HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]

M. DUBOST: Wenn es Ihnen recht ist, meine Herren, werden wir jetzt fortfahren, Ihnen unsere Akten über die deutschen Greueltaten in den Ländern Westeuropas, in der Zeit von 1939 bis 1945 vorzulegen. Wir wollen hierbei einige dieser Zeugenaussagen sowie einige Vorfälle festhalten, die einzeln betrachtet alle Verbrechen nach gewöhnlichem Strafrecht darstellen. Der Grundgedanke, auf welchen wir unseren ganzen Vortrag und unsere Arbeit aufgebaut haben, ist der, daß der deutsche Terror als Mittel angesehen wurde, alle unterjochten Völker zu beherrschen. Wir werden uns an die Aussage dieses französischen Zeugen erinnern, nach der man in Wien, wenn man Kinder schrecken wollte, mit dem Lager Mauthausen drohte.

Die in den westlichen Ländern Verhafteten wurden also nach Deutschland deportiert, wo sie in Lagern oder in Gefängnissen festgehalten wurden. Was die Gefängnisse betrifft, so sind die Auskünfte, die wir darüber haben, aus dem offiziellen Bericht des Ministeriums für Kriegsgefangene entnommen, den wir bereits verlesen haben. Es ist der geheftete Band, der Ihnen heute Morgen übergeben wurde. Sie werden vor allem auf den Seiten 35 und 36 bis 42 eine ausführliche Darstellung über die Gefängnisse in Deutschland finden. Das Gefängnis in Köln befindet sich zwischen dem Güter- und dem Hauptbahnhof. Der Staatsanwalt von Köln hat in einem Bericht, den wir anführen...

VORSITZENDER: Sprechen Sie von Dokument F-274?

M. DUBOST: Ja, Herr Präsident, F-274, Seite 35. Das Dokument wurde als RF-301 vorgelegt.

Der Gerichtshof wird daraus entnehmen, daß das Kölner Gefängnis, in dem sich sehr viele Franzosen befanden, zwischen dem Güter- und dem Hauptbahnhof liegt; der Oberstaatsanwalt von Köln konnte deshalb in einem Bericht schreiben, der dem Ministerium für Kriegsgefangene und Deportierte zur Feststellung der Ihnen unterbreiteten Vorfälle diente, der Bericht steht in dem Ihnen vorliegenden Dokumentenbuch, daß die Lage dieses Gefängnisses so gefährlich sei, daß sich kein Rüstungsunternehmen dazu bereit erklären würde, die wertvollen Materialien an eine dort befindliche Fabrik zu liefern. Während der Luftangriffe hatten die Gefangenen keinen Anspruch auf Luftschutzräume. Sie blieben in ihren Zellen eingesperrt, selbst wenn Feuer ausbrach. Die Zahl der Opfer der Luftangriffe in den Gefängnissen war sehr hoch. Der Luftangriff vom Mai 1944 forderte zweihundert Opfer im Gefängnis Alexanderplatz in Berlin. In Aachen waren die Räume immer schmutzig, feucht und eng; es waren drei- bis viermal so viele Gefangene als es die Raumverhältnisse gestatteten.

Im Gefängnis von Münster wohnten im November 1943 Frauen in einem Keller ohne Luftzufuhr. In Frankfurt hatten die Gefangenen als Zellen eine Art von eisernen Käfigen, von 2 Meter mal 1,5 Meter. Hygiene kam überhaupt nicht in Frage. In Aachen, wie auch in vielen anderen Gefängnissen, hatten die Gefangenen in der Mitte des Raumes nur einen Eimer, den sie tagsüber nicht leeren durften.

Die Ernährung war sehr karg. Im allgemeinen gab es morgens Ersatzkaffee mit einer dünnen Scheibe Brot, mittags eine Suppe, abends eine dünne Scheibe Brot mit etwas Margarine, Wurst oder Marmelade. Die Gefangenen wurden zu ermüdenden Arbeiten in der Rüstungsindustrie, in Lebensmittel- und Textilfabriken angehalten; ganz gleich, welche Arbeiten sie auszuführen hatten; die geforderte Arbeitszeit betrug mindestens zwölf Stunden. In Köln zum Beispiel von 7.00 Uhr morgens bis 9.00 oder 10.00 Uhr nachts, also vierzehn bis fünfzehn Stunden hintereinander.

Dies alles stammt aus den Akten des Kölner Staatsanwalts, Dokument 87, das uns das Ministerium für Kriegsgefangene zur Verfügung gestellt hat.

Eine Schuhfabrik beschäftigte Häftlinge aus achtzehn deutschen Gefängnissen. Ich verlese aus demselben Dokument:

»Die meisten Franzosen haben sich energisch geweigert, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten....

Fabrikation von Gasmasken, Bearbeitung von Gußeisenplatten, Granatschienen, Radio- oder Fernsprechapparaten, die für das Heer bestimmt waren. Wer sich hierbei widerspenstig zeigte, wurde auf Befehl von Berlin in ein Straflager überwiesen. Beispiel: Überführung von Frauen von Cottbus nach Ravensbrück am 13. November 1944. Das Genfer Abkommen wurde selbstverständlich nicht eingehalten.

Die ›politischen‹ Gefangenen wurden oft zur Räumung nicht explodierter Bomben eingesetzt. (Amtlicher deutscher Bericht des Kölner Oberstaatsanwalts.)«

Eine ärztliche Betreuung war nicht vorhanden. In den Gefängnissen waren keine Vorbeugungsmaßnahmen gegen Epidemien getroffen, allenfalls gab der SS-Arzt auch wissentlich falsche Auskünfte.

Im Gefängnis von Dietz an der Lahn schlugen die SS- und SA-Aufseher die Gefangenen, und zwar vor den Augen des Direktors Gammradt, eines früheren deutschen Majors.

Diphtherie, Ruhr, Lungenkrankheiten, Brustfellentzündungen berechtigten nicht, die Arbeit einzustellen; die Schwerkranken arbeiteten bis zum letzten und wurden nur ausnahmsweise im Lazarett aufgenommen.

Es gab zahlreiche Strafen. In Aachen kostete die Anwesenheit einer verhafteten Jüdin in einer Zelle den Mitinternierten die Hälfte ihrer Rationen. In Amrasch durfte die Toilette nur auf Befehl aufgesucht werden. In Magdeburg mußten die Widerspenstigen einhundert Kniebeugen vor den Wächtern machen. Die Verhöre waren brutal, wie in Frankreich, mit mehr oder weniger strengem Fasten verbunden.

In Asperg ließ der Arzt Einspritzungen ins Herz der Gefangenen vornehmen, die den Tod herbeiführten. In Köln waren die zum Tode Verurteilten dauernd in Ketten gelegt. In Sonnenburg wurden die Sterbenden durch Verabreichung einer grünlichen Flüssigkeit erledigt in Hamburg mußten die kranken Juden ihr Grab graben, bis sie vor Erschöpfung hineinfielen. Es handelt sich hier immer um Franzosen, Holländer, Belgier, Luxemburger, Dänen oder Norweger, die in deutschen Gefängnissen interniert waren.

Diese Beschreibung bezieht sich nur auf die Angehörigen dieser Staaten.

Im Gefängnis Börse in Berlin wurden jüdische Säuglinge vor den Augen ihrer Mütter ermordet. Die Bestätigung dafür, daß die Deutschen die Sterilisation an Männern ausführten, geht aus den deutschen Akten des Kölner Staatsanwalts hervor; als weitere Folge hiervon war für die Betroffenen der Verlust ihrer militärischen Rechte vorgesehen. Dieselben Akten enthalten Dokumente mit Angaben darüber, was mit den eingesperrten Kindern geschah; diesen Kindern nämlich wurden Arbeiten innerhalb des Gefängnisses übertragen. Ein deutscher Strafvollzugsbeamter fragte an, was mit einem vier Monate alten Kind zu geschehen habe, das zusammen mit seinem Vater und seiner Mutter ins Gefängnis eingeliefert worden war.

Wie war das Wachpersonal zusammengesetzt?

»Aus dem NSKK und der SA ausgewählt, wegen ihrer politischen Einstellung über jeden Zweifel erhaben und wegen ihrer Gewöhnung an besonders straffe Disziplin.«

So heißt es im Bericht des Kölner Oberstaatsanwalts, Seite 39, letzter Absatz.

In Rheinbach wurden zum Tode Verurteilte, die in Köln hingerichtet werden sollten, wegen Disziplinverstößen zu Tode geprügelt. Wir können uns daher gut die Roheit der Wachmannschaften vorstellen.

Amtliche deutsche Berichte enthalten genaue Angaben über die Hinrichtungen. Die Verurteilten wurden mittels Fallbeil hingerichtet. Fast alle Gefangenen waren erstaunt und beschwerten sich darüber – so berichten die deutschen Dokumente, von denen wir Ihnen eine inhaltliche Zusammenfassung geben –, daß sie für ihre patriotischen Taten mit der Guillotine hingerichtet und nicht erschossen werden sollten, für Taten, deretwegen sie für schuldig befunden worden waren und deretwegen sie, ihrer Meinung nach, verdient hätten als Soldaten behandelt zu werden.

Unter den in Köln Hingerichteten befanden sich junge Leute von achtzehn und neunzehn Jahren, sowie eine Frau. Politisch verhaftete Französinnen wurden aus dem Gefängnis in Lübeck herausgeholt, um in Hamburg hingerichtet zu werden.

Die Hauptanklagepunkte waren fast immer die gleichen: Feindbegünstigung.

Die Akten sind nicht vollständig; wir besitzen jedoch die des Kölner Oberstaatsanwalts. In allen Fällen sind die Verstöße immer gleicher Natur.

Keitel hat systematisch alle gefertigten und ihm vorgelegten Gnadengesuche abgelehnt.

Wie hart und manchmal auch schrecklich das Los der Gefängnishäftlinge war, so war es unvergleichlich weniger grausam als das der Franzosen, die das Unglück hatten, in Konzentrationslagern interniert zu werden. Der Gerichtshof kennt diese Lager bereits. Meine Kollegen von den Vereinten Nationen haben einen ausführlichen Tatsachenbericht darüber gegeben, und der Gerichtshof wird sich an die ihm vorgeführte Karte erinnern, die den Ort und die genaue Lage aller Konzentrationslager in Deutschland und in den besetzten Gebieten wiedergibt.

Wir wollen nicht mehr über die geographische Anordnung sprechen. Mit Genehmigung des Gerichtshofs werde ich jetzt vortragen, unter welchen Verhältnissen die Franzosen und die Angehörigen der besetzten westlichen Länder in diese Lager überführt wurden.

Zuerst wurden die Opfer willkürlicher Verhaftungen, wie ich heute Vormittag ausgeführt habe, in französischen Gefängnissen oder Sammellagern für die Abfahrt zusammengestellt.

Das Hauptsammellager in Frankreich war Compiegne. Von Compiegne aus sind fast alle Deportierten nach Deutschland verfrachtet worden. Es gab noch zwei andere Sammellager, Beaumela-Rolande und Pithiviers, hauptsächlich für Juden, sowie Drancy.

Die Lebensbedingungen der in diesen Lagern internierten Leute waren ungefähr die gleichen wie die der Häftlinge in den deutschen Gefängnissen.

Mit Ihrer Erlaubnis werden wir nicht weiter darauf eingehen; der Gerichtshof wird die Aussagen von Herrn Blechmann und Frau Jacob zum Gegenstand der Verhandlung machen; sie sind in Dokument F-457 niedergelegt, das ich als Teil meines Vortrags dem Gerichtshof als RF-328 vorlege.

VORSITZENDER: Ist es das Buch, das mit »Deportation« überschrieben ist?

M. DUBOST: Ja, der Band trägt den Titel »Deportation« und ist das elfte Dokument in diesem Buch.

Um die Verhandlungen abzukürzen und sie nicht mit Verlesungen und Aussagen, die doch meistens Wiederholungen sind, zu belasten, werden wir uns damit begnügen, dem Gerichtshof nur einen Teil aus der Zeugenaussage von Frau Jacob über die Haltung des Deutschen Roten Kreuzes zu verlesen. Die Stelle befindet sich ganz unten auf Seite 4 des französischen Dokuments; ich verlese:

»Wir erhielten den Besuch verschiedener deutscher Persönlichkeiten, so von Stülpnagel, Du Paty de Clam, des Bevollmächtigten für Judenfragen, und des Obersten Baron von Berg, Vizepräsidenten des Deutschen Roten Kreuzes. Dieser von Berg verhielt sich peinlich korrekt und fiel sehr auf. Er trug stets das kleine Abzeichen des Roten Kreuzes, was ihn aber nicht daran hinderte, ein Unmensch und Dieb zu sein.«

Seite 6:

»Trotz seines Titels als Vizepräsident des Deutschen Roten Kreuzes, dessen Abzeichen er zu tragen wagte, wählte er blindlings eine Anzahl unserer Kameraden zur Deportation aus.«

Hinsichtlich des Sammellagers von Compiegne findet der Gerichtshof in Dokument F-274, RF-301, Seite 14 und 15, genaue Ausführungen über das Los der Internierten. Ich glaube nicht, daraus verlesen zu müssen. In Norwegen, Holland und Belgien gab es ebenso wie in Frankreich Sammellager. Das bezeichnendste und auch bekannteste ist das belgische Lager Breendonck, über das wir dem Gerichtshof nähere Ausführungen geben müssen; sehr viele Belgier waren dort interniert und starben an Entbehrungen, Mißhandlungen und Foltern aller Art, sie wurden durch Erschießen oder Erhängen hingerichtet.

Dieses Lager befand sich seit 1940 in der Festung Breendonck. Wir werden aus dem Dokument F-231, das wir als RF-329 vorlegen, und das dem Gerichtshof auch als UK-76 bekannt ist, einige Angaben über das Lagerregime verlesen. Es ist das vierte Dokument in Ihrem Dokumentenbuch, Herr Präsident, und trägt die Überschrift »Bericht über das Konzentrationslager Breendonck«.

VORSITZENDER: Würden Sie bitte den Namen des Lagers wiederholen?

M. DUBOST: Breendonck. B- R-E-E- N-D-O-N-C- K.

Wir bitten den Gerichtshof, uns einige Minuten Gehör zu schenken, denn wir müssen etwas genauer auf den Fall dieses Lagers eingehen, da eine beträchtliche Zahl Belgier dort interniert war, und die dortige Haft sehr eigenartige Formen angenommen hatte.

Die Deutschen besetzten im August 1940 diese Festung und begannen im Verlaufe des Monats September dort Internierte zusammenzuziehen. Es handelte sich um Juden. Die Belgische Regierung konnte nicht feststellen, wieviele Personen vom September 1940 bis August 1944, bis zum Tag der Räumung des Lagers und der Befreiung Belgiens, dort interniert worden sind. Man nimmt jedoch an, daß ungefähr 3000 bis 3600 Internierte durch Breendonck gegangen sind. Ungefähr 250 sind an Entbehrungen gestorben, 450 wurden erschossen und 12 wurden gehängt. Man muß sich jedoch die Tatsache vor Augen halten, daß die meisten der Gefangenen von Breendonck zu den verschiedensten Zeiten in andere Lager Deutschlands verschleppt wurden. Die Mehrzahl dieser so Deportierten ist nicht wieder zurückgekommen, und man muß zu den Toten von Breendonck noch diejenigen hinzurechnen, die ihre Gefangenschaft in Deutschland nicht überlebt haben.

Das Lager enthielt verschiedene Gruppen von Gefangenen: Juden, und für diese war die Behandlung sehr streng, strenger als für die anderen; und ziemlich viele internierte Kommunisten und Marxisten, ohne daß es jedoch möglich gewesen wäre, den Untersuchungsstellen hierüber genauere Angaben zu machen. Personen, die der Widerstandsbewegung angehörten, solche die von Deutschen denunziert worden waren, Geiseln, unter denen sich der frühere Minister Bouchery und der liberale Abgeordnete van Kesbeek befanden, wurden dort zehn Wochen wegen der Explosion einer Granate auf dem Großen Markt von Mecheln festgehalten. Beide sind nach der Befreiung an den Folgen der schlechten Behandlung, die sie in diesem Lager erduldeten, gestorben.

Es gab dort auch Schwarzmarkthändler. Die Belgische Regierung berichtet von ihnen: »Sie wurden nicht mißhandelt und genossen sogar bevorzugte Behandlung.« Das ist Absatz e) auf Seite 2. Die Häftlinge wurden zur Arbeit gezwungen. Die Kollektivstrafen wurden ihnen bei dem geringsten Anlaß auferlegt. Eine dieser Strafen bestand darin, daß die Gefangenen unter die Betten kriechen und dann auf Befehl wieder aufstehen mußten, dabei wurden sie mit Peitschenhieben traktiert. Einzelheiten darüber finden Sie auf Seite 10.

Es folgt auf der gleichen Seite eine Beschreibung der Lage der internierten Häftlinge, die von den anderen Gefangenen abgesondert waren und in Einzelhaft gehalten wurden. Jedesmal, wenn sie ihre Zelle verließen, oder wenn sie mit anderen Häftlingen zusammenkamen, hatten sie eine Kapuze über dem Kopf.

VORSITZENDER: Das scheint ein ziemlich langer Bericht zu sein, nicht wahr?

M. DUBOST: Ja, Herr Präsident, deshalb fasse ich ihn zusammen und verlese ihn nicht ganz; aber ich persönlich halte es für schwierig, ihn noch mehr zu komprimieren; denn er wurde mir von der Belgischen Regierung anvertraut, die den von den Deutschen im Lager Breendonck begangenen Mißhandlungen, Ausschreitungen und Greueltaten große Bedeutung beimißt, da die gesamte Bevölkerung, und vor allem die belgische Oberschicht, unter ihnen gelitten hat.

VORSITZENDER: Sie fassen ihn also zusammen, wenn ich Sie recht verstehe?

M. DUBOST: Jawohl, ich fasse bereits zusammen, Herr Präsident. Ich war gerade dabei, das Leben der dort in Einzelhaft gehaltenen Gefangenen zu beschreiben, die manchmal Handschellen und Ketten an den Füßen trugen und mit Eisenringen an die Mauer festgemacht waren. Sie durften ihre Zelle nur mit der Kapuze auf dem Kopf verlassen.

Einer dieser Häftlinge, Herr Paquet, bezeugt, daß er acht Monate in dieser Lage verbrachte, und, als er einmal die Kapuze absetzen wollte, um sich zu orientieren, einen heftigen Schlag mit dem Gewehrkolben erhielt, der ihm drei Halswirbel brach.

Auf Seite 12 folgt: Lagerordnung, Arbeit, Mißhandlungen, Morde. Wir erfahren, daß die Arbeit der Gefangenen darin bestand, die die Festung bedeckende Erde abzutragen und jenseits des die Festung umgebenden Grabens zu schaffen. Diese Arbeit war sehr mühsam und gefährlich und kostete viele Menschenleben. Man benutzte dazu kleine Wagen, die von den SS-Leuten auf Schienen in Bewegung gesetzt wurden und dabei wiederholt den Gefangenen die Beine zerschmetterten, wenn sie deren Annäherung nicht bemerkten. Die SS machte daraus ein Spiel, und bei der geringsten Arbeitsunterbrechung stürzten sie sich auf die Häftlinge, um sie zu prügeln.

Auf der gleichen Seite lesen wir, daß Häftlinge ohne jeden Grund in den die Festung umgebenden Graben geworfen wurden. Dem Bericht der Belgischen Regierung zufolge sind Dutzende von Gefangenen dort ertrunken. Manche Gefangene wurden dadurch umgebracht, daß man sie bis zum Hals eingrub, und die SS sie dann mit Fußtritten oder Stockhieben erledigte.

Was Ernährung, Bekleidung, Briefverkehr und ärztliche Pflege anbetrifft, so finden wir in diesem Bericht die gleichen Mitteilungen, wie sie in ähnlichen Berichten uns gegeben wurden, und die ich schon verlesen habe. Die Schlußfolgerung verdient stellenweise verlesen zu werden; zweiter Absatz:

»Die ehemaligen Häftlinge von Breendonck, von denen viele die deutschen Konzentrationslager kennengelernt haben: Buchenwald, Neuengamme, Oranienburg, erklären im allgemeinen, daß die Verhältnisse in Breendonck sowohl hinsichtlich der Zucht als auch der Ernährung ärger waren. Sie fügen hinzu, daß sie in den dichter belegten Lagern Deutschlands sich nicht so sehr in der Gewalt ihrer Wachposten fühlten und auch den Eindruck hatten, daß ihr Leben weniger in Gefahr war.«

Die Zahlen in diesem Bericht sind nur Mindestzahlen. Um nur ein Beispiel anzugeben; nach dem letzten Absatz der letzten Seite des Berichts erklärt Herr Verheirsträten, im Dezember 1942 und Januar 1943 insgesamt 120 Personen in Särge gelegt zu haben. Wenn man die Hinrichtungen vom 6. und 13. Januar in Betracht zieht, die jedesmal 20 Personen das Leben gekostet haben, muß man zugeben, daß zu diesem Zeitpunkt, das heißt in zwei Monaten, 80 Personen an Krankheit oder infolge von Mißhandlungen gestorben sind. Von diesen Lagern wurden die Häftlinge nach Deutschland verschickt, und zwar in Transporten, über die ich dem Gerichtshof eine Beschreibung geben muß.

Der Gerichtshof muß zunächst wissen, daß allein für Frankreich, die drei Departements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle inbegriffen, vom 1. Januar bis zum 25. August 1944 insgesamt 326 Transporte in Marsch gesetzt wurden, also durchschnittlich 10 Transporte jede Woche. Jeder Transport bestand aus 1000 bis 2000 Personen. Wir wissen jetzt auf Grund der Aussage unseres Zeugen, daß jeder Waggon, je nachdem, 60 bis 120 Personen enthielt. Es scheint, daß aus Frankreich, ohne die drei erwähnten Departements, im Jahre 1940: 3 Transporte, im Jahre 1941: 19 Transporte, 1942: 104 Transporte und 1943: 257 Transporte abgegangen sind. Dies sind die Zahlen, die in dem Ihnen heute Morgen übergebenen Dokument F-274, RF-301, Seite 14, angegeben werden.

Diese Transporte sind fast immer von Compiegne abgegangen, wo mehr als 50000 Gefangene registriert waren, und von wo im Jahre 1943: 78 und im Jahre 1944: 95 Transporte abgingen.

Diese Transporte sollten die Einwohner terrorisieren. Der Gerichtshof wird sich an Hand eines bereits verlesenen Dokuments daran erinnern, wie Familien, in Unkenntnis über das Schicksal der Häftlinge, noch mehr verängstigt wurden. Gleichzeitig sollten damit Arbeitskräfte erfaßt und zusammengestellt werden als Ersatz für die deutschen Arbeitskräfte, die seit dem Kriege gegen Rußland in immer stärkerem Maße fehlten.

Die Verhältnisse, unter denen diese Transporte durchgeführt wurden, bereiteten eine Art Auswahl der Arbeitskräfte vor. Gleichzeitig bildeten sie das erste Stadium eines neuen Aspekts der deutschen Politik, nämlich: unbedingte Ausrottung aller ethnischen oder intellektuellen Gruppen, deren politische Betätigung den Nazi-Führern gefährlich erschien.

Diese Häftlinge, die zu achtzig oder einhundertzwanzig in einem Wagen eingeschlossen waren, ganz gleich zu welcher Jahreszeit, die sich weder setzen noch kauern konnten, bekamen während der ganzen Reise weder zu essen noch zu trinken. Über diesen Punkt haben wir vor allem die Zeugenaussage von Dr. Steinberg, die Oberstleutnant Badin von der Untersuchungsstelle für Kriegsverbrechen in Paris aufgenommen hat. Es ist Dokument F-392, das wir dem Gerichtshof als RF-330 vorlegen. Ich möchte jetzt nur einige Stellen von der zweiten Seite verlesen:

»Wir waren in Viehwagen zusammengepfercht, in jedem Wagen 70 Personen, unter schrecklichen hygienischen Verhältnissen. Unsere Reise dauerte 2 Tage. Am 24. Juni 1942 kamen wir in Auschwitz an. Dazu kommt, daß wir bei der Abreise überhaupt keine Verpflegung erhalten hatten, und wir auf der zweitägigen Fahrt von dem von Drancy mitgenommenen Proviant lebten.«

Den Deportierten wurde bisweilen vom Deutschen Roten Kreuz sogar Wasser verweigert. Das Ministerium für Kriegsgefangene und Deportierte hat eine Zeugenaussage entgegengenommen, die in Dokument F-274, RF-301, festgehalten ist, Seite 18. Es handelt sich um einen Transport jüdischer Frauen, der am 19. Juni 1942 vom Bahnhof Bobigny abgegangen ist:

»Die Frauen waren drei Tage und drei Nächte unterwegs und starben vor Durst; in Breslau baten sie die Schwester vom Roten Kreuz um etwas Wasser, aber vergeblich.«

Andererseits haben Leutnant Geneste und Dr. Block gleiche Vorfälle bezeugt, die im Dokument F-321, RF-331, wiedergegeben sind. Es ist eine Schrift mit dem Titel »Konzentrationslager«, die wir Ihnen in drei Sprachen, französisch, russisch und deutsch, übergeben konnten. Leider haben wir keine englische Übersetzung mehr.

Auf Seite 21 oben heißt es:

»Auf dem Bahnhof in Bremen wurde uns vom Deutschen Roten Kreuz Wasser verweigert, mit der Bemerkung, es gäbe kein Wasser.«

Dies ist eine Zeugenaussage von Leutnant Geneste von der Untersuchungsstelle für Kriegsverbrechen.

Zum Schluß bleibt noch ein Wort über das Benehmen des Deutschen Roten Kreuzes zu sagen:

Dokument F-321, RF-331, bringt auf Seite 162 den Beweis dafür, daß ein mit dem Roten Kreuz gekennzeichneter Krankenwagen die Stahlflaschen mit dem für die Gaskammern von Auschwitz bestimmten Gas befördert hat.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt die Verhandlung auf Montag Vormittag.