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MAJOR BARRINGTON: Meine Herren Richter! Ich hatte gerade aus dem Ernennungsschreiben zum Botschafter in Wien verlesen, das Hitler am 26. Juli 1934 an Papen gesandt hatte. Dieser Brief, der selbstverständlich veröffentlicht wurde, verriet natürlich nicht den wahren Zweck der Ernennung von Papens. Der wirkliche Charakter der Mission von Papens wurde bald nach seiner Ankunft in Wien im Verlauf einer privaten Unterhaltung mit dem Amerikanischen Gesandten, Herrn Messersmith, offen dargetan.

Ich zitiere aus der eidesstattlichen Erklärung des Herrn Messersmith, Dokument 1760-PS, Beweisstück US-57, Seite 22 des Dokumentenbuches, ungefähr in der Mitte des zweiten Absatzes. Herr Messersmith erklärte:

»Als ich von Papen in der Deutschen Gesandtschaft besuchte, begrüßte er mich mit den Worten: ›Jetzt sind Sie in meiner Gesandtschaft und ich kann die Unterhaltung führen‹. In nacktester und zynischster Weise fuhr er dann fort, mir zu erzählen, daß ganz Südeuropa bis zu der türkischen Grenze Deutschlands natürliches Hinterland sei und daß er dazu berufen sei, die deutsche wirtschaftliche und politische Kontrolle über dieses ganze Gebiet für Deutschland zu erleichtern. Er sagte trocken und ungeschminkt, daß das Erreichen der Kontrolle über Österreich der erste Schritt hierzu sei. Er erklärte mit Bestimmtheit, daß er in Österreich sei, um die Österreichische Regierung zu untergraben und zu schwächen, und um von Wien aus an einer Schwächung der Regierungen in anderen Staaten im Süden und Süd osten zu arbeiten. Er sagte, daß er seinen Ruf als guter Katholik ausnützen wolle, um Einfluß auf gewisse Österreicher, wie Kardinal Innitzer, zu diesem Zweck auszuüben.«

Während der ganzen ersten Zeit seines Auftrags in Österreich zeichnete sich Papens Tätigkeit dadurch aus, daß er sich eifrig bemühte, jeden Anschein einer Einmischung zu vermeiden. Seine wahre Aufgabe wurde einige Monate nach seinem Amtsantritt nochmals mit voller Klarheit bestätigt. Er wurde von Berlin angewiesen, daß während der nächsten zwei Jahre nichts unternommen werden könne, was Deutschland außenpolitische Schwierigkeiten bereiten könne; auch sei jeder Anschein einer deutschen Einmischung in österreichische Angelegenheiten zu vermeiden. Von Papen selbst äußerte sich Berger-Waldenegg, dem österreichischen Außenminister, gegenüber:

»Ja, Sie haben jetzt Ihre französischen und englischen Freunde, und Sie können Ihre Unabhängigkeit ein bißchen länger behalten.«

Alles dies wurde von Herrn Alderman eingehend behandelt, der wiederum aus dem Affidavit von Herrn Messersmith zitierte. Sie finden die Zitate in dem Sitzungsprotokoll Band II, Seite 401 bis 403.

Während dieser ersten Zeit nahm die Nazi-Bewegung in Österreich an Stärke zu, ohne daß eine deutsche Einmischung offen zugegeben wurde; Deutschland brauchte mehr Zeit, um seine diplomatische Stellung zu festigen. Diese Gründe für die deutsche Politik wurden von dem deutschen Außenminister von Neurath bei einer Unterhaltung mit dem Amerikanischen Botschafter in Frankreich offen zum Ausdruck gebracht. Dies wurde von Herrn Alderman aus Dokument L-150, Beweisstück US-65, in das Sitzungsprotokoll Band II, Seite 422/23, verlesen.

Der Angeklagte von Papen beschränkte daher seine Tätigkeit auf die üblichen Funktionen eines Gesandten; er pflegte Gesellschaftsverkehr mit allen angesehenen Kreisen in Österreich und machte sich in diesen Kreisen beliebt. Trotz seiner Maske der strengen Nichteinmischung blieb von Papen mit umstürzlerischen Elementen in Österreich in Fühlung. So empfahl er in seinem Bericht an Hitler vom 17. Mai 1935 die österreichische Nazi-Strategie, wie sie von Hauptmann Leopold, dem Führer der illegalen österreichischen Nazis, vorgeschlagen worden war; sie zielte darauf ab, Dr. Schuschnigg durch ein Täuschungsmanöver zur Gründung einer österreichischen Koalitionsregierung mit der Nazi-Partei zu veranlassen. Dies geht aus Dokument 2247-PS, Beweisstück US-64, und dem Sitzungsprotokoll Band II, Seite 420/21, hervor; es steht auf Seite 34 des englischen Dokumentenbuches. Ich möchte diesen Brief nicht noch einmal verlesen, sondern die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs nur auf die erste Zeile des zweiten Absatzes im englischen Text lenken. Von Papen spricht dort über die Pläne des Hauptmanns Leopold und sagt:

»Ich schlage vor, in dieses Spiel aktiv einzugreifen.«

Im Zusammenhang mit den illegalen Organisationen in Österreich erwähne ich Dokument 812-PS, US-61. Dies war, wie sich der Gerichtshof erinnern wird, ein Bericht von Rainer an Bürckel. Er ist im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 406 bis 416, behandelt.

Schließlich wurde das Abkommen vom 11. Juli 1936 zwischen Deutschland und Österreich durch den Angeklagten von Papen zustandegebracht. Es liegt bereits als Dokument TC-22, Beweisstück GB-20, dem Gerichtshof vor. Die für die Öffentlichkeit bestimmte Fassung dieses Abkommens sieht vor, daß sich Österreich in seiner Politik als ein deutscher Staat bekennen solle, während Deutschland die volle Souveränität Österreichs anerkennen und weder unmittelbar noch mittelbar auf seine innerpolitische Gestaltung Einwirkung nehmen wolle. Weitaus interessanter war der Geheime Teil der Vereinbarung, wie er von Herrn Messersmith enthüllt wurde. Danach sicherten sich die Nazis Einfluß auf das österreichische Kabinett und Teilnahme an dem politischen Leben Österreichs. Auch dies wurde schon von Herrn Alderman in das Sitzungsprotokoll Band II, Seite 424/25, verlesen.

Nach dieser Vereinbarung setzte der Angeklagte von Papen seine Politik, die Fühlung mit den illegalen Nazis aufrecht zu erhalten, fort, indem er versuchte, die Ernennungen für Schlüsselstellungen im Kabinett zu beeinflussen und die offizielle Anerkennung der Frontorganisation der Nazis durchzusetzen. In einem Bericht an Hitler vom 1. September 1936 faßte er sein Programm zur Normalisierung der österreichisch- deutschen Beziehungen gemäß der Vereinbarung vom 11. Juli 1936 zusammen. Dies ist Dokument 2246-PS. Beweisstück US-67. Seite 33 des englischen Dokumentenbuches.

Wie sich der Gerichtshof erinnern wird, empfahl er als leitenden Grundsatz eine fortgesetzte, geduldige und psychologische Behandlung mit langsam zunehmendem Druck, der sich auf eine Änderung des Regimes richten sollte. Dann spricht er über seine Verhandlungen mit der illegalen Partei und sagt, daß er auf eine korporative Vertretung der Bewegung in der Vaterländischen Front hinziele; trotzdem wolle er davon absehen, führende Nationalsozialisten im gegenwärtigen Augenblick in wichtige Stellungen zu bringen.

Es ist nicht notwendig, noch einmal all die Ereignisse zu behandeln, die zu der Besprechung zwischen Schuschnigg und Hitler im Februar 1938, die von Papen arrangiert und an der er teilgenommen hatte, und die schließlich zur Invasion Österreichs im März 1938 führten. Es genügt, wenn ich noch einmal aus der Biographie, Seite 66 des Dokumentenbuches, zitiere. Das Zitat befindet sich ungefähr im letzten Drittel der Seite:

»Nach der dann durch die Ereignisse des März 1938 bewirkten Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich hatte von Papen noch die Genugtuung, an der Seite des Führers dessen Einzug in Wien beiwohnen zu können, nachdem ihn der Führer in Würdigung seiner wertvollen Mitarbeit am 14. Februar 1938 in die NSDAP aufgenommen und ihm das Goldene Parteiabzeichen verliehen hatte.«

Die Biographie fährt dann fort:

»Von Papen zog sich dann zunächst auf seine Besitzung Wallerfangen im Saargebiet zurück, jedoch griff der Führer bald auf ihn wieder zurück, indem er am 18. April 1939 von Papen zum Deutschen Botschafter in Ankara ernannte.«

Die Verlockung, Hitler zu dienen, triumphierte noch einmal. Diesmal geschah es zu einem Zeitpunkt, als die Besetzung der Tschechoslowakei bei Papen nicht den Schatten eines Zweifels hinterlassen haben konnte, daß Hitler entschlossen war, sein Angriffsprogramm weiter fortzusetzen.

Ein weiteres Zitat aus der Biographie, Seite 66, letzter Satz des vorletzten Absatzes, lautet wie folgt:

»An von Papen wurde nach seiner Rückkehr ins Reich« – das war im Jahre 1944 – »das Ritterkreuz des Kriegsverdienstordens mit Schwertern verliehen.«

Abschließend möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs noch einmal auf die widerlichen Lobreden lenken, mit denen Hitler von Papen für seine Dienste, besonders in den früheren Tagen, öffentlich bedachte. Ich habe zwei Beispiele gebracht, wo Hitler sagte: »Seine Mitarbeit ist eine unendlich wertvolle« und dann:

»Sie besitzen mein vollstes und uneingeschränktes Vertrauen.«

Papen, der ehemalige Kanzler, der Soldat, der geachtete Katholik, Papen, der Diplomat, Papen, der Mann von Bildung und Kultur, das war der Mann, der die Feindseligkeit und Antipathie jener angesehenen Kreise überbrücken konnte, die Hitlers Weg versperrten. Papen war, um die Worte von Sir Hartley Shawcross in seiner Eröffnungsrede zu wiederholen, einer der »Männer, durch deren Mitwirkung und Unterstützung die Nazi-Regierung in Deutschland möglich gemacht wurde«.

Damit ist mein Fall beendet. Sir David Maxwell- Fyfe wird sich jetzt mit dem Fall von Neurath anschließen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hoher Gerichtshof! Der Beweisvortrag gegen den Angeklagten von Neurath zerfällt in fünf Teile. Der erste befaßt sich mit den folgenden Stellungen und Auszeichnungen, die er erhielt: Er war Mitglied der Nazi-Partei vom 30. Januar 1937 bis 1945; das Goldene Parteiabzeichen wurde ihm am 30. Januar 1937 verliehen. Er war SS-General, wurde im September 1937 von Hitler persönlich zum Gruppenführer ernannt und am 21. Juni 1943 zum Obergruppenführer befördert. Er war Reichsaußenminister unter der Kanzlerschaft des Angeklagten von Papen seit dem 2. Juni 1932 und unter der Kanzlerschaft Hitlers seit dem 30. Januar 1933, bis er am 4. Februar 1938 von dem Angeklagten von Ribbentrop ersetzt wurde. Er war Reichsminister vom 4. Februar 1938 bis Mai 1945. Er wurde am 4. Februar 1938 zum Vorsitzenden des Geheimen Kabinettsrats ernannt und gehörte dem Reichsverteidigungsrat an. Er war Reichsprotektor von Böhmen und Mähren vom 18. März 1939 bis zu seiner Ersetzung durch den Angeklagten Frick am 25. August 1943. Er erhielt bei seiner Ernennung zum Reichsprotektor von Hitler den Adlerorden. Außer ihm hat nur der Angeklagte von Ribbentrop als Deutscher diesen Orden erhalten.

Hoher Gerichtshof! Diese Tatsachen sind in Dokument 2972-PS, Beweisstück US-19, zusammengestellt. In diesem Dokument, das von dem Angeklagten und seinem Verteidiger unterzeichnet wurde, gibt der Angeklagte zu einigen dieser Punkte Erläuterungen, die ich hier behandeln möchte.

Er behauptet, daß die Verleihung des Goldenen Parteiabzeichens am 30. Januar 1937 gegen seinen Willen und ohne seine vorherige Befragung erfolgte.

Ich weise darauf hin, daß der Angeklagte diese angeblich unerwünschte Ehre nicht nur nicht zurückwies, sondern daß er nach ihrem Empfang an Besprechungen teilnahm, bei denen Angriffskriege geplant wurden, daß er sich danach aktiv an dem Raub Österreichs beteiligte und Böhmen und Mähren tyrannisierte.

Er macht zweitens geltend, daß seine Ernennung zum Gruppenführer ebenfalls gegen seinen Willen und ohne seine vorherige Befragung erfolgt sei.

Hier weist die Anklagebehörde darauf hin, daß das Tragen der Uniform, die Annahme einer weiteren Beförderung zum Obergruppenführer und sein Vorgehen gegen Böhmen und Mähren bei der Würdigung der Einlassung des Angeklagten in Betracht gezogen werden muß.

Er erklärt weiterhin, daß seine Ernennung zum Außenminister durch den Reichspräsidenten von Hindenburg erfolgt sei.

Wir brauchen unseres Erachtens hier nicht mehr zu tun, als auf die Persönlichkeit des Angeklagten von Papen und Hitlers sowie auf die Tatsache hinzuweisen, daß Präsident von Hindenburg schon im Jahre 1934 gestorben ist. Der Angeklagte blieb jedoch bis 1938 Außenminister.

Er behauptet sodann, daß er vom 4. Februar 1938 bis Mai 1945 nur inaktiver Reichsminister gewesen sei.

Hier lenken wir die Aufmerksamkeit auf seine später zu erörternde Tätigkeit und auf das grauenhafte Beweismaterial über Böhmen und Mähren, das von unserem Freund, dem sowjetischen Anklagevertreter, vorgelegt werden wird.

Die nächste Einlassung des Angeklagten ist, daß der Geheime Kabinettsrat niemals zusammengetreten ist oder beraten hat.

Ich möchte dem Gerichtshof aufzeigen, daß der Kabinettsrat als ein engerer Ausschuß des Kabinetts zur Beratung außenpolitischer Fragen bezeichnet wurde; der Gerichtshof wird diese Beschreibung in Dokument 1774-PS finden, das ich nunmehr als Beweisstück GB-246 vorlege. Hier handelt es sich um einen Auszug aus dem Buche eines bekannten Verfassers. Auf Seite 2 des Dokumentenbuches auf der ersten Seite dieses Dokuments, etwa in der siebenten Zeile von unten, werden Sie finden, daß unter den Dienststellen, die dem Führer zur unmittelbaren Beratung und Unterstützung untergeordnet waren, als vierte der Geheime Kabinettsrat, Präsident: Reichsminister Freiherr von Neurath, erwähnt ist.

Wenn die Herren Richter nun bitte Seite 3 einsehen würden, so werden Sie etwa zehn Zeilen von oben den Absatz finden, der wie folgt beginnt:

»Zur Beratung des Führers in den grundsätzlichen Fragen der Außenpolitik ist durch Erlaß vom 4. Februar 1938« – hier folgt eine Quellenangabe – »ein Geheimer Kabinettsrat gebildet worden, der unter der Leitung des Reichsministers von Neurath steht und dem der Außenminister, der Luftfahrtminister, der Stellvertreter des Führers, der Propagandaminister, der Chef der Reichskanzlei, die Oberbefehlshaber des Heeres und der Kriegsmarine und der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht angehören. Der Geheime Kabinettsrat bildet einen engeren Mitarbeiterstab des Führers, der ausnahmslos aus Mitgliedern der Reichsregierung besteht; er stellt in diesem Sinne einen engeren Ausschuß der Reichsregierung für die Beratung außenpolitischer Fragen dar.«

Was die äußere Zusammensetzung der Körperschaft anlangt, so geht sie aus Dokument 2031-PS, Beweisstück GB-217, hervor. Ich glaube, es ist bereits vorgelegt, und ich brauche es nicht noch einmal zu verlesen.

Hinsichtlich seiner Ämter macht der Angeklagte geltend, daß er dem Reichsverteidigungsrat nicht angehört habe.

Wenn ich diesen Punkt ganz kurz nach den einzelnen Zeitabschnitten behandeln darf, so erinnere ich den Gerichtshof zunächst daran, daß der Reichsverteidigungsrat kurz nach Hitlers Machtübernahme am 4. April 1933 geschaffen wurde. Der Gerichtshof wird eine Bemerkung darüber in Dokument 2261-PS, Beweisstück US-24, finden. Am Anfang der Seite 12 des Dokumentenbuches steht ein Hinweis auf das Datum der Errichtung des Verteidigungsrates.

Auch das Dokument 2986-PS, Beweisstück US- 409, beschäftigt sich mit dem Reichsverteidigungsrat. Dies ist eine eidesstattliche Erklärung des Angeklagten Frick, die der Gerichtshof auf Seite 14 des Dokumentenbuches findet. In der Mitte dieses kurzen Affidavits erklärt der Angeklagte Frick:

»Wir waren auch Mitglieder des Reichsverteidigungsrates, der Vorbereitungen und Verordnungen für den Fall eines Krieges planen sollte, die später von dem Ministerrat für die Reichsverteidigung veröffentlicht wurden.«

Dokument EC-177, Beweisstück US-390, zeigt nun, daß zu den Mitgliedern dieses Rates auch der Minister für Auswärtige Angelegenheiten gehörte; dies war damals der Angeklagte von Neurath. Auf Seite 16 des Dokumentenbuches wird der Gerichtshof das Dokument und am Ende der Seite die Zusammensetzung des Reichsverteidigungsrates und die ständigen Mitglieder einschließlich des Außenministers finden. Das Dokument trägt das Datum »Berlin, den 22. Mai 1933«; es fällt also in die Zeit, während der der Angeklagte dieses Amt innehatte. Das ist der erste Zeitabschnitt.

Die Tätigkeit dieses Rates in Anwesenheit eines Vertreters aus dem Amte des Angeklagten, von Bülow, ergibt sich aus einer Sitzungsniederschrift über die zwölfte Sitzung vom 14. Mai 1936. Es ist Dokument EC-407, das ich als Beweisstück GB-247 einreiche. Der Gerichtshof wird auf Seite 21 feststellen, daß sich das Protokoll auf den 14. Mai 1936 bezieht; in der Mitte der Seite 22 befindet sich sogar ein Hinweis auf einen Einspruch von Bülows.

Der nächste Zeitabschnitt begann nach dem geheimen Gesetz vom 4. September 1938. Im Sinne dieses Gesetzes war der Angeklagte kraft seines Amtes als Präsident des Geheimen Kabinettsrats Mitglied des Reichsverteidigungsrates. Dies ergibt sich aus Dokument 2194-PS, Beweisstück US-36, das sich auf Seite 24 befindet. Auf Seite 24 werden Sie sehen, daß gerade die Abschrift, die als Beweisstück vorgelegt wurde, einem an den Reichsprotektor in Böhmen und Mähren gerichteten Brief vom 4. September 1939 beigefügt war. Es ist ziemlich merkwürdig, daß der Reichsprotektor in Böhmen und Mähren jetzt seine Mitgliedschaft in diesem Rate leugnet, wenn der Brief, dem das Gesetz beigefügt war, an ihn gerichtet war.

Wenn der Gerichtshof bitte Seite 28 einsehen will – es ist noch dasselbe Dokument – so beschreiben die letzten Worte auf dieser Seite die Aufgaben dieses Rates wie folgt:

»Die Aufgabe des Reichsverteidigungsrates besteht im Frieden in der Entscheidung über alle Maßnahmen für die Vorbereitung der Reichsverteidigung und die Erfassung aller Kräfte und Mittel der Nation nach den Weisungen des Führers und Reichskanzlers. Die Aufgaben des Reichsverteidigungsrates im Kriege werden durch den Führer und Reichskanzler besonders festgelegt.«

Auf der nächsten Seite sind die ständigen Mitglieder des Rates verzeichnet. Der Siebente ist der Präsident des Geheimen Kabinettsrates; das war wiederum der Angeklagte.

Nach meinem Dafürhalten ist damit für jeden in Betracht kommenden Zeitabschnitt die Erklärung des Angeklagten, er habe dem Reichsverteidigungsrat nicht angehört, abgetan.

Der zweite schwerwiegende Vorwurf, den die Anklagebehörde gegen den Angeklagten erhebt, ist der, daß er zugleich mit der Annahme des Postens eines Außenministers in Hitlers Kabinett die Führung einer Außenpolitik übernahm, die auf den Bruch von Verträgen ausgerichtet war.

Wir behaupten zunächst, daß die Nazi-Partei wiederholt und viele Jahre lang ihre Absicht kundgetan hatte, Deutschlands internationale Verpflichtungen, sogar auf die Gefahr eines Krieges hin, über Bord zu werfen. Wir verweisen auf die Punkte 1 und 2 des Parteiprogramms, das, wie der Gerichtshof gehört hat, Jahr für Jahr veröffentlicht wurde. Dies steht auf Seite 32 des Dokumentenbuches, Dokument 1708-PS, Beweisstück US-255.

Ich erinnere den Gerichtshof lediglich an die Punkte 1 und 2, die wie folgt lauten:

»1. Wir fordern den Zusammenschluß aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Völker zu einem Großdeutschland.

2. Wir fordern die Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen, Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain.«

Aber wahrscheinlich noch deutlicher als dies ist die Erklärung in Hitlers Münchener Rede vom 15. März 1939. Der Gerichtshof wird eine Stelle daraus auf Seite 40 finden. Ungefähr in der Mitte dieser Seite heißt es:

»Und genau so war es auch außenpolitisch. Und hier habe ich ein Programm aufgestellt: Beseitigung von Versailles. Man soll heute in der anderen Welt nicht blöde tun, als ob das etwa ein Programm wäre, das ich im Jahre 1933 entdeckt hätte oder 1935 oder 1937. Die Herren hätten bloß über mich, statt daß sie ihr blödes Emigrantengeschwafel anhörten, einmal lesen sollen, was ich geschrieben habe, und zwar tausendmal geschrieben habe.«

Es sollte also für Ausländer ein nutzloses Blödsein sein, dies in Zweifel zu ziehen. Dann muß es aber für Hitlers Außenminister um so nutzloser sein, zu behaupten, daß er von den Angriffszielen dieser Politik nichts gewußt habe. Ich erinnere aber den Gerichtshof daran, daß die Gewaltanwendung als Mittel zur Lösung internationaler Probleme und zur Erreichung der Ziele der Hitlerschen Außenpolitik jedem bekannt gewesen sein mußte, der in so enger Fühlung mit Hitler stand wie der Angeklagte von Neurath. Ich erinnere den Gerichtshof ferner durch einen bloßen Hinweis an die Stellen aus »Mein Kampf«, die mein Freund Major Elwyn Jones schon zitiert hat, insbesondere an jene Stellen am Ende des Buches, Seite 552, 553 und 554.

Die Anklagebehörde behauptet deshalb, daß der Angeklagte von Neurath den Aufstieg der Nazi-Partei zur Macht durch die Annahme dieser Außenpolitik unterstützte und förderte.

Der dritte wichtige Punkt ist der, daß der Angeklagte in seiner Eigenschaft als Reichsaußenminister den zwischenstaatlichen Teil des ersten Abschnitts der Nazi-Verschwörer, die Festigung der Herrschaft in Vorbereitung für den Krieg, leitete.

Wie ich bereits aufgezeigt habe, mußte der Angeklagte dank seiner engen Beziehungen zu Hitler die Kardinalpunkte seiner Politik, die zum Ausbruch des Weltkrieges führten, wie Hitler dies rückblickend in seiner Rede vor seinen militärischen Führern am 23. November 1939 dargelegt hat, gekannt haben.

Diese Politik hatte zwei Ziele: Im Innern die Schaffung einer straffen Kontrolle; nach außen das Programm einer Befreiung Deutschlands von seinen internationalen Bindungen.

Das außenpolitische Programm hatte vier Punkte: 1. Lossagung von der Abrüstungskonferenz; 2. Befehl zur Wiederaufrüstung Deutschlands; 3. Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und 4. Remilitarisierung des Rheinlandes.

Ich verweise den Gerichtshof auf Seite 35 des Dokumentenbuches. Am Schluß des ersten Absatzes finden Sie diese Punkte ganz kurz dargestellt. Vielleicht darf ich diese Stelle aus Dokument 789-PS, Beweisstück US-23, verlesen; sie beginnt ungefähr zehn Zeilen vor dem Ende des Absatzes:

»Ich mußte alles neu reorganisieren, angefangen vom Volkskörper bis zur Wehrmacht. Erst innere Reorganisation, Beseitigung der Erscheinungen des Zerfalls und des defaitistischen Geistes, Erziehung zum Heroismus. Im Zuge der inneren Reorganisation nahm ich mir die zweite Aufgabe vor: Lösung Deutschlands aus den internationalen Bindungen. Zwei besondere Merkmale sind hierbei hervorzuheben: Austritt aus dem Völkerbund und Absage an die Abrüstungskonferenz. Es war ein schwerer Entschluß. Die Zahl der Propheten, die erklärten, es werde zur Besetzung des Rheinlandes führen, war sehr groß; die Zahl der Gläubigen war sehr gering. Ich führte meine Absicht durch, gedeckt durch die Nation, die geschlossen hinter mir stand. Danach Befehl zur Aufrüstung. Auch hier wieder zahlreiche Propheten, die das Unglück kommen sahen, und nur wenige Gläubige. 1935 folgte die Einführung der Wehrpflicht. Danach Remilitarisierung des Rheinlands, wieder damals ein Vorgang, den man zunächst nicht für möglich hielt. Die Zahl derer, die an mich glaubten, war sehr gering. Dann Beginn der Befestigungen des ganzen Gebietes, vor allen Dingen im Westen.«

Dies habe ich also in vier Punkten zusammengefaßt. Der Angeklagte von Neurath nahm unmittelbar und persönlich an der Erreichung jedes dieser vier Ziele der Außenpolitik Hitlers teil. Zu gleicher Zeit verkündete er offiziell, daß diese Maßnahmen keine Schritte zu einem Angriffskrieg darstellten.

Der erste Punkt ist geschichtsbekannt. Als Deutschland die Abrüstungskonferenz verließ, sandte der Angeklagte am 14. Oktober 1933 Telegramme an den Präsidenten der Konferenz. Sie sind in den »Dokumenten der deutschen Politik« auf Seite 94 des ersten Bandes für das Jahr 1933 abgedruckt. In ähnlicher Weise gab der Angeklagte Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund am 21. Oktober 1933 bekannt. Dies befindet sich wiederum in den offiziellen Dokumenten. Ich erinnere den Gerichtshof weiter an die ergänzenden Dokumente über die militärischen Vorbereitungen und zwar an Dokument C-140, Beweisstück US-51, vom 25. Oktober 1933, und C-153, Beweisstück US-43, vom 12. März 1934. Diese sind bereits verlesen worden, und ich erwähne sie nur nochmals zur Gedächtnishilfe für den Gerichtshof.

Der zweite Punkt ist die Wiederaufrüstung Deutschlands: Als der Angeklagte Außenminister war, gab die Deutsche Regierung die Schaffung der deutschen Luftwaffe am 9. März 1935 amtlich bekannt. Dies ergibt sich aus Dokument TC-44, Beweisstück GB-11, auf das schon verwiesen wurde. Am 21. Mai 1935 gab Hitler die bewußt einseitige Aufkündigung der Bestimmungen über Landheer, Seemacht und Luftfahrt des Versailler Vertrags bekannt; dies bedingte natürlich zugleich eine entsprechende, bewußt einseitige Aufkündigung der Bestimmungen des Vertrags für die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen mit den Vereinigten Staaten. Das ergibt sich aus dem bereits verlesenen Dokument 2288-PS, Beweisstück US-38. Am gleichen Tage erließ das Reichskabinett, dessen Mitglied der Angeklagte war, das geheime »Reichsverteidigungsgesetz« und schuf das Amt des Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft, das später von dem Rüstungsfachmann der Wehrmacht als »Grundstein für die Kriegsvorbereitungen« bezeichnet wurde. Das Gesetz ist einem Brief von Blombergs vom 24. Juni 1935 beigefügt und liegt dem Gerichtshof bereits vor; es handelt sich um Dokument 2261-PS, Beweisstück US-24. Die Bemerkung über die Wichtigkeit des Gesetzes findet sich in Dokument 2353-PS, Beweisstück US-35. Ein Teil dieses Dokuments ist ebenfalls schon verlesen worden. Wenn der Gerichtshof sich der Seite 52 zuwenden möchte, wo davon die Rede ist, werden Sie einen Auszug finden. Ich möchte daraus nur den letzten Satz verlesen:

»Die neuen Bestimmungen wurden im Reichsverteidigungsgesetz vom 21. Mai 1935 festgelegt, das erst im Kriegsfall veröffentlicht werden sollte, aber mit seinen Bestimmungen schon für die Kriegsvorbereitungen in Kraft trat. Da dieses Gesetz... die Aufgaben der Wehrmacht und der übrigen Reichsbehörden im Kriege festlegt, war es auch für den Aufbau und die Tätigkeit der Wehrwirtschaftsorganisation grundlegend und ausschlaggebend.«

Der dritte Punkt ist die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Am 16. März unterzeichnete der Angeklagte das Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht, das die allgemeine Wehrpflicht und eine bedeutend verstärkte Armee vorsah. Dies wurde von dem Angeklagten Keitel als der praktische Beginn des folgenden großangelegten Wiederaufrüstungsprogramms bezeichnet. Die amtliche Quelle hierfür ist das Reichsgesetzblatt 1935, Band I, Teil 1. Seite 369. Im Sitzungsprotokoll ist dies in Band II auf den Seiten 340, 376 und 377 behandelt.

Der vierte Punkt ist die Remilitarisierung des Rheinlandes. Das Rheinland wurde am 7. März 1936 wieder besetzt. Ich erinnere den Gerichtshof an die beiden ergänzenden Dokumente 2289-PS, Beweisstück US-56, die Ankündigung dieses Unternehmens durch Hitler, und C-139, Beweisstück US-53, das Unternehmen »Schulung«, worin die militärischen Operationen festgelegt sind, die im Falle eintretender Notwendigkeit durchgeführt werden sollten. Im Sitzungsprotokoll ist dies in Band II, Seiten 379 bis 384, behandelt. Dies waren die Handlungen, für die der Angeklagte auf Grund seiner Stellung und der von ihm unternommenen Schritte mitverantwortlich ist. Etwas später faßte er seine Ansichten über die oben im einzelnen angeführten Handlungen in einer Rede zusammen, die er vor Auslandsdeutschen am 29. August 1937 hielt. Ich bitte den Gerichtshof, hiervon amtlich Kenntnis zu nehmen. Die Rede erscheint im »Archiv« von 1937 auf Seite 650. Ich zitiere nur einen kurzen Teil dieser Rede, der auf Seite 72 des Dokumentenbuches steht:

»Die vom Nationalsozialismus mit beispiellosem Elan geschaffene Einheit des Volks- und Staatswillens hat eine Außenpolitik ermöglicht, durch die die Fesseln des Versailler Diktates gesprengt, die Wehrfreiheit wiedergewonnen und die Souveränität im ganzen Staatsgebiet wieder hergestellt wurde. Wir sind überhaupt wieder Herr im eigenen Hause geworden und haben uns auch die Machtmittel geschaffen, die nun auch in aller Zukunft bleiben... Die Welt sollte aus den Taten und Worten... Hitlers erkannt haben, daß seine Ziele keine ag gressiven sind.«

Die Welt freilich hatte nicht den Vorzug, Einblick zu nehmen in diese verschiedenen ergänzenden Dokumente über die militärischen Vorbereitungen, die ich dem Gerichtshof vorzulegen Gelegenheit hatte.

Der nächste Abschnitt und der nächste Punkt gegen diesen Angeklagten besagen, daß er sowohl als Reichsaußenminister als auch als einer der vertrauten Berater des Führers für außenpolitische Angelegenheiten an der politischen Planung und Vorbereitung der Angriffe gegen die Tschechoslowakei, Österreich und andere Länder beteiligt war.

Wenn ich zunächst die Politik des Angeklagten in einem Satz kennzeichnen darf, so kann man sie dahin zusammenfassen, daß er nie mehr als einen Vertrag auf einmal verletzt hat. Er selbst hat es, wenn ich so sagen darf, etwas hochtrabender ausgedrückt, aber es kommt auf dasselbe hinaus. In einer Rede vor der Akademie für Deutsches Recht vom 30. Oktober 1937, die im »Archiv« vom Oktober 1937 auf Seite 921, Seite 73 des Dokumentenbuches, steht, sagte er folgendes; die Unterstreichungen stammen von mir:

»Aus der Erkenntnis dieser elementaren Tatsachen heraus ist die Reichsregierung stets dafür eingetreten, jedes konkrete internationale Problem nach den gerade dafür geeigneten Methoden zu behandeln, es nicht unnötig durch die Verquickung mit anderen Problemen zu komplizieren und, soweit es sich um Probleme zwischen nur zwei Mächten handelt, dafür auch den Weg unmittelbarer Verständigung zwischen diesen beiden Mächten zu wählen. Wir können uns darauf berufen, daß sich diese politische Methode nicht nur im deutschen, sondern auch im allgemeinen Interesse voll bewährt hat

Das einzige Land, dessen Interessen nicht erwähnt sind, sind die Gegenkontrahenten der verschiedenen Verträge, die in dieser Weise behandelt werden. Wie sich diese Politik auswirkte, läßt sich sehr leicht aus der folgenden tabellarischen Darstellung der Handlungen des Angeklagten erkennen, als er Außenminister war oder während der Amtszeit seines unmittelbaren Nachfolgers, als der Angeklagte noch einen Einfluß gehabt zu haben scheint.

Im Jahre 1935 richtete sich das Vorgehen gegen die Westmächte. Dieses Vorgehen bestand in der Wiederaufrüstung Deutschlands. Während dies geschah, mußte ein anderes Land Zusicherungen erhalten. Damals war es Österreich, das bis 1935 noch von Italien unterstützt wurde. Hier haben wir also die schwindelhafte Zusicherung, die den Kern dieser Technik bildete. In diesem Falle wurde die Zusicherung von Hitler am 21. Mai 1935 gegeben. Daß sie unaufrichtig war, erkennen wir klar aus den von Herrn Alderman vorgelegten Dokumenten. Ich begnüge mich mit einem allgemeinen Hinweis auf das Sitzungsprotokoll Band II, Seite 429 bis 440.

Die Besetzung des Rheinlandes im Jahre 1936 war notwendig eine Aktion gegen die Westmächte. Wiederum geht damit eine betrügerische Zusicherung an Österreich in dem Abkommen vom 11. Juli dieses Jahres Hand in Hand; daß sie betrügerisch war, ergibt sich aus den Briefen von Papens, Beweisstück US-64 (Dokument 2247-PS) und US-67 (Dokument 2246-PS); auf einen von ihnen hat gerade mein Freund, Major Barrington, Bezug genommen.

Wir gehen einen Schritt weiter zu den Jahren 1937 und 1938; diesmal ist die Aktion gegen Österreich gerichtet. Wir wissen, woraus diese Aktion bestand. Es war die Eingliederung, die jedenfalls endgültig auf der Besprechung vom 5. November 1937 geplant und am 11. März 1938 ausgeführt worden war.

Diesmal mußten die Westmächte beruhigt werden; deshalb erfolgte eine Zusicherung an Belgien am 13. Oktober 1937, über die mein Freund, Herr Roberts, gesprochen hat. Der Gerichtshof wird die betreffenden Stellen im Sitzungsprotokoll Band III, Seite 326 bis 346, finden.

Wir gehen nun ein Jahr weiter und das Ziel der Angriffsaktion wird die Tschechoslowakei. Ich hätte richtiger gesagt, wir gehen nun ein halbes Jahr bis ein Jahr weiter. Denn das Sudetenland vereinnahmten sie im September; die Eingliederung von ganz Böhmen und Mähren fand am 15. März 1939 statt.

Damals war es nötig, Polen zu beruhigen; aus diesem Grunde gab Hitler an Polen am 20. Februar 1938 eine Zusicherung ab und wiederholte sie am 26. September 1938. Die Unaufrichtigkeit dieser Zusicherung sieht man immer und immer wieder in dem Vortrag von Oberst Griffith Jones über Polen, Sitzungsprotokoll Band III, Seite 222 bis 295, bestätigt.

Als sich dann schließlich die Aktion im nächsten Jahr auf die Eroberung Polens richtete, mußte Rußland eine Zusicherung gegeben werden. Deshalb wurde am 23. August 1939 ein Nichtangriffspakt abgeschlossen. Dies hat Herr Alderman im Sitzungsprotokoll Band III, Seite 370 bis 411, aufgezeigt.

Zu diesem tabellenmäßigen Vortrag kann man nur in der lateinischen Redewendung sagen: »res ipsa loquitur«. Aber eine ziemlich offene Erklärung des Angeklagten über einen früheren Zeitabschnitt befindet sich in dem Bericht über seine Unterredung mit dem Amerikanischen Botschafter, Herrn Bullitt, vom 18. Mai 1936; er steht auf Seite 74 des Dokumentenbuches, Dokument L-150, Beweisstück US-65. Ich möchte den ersten Absatz nach der Einleitung, wo er davon spricht, daß er den Angeklagten besuchte, verlesen. Herr Bullitt bemerkt:

»Von Neurath sagte, die Politik der Deutschen Regierung wäre, in Auslandssachen zunächst nichts zu unternehmen, bis ›das Rheinland verdaut sei‹. Er erklärte, daß er damit sagen wolle, daß die Deutsche Regierung alles tun würde, einen Aufstand der Nationalsozialisten in Österreich zu verhindern, eher denn zu ermutigen, und daß sie sich auch in Bezug auf die Tschechoslowakei zurückhalten würde, bis die deutschen Befestigungen an der französischen und belgischen Grenze fertiggestellt wären. ›Sobald unsere Befestigungen gebaut sind, und die mitteleuropäischen Länder merken, daß Frankreich nicht jederzeit deutsches Gebiet betreten kann, werden diese Länder ihre Außenpolitik ändern, und eine neue Konstellation wird sich bilden‹, sagte er.«

Ich erinnere den Gerichtshof an die Unterhaltung zwischen dem Angeklagten von Papen als Botschafter und Herrn Messersmith, die im wesentlichen auf dasselbe hinauslief. Ich werde sie nicht zitieren; mein Freund, Herr Barrington, hat kurz zuvor über sie gesprochen.

Nun komme ich zum Angriff auf Österreich selbst; ich erinnere den Gerichtshof daran, daß der Angeklagte damals Außenminister war.

1. Die Zeit der ersten Nazi-Anschläge gegen Österreich im Jahre 1934. Sie sind im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 391 bis 403, behandelt. Ich erinnere ganz allgemein daran, daß sie die Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß und die Taten in ihrem Gefolge, die später so sehr gepriesen wurden, betrafen.

2. Die Zeit der falschen Zusicherung an Österreich am 21. Mai 1935 und des betrügerischen Vertrags vom 11. Juli 1936. Die Quellen hierfür sind die Dokumente TC-26, GB-19, und TC-22, GB-20, die im Sitzungsprotokoll Band II, Seite 424, behandelt sind.

3. Die Zeit der unterirdischen Intrigen des Angeklagten von Papen in den Jahren 1935 bis 1937.

Auch hier gebe ich die einschlägigen Dokumente an: Dokument 2247-PS, Beweisstück US-64, ein Brief vom 17. Mai 1935, und 2246-PS, Beweisstück US-67, vom 1. September 1936. Die betreffenden Stellen stehen im Sitzungsprotokoll Band II, Seiten 402/3, 412 bis 414, 419 bis 432 und 436 bis 437.

Der Angeklagte von Neurath war anwesend als Hitler nach dem Hoßbach-Protokoll am 5. November 1937 erklärte, die deutsche Frage könne nur mit Gewalt gelöst werden, und er plane, Österreich und die Tschechoslowakei zu erobern. Es ist Dokument 386-PS, Beweisstück US-25, das der Gerichtshof auf Seite 82 finden wird. Auf Seite 82, sechste Zeile nach der Überschrift, werden Sie den Reichsaußenminister, Freiherrn von Neurath, als einen der Teilnehmer dieser streng vertraulichen Besprechung aufgeführt finden. Ich möchte nicht ein Dokument verlesen, auf das der Gerichtshof bereits mehr als einmal verwiesen wurde, sondern nur daran erinnern, daß die Stelle über die Eroberung Österreichs auf Seite 86 erscheint. Der nächste Satz nach den Ziffern 2 und 3 lautet:

»Zur Verbesserung unserer militär-politischen Lage müsse in jedem Fall einer kriegerischen Verwicklung unser erstes Ziel sein, die Tschechei und gleichzeitig Österreich niederzuwerfen, um die Flankenbedrohung eines etwaigen Vorgehens nach Westen auszuschalten.«

Das wird auf der folgenden Seite weiter ausgeführt.

Entscheidend ist jedoch, daß der Angeklagte bei jener Besprechung anwesend war. Nach dieser Besprechung kann er unmöglich behaupten, daß er nicht vollständig offenen Auges und in voller Erkenntnis dessen, was geplant war, gehandelt hätte.

Dann kommt der nächste Punkt: Während sich der Anschluß vollzog, erhielt der Angeklagte unter dem Datum des 11. März 1938 eine Note des Britischen Botschafters. Dies ist Dokument 3045-PS, Beweisstück US-127. Er sandte ein Antwortschreiben, das in Dokument 3287-PS, Beweisstück US-128, enthalten ist. Vielleicht darf ich ganz kurz an diese Antwort erinnern. Da sich der Gerichtshof mit diesem Dokument schon vertraut gemacht hat, ergibt sich meines Erachtens alles Erforderliche aus dem Anfang der Seite 93. Ich möchte auf zwei ganz offensichtliche Unwahrheiten aufmerksam machen.

Der Angeklagte von Neurath behauptet in der sechsten Zeile:

»Daß vom Reich aus auf diese Entwicklung ein gewaltsamer Zwang ausgeübt wäre, ist unwahr. Insbesondere ist die von dem früheren Bundeskanzler nachträglich verbreitete Behauptung völlig aus der Luft gegriffen, die Deutsche Regierung habe dem Bundespräsidenten ein befristetes Ultimatum gestellt...«.

Auf Grund dieses Ultimatums mußte er einen vorgeschlagenen Kandidaten zum Kanzler ernennen, um ein Kabinett in Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Deutschen Regierung zu bilden. Widrigenfalls wurde der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich in Aussicht gestellt:

»In Wahrheit ist die Frage der Entsendung militärischer und polizeilicher Kräfte aus dem Reich erst dadurch aufgerufen worden, daß die neugebildete Österreichische Regierung in einem in der Presse bereits veröffentlichten Telegramm die dringende Bitte an die Reichsregierung gerichtet hat, zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung und zur Verhinderung von Blutvergießen baldmöglichst deutsche Truppen zu entsenden. Angesichts der unmittelbar drohenden Gefahr eines blutigen Bürgerkrieges in Österreich hat sich die Reichsregierung entschlossen, diesem an sie gerichteten Appell Folge zu geben.«

Hoher Gerichtshof! Wie ich vorhin schon sagte, sind dies zwei offensichtliche Unwahrheiten, und alles, was man dazu sagen kann, ist, daß dem Angeklagten eine gewisse Art düsteren Humors beschieden gewesen sein muß, als er etwas Derartiges schrieb. Denn den wahren Sachverhalt kennt der Gerichtshof ja aus dem bereits vorgelegten Bericht des Gauleiters Rainer an Bürckel, Dokument 812-PS, Beweisstück US-61, aus der in aller Breite verlesenen Niederschrift der Telephongespräche des Angeklagten Göring mit Österreich an diesem Tage, Dokument 2949-PS, Beweisstück US-76, und aus den Tagebuch-Eintragungen des Angeklagten Jodl vom 11., 13. und 14. Februar, Dokument 1780-PS, Beweisstück US-72.

Bei dieser Fülle von Beweismaterial über die Unwahrheit dieser Erklärungen wird der Gerichtshof wohl die klarste und deutlichste Richtigstellung in der Niederschrift der Göringschen Telephonunterhaltungen erblicken, die durch die anderen Dokumente so ausführlich erhärtet werden.

Nach Ansicht der Anklagebehörde ist es unbegreiflich, daß dieser Angeklagte, der nach der Tagebuch- Eintragung des Angeklagten Jodl – darf ich den Gerichtshof nun bitten, einen Blick auf Seite 116 zu werfen, damit dies vollkommen klar wird? Es ist Seite 116 des Dokumentenbuches, die Tagebuch-Eintragung des Angeklagten Jodl vom 10. März. Es ist der dritte Absatz, der lautet:

»13.00 Uhr General Keitel orientiert Chef des Führungsstabes, Admiral Canaris. Ribbentrop wird in London festgehalten, Neurath übernimmt Auswärtiges Amt.«

Als der Angeklagte das Auswärtige Amt übernahm, sich mit der Angelegenheit beschäftigte und, wie ich dem Gerichtshof beweisen werde, mit dem Angeklagten Göring bei der Beruhigung der empfindlichen Tschechen zusammenarbeitete, ist es meines Erachtens unbegreiflich, daß er die wahren Ereignisse und den tatsächlichen Geschehensablauf so wenig gekannt haben sollte, daß er diesen Brief mit gutem Gewissen und in gutem Glauben geschrieben hätte.

Seine Stellung kann gleichfalls sehr deutlich aus dem Bericht aufgezeigt werden, den Herr Messersmith in seiner eidesstattlichen Erklärung gegeben hat, Dokument 2385-PS, Beweisstück US-68. Ich verweise den Gerichtshof auf Seite 107 des Dokumentenbuches und erinnere daran, daß diese Eintragung die Tätigkeit und die Art des Vorgehens des Angeklagten in dieser Krise genau beschreibt. Im zweiten Drittel der Seite beginnt der Absatz wie folgt:

»Ich möchte hier in diesem Bericht hervorheben, daß die Leute, die diese Versprechungen machten, nicht nur waschechte Nazis, sondern mehr konservative Deutsche waren, die schon begonnen hatten, sich willig dem Nazi-Programm zur Verfügung zu stellen. Ich schrieb am 10. Oktober 1935 von Wien dem State-Department in einem offiziellen Bericht, wie folgt:

... Europa wird von der Mythe nicht abkommen, daß Neurath, Papen und Mackensen ungefährliche Leute und Diplomaten der alten Schule sind. Sie sind tatsächlich sklavische Instrumente des Regimes, und gerade weil die Außenwelt sie für harmlos hält, ist es ihnen möglich, wirkungsvoller zu arbeiten. Es ist ihnen möglich, Uneinigkeit zu säen, gerade weil sie die Fabel verbreiten, daß sie keine Sympathie für das Regime haben‹.«

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich vertagen.