[Pause von 10 Minuten.]
M. DUBOST: Was die anderen westlichen Länder anbelangt, die Niederlande und Norwegen, so verfügen wir über Dokumente, die wir als F-224-b, RF-291, dem Gerichtshof unterbreiten.
Im französischen Texte finden Sie eine lange Liste von hingerichteten Zivilpersonen.
Sie finden auch einen Bericht des Chefs der Kriminalpolizei Munt über die Hinrichtungen. Sie werden merken, daß Munt versucht, sich zu entschuldigen, was ihm aber meiner Meinung nach nicht gelingt. Dies befindet sich auf Seite 6 des bereits vorgelegten Dokuments RF-277. Sie finden dort den Bericht von einer Untersuchung über Massenexekutionen, die von den Deutschen in Holland vorgenommen worden sind.
Ich halte es nicht für nötig, diesen Bericht zu verlesen, der uns keine neuen Elemente vermittelt, er liefert nur einen neuen Beweis zu der These, die ich seit heute Morgen vertrete, nämlich, daß die deutschen Militärbehörden in allen westlichen Ländern Geiselhinrichtungen als Vergeltungsmaßnahmen für Widerstandshandlungen systematisch durchgeführt haben.
Am 7. März 1945 erging der Befehl, achtzig Gefangene zu erschießen, und die Behörde, die diesen Befehl gab, sagte: »Es ist uns gleichgültig, woher Sie diese Gefangenen nehmen.« Hinrichtungen ohne Unterschied, weder hinsichtlich des Alters, noch des Berufs, noch der Herkunft.
2080 Hinrichtungen wurden auf diese Weise vollzogen. Es geschah zum Beispiel, daß als Vergeltungsmaßnahme für die Ermordung eines SS-Soldaten ein Haus zerstört und zehn Holländer erschossen wurden, In einem anderen Fall erschoß man zehn Holländer, und insgesamt sind 3000 Holländer unter diesen Bedingungen erschossen worden; dies ergibt sich aus diesem Dokument, das von der Kommission für Kriegsverbrechen zusammengestellt, und von Oberst Baron van Tuyll van Serposkerken, Chef der Niederländischen Delegation bei dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, unterschrieben worden ist.
Der Gerichtshof hat den Bericht über die Zahl der Opfer, Bezirk für Bezirk, vor sich liegen.
Ich möchte meine Ausführungen über die Geiselfrage, was Holland anbelangt, nicht beenden, ohne die Aufmerksamkeit des Gerichtshofes auf Teil b des Dokuments F-224 zu lenken. Dort findet sich eine lange Liste von Geiseln, Gefangenen oder Kranken, die von den Deutschen in Holland in Haft genommen worden waren. Der Gerichtshof wird feststellen, daß die Mehrzahl dieser Geiseln Intellektuelle oder hochgestellte Personen sind. Man findet dort die Namen von Abgeordneten, Anwälten, Senatoren, Pfarrern und Beamten. Unter ihnen befindet sich auch ein ehemaliger Justizminister. Die Verhaftungen waren systematisch gegen die intellektuelle Elite dieses Landes gerichtet.
Hinsichtlich Norwegens wird der Gerichtshof in dem Dokument F-240, das ich als RF-292 vorlege, einen kurzen Bericht über die Hinrichtungen finden, die von den Deutschen in diesem Lande vorgenommen worden sind:
»Am 26. April 1942 wurden zwei deutsche Polizisten beim Versuch, zwei norwegische Patrioten zu verhaften, auf einer Insel der Westküste Norwegens getötet. Um sie zu rächen, wurden vier Tage später achtzehn junge Leute ohne Urteil erschossen. Alle diese achtzehn Norweger waren seit dem 22. Februar desselben Jahres im Gefängnis und hatten daher in dieser Angelegenheit keinerlei Rolle gespielt.«
Dann heißt es im ersten Absatz der französischen Übersetzung, Seite 22 des norwegischen Originaldokuments:
»Am 6. Oktober 1942 wurden 10 bekannte norwegische Bürger als Geiseln hingerichtet als Sühne für Sabotageversuche. Am 20. Juli 1944 wurde eine unbestimmte Anzahl Norweger ohne Urteil erschossen. Sie stammten alle aus einem Konzentrationslager. Man kennt den Grund dieser Verhaftung und Hinrichtung nicht. Nach der deutschen Kapitulation wurden schließlich 44 Leichen von Norwegern in Gräben wieder gefunden. Alle waren erschossen worden. Man kennt den Grund für diese Hinrichtung nicht. Er ist niemals veröffentlicht worden. Man glaubt nicht, daß sie vor Gericht erschienen. Die Hinrichtungen waren durch Genickschuß oder Revolverschuß in die Ohren vorgenommen worden. Die Hände der Opfer waren, hinter dem Rücken gefesselt.«
Diese Auskünfte stammen von der Königlich Norwegischen Regierung und sind für dieses Gericht bestimmt.
Schließlich möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofes auf ein letztes Dokument, R-134, RF-293, lenken, das von Terboven unterschrieben ist, und über die Erschießung von achtzehn norwegischen Gefangenen berichtet, die versucht hatten, auf illegale Weise nach England zu gelangen.
Zu Tausenden und Zehntausenden wurden Bürger der westlichen Länder hingerichtet, ohne Urteil, als Vergeltungsmaßnahmen für Taten, an denen sie nicht teilgenommen hatten.
Es scheint mir nicht notwendig, noch mehr Beispiele anzuführen. Jedes dieser Beispiele begründet individuelle Verantwortlichkeiten, für die dieser Gerichtshof nicht zuständig ist. Diese Beispiele interessieren uns nur insoweit, als Befehle der Angeklagten ausgeführt worden sind und insbesondere die Befehle Keitels.
Ich glaube, ich habe hier ausreichend den Beweis dafür erbracht. Es ist unbestritten, daß in allen diesen Fällen die Deutsche Wehrmacht in diese Hinrichtungen verwickelt war, Hinrichtungen, die nicht nur Handlungen der Polizei oder SS waren.
Sie erreichten im übrigen ihr Ziel nicht. Weit davon entfernt, die Anzahl der Attentate zu vermindern, vergrößerten sie sie nur. Jedes Attentat zog Hinrichtungen von Geiseln nach sich, jede Erschießung von Geiseln zeitigte neue Attentate als Vergeltungsmaßnahmen. Im allgemeinen versetzte die Bekanntmachung neuer Geiselerschießungen die Länder in Bestürzung und zwang jeden Bürger dazu, sich des Schicksals seines Landes trotz der Anstrengungen der deutschen Propaganda bewußt zu werden. Angesichts des Scheiterns der Terrorpolitik könnte man annehmen, daß die Angeklagten ihre Handlungsweise änderten. Weit gefehlt, sie verstärkten sie noch. Ich möchte Ihnen dies zeigen durch eine Schilderung der Tätigkeit der Polizei und Justiz von dem Augenblick an, da die Geiselpolitik gescheitert war und man sich an die Deutsche Polizei wenden mußte, um die besetzten Länder unterjocht zu halten.
Zu jeder Zeit und schon seit Beginn der Besetzung haben die deutschen Behörden willkürlich Verhaftungen vorgenommen. Aber nach dem Mißlingen der Politik der Geiselexekutionen, ein Mißlingen, das für Belgien von General von Falkenhausen selbst festgestellt wurde, wie Sie sich erinnern werden, wurden die willkürlichen Verhaftungen so zahlreich, daß sie sich zum ständigen Ersatz für die Geiselverhaftungen entwickelten.
Wir unterbreiten dem Gerichtshof Dokument PS-715, RF-294, das sich auf die Verhaftung von Generalen, die in Ehrenhaft nach Deutschland verschickt werden sollten, bezieht:
»Betrifft: Maßnahmen gegen französische Offiziere.
Im Einvernehmen mit der Deutschen Botschaft Paris und dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD macht Ob.West folgende Vorschläge:
1. Nachstehende hohe Offiziere werden festgenommen und in Ehrenhaft nach Deutschland überführt:
Vom Heer die Generale Frere« – der infolge seiner Deportierung nach Deutschland starb –, »Gerodias, Cattier, Revers, de Lattre de Tassigny, Fornel de la Laurencie, Robert de Seint-Vincent, Laure, Doyen, Pisquendar, Mittelhauser und Paquin.
Von der Luftwaffe die Generale Bouscat, Carayon, de Geffrier d'Harcourt, Mouchard, Mendigal, Rozoy und die Obersten Loriot und Fonck.
Hierbei handelt es sich um Generale, deren Namen in Frankreich und im Ausland propagandistisch vertretbar sind, oder deren Verhalten oder Fähigkeiten eine Gefahr bedeuten....
Darüber hinaus sind aus der Offizierskartei des Arbeitsstabs Frankreich etwa 120 Offiziere ausgewählt worden, die sich durch deutschfeindliche Haltung in den letzten zwei Jahren hervorgetan haben. Der SD hat ebenfalls eine Liste von rund 130 vorbelasteten Offizieren aufgestellt. Nach Abstimmung beider Listen wird die Inhaftierung dieser Offiziere zu einem späteren, von der Lage abhängigen Zeitpunkt vorbereitet....
Bei allen Offizieren des französischen Waffenstillstandsheeres wird gemeinsam durch Befehlshaber der Sicherheitspolizei und Ob.West im ganzen Gebiet einheitlicher Stichtag bei einer polizeilichen Meldung der Wohnungs- und Beschäftigungsart überprüft.«
Und jetzt die wichtigste Stelle:
»Als Sühnemaßnahme werden Familien verdächtiger Persönlichkeiten, die bereits zur Dissidenz übergetreten sind oder es in Zukunft tun, als Internierte nach Deutschland oder in das Ostw. Frankreichs überführt. Hierzu muß zunächst die schwierige Unterbringungs- und Bewachungsfrage geklärt werden. Als weiterer Schritt kommt die bisher auch schon in anderen Fällen von Laval durchgeführte Aberkennung der Staatsangehörigkeit sowie die Einziehung des Vermögens in Frage.«
Polizei und Wehrmacht sind in alle diese Verhaftungen verwickelt. Ein chiffriertes Telegramm zeigt, daß das Auswärtige Amt selbst in diese Angelegenheit verwickelt ist. Es ist dies Dokument 723-PS, das ich als Beweisstück RF-295 vorlege. Es ist an den Reichsaußenminister gerichtet und Paris, den 5. Juni 1943, datiert, drittes Dokument des Dokumentenbuches:
»Bei der gestrigen Besprechung mit den Vertretern des Ob.West und des SD über die durchzuführenden Maßnahmen wurde einverständlich folgendes festgelegt:
Zweck der Maßnahmen muß sein, die Flucht weiterer bekannter Militärs aus Frankreich durch vorbeugende Sicherungsmaßnahmen unmöglich zu machen und damit gleichzeitig zu verhindern, daß diese Persönlichkeiten im Falle eines angelsächsischen Landungsversuches in Frankreich selbst eine Widerstandsbewegung organisieren könnten.
Der Kreis der hiervon betroffenen Offiziere umfaßt alle solche Persönlichkeiten, die durch Rang und Erfahrung oder durch ihren Namen beim etwaigen Übergang zur Dissidenz eine wesentliche Stärkung der militärischen Führung oder des politischen Kredits der Dissidenz bedeuten würden und die für den Fall von Operationen in Frankreich im gleichen Sinne zu bewerten sind....
Die Liste ist mit Ob.West Befehlshaber der Sicherheitspolizei und dem General der Luftwaffe Paris abgestimmt.«
Ich werde die Liste dieser neuen Namen von hohen französischen Offizieren, die verhaftet werden sollten, nicht verlesen.
Wir gehen weiter; der Gerichtshof wird sehen, daß die deutschen Behörden in Betracht zogen, dasselbe Schicksal denjenigen Offizieren zuteil werden zu lassen, die bereits von der Französischen Regierung verhaftet und unter Überwachung der französischen Behörden gestellt worden waren, wie General de Lattre de Thassigny, General Laure und General Fornel de la Laurencie. Diese Generale sollten buchstäblich den französischen Behörden entrissen und dann deportiert werden:
»Bei der gegenwärtigen allgemeinen Lage und im Hinblick auf die beabsichtigten Sicherungsmaßnahmen scheint es allen hiesigen Stellen unerwünscht, daß diese Generale im französischen Gewahrsam verbleiben, weil mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß sie durch Nachlässigkeit oder durch absichtliche Handlungen des Bewachungspersonals ihre Freiheit wieder erhalten und entweichen könnten.«
Endlich hinsichtlich der Repressalien gegen die Familien:
»General Warlimont hatte bei dem Oberbefehlshaber West angefragt, die Frage von Sühnemaßnahmen gegen Verwandte der zur Dissidenz übergegangenen Personen zu besprechen und etwaige Vorschläge zu unterbreiten.
Präsident Laval hatte sich kürzlich bereit erklärt, von Seiten der Französischen Regierung gewisse Maßnahmen gegen solche Familienangehörige zu treffen, jedoch diese auf die Angehörigen einzelner besonders hervortretender Personen zu beschränken. Ich verweise auf den vorletzten Absatz des Drahtberichtes Nummer 3486 vom 29. 5. Es muß abgewartet werden, ob Laval wirklich bereit ist, solche Maßnahmen praktisch durchzuführen.
Bei den Beteiligten der Sitzung bestand Einverständnis darüber, daß derartige Maßnahmen unter allen Umständen und mit größter Beschleunigung durchgeführt werden müssen, und zwar vor allem gegen Familienangehörige der bisher zur Dissidenz übergetretenen bekannten Persönlichkeiten (z.B. Familienangehörige der Generale Giraud, Juin, Georges, des ehemaligen Innenministers Pucheu, der Finanzinspektoren Couvre de Murville, le Roy Beaulieu und anderer).
Die Maßnahmen können auch von deutscher Seite durchgeführt werden, da es sich bei den zur Dissidenz übergegangenen Persönlichkeiten um als Feindausländer anzusehende Personen handelt, und ihre Familienangehörigen dementsprechend auch als Feindausländer zu betrachten sind.
Es kommt nach hiesiger Auffassung eine Internierung dieser Familienangehörigen in Frage, wobei die praktische Durchführung und die technischen Möglichkeiten sorgfältig geprüft werden müssen....
Es könnte auch überlegt werden, ob diese Familienangehörigen in besonders luftgefährdeten Gebieten untergebracht werden sollen, z.B. in der Nähe von Talsperren, oder besonders oft bombardierten Industriegegenden.
Eine Liste der für eine solche Internierung in Frage kommenden Familien wird zusammen mit der Botschaft ausgearbeitet werden.«
In diese vorbedachten verbrecherischen Verhaftungen finden wir den Angeklagten Ribbentrop sowie den Angeklagten Göring und den Angeklagten Keitel verwickelt, denn es sind ihre Dienststellen, die diese Vorschläge gemacht haben, und wir wissen, daß diese Vorschläge genehmigt worden sind. Dokument 720-PS, RF-296. Jedenfalls muß darauf hingewiesen werden, daß das Auswärtige Amt durch Vermittlung des OKW beteiligt ist.
Es ist eine Tatsache, daß diese Verhaftungen stattgefunden haben. Mitglieder der Familie des Generals Giraud sind deportiert worden, General Frere wurde verschleppt und ist in einem Konzentrationslager verstorben. Die Befehle wurden also durchgeführt; sie sind vorher genehmigt worden, und diese Zustimmung belastet die Angeklagten, deren Namen ich Ihnen genannt habe. Die Verhaftungen betrafen aber nicht nur Generale, sie waren unendlich ausgedehnter; es wurde eine sehr große Anzahl von Franzosen verhaftet. Wir besitzen aber keine genauen Statistiken.
VORSITZENDER: Haben Sie zu Ihrer letzten Behauptung Beweise vorgelegt?
M. DUBOST: Für die Verhaftungen und den Tod des Generals Frere in einem Konzentrationslager werde ich Ihnen den Beweis erbringen, wenn ich mich mit den Konzentrationslagern befassen werde. Von der Verhaftung und dem Tod verschiedener französischer Generale im Konzentrationslager Dachau hat der Gerichtshof durch die Zeugenaussage Blahas Kenntnis erhalten. Was die Familie des Generals Giraud angeht, werde ich versuchen, auch den Beweis zu erbringen; ich dachte nicht, daß dies erforderlich sein würde, da es allgemein bekannt ist, daß die Tochter des Generals Giraud deportiert worden ist.
VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß wir alle Tatsachen amtlich zur Kenntnis nehmen können, die in Frankreich allgemein bekannt sind.
M. DUBOST: Was die Generale anlangt, die in der Gefangenschaft gestorben sind, werde ich dem Gerichtshof ergänzende Beweise vorlegen, wenn ich mich mit den Konzentrationslagern befasse.
VORSITZENDER: Sehr gut.
M. DUBOST: General Frere ist im Lager von Struthof verstorben, und wir werden Ihnen zeigen, unter welchen Umständen er ermordet worden ist. Ferner befindet sich in Ihrem Dokumentenbuch ein Dokument F-417, RF-297, das in den Akten der Deutschen Waffenstillstandskommission beschlagnahmt worden ist, und aus dem hervorgeht, daß die deutschen Behörden sich geweigert haben, die französischen kriegsgefangenen Generale auf freien Fuß zu setzen, deren Gesundheitszustand oder hohes Alter ihre Freilassung gerechtfertigt hätte. Ich zitiere:
»Der Führer hat sich dieser Frage gegenüber stets ablehnend verhalten, und zwar sowohl hinsichtlich einer Entlassung als auch einer Hospitalisierung im neutralen Ausland.
Eine Entlassung oder Hospitalisierung kommt heute weniger denn je in Frage, nachdem der Führer erst kürzlich die Überführung aller in Frankreich lebenden französischen Generale nach Deutschland befohlen hat.«
Unterschrift von Warlimont und ein handschriftlicher Zusatz:
»Eine Beantwortung der französischen Note unterbleibt.«
Halten Sie bitte als Beweis diesen letzten Satz fest:
»Nachdem der Führer erst kürzlich die Überführung aller in Frankreich lebenden französischen Generale nach Deutschland befohlen hat.«
Aber, wie schon erwähnt, übersteigen diese Verhaftungen bei weitem die ziemlich beschränkte Zahl der Generale oder der Familien der Personen, die in den Dokumenten erwähnt werden, welche ich dem Gerichtshof eben verlesen habe.
Eine sehr große Anzahl von Franzosen wurde verhaftet.
Wir haben keine Statistiken, aber wir bekommen eine Vorstellung von der Höhe dieser Ziffern nach der Anzahl der Franzosen, die allein in den französischen Gefängnissen gestorben sind, die während der Besatzungszeit unter deutschem Befehl standen und von deutschem Personal überwacht waren.
Wir wissen nach einer amtlichen Schätzung, die aus dem Ministerium für Gefangene und Deportierte stammt, daß allein 40000 Franzosen in den französischen Gefängnissen in Frankreich gestorben sind. Auf der Gefangenenliste liest man: »Schutzhaft«. Meine amerikanischen Kollegen haben dem Gerichtshof dargetan, worin diese Schutzhaft bestand, als sie das Dokument 1723-PS, US-206, besprachen. Es ist also überflüssig, nochmals auf dieses Dokument zurückzukommen. Es genügt, daran zu erinnern, daß die Haft, die Schutzhaft, von den deutschen Behörden als die stärkste Maßnahme betrachtet wurde, um die Ausländer, die absichtlich ihre Pflichten gegenüber der deutschen Gemeinschaft vergaßen oder die Sicherheit des Deutschen Staates gefährdeten, darüber zu belehren, daß sie sich dem allgemeinen Interesse und der Staatsdisziplin anzupassen hätten.
Diese Schutzhaft war, wie sich der Gerichtshof sicherlich erinnert, eine völlig willkürliche Haft. Die Leute, die in Schutzhaft interniert waren, hatten keinerlei Recht und konnten sich nicht rechtfertigen. Es gab für sie gar keine Gerichte, vor denen sie sich hätten rechtfertigen können.
Wir wissen durch offizielle Dokumente, die uns übergeben worden sind, insbesondere von Luxemburg, daß diese Schutzhaft in großem Umfang zur Anwendung kam. Der Gerichtshof findet in Dokument F-229, US-243, das bereits als L-215, US-243, vorgelegt worden ist, eine Liste von fünfundzwanzig Personen, die verhaftet wurden, um in verschiedene Konzentrationslager als Schutzhäftlinge geschickt zu werden. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß unsere Kollegen die Aufmerksamkeit auf den Grund der Verhaftung von Ludwig gelenkt haben, der nur in starkem Verdacht stand, Deserteuren geholfen zu haben.
Eine Zeugenaussage über die Schutzhaftanwendung in Frankreich finden wir in Dokument F-278, RF-300.
»Abschrift zu VAA P 7236 g. Auswärtiges Amt, Berlin, den 18. Sept. 1941.
Auf den Bericht vom 30. August ds. Js.
Die Ausführungen des Militärbefehlshabers in Frankreich vom 1. August ds. Js. werden hier im allgemeinen zur Beantwortung der französischen Note für ausreichend angesehen.
Es wird auch hier für zweckmäßig gehalten, eine weitere Diskussion mit den Franzosen über die Frage der Schutzhaft zu vermeiden, da diese nur zu einer Festlegung klarer Grenzen der Ausübung dieser Befugnisse durch die besetzende Macht führen würde, was im Interesse der Bewegungsfreiheit der Militärbehörde unerwünscht wäre.
Im Auftrag gez. Unterschrift.
VAA in der D.W.St.K. Wiesbaden. Der Vertreter des Auswärtigen Amts. VAA P 7236 g.
Wiesbaden, den 23. September 1941.
Abschriftlich.
... VAA bittet, ihn zu gegebener Zeit von der Beantwortung der französischen Noten zu unterrichten.«
Wieder ist das Auswärtige Amt in diese Anwendung der Schutzhaft verwickelt. Die Begründung für die Schutzhaft ist nach dem Eingeständnis des Auswärtigen Amtes nur schwach. Das Auswärtige Amt untersagt sie jedoch nicht.
Die Verhaftungen wurden unter verschiedenen Vorwänden vorgenommen. Aber alle diese Vorwände gehen auf zwei Hauptideen zurück. Man verhaftet entweder aus politischen oder aus rassischen Gründen. Die Verhaftungen waren individuelle oder kollektive Maßnahmen, in einem Fall wie im andern Fall.
Die politischen Vorwände:
Seit 1941 konnten die Franzosen feststellen, daß zwischen den politischen Ereignissen und dem Rhythmus der Verhaftungen ein bestimmtes Verhältnis bestand. Das französische Dokument F-274-I, RF-301, es befindet sich am Ende des Dokumentenbuches, zeigt dies. Das Dokument kommt aus dem Ministerium für Kriegsgefangene und Deportierte. Es beschreibt die Bedingungen, unter denen die Verhaftungen ab 1941 durchgeführt wurden, einer kritischen Periode in der deutschen Kriegsgeschichte, denn seit 1941 befand sich Deutschland im Krieg mit Rußland:
»Die Gleichzeitigkeit zwischen der politischen Ent wicklung und dem Rhythmus der Verhaftungen ist offensichtlich. Die Aufgabe der Demarkationslinie, die Aufstellung der Widerstandsgruppen, die Bildung der Maquis, die Folgen der Arbeitspflicht, die Landung in Nordfrankreich und in der Normandie, spiegelten sich sogleich in der Zahl der Verhaftungen wider, die ihren Höhepunkt zwischen Mai und August 1944 erreichte, besonders in der südlichen Zone und vor allem in der Gegend von Lyon.
Wir wiederholen, daß diese Verhaftungen von Angehörigen aller Kategorien des deutschen Unterdrückungssystems ausgeführt worden sind, Gestapo in Uniform oder in Zivil, SD, Gendarmerie, besonders an der Demarkationslinie, Wehrmacht, SS....
Die Verhaftungen nahmen den Charakter von Kollektivmaßnahmen an. Infolge eines Attentats wurde das 18. Arrondissement in Paris von der Feldpolizei umringt. Die Bewohner, Männer, Frauen und Kinder durften ihre Häuser nicht betreten und mußten die Nacht zubringen, wo immer sie Zuflucht finden konnten. Im Arrondissement wurde eine Razzia durchgeführt.«
Ich glaube nicht, daß es nötig ist, den nächsten Absatz zu verlesen, der sich auf Verhaftungen an der Universität Clermont Ferrand bezieht, an die sich der Gerichtshof bestimmt noch erinnert, und auf Verhaftungen in der Bretagne im Jahre 1944 zur Zeit der Landung.
Letzter Absatz am Ende der elften Seite:
»Unter dem Vorwand einer Verschwörung oder eines Attentats wurden ganze Familien betroffen. Die Deutschen griffen zu dem Mittel der Razzien, als die Arbeitsdienstverpflichtung ihnen nicht mehr genügend Arbeitskräfte verschaffte.
Razzia in Grenoble am 24. Dezember 1943 in der Weihnachtsnacht, Razzia in Cluny en Saone et Loire im März 1944; Razzia in Figeac im Mai 1944.
Der größte Teil der auf diese Weise ausgehobenen Franzosen wurde in Wirklichkeit nicht zur Arbeit in Deutschland verwandt, sondern in Konzentrationslagern interniert.«
Wir könnten noch zahlreiche Beispiele für diese willkürlichen Verhaftungen anführen, indem wir offizielle Papiere aus Luxemburg, Dänemark, Norwegen, Holland und Belgien heranziehen. Diese Razzien hatten niemals rechtliche Gründe; sie stellten sich nicht einmal als Handlungen im Sinne des Pseudogeiselrechts dar, von dem wir bis jetzt gesprochen haben. Sie waren immer willkürlich, ohne ersichtlichen Grund vorgenommen und so geartet, daß sie nicht durch Handlungen von Franzosen gerechtfertigt waren, selbst nicht unter dem Titel der Vergeltung. Andere Kollektivverhaftungen wurden aus rassischen Gründen durchgeführt. Sie zeigten denselben hassenswerten Charakter wie die aus politischen Gründen durchgeführten Verhaftungen.
In dem amtlichen Dokument des Ministeriums für Kriegsgefangene und Deportierte kann der Gerichtshof einige abscheuliche Einzelheiten über diese rassischen Verhaftungen lesen:
»Gewisse deutsche Polizisten waren besonders damit beauftragt, die Juden nach ihrer Physiognomie auszusuchen; ihre Gruppe wurde die ›Physiognomien-Brigade‹ genannt. Die Überprüfung erfolgte oft öffentlich, was die Männer anbelangt. (Ausziehen am Bahnhof von Nizza, unter Bedrohung mit Revolvern.)
Die Pariser erinnern sich dieser nach Stadtteilen durchgeführten Razzien der großen Polizeiautos, die wahllos Greise, Frauen und Kinder abführten, um sie im Velodrome D'Hiver unter furchtbaren hygienischen Bedingungen zusammenzupferchen, vor der Abreise nach Drancy, von wo aus sie deportiert wurden. Die Razzia im Monat August 1941 ist wegen ihrer traurigen Umstände berüchtigt. Alle Ausgänge der Untergrundbahn des elften Arrondissements wurden geschlossen und alle Juden dieses Bezirks verhaftet und eingesperrt. Die Razzia vom Dezember 1941 traf besonders die intellektuellen Kreise. Dann gab es die Razzien vom Juli 1942. Alle Städte der Südzone, besonders Lyon, Grenoble, Cannes und Nizza, wohin sich zahlreiche Juden geflüchtet hatten, haben nach der Besetzung von ganz Frankreich solche Razzien erlebt.«
Und weiter eine ganz besonders gemeine Tatsache:
»Die Deutschen suchten alle jüdischen Kinder, die entweder bei Einzelpersonen oder bei Gemeinschaften Zuflucht gefunden hatten. Im Mai 1944 nahmen sie die Verhaftung der Kinder aus den Heimen von Eyzieux vor und die Verhaftung der Flüchtlingskinder in den Hei men der U.G.I.F. im Juni und Juli 1944.«
Ich glaube nicht, daß diese Kinder Feinde des deutschen Volkes waren, oder daß sie dem deutschen Heer in Frankreich irgendeinen Schaden hätten zufügen können.
VORSITZENDER: Ich glaube, Herr Dubost, es ist Zeit zu unterbrechen.