bis zur äußersten Grenze auszunutzen. Zunächst möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die den Fremdarbeitern auferlegte Arbeitszeit lenken. Die gesetzliche Arbeitszeit war in Deutschland durch einen Erlaß Sauckels vom 22. August 1942 auf vierundfünfzig Stunden in der Woche festgelegt worden. In Wirklichkeit mußte die Mehrzahl der Fremdarbeiter eine noch viel härtere Arbeitszeit auf sich nehmen. Außergewöhnliche Arbeiten, welche die Arbeiter dazu zwangen, Überstunden zu machen, wurden meist den Fremdarbeitern anvertraut. Es war nicht selten, daß diese gezwungen waren, elf Stunden am Tage, das heißt also sechsundsechzig Stunden in der Woche zu arbeiten, damit sie in den Genuß des wöchentlichen Ruhetages kamen.

Ich führe zu diesem Zweck den Bericht des Ministeriums für Kriegsgefangene, Deportierte und Flüchtlinge an. Es handelt sich um Dokument UK-78 (3), das ich dem Gerichtshof als RF-87 vorlege.

Ich lese Absatz 2:

»Arbeitsstunden.

Die durchschnittliche Zahl der Arbeitsstunden betrug elf Stunden pro Tag, in gewissen Werkstätten, wie in der Maschinenfabrik Berlin, waren es dreizehn Stunden. In Berlin-Spandau verlangten die Alkett-Werke eine Arbeitszeit von zehneinviertel Stunden am Tage oder zwölf Stunden in der Nacht. In den Kruppwerken in Königsberg, in denen Raupenketten hergestellt wurden, verlangte man zwölf Stunden pro Tag.«

Die Arbeit der Fremdarbeiter wurde mit einem Lohn entgolten, der dem der deutschen Arbeiter gleich kam.

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf den illusorischen Charakter dieser Gleichsetzung lenken: Die Politik der Blockierung der Löhne war ein Bestandteil der von der nationalsozialistischen Regierung durchgeführten Preispolitik, was dazu führte, daß der Lohn der in Deutschland beschäftigten Arbeiter begrenzt und im übrigen mit Abgaben und Steuern belastet war. Schließlich war er noch bedroht durch die Geldstrafen, die von den deutschen Unternehmungen ihren Arbeitern auferlegt werden konnten. Diese Geldstrafen konnten für leichtere Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin die Höhe eines Wochenlohnes erreichen.

Zum Beweis hierfür lege ich Dokument D-182 vor. Es handelt sich um die Entwürfe zweier Ansprachen an die ausländischen Zivilarbeiter. Die eine dieser Reden war für die russischen und polnischen Arbeitet bestimmt. Ich überlasse ihre Erläuterung meinen Sowjetkollegen. Die andere Rede lege ich dem Gerichtshof als Beweisstück RF-88 vor:

»Entwurf einer Ansprache für die ausländischen Zivilarbeiter, ›Erhaltung der Arbeitsdisziplin‹, (Januar 1944).

Ich habe Ihnen folgendes mitzuteilen:

Die Zunahme von Unpünktlichkeiten und Versäumnissen hat dazu geführt, daß die zuständigen behördlichen Stellen verschärfte Bestimmungen zur Sicherung der Arbeitsdisziplin erlassen haben. Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin wie wiederholte Unpünktlichkeit, grundloses oder unentschuldigtes Fehlen, eigenmächtiges Verlassen der Arbeitsstelle werden künftig mit Geldstrafen bis zur Höhe eines durchschnittlichen Tagesverdienstes geahndet. In schwereren Fällen, also z.B. bei wiederholtem unentschuldigtem oder grundlosem Fehlen, bei Widerspenstigkeiten treten Geldbußen bis zur Höhe eines durchschnittlichen Wochenverdienstes ein. Außerdem sind in solchen Fällen die Lebensmittelzusatzkarten unter Umständen bis zur Dauer von vier Wochen zu entziehen.«

Die unsicheren Löhne, die die Fremdarbeiter nach diesen verschiedenen Abzügen tatsächlich erhielten, erlaubten es ihnen nicht, die Lebensbedingungen zu verbessern, die ihnen in den Orten zugestanden waren, in die sie verschleppt worden waren. Ich sage, daß dieses Lebensniveau unzureichend war, und daß die Verhältnisse des Arbeitseinsatzes eine ausgesprochene Verletzung der elementaren Grundsätze des Völkerrechts darstellen. Ich werde dies darlegen, indem ich dem Gerichtshof den Beweis dafür erbringe, daß sowohl die Ernährung als auch der ärztliche Beistand, auf den diese Fremdarbeiter ein Recht hatten, ungenügend waren.

Die deutschen Propaganda-Dienststellen haben in Frankreich illustrierte Heftchen herausgegeben, in denen die Einrichtungen für die Arbeiterunterkunft in Deutschland als sehr angenehm dargestellt waren. Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Ich werde mich über diesen Punkt nicht weiter auslassen, da mein amerikanischer Kollege, Herr Dodd, dem Gerichtshof bereits Dokument D-288 vorgelegt und dazu nähere Erläuterungen gegeben hat. Es handelt sich hierbei um die eidesstattliche Erklärung Dr. Jägers, des Chefarztes der Arbeitslager der Kruppwerke. Ich möchte diesen Bericht nicht noch einmal verlesen, möchte aber daran erinnern, daß Dr. Jäger in diesem Dokument erklärte, daß die französischen Arbeiter in den Kruppwerken, Kriegsgefangene, beinahe ein halbes Jahr in Hundeställen, Aborten und alten Backöfen untergebracht waren, und daß die Männer in diesen drei Fuß hohen, neun Fuß langen und sechs Fuß breiten Hundeställen zu fünft geschlafen haben. Ich lege dieses Dokument zur Unterstützung meines Vortrags als RF-89 vor.

Zu den ungesunden Wohnungsverhältnissen kam noch eine schlechte Ernährung hinzu. In dieser Beziehung schulde ich dem Gerichtshof noch eine Erklärung. Ich behaupte nicht, daß die nach Deutschland deportierten Fremdarbeiter dort systematisch ausgehungert wurden. Ich sage nur, daß der nationalsozialistische Leitgedanke in der Lebensmittelversorgung der Fremdarbeiter seinen Ausdruck findet. Sie wurden anständig ernährt, solange der Arbeitseinsatz ihre Arbeitsleistung erhalten oder vergrößern wollte. Sie wurden aber auf schmale Kost gesetzt, sobald aus irgendwelchen Gründen ihre Leistungsfähigkeit abnahm. Sie traten alsdann in die Kategorie der nutzlosen Kräfte ein, deren Ausrottung der Nationalsozialismus predigte.

Am 10. September 1942 erklärte der Angeklagte Sauckel auf dem ersten Kongreß der Arbeitseinsatzbehörden Großdeutschlands:

»Die Ernährung und die Bezahlung der Fremdarbeiter muß im Verhältnis zu ihrer Arbeitsleistung und zu ihrem guten Willen stehen.«

Er hat diese Einstellung in den Dokumenten näher entwickelt, die ich jetzt dem Gerichtshof als Beweismaterial vorlege. Ich verlese zunächst ein Schreiben Sauckels an Rosenberg, das in Dokument 016-PS wiedergegeben ist, das ich nicht verlesen werde, da dies bereits durch meinen amerikanischen Kollegen geschehen ist. Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Absatz 2, Seite 20 dieses Dokuments lenken, der die Verpflegung der Kriegsgefangenen und der Fremdarbeiter behandelt und der folgendermaßen lautet:

»Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, daß sie bei denkbar sparsamstem Einsatz die größtmöglichste Leistung hervorbringen.«

Ich bitte den Gerichtshof, sich diese Formel zu merken. Es handelt sich darum, bei sparsamstem Einsatz die fremde Arbeitskraft in größtmöglichster Weise auszubeuten. Es ist die gleiche Auffassung, die ich auch in einem Schreiben finde, das Sauckel am 14. März 1943 an die Gauleiter richtete. Es ist dies Dokument 633-PS, das ich dem Gerichtshof als RF-90 vorlege:

»Betrifft: Behandlung und Betreuung der ausländischen und fremdvölkischen Arbeitskräfte.

Nicht nur die Ehre und das Ansehen und noch viel mehr unsere nationalsozialistische Weltanschauung verlangen im Gegensatz zu den Methoden der Plutokraten und Bolschewisten eine pflegliche Behandlung der fremden – also auch selbst der sowjetrussischen – Arbeitskräfte, sondern vor allem auch die kalte Vernunft. Unterernährte, dahinsiechende, unwillige, verzweifelte und haßerfüllte Sklaven ermöglichen niemals eine höchste Ausnützung ihrer unter normalen Bedingungen erzielbaren Leistungen.«

Ich gehe jetzt weiter zum letzten Absatz über:

»Da wir aber die fremden Arbeitskräfte jahrelang brauchen und auch deren Ersatz sogar sehr begrenzt ist, kann ich sie nicht kurzfristig ausbeuten und ihr Arbeitsvermögen nicht verwirtschaften lassen....«

Die verbrecherische Auffassung, die diese Dokumente ausdrücken, kommt insbesondere in der Anwendung der Verpflegungssanktionen zum Ausdruck, die den deportierten Arbeitern auferlegt wurden. Ich beziehe mich auf Dokument D-182, das ich dem Gerichtshof soeben als Nummer RF-88 vorgelegt habe, und erinnere daran, daß in diesem Dokument die Möglichkeit vorgesehen wird, die widerspenstigen Arbeiter dadurch zu bestrafen, daß ihnen die Lebensmittelkarten entzogen wurden.

Obgleich die Fremdarbeiter wegen ihrer schlechten Unterbringung und Verpflegung irgendwelchen Krankheiten und Epidemien in besonderem Maße ausgesetzt waren, wurde ihnen dennoch keine angemessene ärztliche Pflege zuteil.

Zum Beweis lege ich einen Bericht vom 15. Juni 1944 vor, der von Dr. Fevrier, dem Leiter des Gesundheitsdienstes der Französischen Delegation bei der Deutschen Arbeitsfront stammt. Es ist dies Dokument F-536. Ich überreiche es dem Gerichtshof als RF-91 und verlese von Seite 15 des französischen Originaltextes, Seite 13 der deutschen Übersetzung, den letzten Absatz von Seite 15 des französischen Originaltextes:

»In Auschwitz laufen in einem sehr schönen Lager für 2000 Arbeiter Tuberkulöse frei herum, die von dem zuständigen deutschen Arzt des dortigen Arbeitsamtes als solche anerkannt worden sind. Dieser Arzt hat sich jedoch aus feindlicher Einstellung heraus nicht um ihren Rücktransport gekümmert. Ich unternehme im Augenblick Schritte, um ihren Heimtransport zu erreichen. In einem sauberen, hellen und gutgelüfteten Spital in Berlin, in dem der deutsche Chefarzt nur alle drei Wochen Visite macht, und in dem eine russische Ärztin einheitlich allen Kranken Beruhigungstropfen verabreicht, sah ich ein Dutzend Fälle von Lungentuberkulose, unter denen sich drei frühere Kriegsgefangene befanden, die alle, mit einer Ausnahme, bereits die äußerste Grenze überschritten hatten, jenseits derer die Behandlung noch einige Wirkung haben könntet«

Eine Statistik der während der Deportation verstorbenen Fremdarbeiter ist nicht aufgestellt worden. Professor Henri Dessaille, der Generalinspekteur für Gesundheitswesen im Arbeitsministerium, ist der Ansicht, daß schätzungsweise 25000 französische Arbeiter in Deutschland während ihrer Deportation gestorben sind, keineswegs aber alle aus Krankheitsgründen; denn zu der langsamen Ausrottung hat sich die schnelle Vernichtung in den Konzentrationslagern gesellt.

Die disziplinären Maßnahmen gegenüber den Fremdarbeitern waren in der Tat von einer Härte, die mit den Bestimmungen des Völkerrechts im Widerspruch standen. Ich habe bereits einige Beispiele für Strafen angeführt, denen die Fremdarbeiter ausgesetzt wurden. Es gab deren aber noch schlimmere. Die Arbeiter, die von den Wachmannschaften als widerspenstig betrachtet wurden, verbrachte man in besondere Straflager. Manche Arbeiter sind für immer in den Konzentrationslagern verschwunden.

Ich darf den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß ich für die Tatsache, zu der ich nunmehr komme, bereits mittelbar Beweis angeboten habe. Im Verlauf meiner Darlegungen habe ich als RF-44 die Verordnung Sauckels vom 29. März 1943 vorgelegt, der die Dauer der Arbeitsverträge um die Zeit verlängert, die die Arbeiter im Gefängnis oder im Internierungslager verbracht haben. Ich will mich mit dieser Frage nicht aufhalten. Mein amerikanischer Kollege, Herr Dodd, hat dem Gerichtshof die Dokumente vorgelegt, die den Beweis für die Überführung der Deportierten von der Arbeitsstelle in die Konzentrationslager erbringen. Ich erlaube mir im übrigen, den Gerichtshof auf die Erklärungen zu verweisen, die Herr Dubost ihm in einigen Tagen unterbreiten wird.

Ich darf jedoch die Tragweite dieser Verfolgung der Fremdarbeiter unterstreichen. Sie stellt die Vollendung des Verbrechens der Deportation von Arbeitern dar und ergibt den Beweis für die Folgerichtigkeit der deutschen Ausrottungspolitik.

Ich habe dem Gerichtshof den Bericht über die Ereignisse vorgelegt, die die zivile Mobilisation der Fremdarbeiter zur Arbeit im nationalsozialistischen Deutschland bedeuten. Ich habe gezeigt, wie die Einrichtung der Zwangsarbeit in den allgemeinen Rahmen der deutschen Machtpolitik eingeschaltet wurde.

Ich habe die Methoden entwickelt, die von den Angeklagten angewandt wurden, um die Zwangsaushebung von Fremdarbeitern durchzuführen, und habe die Bedeutung der Deportationen hervorgehoben, die vom Arbeitseinsatz vorgenommen wurden. Schließlich habe ich dem Gerichtshof vorgeführt, auf welche Weise die Deportierten behandelt und mißhandelt worden sind.

Die Politik der Zwangsarbeit umfaßt alle Vergehen, die in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fallen: Verletzung internationaler Vereinbarungen, Verstoß gegen das Völkerrecht, Verbrechen nach gemeinem Recht.

Alle Angeklagten sind für diese Verbrechen nach Maßgabe ihrer Zuständigkeit verantwortlich: Die Reichsregierung hat die Grundsätze der Politik der Zwangsaushebung aufgestellt; das Oberkommando der Wehrmacht hat für ihre Durchführung in den Betrieben der Wehrmacht, der Kriegsmarine und der Luftwaffe gesorgt; die Zivilverwaltungen haben auf sie die deutsche Kriegswirtschaft gestützt.

Ich verweile im besonderen bei der Schuld einzelner Angeklagter; Göring, der Beauftragte für den Vierjahresplan, hat an dem Erlaß und an der Durchführung der Pläne für die Aushebung der Fremdarbeiter mitgearbeitet; Keitel, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, der die Erlasse Hitlers mitunterzeichnet hat, hat die Zwangsarbeit zu einem Bestandteil seiner Politik zur Erhöhung der militärischen Effektivstärken gemacht; Funk, der Reichswirtschaftsminister, und Speer, der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, haben ihre Programme für die Produktion von Kriegsgerät auf die Zwangsarbeit gegründet; Sauckel endlich der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, hat sich als entschlossener und, nach seinen eigenen Worten, fanatischer Verfechter der Politik der Zwangsaushebung gezeigt, die in Holland von Seyß-Inquart eingeführt und durchgeführt wurde.

Der Gerichtshof wird die Verantwortlichkeit der Einzelnen beurteilen, ich aber stelle den Antrag, das Verbrechen der Mobilisierung der Fremdarbeiter zu verdammen, und bitte den Gerichtshof, die Würde der menschlichen Arbeit wiederherzustellen, die von den Angeklagten entehrt worden ist.

M. CHARLES GERTHOFFER, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter: Die französische Anklagevertretung ist mit dem Vortrag desjenigen Teiles der Anklage beauftragt, der sich mit den Taten beschäftigt, die die Angeklagten im westlichen Teile Europas begangen haben, und mit denen ihnen ein Verstoß gegen Artikel VI B des Statuts vom 8. August 1945 zur Last gelegt wird. Diese Stelle sieht die Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges vor, und zwar einmal gegenüber Personen und zum anderen gegenüber dem zivilen und öffentlichen Eigentum.

Derjenige Teil der Anklage, der sich auf die Verbrechen gegenüber Personen bezieht, das heißt also Mißhandlung von Kriegsgefangenen und Zivilpersonen, Folterung, Mord, Deportationen, sowie die Zerstörungen, die durch keinerlei militärische Bedürfnisse gerechtfertigt waren, ist durch meinen Kollegen vorgetragen worden, und dies wird auch weiterhin so sein. Herr Delpech und ich haben jedoch die Ehre, Ihnen die Plünderungen des privaten und öffentlichen Eigentums vorzutragen. Der Gerichtshof wird den trockensten Teil des Vortrags der französischen Anklagevertretung zu hören bekommen, aber wir werden uns bemühen, diesen Teil so kurz wie möglich vorzutragen, die Verlesung der zahlreichen vorgelegten Dokumente möglichst kurz zu gestalten und, soweit wie möglich, das Zahlenmaterial einzuschränken, um nur die wichtigsten Tatsachen ans Licht zu bringen.

Wir werden jedoch manchmal auf Einzelheiten eingehen müssen, damit der Gerichtshof gewisse charakteristische Tatsachen beurteilen kann, die wir den Angeklagten vorwerfen, Tatsachen, die man sich gewöhnt hat, unter dem Ausdruck »wirtschaftliche Ausplünderung« zu bezeichnen.

Bevor ich dieses Thema behandle, möchte ich den Gerichtshof um die Erlaubnis bitten, daß die Mitglieder der Wirtschaftsabteilung der französischen Delegation ihre Dankbarkeit gegenüber ihren Kollegen der alliierten Delegationen zum Ausdruck bringen dürfen, insbesondere der »American Section of the Economic Case« gegenüber, die ihr zahlreiche von der Armee der Vereinigten Staaten entdeckte deutsche Dokumente und wichtige Einrichtungen zur Vervielfältigung solcher Dokumente zur Verfügung gestellt hat.

Ich habe die Ehre, dem Gerichtshof nacheinander folgendes vorzutragen:

1. Allgemeine Betrachtungen über die wirtschaftliche Ausbeutung der besetzten westeuropäischen Länder.

2. Der besondere Fall Dänemark.

3. Der Fall Norwegen.

4. Der Fall Holland.

Mein Kollege, Herr Delpech, wird Ihnen einen fünften Teil vortragen, der Belgien und dem Großherzogtum Luxemburg gewidmet ist. Ich selbst werde die Ehre haben, einen sechsten Teil vorzutragen, der sich mit Frankreich beschäftigt, und sodann die Schlußworte zu sprechen.

Schließlich wird Herr Delpech in einer besonderen Darstellung Einzelheiten über die Plünderung von Kunstschätzen in den besetzten westeuropäischen Gebieten geben.

Während dieser Ausführungen werden wir eine gewisse Anzahl von Dokumenten vorlegen. Wir werden aus ihnen nur die Stellen verlesen, die uns am wichtigsten erscheinen. Wenn sich das gleiche Dokument auf verschiedene Fragen bezieht, so werden wir für den Fall, daß es wegen des verwickelten Charakters der Tatsachen unmöglich sein sollte, alle Auszüge zu gleicher Zeit zu verlesen, nur diejenigen Auszüge verlesen, die sich auf die gerade behandelte Frage beziehen, und die übrigen zurückstellen. Wir werden dann aber jeweils eine Verweisung auf das Dokumentenbuch vornehmen.

Hitler hat in seinen Schriften und Reden niemals die wirtschaftlichen Ziele des Angriffs verheimlicht, dessen Deutschland sich schuldig gemacht hat.

Die Rassenlehre und die Lehre vom Lebensraum vermehrte die Gier der Deutschen und reizte gleichzeitig ihre kriegerischen Instinkte.

Nachdem sie Österreich und die Tschechoslowakei kampflos erobert hatten, wandten sie sich gegen Polen und bereiteten den Angriff auf die Länder Westeuropas vor, in denen sie das zu finden hofften, was ihnen zur Sicherung ihrer Herrschaft noch fehlte. Diese Tatsache ist in förmlicher Weise im Dokument EC-606, das von der Armee der Vereinigten Staaten entdeckt wurde, zum Ausdruck gebracht. Ich lege es dem Gerichtshof als RF-92 vor. Es handelt sich um die Niederschrift über eine am 30. Januar 1940 bei dem Angeklagten Göring stattgehabte Besprechung, bei der Oberstleutnant Conrath. und Direktor Lange von der Wirtschaftsgruppe Maschinenbau zugegen waren. Dies ist die wichtige Stelle:

»Feldmarschall Göring sagte mir zu Beginn, daß er mich unterrichten müsse über die Absichten des Führers und die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Maßnahmen.

Er führte aus:

Der Führer ist fest davon überzeugt, daß es ihm durch einen Großangriff im Westen gelingen werde, die Kriegsentscheidung im Jahre 1940 herbeizuführen. Er rechnet damit, daß Belgien, Holland und Nordfrankreich in unseren Besitz kommen, und er, der Führer, habe sich ausgerechnet, daß die Industriegebiete von Douai und Lens und die von Luxemburg, Longwy und Briey rohstoffmäßig die Lieferungen Schwedens ersetzen können. Infolgedessen habe sich der Führer entschlossen, jetzt ohne Rücksicht auf spätere Zeiten unsere Rohstoffreserven voll einzusetzen, zu Lasten evtl. späterer Kriegsjahre. Die Richtigkeit dieses Entschlusses wird beim Führer bestärkt durch die Auffassung, daß die beste Bevorratung nicht Rohstoffbevorratung, sondern die von fertigem Kriegsgerät sei. Außerdem müsse man damit rechnen, daß, wenn der Luftkrieg begonnen hätte, auch unsere Fertigungsstätten zerschlagen werden könnten. Der Führer ist außerdem der Auffassung, daß es darauf ankommt, im Jahre 1940 Höchstleistungen zu erreichen, und daß man deswegen sich später auswirkende Programme zur Beschleunigung der sich 1940 nicht auswirkenden, zurückstellen solle.«

Im Augenblick ihrer Besetzung war in den Ländern Westeuropas ein Überfluß von Erzeugnissen aller Art vorhanden. Nach vier Jahren systematischer Ausplünderung und Vergewaltigung der Produktionskraft sind diese Länder zugrunde gerichtet, und die Gesamtheit ihrer Bevölkerung ist infolge der rigorosen Einschränkungen körperlich geschwächt.

Um zu derartigen Ergebnissen zu gelangen, haben die Deutschen alle möglichen Verfahren angewandt, insbesondere Gewalt, List und Erpressung.

Diese Darstellung hat zum Gegenstand, die wichtigsten Plünderungen aufzuzeigen, die von den deutschen leitenden Persönlichkeiten in den westeuropäischen Ländern angeordnet wurden, und weiterhin, zu beweisen, daß sie Kriegsverbrechen darstellen, die unter die Zuständigkeit des »Internationalen Militärgerichtshofes für die Hauptkriegsverbrecher« fallen.

Es ist nicht möglich, eine genaue Bilanz der deutschen Plünderungen aufzustellen und den Gewinn zu berechnen, den sie auf Grund der Vergewaltigung der Produktionskraft der besetzten Gebiete gezogen haben. Einerseits haben wir hierfür nicht genügend Zeit, und andererseits sehen wir uns materiellen Schwierigkeiten gegenüber, die sich daraus ergeben, daß gewisse Operationen im geheimen durchgeführt wurden und daß manche Archive durch den Krieg zerstört oder im Augenblick der deutschen Niederlage freiwillig vernichtet worden sind.

Trotzdem erlauben uns die jetzt gesammelten Dokumente zusammen mit den eingezogenen Erkundigungen, ein Mindestmaß von Plünderungen festzustellen.

An dieser Stelle sind drei Vorbemerkungen erforderlich:

1. Die zahlreichen Fälle individueller Einzelplünderungen, die von den Deutschen begangen worden sind, werden in dieser Darstellung nicht aufgeführt, da sie in die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit fallen.

2. Wir werden nur beiläufig die unberechenbaren finanziellen Folgen der deutschen Grausamkeiten erwähnen, zum Beispiel den materiellen Nachteil, der den Anverwandten der ermordeten Ernährer ihrer Familien zugefügt wurde, oder den Nachteil, den manche Opfer durch die schlechte Behandlung erlitten haben, derzufolge sie entweder ganz oder teilweise, zeitweilig oder dauernd arbeitsunfähig geworden sind. Und schließlich wollen wir auf die Schäden hinweisen, die durch die aus Rache oder Einschüchterungsgründen vorgenommenen Zerstörungen von Ortschaften und Grundstücken entstanden sind.

Endlich, Hoher Gerichtshof, werden wir diejenigen Schäden beiseite lassen, die durch echte militärische Operationen entstanden sind, und die sich nicht als pekuniäre Folgen von Kriegsverbrechen darstellen. Wenn solche Schäden behandelt werden, die durch militärische Schäden entstanden sind, dann werden wir eine nähere Erklärung dafür abgeben.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werde ich jetzt nur den Teil »Allgemeine Darlegungen über die wirtschaftliche Ausplünderung Westeuropas« beginnen.

Unter wirtschaftlicher Ausplünderung versteht man die Wegnahme von Reichtümern aller Art sowie die Vergewaltigung der Produktionskraft in den verschiedenen überfallenen Ländern.

Um zu einem solchen Ergebnis zu gelangen, besonders in Ländern, die allgemein stark industrialisiert und in denen zahlreiche Vorräte an Fertigwaren und ein Überfluß an landwirtschaftlichen Erzeugnissen vorhanden waren, sah sich das deutsche Unternehmen erheblichen Schwierigkeiten gegenübergestellt.

Obwohl die Deutschen dieses Verfahren bis zur höchsten Vollendung entwickelt haben, waren ihnen die Requisitionen von Anfang an nicht ausreichend. Sie mußten vielmehr nach Möglichkeiten suchen, um die verschiedenartigsten Dinge aufzuspüren, die manchmal von den Bewohnern versteckt gehalten wurden. Andererseits mußten sie die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Länder zum Nutzen Deutschlands aufrechterhalten.

Das einfachste Verfahren, um sich der Verteilung der vorhandenen Erzeugnisse und der Produktion selbst zu bemächtigen, bestand darin, sich in den Besitz fast aller Zahlungsmittel zu setzen und die Verteilung dieser Zahlungsmittel, notfalls durch Gewalt, im Austausch gegen Waren oder Dienstleistungen zu erzwingen, während gleichzeitig die etwaige Preiserhöhung bekämpft wurde.

Die Bevölkerung war daher gezwungen, unmittelbar oder mittelbar für Deutschland zu arbeiten, um dem drohenden Hungertod zu entgehen.

Der erste Teil dieser Darlegungen ist in fünf Kapitel eingeteilt:

1. Übernahme der Zahlungsmittel durch Deutschland.

2. Vergewaltigung der Produktionskraft der besetzten Länder.

3. Einzelkäufe, die nicht mit den individuellen Plünderungen verwechselt werden dürfen.

4. Schwarzhandel, der von Deutschland zu seinen Gunsten organisiert wurde.

5. Wir werden die Frage der wirtschaftlichen Ausplünderung vom Blickpunkt des Völkerrechts, insbesondere nach dem Haager Abkommen, betrachten.

Kapitel 1: Übernahme der Zahlungsmittel durch Deutschland.

Um sich in den Besitz der Zahlungsmittel zu setzen, haben die Deutschen in den verschiedenen Ländern ungefähr die gleichen Methoden angewandt. Zunächst ergriffen sie zwei Hauptmaßnahmen:

Die erste bestand in der Ausgabe von Papiergeld. Sie erfolgte auf Grund einer Verordnung vom 9. Mai 1940, die im »Verordnungsblatt für die besetzten französischen Gebiete«, dem amtlichen deutschen Organ, Seite 69, veröffentlicht wurde. Ich werde das Verordnungsblatt künftig unter seiner amtlichen Abkürzung »VOBIF« zitieren. Ich lege dem Gerichtshof diese Verordnung als RF-93 vor. Sie betrat zunächst Dänemark und Norwegen und wurde am 19. Mai 1940 auch auf die besetzten Gebiete Belgiens, Hollands, Luxemburgs und Frankreichs für anwendbar erklärt. Die Deutschen schritten zur Ausgabe von Reichskreditkassenscheinen, die nur in den einzelnen besetzten Ländern gültig waren.

Die zweite Maßnahme der Deutschen bestand in der Blockierung der bestehenden Zahlungsmittel im Innern der besetzten Gebiete. Diese erfolgte für Frankreich auf Grund der Verordnung vom 10. Mai 1940, durch die Verordnung auf Seite 58 des VOBIF, die ich als Dokument RF-94 vorlege, für Holland durch die Verordnungen vom 24. Juni, 14. August, 16. August und 18. September 1940, die als Dokument RF-95, RF-96 und RF-97 vorgelegt werden und für Belgien durch die Verordnungen vom 17. Juni und 22. Juli 1940, die als RF-99 und RF-100 vorgelegt werden.

Diese Maßnahmen, insbesondere die Ausgabe von Papiergeld, die der ausschließlichen Willkür der Deutschen überlassen und keiner Kontrolle seitens der Finanzverwaltungen der besetzten Gebiete unterworfen war, mußten, wie wir sogleich sehen werden, als gewaltiges Druckmittel dienen, um die Auferlegung ungeheurer Kriegstribute unter dem Vorwand der Versorgung der Besatzungstruppen vorzunehmen, und angebliche Zahlungsabkommen zu erzwingen, die als sogenannte »Clearing«-Abkommen bekannt waren, und zum fast ausschließlichen Nutzen des Besatzungsträgers funktionierten.

Auf diese Weise verschaffte sich die Besatzungsmacht in betrügerischer Weise die Zahlungsmittel, deren sie zur Durchführung von Operationen zu ihrem ausschließlichen Vorteil bedurfte, und die sich auf erhebliche Beträge beliefen.

Alle landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnisse, alle Rohstoffe und Erzeugnisse aller Art sowie alle Dienstleistungen, die von Deutschland scheinbar regelmäßig, sei es durch Banknoten der Reichskreditkasse oder durch sogenannte Clearing-Abkommen, oder durch Kriegstribute, die als Entschädigungen für den Unterhalt der Besatzungstruppen galten, bezahlt wurden, sind wissentlich ohne jede Gegenleistung erbracht worden.

Es steht fest, daß derartige Regelungen nur fiktiv waren, und daß sie das am häufigsten angewandte betrügerische Verfahren darstellten, um die wirtschaftliche Ausplünderung der westeuropäischen Länder zu verwirklichen.

Alle diese Fragen werden im Verlauf unserer Darlegungen noch genauer untersucht werden. Um aber die wirtschaftliche Ausplünderung der besetzten Gebiete mittels ihres eigenen Geldes durchzuführen, mußte dieses Geld in seiner angemessenen Kaufkraft erhalten werden, weshalb sich die Deutschen um eine Stabilisierung der Preise bemühten. Eine solche Reglementierung stellte die Preiserhöhung unter Strafe, wie aus verschiedenen Erlassen hervorgeht, die auf den Seiten 8, 60 und 535 des VOBIF abgedruckt sind und die ich nunmehr als Dokument RF-101 vorlege. Jedoch konnte die Zuflucht zu solchen Maßnahmen das Spiel der wirtschaftlichen Gesetze nicht verhindern. Die Bezahlung von Kriegstributen, die im Vergleich zu den Hilfsquellen der überfallenen Länder übermäßig hoch waren, hatte eine fortschreitende Preissteigerung zur Folge. Die leitenden Persönlichkeiten des Reiches waren sich der Lage vollständig bewußt, verfolgten die Preissteigerung mit der größten Aufmerksamkeit und versuchten, ihr Einhalt zu gebieten.

Wir wissen dies aus den geheimen Berichten von Hemmen, dem Vorsitzenden der Wirtschaftsabteilung bei der Waffenstillstandskommission. Wir werden diesen Bericht behandeln, wenn wir den besonderen Fall Frankreichs besprechen werden.

Kapitel 2: Unterjochung der Produktionskraft der besetzten Gebiete.

Als die Deutschen die Länder Westeuropas überfielen, herrschte dort als Folge dieses Überfalls die größte Unordnung. Die Bevölkerung hatte sich angesichts des vorrückenden Feindes zurückgezogen. Die Industrien waren lahmgelegt. Deutsche Truppen bewachten die Fabriken und verwehrten jedem den Eintritt. Es ist mir nicht möglich, eine Liste der betroffenen Industrieunternehmen zu geben, da sie fast alle unter dieser Situation zu leiden hatten.

Als Beispiel will ich jedoch dem Gerichtshof das Original einer der zahlreichen Bekanntmachungen vorlegen, die in den Industrieunternehmen Frankreichs angeschlagen wurden. Ich lege diese Bekanntmachung dem Gerichtshof als RF-102 vor. Sie ist vom 28. Juni 1940 datiert und stammt aus Paris. Ein Text ist deutsch und der andere ist französisch:

»Dieser Betrieb ist gemäß Befehl des Generalfeldmarschalls Göring vom 28. 6. 1940 vom Generalluftzeugmeister treuhänderisch übernommen.

Das Betreten desselben ist nur mit besonderer Genehmigung des Generalluftzeugmeisters Verbindungsstelle Paris gestattet.«

Kaum waren diese Fabriken militärisch besetzt, als unmittelbar nach den Truppen deutsche Ingenieure eintrafen, die eine methodische Entfernung der besten Maschinen durchführten. Aus einem vom Dezember 1940 stammenden Geheimbericht des Obersten Hedler vom Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des OKW, Seite 77 und 78, geht hervor, daß die Wegnahme der besten Maschinen in den besetzten Gebieten organisiert werden sollte, trotz der Bestimmungen des Artikels 53 des Haager Abkommens. Ich lege dieses Dokument als EC-84, RF-103 vor.

Andererseits versammelten sich die bereits mittellosen Arbeiter sofort nach dem Einfall um diese Fabriken, in der Hoffnung, durch Arbeit ihren Lebensunterhalt zu sichern.

In allen besetzten Gebieten erhoben sich die gleichen Probleme, nämlich die Plünderung der Maschinen, die in einem schnellen Tempo vor sich ging, zu stoppen und den Arbeitern Arbeit zu verschaffen.

Die Deutschen verfügten ihrerseits die Wiederaufnahme der Arbeit in den Fabriken, und zwar unter dem Vorwand, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Die Verordnung vom 20. Mai 1940, die in der VOBIF auf Seite 31 veröffentlicht ist und die wir als Dokument RF-104 vorlegen, schreibt bezüglich der Niederlande, Hollands, Belgiens, Luxemburgs und Frankreichs die Wiederaufnahme der Arbeit in allen Handwerksbetrieben, Betrieben der Nahrungsmittelindustrie und der Landwirtschaft vor. Die gleiche Verordnung schreibt die Ernennung vorläufiger Administratoren in denjenigen Fällen vor, in denen die Leiter abwesend sind oder andere Gründe höherer Gewalt vorliegen.

VORSITZENDER: Vielleicht könnten wir jetzt abbrechen.