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[Der Zeuge spricht die Eidesformel in französischer Sprache nach.]

VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren Namen buchstabieren?

LAMPE: L – a – m – p – e.

VORSITZENDER: Danke.

M. DUBOST: Sie sind in Roubaix am 23. August 1900 geboren? Sie sind von den Deutschen deportiert worden?

LAMPE: Ja.

VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie wollen.

LAMPE: Danke, Herr Präsident.

M. DUBOST: Sie sind in Mauthausen interniert gewesen?

LAMPE: Richtig.

M. DUBOST: Wollen Sie aussagen, was Sie über dieses Internierungslager wissen?

LAMPE: Ja, gern.

M. DUBOST: Sagen Sie, was Sie wissen.

LAMPE: Ich bin am 8. November 1941 verhaftet worden. Nach zweieinhalbjähriger Internierung in Frankreich wurde ich am 22. März 1944 nach Mauthausen in Österreich deportiert. Die Reise dauerte drei Tage und drei Nächte unter besonders niederträchtigen Umständen; einhundertvier Deportierte in einem Viehwagen ohne Luft. Ich glaube nicht, daß ich hier über diese Reise Einzelheiten zu geben brauche; man kann sich ja vorstellen, in welcher Lage wir am 25. März 1944 morgens in Mauthausen bei zwölf Grad unter Null angekommen sind. Ich möchte jedenfalls noch erwähnen, daß wir von der französischen Grenze ab völlig nackt in den Wagen waren. Bei unserer Ankunft in Mauthausen empfing uns der SS-Offizier, der diesen Transport von ungefähr 1200 Franzosen übernahm, mit folgenden Worten, die ich aus dem Gedächtnis fast wortgetreu wiedergebe: »Deutschland braucht Eure Arbeitskraft, Ihr werdet also arbeiten. Aber ich muß Euch jetzt schon sagen, daß nie mehr einer von Euch seine Familie wiedersehen wird. Wenn man in dieses Lager hereinkommt, dann kommt man aus dem Schornstein des Krematoriums wieder heraus.« Ich blieb ungefähr drei Wochen lang im Quarantäne-Isolierblock und wurde danach einem Kommando im Steinbruch zur Arbeit zugeteilt.

Der Steinbruch von Mauthausen ist in einer Vertiefung gelegen und ist ungefähr achthundert Meter vom Lager entfernt. Um dorthin zu gelangen, muß man einhundertsechsundachtzig Stufen hinuntersteigen, ein besonders schrecklicher Kreuzweg, denn diese aus nicht gleichmäßigen Stufen bestehende Treppe war so angelegt, daß es schon sehr ermüdend war, ohne Last heraufzugehen.

Eines Tages, am 15. April 1944, wurde ich einer Arbeitergruppe von zwölf Mann, lauter Franzosen, zugeteilt, die einem deutschen »Kapo«, einem gewöhnlichen Verbrecher, und einem SS-Mann unterstanden. Wir begannen mit der Arbeit um 7.00 Uhr morgens. Um 8.00 Uhr, eine Stunde später, waren schon zwei meiner Kameraden ermordet worden. Der eine war fast ein Greis, Herr Gregoire aus Lyon, der andere, ein ganz junger Mann, Lefevre aus Tours. Sie waren ermordet worden, weil sie den deutschen Befehl nicht verstanden hatten, der sie zu einer Sonderarbeit abteilte.

Unsere Unkenntnis der Sprache brachte uns übrigens sehr oft Schläge ein. Am Abend dieses ersten Tages, des 15. April 1944, wurden wir beauftragt, die zwei Leichen hochzubringen. Ich trug mit drei meiner Kameraden die Leiche des alten Gregoire, eines sehr schweren Mannes. Die einhundertsechsundachtzig Stufen mit einem Leichnam hinaufzusteigen, hat uns mehr als einmal Schläge eingetragen, ehe wir oben ankamen.

Das Leben in Mauthausen, und ich gedenke vor diesem Gerichtshof nur das zu erzählen, was ich erlebt und gesehen habe, war eine lange Kette von Martern und Leiden. Ich möchte jedoch einige besonders verabscheuungswürdige Szenen erwähnen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind. Im Laufe des Monats September, ich glaube, es war am 6. September 1944, kam in Mauthausen ein kleiner Transport an: 47 englische, amerikanische und holländische Offiziere; Flieger, die mit Fallschirm abgesprungen waren. Sie waren gefangengenommen worden, nachdem sie versucht hatten, nach Hause zurückzukehren. Dafür hatte sie ein deutsches Gericht zum Tode verurteilt.

Ihre Einkerkerung war vor ungefähr eineinhalb Jahren erfolgt. Sie wurden nach Mauthausen gebracht, um dort hingerichtet zu werden. Gleich nach ihrer Ankunft wurden sie in den Bunker des Lagergefängnisses gebracht, barfüßig und bis auf Unterhose und Hemd ausgezogen. Am nächsten Morgen waren sie beim Sieben-Uhr-Morgen-Appell. Die Kommandos des Lagers rückten zur Arbeit aus. Den vor der Schreibstube versammelten siebenundvierzig Offizieren verkündete der Lagerkommandant das Todesurteil. Es ist meine Pflicht, zu erwähnen, daß, als einer der amerikanischen Offiziere den Kommandanten ersuchte, die Urteilsvollstreckung an ihm als Soldaten vorzunehmen, er als Antwort erhielt: »Schläge mit der Peitsche, Schläge überall hin«, und die siebenundvierzig Offiziere wurden barfuß zum Steinbruch geführt.

Ihre Ermordung ist für alle Insassen von Mauthausen eine wahrhaft höllische Vision geblieben.

Hier ist die Schilderung des Vorganges: Am Fuße der Treppe wurden den Unglückseligen Steine auf die Schultern geladen; Steine, die sie bis oben zu schleppen hatten. Der erste Gang geschah mit Steinen von 25 bis 30 Kilogramm. Unter Schlägen wurde der erste Gang beendet. Hinunter mußten sie im Laufschritt. Beim zweiten Gang waren die Steine schwerer und je mehr die Last die Unglückseligen drückte, desto mehr gab es Fußtritte und Peitschenhiebe, sogar mit Steinen wurden sie beworfen. Dieses Schauspiel dauerte mehrere Tage. Am Abend, als ich vom Kommando zurückkam, dem ich damals zugeteilt war, war der zum Lager führende Weg voller Blut. Ich wäre beinahe auf einen Unterkiefer getreten; 21 Leichen lagen am Weg, 21 waren am ersten Tag gestorben, die 26 übrigen starben am folgenden Morgen. Ich habe versucht, diese Schreckensszene hier so genau wie möglich wiederzugeben. Es war uns unmöglich, umsomehr als wir Lagerhäftlinge waren, die Namen dieser Offiziere zu erfahren, aber ich glaube, daß man sie später erfahren hat.

Im September 1944 erhielten wir den Besuch Himmlers. Nichts wurde an der Arbeit des Lagers geändert. Die Kommandos sind wie gewöhnlich ausgerückt, und ich hatte die traurige Gelegenheit, und wir alle hatten die traurige Gelegenheit, Himmler aus ziemlicher Nähe zu sehen. Wenn ich von Himmlers Besuch im Lager erzähle, was immerhin kein besonderes Ereignis war, so geschieht es, weil man an diesem Tage Himmler die Hinrichtung von fünfzig Sowjetoffizieren als Schauspiel bot. Ich muß sagen, ich arbeitete damals in einem Messerschmitt-Kommando und hatte gerade Nachtschicht. Der Block, in dem ich wohnte, war genau dem Krematorium und dem Hinrichtungsraum gegenüber. Wir konnten sehen, und ich habe gesehen, wie sich diese fünfzig Sowjetoffiziere in Fünferreihen gegenüber meinem Block versammelten, und wie einer nach dem anderen aufgerufen wurde. Der Weg, der zum Hinrichtungsraum führte, war ziemlich kurz, eine Treppe führte hinauf. Der Hinrichtungsraum lag unter dem Krematorium. Die Hinrichtung, der Himmler zumindest am Anfang beiwohnte, da sie den ganzen Nachmittag andauerte, war ein anderes, besonders entsetzliches Schauspiel. Ich wiederhole: Die russischen Offiziere wurden einer nach dem anderen aufgerufen, und es bildete sich eine Art Kette zwischen der Gruppe, die ihre Stunde erwartete, und derjenigen, die auf der Treppe die Schüsse auf ihre Vorgänger hörten. Die Hinrichtung wurde durch Genickschuß vorgenommen.

M. DUBOST: Waren Sie selbst dabei?

LAMPE: Ich wiederhole: Ich befand mich an jenem Nachmittag im Block XI gegenüber dem Krematorium, und wenn wir auch die Hinrichtung nicht mit angesehen haben, hörten wir doch ohne weiteres jeden Schuß. Auch sahen wir die auf der Treppe wartenden Verurteilten vor uns, wie sie sich umarmten, ehe sie auseinander gingen.

M. DUBOST: Wer waren die Verurteilten?

LAMPE: Es waren zum größten Teil russische Offiziere, politische Kommissare oder Mitglieder der Kommunistischen Partei. Sie kamen von Oflags.

M. DUBOST: Befanden sich unter ihnen Offiziere?

LAMPE: Ja.

M. DUBOST: Haben Sie erfahren, woher sie kamen?

LAMPE: Es war sehr schwer, zu erfahren, aus welchem Lager diese Leute kamen; denn im allgemeinen wurden sie sofort bei Ankunft im Lager abgesondert, entweder direkt ins Gefängnis oder in den Block XX, der dem Gefängnis angeschossen war, und über den ich vielleicht noch Gelegenheit haben werde...

M. DUBOST: Woher wußten Sie, daß es Offiziere waren?

LAMPE: Wir hatten die Möglichkeit, uns mit ihnen zu verständigen.

M. DUBOST: Kamen alle aus Kriegsgefangenenlagern?

LAMPE: Wahrscheinlich.

M. DUBOST: Sie haben es nicht sicher gewußt?

LAMPE: Wir haben es nicht genau gewußt, denn uns lag vor allem daran, ihre Nationalität zu erfahren, aber nicht die Einzelheiten.

M. DUBOST: Wissen Sie, woher die englischen, amerikanischen und holländischen Offiziere kamen, von denen Sie eben gesprochen haben, die auf der Treppe des Steinbruches erledigt wurden?

LAMPE: Ich glaube, sie kamen aus den Niederlanden; hauptsächlich die Fliegeroffiziere, deren Maschinen wahrscheinlich abgeschossen worden waren, die mit Fallschirm abgesprungen waren und versucht hatten, sich zu verstecken, um in ihre Heimat zurückzugelangen.

M. DUBOST: Wußten die Insassen von Mauthausen, daß man dort Kriegsgefangene, Offiziere oder Unteroffiziere hinrichtete?

LAMPE: Ja, das war allgemein bekannt.

M. DUBOST: Es war allgemein bekannt?

LAMPE: Vollkommen.

M. DUBOST: Wissen Sie von bestimmten Kollektiv- Hinrichtungen von Insassen von Mauthausen?

LAMPE: Wir kennen zahlreiche Beispiele.

M. DUBOST: Wollen Sie uns einige Beispiele davon anführen?

LAMPE: Außer den bereits geschilderten Hinrichtungen muß ich noch an die Hinrichtung eines Teiles eines aus Sachsenhausen kommenden Transports durch eine besondere Behandlung erinnern, die am 17. Februar 1945 erfolgte. Vor dem Vormarsch der alliierten Armeen waren verschiedene Lager nach Österreich zurückverlegt worden. Ein Transport von 2500 Gefangenen verließ Sachsenhausen und kam am Morgen des 17. Februar 1945 in Mauthausen an. Es waren ungefähr 1700 Gefangene, 800 waren vor Kälte gestorben oder waren während der Reise umgelegt worden.

Das Lager Mauthausen war zu diesem Zeitpunkt, wenn ich so sagen darf, überbelegt. Gleich nach Ankunft der 1700 Überlebenden dieses Transportes ließ der Lagerkommandant Dachmeier vierhundert unter den Häftlingen auswählen; er bestand darauf, daß sich die Kranken, Alten und Schwächsten melden, in der Hoffnung, in das Lagerkrankenhaus gebracht werden zu können. Diese Vierhundert, die sich entweder freiwillig gemeldet hatten, oder auch abgeteilt waren, sind bei minus achtzehn Grad Celsius völlig nackt ausgezogen worden. Achtzehn Stunden lang standen sie zwischen dem Wäschereigebäude und der Lagermauer. Der Blutandrang...

M. DUBOST: Waren Sie bei diesem Vorfall persönlich zugegen?

LAMPE: Jawohl, persönlich.

M. DUBOST: Sie bezeugen als direkter Zeuge, daß Sie es mit eigenen Augen gesehen haben?

LAMPE: Ganz gewiß.

M. DUBOST: An welcher Stelle des Lagers befanden Sie sich in diesem Augenblick?

LAMPE: Ich wiederhole, dieses Schauspiel dauerte achtzehn Stunden, und bei der Rückkehr ins Lager oder beim Verlassen des Lagers sahen wir diese unglücklichen Menschen mit eigenen Augen.

M. DUBOST: Wollen Sie bitte fortfahren. Sie haben den Besuch Himmlers erwähnt. Haben Sie des öfteren deutsche Persönlichkeiten im Lager gesehen?

LAMPE: Ja, aber ich kann Ihnen die Namen nicht angeben.

M. DUBOST: Kannten Sie sie nicht?

LAMPE: Himmler ist etwas besonderes.

M. DUBOST: Sie wußten, daß es bedeutende Persönlichkeiten waren?

LAMPE: Gewiß, wir wußten das, erstens weil diese Persönlichkeiten bei ihren Besichtigungen stets von einem ganzen Stab umgeben waren, der insbesondere durch die dem Gefängnis angeschlossenen Blocks und durch das Gefängnis selbst ging.

Wenn Sie mir gestatten, werde ich weitere Angaben über diese vierhundert Unglücklichen aus Sachsenhausen machen. Ich habe bereits gesagt, daß der Lagerkommandant Dachmeier, nachdem er die Kranken, Schwächsten und Alten ausgesucht hatte, befahl, diese seien auszuziehen, vollkommen nackt bei achtzehn Grad Kälte. Einige traf sofort der Schlag; jedoch der SS schien das nicht rasch genug zu gehen, dreimal während der Nacht mußten sie zur Dusche gehen, dreimal je eine halbe Stunde unter eiskaltes Wasser, und ohne sich abgetrocknet zu haben, gingen sie zurück. Am nächsten Morgen, als die Kommandos zur Arbeit ausrückten, war der Platz mit Leichen übersät. Ich will noch hinzufügen, daß die letzten Überlebenden mit dem Beile erledigt wurden.

Ich bezeuge hier einen unbestreitbaren Vorfall, der ohne weiteres überprüft werden kann. Unter diesen vierhundert Leuten befand sich der französische Kavalleriehauptmann Dedionne, der heute, soviel ich weiß, als Major dem französischen Kriegsministerium angehört. Dieser Hauptmann befand sich nun unter den vierhundert Gefangenen. Er verdankt seine Rettung nur dem Umstand, daß er sich unter die Leichen schlich und dadurch den Beilschlägen entging. Als die Leichen zum Krematorium gebracht wurden, gelang es ihm, mitten durch das Lager zu entfliehen; dabei erhielt er einen Hieb auf die Schulter, dessen Merkmal er für den Rest seines Lebens tragen wird. Er wurde von der SS wieder eingefangen; er verdankt sein Leben wahrscheinlich der Tatsache, daß die SS es besonders lustig fand, daß ein Überlebender aus dem Leichenhaufen hervorkriecht. Wir pflegten ihn, nahmen uns seiner an und brachten ihn nach Frankreich zurück.

M. DUBOST: Wissen Sie, warum diese Hinrichtung stattfand?

LAMPE: Weil zu viele Leute im Lager waren; weil die Häftlinge, die aus allen zurückverlegten Lagern kamen, nicht schnell genug in Arbeitskommandos eingeteilt werden konnten. Die Blocks waren überfüllt. Dies war der einzige Grund, der angegeben wurde.

M. DUBOST: Wissen Sie, wer den Befehl zur Hinrichtung der britischen, amerikanischen und holländischen Offiziere gegeben hat, deren Ermordung Sie im Steinbruch gesehen haben?

LAMPE: Ich glaube, gesagt zu haben, daß diese Offiziere von deutschen Gerichten zum Tode verurteilt waren.

M. DUBOST: Ja.

LAMPE: Wahrscheinlich einige von ihnen schon Monate vorher. Sie wurden zur Urteilsvollstreckung nach Mauthausen geschickt. Es ist wahrscheinlich, daß es sich um einen Befehl aus Berlin handelte.

M. DUBOST: Kannten Sie die Verhältnisse, unter denen das Revier errichtet wurde?

LAMPE: Wahrheitsgemäß muß ich sagen, daß der Bau des Reviers vor meiner Ankunft im Lager stattfand.

M. DUBOST: Wollen Sie damit eine indirekte Zeugenaussage machen?

LAMPE: Ja, es ist eine indirekte Zeugenaussage; jedoch geht sie auf Aussagen aller Häftlinge, einschließlich der SS selbst, zurück.

Das Revier wurde von den ersten in Mauthausen angekommenen russischen Kriegsgefangenen errichtet. 4000 Soldaten der Sowjetunion wurden während des Baues dieser 8 Blocks des Lagerkrankenhauses ermordet und niedergemetzelt. Die Erinnerung an diese Massenmorde blieb derart lebendig, daß das Revier in Mauthausen niemals anders als das »Russenlager« bezeichnet wurde. Sogar die SS nannte das Revier das »Russenlager«.

M. DUBOST: Wieviel Franzosen befanden sich in Mauthausen?

LAMPE: In Mauthausen und seinen Kommandos, ungefähr 10000 Franzosen.

M. DUBOST: Wieviel von ihnen kamen zurück?

LAMPE: 3000 kamen von uns zurück.

M. DUBOST: Waren auch Spanier unter ihnen?

LAMPE: Die Spanier kamen in Mauthausen Ende 1941 an, etwa 8000. Als wir Ende April 1945 das Lager verließen, waren noch 1600 am Leben geblieben, die übrigen waren ausgerottet worden.

M. DUBOST: Woher kamen diese Spanier?

LAMPE: Die Spanier kamen zum größten Teil aus Arbeitskompanien, die 1939/1940 in Frankreich gebildet oder direkt von der Vichy-Regierung den deutschen Behörden ausgeliefert wurden.

M. DUBOST: Ist das alles, was Sie auszusagen haben?

LAMPE: Wenn der Gerichtshof gestattet, möchte ich noch ein weiteres Beispiel für die Greuel anführen, einen Fall, der uns im Gedächtnis geblieben ist.

Dies ereignete sich auch im Laufe des September 1944. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich an das Datum nicht ganz genau erinnern kann. Ich weiß jedoch, daß es an einem Samstag war, weil samstags in Mauthausen alle Außenkommandos den Abendappell im Innern des Lagers hatten. Dieser fiel stets auf den Samstagabend und den Sonntagmorgen. Der Appell an diesem Abend dauerte länger als gewöhnlich; es fehlte jemand. Nach langem Warten und nach Durchsuchungen in den verschiedenen Blocks fand man einen Russen, einen Sowjetrussen, der vielleicht eingeschlafen war oder den Appell vergessen hatte, wie dem auch sei; den Grund dazu haben wir niemals erfahren, aber er fehlte beim Appell. Sofort fielen die SS und die Hunde über den Unglücklichen her, und in Anwesenheit sämtlicher Lagerinsassen, ich befand mich in der ersten Reihe, nicht weil ich es wünschte, sondern weil die Anordnungen so getroffen waren, wurden wir Augenzeugen, wie diese wütenden Hunde den unglücklichen Russen vor dem ganzen Lager in Stücke rissen.

Ich möchte übrigens hinzufügen, daß dieser Russe trotz seiner Schmerzen eine besonders würdige Haltung bewahrt hat.

M. DUBOST: Wie waren die Lebensbedingungen der Gefangenen; waren sie immer gleich oder wurde ein Unterschied nach Herkunft oder Nationalität der Gefangenen gemacht oder nach ihrer Volks- und Rassenzugehörigkeit?

LAMPE: Im allgemeinen war die Lagerordnung für die Angehörigen aller Nationen gleich, mit Ausnahme der Quarantäneblocks und der den Gefängnissen angeschlossenen Blocks. Die Arbeitsbedingungen, die Auswahl der Kommandos gaben bisweilen manchem Gelegenheit, Dinge zu finden, mit denen sie über das Gewohnte hinaus ihre Lage etwas verbessern konnten, zum Beispiel denen, die in den Küchen arbeiteten. Diejenigen, die in den Vorratsräumen arbeiteten, hatten natürlich größere Hilfsquellen.

M. DUBOST: Durften zum Beispiel die Juden in den Küchen oder Vorratslagern arbeiten?

LAMPE: Die Juden in Mauthausen hatten die schwersten Kommandos. Ich muß übrigens bemerken, daß bis zum Dezember 1943 kein Jude länger als drei Monate in Mauthausen am Leben blieb. Zuletzt blieben nur sehr wenige übrig.

M. DUBOST: Was geschah in diesem Lager nach der Ermordung Heydrichs?

LAMPE: Es kam zu einem besonders dramatischen Zwischenfall. In Mauthausen waren 3000 Tschechen, darunter 600 Intellektuelle. Nach der Ermordung Heydrichs wurde die tschechische Kolonie des Lagers ausgerottet, bis auf etwa 300, darunter 6 Intellektuelle.

M. DUBOST: Sprach man mit Ihnen über wissenschaftliche Experimente?

LAMPE: Ja, diese waren in Mauthausen, wie in allen anderen Lagern, an der Tagesordnung. Ich glaube, wir haben hierfür Beweisstücke, die aufgefunden wurden; es handelt sich um zwei Schädel, die dem SS-Chefarzt als Briefbeschwerer dienten. Die Schädel stammten von zwei holländischen Juden, die aus einem Transport von 800 Personen herausgegriffen und ausgesucht worden waren, weil sie ein besonders schönes Gebiß hatten. Der SS-Arzt, der diese Auswahl traf, hatte wissen lassen, daß diese beiden jungen holländischen Juden nicht das Schicksal ihrer Transportkameraden erdulden müßten. Er hatte zu ihnen gesagt: »Hier leben keine Juden. Ich brauche zwei junge kräftige Menschen für chirurgische Experimente. Ihr habt die Wahl, ob Ihr Euch für diese Versuche zur Verfügung stellt, oder Ihr werdet mit den anderen umgebracht.« Diese beiden Juden wurden in das Revier gebracht, dem einen wurde eine Niere entfernt, dem anderen der Magen. Dann erhielten sie Benzineinspritzungen ins Herz. Schließlich wurden sie geköpft. Ich habe bereits erwähnt, daß die beiden Schädel mit dem schönen Gebiß bis zur Befreiung den Schreibtisch des SS-Lagerarztes zierten.

M. DUBOST: Ich komme nochmals auf den Besuch Himmlers zurück, sind Sie sicher, Himmler erkannt zu haben, und haben Sie ihn die Hinrichtung leiten sehen?

LAMPE: Ja.

M. DUBOST: Glauben Sie, daß die Vorgänge in Mauthausen der Gesamtheit der Mitglieder der Deutschen Regierung unbekannt geblieben sein konnten? Waren diese Lagerbesuche einfache Besuche von der SS oder auch von anderen Persönlichkeiten?

LAMPE: Zu Ihrer ersten Frage: Wir wußten alle, wie Himmler aussah, und sogar, wenn wir ihn nicht erkannt hätten, wußten alle Leute im Lager davon, und die SS hat uns seinen Besuch angekündigt; er war einige Tage vorher angesagt worden.

Er war beim Beginn der Hinrichtungen der Sowjetoffiziere zugegen, aber, wie ich vorhin sagte, dauerte diese Hinrichtung den ganzen Nachmittag, er blieb aber nicht bis zum Schluß.

Was die zweite Frage betrifft...

M. DUBOST: Ist es möglich, daß nur die SS von den Vorgängen im Lager wußte? Besuchten außer der SS auch andere Persönlichkeiten das Lager? Kannten Sie die SS-Uniformen? Trugen die Leute und die Beamten, die Sie gesehen haben, stets Uniform?

LAMPE: Die Persönlichkeiten, die wir im Lager gesehen haben, waren im allgemeinen Militärpersonen, Offiziere. Wir hatten einmal, das war wenige Wochen vor der Befreiung, den Besuch des Gauleiters von Oberdonau. Wir hatten ebenfalls des öfteren Besuche von Gestapoleuten in Zivil. Die deutsche Bevölkerung, in diesem Falle die österreichische Bevölkerung, war vollkommen auf dem laufenden über das, was in Mauthausen vorging. Die Kommandos waren fast alle Außenkommandos. Ich habe vorhin angegeben, daß ich bei Messerschmitt arbeitete. Der Meister war ein deutscher Zivilverpflichteter, der aber abends zu seiner Familie zurückkehrte; er kannte ganz genau unsere Leiden und unsere Nöte; er sah oft, wie man in die Werkstatt kam, um Männer zur Hinrichtung abzuholen; er war Zeuge der meisten Blutbäder, die ich eben beschrieben habe.

Ich möchte hinzufügen, daß wir einmal in Mauthausen dreißig Wiener Feuerwehrmänner erhielten; ich bitte, den Ausdruck zu entschuldigen. Sie wurden verhaftet, weil sie, ich glaube, an einer Solidaritätsbewegung teilgenommen hatten. Diese Wiener Feuerwehrleute erzählten uns, daß man in Wien, wenn man Kinder schrecken wollte, ihnen sagte: »Wenn du nicht brav bist, dann schicke ich dich nach Mauthausen.«

Rein örtliche Einzelheiten: Mauthausen, das Lager von Mauthausen liegt auf einer Anhöhe. Jede Nacht verqualmten die Schornsteine des Krematoriums die ganze Gegend, und die ganze Bevölkerung wußte, wozu das Krematorium diente.

Eine andere Einzelheit: Die Stadt Mauthausen war fünf Kilometer vom Lager entfernt. Die Deportiertentransporte kamen am Bahnhof in der Stadt an, die gesamte Bevölkerung konnte die Transporte vorbeimarschieren sehen, die Bevölkerung wußte, unter welchen Bedingungen diese Transporte ins Lager gebracht wurden.

M. DUBOST: Danke sehr.

VORSITZENDER: Wünscht der Anklagevertreter der Sowjetunion Fragen zu stellen?

GENERAL R. H. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Ich möchte einige zusätzliche Fragen stellen: Können Sie aussagen, Herr Zeuge, warum und auf wessen Befehl jene fünfzig sowjetischen Offiziere hingerichtet wurden?

LAMPE: Für diesen besonderen Fall jener fünfzig Offiziere kenne ich die Gründe ihrer Verurteilung und Hinrichtung nicht; aber im allgemeinen wurden alle sowjetischen Offiziere, alle Sowjetkommissare oder Mitglieder der bolschewistischen Partei in Mauthausen hingerichtet, und, wenn es einigen von ihnen gelang, mit dem Leben davon zu kommen, dann deshalb, weil die SS ihre Dienststellung nicht kannte.

GENERAL RUDENKO: Sie behaupten, daß Himmler bei der Hinrichtung dieser fünfzig Offiziere anwesend war?

LAMPE: Ich bezeuge diese Tatsache, die ich mit eigenen Augen gesehen habe.

GENERAL RUDENKO: Können Sie uns nähere Einzelheiten über die Hinrichtung der viertausend sowjetischen Kriegsgefangenen angeben, von denen Sie vorher gesprochen haben?

LAMPE: Ich kann nicht mehr viel hinzufügen, außer, daß diese Männer bei der Arbeit ermordet wurden, weil wahrscheinlich die ihnen aufgetragene Arbeit infolge der Unterernährung nicht erledigt worden war. Sie wurden auf der Stelle mit Knüppeln erschlagen, manchmal von der SS niedergemacht, manchmal waren sie gezwungen, bis zum Stacheldraht zu laufen, wo sie dann von den Turmwachen erschossen wurden. Ich kann darüber keine Einzelheiten geben, da ich, wie gesagt, diese Szenen nicht als Augenzeuge mitangesehen habe.

GENERAL RUDENKO: Das genügt und ist klar genug. Noch eine Frage: Können Sie mir nähere Einzelheiten über die Vernichtung der tschechischen Kolonie angeben?

LAMPE: Hier muß ich dieselben Vorbehalte machen. Ich war zur Zeit der Ausrottung der dreitausend Tschechen nicht im Lager. Aber die Überlebenden, mit denen ich 1944 in Verbindung stand, haben einstimmig diese Tatsachen bestätigt, und haben wahrscheinlich eine Liste der Ermordeten für ihr Land aufgestellt.

GENERAL RUDENKO: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, heißt das, daß in dem Lager, wo sie interniert waren, Exekutionen ohne richterliches Urteil oder Untersuchung durchgeführt wurden. Jeder SS-Mann hatte das Recht, einen Häftling zu töten. Habe ich Ihre Aussage richtig verstanden?

LAMPE: Jawohl, das ist richtig, ein Menschenleben galt in Mauthausen überhaupt nichts.

GENERAL RUDENKO: Danke!

VORSITZENDER: Wünscht einer der Verteidiger an diesen Zeugen Fragen zu stellen? Dann kann der Zeuge abtreten. Einen Augenblick bitte, Herr Zeuge!

MR. FRANCIS BIDDLE, MITGLIED DES GERICHTSHOFES FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Wissen Sie, wieviel Wachtposten in dem Lager waren?

LAMPE: Die Wache wechselte oft aus verschiedenen Gründen, aber es waren im allgemeinen 1200 SS- Männer und Soldaten des Volkssturms dort; jedoch muß ich sagen, daß nur 50 bis 60 SS-Männer ermächtigt waren, das eigentliche Lager zu betreten.

MR. BIDDLE: Handelte es sich bei diesen 50 oder 60 um SS-Männer? Waren es SS-Leute, die das Recht hatten, das Lager zu betreten?

LAMPE: Ja, es waren SS.

MR. BIDDLE: Waren sie alle SS-Leute?

LAMPE: Alle waren SS-Leute.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann abtreten.