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[Pause von 10 Minuten.]

M. DUBOST: Haben Sie gesehen, daß SS-Führer und Wehrmachtsangehörige die Lager Ravensbrück und Auschwitz besucht haben, während Sie dort waren?

VAILLANT-COUTURIER: Ja.

M. DUBOST: Wissen Sie, ob Persönlichkeiten der Deutschen Regierung zu Besuch in diese Lager kamen?

VAILLANT-COUTURIER: Ich weiß es nur im Falle Himmler. Was die anderen betrifft, weiß ich nichts.

M. DUBOST: Wer waren die Aufseher dieser Lager?

VAILLANT-COUTURIER: Anfangs waren es nur SS-Leute. Ab Frühjahr 1944 wurden die jungen SS-Leute in vielen Kompanien durch ältere Wehrmachtsangehörige ersetzt. In Auschwitz sowohl wie in Ravensbrück wurden wir von 1944 an von Wehrmachtsangehörigen bewacht.

M. DUBOST: Sie bezeugen also, daß auf Befehl des deutschen großen Generalstabs die Deutsche Wehrmacht in diese Greueltaten verwickelt war, die Sie uns geschildert haben.

VAILLANT-COUTURIER: Sicherlich, da wir auch von Wehrmachtsangehörigen bewacht wurden. Das konnte nicht ohne Befehle geschehen.

M. DUBOST: Sie legen also ein förmliches Zeugnis ab, das gleichzeitig SS und Wehrmacht betrifft?

VAILLANT-COUTURIER: Durchaus.

M. DUBOST: Wollen Sie uns von der Ankunft ungarischer Jüdinnen in Ravensbrück im Winter 1944 erzählen, die in Massen verhaftet worden waren? Sie waren in Ravensbrück. Können Sie über dieses Ereignis Zeugnis ablegen?

VAILLANT-COUTURIER: Ja, natürlich. Ich war dabei. Es war in den Blocks kein Platz mehr. Die Häftlinge schliefen schon zu viert in einem Bett. Es wurde dann mitten im Lager ein großes Zelt errichtet. In dieses Zelt wurde Stroh gelegt, und die ungarischen Häftlinge wurden in dieses Zelt geführt. Sie befanden sich in einem fürchterlichen Zustand. Sehr viele hatten erfrorene Füße, da sie aus Budapest evakuiert worden waren und einen großen Teil der Reise zu Fuß im Schnee zurückzulegen hatten. Eine große Anzahl starb unterwegs. Diejenigen, die in Auschwitz eintrafen, wurden in dieses Zelt geführt, und dort sind sehr viele von ihnen gestorben. Jeden Tag kam ein Kommando und holte die Leichen aus dem Zelt heraus. Eines Tages, als ich zu meinem Block zurückkam, der sich in der Nähe befand, während der Reinigung...

VORSITZENDER: Sprechen Sie von Ravensbrück oder von Auschwitz?

VAILLANT-COUTURIER: Ich spreche jetzt von Ravensbrück. Das war im Winter 1944, ich glaube, ungefähr November oder Dezember, ich kann den Monat nicht ganz genau angeben, weil es in den Konzentrationslagern sehr schwierig ist, ein genaues Datum anzugeben, da ein Tag der Folter dem andern folgte und die Eintönigkeit nur sehr schwer Anhaltspunkte gab.

Als ich also eines Tages an dem Zelt vorbeiging, als es gerade sauber gemacht wurde, sah ich einen großen dampfenden Misthaufen; plötzlich wurde es mir klar, daß es menschlicher Mist war, da viele unter diesen armen Frauen nicht mehr die Kraft hatten, sich zu den Latrinen fortzubewegen. Sie verfaulten also in diesem Schmutz.

M. DUBOST: Wie waren die Arbeitsverhältnisse in der Werkstätte, in der Jacken angefertigt wurden?

VAILLANT-COUTURIER: In der Uniformschneiderei?

M. DUBOST: War es die Lagerwerkstatt?

VAILLANT-COUTURIER: Das war die Werkstatt des Lagers, die Schneiderei I genannt wurde. Es wurden dort 200 Jacken und Hosen täglich hergestellt. Es waren zwei Schichten, eine Tag- und eine Nachtschicht. Zwölf Stunden Arbeit für jede Schicht. Zu Anfang erhielt die Nachtschicht, nur wenn der festgesetzte Produktionssatz erreicht war, aber nur unter dieser Bedingung, eine dünne Brotschnitte. Später wurde dies aufgehoben. Die Arbeit mußte in rasender Geschwindigkeit ausgeführt werden, so daß die Häftlinge sich nicht einmal zu den Toiletten begeben konnten. Tag und Nacht wurden sie in fürchterlicher Weise von der SS geschlagen, sowohl von SS-Männern wie von SS-Frauen, wenn zum Beispiel eine Nadel zerbrach, weil der Faden von schlechter Qualität war, weil die Maschine stillstand, oder ganz einfach, weil Sie eine Nase hatten, die diesen Herren oder Damen nicht gefiel.

Gegen Ende der Nacht sah man sie so erschöpft, daß ihnen jede Bewegung schwer wurde, ihre Stirn war mit Schweiß bedeckt. Sie konnten kaum noch sehen. Wenn das Arbeitsminimum nicht erreicht war, stürzte sich der Leiter der Werkstatt Binder auf die Arbeiterinnen und schlug mit aller Kraft eine Frau nach der anderen, so daß die letzten versteinert vor Schrecken warteten, bis sie an die Reihe kamen. Um zum Revier zu gehen, bedurfte man der Genehmigung der SS, die nur sehr selten erteilt wurde. Und selbst, wenn der Arzt eine Frau einige Tage von der Arbeit dispensierte, passierte es oft, daß die SS-Leute die Kranke aus dem Bett herausholten, um sie wieder an die Maschine zu setzen. Die Luft war entsetzlich, denn während der Nacht konnte man wegen der Verdunkelung die Fenster nicht öffnen, so daß 600 Frauen zwölf Stunden ohne jegliche Lüftung arbeiteten. Alle diejenigen, die in der Schneiderei arbeiteten, wurden nach einigen Monaten so mager wie Gerippe, sie fingen an zu husten, die Sehkraft ließ nach, sie bekamen krampfhafte Zuckungen aus Angst vor den Schlägen.

Ich kenne die Zustände in dieser Werkstatt sehr gut, da meine kleine Freundin Marie Rubiano, eine kleine Französin, die eben drei Jahre im Gefängnis Kottbus verbracht hatte, zur Schneiderei geschickt wurde, als sie nach Ravensbrück kam, und jeden Abend erzählte sie mir von ihrem Martyrium. Eines Tages, als sie absolut erschöpft war, wurde ihr gestattet, in das Revier zu gehen. Die deutsche Schwester Erika war nicht ganz so schlechter Laune wie gewöhnlich, und Marie wurde zur Röntgenuntersuchung geschickt. Da die beiden Lungen sehr schwer mitgenommen waren, wurde sie zu dem schrecklichen Block 10, dem Block der Tuberkulosekranken geschickt. Dieser Block war besonders entsetzlich. Da die Tuberkulosen als dauernd arbeitsunfähig galten, wurden sie nicht gepflegt und aus Mangel an Personal nicht einmal gewaschen.

Die kleine Marie wurde in das Zimmer der Schwerkranken gebracht, das heißt derjenigen, die für verloren gehalten wurden. Sie verbrachte dort einige Wochen und hatte nicht einmal mehr den Mut, um ihr Leben zu kämpfen. Die Stimmung in diesem Raume war besonders deprimierend. Es waren dort zahlreiche Frauen, mehrere in einem Bett, in drei Etagen übereinander in einem überheizten Raum, verschiedene Nationalitäten untereinander gemischt, so daß sie nicht einmal miteinander sprechen konnten. Das Schweigen dieses Vorzimmers des Todes wurde nur von dem Kreischen der deutschen Asozialen, die den Dienst versahen, und von dem unterdrückten Schluchzen eines kleinen Mädchens unterbrochen, das seiner Mutter und seiner Heimat gedachte, die es nie mehr wiedersehen würde.

Trotzdem starb Marie Rubiano in den Augen der SS nicht schnell genug, und eines Tages setzte sie Dr. Winkelmann, der Spezialist für die Auslese in Ravensbrück, auf die schwarze Liste. Am 9. Februar 1945 wurde sie zusammen mit 72 anderen Tuberkulosekranken, unter ihnen 6 Französinnen, auf den Lastwagen für die Gaskammer gehoben. Während dieser Periode sandte man aus sämtlichen Revieren alle Kranken, die man nicht für arbeitsfähig hielt, zur Vergasung. Die Gaskammer in Ravensbrück war direkt hinter der Mauer des Lagers neben dem Krematorium. Wenn die Lastwagen die Kranken holten, hörten wir den Lärm des Motors durchs Lager; die Lastkraftwagen hielten direkt neben dem Krematorium, dessen Schlot über die hohen Mauern des Lagers emporragte.

Bei der Befreiung habe ich mich dorthin begeben und die Gaskammer besucht. Es war eine Holzbaracke, die hermetisch verschlossen war. Innen war noch der unangenehme Geruch der Gase zu spüren. Ich weiß, daß die Gase, die in Auschwitz gebraucht wurden, dieselben waren, wie die, die zum Vergasen der Läuse benutzt wurden. Sie hinterließen als Spuren kleine hellgrüne Kristalle, die man nach öffnen der Fenster des Blockes auskehrte. Ich kenne diese Einzelheiten, weil die Leute, die bei der Entlausung der Blocks tätig waren, mit jenen Verbindung hatten, die die Menschen vergasten. Und diese erklärten ihnen, daß dasselbe Gas verwendet werde.

M. DUBOST: War es das einzige Mittel, das benutzt wurde, um die Internierten von Ravensbrück zu liquidieren?

VAILLANT-COUTURIER: Im Block 10 experimentierte man auch mit einem weißen Pulver. Eines Tages kam die deutsche Schwester Martha in den Block und verteilte an ungefähr zwanzig Kranke ein Pulver, das die Kranken in tiefen Schlaf versetzte. Vier oder fünf mußten sich erbrechen, und das rettete ihnen das Leben. Während der Nacht ließ allmählich das Schnarchen nach, und die Kranken waren tot.

Ich weiß das, weil ich jeden Tag Französinnen in diesem Block besuchte; zwei der Krankenschwestern waren Französinnen, und auch die Ärztin Louise Lepporz aus Bordeaux, die zurückgekommen ist, könnte das ebenfalls bestätigen.

M. DUBOST: Geschah dies oft?

VAILLANT-COUTURIER: Während meines Aufenthaltes war es das einzige Mal, daß dies innerhalb des Reviers passierte. Aber man benutzte dieses System ebenfalls im Jugendlager. Dieses wurde so genannt, weil es ein altes Strafgefängnis für junge deutsche Verbrecherinnen war.

Anfang 1945 war Dr. Winkelmann nicht mehr damit zufrieden, Leute aus dem Revier allein auszusuchen, sondern tat dies auch in den Blocks. Alle Häftlinge mußten zum Appell mit nackten Füßen kommen, mußten ihre Brust und Beine zeigen. Alle diejenigen, die zu alt, zu krank, zu mager waren oder deren Beine von Ödem geschwollen waren, wurden auf die Seite gestellt und dann nach dem Jugendlager abgeführt, das ungefähr eine Viertelstunde vom Lager Ravensbrück entfernt war. Ich besuchte es nach der Befreiung.

In den Blocks wurde bekanntgegeben, daß die alten und kranken Frauen, die nicht arbeiten konnten, sich für das Jugendlager melden sollten, wo es ihnen besser ginge, wo sie nicht zu arbeiten hätten, wo es keinen Appell gäbe. Wir haben es später erfahren, durch Angestellte, die im Jugendlager arbeiteten, wo die Lagerleiterin, eine Österreicherin namens Betty Wenz war, die ich von Auschwitz her kannte, und durch einige der Überlebenden, unter ihnen Irene Ottelard, eine Französin, die in Drancy, 17 Rue de la Liberté wohnt, und die zur selben Zeit wie ich nach Hause kam, und die ich nach der Befreiung gepflegt habe; durch sie haben wir Einzelheiten über das Jugendlager erfahren.

M. DUBOST: Wollen Sie uns sagen, ob Sie diese Frage beantworten können: Haben die SS-Ärzte, die diese Aussonderungen machten, aus eigenem Antrieb gehandelt oder auf Grund von Befehlen, die sie erhalten hatten?

VAILLANT-COUTURIER: Sie handelten nach erhaltenen Befehlen, denn ich weiß, daß einer von ihnen, Dr. Lukas, der sich weigerte, an diesen Aussonderungen teilzunehmen, vom Lager zurückgezogen wurde, und daß Dr. Winkelmann als Nachfolger von Berlin gesandt wurde.

M. DUBOST: Sind Sie selbst Zeugin dieser Geschehnisse gewesen?

VAILLANT-COUTURIER: Er war es, der dies der Leiterin des Blockes 10 und der Ärztin Louise Lepporz gesagt hat, als er wegging.

M. DUBOST: Können Sie uns einige Auskünfte über die Lebensbedingungen geben, die im Männerlager Ravensbrück herrschten, als Sie sogleich nach der Befreiung das Lager besuchten.

VAILLANT-COUTURIER: Ich denke, daß es besser wäre, wenn ich zuerst vom Jugendlager spräche, weil dies der Zeit nach früher liegt.

M. DUBOST: Wenn Sie es so wollen.

VAILLANT-COUTURIER: Im Jugendlager wurden die alten Frauen und Kranken, die aus unserem Lager herausgeholt worden waren, zunächst in Blocks verlegt, in denen weder Wasserversorgung noch Toiletten vorhanden waren. Sie lagen auf Strohsäcken auf dem Boden und so dicht nebeneinander, daß man zwischen ihnen nicht durchgehen konnte, und daß nachts das Hin- und Hergehen den Schlaf unmöglich machte, und die Häftlinge sich beim Vorbeigehen gegenseitig beschmutzten. Die Strohsäcke waren verfault und wimmelten von Läusen. Diejenigen Häftlinge, die sich aufrechthalten konnten, traten zu einem mehrstündigen Appell an, bis sie zusammenbrachen.

Im Monat Februar wurden ihnen die Mäntel abgenommen, aber sie mußten weiterhin dem Appell draußen beiwohnen, was die Sterblichkeit noch stark vermehrte. Sie erhielten als gesamte Nahrung nur eine dünne Scheibe Brot und ein Achtelliter Rübensuppe und als Getränk ein Achtelliter Kräutertee in 24 Stunden. Sie hatten kein Trinkwasser und kein Wasser, um sich selbst oder ihr Eßgeschirr zu waschen.

Im Jugendlager gab es auch ein Revier, in das man alle diejenigen steckte, die sich nicht mehr aufrechthalten konnten. Während der Appelle wählte die Aufseherin in regelmäßigen Abständen die Häftlinge aus, die man bis aufs Hemd auszog. Man gab ihnen ihren Mantel zurück, und sie bestiegen einen Lastkraftwagen, um zur Gaskammer gefahren zu werden. Einige Tage später kamen die Mäntel zur Kammer zurück, und ihre Karten wurden mit dem Vermerk »Mittwerda« versehen. Die Häftlinge, die an der Kartei arbeiteten, sagten uns, daß das Wort »Mittwerda« nicht existiere und zur Bezeichnung der Gaskammer verwendet wurde.

In dem Revier wurde periodisch weißes Pulver verteilt, und die Kranken starben genau wie die des Blocks 10, von dem ich soeben gesprochen habe. Es wurden...

VORSITZENDER: Die Zustände im Lager Ravensbrück scheinen dieselben wie im Lager Auschwitz gewesen zu sein. Wäre es nicht möglich, nachdem wir diese Einzelheiten gehört haben, nun die Angelegenheit in allgemeinerer Form zu behandeln, es sei denn, daß zwischen Ravensbrück und Auschwitz ein grundlegender Unterschied bestand.

M. DUBOST: Ich glaube, es gibt einen Unterschied, den die Zeugin uns auseinandergesetzt hat, und zwar den folgenden: In Auschwitz wurden die Internierten ganz einfach ausgerottet, es war einzig und allein Vernichtungslager, während sie in Ravensbrück interniert waren, um zu arbeiten. Sie wurden dadurch so erschöpft, daß sie daran starben.

VORSITZENDER: Falls es andere Unterschiede zwischen den beiden Lagern gibt, werden Sie ohne Zweifel die Zeugin darüber befragen.

M. DUBOST: Ich werde nicht verfehlen, es zu tun.