HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zur Zeugin gewandt:]

Können Sie dem Gerichtshof sagen, in welchem Zustand sich das Männerlager befand, als es befreit wurde, und wieviel Überlebende noch vorhanden waren?

VAILLANT-COUTURIER: Als die Deutschen das Lager verließen, haben sie 2000 kranke Frauen und zu ihrer Pflege einige Freiwillige, unter denen ich selbst war, zurückgelassen. Sie ließen uns ohne Wasser und Licht. Zum Glück sind die Russen am nächsten Tag gekommen. Wir haben dann in das Männerlager gehen können. Dort erwartete uns ein unbeschreiblicher Anblick. Sie waren seit fünf Tagen ohne Wasser, es gab 800 Schwerkranke, und die drei Ärzte und sieben Krankenwärter waren nicht in der Lage, die Toten von den Kranken zu trennen. Mit Hilfe der Roten Armee konnten wir diese Kranken in saubere Blocks bringen und ihnen Pflege und Nahrung geben. Unglücklicherweise kann ich Zahlen nur für die Franzosen angeben. Es waren 400, als wir ins Lager kamen, und nur 150 konnten nach Frankreich zurückkehren. Für die anderen war es, trotz der Pflege, zu spät.

M. DUBOST: Haben Sie Hinrichtungen beigewohnt, und wie sind diese im Lager vor sich gegangen?

VAILLANT-COUTURIER: Ich bin nicht bei Hinrichtungen zugegen gewesen. Ich weiß nur, daß die letzte am 22. April stattfand, eine Woche vor Ankunft der Roten Armee. Man schickte die Häftlinge, wie ich erzählt habe, zur Kommandantur, dann kamen ihre Kleider zurück, und ihre Karten wurden aus der Kartei herausgezogen.

M. DUBOST: Waren die Zustände in diesem Lager außergewöhnlich, oder glauben Sie, daß es sich um ein System handelte?

VAILLANT-COUTURIER: Es ist schwer, wenn man nicht selbst dort gewesen ist, eine genaue Schilderung der Konzentrationslager zu geben, denn man kann nur Beispiele des Schreckens zitieren, man kann aber diesen Eindruck der langsamen Eintönigkeit nicht wiedergeben. Wenn man gefragt wird, was das Schlimmste sei, kann man darauf nicht antworten, denn alles war grauenhaft. Grauenhaft ist es zu verhungern oder zu verdursten oder krank zu sein, oder alle Genossinnen um sich herum sterben zu sehen, ohne daß man irgend etwas tun kann, an seine Kinder zu denken, an sein Land, das man nicht wiedersehen wird, und zuweilen fragten wir uns selbst, ob das alles nicht ein Alptraum sei, so unwirklich erschien uns dieses Leben mit seinen Schrecken.

Für Monate und Jahre hatten wir nur einen Willen, daß nämlich einige von uns lebend herauskommen möchten, um der Welt zu verkünden, was diese Zuchthäuser der Nazis waren. Überall, in Auschwitz sowie in Ravensbrück, und diese Tatsachen werden auch von den Genossinnen bestätigt, die in anderen Lagern waren, war der systematische und unerbittliche Wille zu finden, die Menschen als Sklaven auszunutzen und, wenn sie nicht länger arbeiten konnten, sie zu töten.

M. DUBOST: Haben Sie noch etwas anderes zu sagen?

VAILLANT-COUTURIER: Nein.

M. DUBOST: Ich danke Ihnen. Wenn der Gerichtshof die Zeugin noch befragen will, ich bin fertig.

GENERAL RUDENKO: Ich habe keine Fragen.

DR. HANNS MARX, VERTEIDIGER FÜR DEN ANGEKLAGTEN STREICHER: Rechtsanwalt Dr. Marx für den abwesenden Verteidiger der SS, Rechtsanwalt Babel. Herr Rechtsanwalt Babel ist heute morgen verhindert, weil er zu einer Besprechung zu Herrn General Mitchell beordert worden ist.

Meine Herren Richter, ich möchte mir erlauben, an die Zeugin einige Fragen zur Aufklärung des Sachverhalts zu richten.

[Zur Zeugin gewandt:]

Frau Couturier, Sie erklärten, Sie seien von der französischen Polizei verhaftet worden.

VAILLANT-COUTURIER: Ja.

DR. MARX: Aus welchem Grunde sind Sie verhaftet worden?

VAILLANT-COUTURIER: Widerstand. Ich gehörte einer Widerstandsbewegung an.

DR. MARX: Eine andere Frage: Welche Stellung bekleideten Sie?

VAILLANT-COUTURIER: Welche Stellung?

DR. MARX: Die Stellung, die Sie bekleideten; haben Sie irgendeine Stellung bekleidet?

VAILLANT-COUTURIER: Wo?

DR. MARX: Waren Sie zum Beispiel Lehrerin?

VAILLANT-COUTURIER: Vor dem Kriege? Ich verstehe nicht ganz, was die Sache mit dem Sachverhalt zu tun hat. Ich war Journalistin.

DR. MARX: Ja, die Sache ist doch so: Sie haben in Ihrer Aussage große Gewandtheit in Stil und Ausdruck erkennen lassen, und da möchte ich wissen, ob Sie eine Stellung in einem entsprechenden Beruf bekleidet haben, ob Sie Lehrerin waren, oder ob Sie zum Beispiel Vorträge gehalten haben?

VAILLANT-COUTURIER: Nein, ich war photographische Reporterin.

DR. MARX: Ja, wie ist es zu erklären, daß Sie selbst so gut all dies überstanden haben, daß Sie in gutem Gesundheitszustand zurückgekommen sind?

VAILLANT-COUTURIER: Erstens bin ich bereits vor einem Jahr befreit worden. In einem Jahr hat man Zeit sich zu erholen. Sodann war ich, wie ich gesagt habe, zehn Monate in Quarantäne und habe das Glück gehabt, an Flecktyphus nicht zu sterben, obwohl ich dreieinhalb Monate krank war.

Da ich aber andererseits Deutsch kann, habe ich in der letzten Zeit in Ravensbrück beim Appell im Revier mitgeholfen, und so hatte ich unter den schlechten Wetterverhältnissen nicht zu leiden. Dagegen sind bei meinem Transport von 230 nur 49 heimgekehrt, und wir waren nach vier Monaten nur noch 52. Ich habe das Glück gehabt, zurückzukommen.

DR. MARX: Trugen Sie lediglich Ihre eigenen Beobachtungen vor, oder handelt es sich etwa um Mitteilungen, die Ihnen von anderen Personen gemacht worden sind?

VAILLANT-COUTURIER: So oft das der Fall gewesen ist, habe ich dies in meinen Aussagen angegeben. Ich habe niemals etwas zitiert, was hinsichtlich der Herkunft nicht durch mehrere Personen beglaubigt worden ist, aber der Hauptteil meiner Aussage besteht aus persönlichen Eindrücken.

DR. MARX: Wie können Sie erklären, daß Sie so genaue statistische Kenntnisse besitzen? Sie sprechen zum Beispiel davon, daß 700000 Juden aus Ungarn gekommen seien?

VAILLANT-COUTURIER: Ich habe Ihnen gesagt, daß ich in den Büros gearbeitet habe und in Bezug auf Auschwitz, daß ich die Freundin der Sekretärin, das heißt der Oberaufseherin war, deren Namen und Adresse ich dem Gerichtshof angegeben habe.

DR. MARX: Es wird nämlich auch behauptet, daß nur 350000 Juden aus Ungarn gekommen seien, nach Angabe des Abteilungsleiters bei der Gestapo, Eichmann.

VAILLANT-COUTURIER: Ich mochte mit der Gestapo nicht diskutieren. Ich habe guten Grund anzunehmen, daß ihre Erklärungen nicht immer genau sind.

DR. MARX: Gut. Wie wurden Sie selbst behandelt, wurden Sie gut behandelt?

VAILLANT-COUTURIER: Wie die anderen.

DR. MARX: Wie die anderen? Sie sagten auch, das deutsche Volk mußte über die Vorgänge in Auschwitz auf dem laufenden gewesen sein. Worauf basiert diese Behauptung?

VAILLANT-COUTURIER: Ich habe das schon gesagt, einerseits auf der Tatsache, daß die lothringischen Soldaten der Wehrmacht, als wir abfuhren, uns im Zuge sagten: »Wenn Ihr wüßtet, wohin Ihr fahrt, so würdet Ihr es nicht so eilig haben, dort anzukommen«. Andererseits auf der Tatsache, daß die deutschen Frauen, die aus der Quarantäne herauskamen, um in Fabriken zu arbeiten, diese Tatsachen kannten und alle sagten, sie würden es draußen weitererzählen; und drittens auf der Tatsache, daß in allen Fabriken, in denen Häftlinge arbeiteten, diese in Berührung mit deutschen Zivilisten waren; sowie auf der Tatsache, daß die Aufseherinnen in Verbindung mit ihren Familien und Freunden standen und oft damit prahlten, was sie gesehen hatten.

DR. MARX: Noch eine Frage. Sie haben bis 1942 das Verhalten der deutschen Soldaten in Paris beobachten können. Benahmen sich die deutschen Soldaten nicht anständig und bezahlten sie nicht was sie requiriert hatten?

VAILLANT-COUTURIER: Ich habe davon nicht die geringste Ahnung. Ich weiß nicht, ob sie für ihre Beschlagnahmen bezahlten. Was anständige Behandlung betrifft, so sind zu viele meiner Angehörigen erschossen oder niedergemetzelt worden, als daß ich Ihre Meinung in dieser Frage teilen könnte.

DR. MARX: Ich habe keine weitere Frage an die Zeugin zu stellen.

VORSITZENDER: Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, braucht nichts weiter gesagt zu werden.

DR. MARX: Ich wollte mir nur erlauben, für den Herrn Rechtsanwalt Babel den Vorbehalt zu machen, daß er selbst die Zeugin noch ins Kreuzverhör nehmen kann.

VORSITZENDER: Babel, sagten Sie?

DR. MARX: Ja.

VORSITZENDER: Entschuldigen Sie, natürlich, aber wann wird Rechtsanwalt Babel zurück sein?

DR. MARX: Ich nehme an, daß er heute nachmittag zurück sein wird, er ist ja im Hause, aber er muß Zeit haben, das Protokoll zu lesen.

VORSITZENDER: Wir werden die Frage, daß Rechtsanwalt Babel nochmals eine Vernehmung vornimmt, beraten, wenn er heute nachmittag hier ist. Wollen andere deutsche Verteidiger an die Zeugin Fragen stellen?