[Pause von 10 Minuten.]
DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER FÜR DEN ANGEKLAGTEN KEITEL: Der Französische Anklagevertreter hat soeben das Dokument L-90, den sogenannten »Nacht- und Nebelerlaß«, verlesen, das heißt, er hat ihn erwähnt und folgende Worte zitiert:
»Eine wirksame und nachhaltige Abschreckung ist nur durch Todesstrafen oder durch Maßnahmen zu erreichen, die die Angehörigen und die Bevölkerung über das Schicksal des Täters im Ungewissen halten.«
Der Herr Anklagevertreter hat gesagt, dies seien die Worte Keitels. Es ist bei früherem Anlaß seitens des Herrn Vorsitzenden und seitens des Gerichts darauf hingewiesen worden, daß es unzulässig sei, aus einem Dokument nur einen Teil zu verlesen, wenn dadurch ein irriger Eindruck erweckt werden könne. Der Herr Anklagevertreter wird mir zustimmen, wenn ich sage, daß der Erlaß L-90 in einer vollkommen klaren Weise zum Ausdruck bringt, daß hier nicht der Chef des OKW, sondern Hitler spricht. Es heißt darin kurz:
»Es ist der lang erwogene Wille des Führers, daß in den besetzten Gebieten bei Angriffen gegen das Reich oder die Besatzungsmacht den Tätern mit anderen Maßnahmen begegnet werden soll als bisher. Der Führer ist der Ansicht: Bei solchen Taten werden Freiheitsstrafen, auch lebenslange Zuchthausstrafen, als Zeichen von Schwäche gewertet. Eine wirksame und nachhaltige Abschreckung ist nur durch Todesstrafe usw.... zu erreichen.«:
Abschließend sagt der Erlaß:
»Die anliegenden Richtlinien für die Verfolgung von Straftaten entsprechen dieser Auffassung des Führers; sie sind von ihm geprüft und gebilligt worden.«
Ich gestatte mir, hierauf hinzuweisen, weil gerade dieser Erlaß, den man den berüchtigten »Nacht- und Nebelerlaß« nennt, in seiner Entstehung und in seiner Durchführung von dem Angeklagten Keitel abgelehnt wird.
M. DUBOST: Ich muß dazu eine Erklärung abgeben. Ich habe diesen Erlaß nicht vollständig verlesen, da der Gerichtshof ihn kennt. Nach den vor diesem Gerichtshof geltenden Bestimmungen ist er schon verlesen worden. Ich wußte auch, daß der Angeklagte Keitel ihn unterzeichnet, daß Hitler ihn aber erdacht hatte. Ich habe auch auf die militärische Ehre dieses Generals hingewiesen, der sich nicht scheute, Hitlers Lakai abzugeben.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat Ihre Erklärung zur Kenntnis genommen, nach der das Dokument dem Gerichtshof bereits vorgelegt wurde; der Gerichtshof ist nicht der Ansicht, daß ihre Erklärungen bei uns einen irrigen Eindruck erwecken konnten. Das ist alles.
M. DUBOST: Wenn es dem Gerichtshof recht ist, können wir jetzt zum Verhör eines Zeugen, eines Franzosen, schreiten.
VORSITZENDER: Das ist Ihr Zeuge, nicht wahr? Ist das der Zeuge, dessen Vernehmung Sie beantragen?
M. DUBOST: Ja.
[Der Zeuge betritt den Zeugenstand]
VORSITZENDER:
[zum Zeugen gewandt]
Stehen Sie bitte auf. Wie heißen Sie?
ZEUGE MAURICE LAMPE: Lampe, Maurice.
VORSITZENDER: Wollen Sie mir die Eidesformel nachsprechen: Ich schwöre, ohne Haß oder Furcht auszusagen, die Wahrheit zu sagen, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit.