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M. DUBOST: Der Angeklagte Keitel hat diesen Befehl über die Geiseln am 24. September 1941 bestätigt. Wir legen hierzu Dokument RF-272 vor; Sie finden es im Dokumentenbuch unter F-554. Ich will den ersten Absatz verlesen:
»Auf Grund von Weisungen des Führers hat das Oberkommando der Wehrmacht unter dem 16. September 1941... einen Erlaß über die kommunistische Aufstandsbewegung in den besetzten Gebieten herausgegeben. Der Erlaß ist dem Auswärtigen Amt zu Händen des Herrn Botschafters Ritter zugegangen. Der Erlaß beschäftigt sich auch mit der Frage der Verhängung von Todesstrafen in kriegsgerichtlichen Verfahren.
Aus dem Erlaß ergibt sich, daß in den besetzten Gebieten in Zukunft mit größter Schärfe vorgegangen werden muß.«
Über die Auswahl von Geiseln wird auch in Dokument 877-PS gesprochen, das bereits verlesen wurde, das übrigens noch vor dem Angriff Deutschlands auf Rußland herausgegeben wurde. Man muß das wieder in Erinnerung bringen, weil es zeigt, daß das deutsche Oberkommando und die Nazi-Regierung den Plan gefaßt hatten, die besetzten Länder uneinig zu machen, dem Widerstand der Patrioten den patriotischen Charakter zu nehmen und statt dessen einen politischen Charakter zu unterschieben, den er in Wirklichkeit nie hatte. Wir legen das Schriftstück unter RF-273 vor:
»Hierbei ist festzuhalten, daß außer den sonst bekämpften Widersachern der Truppe diesmal als besonders gefährliches und jede Ordnung zersetzendes Element aus der Zivilbevölkerung der Träger der jüdisch-bolschewistischen Weltanschauung entgegentritt. Es ist kein Zweifel, daß er seine Waffe der Zersetzung heimtückisch und aus dem Hinterhalt, wo er nur kann, gegen die im Kampf stehende und das Land befriedende deutsche Wehrmacht gebraucht.«
Dieses Dokument ist ein offizielles Dokument aus dem Hauptquartier des Oberkommandos des Heeres. Es gibt die allgemeine Anschauung des ganzen deutschen Generalstabs wieder. Keitel war es, der die Aufstellung dieser Grundsätze veranlaßte. Er war nicht ein Soldat, der Befehlen seiner Regierung gehorchte, sondern gleichzeitig ein General und nationalsozialistischer Politiker, der nicht nur militärischer Befehlshaber, sondern auch als Politiker im Dienste der Hitler-Politik tätig war. Sie finden den Beweis hierfür in dem eben verlesenen Dokument; ein politischer General, bei dem Politik und Kriegführung ein und dieselbe Aufgabe geworden sind, was für jemanden, der den deutschen Gedankengang kennt, der niemals Krieg und Politik voneinander schied, nicht überraschend ist. Hat doch Clausewitz gesagt, daß Krieg nur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei.
Es ist dies in zweifacher Hinsicht wichtig. Es begründet eine direkte, ungeheure Beschuldigung gegen Keitel; aber Keitel ist der Deutsche Generalstab, und diese Organisation ist angeklagt, und, wie Sie aus diesem Dokument sehen, ist diese Anklage berechtigt, denn der Deutsche Generalstab hat an der verbrecherischen Politik der Deutschen Regierung teilgenommen.
Die allgemeinen Befehle Keitels wurden von Stülpnagel durch einen von letzterem erlassenen Befehl vom 30. September 1941 übernommen. Dieser Befehl ist in Frankreich unter dem Namen »Geiselgesetzbuch« bekannt gewesen; in ihm wurden frühere Befehle, besonders der vom 23. August 1941, wiederholt und näher bestimmt; der vom 30. September 1941 ist von größter Wichtigkeit, um darzutun, unter welchen Umständen die französischen Geiseln erschossen wurden. Daher bin ich genötigt, Ihnen größere Auszüge daraus zu verlesen. Er bestimmt in seinem dritten Absatz, welche Gruppen von Franzosen als Geiseln in Frage kommen. Ich verlese dieses Dokument, 1588-PS, das ich dem Gerichtshof unter RF-274 vorlege.
Absatz I handelt von Geiselnahme:
»1. Am 22. August 1941 habe ich folgende Bekanntmachung erlassen:
Am Morgen des 21. August 1941 ist in Paris ein deutscher Wehrmachtsangehöriger einem Mordanschlag zum Opfer gefallen.
Ich bestimme daher:
a) Sämtliche von deutschen Dienststellen oder für deutsche Dienststellen in Frankreich in Haft irgendeiner Art gehaltenen Franzosen gelten vom 23. August ab als Geiseln.
b) Von diesen Geiseln wird bei jedem weiteren Anlaß eine der Schwere der Straftat entsprechende Anzahl erschossen werden.
2. Am 19. September 1941 habe ich durch eine Mitteilung an den Generalbevollmächtigten der Französischen Regierung beim Militärbefehlshaber in Frankreich angeordnet, daß vom 19. September 1941 ab sämtliche männlichen Franzosen, die sich wegen kommunistischer oder anarchistischer Betätigung in Haft irgendeiner Art bei französischen Dienststellen befinden oder in Haft genommen werden, von den französischen Dienststellen gleichzeitig auch für den Militärbefehlshaber in Frankreich in Haft zu halten sind.
3. Auf Grund meiner Bekanntmachung vom 22. August 1941 und meiner Anordnung vom 19. September 1941 sind daher folgende Personengruppen Geiseln:
a) Sämtliche Franzosen, die von deutschen Dienststellen in Haft irgendeiner Art, z.B. Polizeihaft, Untersuchungshaft, Strafhaft, gehalten werden.
b) Sämtliche Franzosen, die von französischen Dienststellen in Frankreich für deutsche Dienststellen in Haft irgendeiner Art gehalten werden. Dazu gehören:
aa) sämtliche Franzosen, die sich wegen kommunistischer oder anarchistischer Betätigung bei französischen Dienststellen in Haft irgendeiner Art befinden;
bb) sämtliche Franzosen, gegen die von den französi schen Strafvollstreckungsbehörden auf Ersuchen der deutschen Wehrmachtgerichte die von diesen erkannten Freiheitsstrafen vollstreckt werden...
cc) sämtliche Franzosen, die auf Verlangen deutscher Dienststellen von französischen Dienststellen festgenommen und in Haft gehalten werden oder von deutschen Dienststellen mit dem Auftrag, sie in Haft zu halten, übergeben werden.
c) Staatenlose Landeseinwohner, die schon längere Zeit in Frankreich leben, gelten im Sinne meiner Bekanntmachung vom 22. August 1941 als Franzosen....
III. Haftentlassung.
Personen, die am 22. August 1941, bzw. am 19. September 1941 noch nicht in Haft waren, aber später festgenommen wurden oder noch festgenommen werden, sind, sofern die übrigen Voraussetzungen auf sie zutreffen, von der Festnahme ab Geiseln.
Die Entlassung von Häftlingen, die wegen Ablaufs der Strafzeit, Aufhebung des Haftbefehls oder aus sonstigen Gründen an sich geboten ist, wird durch meine Bekanntmachung vom 22. August 1941 nicht gehindert. Die Entlassenen sind nicht mehr Geiseln. Soweit sich Personen wegen kommunistischer oder anarchistischer Betätigung bei französischen Dienststellen in Haft irgendeiner Art befinden, ist ihre Entlassung, wie ich der Französischen Regierung mitgeteilt habe, nur mit meiner Zustimmung möglich....
VI. Geisellisten.
Wenn sich ein Vorfall ereignet, der es gemäß meiner Ankündigung vom 22. August 1941 notwendig macht, Geiseln zu erschießen, muß die Erschießung dem Anlaß unverzüglich nachfolgen. Die Bezirkschefs haben daher für ihre Bezirke aus dem Gesamtbestand an Häftlingen (Geiseln) diejenigen auszuwählen, die praktisch für eine Exekution in Frage kommen können und sie in einer Geiselliste aufzunehmen. Diese Geisellisten bilden die Grundlage für die mir im Falle einer Exekution zu machenden Vorschläge.
1. Nach den bisherigen Beobachtungen kann angenommen werden, daß die Attentäter aus kommunistischen oder anarchistischen Terrorkreisen stammen. Die Bezirkschefs haben daher sofort aus den Häftlingen (Geiseln) diejenigen Personen auszuwählen und in die Geiselliste aufzunehmen, die auf Grund ihrer bisherigen kommunistischen oder anarchistischen Haltung, ihrer Funktion in derartigen Organisationen, oder ihrer sonstigen bisherigen Haltung für eine Erschießung in erster Linie in Frage kommen. Bei der Auswahl ist zu berücksichtigen, daß die abschreckende Wirkung der Erschießung von Geiseln auf die Attentäter selbst und diejenigen Personen, die in Frankreich oder im Ausland als Auftraggeber oder durch ihre Propaganda die geistige Verantwortung für Terror- und Sabotagehandlungen tragen, umso größer ist, je mehr bekannte Personen erschossen werden; erfahrungsgemäß nehmen die Auftraggeber und die politischen Kreise, die an den Attentaten ein Interesse haben, auf das Leben kleiner Mitläufer keine, auf das Leben ihnen bekannter ehemaliger Funktionäre dagegen eher Rücksicht. In diese Listen sind daher in erster Linie aufzunehmen:
a) ehemalige Abgeordnete und Funktionäre kommunistischer oder anarchistischer Organisationen.«
Erlauben Sie mir, hier eine Erklärung einzuschalten, meine Herren. Es gab in Frankreich niemals anarchistische Organisationen, die Abgeordnete in einer unserer Kammern hatten; dieser Absatz a) kann sich also nur auf frühere Abgeordnete und Funktionäre kommunistischer Organisationen beziehen, von denen wir übrigens wissen, daß einige von ihnen von den Deutschen als Geiseln hingerichtet wurden.
»b) Personen, die sich für die Verbreitung des kommunistischen Gedankengutes durch Wort oder Schrift (Herstellung von Flugblättern) eingesetzt haben (Intellektuelle).
c) Personen, die durch ihr Verhalten (z.B. Überfälle auf Wehrmachtsangehörige, Sabotageakte, Waffenbesitz) ihre besondere Gefährlichkeit dargetan haben.
d) Personen, die bei der Verteilung von Flugblättern mitgewirkt haben.«
Dieser Auswahl liegt ein Leitgedanke zugrunde: Wir müssen die Elite treffen, und wir werden sehen, daß auf Grund von Absatz b) dieses Artikels die Deutschen im Jahre 1941 und 1942 in Paris und in den Provinzstädten zahlreiche Intellektuelle, darunter Solomon und Politzer, erschossen haben.
Ich werde auf diese Hinrichtungen zurückkommen, wenn ich Beispiele für deutsche Greueltaten geben werde, die in Verfolg der Vergeiselungsmaßnahmen begangen wurden.
»2. Nach den gleichen Richtlinien ist eine Geiselliste aus der Reihe der gaullistischen Häftlinge anzulegen.
3. Deutsche Volkszugehörige französischer Staatsangehörigkeit, die wegen kommunistischer oder anarchistischer Tätigkeit in Haft sind, können mit aufgeführt werden. Ihre deutsche Volkszugehörigkeit ist in dem beiliegenden Formblatt besonders hervorzuheben.
Personen, die zum Tode verurteilt, aber begnadigt wurden, können in die Liste aufgenommen werden.
...
5. In die Liste sind für jeden Bezirk etwa 150, für den des Kommandanten von Groß-Paris etwa 300 bis 400 Personen aufzunehmen. Da nach Möglichkeit bei der Exekution auf Personen aus dem Tatortbereich zurückgegriffen werden soll, haben die Bezirkschefs jeweils die Personen in die Liste aufzunehmen, die ihren letzten Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt in ihrem Bezirk hatten....
Die Listen sind auf dem laufenden zu halten. Auf neue Festnahmen und Entlassungen ist besonders zu achten....
VII. Exekutionsvorschläge:
Ereignet sich ein Vorfall, der im Sinn meiner Ankündigung vom 22. August 1941 die Erschießung von Geiseln notwendig macht, so hat der Bezirkschef, in dessen Befehlsbereich sich der Vorfall ereignet hat, aus der Geiselliste die Personen auszuwählen, deren Erschießung er mir vorschlagen will. Bei der Auswahl ist nach Möglichkeit sowohl in persönlicher als auch in örtlicher Hinsicht auf den vermutlichen Täterkreis zurückzugreifen.«
Ich überspringe einen Absatz:
»Für eine Exekution können nur Personen vorgeschlagen werden, die sich zur Zeit der Tat bereits in Haft befunden haben.
Der Vorschlag muß Namen und Zahl der zur Exekution vorgeschlagenen Personen angeben, und zwar in der Reihenfolge, in der der Zugriff empfohlen wird.«
Ganz zuletzt, am Ende des Artikels VIII lesen wir:
»Bei der Bestattung der Leichen ist zu vermeiden, daß durch die gemeinschaftliche Beerdigung einer größeren Anzahl im gleichen Friedhof Stätten geschaffen werden, die jetzt oder später Anknüpfungspunkte für eine deutschfeindliche Propaganda bilden könnten. Notfalls hat daher die Bestattung an verschiedenen Orten zu erfolgen.«
Neben dieser für Frankreich gültigen Urkunde gibt es in Belgien einen Befehl von Falkenhausen vom 19. September 1941, den Sie auf Seite 6 des offiziellen belgischen Berichts unter F-683 finden, und den ich als RF-275 vorlege.
VORSITZENDER: Hat das belgische Dokument den gleichen Wortlaut wie das, das Sie soeben verlesen haben?
M. DUBOST: Jawohl, vollkommen, Herr Präsident.
VORSITZENDER: In diesem Falle halte ich es nicht für nötig, daß Sie es verlesen.
M. DUBOST: Wie Sie wünschen. Dann wird es also auch nicht nötig sein, die Bekanntmachung von Seyß- Inquart zu verlesen, welche in Holland Gültigkeit hatte.
Ich glaube, daß Sie in den Ihren Dokumentenbüchern wiedergegebenen Urkunden Beweismaterial finden werden, das die soeben verlesene Anordnung Stülpnagels völlig bestätigt.
Für Norwegen und Dänemark haben wir ein Fernschreiben Keitels an den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine vom 30. November 1944, das Sie im Dokumentenbuch unter C-48, RF-280, finden.
Ich lese den letzten Teil des Absatzes I:
»Jeder Werft- usw. Arbeiter muß wissen, daß jeder in seinem Arbeitsbereich vorkommende Sabotagefall für ihn persönlich, und bei seinem Verschwinden für seine Angehörigen, die allerschwersten Folgen nach sich zieht.«
Nun Seite 2 des Dokuments 870-PS, RF-281:
»4. Eben erhalte ich ein Fernschreiben des Generalfeldmarschalls Keitel, in dem der Erlaß einer Verordnung gefordert wird, nach welchem Gefolgschaftsmitglieder und gegebenenfalls ihre Angehörigen (Sippenhaftung) für die in ihren Betrieben vorkommenden Sabotagefälle mitverantwortlich gemacht werden.«
Und Terboven, der diesen Satz schrieb, fügte hinzu – und er setzt sich damit in Gegensatz zu Feldmarschall Keitel:
»Die Forderung hat nur Sinn und Erfolg, wenn ich tatsächlich gegebenenfalls Erschießungen vornehmen kann.«
Alle diese Dokumente werden vorgelegt werden.
VORSITZENDER: Herr Dubost, verstehe ich recht, daß es in Belgien, Holland, Norwegen und Dänemark ähnliche Befehle oder Erlasse über Geiseln gab?
M. DUBOST: Ich hatte eben die Absicht, die für Belgien, Norwegen und Holland geltenden zu verlesen. Sie finden die für Belgien einschlägige Stelle auf Seite 6 des Dokuments F-683, RF-275; es ist ein amtliches Dokument des belgischen Justizministeriums, Brüssel, 1 rue de Turin, vom 29. November 1945, und betrifft einen Erlaß von Falkenhausen vom 19. September 1941:
»Die Bevölkerung muß damit rechnen, daß, falls tätliche Angriffe auf einen Angehörigen der Deutschen Wehrmacht oder Polizei gemacht werden und der oder die Täter nicht verhaftet werden können, eine Anzahl von Geiseln entsprechend der Schwere der Tat und, falls der Angriff tödlichen Ausgang haben sollte, mindestens 5 erschossen werden. Alle politischen Häftlinge in Belgien sind mit sofortiger Wirkung als Geiseln zu betrachten.«
VORSITZENDER: Herr Dubost, ich wollte nicht, daß Sie Dokumente verlesen, die im wesentlichen den gleichen Inhalt haben, wie das von Ihnen schon verlesene.
M. DUBOST: Sie sind ungefähr gleichen Inhalts, Herr Vorsitzender. Ich lege sie vor, weil sie die systematische Wiederholung desselben Verfahrens zur Erreichung desselben Zieles beweisen, und zwar die Herrschaft des Terrors in allen besetzten westlichen Ländern. Wenn aber der Hohe Gerichtshof es als erwiesen annimmt, daß das gleiche Verfahren überall und immer in allen westlichen Ländern angewandt wurde, werde ich dem Gerichtshof die Verlesung der Dokumente ersparen, die eintönig sind und im wesentlichen nur das wiederholen, was das für Frankreich geltende Dokument besagt.
VORSITZENDER: Vielleicht können Sie uns die Bestimmungen für Belgien, Holland, Norwegen und Dänemark angeben?
M. DUBOST: Gewiß, Herr Vorsitzender.
Für Belgien: F-683, Seite 6; es ist ein Erlaß von Falkenhausen vom 19. September 1941, vorgelegt unter RF-275, und zwar entstammt er dem amtlichen Bericht des Königreichs Belgien über die Hauptkriegsverbrecher.
Das zweite Dokument, C-46, entspricht UK-42; es ist datiert vom 24. November 1942 und wurde als RF-276 vorgelegt.
Für Holland ist es eine Bekanntmachung Seyß-Inquarts, die ich vielleicht verlesen sollte, da Seyß-Inquart einer der hier Angeklagten ist. Ich lege das Schriftstück F-224 unter RF-279 vor und verlese:
»Für die Zerstörung oder Beschädigung von Eisenbahnanlagen, Fernsprechkabeln und Postämtern mache ich die gesamte Einwohnerschaft der Gemeinde verantwortlich, in deren Bezirk die Tat begangen wird.
Die Bevölkerung solcher Gemeinden hat daher damit zu rechnen, daß zur Vergeltung auf Eigentum gegriffen und Häuser oder Häusergruppen zerstört werden.«
VORSITZENDER: Ich fürchte, ich weiß nicht, wo das steht. Welchen Absatz lesen Sie?
M. DUBOST: Man sagt mir eben, Herr Präsident, daß dieses Dokument nicht mit gebunden wurde mit dem holländischen Bericht. Ich werde daher dieses Dokument am Ende dieser Sitzung vorlegen, wenn es Ihnen recht ist.
VORSITZENDER: Jawohl.
M. DUBOST: Wir haben einige Dokumente, die Norwegen und Dänemark betreffen und die beweisen, daß dieselbe Politik der Geiselerschießungen auch dort betrieben wurde. Insbesondere ist es Dokument C-48, RF-280, aus dem ich eben verlesen habe.
Alle diese einzelnen Befehle für jedes der im Westen besetzten Gebiete sind die Folge des allgemeinen Befehls von General Keitel, den meine amerikanischen Kollegen bereits verlesen haben, so daß ich mich heute Morgen auf eine Bezugnahme beschränkt habe. Keitel ist voll verantwortlich für die Entwicklung der Politik der Geiselerschießungen. Es wurden ihm Warnungen erteilt, sogar deutsche Generale haben ihm zu verstehen gegeben, daß diese Politik über das angestrebte Ziel hinausgehe und gefährlich werden könne. Am 16. September 1942 richtete General von Falkenhausen einen Brief an ihn, aus dem ich die folgende Stelle verlese; es ist unser Dokument 1594-PS, das ich als Beweisstück RF-283 vorlege:
»In der Anlage wird ein Verzeichnis der bisher in meinem Bereich erfolgten Geiselerschießungen und der Vorfälle, wegen derer diese Erschießungen stattfanden, überreicht.
Bei einem großen Teil der Vorfälle, besonders bei den schwerwiegendsten, sind die Täter später gefaßt und verurteilt worden.
Dieses Ergebnis ist zweifellos in hohem Maße unbefriedigend. Die Wirkung ist nicht so sehr abschreckend, wie zerstörend auf das Gefühl der Bevölkerung für Recht und Sicherheit; die Kluft zwischen den kommunistisch beeinflußten Volksteilen und der übrigen Bevölkerung gegen die Besatzungsmacht wird verflacht, alle Kreise werden mit Haßgefühl erfüllt und der Feindpropaganda wird wirksamer Hetzstoff gegeben. Daraus entstehen militärische Gefahren und allgemeine politische Rückwirkungen durchaus unerwünschter Art....« Gezeichnet: »von Falkenhausen«.
Nunmehr lege ich Dokument 1587-PS, RF-282, vor; es stammt von demselben deutschen General, der mir einen klaren Blick gehabt zu haben scheint:
»Im übrigen möchte ich nochmals auf folgendes hinweisen:
In mehreren Fällen sind die Täter von Überfällen und Sabotageakten ermittelt, nachdem kurz nach der Tat bereits Geiseln entsprechend den ergangenen Weisungen erschossen waren. Die tatsächlichen Täter stammten oft auch nicht aus den Kreisen der in Anspruch genommenen Geiseln. Zweifellos wirkt in solchen Fällen die Erschießung von Geiseln nicht abschreckend, vielmehr führt sie zur Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegenüber Strafmaßnahmen oder gar zur Verbitterung bisher passiv eingestellter Bevölkerungsteile und wirkt damit sogar negativ gegen die Besatzungsmacht, wie es von dem oft dahinter steckenden englischen Agentendienst geplant und beabsichtigt ist. Es wird daher erforderlich sein, die Fristen in denjenigen Fällen zu verlängern, in denen mit der Ergreifung der Täter noch gerechnet werden kann. Ich bitte daher, mir auch hinsichtlich der Fristenstellung die Verantwortung zu überlassen, um möglichst großen Erfolg in der Bekämpfung von Terrorakten zu erreichen.«
VORSITZENDER: Wissen Sie, welches Datum dieses Dokument hat?
M. DUBOST: Dieses Dokument stammt aus der Zeit nach dem 16. September 1941. Wir kennen das genaue Datum nicht. Es ist einem anderen Dokument beigefügt, dessen Datum unleserlich ist. Auf jeden Fall stammt es aus der Zeit nach dem Befehl Keitels, weil es sich auf Geiselerschießungen bezieht, die auf Grund dieses Befehls vollzogen wurden. Es macht darauf aufmerksam, daß die Schuldigen nach der Hinrichtung der Geiseln gefunden worden seien, was einen bedauernswerten Erfolg gehabt und unter der Bevölkerung Erbitterung hervorgerufen habe.
In diesem Dokument 1587-PS finden Sie auch einen Auszug aus dem Monatsbericht des Wehrmachtsbefehlshabers in den Niederlanden – aus dem Bericht für den Monat August 1942 – eine erneute Warnung an Keitel:
»B. Besondere Vorkommnisse und politische Lage:
Anläßlich eines Anschlagversuches auf einen fahrplanmäßig zu erwartenden Urlauberzug in Rotterdam wurde am 7. 8. ein holländischer Streckenwärter durch Berührung eines mit dem Sprengkörper verbundenen Drahtes und dadurch ausgelöste Explosion schwer verletzt. Durch Bekanntmachung in der gesamten holländischen Presse wurden Repressivmaßnahmen wie folgt festgesetzt:
Fristsetzung für die Erfassung der Täter unter Mitwirkung der Bevölkerung bis 14. August Mitternacht; Belohnung von 100.000 Gulden bei zugesagter vertraulicher Behandlung der Anzeige; bei Nichterfassung der Täter innerhalb der gesetzten Frist Androhung von Gei selmaßnahmen; Bewachung der Bahnstrecke durch Holländer.
Da trotz der ergangenen Aufforderung sich der Täter nicht stellte oder sonstwie ermittelt wurde, wurden am 15. August auf Veranlassung des Höheren SS- und Polizeiführers die folgenden Geiseln, von denen sich einzelne bereits seit mehreren Wochen in Geiselhaft befanden, erschossen.«
Ich überspringe die Aufzählung der Namen.
VORSITZENDER: Könnten Sie Namen und Titel verlesen?
M. DUBOST:
»Ruys, Willem, Generaldirektor, Rotterdam, Graf E. O. G. van Limburg-Stirum, Arnheim, Mr. Baelde, Robert, Dr. jur., Rotterdam, Bennekers, Christoffel, ehemaliger Polizeihauptinspektor, Rotterdam, Baron Alexander Schimmelpennink van der Oye, Noordgouwe/Zeeland.«
Einen Absatz weiter:
»Die Stimmung der Bevölkerung wurde durch die Geiselmaßnahmen in ganz außerordentlicher Weise beeindruckt. Vorliegende Berichte bringen zum Ausdruck, daß seit Beginn der Besatzungszeit kein deutscher Schlag so stark empfunden wurde. Zahlreiche anonyme, aber auch offene Schreiben, die an den Wehrmachtsbefehlshaber als vermeintlichen Träger der Verantwortung für solch ›unerhörtes Geschehen‹ gerichtet wurden, zeigen die verschiedenen Stimmungsfaktoren auf, welche hierbei zweifellos die Masse des niederländischen Volkes beherrschen. Von haßerfüllten Beschimpfungen bis zu pietistisch anmutenden Anflehen und Gebeten, doch nicht das Äußerste zu tun, hat hier keine Nuance gefehlt, die nicht so oder so doch letzten Endes zum mindesten völlige Ablehnung und völliges Unverständnis zunächst für die Drohung und dann für die vollzogene Tatsache der Geiselerschießung hätte erkennen lassen. Vorwürfe krassesten Rechtsbruches (aber doch mit ernster Begründung, die oft zum Nachdenken Anlaß geben mußte), dann wieder Verzweiflungsrufe von Idealisten, die trotz aller Geschehnisse auf politischem Gebiet immer noch an eine deutsch-niederländische Verständigung geglaubt hatten, jetzt aber alles verbaut sehen, waren hier zu lesen. Daneben klang aber auch der Vorwurf heraus, mit solchen Methoden doch nur das Geschäft der Kommunisten zu betreiben, die sich hell freuen müßten, wenn es ihnen als den einzig wahren Aktivisten und Saboteuren gelinge, mit dem Nützlichen ihres Sabotageerfolges das Angenehme der Beseitigung ›solcher Geisel‹ zu verbinden.
Zusammenfassend: So viel Ablehnung bis tief in die Kreise der wenigen wirklich deutsch-freundlich gesinnten Holländer sah man nie, so viel Haß wurde wohl selten mit einem Mal festgestellt. – Schneider, Hauptmann.«
Trotz dieser vielen Warnungen durch gewissenhafte Untergebene gaben weder der Generalstab noch Keitel irgendwelche gegenteilige Befehle. Der Befehl vom 16. September 1941 ist immer in Kraft geblieben. Aus den Beispielen von Geiselerschießungen in Frankreich, die ich Ihnen geben werde, werden Sie ersehen, daß eine große Anzahl der von mir angeführten Vorkommnisse in den Jahren 1942, 1943 und sogar 1944 geschahen.
VORSITZENDER: Wir wollen jetzt vielleicht vertagen.